1891 / 136 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 12 Jun 1891 18:00:01 GMT) scan diff

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erfüllt hätten. Sei die deutsche Landwirthschaft potent genug, um den Verbrauch Deutschlands aus eigener Kraft zu decken?! Man baue jetzt nicht mehr, sondern weniger Brotkorn in Deutschland als 1879. Deutschland sei nicht unabhängiger, sondern abhängiger geworden dom Ausland. Die Verarmung des Ostens und die Bevorjugung des Westens seien die Folgen der Schutzzollpolitik. (Lachen rechts.) Man habe seit 1878579 allein in Bezug auf die Zölle die Lasten er böht von 2 auf 75 S pro Kopf der Berölkerung. Das sollte die Regierung doch stutzig machen. Die Herren von der Rechten fürchteten denn auch, daß der Bogen zu straff gespannt sei. Im Gegensatz zum Reichskanzler meine seine Partei, daß die Getreidezölle kein Objekt für Handelsverträge und für die Finanzen seien. Diese ganze Politik hänge vom Regen, von Frost, von Wind und Wetter ab. Auf eine solche Politik könne man aber nicht die billige Ernährung eines ganzen, großen Kulturvolkes aufbauen. Im Parteiinteresse könne seine Partei ja nur wünschen, daß die Regie⸗ rung recht lange und zähe bei ihrem Widerstande verharren möge. Um so mehr würde dann das Gebäude zusammenfallen, wenn die Noth unerträglich geworden sei. Hr. von Bennigsen habe s. Zt. davor gewarnt, daß die Agrarier die Getreidezölle auf eine un⸗ gemessene Höhe brächten; ein paar unglückliche Ernten könnten das ganze Gebäude zum Schaden der Landwirthschaft zu Falle bringen. Der Reichskanzler habe gemeint, eine Regierung müsse auch gegen den Strom schwimmen können, selbst wenn der Strom der Agitation noch wachsen sollte. Seine Partei erwarte aber, daß die eigene Ueber⸗ zeugung die Regierung über kurz oder lang dahin bringen werde, mit diesen Getreidezöllen aufzuräumen. (Beifall links, Zischen rechts.)

Abg. Freiherr von Erffa: Seine Partei lehne es nicht ab, in eine Besprechung dieses Antrags einzutreten, weil sie der freisinnigen Presse die oft gehandbabte Methode abschneiden wolle, als ob dieser Antrag geeignet sei, der konservativen Partei Unbequemlichkeiten und Schwierigkeiten zu bereiten. Wenn die Regierung zu der Ueber zeugung gekommen wäre, daß die Versorgung der Bevölkerung mit Brotfrucht innerhalb der nächsten Zeit mit Schwierigkeiten verknüpft sein würde, daß ein Nothstand vorhanden oder auch nur zu befürchten sein würde, und wenn die Regierung die Herabsetzung oder Aufhebung der Getreidezölle beantragt hätte, so würde die Tandwirthschaft in ihrer großen Mehrheit und die konservative Partei das von ihr geforderte Opfer bereitwilligst getragen haben. Wenn aber die Regierung durch ihre Informationen zu der Ueberzeugung gekommen sei, daß eine Schwierigkeit in der Versorgung der deutschen Bevölkerung mit Brotfrucht nicht zu besorgen sei, wenn die Ernteaussichten nicht so schlecht seien, wie sie der Abg. Rickert hinstelle, wenn sie ferner die Ueberzeugung gewonnen habe, daß bei dieser erheblichen Steigerung der Getreidepreise der einheimische und internationale Getreidehandel eine kleine Rolle spiele (hört, hört! rechts), so sei es nach Ansicht seiner Freunde ihre Pflicht, dem Drängen gewisser Parteien auf Herabsetzung und. Aufhebung der Getreidezölle nicht nachzugeben und der Landwirthschaft schwere Schädigungen zu ersparen. Die Landwirthschaft habe ja in den nächsten Wochen und Monaten nichts zu verkaufen. Es sei deshalb eine Unwahrheit, wenn behauptet werde, daß die Landwirthschaft und die Großgrundbesitzer von den augenblicklichen hohen Preisen Nutzen zögen. Die Sozialdemokraten hätten ihre Protestversammlungen hier in Berlin nicht unter der Devise: gegen die Junker und Brotvertheuerer'. sondern unter der Devise; gegen die internationale Spekulation einberufen sollen. (Sehr richtig! rechts) Die Schutzzollpolitik habe erreicht, daß die Landwirth⸗ schaft nicht bankerott geworden sei, (Zustimmung rechts) und daß der deutsche, Bauer noch beute die Regierung unterstütze und das einzige Bollwerk gegen die Sozialdemokratie sei. (Beifall . Der Abg. Rickert meine, daß wir eine schlechte Ernte zu erwarten hätten. Mit dieser Ansicht habe er der Versorgung Deutschlands mit Brotfrucht keinen guten Dienst geleistet. Er (Redner) halte diese Ernte nicht für so schlecht. Jedenfalls müsse man daß Ende der Ernte abwarten, und er danke der Regie rung, daß sie die Landwirthschaft davor hewahrt habe, diese Mittel ernte auch noch zu Schleuderpreisen zu verkaufen. In ihrer bekannten Selbstschätzung erklärten die Herren das Material der Regierung für falsch. Wenn die Regierung, welche ihre Mittheilungen von den Zollämtern, den Schiffsrhedern und Konsulaten beziehe, trotzdem sage, daß sie für die Zuverlässigkeit dieses Materials nicht einstehen könne, so sei es für eine Privatperson und für eine Partei, auch wenn sie vielleicht nahe Beziehungen mit der internationalen Speku— lation haben sollte, (sehr gut! rechts), absolut unmöglich, ein zu⸗ verlässigeres Material zu erhalten. (Zustimmung rechts.) Dies be— weise, daß es der freisinnigen Agitation viel weniger um die Er— nährung und Versorgung des Volkes mit Brotfrucht zu thun sei, als um eine lebhafte politische Agitation. (Beifall rechts) Die feisinnige Partei möge doch ehrlich eingestehen, daß sie den Moment für geeignet halte, um das jetzige Wirthschafts— system über den Haufen zu werfen und ju dem geliebten Freihandel zurückzukehren. Was sollten solche maßlosen Uebertrei⸗ bungen, wie sie sich z. B. das Berliner Tageblatt! in dem Abdruck eines Gedichts leiste, worin es zum Schluß heiße: und als das Brot gebacken war, da lag das Kind auf der Todten— bahr! (Zuruf des Abg. Richter: Altes Volkslied Das wisse er auch, aber es sei hier nicht am Platze. Man wolle eben durch starke Ausdrücke die Schwäche der Beweisführung ersetzen. Nur unter einer groben Fälschung der Wahrheit und der öffentlichen Meinung könne die freisinnige Partei aus der jetzigen Preis— steigerung einen allgemeinen Nothstand der gesammten Arbeiterbevöl⸗ kerung herleiten in einem Augenblick, wo große Arbeitergruppen auf den Rath ihrer gewissenlosen Führer in leichtsinniger und frivoler Weise trotz der hohen Löhne Arbeitseinstellungen anfingen. (Abg. Richtet: Wo denn?! In Bochum. Da der Abg. Richter auch pro⸗— vozire, so müsse er (Redner) etwas auf die Freisinnige Zeitung“ ein gehen. Er könne ihrem zpiritas rector, dem Abg. Richter, ein gewisses Mitleid nicht versagen wegen der großen persönlichen Niederlage, die er in dieser Frage erlitten habe. Wenn man, wie der Abg. Richter, Sonntag Nachmittag auf dem Frankfurter freisinnigen Parteitag unter dem rauschenden Beifall der treuen Gefolgschaft die Suepension der Zölle für die allernächsten Tage in sichere Aussicht gestellt habe, und dann am Montag Morgen, noch mit dem frischen Frankfurter Lorbeer um die olympische Schläfe, vom Minister ⸗Präsidenten erfahren müsse, daß eine Suspenston der Zölle nicht stattfinde, so sei das geeignet, recht unangenehme Gefühle zu erwecken. (Heiterkeit. Er wolle deshalb mit der „Freisinnigen Zeitung“ nicht so abrechnen, wie sie es eigentlich verdiene. Die sreisinnige Presse übersehe ganz die Statistik der letzten 30 Jahre, sonst würde sie zu der Ueberzeugung kommen, daß die jetzigen Preise, die die Konservativen ja ebenso wie die Freisinnigen als etwas Uner⸗ wünschtes betrachteten, nicht so unerhört seien. Von 1850 bis 1889 sei der Jabresdurchschnittspreis des Weijen in Preußen 9 Mal, der des Roggen 7 Mal höher gewesen, als er jetzt sei. (Hört rechts) Von diesen 9 Malen komme ein großer Thbeik auf die Aera

