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noch keine Bewilligung eintreten lassen. Redner empfiehlt den Kom⸗ missionsantrag. ö
Das Haus schließt sich diesem Antrage an.
Auf Grund des mündlichen Berichts der Finanzkommission wird die Denkschrift über die Bua ns führ ůngen an den Wasserstraßen durch Kenntnißnahme und die Pe⸗ tition der Stadt Münden um Herstellung der Verbindung der Fulda mit der Weser durch den östlichen Fuldaarm durch Uebergang zur Tagesordnung erledigt.
Es folgt die Berathung über die geschäftliche Behandlung des Sperrgeldergesetzes. .
Fürstbischof Dr. Fopp: Der Gesetzentwurf habe die Bestimmung, eine schon lange Unruhe und Unzufriedenheit erregende Angelegenheit zur Erledigung zu führen; um diese Erledigung nicht zu hindern, habe die Regierung selbst in die Aenderungen eingewilligt, welche das andere Haus in ihrem Entwurfe vorgenommen habe. Aus demselben Grunde hätten die katholischen Mitglieder des anderen Hauses sich enthalten, in die Berathung dieses Entwurfes irgend etwas hineinzutragen, was die Verständigung hindern könne. Denselben Standpunkt würden auch die katholischen Mitglieder dieses Hauses einnehmen. Eine kom⸗ missarische Berathung würde aber der friedlichen Verständigung nicht förderlich sein. Deshalb bitte er, das Gesetz zur einmaligen Schluß berathung zu stellen, er selbst werde sich darauf beschränken, zum 5§. 5 im Auftrage seiner Amtsbrüder eine kleine Erweiterung zu be⸗ antragen.
Die einmalige Schlußberathung wird genehmigt, . bischof Dr. Kopp vom Herzog von Ratibor zum Berichterstatter
ernannt. Schluß 31“ Uhr.
Haus der Abgeordneten. ö 102. Sitzung vom Freitag, 12. Juni.? 8
Der Sitzung wohnen der Präsident des Staats⸗-Ministeriums, Reichskanzler von Caprivi, der Vize-⸗Präsident des Staats⸗ Ministeriums, Staats-Minister Dr. von Boetticher, der Justiz⸗Minister Dr. von Schelling, der Minister für Handel und Gewerbe, Freiherr von Berlepsch und der Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden bei.
Auf der Tagesordnung steht zunächst die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Königlichen Gewerbegerichte in der Rheinprovinz.
Minister für Handel und Gewerbe Berlepsch:
Es ist Ihnen bekannt, meine Herren, daß in den Verhandlungen des Reichstages über das Gesetz, betreffend die Gewerbegerichte, der Wunsch hervorgetreten ist, daß diejenigen Schiedsgerichte, die sich bisher bewährt und die Anerkennung der betheiligten Kreise gefunden haben, auch in Zukunft erhalten werden möchten. Dieser Wunsch hat in §. 80 des Reichsgesetzes seine Erfüllung gefunden und die verbündeten Regierungen haben ihm zugestimmt. Aus diesen Thatsachen leitet die preußische Staatsregierung für sich die Verpflichtung her, ihrerseits das Mögliche zu thun und die rheinischen Gewerbegerichte, die für Preußen in Betracht kommen, zu erhalten und nicht durch Unthätigkeit die Voraussetzungen für das Eingehen dieser Gerichte zu schaffen, was der Fall sein würde, wenn nicht bis zum 1. April des nächsten Jahres ihre Zusammen⸗ setzung den Anforderungen des §. 12, Abs. 1 und 2 des Reichsgesetzes entspricht. Da nun auch die betheiligten Kreise im Rheinland den Wunsch ausgesprochen haben, die Gewerbegerichte zu erhalten, so darf ich wohl der Hoffnung Ausdruck geben, daß auch der Landtag der Monarchie der Vorlage, die uns augenblicklich beschäftigt, zustimmen und damit die Möglichkeit schaffen wird, daß die rheinischen Gewerbegerichte in Kre⸗ feld, Köln, München ⸗ Gladbach, Barmen, Elberfeld, Solingen, Lennep, Remscheid, Düsseldorf und Mülheim a. Rhein erhalten bleiben. Außer den hier genannnten Gewerbegerichten besteht noch ein solches in Aachen, welches die Gemeinden Aachen und Burtscheid umfaßt. Hier aber haben die betheiligten Kreise zu erkennen gegeben, daß sie auf das Fortbestehen dieses Gerichts keinen Werth legen. Die städtische Vertretung von Aachen und Burtscheid und die Vertretung des Landkreises Aachen haben im Gegentheil die Absicht, ein Ge— werbeschiedsgericht auf Grund des Reichsgesetzes einzurichten.
Der Gesetzentwurf, meine Herren, der Ihnen vorliegt, stellt sich die Aufgabe, einerseits die rheinischen Gewerbegerichte den reichs⸗ gesetzlichen Gewerbegerichten nach Möglichkeit gleich zu gestalten ins besondere in Bezug auf ihre Zuständigkeit. Es kommen hier wesentlich die 58. 61 und 70 des Reichsgesetzes in Betracht, wo die Funktionen der Gewerbegerichte als Einigungsämter und als Gutachter der gewerblichen Angelegenheiten geregelt worden sind. Andererseits sind diejenigen Eigenthümlichkeiten aufrecht zu erhalten, die die Gerichte den betheiligten Kreisen besonders werthvoll gemacht haben. Ich darf mich für beide Beziehungen im Allgemeinen auf die Begründung des Gesetzentwurfs berufen, ich gestatte mir nur bezüglich eines Punktes einige kurze Bemerkungen.
Nach den bisherigen Bestimmungen mußte die Zahl der Vertreter der Arbeitgeber in dem Gerichtshof um einen der Zahl der Vertreter der Arbeiter überlegen sein; der Vorsitzende wurde von dem Gerichts⸗ hof aus seiner Mitte gewählt, und zwar aus der Zahl der Vertreter der Arbeitgeber. Nun hat vor einiger Zeit in Köln eine Versammlung von Vorsitzenden und Sekretären der rheinischen Ge— werbegerichte stattgefunden, und in dieser Versammlung ist ein Gesetz⸗ entwurf vereinbart worden, nach dem auch in Zukunft die Wahl des Vorsitzenden durch den Gerichtshof selbst, und zwar aus der Zahl der Arbeitgeber, erfolgen soll.
