1891 / 139 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 16 Jun 1891 18:00:01 GMT) scan diff

Arbeiter ohne Beschränkung zuzulassen, um dem Arbeitermangel ab⸗ zuhelfen.

Minister des Innern Herrfurth:

Was zunächst den vom Herrn Grafen von Klinckowström aus— gesprochenen Wunsch nach einer erweiterten Zulassung russischer Arbeiter anlangt, so möchte ich darauf aufmerksam machen, daß es nicht ganz zutreffend ist, wenn, wie nach den Worten des Herrn Grafen von Klinckowfstroem anzunehmen ist, davon aus— gegangen wird, es sollten nur landwirtbschaftliche Ar— beiter zugelassen werden. Es ist auch die Zulassung in⸗ dustrieller Arbeiter ausdrücklich in den betreffenden Ver— fügungen vom November vorigen Jahres in Aussicht genommen worden, allerdings aber ist diese Zulassung an gewisse Beschränkungen geknüpst. Es kam darauf an, bei dieser Zulassung russischer Arbeiter ein Gegenmittel zu finden gegen die Entrölkerung an Arbeitskräften, die durch die sogenannte Sachsengängerei entsteht. Da die Sachsengänger im Winter wieder zurückkehren, also während dieser Zeit die nöthigen Arbeitskräfte vorhanden sind, so ist das Mittel zur Beseitigung jenes Uebelstandes in gleicher Weise konstruirt worden; man hat gewissermaßen dieser Sachsengängerei gegen über eine Preußengängerei organisiren wollen, aber auch mit der Maßgabe, daß sie bier nicht dauernd sich aufhalten, sondern während des Winters womöglich wieder jurückkehren sollten. Es sind aber allerdings Ausnabmen zugelassen, es ist sogar mit Rück⸗ sicht darauf, daß in gewissen Landestbeilen die landwirthschaftlichen Arbeiten nicht durch ledige Arbeiter verrichtet werden, sondern daß die Instleute Familienväter zu sein pflegen, nicht ausgeschlossen wor⸗ den, daß ausnabmsweise auch Familien zugelassen werden und daß für diese Fälle auch von der periodischen Zurückweisung Ausnahmen gemacht werden.

Im Uebrigen ist aber überhaupt diese ganze Maßregel nur als eine Probemaßnahme vorerst in Aussicht genommen, und es sind die Ober⸗Präsidenten auf gefordert worden, sich darüber zu äußern, ob dieselbe die erwartete Wirkung gehabt babe und ob es etwa notb— wendig würde, Ausdehnungen oder Beschränkungen eintreten zu lassen. So weit diese Berichte bisher eingegangen sind, muß ich allerdings sagen, daß noch ein sehr großes Mißverhältniß bestebt zwischen der Zabl der Auswanderer und Sachsengänger und der Zabl der zum Ersatz derselben herübergekommenen russischen Arbeiter, und daß, wenn sich demnächst herausstellen sollte, daß dieses Miß verbältniß fortbestebt, allerdings in Er⸗ wägung genommen werden müßte, erleichternde Bestimmungen nach dieser Richtung bin eintreten zu lassen, da sonst der beabsichtigte Zweck der Maßnahme nicht erreicht wird.

Was die Resolution des Herrn Grafen zu Stolberg anlangt, so handelt es sich bei derselben um die Abänderung eines Reichs gesetzes, des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz. Es ist das letzte Mal, als diese Frage im Reichstage im Jahre 1887 zur Er⸗ örterung kam, Seitens des Herrn Staatssekretärs des Reichsamts des Innern ausdrücklich darauf bingewiesen worden, daß diese Frage erst dann zur definitiven Entscheidung würde gebracht werden können, wenn man die Wirkung der sozialvolitischen Gesetze vollständig zu über⸗ sehen in der Lage sein würde. Dieser Zeitpunkt ist jetzt noch nicht gekommen; denn wenngleich das Gesttz über die Alters und Inva— liditätsversicherung in Kraft getreten ist, so läßt sich doch die Wirkung desselben auf die Erleichterung der Armenpflege beute noch nicht vollständig übersehen. Im Uebrigen, wie gesagt, handelt es sich um ein Reichsgesetz, und ist damals schon die Erklärung abgegeben, daß Verhandlungen und Erörterungen über die Abänderung der Prinzipien des Unterstützungswobnsitzes in Erwägung gezogen seien, aber bestimmte Erklärungen darüber, ob und inwieweit solche Erwägungen demnächst zur Vorlegung eines Reichs gesetzes in dem in der Resolution bezeichneten Sinne führen würden, können natürlich von dieser Stelle aus zur Zeit nicht gegeben werden.