; ; els. (Dört recht) Warum komme Für sorge für die arbeitende

er arf diesel be

geantwortet: Ja, wo waren Sie

habe damals noch nicht im 7ffent

und seine Partei habe keine Not also auch für das Nichtvorhandensein desselben bringen brauchen. Dabei habe das Geld urt einen bedeutend höheren Werth gehabt und sei— bedeutend niedriger gewesen als jetzt. 'Zustimme

dürfte bei einem Fleischpreise von 30 M pro Doppelzentner Lebend—

gewicht das Pfund Schweinefleisch im Detail nicht mehr als 55 8 kosten, es koste aber in Wahrbeit 70—- 80 J. Aehnliche Differenzen beständen zwischen Getreide, und Brospreisen. Die Gewerbefreiheit, die Aufhebung der Mahl⸗ und Schlachtsteuer hätten die Detailpreise nicht so herabgesetzt, wie man es erwartet habe. Die Freisinnigen verhielten sich vor und nach der Rede des Minister⸗Präsidenten vom 1. Juni inkonsequent; ihnen sei es viel mehr um Parteiagitation, als um die Versorgung des Volkes mit Brotfrucht zu thun. Vor jener Erklärung sei die Regierung wegen ihrer Unsicherheit gegenüber den Getreidezöllen getadelt worden, weil sie den Handel lahm lege und den Getreideimport hindere. Der Abg. Alexander Meyer habe in einer Versammlung das große Wort gelassen ausgesprochen: ‚Wir sind 28 Jahre lang an fehlerhafte Regierungshandlungen gewöhnt, aber sie wurden mit Sicherheit be—⸗ gangen; Fehlerhaftigkeit und Unsicherheit zugleich aber sind nicht zu ertragen.“ (Heiterkeit) Nachdem aber der Minister⸗Peäsident unter voller Verantwortung der Regierung erklärt habe, sie ginge auf keine Aufhebung der Zölle ein, sodaß man sich von ihrer Entschlossenheit habe überzeugen können, hätten die Freisinnigen wieder Zweifel daran erregt, daß die Regierung an diesem Beschluß stand⸗ haft festhalten werde. Gerade dadurch brächten die Freisinnigen Unsicherbeit in die Verhältnisse des Handels. (Sehr richtig! rechts.) Mit Amsterdam solle der Abg. Rickert nicht kommen. In dem Wochen bericht des größten Handelshauses in Amsterdam von gestern heiße es: Jedenfalls tragen die Zollfragen nicht zur Stabilität und zum nor malen Stande des Verkehrs bei. Es unterliegt keinem Zweifel, ö. wenn nicht eine Zollermäßigung von gewisser Seite stets als not

wendig in Aussicht gestellt würde, der Handel die nöthigen Im— porte nicht unterlassen hätte. Bei unseren deutschen Nachbarn soll die Regierung gut machen, was jum großen Theil der Handel selbst verschuldet hat. (Hört! bört! rechts) Wenn es der frei— sinnigen Partei mit ihrer Fürsorge, die arbeitenden Klassen mit Brot zu versorgen, wirklich ernst sei, so möchte er sie dringend bitten, mitzuhelfen, daß die ungesunde Spekulation der Minister⸗ Präsident habe neulich gesagt, daß die 1. Spekulation im Ge⸗ treidegeschäft nur bei schwankenden Verhältnissen prosperiren könne einer ruhigen Entwickelung des Handels Platz mache. Das könne sie am Besten erreichen, wenn sie endlich der demagogischen Pro⸗ paganda in ihrer Presse und ihren Versammlungen ein Ende mache. Tadurch werde nur der Klassenhaß geschürt, aber dem Wohl des Vaterlandes nicht genügt. (Lebhafter Beifall rechts.)

Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden:

Meine Herren! Nach der Direktive, die der Herr Ministerpräsident gegeben hat, werde ich mich auf die Diskussion der in den Vorder— grund getretenen zollpolitischen Fragen nicht einlassen, mich vielmehr darauf beschränken, das statistische Material, soweit wir es zu geben im Stande sind und soweit es sich auf die vorliegende Frage bezieht mitzutheilen. Vorweg habe ich jedoch eine persönliche Bemerkung gegenüber dem Hrn. Abg Rickert zu machen. Er eitirte meine Worte vom 27. Mai 1891 und suchte mich in Gegensatz zu setzen bei meiner jetzigen und früheren Beurtheilung der Verbältnisse durch Hervor— hebung des Umstandes, daß ich im Jahre 1887 einen Antrag auf Erhöhung der Getreidezölle mit unterschrieben habe. Ich gestehe, daß mir die näheren Umstände, unter denen der fragliche Antrag ein— gebracht wurde, augenblicklich nicht gegenwärtig sind. Wahrscheinlich bin ich als Mitglied der Fraktion unter dem von der Fraktion ge— stellten Antrag aufgeführt, da ich bereits 1887 mich an den Verhand— langen des Hauses nur noch wenig aktiv betheiligt babe, weil ich anderweit zu sehr in Anspruch genommin war. Das nebenbei. Wenn jedoch im Hinblick auf den Antrag de 1887 der Hr. Abg. Rickert mit die Berechtigung dazu abgesprochen hat, daß ich am 27. Mai von der Unsicherheit der Verhältnisse gesprochen habe, welche von anderer Seite dadurch hervorgerufen sei, daß die Aufhebung der Kornzölle gefordert wird, so mache ich darauf aufmerksam, daß es ein wesentlicher Unterschied ist, ob ein derartiger Zollantrag in einem Moment, wie im Jahre 1887, wo keine außergewöhnlichen Verhältnisse bestanden, diskutirt wird oder ob dies geschieht in einem Moment, wie dem gegenwärtigen, wo gleichzeitig die Frage in den Vordergrund gestellt worden ist, ob unser Land bis zum Eintritt der nächsten Ernte Brodfrucht genug haben wird oder ob ein Mangel daran mit allen Konsequenzen des Mangels an Brodfrucht bei uns in Aussicht steht. Ich habe in einer späteren Bemerkung, am 27. Mai, die der Hr. Abg. Rickert auch hätte beachten können, ausdrücklich mißbilligt, daß man gerade im gegenwärtigen Moment mit der Forderung der Aufhebung der Kornzölle hervortritt, weil dadurch die Versorgung des Landes mit Brodkorn erschwert wird. Dies halte ich aufrecht, weil man dem Auslande dadurch den Glauben beibringt, es wäre bei uns nicht so viel Frucht vorhanden, wie für die Ernährung unseres Volkes nothwendig ist.

Hr. Rickert hat sich ferner, anknüpfend an die Worte des Abg. Richter vom 27. Mai, mit den amtlichen Saatenstandsberichten und überbaupt mit der Erntestatistik beschäftigt und gewünscht, Auskunft in der Beziehung zu erhalten, welcherlei Aussichten bezüglich der Ernte des laufenden Jahres bestehen. Meines Erachtens ist auch die eigentlich akute Frage, welche zu diesem Antrag und zu der gegenwärtigen Diskussion Veranlüͤssung gegeben hat, der Ausblick auf die nächste Ernte, von nicht erheblicher Bedeutung. Meine Herren, ich erkenne vollständig an, daß durch die Spekulation dauernd hohe Preise nicht geschaffen werden können, ich erkenne ferner an, daß wir voraussichtlich auch ferner noch hohe Preise behalten werden. Aber das, was wir im Herbst ernten werden, kann auf die Frage: Haben wir den Bedarf zur Ernährung der Bevölkerung bis zur nächsten Ernte? nicht von entscheidendem Einfluß sein, sondern nur auf die Preisbildung im Ganzen, und da notiren Herbsttermine niedriger, wie die laufenden.

Um nun in diese aufgeregte, wenigstens im Beginn der Auf— regung befindliche Diskussion einige ruhige Erwägungen hinein zutragen, möchte ich, anknüpfend an die Wünsche des Hr. Abg. Rickert bezüglich der Mittheilung der Ernteaussichten, die ganze Frage unserer Erntestatistik etwas näher erörtern, weil ich glaube, daß das, was von der Regierung auf diesem Gebiete verlangt wird, möglicherweise zu weit geht. Ich bin der Ansicht, daß amtliche Kundgebungen und Mittheilungen über voraussichtliche Ernteergebnisse sich nur bewegen därfen in gleichbleibenden, sich stetig zu bestimmten Zeiten wieder— holenden Mittheilungen, daß man aber in einem Moment, wie dem gegenwärtigen, wo man gerade ad hoc bestimmte Ermittelungen haben will, Bedenken tragen muß, solche Ermittelungen übereilt an—⸗ zustellen und in die Diskussion mit amtlicher Autorität Prophezeiung aber Ernteaussichten hineinzuwerfen, die sich möglicherweise nicht be⸗ stätigt. Deshalb habe ich mich auch am 27. Mai sehr vorsichtig geãußert.

Unsere ganze Erntestatistik baut sich folgendermaßen auf. Wir haben zu unterscheiden zwischen Pꝛeußen und dem Reich. In Preußen

werden im Juli jeden Jahres von den landwirthschaftlichen Vereinen die Ernteaussichten des laufenden Jahres mitgetheilt, und zwar nach

Prozenten einer Mittelernte. Diese Ernteaussichten werden vom Statistischen Bureau etwa zum 15. August veröffentlicht. Dieselben ergeben naturgemäß noch kein klares Bild, sondern bieten dem Kauf⸗ mann oder dem, der sich sonst dafür interessirt, bloß einen ungefähren Anhalt, wie die landwirthschaftlichen Kreise den Ernteausfall beurtheilen. Dann werden Ende Oktober in Preußen die vorläufigen Ernte⸗ ergebn isse wiederum von den landwirthschaftlichen Vereinen ermittelt, und jwar durch Probedrusch die Hektarerträge an Getreide. Auf Grund dieser Angaben wird vom statistischen Bureau der Jahres⸗ ernteertrag vorläufig berechnet. Das Ergebniß dieser vorläufigen der Oktoberermittelung wird gewöhnlich im November mit⸗ getheilt; es ist für das Jahr 1890 am 20. November 1890 mitgetheilt worden, es wird zur Kenntniß allen Herren, die sich füc die Angelegenheit interessieren, gelangt sein. Es ist um auf das laufende Jahr ein⸗ zugehen in der Nr. 20 der Statistischen Correspondenz gegenüber gestellt der Gesammtertrag nach der Oktoberermittelung im Jahre 1889, der Gesammtertrag nach der Oktoberermittelung im Jahre 1890; dann ist weiter mitgetheilt, wie sich der Gesammtertrag dieser vorläufigen Ermittelungen nach zehnjährigem Durchschnitte zu dem definitiven Ergebniß der Ernte stellt, und hieran angeschlossen, wie sich hiernach voraussichtlich das definitive Ergebniß der Ernte für das Jahr 1890 gestalten wird. Zum besseren Ueberblick ist noch das definitive Ergebniß des Jahres 1889 daneben gestellt. Nun, meine Herren, ist es bekannt, daß die vorläufigen Ermittelungen im Oktober immer sehr viel höher sind als die definitiven Ermittelungen. Der Schwerpunkt dieser Oktober⸗ November ⸗Mittheilungen liegt deshalb nicht in dem Ergebniß der Oktoberermittelung, sondern in dem gleich daran geknüpften Schluß auf das definitive Ergebniß der Ernte. Um dies zu erhalten, wird im Februar jeden Jahres, und zwar auf Veranlasffung des Bundes raths, im Reich eine Ernteertragsermittelung gemacht, und zwar durch die Ortsbehörden in jeder einzelnen Gemeinde. Das Material soll Seitens der einzelnen Staaten im Juni an das statistische Reichsamt eingereicht werden, wird von diesem aufgearbeitet und das Resultat seit 1884 in dem Monatshefte des statistischen Amts vom Juli veröffentlicht. Also nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge konnte Niemand er— warten, daß er früher über das definitive Resultat der Ernte des Jahres 1890 Auskunft erhalten würde, als eben durch das Juliheft dieses Jahres.