Diesem Vorschlag glaubte die Königliche Staatsregierung nicht beitreten zu können, einerseits weil die Voraussetzung desselben, nämlich die überwiegende Zahl der Arbeitgeber im Gerichtshof, in Zukunft wegfällt, andererseits, weil es für eine dauernde ersprießliche Wirksamkeit und gegenüber der Nothwendigkeit, auch das Vertrauen der Arbeiter in eine unparteiische Handhabung der Funktionen des Gerichts zu sichern, nicht angängig erschien, den Vorsitzenden ausschließlich aus der Zahl der Arbeitgeber zu entnehmen. Die Nothwendigkeit, das Vertrauen der Arbeiter für das Schieds⸗ gericht zu sichern, bezieht sich namentlich auch auf die Fälle, wo das Gewerbegericht in seiner Eigenschaft als Einigungsamt thätig zu sein berufen ist. ;
Ich bin weit entfernt davon, zu behaupten, daß bei der jetzigen Einrichtung eine Gefahr vorliegt für die unparteiische Handhabung der Thätigkeit des Gerichtshofs; dagegen spricht die bisherige Er⸗ fahrung, dagegen spricht die ungetheilte Anerkennung, die in den betheiligten Kreisen die Wirksamkeit der rheinischen Gewerbegerichte gefunden hat, dagegen spricht das Vertrauen, was namentlich die Personen der Vorsitzenden bisher unumschränkt bei den Betheiligten
Freiherr von
sowohl, wie bei den Behörden gefunden haben. Meines Er⸗ achtens aber hat die Gesetzgebung die Aufgabe, in ihren organischen Einrichtungen auch die Möglichkeit auszuschließen, daß eine Partei gegenüber der andern von ihrer Ueberzahl Gebrauch macht; sie muß diese Einrichtungen so gestalten, daß auch jeder Vorwand zu Miß⸗ trauen in die unparteiische Thätigkeit des Gerichts genommen wird.
Dem entsprechend hat die Königliche Staatsregierung es für nothwendig erachtet, bezüglich der Bestellung des Vorsitzenden das System der Ernennung in die Vorlage aufzunehmen, wie es auch das Reichsgesetz hat. Da die rheinischen Gewerbegerichte zum Theil sich weiter erstrecken, als auf den Bezirk einer Gemeinde, so schien es richtig, das Ernennungsrecht in die Hand des Regierungs⸗Präsidenten zu legen, bei dem es eine unparteiische und sachgemäße Handhabung finden wird.
Ich habe nun nur noch auf einen Druckfehler in dem Entwurf aufmerksam zu machen, der sich im 5§. 1 Absatz 2 findet. Es muß nicht §. 15, sondern ‚§. 13 heißen.
Ich gestatte mir, den Gesetzentwurf dem hohen Hause zur An⸗ nahme zu empfehlen.
Abg. Lehmann dankt der Regierung für die Einbringung dieser Vorlage, bittet von einer kommissarischen Berathung abzusehen, und beantragt den Gesetzentwurf en bloFs anzunehmen.
Abg. Eberhardt erblickt in diesem Gesetzentwurf insofern einen Vorzug, als er sich den bestehenden Vorschriften der jetzigen rhei⸗ nischen Gewerbegerichte anschließe und andererseits, weil er diejenigen Bestimmungen aus dem Reichsgesetz aufgenommen habe, welche den Gesetzentwurf in Uebereinstimmung mit den bestehenden rheinischen Vorschriften brächten.
Abg. Dr. von Cuny begrüßt ebenfalls mit Freuden den Entwurf, der die rheinischen Gewerbegerichte als Vergleichs kammern erhalte und auch die Bezirke derselben nicht nach Landestheilen, sondern nach Industrien begrenze. Redner bedauert, daß die Bestimmung auf⸗ gegeben sei, wonach einem Arbeitgeber der Vorsitz anvertraut werden muͤsse. Das habe in Kreisen der rheinischen Industriellen verstimmt, und es sei nunmehr wenigstens zu hoffen, daß Seitens des Regierungs⸗ Präsidenten nur Industrielle zu Vorsitzenden ernannt werden würden.
Der Gesetzentwurf wird in er ster und sodann in zweiter Lesung en bloe angenommen.
Es folgt die Fortsetzung der Berathung des Antrages der Abgg. Rickert und Genossen wegen Vorlegung des Materials über die verfügbaren Getreidebestände und die Ernteaussichten.
Abg. Graf von Kanitz: Der Antrag Rickert sei in mancher Beziehung sehr erwünscht gekommen, denn er diene dazu, die Situation zu klären und das Interesse an dem Schwtzzollsystem in weitere Kreise zu tragen. Er bedauere, daß solche Anträge nicht öfter kämen. Nachdem die Herren vor eirca 15 Jahren mit einem ähnlichen An⸗ trage, bei dem sie die Unterstützung der Sozialdemokraten im Reichs⸗ tage gefunden hätten, unterlegen seien, glaubten sie hier einen besseren Boden dafür zu finden. Nun sage der Abg. Rickert freilich, dieses Haus sei noch agrarischer als der Reichstag, aber das Volk draußen denke anders. Er (Redner) behaupte aber, das Volk sei in seiner Mehrheit agrarisch gesinnt und stehe binter ihm und seinen Freunden und nicht hinter dem Abg. Richter. Die Herren hätten weiter nichts bezweckt als eine lebhafte Agitation, welche der Abg. Rickert so schwungvoll mit den Woiten eingeleitet habe, daß hinter ihnen Millionen von Familien ständen, die mit Spannung auf die Ber⸗ handlungen dieses Hauses lauschten. Es sei aber für das Ansehen Deutschlands und seiner Regierung im Ausland nicht fördernd, wenn solche Angriffe gegen die Regierung gerichtet würden, wie gestern. Er wisse nicht, oh der Abg. Richter oder ein anderer Redner das Wort „‚un⸗ vernünftig“ gegen die Regierung gebraucht habe. (Abg. Richter: Er habe dieses Wort nicht gebraucht. — Praͤsident von Köller: Er konstatire, daß der Abg. Richter den Ausdruck „unvernünftig“ nicht gebraucht habe; hätte er es gethan, so würde er ihn zur Ordnung gerufen haben. Er habe gesagt nicht vernünftig“. (Abg. Richter: Auch das nicht!) Er (Redner) habe das Stenogramm der Rede nicht ge—⸗ lesen; aber jedenfalls sei das Wort vernünftig“ gefallen. Der Abg. Richter habe gesagt, er hätte schon vernünftigere Beschlüsse gehört. (Rufe rechts: Ja, das habe er gesagt.) Jedenfalls sei diese Art von Angriffen nicht geeignet, das Ansehen der Regierung zu fördern, und derselbe Abg. Rickert, der sich vor einigen Wochen als Vertheidiger der Kronrechte hingestellt habe, habe gestern als Volkstribun, gefolgt von Millionen hungernder Einwohner, dagestanden. Die Unsicher⸗ heit werde jedenfalls nur durch solche Anträge gefördert, und damit auch die Preissteigerung. In Rußland nehme man an, daß durch solche Anträge die Regierung doch vielleicht zur Nachgiebigkeit gezwungen werde, und halte deswegen mit den Vorräthen zurück, was eine weitere Steigerung der Preise ur Folge habe. Die Regierung würde auf Seiten der Landwirthschaft keinen Widerstand gefunden haben, wenn sie eine Suspension der Zölle auf eine gewisse Zeit hätte einführen wollen. Trotzdem mache er der Regierung keinen Vorwurf, denn sie habe bei ihren Entschließungen auf allerlei Faktoren Rücksicht nehmen müssen, auf den berechtigten Getreide⸗ handel, auf die Industrie und was für