Meinerseits möchte ich im Anschluß an Dasjenige, was der Herr Referent bereits ausgeführt hat, noch betonen, daß die Moti— virung dieser Resolution in ihrem zweiten Theil m. E. un— zutreffend ist. Ich vermag nicht anzuerkennen, daß durch das Gesetz über die außerordentliche Armenlast, dessen Annahme soeben erfolgt ist, den DOrtsarmenverbänden neue Lasten auferlegt werden. Meine Herren, es ist ja richtig, daß durch eine Anstaltspflege, welche für alle hülfsbedürftigen Irren, Siechen, Epileptischen, Blinden u. s. w. vorgesehen ist, eine Anstaltspflege, welche zum Theil jetzt nicht statt⸗ findet, sich die Gesammtkosten der Armenpflege im Ganzen vor— aussichtlich vermehren werden. Aber diese Mehrbelastung trifft, wie dies, meine Herren, von dem Herrn Referenten ganz richtig aus— geführt worden ist, nicht die Orts armenverbände, sondern die Landarmenverbände, welche bisher nur befugt waren, jene Lasten zu übernehmen, und denen nunmehr die entsprechende Verpflichtung auferlegt wird, und welche also in Zukunft unbe⸗ dingt die sogen. Generalkosten, die Kosten der allgemeinen Verwal⸗ tung tragen, sodaß schon nach dieser Richtung die Ortsarmen⸗ verbände eine Erleichterung erfahren. Außerdem ist aber durch die weitere Bestimmung, daß der Kreis zwei Drittel des Restes der Kosten übernehmen soll, meines Erachtens ganz zweifellos dafür Sorge getragen, daß in Zukunft die Ortsarmenverbände in ihren Lasten erleichtert werden. Sie hatten bis jetzt die vielleicht im Ganzen geringeren Kosten der Pflege hülfsbedürftiger Irrer, Blinder, Epileptischer u. s. w. allein zu tragen; sie werden in Zukunft aber nur ein Drittel der allerdings etwas höheren Kosten nach Abzug der allgemeinen Verwaltungskosten zu tragen haben, und das wird im Ganzen und Großen für die Ortsarmenverbände eine sehr erhebliche und wünschenswerthe Erleichterung herbeiführen.

Ober ⸗Bürgermeister Struckmann hält es für bedenklich, eine so wichtige Materie, welche mit dem Gesetze nicht im Zufammenhange stehe, so nebenbei zu erörtern und das Herrenhaus in dieser Frage

testiulegen; gegebenen Falls müsfe man die Refolution an eine Kom— 6 n, ,. Freiberr von Wendt bezweifelt, daß die Resolution den richtigen Weg der Abhülfe nachweise; denn die Beweglichkeit der Be⸗ völkerung werde noch mehr befördert, wenn die Frist zur Erwerbung des Unterstũtzungswohnsitzes verkürzt werde. Im Nebrigen glaube 9. 3 im 5 schon 96 , ,. wenn auch nicht für gung, so doch für die Beschrä izügigkei dee, schränkung der Freizügigkeit Ober · Bürgermeister Bötticher (Magdeburg) bittet, die Reso— lution heute nicht amunehmen, denn sie zeige uh das ö ,, . , . r zu , ,, der Krankheit. Die esolution enthalte keine genaue Angaben, wie di = . soll. ) . raf von der Schulenburg (Beetzendorf) empfiehlt die Ab⸗ tehnung der Resolution, wenngleich er dankbar sein müsse fuͤr die

Anregung der ganzen Erörterung. Redner hält eine Beschränkung der Freizügigkeit für notbwendig. . . . . Graf Udo zu Stolberg⸗Wernigerode bält. da die Frei⸗ zügigkeit wohl jetzt nicht geandert werden könne, die Aenderung des Unterstützungswohnsitzgesetzes für nothwendig, ziebt aber mit Rücksicht auf die stattgehabte Debatte seine Resolution zurück.