Ich bin jedoch in der Lage, heute schon die definitiven Ernte— ermittelungen für das Jahr 1890 angeben zu können, und zwar zu— nächst für Preußen; ich werde mich dabei auf die Hauptbrotfrucht und auf die Kartoffeln beschränken. Nach der von mir erwähnten Mittheilung der Statistischen Correspondenz für Preußen vom 20. No- vember 1890 war für 1890 der voraussichtliche Ertrag an Winter weizen angegeben ich gebe überall abgerundete Zahlen auf 13 758 000 Doppelzentner gegenüber dem im Oktober vorläufig er⸗ mittelten Betrage von 16378 000 Doppelzentnern. Gegenüber dem endgültigen Ergebniß pro 1889 von 12200 000 Doppelzentnern Weizen beträgt für Preußen das endgültige Ergebniß vro 1890 auf Grund der Februaraufnahme 13 961 000 Doppelzentner, also un—⸗ gefähr 200 000 mehr wie die Oktoberschätzung.

Für Winterroggen stellt sich das Ergebniß so, daß im November v. J. unter Zugrundelegung des Umstandes, daß das definitive Er— gebniß der Ernteschätzung gegenüber der Oktoberermittelung 74,9 ͤo nach zehnjährigem Durchschnitt beträgt, angenommen wurde, daß pro 1890 auf einen definitiven Ertrag von 37 180 000 Doppelzentnern zu rechnen sein werde. Nach dem jetzt vorliegenden Resultat der Februaraufnahme ist der definitive Ertrag an Roggen auf 38 646 000 Doppelzentner ermittelt.

Während somit beim Roggen das definitive Ergebniß die Schätzung im November um 1 460 000 Doppelzentner übersteigt, ergiebt sich ein noch günstigeres Resultat bei den Kartoffeln. Es war als vermuthliches Ergebniß pro 1890 ein Quantum von 123 945 000 Doppelzentnern in Aussicht genommen, es sind 141 778 000 Doppelzentner definitiv ermittelt, immerhin noch ca. 28 Millionen Doppelentner Kartoffeln weniger wie im Jahr 1889.

Bei Beginn der heutigen Sitzung sind mir ferner Seitens des stati⸗ stischen Reichsamts die vorläufigen definitiven Ernteergebnisse im Reich pro 1890 zugegangen, ich sage vorläufigen“, weil die Angaben einzelner kleinerer Staaten noch feblen. Nach dieser Aufstellung hat die Ernte pro 1899 in Weizen betragen ich werde da immer drei Jahre angeben —: im Jahre 1388 25 300 000 Doppelzentner, im Jahre 1889 23 700 000, im Jahre 1890 28 170 000 Doppelzentner, und unter Hinzurechnung des Ueberschusses der Einfuhr blieben nach den gleich—⸗ artig aufgestellten Gesichtspunkten, nach denen diese Statistik auch früher aufgestellt ist, zum Verbrauch disponibel im Jahre 1888 28 600 000 Doppelzentner, im Jahre 1889 28 800 000 Doppelzentner, im Jahre 1890 34 870 00 Doppelzentner.

Für den Roggen ergeben sich folgende Zahlen und ich werde jetzt, um durch die Zahlen nicht zu ermüden, bloß die Summen nennen, welche durch diese Statistik als für den Verbrauch disponibel ermittelt sind also die Ernte nach Zuzählung des Ueberschusses der Einfuhr. Da ergiebt sich im Jahre 1887 ein Quantum zum Verbrauch von 70 090 C00 Doppelzentnern, im Jahre 1888 von 61 660 000, im Jahre 1889 von 64 180 000 und 1890 von 67 280 000 Doppelzentnern.

Dagegen bei den Kartoffeln 265 Millionen Doppelzentner im Jahre 1889 und 232 Millionen im Jahre 1890. Dies sind die Zahlen für das Deutsche Reich.

Ich babe diese Zahlen heute mitgetheilt, weil sie mir noch in letzter Stunde zugegangen sind. An sich konnte man nach dem gewöhn⸗ lichen Verlauf, wie diese Statistik geordnet ist, die Mittheilung dieser Zahlen erst in dem Juliheft der Reichsstatistik erwarten, und werden diese Zahlen bei der weiteren Bearbeitung auch wohl eine Berichti⸗ gung erfahren.

Was ich bisher hier mitgetheilt habe, ist die möchte ich sagen auf berufsmäßigen Ermittelungen beruhende Statistik. Neben der⸗ selben laufen noch andere Nachrichten her, die sogenannten Saaten⸗ standsberichte, die den Herren theilweise auch bekannt sein werden. Ich erwähne sie deshalb, weil der Hr. Abg. Richter mich am 27. Mai insofern angriff, weil ich gesagt hatte: die Nachrichten über den Saatenstand, die im „Staats⸗Anzeiger“ im Mai mitgetheilt waren, würden voraussichtlich auf älteren Angaben beruhen.