Faktoren noch mitsprächen. Seine Partei könne also nur wünschen, daß die Regierung bei ihren Ansichten stehen bleibe. Den Zankapfel, den der Abg. Richter zwischen die Regierung und die konserbative Partei mit der Erwähnung des österreichischen Handelspvertrages habe werfen wollen, nehme er nicht auf. Allerdings gehe in Folge dieses Vertrages eine tiefe Erregung durch die ländliche Bevölkerung, welche auch durch die Stralsunder Rede des Ministers von Boetticher nicht vermindert, sondern nur verschärft worden sei. Darum sei es aber hier bei den Getreidezöllen nicht zu thun. Hier handele es sich um einen Vorstoß der Sozialdemokratie und der demokratischen Partei gegen die Regierung, und da sei der Posten seiner Partei nehen der Regierung, und die müsse und wolle sie vertheidigen. (Beifall rechts) Die Herren könnten nicht leugnen, daß in den letzten 40 Jahren das Getreide mehrfach theurer gewesen sei als jetzt, so z. B. in Folge des letzten russisch⸗ türkischen Krieges. Aber die Folge dieser hohen Preise sei keine Hungersnotb, sondern eine der günstigsten wirthschaft—⸗ lichen Perioden gewesen, also das Wort: „Hat der Bauer Geld, hat's die ganze Welt“ habe sich auch damals als richtig erwiesen. Man solle nicht so sehr die Ursachen als vielmehr die Folgen solcher Zustände berücksichtigen. Die von dem Abg. Richter angegebenen hohen Kartoffelpreise entsprächen den Thatsachen nicht. Der Abg. Schultz (Lupitz) habe noch kürzlich Kartoffeln für 2,60 S nach Berlin geliefert. In Berlin seien an der Charlottenburger Brücke Kartoffeln für 3 4 vro Neuscheffel zu haben. Bie hohen Preise des Abg. Richter kämen also auf den Zwischenhandel. Uebrigens verlangten die Landwirthe gar nicht so hohe Preise, denn auch bei noch höheren Preisen seien die Auesichten für die Landwirthschaft in der nächsten Zeit sehr traurig. In den letzten drei Jahren seien 273 0900 ha ländlichen Bodens in Preußen zwangsweise versteigert worden, 82 D davon in den östlichen Provinzen, wo die Landwirthschaft das Hauptgewerbe sei. Das spreche doch klar genug für die Nothlage der Landwirthschaft. Dagegen babe in den letzten Jahren der Wohlstand des ganzen Landes um 342 Millionen zugenommen. In den letzten zehn Jahren hätten sich die Wochenlöhne der Arbeiter durchschnittlich von 19—20 auf 33—36 „ gehoben, freilich bei den verschiedenen Gewerben recht verschieden. Die geringste Steigerung sei bei den Schneidern ein⸗ getreten. Wo sehe es also besser aus, in den großen Städten oder auf dem Lande? Man möge nur in die Vergnügungslokale gehen, nicht bloß in die, wo der Wohlhabende verkehre, sondern in die der Arbeiter, und fragen, ob es den Leuten schlecht gebe. (Abg. Richter: Ja wohl ) In Berlin liege das Geld auf dem Damm, da würden große steinerne Häuser in frevelhaftem Uebermuth niedergerissen, während man auf dem Lande die elenden Strohdächer flicke.
räthe fehlten, um jeden
Die Kohlen bei einer neulich vorgekommenen Submission hätten so hoch bezcihlt werden müssen, daß 34 Millionen, die aus den Taschen von sämmtlichen Steuerzahlern kämen, in die Hände der Zechen⸗ besitzer geflossen seien. In den großen Städten habe Jeder Ge⸗ legenheit, seinen Bedarf zu verdienen, dem Landarbeiter ses das nicht möglich. Wenn man übrigens die Getreidepreise in ihrem Durch⸗ schnitt berechne, so erwiesen sie sich, wenn man die Terminsvresse einrechne, als nicht höher, als die im Vorjahre, wahrscheinlich sogar niedriger Die Berliner Brotfabrik ⸗Aktiengefellschaft schreibe ihm, daß die Behauptung des Abg. Richter, es werde nur minder werthiger Weizen mit Roggen vermischt verbacken (Abg. Richter: Nur Y, nicht richtig sei! In Leipzig hade man eine städtische Bäckerei im Interesse der aͤrmeren Bevölkerung eingerichtet, und der Preis des von dieser gebackenen Brotes, verglichen mit dem der übrigen Bäckereien, zeige, daß die Bäcker nach Abzug aller Unkosten 60 / verdienten, was sich als 10 6 pro Doppelzentner Getreide berechne, also das Doppelte des Getreidezolles. Die genauen Untersuchungen des Dr. Gerlach bewiesen auch, daß die Viehpreise stetig heruntergingen. Die hohen Brotpreise würden durch die vielen Hände veranlaßt, die Alle ihren Profit haben wollten, so daß schließlich das Getreide um das Vier bis Fünffache des Zolles vertheuert werde! Wenn in einem Zukunftsstaat nach den Absichten des Abg. Richter Kleidung, Nahrung, Arbeitsgeräth u. s. w. durch Aufhebung aller Zölle ver“ billigt würden, so werde bald unsere ganze Industrie durch die englische Konkurrenz gelähmt werden; er wolle das nicht weiter ausführen. Nun, trotz der hohen Textilzölle sei im vorigen Jahre eine große Menge von Stoffen aus England bei uns eingeführt worden. Würde der Zoll aufgehoben, so würden sämmtliche Spinne⸗ reien bald ruinirt sein, und ebenso würde es mit allen Industrien gehen. Das gehe aber nur so lange, bis im Lande eben gar kein Geld mehr vorhanden sesi. Das seien die Aussichten des Richker'schen Zukunftsstaats! Die Herren behaupteten immer, daß in unseren Nachbarländern Oesterreich und Rußland das Getreide fehr billig fei, und wiesen darauf hin, daß die Grenzbevölkerung sich von dort ihr Getreide hole. Ja, warum blieben denn die Leute nicht gleich drüben? Warum kämen im Gegentheil noch immer russische Einwoh— ner zu uns, wo doch die Preise höher seien? Das liege daran, daß dazu, Brot zu bekommen, nicht bloß niedrige Getreidepreise gehörten, sondern auch Gelderwerb, und den hätten sie bei uns, nicht aber drüben. Als vor zwölf Jahren das Schutzzollsystem geschaffen worden sei, hätten seine Freunde genau gewußt, daß sie auch in Zukunft schweren Kämpfen entgegengehen würden, aber Kampf und Arbeit sei ihr Loos. Zu Hause auf ihrer Scholle arbeiteten sie, hier im Parla⸗ mente kämpften sie. Man sage: Noth breche Eisen, aber Noth breche nicht nur, sondern füge auch zusammen. Das werde dahin führen, daß die Menschen sich im Kampfe zusammenschließen würden, und dieser Phalanx gegenüber werde jede andere zusammenbrechen. Seine Partei werde um so zuversichtlicher in den Kampf gehen, als sie wisse, daß ihre Bestrebungen nicht bloß ihrem Erwerbszweige und der Landwirthschaft, sondern dem ganzen Lande zum Besten dienten. Landwirthschaft und Industrie hätten ein gemeinsames Interesse an den Zöllen. Beide hrauchten sie Schutz dem Auslande gegenüber. Das werde auch in Zukunft gelten und die Produktion kraͤftigen den de⸗ struktiren Elementen des Landes und ihren Verbündeten gegenüber. (Lebhafter Beifall rechts. Zischen links.)