Minister des Innern Herrfurth:

Auf die Sache selber brauche ich nach der letzten Erklärung des Herrn Vorredners nicht weiter einzugehen. Dagegen veranlassen mich die Ausführungen im Eingange seiner letzten Rede doch darauf bin⸗ zuweisen, daß er von einer unzutreffenden Annahme aus— geht, wenn er behauptet, es wäre durch das vorliegende Gesetz der Gemeinde eine Quote der Kosten für die Unterbringung der bülfsbedürftigen Irren, Blinden, Cpileptischen u. s. w. in allen Fällen und unbedingt auferlegt. Wenn er annimmt, daß selbst in denjenigen Provinzen, wo bisher die Prorinz alle Kosten allein ge⸗ tragen habe, sie in Zukunft von den Ortsarmenverbänden einen Bei— trag einfordern müsse, so ist das nicht richtig und berubt auf einem Mißverständniß. Meine Herren, ein derartiges Mißverständniß war wohl möglich bei den früberen Beschlüssen des Herrenbauses, in denen gesagt wurde: den Landarmenverbänden ist von den Ortsarmenverbänden ein bestimmter Theil der Kosten zu erstatten⸗; aber gerade mit Rücksicht darauf, daß äbnliche Verhältnisse, wie sie Herr Sraf Stolberg für Schlesien und Ost— preußen erwähnte, auch in Westpreußen zutreffen, ist im andern Hause Seitens des Abg. Wessel eine Aenderung des 8. 312 dahin beantragt werden, daß gesagt werden solle, der Landarmenverband sei be⸗ rechtigt, einen solchen Beitrag zu fordern und es ist ausdrücklich diese Abänderung damit motivirt worden, daß der Landarmenverband ron dieser Berechtigung keineswegs immer Gebrauch machen müsse, sondern es ihm überlassen bleibe, nach wie vor die Kosten allein zu übernehmen. Es wird ja in Zukunft sich se gestalten, daß da, wo der Ortsarmenverband bisber nichts gezahlt hat, er auch in Zukunft nichts zablen wird, daß aber da, wo er bisher Alles oder einen großen Theil der Kosten gezahlt bat, er zu den Bedürfnissen nur J der Kosten ju tragen bat, welche übrig bleiben, wenn die allgemeinen Verwaltungskosten von dem Gesammtbetrage der Kosten abgezogen werden.

Graf Udo zu Stolberg⸗Wernigerode bezweifelt, daß der Landarmenverband von seinem Rechte der Kostenliquidation nicht Gebrauch machen werde. Doch sei anzuerkennen, daß diese Befugniß nicht obligatorisch sei. . ]

Damit ist dieser Gegenstand erledigt, und das Haus geht zur einmaligen Schlußberathung über das Gesetz, betreffend die Heranziehung der Fabriken u. s. w. mit Voraus⸗ leistungen für den Wegebau in der Provinz Brandenburg, über.

Der Berichterstatter von Betkmann-Hollweg beantragt, den Entwurf in den 58. 2 und 3 dahin abzuändern, daß die Kreise das Antragsrecht haben und bei Kreiswegen die Entscheidung dem Bezirksausschuß zuftehen solle. Es entspreche dies dem früheren Be— schlusse des Herrenhauses. Der Berichterstatter bemerkt, das andere Haus habe die Regierungsvorlage wiederhergestellt, ohne den ab weichenden Herrenhaus, Beschluß zu beachten. . ö

Geheimer Ober Regierungs- Rath Gamp: Es sei unrichtig, daß die Beschlüsse des Herrenhauses im Abgeordnetenhause nicht beachtet worden seien. Vies sei sowohl in der ersten Berathung geschehen wie in der Kommission, welche sich in zwei Lesungen mit dem Gesetzentwurfe beschäftigt habe. Wenn die Kommission dem Wunsche der Regierung entsprechend die Regierungs vorlage wieder bergeftellt babe, so sei dies aus sachlichen Erwägungen gescheben. Es sei richtig, daß der Proxinzial Landtag bei Berathung dieses Gesetzes beschlossen babe, auch den Kreisen das Recht jur Erbebung von Präzipualbeittägen zu geben. Die Erhebungen der Regierung seien bis jetzt aber auf die Gemeinden beschränkt gewesen, und es werde die Ausdebnung der Befugniß auf die Kreise neue Erhebungen nöthig machen. Es werde durch Annahme dieser Aenderung eine ungerecht⸗ fertigte Belastung der Industrie in der Mark entstthen. Er möchte glauben, schon im Interesse der Beschleunigung des Gesetzes werde es sich empfeblen, den Entwurf in der Fafsung des Abgeordnetenbauses anzunebmen; im anderen Falle könne das Zustandekommen des Gesetzes leicht sich noch längere Zeit binzieben. ö

Hierauf wird unter Ablehnung der Anträge des Herrn von Bethmann-Hollweg der Gesetzentwurf in der Fassung des Abgeordnetenhauses angenommen. ; .