Mit diesen Saatenstandsnachrichten, die zeitweilig im „Reichs—⸗ Anzeiger“ erscheinen, verhält es sich folgendermaßen. Die Regierungs—⸗ Präsidenten haben für jedes Quartal einen allgemeinen Bericht an Seine Majestät zu erstatten; in demselben befindet sich gewöhnlich auch ein Abschnitt über Ernteaussichten, über den Stand der Saaten

u. s. w. Es ist in der Natur der Sache begründet, daß diese; Berichte, welche Seiner Majestät erstattet werden und demnächst in Abschriften den verschiedenen Ressorts zugehen, bei diesen Letzteren erst später zur Vorlage kommen. Diese Berichte kommen auch zur Kenntniß der Redaktion des Reichs Anzeigers! und wird der Inhalt theilweise im. Reichs ⸗Anzeiger zum Abdruck gebracht. Die auf diesem Wege verbreiteten Saatenstandsnachrichten sind naturgemäß verspãtet und zur praktischen Beurtheilung der Situation nicht viel werth. Ver⸗ muthlich aus dieser Erwägung bat mein Herr Amtsvorgänger im Jahre 1882 die Regierungs ⸗Präsidenten veranlaßt, ihm in den ersten drei oder vier Tagen jeden Quartals, unabhängig von den vorbesprochenen Berichten, einen Bericht über den Stand der Saaten, Ernteaussichten, u. s. w. vorzulegen. Diese Berichte wurden gewöhnlich seit der Zeit ungefähr in den ersten 10 Tagen des Quartalmonats im „Staats⸗ Anzeiger“ veröffentlicht als eine amtliche Publikation des Landwirth⸗ schaftlichen Ministeriums. Diese Berichte sind mir auch in diesem Jahre zugegangen; ich habe aber von einer Veröffentlichung dieses Materials Abstand genommen. Wie es in den ersten Tagen des April einlief, war die Vegetation noch so weit zurück, daß von einer Beurtheilung der Saaten keine Rede sein konnte. Ich habe deshalb, um einen Ueberblick zu bekommen, zum 20. April nochmals berichten lassen. Aber auch diese Berichte gaben noch kein sicheres Urtheil, wie sich die Berhältnisse gestaltet hatten. Vielfach schlummerte die Vegetation noch und die Berichte enthielten meist bloß Muthmaßungen; sie bestätigten in Uebereinstimmung mit der Tagespresse, daß die Aus⸗ sichten für die Wintersaaten schlecht seien.

Im Uebrigen enthielten fie, und konnten nach der Jahreszeit reichere Angaben enthalten, wie: das Mutterkorn muß zum so und so vielsten Theil ungepflügt werden, ‚ses wird umgepflügt werden müssen“, oder wirthschaftlicherweise müßten die Bewohner das und das thun“. Dagegen fehlten positive Angaben darüber, welche Flächen umgepflügt worden seien, und wie diese Flächen wieder bestellt worden seien. Ich habe mir damals klar gemacht es war Ende April: wenn man diese Einzelangaben (die der Hauptsache nach bereits von der Tages presse gebracht waren) zu einem Gesammtresultat zusammenstellt und veröffentlicht, so giebt es ein ganz schwarzes Bild, welches sich mit Sicherheit demnächst als zu schwarz herausstellt, weil in den ländlichen Kreisen die Befürchtungen immer schlimmer sind, als sie sich hernach herausstellen. Es war in dem Moment schon eine Erregung über die Höhe der Kornpreise und die voraussichtliche Gestaltung der Kornpreise entstanden, namentlich aber über die Frage, ob ausreichender Vorrath vorhanden sei. Für die Beurtheilung dieser letzteren Frage war das, was sich über die Ernteaussichten damals mittheilen ließ, gleichgültig. Von baldigen erneuten detaillirten Er⸗ mittelungen in allen einzelnen Gemeinden habe ich Abstand genommen, aus Rücksicht auf die ohnehin durch die verspätete Frühjahrsbestellung sehr in Anspruch genommenen Landleute, und habe mir demnächst mein Urtheil über die Entwickelung der Aussichten auf anderem Wege

ebildet. . . Man muß sich bei Beantwortung der Frage, wie sich die nächste Ernte gestalten wird, gedulden. Wenn ich heute dieserhalb Rückfragen ver⸗ anstalten wollte, so würde auch noch kein klares Bild herauskommen. Deshalb habe ich mich entschlossen, zur Zeit in den einmal geordneten Gang nicht einzugreifen und lediglich die Landräthe in der ganzen Monarchie zu veranlassen, den obnehin zum 1. Juli fälligen Saaten standsbericht schon einige Tage früher einzureichen, dabei aber diesmal genauere Angaben zu machen über bestimmte Verhältnisse, namentlich über die Flächen, welche umgeackert sind, wie viel davon wieder be— stellt ist mit Sommerkorn; die Schätzungen über die Ernteaussichten gehen nebenher, außerdem sind Angaben zu machen über den voraus sichtlichen Beginn der Ernte.

Meine Herren, das Material wird einen Ueber blick geben, allerdings immer noch einen sehr unsicheren. Ich lasse dahingestellt sein, ob und wann dies Material ver⸗— öffentlicht werden kann. Ich werde sehr vorsichtig sein gerade in diesem Jahr, in der Mittheilung aller Schätzungen. Soweit ich positive Zahlen erbalte, steht der Mittheilung nichts im Wege. Ich wiederhole: wenn die Mittheilung von Ernteaussichten, die immer bloß auf Schätzungen beruhen können, eine praktische Bedeutung haben soll, dann müssen sie auf ein für alle Mal feststehende Ermittelungen beruhen, welche das Publikum gewöhnt ist, zu bestimmten Zeiten zu empfangen und an welche das Publikum nachher seinerseits seine eigenen Schätzungen anlegen kann. Ich verkenne darum nicht, daß unsere ganze landwirthschaftliche Statistik nicht auf dem Standpunkt steht, wie man vielleicht wünschen könnte, daß sie stehen müßte. Wenn auf Amerika hingewiesen ist, sowie daß man von dort in kurzen Zwischen⸗ räumen ganz genaue Nachrichten über Anbaufläche und Ernteaussichten erhalte, so weiß ich in diesem Augenblick nicht mit absoluter Sicherheit, ob diese Mittheilungen amtlichen Charakter gaben oder ob diese Mittheilungen auf Angaben von Vertrauensmännern beruhen. Mir sind diese Nachrichten, das muß ich offen gestehen, ebenso wie die Mit⸗ theilungen anderer Länder eigentlich zu detaillirt, zu genau, daß sich die Ernteaussichten z. B. um 3 oder 40, verändert haben, als daß ich ihnen zu viel Werth beilegen möchte. Jedenfalls kann ich die— selben nicht kontroliren. (Sehr richtig! rechts)

Da komme ich auf die weitere Frage: welche Bedeutung haben überhaupt derartige amtliche Prophezeiungen über Ernteaussichten und die sonstigen statistischen Ermittelungen über die Ernten für uns? Es ist Ihnen ja bekannt, und, wenn ich nicht irre, war es der Hr. Abg. Barth in der „Oftsee⸗ Zeitung“, der neulich noch, wie ich anerkenne, eine sehr un— befangene, offenherzige Kritik über diese amtliche Statistik und Er— mittelungen geführt hat. Ich erkenne aber auch an, daß die Regierung die Frage sehr ernsthaft überlegen soll, ob sie wohl thut, auf diesem Gebiet noch weiter zu gehen. Wenn derartige Nachrichten Nutzen haben sollen, so müssen sie mit großer Schnelle gebracht werden. Wenn die Regierung sie bringt, so übernimmt sie die Verantwortung für die Genauigkeit; um genaue Angaben für das ganze Land zu haben, würde das bei unserer deutschen Gründlichkeit, einen derartigen Apparat von Arbeit im ganzen Lande hervorrufen, sowie schließlich bei den Centralbehörden, daß diese Arbeit kaum zu bewältigen sein würde.