Abg. Broemel: Die Diskussion sei einigermaßen verschoben, in⸗ sofern sie die Frage nach dem der Regierung zur Verfügung stehenden Material zu einer Streitfrage zwischen den politischen Parteien ge⸗ macht habe. Auch der Minister ⸗Präsident habe von diesem Stand⸗ punkt aus darauf verzichtet, gewisse Leute zu überzeugen. Die Beibringung des thatsächlichen Materials sei nicht nur für die öffent⸗ liche Meinung von hervorragender Bedeutung, sondern auch für die gesammte Lage des Getreidehandels und in Folge dessen für die Ver⸗ sorgung unseres Vaterlandes. Der Minister⸗Präsident habe am 1. . M, gesagt, die Regierung sei davon unterrichtet, daß in Rußland noch sehr erhebliche Vorräthe an Roggen in den Händen reicher Leute vorhanden seien. Der Abg. Richter habe gestern eine große Getreidefirma angeführt, welche gemeint habe, daß der Minister⸗ Präsident angeben möge, wo diese Vorräthe zu finden seien, es würde ür die Kaufleute von höchstem Interesse sein, sich in Besitz dieser Vorräthe setzen zu können. Das sei eine mit etwas scharfem Spott gewürzte Bemerkung, die sich ein Geschäftsmann erlaubt habe. Aber wenn die Regierung mehr wisse als alle anderen Leute, so habe sie auch die Pflicht,; der Geschäftswelt Kenntniß von den Vorräͤthen zu geben. Der Minister ⸗ Präsident würde sich ein Verdienst um den gesammten Getreidehandel der Welt erwerben, wenn er das ihm zur Verfügung stehende Material bekannt gäbe. In jedem eivilisirken Lande beeile sich die Regierung, für den Handelsverkehr so wichtige Materialien so schnell und umfassend wie möglich bekannt zu machen. Das Verhalten der preußischen Regierung stehe beispiellos da. Alle Anzeichen sprächen dafür, daß in dieser Frage das agrarische Interesse ebenso bei der Regierung wie im Hause ausschlaggebend sei. Was der Abg. von Erffa über Amsterdam gesagt habe, komme von interessirter Seite, denn der deutsche Konsul, Hr. Hongart, dort sei selbst Interessent. In der ganzen Dis kussion sei das Wort „Nothstand“ in durchaus unrichtigem, und zwar beschränktem Sinne gebraucht worden. Bei der Regierung und den Gegnern seiner Partei im Hause sei immer davon die Rede, ob die Vorräthe bis zur nächsten Ernte augreichten. Ein Nothstand sei nicht in dem Sinne vorhanden, daß wirklich Vor—⸗ un Menschen zu ernähren. Bei den heutigen Verkehrsverhältnissen werde ein solcher Nothstand überhaupt nicht mehr über civilisirte änder kommen, möge die Regierung thun, was sie wolle. Es handele sich aber darum, zu welchem Preise Brotkorn zu beschaffen sei, und man habe jetzt thatsächlich Preise, wie man sie früher in den Jahren mit hohen Preisen als Nothstands⸗ preise angesehen habe. Zu hohe Ausgaben des Volkes für Brotkorn führten zu vermindertem Konsum anderer Verbrauchsartikel, sie machten sich also geltend in einer verminderten Arbeit in der Industrie und damit in einer verminderten Beschäftigung der arbeitenden Be—⸗ völkerung. Die Berliner „Börsen-Zeitung' führe zwei Fälle an, in denen große Industriefirmen in Folge der jetzigen Flauheit zu Grunde gegangen seien. Es spreche auch Alles dageger, daß die jetzigen Nothstandspreise nach der neuen Ernte verschwinden würden. Die Hoffnung der Regierung auf die neue Ernte werde von sach⸗ verständigen Kreisen nicht getheilt. Das Land würde nach deren Urtheil vielmehr für den ganzen Herbst und Winter, ja für das ganze Erntejahr ähnlich hohe Preise haben. Wenn der Minister ⸗Prästdent gemeint habe, eine Zollermäßigung würde unsere handelspolitischen Verhandlungen stören, so könne er sich dagegen auf das Urtheil des Hrn, von Matlekopich berufen, welcher gemeint habe, daß eine solche Maßnahme in Deutschland den deutschösterreichischen Handeltz⸗ vertrag nicht beeinträchtigen werde. Der Abg. Frhr. von Huene habe behauptet, daß es sich beim Terminhandel gar nicht um wirklich vorbandenes Getreide handle. Ein großer Theil der Herbstnotirungen rübre aber von den Produzenten selbst ber; das bewesfe also, daß die Produzenten lelbst aus dem Terminhandel Nußen zögen. Allerdings sei immer Spekulation dabei, aber eine berechtigte und mäßige Spekulation. Die Vorwürfe, die man seiner Partei wegen ihrer Agitation mache, seien nicht berechtigt. Er würde von dem politischen Ver—⸗ ständniß der deutschen Wähler eine sehr geringe Meinung haben, wenn nicht auch ohne die Agitation seiner Partel aus der Wählerschafl heraus sich Dpposition gegen die jetzigen Zustände bemerkbar machen sollte. Diefe Bewegung gegen die Kornzölle sei der richtige Ausdruck regen politischen Lebens. In keinem anderen Lande, wo ein reges politisches Leben herrsche, würde man solche Verhältnisse wie unsere jetzigen ruhig hin⸗ nehmen. Es handele sich hier um eine Agitation für die allgemeinen Interessen und für die Wohlfahrt des Landes. Wie würden sich die Verhältnisse erst gestalten, wenn wir ein ganzes Jahr hindurch fo große Preise hätten! Der Abg. Graf nta mache die Bäcker und Schlächter mehr als die Zölle für die hohen Preise verantwortlich. Er habe sich aber den. Beweis dafür sehr leicht gemacht. Der Absatz von Wohlthätigkeitsanstalten u. dergl. sei gar nicht zu vergleichen mit dem Absatz der Bäckereien für den Privatverbrauch. Die Fleischpreise seien thatsächlich seit Monaten ebenso zurück« gegangen, wie die Preise für Vieh im Großhandel. Wenn der Abg.