Das Gesetz, betreffend Eintragungen in die Höfe— rolle und Landgüterrolle auf Ersuchen der Generalkommissionen, wird ohne Debatte angenommen.

Ueber eine Petition des Gemeinde⸗Kirchenraths zu Jessen mit Entschädigungsansprüchen in einer Forstablösungs⸗ sache geht das Haus zur Tagesordnung über.

Schluß 5 Uhr.

Haus der Abgeordneten. 104. Sitzung vom Montag, 15. Juni.

Der Sitzung wohnen der Vize-Präsident des Staats⸗ Ministeriums, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher, der Minister des Innern Herrfurth, der Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch und der Minister für Landwirthschaft 2ꝛc. von Heyden bei.

Auf der Tagesordnung steht zunächst die dritte Be⸗ rathung des Gesetzentwurfs, betreffend die König— lichen Gewerbegerichte in der Rheinprovinz.

In der Generaldiskussion spricht Abg. von Strombeck die Befürchtung aus, daß dieses Gesetz in einzelnen Punkten die Interessen der Rheinprovinz schädigen könne.

Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:

Der Herr Vorredner hat sich vorbehalten, bei der Spezial⸗ berathung der einzelnen Paragraphen noch Bemerkungen zu machen, und ich darf in Folge dessen mir wohl auch vorbehalten, dann zu antworten.

Er hat aber einen allgemeinen Punkt berührt in Bezug auf die Geltung des §. 79 des Reichsgesetzes im Gebiete der rbeinischen Gewerbegerichte. Ich kann nur erklären, daß ich ganz auf seinem Standpunkte stehe, ich bin keinen Augenblick zweifelhaft, daß §. 79 des Gesetzes über die Gewerbegerichte zwingendes Reichsrecht enthält und daß in Folge dessen kein Landesgesetz im Stande ist, daran etwas zu ändern.

Wenn der Herr Vorredner dann geglaubt hat, hervorheben zu müssen, daß durch einzelne Bestimmungen, die das Gesetz enthält, die Rheinprovinz benachtheiligt werden würde, so möchte ich doch glauben, daß diese Anschauung in der Rheinprovinz nicht ge—⸗ theilt wird (vielseitige Zustimmung); wenigstens haben bei der ersten Berathung sämmtliche Herren aus dem Rheinlande, die zur Vorlage gesprochen haben, sich außerordentlich befriedigt über dieselbe ausge⸗ sprochen. Es ist eine bekannte Thatsache, daß unsere Rheinlande den

Fortbestand der alten Gewerbegerichte wünschen, und die Provinz wird in Folge dessen es sich auch gefallen lassen und gern gefallen lassen, daß sie in einzelnen Punkten anders gestellt wird als die Landesteile, die sonst dem Reichsgesetz, betreffend die Gewerbegerichte, unterliegen und deren Schiedsgerichte nach Maßgabe des Reichsgesetzes einzu⸗ richten sind.

In der Spezialdebatte werden die einzelnen Paragraphen und sodann das Gesetz im Ganzen unverändert nach den Be⸗ schlüssen zweiter Lesung angenommen. .

Es folgt die Fortsetzung der Berathung des Wild⸗ schadengesetzessß3. ö ;

In der letzten Sitzung hatte sich bei der Beschlußfassung über den von den Abgg. Brandenburg und Francke nen, beantragten 8. 4a, welcher die Regreßpflicht ein⸗ ühren will, die Beschlußunfähigket des Hauses herausgestellt; in der wieder aufgenommenen Abstimmung wird 8. 4a mit sehr geringer Mehrheit gegen die Stimmen der Freisinnigen, des größten Theiles des Centrums und der Nationalliberalen, sowie einzelner Polen und Konservativen abgelehnt.

8. 5 der Herrenhausbeschlüsse lautet:

Ein Ersatz für Wildschaden findet nicht statt: ö

I) wenn die Umstände ergeben, daß die Bodenerzeugnisse in der Absicht gejogen oder erbeblich über die gewöhnliche Erntezeit hin aus auf dem Felde belassen sind, um Schadensersatz zu erzielen; 2) wenn die zur Verhütung von Wildschaden gebräuchlichen Schutz maßregeln unterlassen sind; und 3) wenn Gärten, Baumschulen, Pflanzgärten nicht vollständig eingefriedigt sind. ö.