Dann sage ich auch weiter und erkenne vollständig an: es ist in erster Reihe die Aufgabe des Handels, diese Fragen zu prüfen. Der Handel hat die Aufgabe, das Land mit dem ersorberlichen Brotkorn zu versorgen. Die Regierung thut in dieser Beziehung bisher nichts. Da it es gewagt, mit amtlichen

betrag jeder Ernte, denn das steht in Frage. Unsere bisherigen land wirtbschaftlich ⸗statistischen Ermittelungen, unsere landwirthschaftliche Statistik befindet sich bezüglich der Verwerthbarkeit für den Handel noch in den Anfängen, sie ist dazu noch nicht alt genug und kommt zu spät zur Feststellung. Sie hat mehr einen wissenschaftlichen Werth und weniger Bedeutung für den Handel. Erst wenn wir noch eine längere Reihe von Jabren hinter uns haben, werden wir dazu kommen, daß wir wirklich mit Genauigkeit feststellen: was ist eine Mittelernte? Mit dem Begriff der Mittelernte verbinden die verschiedensten Leute die verschiedensten Ansichten. So, wie es sich mir darstellt, ist eine Mittelernte! im landwirthschafllich⸗statistisch⸗ technischen Sinne eigentlich eine recht gute Ernte. Ich habe mich am 27. Mai meiner Ueberzeugung nach sehr vorsichtig darüber ausgedrückt, wie sich die Ernteaussichten gestalten würden. Ich habe bloß gesagt: ich glaube, man kann im Allgemeinen feststellen, daß die Befürchtungen inzwischen durch die günstigen Witterungsverhältnisse der letzten Wochen abgeschwächt sind, und daß die Aussichten für die Ernte in Preußen sehr viel bessere sind, als wie sie im Frühjahr waren. Es werden voraussichtlich diejenigen nicht wohl gethan haben, welche zu früh, ver⸗ anlaßt durch den schlechten Stand der Saaten, dieselben umgepflügt haben. es gilt dies besonders von den östlichen und mittleren, weniger viel⸗ leicht von den westlichen Landestheilen. Aber nach den Eindrücken, die ich gewonnen habe, ist es nicht ausgeschlossen, daß wir allerdings eine sehr viel geringere Strohernte, aber möglicherweise an Brod früchten eine reichlich so gute Ernte wie im verflossenen Jahre in größeren Distrikten erlangen werden. Meine Herren, das halte ich auch heute noch vollständig aufrecht. Meine Herren, dies ist ja auch nur eine Schätzung, aber man kann, wie ich dem Hrn. Abg. Rickert bereitwilligst zugebe, überhaupt bestimmte Angaben nicht machen. Es hängt von Wind und Wetter ab. Ein Frost kann schaden; ein Frost hat vielleicht schon geschadet. Ich enthalte mich des Urtheils, ob und inwieweit er geschadet haben könnte; es sind alles Hypothesen. Aber daß die Ernte voraussichtlich besser werden wird, als man im Frübjahr dieses Jahres annehmen konnte, ist in meinen Augen sicher. Es ist zweifellos, daß wir eine gute oder reichliche Ernte nicht haben werden. Es wird eine Mittelernte werden, d. h. nicht im tech nischen Sinn, sondern in der Mitte zwischen gut und schlecht. Ein etwas sichereres Urtheil über den eigentlichen Umfang der Ernte wird man sich erst im Juli bilden können.

Ich babe geglaubt, meine Herren, diese vorher gemachten An— gaben über die ganzen statistischen Verhältnisse um deswillen hier aus— führen zu sollen, weil der Hr. Abg. Richter neulich ausführte, daß die Saatenstandsnachrichten im „Staats ⸗Anzeiger', die ich als vermuthlich veraltet bezeichnete, vom Mai datirten. Es ist richtig, daß der „Staats ⸗Anzeiger diese Nachrichten im Mai gebracht hat. Dieselben waren, wie ich mich in Folge der Bemerkung des Hrn. Abg. Richter überzeugt habe, den von mir erwähnten Ouartalsberichten entnommen. In diesen Quartalsberichten, die dem Staats Anzeiger; zum Theil erst im Mai zugingen, waren die Nachrichten über den Saatenstand aus den im April uns erstatteten Saatenstandsberichten im Wesent⸗ lichen übernommen. Da wir keine Geheimnißkrämerei treiben, habe ich keine Veranlassung gehabt, die Redaktion des „Staats—⸗ Anzeigers“ darauf aufmerksam zu machen, daß es sich in diesem Jahre nicht empfehle, diese von den Verhältnissen überholten Mittheilungen noch nachträglich zu bringen. Ich leugne aber nicht, daß es in meinen Augen erwünscht gewesen wäre, wenn diese Nachrichten nicht in den Staats ⸗Anzeiger“ hineingekommen wären. Ich habe zum Schluß bei der Spannung, welche augenblicklich auf dem ganzen Gebiete des Getreidehandels besteht, nur den Wunsch, daß, nachdem ich heute die definitiven Ernteergebniffe des Jahres 1890 hier mitgetheilt habe, nicht aus diesen Mittheilungen etwa nun wieder falsche Schlüsse ge— zogen werden. Die definitiven Ernteergebnisse und das pro 1890 disponible Verbrauchs quantum gestalten sich besser, als nach dem Durchschnitt des Ver⸗ hältnisses der definitiven Februarergebnisse zu den Oktoberermittelungen anzunehmen war. Aber ich würde es bedauern, wenn nun etwa aus diesen meinen günstigen Mittheilungen wieder die Meinung entstehen sollte: wir haben einen Ueberfluß an Vorräthen. Ich habe Ihnen diese Schätzungen mitgetheilt, weil Sie zu diesen Mittheilungen drängten. Ich verhehle mir nicht, vielleicht wäre es ebenso gut gewesen, wenn wir nicht dazu gedrängt wären, diese Mittheilungen schon in diesem Moment zu machen. (Bravo! rechts.)