Graf Kanitz meine, daß die Bäcker und Fleischer so außerordentlichen Gewinn hätten, so liege der Rath nahe, daß man heutigen Tages in Deutschland, statt Majoratsherr zu werden und sein Dach mit Stroh zu decken, doch lieber Bäcker werden möge, der 60 0 Profit habe. Die Landwirthe sollten sich doch lieber zu Bägeerei⸗ und Fleischgenossenschasten vereinigen, um den Bäckern den Profit streitig zu machen. Der Abg. Graf Kanitz ermabne seine (des Redners) Freunde, nicht an dem Zell zu rütteln: denn hohe ,. seien für das Getreide nothwendig, er sage, daß die andwirthe mübsam arbeiten müßten; die anderen Klassen im Vaterlande müßten sich auch mübsam ihr Brot erwerben. Der Minister ⸗Präsident habe betont, daß die Regierung ein warmes Her; für die Versorgung des Landes mit Brotkorn habe und ihr Alles daran liege, die Brotpreise für den armen Mann billig zu erhalten. Hätte er diese Worte nicht selbst aus dem Munde des Minister Präsidenten gehört, in den Thaten der Regierung würde er von dieser Tendenz nichts gefunden haben. Man könne das Interesse für billiges Brot des armen Arbeiters nicht bloß dadurch bethätigen, daß man Ermittelungen über die Ernte - Aussichten anstelle, dazu ge⸗ höre noch etwas Anderes. Der Abg. Freiherr von Huene habe es für erfreulich gehalten, daß der Minister⸗Präsident erklärt habe, daß unter keinen Umständen auch nur eine zeitweilige Zoll⸗ ermäßigung eintreten solle. Das habe der Minister⸗Präsident nicht erklärt, und kein Staatsmann könne erklären, daß unter keinen Umständen eine Zollermäßigung eintreten solle. Auch in den Er— klärungen des Minister-Präsidenten sei immer die naturgemäße, er möchte sagen die menschliche Voraussetzung gemacht, daß, wenn die Preise noch weiter stiegen und das eintrete, was die Regierung einen Nothstand nenne, dann eine Ermäßigung der Zölle eintreten solle. Seine Partei verlange von der Regierung nicht feierliche Betheuerungen, sondern Thaten, und die Herabsetzung und Ermäßigung der Getreidezölle würde eine solche That sein. Maa habe selt einer Reihe von Wochen Roggenpreise in Deutschland, bei deren Bestehen man früher zur Zeit des Bundestags die Zölle entschieden aufgehoben haben würde. Der Unterschied zwischen dieser früheren Zeit und jetzt sei nur der, daß die Regierung jetzt mit der altpreußischen Zollpolitik breche und mit ungewöhnlicher Härte sich jetzt Erleichterungen verschließe; und das sei um so wunderbarer gerade in jetziger Zeit der sozialpolitischen Bestrebungen. (Beifall links).
Präsident des Staats-Ministeriums, Reichskanzler von Caprivi:
Der Herr Abgeordnete hat den Namen eines der ersten Ge⸗ treidehändler Amsterdams genannt und hat hinzugefügt, der Herr wäre Konsul, mit der Absicht, wie mir schien, durch diese Hinzufügung auszudrücken, daß durch diese seine amtliche Stellung der Werth sei ner Aussage beeinflußt würde. Ich theile die Ansicht zunächst nicht, daß Jemand dadurch, daß er ein Amt bekommt, an Fähigkeit oder Redlichkeit Einbuße erleidet (sehr richtig! rechts), sondern ich legte auf die Aussage des Hrn. Hoyack denselben Werth, wenn er in der That Konsul wäre, wie so, da er es in der That nicht ist. (Heiterkeit rechts.)
Hr. Hoyack ist bis zum Jahre 1887 Konsul in Amsterdam ge wesen, und, wie das vor mir liegende Handbuch für das Deutsche Reich von 1891 nachweist, ist General⸗Konsul in Amsterdam zur Zeit Dr. Göhring; ihm attachirt ist Assessor Hr. Wunderlich und Sekretär Hr. von Stuckrad.
Der Herr Abgeordnete hat dann im Anfang seiner Rede es der Regierung ziemlich nahe gelegt, daß es doch ihre Sache wäre, die Nachrichten, die sie besitzt, dem Handel zugänglich zu machen, damit der Handel sich danach richten könne. Ich glaube nicht, daß das zu den Pflichten einer Regierung gehört. (Sehr richtig! rechts.) Wohin würde denn das führen? Der Handel würde auf Grund der Nachrichten, die wir ihm geben, sich in diese oder jene Unter nehmung einlassen; manche würde glücken, manche würde nicht glücken, und zweifellos würden alle nicht geglückten auf Conto der Regierung gesetzt werden (sehr wahr! rechts), aber vielleicht auch manche geglückte, wenn sie nicht ganz so gut geglückt wären, wie andere.
Der Hr. Abg. Richter hat gestern bemerkt, wir veröffent⸗ lichten ja doch Konsularberichte periodisch, und wir nähmen jetzt An⸗ stand, Nachrichten, die wir von unseren Konsuln hätten, im Ein⸗ zelnen vorzulegen. Ja, das ist ein Unterschied. Was der Konsul in seinem Monats oder Jahresbericht berichtet, sammelt er auf Grund objektiven, theils ven den fremden Regierungen offiziell heraus gegebenen Materials. Diese Berichte sind geeignet und haben den Zweck, dem Handel Wege zu weisen, die er gehen kann, neue Gebiete zu eröffnen, ihn zu warnen vor solchen Gebieten, wo er nicht mehr rentabel auftreten kann; diese Nachrichten haben aber nicht den Zweck, ad hoc den Handel auf gewisse Wege zu führen, ihn zu Speku⸗ lationen nach der einen oder anderen Richtung zu veranlassen. (Sehr richtig! rechts.)
Nun kommen die Herren immer wieder mit der Lage der Ver⸗ hältnisse in Rußland und provoziren uns über das, was wir über Rußland wissen, am Meisten, — und sie haben vollkommen Recht, weil der Roggen diejenige Getreideart ist, auf die es bei uns im Augenblick am Meisten ankommt, und weil wir den Roggen zumeist aus Rußland beziehen.
Ich habe gestern, als ich eintrat, — und der Abg. Richter wird vielleicht die Güte haben, daraus zu entnehmen, daß die Maschine der Staatsbehörden nicht ganz so langsam arbeitet, als er annimmt — einen Haufen Berichte aus Rußland hier gehabt, der ungefähr einen Finger dick war; heute früh sind mir wieder Berichte aus Rußland zugegangen, und ich will aus ihnen nur eine einzige Stelle verlesen, ohne den Namen des Mannes zu nennen, und auch ohne den Ort zu nennen, an dem er domizilirt, aber mit dem Hinzufügen: Es ist ein Beamter, der unter den Beamten seiner Art für mich eine der höchsten Stellen einnimmt, einer der zuverlässigsten und fähigsten. Er sagt:
Eine Gefahr, daß wir, selbst bei einer im Allgemeinen wenig günstigen Ernte in Rußland, von da aus nicht genügend mit Roggen würden versorgt werden können, liegt nach meinem Dafür halten gewiß nicht vor.