Nach dem Antrag Freiherr . und en e werden die Nummern 2 und 3 gestrichen, sodaß in diesen Fällen Ersatz von Wildschaden statifinden soll.

§. T der Herrenhausbefchlüsse lautet: .

„Die Abschätzung des Schadens wird nach Prozentsätzen der Ernte unter Berücksichtigung der Boden⸗ und Dungverhältnisse be⸗ messen, und finden Schäden unter 6 0jo keine Berücsichtigung.“

Die Abgg. Freiherr von Hue ne und Gen. beantragen, diese Bestimmung zu streichen. .

Abg. von Schalscha beantragt, dem 8.7 folgenden Satz hinzuzufügen:

„Grundstücke, welche größer sind als 2 ha, können Bebufs Feststellung des Schadens in Theilstücke nicht unter 1 ha jerlegt werden.“

Nach kurzer Debatte wird zunächst der Antrag von Schalscha angenommen, sodann aber der ganze Paragraph abgelehnt.

§8. 9 des Herrenhausbeschlusses lautet: . .

„Nach rechtzeitig erfolgter Anmeldung bat die Orts. Polizei- bebörde zur Ermittelung und Schätzung des behaupteten Schadens und zur Herbeiführung einer gütlichen Einigung unverzüglich einen Termin an Ort und Stelle anzuberaumen und zu demselben die Betheiligten in ortsüblicher Weise zu laden. Die Anwesenheit oder Vertretung derselben in dem Termine ist nicht erforderlich.

De Orts⸗Polizeibebörde ist befugt, sich in diesem Termine vertreten zu lassen.“

Ein Kompromißantrag des Abg. Freiherrn von Huene will zu dem Termin auch die Jagdpächter geladen und der Einladung die Verwarnung hinzugefügt wissen, daß im Fall des Nichterscheinens mit der Ermittelung und Schätzung des Schadens demnach vorgegangen wird. Ferner soll Absatz 2 gestrichen werden. .

Abg. Rintelen beantragt, diesen ganzen Abschnitt zu streichen, während von den Abgg. Freiherrn von Huene und Genossen einige Amendements eingebracht sind, welche haupt⸗ sächlich den Zweck haben, das von dem Herrenhause zugelassene Verwaltungsstreitverfahren zu beschleunigen. . den Fall der Ablehnung der Streichung beantragt Abg. Rintelen noch einige Unteramendements zu den Kompromißanträgen des Abg. Freiherrn von Huene.

Abg. Rintelen: Das vom Herrenbaus vorgeschlagene Ver⸗ fabren würde, abzesehen von der Thatsache, daß nach der Civil prozeßordnung die Streitigkeiten dieser Art vor das Amtsgericht ge⸗ börten, so große praktische Schwierigkeiten mit sich bringen, daß sie die Durchführung der Vorlage zum größten Theil illusorisch machen würden; es sei weit besser, die Sachen dem gewöhnlichen Rechtsweg zu unterbreiten. Die Kosten, die das Amtsgerichtsverfahren mit sich bringe, kämen diesen Schwierigkeiten gegenüber nicht auf.

Abg. Rickert: Auch er bitte, die 5§. 8 bis 13 abzulehnen; die Einführung des Verwaltungsstreitverfahrens beim Wildschadenersatz sei in der That eine rechtliche Anomalie und würde so große Schwierigkeiten machen, daß dadurch die Selbstverwaltung ernstliche Beeinträchtigungen insofern erfahren könne, als sich die deute zur Uebernahme der dazu nöthigen Aemter nicht geneigt zeigen würden. Wenn das Amtsgerichtsverfahren zu teuer für die oft sehr geringen Wildschäden sei, so müsse man dies Verfahren eben billiger machen.

Abg. von Jagow: Er bitte, im Interesse der geschädigten Grundbesitzer die Beschlüsse des Herrenbauses aufrecht zu erhalten, weil das Verwaltungsstreitverfahren billig, schnell entscheidend und im Publikum sehr beliebt sei; auf eine Herabsetzung der Amtsgerichts⸗ kosten könne man im Augenblick nicht rechnen. .