Abg. Richter: Der Abg. von Erffg habe seine Rede gegen die freisinnige Partei gerichtet. Er (Redner) habe allerdings in Frankfurt auf dem freisinnigen Parteitage die bestimmte Erwartung ausgesprochen, daß die Regierung gar nicht anders können werde, als die Suspension der Zölle eintreten zu lassen, und am Tage darauf sei hier von dem Reichskanzler die entgegengesetzte Erklärung abgegeben worden. Er babe aber wieder einmal zu günstig über die Regierung ge— urtheilt, er habe vernünftigere Erklärungen von ihr erwartet, als später erfolgt seien. Der Abg. von Erffa meine, in voller Unkenntniß Über die thatsaächlich vorbandenen Verhäͤltnisse, die Strikes bewiesen, wie wohl den Arbeitern sei. Jeder, der irgendwie die Verhältnisse beobachte, wisse, daß die Arbeiterkomitss gerade jetzt auf das Entschiedenste vom Strike abriethen und daß die Versuche, die gemacht würden, auf das Kläglichste scheiterten, weil in der That eine Depression in dem Geschäfts⸗ und Erwerbsleben in großem Umfange vorhanden sei. Der AÜbg. von Erffa habe dann gemeint, man solle sich trösten mit früberen Jahren, wo theilweise die Preise noch höher gewesen seien. Höhere oder gleiche Preise für Roggen habe man gehabt in den bekannten Hungerjahren 1816/17 und 1846547, dann in dem Mißjahre und dem Jahre des Orientkrieges 1851 und 1866 und in den bekannten Nothstandsjahren 1867/68, 187374 und 1889.ñ81. In allen diesen Jahren hätten aber Getreidejölle entweder nicht bestanden oder sie seien fuspendirt worden. Getresdezölle babe man noch nicht gekannt im ganzen Westen 1816,17, sie seien suspendirt worden 1846/47 und 1854s57, sie hätten nicht mehr bestanden 1867,68 und 1873174; im Jahre iSso / gl hätten sie nur in Höhe von 10 4 bestanden. Die jetzigen bohen Preise charakterisirten sich dadurch, daß sie nahezu zu einem Viertel nicht die Ursache von Mißwachs, sondern der Zölle von 50 46 seien. Roggen würde heute in Berlin statt 211 6 ohne Zoll 157 bis 158 S kosten, zu welchem Preise gestern russischer Roggen in Hamburg verkauft worden sei. Durch den . werde künstlich die Preisvertheuerung herbeigeführt, wie wenn die Ernteverhältnisse auf der Welt noch ungünstiger wären, als sie schon seien. Der Abg. von Erffa habe mit Abscheu von der Agitation gesprochen. Er kenne den Abg. von Erffa nicht anders denn) als Agitator (Beifall links), er habe weiter nichts von ihm in der Oeffentlichkeit wahrgenommen, als eine AUgitation für die Getreidezölle. Sei die Agitation für die Getreidezölle mehr berechtigt als die gegen die Getreidezölle? Er hoffe, daß die Agitation gegen diese Zölle zunehmen und nicht eher aufhören werde, als bis das Ziel, die Beseitigung der Zölle, erreicht worden sei. Seine Partei nehme sich nur diejenige Agitation zum Vorbild, die seiner Zeit für die Zölle getrieben worden sei (Beifall links). Der Reichskanzler habe gewünscht, daß keine Erregung in

Angaben hervorzutreten über den Bedarf, über den etwaigen Fehl- ] die Sache getragen werde. Von seiner Partei sei die ganze Frage

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überhaupt nicht sensationell i n , worden. Von Seiten der Regierung sei das Ungewöhnliche geschehen, daß sie außerhalb der

Tagesordnung am 1. Juni die Erklärung abgegeben habe; die Kon

servativen hätten dans das Sensationelle hinzugefügt, daß sie unter

Berufung auf die Geschäftsordnung eine unmittelbare Dicskussion

abgeschnitten hätten; dann sei heute wiederum das Ungewöhnliche er

folgt, daß noch vor der Begründung des Antrags seiner Partei der

Minister ⸗Präsident gebeten habe, ihn abzulehnen; das sei auch

nicht geeignet, Erregung fernzuhalten. Das Abgeordnetenhaus sei

für die Zollfrage keine dankbare Arena; hier säßen doppelt so

viel Agrarier wie im Reichstag. Er verstehe es deshalb nicht, wie

die Regierung es unbequem finden könne, daß das, was überall im

Lande erörtert werde, auch hier zur Erörterung komme. Im Lande

ständen Millionen in dieser Frage hinter seiner Partei; hier sei sie

nur eine kleine Minorität; auf einen von ihr kämen zwölf Konservagtive.

Wenn garnicht öffentlich über Zölle gesprochen würde, so würde die Frage

der Zollherabsetzung doch nicht aus der Welt geschafft werden. Der

Gedanke liege so nahe, daß alle Welt auch ohne Agitation schon an-

nehme, daß das an sich Richtige sich durchbrechen und schließlich

doch die Sugpension erfolgen werde. Die Unsicherheit der Zollfrage

spiele jetzt bei der Preisbewegung keine Rolle, nicht einmal soviel.