Ich würde dem Hrn. Abg. Richter auch aus der Post, die ich heute früh aus Frankreich bekommen habe, den stenographischen Bericht des französischen Senats, auf dessen Urtheil er sich gestern berufen hat, vorlegen können, wenn ich nicht annähme, daß durch den inzwischen eingetretenen abweisenden Beschluß des französischen Abge ordnetenhauses die Verhandlungen des Senats das Interesse für Hrn. Richter verloren haben. (Heiterkeit rechts.)
Der Hr. Abg. Broemel hat sich berufen auf einen hervorragenden Fachmann, auf Hrn. von Matlekowitsch. Hr. von Matlekowitsch ist ein auch bei uns bekannter früherer österreichischer Beamter, der sich einer allgemeinen und hohen Achtung erfreut, und hat ein dickes Buch geschrieben über handelspolitische Dinge und Zölle, durch das mich durchzuarbeiten ich mich auc bemüht babe. Das Buch enthält vortreffliche Dinge. Wenn aber ieser Herr im vo iegenden Falle in Bezug auf sein Urtheil citirt wird, um nachzuweisen, daß, wenn
Hr. von Matlekowitsch sagt: Ihr könnt da sagen und thun, was Ihr wollt, den Handelsverträgen schadet das nichts, — so habe ich daran einen leisen Zweifel. Hr. von Matlekowitsch ist seiner Stellung nach Freihandelsmann durch und darch, und ich habe die Besorgniß, daß, wenn man auf sein Urtheil in dieser Beziehung zu viel gäbe, uns doch Schwierigkeiten erwachsen können, wie wir sie früher mit Beziehung auf Aeußerungen des Hrn. von Plener an anderer Stelle erlebt haben. (Sehr richtig! rechts)
Nun mahnt uns Hr. Broemel weiter, wir sollten doch zeigen, was wir für die Arbeiter thäten; wir hätten mit hohen Worten uns anheischig gemacht, das Wohl der Arbeiter läge uns am Herzen, wir wollten auch was für sie thun. Und ich kann noch einmal ver— sichern, daß das unsere Absicht ist, und daß ich mich jeder Gelegenheit, die sich dazu findet., freuen werde. Wir glauben aber, daß für die Arbeiter wir etwas thun können, wenn wir ruhige, feste, stetige Verhältnisse in Handel und Wandel bringen. (Sehr richtig! rechts.)
Wir glauben auch, daß damit den Arbeitern am Meisten gedient ist, und ich möchte mich hier berufen auf ein Zeugniß, das die Herren von jener Partei doch vielleicht als vollwichtig annehmen werden. Der Ma⸗ gistrat der Stadt Berlin hat vor einigen Tagen mir eine Denkschrift einzureichen die Güte gehabt, die sich mit der Fleischversorgung von Berlin befaßt. Sie ist von einem Fachmann aufgestellt und enthält zweifellos viel Interessantes. In der Denkschrift sagt der Herr ungefähr: Die Arbeiterfrage wird erst dann gelöst werden, wenn Gewerbe und Industrie von der sprungweisen, fieberhaften An⸗ spannung in ruhige Verhältnisse übergehen. (Sehr richtig! rechts und links.)
Diese fieberhafte Anspannung zu beseitigen, ist unser Wunsch. Daß die Agitation, die von anderer Seite getrieben wurde, im Stande ist, dasselbe Ziel zu fördern, ist mir zweifelhaft. (Sehr richtig! rechts.)
Zuletzt hat der Abg. Broemel der Regierung den Vorwurf ge— macht, daß sie mit den Traditionen altpreußischer Zollpolitik bräche Ich weiß nicht, wie man uns einen Bruch mit einer Zollpolitik in dem Augenblick vorwerfen kann, wo wir an den bestehenden Zöllen nicht zu rütteln gewillt sind. (Heiterkeit.)
Wir wollen sie nicht aufheben, wir sind nicht die, die mit dieser Politik brechen.
Er ist dann in seinen historischen Reminiscenzen noch etwas weiter zurückgegangen und hat gemeint, der Bundestag würde unfehlbar anders gehandelt haben. Ich verzichte darauf, zu erkennen, wie der verflossene Bundestag in der heutigen Lage gehandelt haben würde. (Heiterkeit. Bravo! rechts.)
Abg. von Eynern: Bei der heute lang ausgedehnten Debatte werde vermuthlich nichts Praktisches herauskommen. Der Antrag Rickert sei nur gestellt, um eine Besprechung hier im Hause über die Erklärung der Regierung vom 1. Juni hervorzurufen, um die Ziele dieser Agitationspartei zu fördern. Der Abg. Graf Kanitz habe sehr naive Ansichten über wirthschaftliche Verhältnisse vorgebracht, er habe natürlich auch die Klagen über die Kölner Kohlenzechen nicht zurückhalten können, welche so böse mit ihren Preisen seien, nicht unter den Marktpreis herunterzugehen. Er babe sich über die Zwischen⸗ händler beklagt, die Fleischer, Mäller, Bäcker; nach seiner Meinung solle Niemand verdienen als der Landwirth. Er habe ja nichts gegen den Zusammenhang zwischen Landwirthschaft und Industrie, wie ihn der Abg. Graf Kanitz konstruire. Aber wenn Leute wie der Abg. Graf Kanitz sich zu den Freunden der Industrie zählten, so müsse er doch sagen; Gott schütze uns vor diesen unseren Freunden! Der Abg. Broemel habe es so dargestellt, als ob er genauere Berichte über die Kornverhältnisse habe, als die Regierung selbst, aber er (Redner) fürchte, daß diese genaueren Berichte auch nicht erschöpfender Natur sein würden Der. Abg. Rickert verlange schnelle telegraphische Nachrichten über die statistischen Ergebnisse. Das werde, fürchte er, nur der wilden Spekulation eine Basis geben, wie es schon öfter vorgekommen sei. Ueberhaupt sei die Statistik eine Wissenschaft, aus der Jeder herauslesen könne, was er wolle. Dem Abg. Frhrn. von Erffa gebe er nicht zu, daß der Brotpreis un— abhängig vom Kornzoll sei. Bei einem Lande, welches 15 Millionen Doppel Centner Getreide zu seiner eigenen Ernährung einführen müsse, müsse der Zoll auf den Preis Einfluß a. üben. Wenn übrigens die Regierung bei ihrem Entschlusse festbleibe, ven Getreidezoll nicht herabzusetzen, und es entstehe ein wirklicher Nothstand, der doch jeden⸗ falls nur partieller oder lokaler Natur sein könne, so müßte man erwägen, ob diesem Nothstande aus den nach der lex Huene zu über⸗ weisenden Zollerträgen Abhülfe geschafft werden könnte. Nach der Debatte vom 26. Mai habe er den Eindruck gehabt, daß die Regie⸗ rung die Tendenz habe, eine Zollsuspension eintreten zu lassen, und der Abg. von Erffa könne dem Abg. Richter aus seiner falschen Prophejeiung in Frankfurt keinen Vorwurf machen. Er (Redner) und viele Herren von der Rechten würden, wären sie in Frankfurt gewesen, dasselbe prophezeit haben. Für ihn und seine Freunde sei der Hauptgrund, daß sie sich an der Agitation für Herabsetzung der Getreidezölle nicht betheiligten, in der Rücksicht auf die Handels— verträge zu suchen. Sie sähen in den Handelsvertragsverhandlungen ein Zeichen für ein sehr weit vorausschauendes Verhalten unserer europäischen Staatsleiter gegenüber dem neuesten bandelspolitischen Verhalten von Nord-Amerika, das ja auch auf Süd ⸗Amerika jetzt seine Hand zu legen beginne, und dem gegenüber nur ein nicht in einzelne sich bekämpfende Staaten getheiltes Europa ankommen könne. Die Fra ze, ob Freibandel, ob Schutzzoll, könne nur nach Zweckmäßig⸗ keitsgründen, mit Berücksichtigung der speziellen Orts⸗ und Zeitverhält⸗ nisse, entschieden werden, politische Parteien könne man nicht dauernd nach der einen Seite hin festnageln. Den Schutz der ngtionalen Arbeit dürfe man nicht nur dahin auffassen. daß ihr eine Absatzmöglichkeit im Inlande geschaffen werde, sondern man müsse ihr auch durch Han. delsverträge Absatzgebiete im Auslande erschließen. Wolle die Re—⸗ gierung die Kornzölle nicht aufheben, so müsse sle, die ja allein die Verhältnisse übersehen könne, auch die Verantwortung dafür tragen. Der Abg. Richter sage, Handelsverträge dürfe man nicht überschätzen, die Ernährung dez Volks stehe in erster Reihe. Aber andererseitss sage er, keine Partei würde der Regierung bei der Be⸗ rathung der Handelsverträge mehr Hülfe leisten, als die seine. Bei jenem Wort komme es ihm also nur auf die augenblickliche Agitation an. Der Abg. Rickert sage noch energischer, Getreide sei überhaupt kein Zollobjekt für Handelsverträge. Aber man müsse sich hier doch nach Thatsachen richten. Man habe es nicht mit einem unbeschriebenen Blatt Papier zu thun, sondern müsse auf die Verhältnisse der anderen vertragschließenden Länder Rücksicht nehmen. Die Regierung werde, wie gesagt, für ihr Verhalten auch die Verantwortung tragen. Aus allen diesen Gründen müsse er sich Namens seiner Freunde gegen den Antrag Rickert erklären. Seine Parteifreunde möchten wohl jeder seine besonderen Gründe für ihr Verhalten haben, aber allen gemein sam sei die Rücksicht, daß die Situation zu ernst, die Verantwortung zu groß sei, um die Regierung in ihrer Stellung zu erschüttern, wo es sich um eine so wichtige und für die Geschicke des Vaterlandes weittragende Frage handele, wie die der Handels verträge.
Abg. Rickert: Dem Abg. Eynern scheine diese Debatte zu lange zu währen, er selbst aber babe sie doch provozirt, denn er habe am 1. Juni gesagt, er hoffe, ein Antrag aus dem Hause werde Ge— legenheit zur Besprechung der Erklärung des Minister-Präsidenten geben. Die Rede des Abg. von Eynern habe nach rechts und nach links geschlagen, aber was er eigentlich wolle, sei nicht zu erkennen gewesen, wenn er nicht etwa einen europäischen Kongreß im Kampf gegenüber dem amerikanischen Koloß wolle. Während aber dieser europäische Kongreß erreicht werden solle, würde das Volk in Folge
der hohen Getreidepreise verhungern; und das gehe uns doch näher an. Jener amerikanische Koloß, dem auch er (Redner) ent⸗ gegenwirken wolle, würde am Besten zu bekämpfen sein von einem freihändlerischen Europa, während andererseits ein freihändlerisches Amerika Europa, wenn es an dem Schutzzolle festhalte, tödten würde. Am Besten thue Deutschland, so sehr er auch die Handels verträge schätze, wenn es sich nicht auf den Standpunkt des do ut des stelle, sondern dem Freihandelsprinzip folge. Seine Partei theile die Haltung der Regierung in Bezug auf die Getreidezölle
nicht und werde im November nach dem Zusammentreten des Reichs⸗
tages ihre Konsequenzen daraus ziehen. Der Abg. von Eynern nenne seine (des Redners) Partei eine Agitationspartei, aber er glaube nicht, daß alle seine Fraktionsgenossen im Lande ebenso urtheilten. Ein Telegramm aus Bremen bestätige, daß bei den dortigen Verhandlungen Mitglieder aller Parteien die von den Freisinnigen eingenommene Stellung theilten. Er be⸗ daure, daß auch der Minister⸗Präsident heut wieder das Wort Agitation! in den Mund genommen habe; die Kornzölle seien doch auf einer ganz anderen Agitation aufgebaut. Jede Rede des Ministers, die in die Zeitungen komme, wirke agitatorisch und müsse eg; habe doch Fürst Bismarck selbst im Reichstage gesagt, er rede nicht zu uns, sondern zu dem Volke draußen. — Sei das etwa keine Agitation? Der Minister von Heyden habe nicht nur 1887 einen Antrag auf Zollerhöhung unterschrieben, sondern schon 1886 eine dasselbe anstrebende Resolution; sei das keine Agitation? Die Herren hätten Cirkulare erlassen, in denen sie gebeten hätten, die Petition für Zollerhöhung so abzufassen, daß man nicht merke, daß sie von Centralstellen ausgehe, sondern Masseneindruck mache; so schlau seien die Herren gewesen. Sie hätten sich um Unterstützung an die Amts⸗ und Ortsvorsteher gewandt. Ihm selbst sei ein solches Cirkular von einem solchen Ortsvorsteher zugegangen; doch habe er auf dessen Wunsch die Bezeichnung des Ortes weggeschnitten, denn wehe dem Manne, wenn man erfahren hätte, daß er ihm (dem Redner) das eingeschickt hätte. Die Herren hätten freilich erreicht, was sie gewollt hätten; sie hätten die 5 „ bekommen, aber seine Partei werde nicht aufhören, daran zu rütteln; und das nenne man Agitation, Agitation! Die Hauptzeit des Schutzzolls sei vorüber. Der Abg. Graf Kanitz werde den festen Bund der Landwirthschaft und Industriellen nicht wiederherstellen können. Seine (des Redners) Partei wolle, um auf Einzelnes einzugehen, nicht, daß die Regierung solche Angaben veröffent⸗ liche, daß man iör nachher die Schuld für irgend welche verfehlte Spekulation aufbürden könne, sondern wolle generelles Material vorgelegt haben. Dem Abg. Grafen Kanitz gegenüber bemerke er, daß durch die neuere Gesetzgebung gerade das flache Land den Städten