Geheimer Justiz Rath Dr. Holt greven betont, daß die Ordnung des Wildschadens Ersatzanfpruches im Berwaltungsstreitverfahren mit der Civilprozeßordnung des Deutschen Reichs keinesweges kollidire, aus diesem Grunde also eine Ablehnung der Herrenhausbeschlüsse nicht geboten sei. .

Abg. Francke wendet sich gegen Einzelheiten der vom Herren baus vorgeschlagenen Bestimmungen. namentlich gegen eine, wonach die Verjährung des Entschädigungsanspruches nach drei Tagen ein⸗ treten solle, was doch eine gar zu kurz bemessene Frist sei.

Abg. Freiberr von Huene hält im Interesse der Gerechtigkeit eine so kurze Verjährungsfrist für geboten, um Verdunkelungen zu vermeiden. Das Verwaltungsstreitverfahren solle übrigens nur gegenüber der Gemeinde, nicht aber beim Regreßanspruch an den Jagdpächter Platz greifen.

Abg. von Jagow erklärt sich Namens der konservativen Fraktion mit dieser Auffassung einverstanden.

Abg. Gerlich spricht sich für das Amtsgerichtsverfahren in allen Wildschadenssachen aus, welches nicht langsamer sei, als das Ver⸗ waltungsstreitoerfahren.

Abg. Schmidt (Warburg) erklärt sich für die Herrenhaus voꝛrschläge.

Unter Ablehnung des Antrages Rintelen werden die §§. S bis 13 mit den vom Abg. Freiherrn von Huene bean⸗ tragten Amendements genehmigt.

Die Abstimmung über eine vom Abg. Nintelen beantragte Abänderung des 5. 12, wonach der von der Ortt⸗Polizeibehörde erfolgte Vorbescheid, wenn innerhalb zwei Wochen die Klage dagegen nicht erhohen ist, nicht, wie die Herrenhausbeschlüsse wollen, endgültig, sondern nur vorläufig vollstreckbar sein soll, bleibt zweifelhaft; in der Auszählung wird der Antrag Rintelen mit 130 gegen 1938 Stimmen angenommen.

§. 14 der Herrenhaus-⸗Beschlüsse will, wenn in einem Jahre wiederholt durch Roth⸗ oder Damwild verursachter Wildschaden festgestellt ist, auf Antrag der Ersatzpflichtigen den Jagdberechligten die Abminderung der schädigenden Wildart auch während der Schonzeit durch den Landrath 86 statten und gegen die abweisende Verfügung nur die Be⸗ schwerde bei der Aufsichta behörde zulassen.

Nach dem Antrag der Abgg. Freiherr von Huene und

Gen. soll in solchen Fällen auf Antrag des Ersatzpflichtigen oder der Jagdberechtigten die Aufsichtsbehörde für den betr., eventuell auch für die benachbarten Jagdbezirke die Schonzeit für einen bestimmten Zeitraum . und die Jagd⸗ berechtigten zum Abschuß anhalten.

Abg. Rintelen beantragt die Einfügung eines §. 14aa, wonach ein Jagdberechtigter, der der an ihn nach 5. 14 ergangenen Auf—⸗ forderung zum Abschuß nicht genügende Folge gebe, für jeden den . durch das Wild ferner verursachten Schaden

aften solle. .

Abg. Conrad beantragt, §. 14 auch auf den durch Fasanen und Rehe entstehenden Schaden anzuwenden, und weist darauf hin, daß diese Bestimmung dringend nothwendig geworden sei durch die Beseitigung des Regreßparagraphen. Die jetzt angenommenen und vom Abg. Freiherrn von Huene vorgeschlagenen Bestimmungen erschwerten den Gemeinden die Verpachtung ihrer Jagdbezirke.

Abg. Freiherr von Huene wendet sich gegen diese letztere Be⸗ bauptung. Ein Jagdbezirk, durch den Wildschaden entstede, fände jeder Zeit einen Jagdpächter. Rehe stifteten nämlich, wenn sie nicht geradezu massenbaft vorkämen, so gut wie gar keinen Schaden, und wenn Rehe massenhaft vorkämen, so sei das ein sehr begehrens⸗ werther Jagdbezirk.

Abg. Freiherr von Wackerbarth bittet, den Antrag von Huene anzunehmen und den Antrag Conrad abzulehnen, weil dieser die Ver⸗ nichtung der im 5. 1 genannten Wildarten herbeiführen wolle. Die konservative Partei habe dieseimn Gesetz Konzessionen gemacht, zu denen sie sich nict wieder versteben würde, wenn das Gesetz dies Mal nicht zu Stande kommen sollte.