als er anzunehmen früher bereit gewesen sei Die Preise seien so⸗

fort gefallen, als man Ursache gehabt habe, anzunehmen, daß die Sus⸗

pension eintreten werde. Nach der Erklärung des Minister⸗Präsidenten am 1. Juni seien sofort die Preise um 7 M an der Berliner Pro⸗ duktenbörse gestiegen, und im Ganzen seien die Roggenpreise jetzt 4—6 böher als an demjenigen Tage, wo der Minister von Heyden die Behauptung aufgestellt habe, daß an den bohen Preisen die Unsicherheit der Zollfraze schuld sei. Die Preisbewegung lasse sich eben nicht bestimmen durch ein „sie volo, sie jubeo“, sie frage nach der ratio. Seine Partei finde in der Er lärung des Minister⸗Präsidenten von Caprivi vom 1. Juni bedeutungevolle Lücken, die ausgefüllt werden müßten, Widersprüche mit dem was anderweitig verlautet habe, Schlüsse, die an sich nicht richtig seien, und aus diesem Grunde habe sie nach dem weiteren Material verlangt. Ibn habe lange keine Erklärung vom Regierungstisch derartig in Erstaunen ge⸗ setzt, als die heutige des Reichskanzlers. Nachdem auch die „Kreuz zeitung! am Sonnabend mitgetheilt habe, die Regierung werde den Antrag annehmen, habe man es für felbstverständlich gehalten, daß die Regierung alles Material veröffentlichen werde, bevor die parla— mentarische Verhandlung über den Antrag stattfinde. Man solle doch nicht immer von seinen Gegnern vermuthen, daß sie das Klügste thun würden, was sie von ihrem Standpunkt thun könnten! (Heiterkeit) Wenn Jemand nur das läse, was der Minister-Präsident gesprochen, so müßte er meinen, seine (des Redners) Partei habe eine Interpellation über diplomatische Fragen in auswärtigen Angelegenheiten gestellt, während es sich tbatsächlich nur um Fragen des öffentlichen Weltmarkts handele. Seine Partei habe annehmen müssen, daß die Regierung über ein großes Material verfüge, nach dem, was der Minister von Boetticher im Reichstage erklärt und heute Hr. von Caprivi bestätigt habe, daß schon feit April Er hebungen stattgefunden hätten. Der Reichskanzler habe gesagt, daß die Regierung schon damals den Beschluß gefaßt habe, keine Sus⸗ pension der ggf umme, zu lassen. Ja, dann begreife er die Er— klärung des Ministers von Boetticher im Reichstage nicht, oder dieser habe dort aus irgend einem diplomatischen Grunde gesagt, was nicht richtig gewesen sei, daß darüber, ob die Suspension eintreten würde oder nicht, die Regierung sich noch nicht schlüssig gemacht habe. Wenn ferner schon am 27. Mai der Beschluß der Regierung fest⸗ gestanden habe, wozu dann noch die beschleunigten Erhebungen? Das lasse darauf schliehen, daß an manchen Stellen, vielleicht beim Finanz⸗ Ministerium, die Entschließung doch nicht so festgestanden habe. Nun habe der Minister · Prãsident sich darauf gestützt, daß die Ent⸗ schließung der Regierung auf Schätzungen gegründet sei Habe etwa schon Jemand deswegen, weil der Cours nur Schätzung sei, vorgeschlagen, den Cours geheim zu halten? Auf dem Gebiete, wo. man nicht mathematisch sichere Zahlen beibringen könne, hätten auch Schätzungen einen ganz außerordent- lichen Werth. Wenn Schätzungen keinen Werth hätten, was sei dann der große Theil unserer Statistik. was sei überhaupt die ganze Erntestatistit werth? Aus allen Ländern wisse man über Getreide, über den Handel mit Getreide mehr, als aus Deutsch- land. Man wisse, wie viel aus Ost⸗-Asien zu erwarten fei, wie viel in Frankreich, in Amerika die Bestände an Brotgetreide betrügen. Man kenne die Exportverhältnisse von Rußland. Was wisse man von uns? Bis heute nicht einmal die Einfubrlisten vom Mai. Da klettere die Statistik durch alle Instanzen hinauf. Wenn sie zur Veröffentlichung komme, habe sie ihren Werth zum größten Theil verloren. Ueber die Getreidevorräthe Auskunft zu geben, lehne der Minister ⸗Präsident ab. Eben so gut wie die Kaufmannschaft in Berlin und in Danzig ihre Aufnahme mache, könne doch die Regierung die Summe selber aufnehmen, im ganzen Lande ver öffentlichen. Die Regierung veröffentliche doch allmonatlich die ganzen Verhältnisse der Branntweinproduktion. Warum könne denn dasselbe nicht mitgetheilt werden in Bezug auf das Getreide? Die Ver— fügung an die Aeltesten der Kaufmannschaft, von 8 zu 38 Tagen und später monatlich Berichte über die Aufnahme einzureichen, tadle er durchaus nicht. Wenn das aber Alles verheimlicht werden solle, warum inkommodire man erst die Kaufmannschaft, daß sie das nach oben be—⸗ richte! Was die Veröffentlichung der Konsulatsberichte betreffe, so erscheine doch das Handelsarchiv nur zu diesem Zwecke. Sie enthielten außerordentlich schätzbares Material über die ganzen Verhältnifse des betreffenden Landes, das für die Zollpolitik zur Direktive werde. Warum werde das, was die Konsulate und Genossenschaften über Getreide berichteten, der Oeffentlichkeit vorenthalten? Dann sei von vertraulichen Berichten die Rede gewesen. Wie viel Hinz oder Kunz auf Lager habe, das zu erfahren interessire seine Partei nicht, ebensowenig, wie die Ernte auf diesem oder jenem Gute stehe Was sie zur re nn eines Urtheils brauche, sei lediglich die Summe. Der Minister-Präsident habe die Mittheilungen der betreffenden Kauf⸗ leute einen Akt des Patriotigmus genannt, auf den man Rücksicht nehmen müsse. Warum diese Zartheit? Nehme man irgend eine Zeitung in die Hand, so finde man, daß in ihrem Fach renommirte Vändler über ihr Fach periodische Mittheilungen machten und zu— gleich Gutachten abgäben auf dem Gebiete des Produktenhandels, des Effektenhandels und anderer Handelszweige. Diejenigen, die nicht mit ihrem Namen eintreten wollten, hätten gegen sich die Ver—⸗ muthung, daß ihre Mittheilungen die öffentliche Kontrole nicht vertragen könnten. (Sehr richtig! links; Unruhe rechts.) Je mehr die Regierung an interessirte Personen sich wende, die vielleicht mit Spekulationen ver— bunden seien, die die Regierung zu überseben nicht in der Lage fei, um so mehr sei es nothwendig, daß die Mittheilungen zur öffentlichen Kontrole gestellt würden. Er habe aus den heutigen Erklärungen den Eindruck gewonnen, daß seine Partei zu Unrecht geglaubt habe, die Entscheidung der Regierung ruhe auf besseren Unterlagen, als tbatsächlich der Fall sei. Sie habe das Material überschätzt; wäre es nicht so dürftig und lückenhaft, so würde die Regierung felbst das Interesse haben, damit herauszukommen. (Widerspruch rechts. Die Ansicht des Minister⸗Präsidenten wurzele eigentlich darin: man solle an die Regierung glauben. Er habe darauf verzichtet, die Partei des Redners zu überzeugen; sie solle glauben, obgleich sie die Unter lagen nicht kenne, daß die Regierung das Rechte thue. In solchen irdischen Dingen sei aber der Glaube nicht am Platze. Allerdings ständen die Ausführungen des Minister⸗Präsidenten himmelhoch über der Weisheit, die man von der rechten Seite höre und die man früher von der Regierung in der Zollfrage gehört habe. Er habe gesagt, der Preis bei uns fei gleich dem Weltmarkt— preis Zoll, etwas mehr oder weniger. Damit sei von ihm die An sicht birekt widerlegt, als ob der Zoll vom Auslande getragen würde. , , , rechts.) Es sei damit ausgesprochen, daß der Preis ein willkürliches Produkt der Börse sei, fondern auf ganz bestimmten Faktoren beruhe, Der Minister⸗Prässdent habe ausdrücklich gesagt, und seine Partei sei ihm dankbar dafür, daß die späͤter eintretende dauernde Ermäßigung der Getreidezölle den arbeitenden Klaffen bessere Lohn⸗ und Brotverhältniffe bringen werde; man höre! da zum