gegenüber bevorzugt werde. Der Abg. Graf Kanitz irre, wenn er meine, die Mehrheit des Landes stehe hinter seiner Partei — bei einer etwaigen Auflösung des Landtages würde sich das Gegentheil schnell erweisen. Als Paladin der Krone sei er übrigens bei der Landgemeindeordnung, die dem Abg. Grafen von Kanitz noch so schwer im Magen zu liegen scheine, nicht aufgetreten. Die Frage der Zölle werde nicht eher zur Ruhe kommen, als bis sie im Sinne seiner Partei entschieden sei; das liege namentlich im Interesse der kleinen Landleute, die von den Zöllen keinen Vortheil hätten. (Rufe rechts: Agitation) Vier Millionen Landwirthe gebe es, die weniger als 5 ha besäßen, während 25 009 Landwirthe größeren Besitz hätten. Ehe man die Zölle beibehielte, würde es schon besser sein, man gäbe den nothleidenden Landwirthen baares Geld aus Staattmitteln, dann würden wenigstens den Majoratsherren nicht aus den Taschen der Aermsten Vortheile zugewendet. Graf . bezeichne sich als produktiv, die Freisinnigen als destruktiv. Gewiß, an den Zöllen, da seien die Konservativen produktiv. Aber in der That wirkten sie mehr destruktiv, als seine Partei, welche jetzt das wahre konservative Element sei. Man möge doch die Resolutson an⸗ sehen, die hier in einer Versammlung nach einer Rede Bebel's angenommen worden sei, in der es heiße, daß, wenn die Landwirth⸗ schaft ohne Vieh und Getreidezölle nicht mehr in dem heutigen wirthschaftlichen System bestehen könne, so müsse nothwendiger⸗ weise die ganze Landwirthschaft verstaatlicht werden. Und in der That sei das die richtige Konsequenz. Seine Partei vertrete die Politik, die die preußischen Könige seit Friedrich dem Großen befolgt hätten. Hier in diesem Hause werde sie mit ihrem Antrage freilich nicht durchdringen, im Reichstage sei der richtige Boden dafür, am 22. November, oder wenn der Reichstag sonst zusammentrete, werde er die Sache wieder aufnehmen, und er wünsche dem Reichskanzler und dem Vaterlande bis dahin gutes Wetter und gute Ernteaussichten. Es werde mit der Herabsetzung der Kornzölle hier gehen, wie 1846 in England, wo der Antrag Peels auf Herabsetzung von Kornzöllen im Ministerrath mit allen gegen drei Stimmen abgelehnt worden sei — neun Monate später babe dasselbe Kabinet die damals ab⸗ gelehnte Zollherabsetzung vorschlagen müssen. So werde es auch hier gehen — es sei zu hoffen, daß das Vaterland und die Bevölkerung bis dahin einen nicht gar zu großen Schaden erlitten habe.
Abg. von Schalscha: Agitation an sich sei berechtigt, aber die jetzige freisinnige Agitation gegen die Getreidezölle beruhe auf Entstellungen und Verdrehungen, Aufreizung und Beunruhigung des Volkes. (Beifall reckts) Jeder, der im öffentlichen Leben stehe, mache allerdings Agitation. Aber mit der Agitation der freisinnigen Partei sei es etwas Anderes. Der ruhige Ton der Debatte gestern und heute habe wohlgethan bis zu der heutigen Rede des Abg. Rickert. Was wolle es denn bedeuten, wenn zusammengelaufene Majoritäten in den Volksversammlungen diese Fragen entscheiden wollten. Die Redner in solchen Versammlungen sagten sich natürlich, die Massen seien nicht im Stande, diese Sache zu beurtheilen, über die die größten Gelehrten stritten. Diese Agitation sei es erst, welche den Handel unsicher mache und schädige. Es sei der Ge⸗ schäftsordnung zu danken, daß innerhalb 14 Tagen zweimal dieses
aus zum Ausgangspunkt einer wüsten Agitation geworden sei.
er Handel werde durch diese Debatte hier beunruhigt. Der Abg. Rickert habe gestern angeführt — allerdings bona fidée — das nehme er bei dem Abg. Rickert immer an —, daß man in Leipzig gefordert habe, daß nur schutzzöllnerische Professoren an der dortigen Universität angestellt würden. An dem Ruͤckgang unserer Verhältnisse sei die Entwerthung des Silbers in Folge der Einführung der Gold⸗ währung schuld. Davon sei er bei den Zollfragen immer aus⸗ gegangen. Für ihn sei der Zoll zunächst ein Mittel, die Schädigung unserer inländischen agrarischen Produktion durch den gedrückten Cours der Geldsorten in unseren Nachbarländern auszugleichen. Durch die Einführung der Goldwährung habe das Inland 25 oo an den Preisen eingebüßt. Darum sei er Gegner der Goldwährung geworden. Er habe immer für die Zollerhöhungen gestimmt, in dem Bewußtsein, daß der Zoll noch nicht ausreiche, um die Valutadifferenz auszugleichen. So lange die Zölle zur Aus— gleichung der Valutadifferenz dienten, würden sie auch vom Auslande getragen. Er wünschte, daß diejenigen, welche meinten, daß der Zoll auf die inländischen Preise geschlagen werde, die gegen⸗ theiligen Argumente in dieser Beziehung mehr würdigten. Todt— schweigen könne man diese Argumente nicht. Zum Mindesten sei diese Frage kontropers. Weshalb wünsche denn das Ausland die Aufhebung unserer Zölle? Weil es sie dann nicht mehr zu tragen brauche. Die ausländischen Importeure hielten die Getreidevorräthe an der Grenze zurück bis zur Klärung unserer Zollfragen, aber nicht, um dann zu billigen Preisen verkaufen zu können, sondern zu den bisherigen und dann für den Fall der Zollsuspension die Zölle in der Tasche zu be⸗ halten. Der Abg. Broemel habe in einer Versammlung gesagt, bei der letzten Zollerböhung habe das Fünfzigpfennigbrot noch 5 Pfund gewogen, jetzt wiege es nur noch 35. Der Abg. von Erffa habe bereits gestern nachgewiesen, daß die Bäcker und Fleischer sich vereinigten, um die Preise hoch zu halten. Je mehr Bäcker und Fleischer also in einem Orte seien, desto theurer sei Brot und Fleisch. Er sei überzeugt, daß keine Hungersnoth vorhanden sei, er sei weiter überzeugt, daß, wenn eine Hungersnoth bestände, die Aufhebung der Zölle nicht das Geringste daran ändern würde. Man sage, die Getreide ⸗ Importeure machten sich die Ernährung des Volkes ur Aufgabe. Was sehe man aber? Sie hielten die Getreide⸗ Importe zurück, um die Preise zu bestimmen, sie gebrauchten ehrliche
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