Abg. Dr. Langerhans erklärt den Antrag von Huene für lange nicht weitgehend genug, zumal die Oberförster in solchen Fällen den Unterförstern den Abschuß in einer solchen Weise vorschreiben würden, daß sie wohl merkten, daß sie mit einem irgendwie ausgiebigen Ab⸗ schuß das Mißfallen der Oberförster erregen würden. Redner befür— wortet die Annahme des Antrages Conrad.

Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden:

Wie ich mich erhoben hatte, um dem Hrn. Abg. Dr. Langerhans zu antworten, erhielt gerade der Hr. Abg. Bohtz das Wort, so daß ich dem Hrn. Abg. Dr Langerhans nicht sofort antworten konnte.

Der Abg. Dr. Langerhans bat bei Würdigung des An— trages von Huene, betreffend Aufhebung der Schonzeit für Roth⸗ und Damwild, behauptet, daß Köaigliche Oberförster die ihnen zu Theil gewordene Anordnung, dem Schwarzwild nach⸗— zustellen, nicht ausgeführt hätten, daß sie den ihnen untergebenen Förstern in einer nicht mißzuverstehenden Art und Weise den Auftrag ertheilten, ein oder zwei Stück Schwar wild abzuschießen, so daß keiner der Förster darüber zweifel⸗ haft sein könnte, daß er, wenn er mehr Schwarzwild abschösse, sich das Mißfallen des Oberförsters zuziehe. Deshalb wurde den von der Centralstelle ertheilten Aufforderungen nicht Folge geleistet. Mir ist ein derartiger Fall nicht bekannt. Derartige Beschwerden sind zwar an die Centralstelle gekommen, sie sind geprüft worden, und, soweit ich aus meiner Thätigkeit übersehen kann, als nicht begründet befunden. Wenn dem Hrn. Abg. Langerhans derartige Fälle bekannt sind, so stelle ich anheim, sie zu meiner Kenntniß zu bringen.

Ich bin darüber nicht zweifelhaft, daß, wenn man bei den viel fachen Beschwerden über Wildschäden überhaupt noch Hochwild in unseren Wäldern erhalten will und nicht den Zustand der Grabesruhe in denselben anstrebt, daß man dann gleichzeitig Schwarzwild und Rothwild nicht erhalten kann.

Diese Ueberzeugung hat wobl bereits früher bestanden und mit zu den auf die Verminderung und Ausrottung des Schwarzwildes hinzielenden Anordnungen Veranlassung gegeben; ich bin voll gewillt, diese Anordnung bezüglich der Vertilgung des Schwarzwildes, auch wenn das Gesetz nicht perfekt werden sollte, zur Durchführung zu bringen. Ich muß aber hervorheben, daß, wenigstens soweit ich übersehen kann, namentlich im Westen, wo die stärksten Klagen über Schwarzwildschäden hervortreten, die Forst⸗ beamten mit der größten Energie und auch mit Erfolg dem Schwarz- wild nachgestellt haben. Aber das Schwarzwild ist nicht immer zu bekommen. Sollte mir jedoch ein Fall nachgewiesen werden, daß ein Ober⸗ förster in unzulässiger Weise auf Schonung des Schwarzwildes bedacht ist, und ich zu der Ueberzeugung komme, daß ein Oberförster in dieser Art bestehenden Anordnungen entgegenhandelt, dann werde ich annehmen, daß der betreffende Beamte nicht an der richtigen Stelle ist.

Abg. Dr Langerhank nimmt die von ihm Betreffs der Ober⸗ förster gemachte Aeußerung zurück.

Minister fur Landwirthschaft ꝛc. von Heyden:

Ich nehme mit Dank davon Akt, daß der Hr. Abg. Dr. Langer⸗ hans soeben den gegen die Forstbeamten erhobenen Vorwurf wie ich ihn verstanden habe zurückgenommen hat. Wenn er eben auch nur von der Möglichkeit gesprochen bat, daß von den Forstbeamten so verfahren würde, wie er es dargestellt hat, so meine ich doch, daß eben in der Art und Weise, wie diese Möglichkeit vorgetragen wurde, der Vorwurf enthalten war, welchen ich geglaubt habe, zurückweisen zu müssen.

Unter Ablehnung des Antrages Conrad wird der Antrag von Huene angenommen.

Um 41 Uhr vertagt das Haus die fernere Berathung.

Statistik und Volkswirthschaft.

Getreideeinfubr nach Danzig.

Wie die ‚Danz. Allg. Ztg. mittheilt, sind in den letzten Tagen wieder 33 Waggons Roggen. 35 Waggons Weizen, 38. Waggons Kleie und 9 Waggons Rübsen von Rußland in Danzig eingetroffen. Ferner ist der Dampfer Hebe“ ebenfalls mit 270 t Getreide von St. Peters⸗ burg daselbst angekommen. zwei weitere größere Schiffe sollen ebenfalls mit Getreideladung den Danziger Hafen erreicht haben, während, wie bereits wiederholt betont, mehrere tausend Tonnen Getreide nach Danzig unterwegs, bezw. gehandelt sind.

; Zur Sachsengängerei. 316

Wie aus dem Regierungsbezir Gum binnen geschrieben wird, ist in dem Fortzuge der Arbeiter nach dem Westen ein Stillstand noch immer nicht eingetreten; zablreich ind die Klagen über Vertrags. bruch Seitens der Arbeiter. Von der Erlaubniß, landwirtbschaftliche Arbeiter aus Rußland annehmen zu dürfen, hat bisher nur in sebr besgränktem Umfange Gebrauch gemacht werden können, da die russischen Grenzbehörden den Uebertritt, dortiger Arbeiter vielfach zu verhindern fuchen. Im Uebrigen ist die wirthschaftliche Lage der Arbeiter durchaus guͤnstig.

Zur Arbeiterbewegung. Während Deutschland gegenwärtig von größeren Arbeiterausständen völlig frei ist und auch für die nächste Zukunft keine bemerkenswerthen Bewegungen in Aussicht

stehen, scheinen sich im Auslande und namentlich in Frank— reich umfangreiche Bewegungen vorzubereiten.

In Folge des nachsichtigen Auftretens der Regierung bei dem Autstand der Angestellten der Omnibusgesellschaft hat sich, so schreibt man der . Köln. Ztg. aus Paris, ein ziemlich böser Geist aller Arbeiter bemächtigt. ‚Selbst die Briefträger wollen jetzt ein Syndikat bilden, um die Regierung zu einer Verbesserung ihrer Lage zu zwingen. Das wird ihnen aber schlecht bekommen, da die Postbeamten als Staatsdiener betrachtet und deshalb dann von den Artikeln des Strafgesetzbuchs betroffen werden, welches die „Koalition! von Staatsdienern sehr streng ahndet. Die Forderungen, welche die Briefträger an die Ober Postverwal⸗ tung stellen wollen, sind folgende: Abschaffung der Trink— gelder am Neujahrstage, da diese eine Verletzung des Gesetzes gegen die Bettelei seien; Echöhung der Gehälter; Abschaffung der achten Vertheilung von Briefen an Sonn und Festtagen; Wiederherstellung der jährlichen Prämie von dreißig Franken für das Auswechseln des Kupfer⸗ geldes. Die Briefträger müssen nämlich ihre Einnahme in Silber oder Gold abliefern; da sie aber meistens Kupfergeld erbalten, so be— willigte man ihnen früher dreißig Franken für das Jahr, um sie für das Einwechseln des Kupfers gegen Silber zu entschädigen. Die Beschwerden dar Pariser Briefträger werden aber schwerlich von der Regierung berücksichtigt, zumal das Auftreten derselben, wie schon bemerkt, für gesetzwidrig gilt. Die Commis der Spezerei⸗ händler wollen jetzt auch ein Syndikat bilden. Ihr Hauptziel ist die Beschränkung der Arbeitszeit im Sommer auf dreizehn Stunden, von 7 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abends, und im Winter auf zwölf Stunden, von 8 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abends. Außerdem verlangen sie, daß die Läden an Sonn⸗ und Feiertagen, mit Ausnahme von Weihnachten und Neujahr wo die Spezereihändler die ganze Nacht offen lassen, um 1 Uhr Nachmittags geschlossen werden. Unter dem Personal der Gesellschaft, welche die Dampfschiffahrt im Innern von Paris auf der Seine versiebt, berrscht gleichfalls eine gewisse Er— regung. Zum Ausstand wird es aber schwerlich kommen, da die Gesellschaft ibre Leute sehr gut bezahlt und daher die Versuche einiger entlassenen Angestellten, ihre ebemaligen Kollegen zum Ausstand zu bestimmen, ohne Erfolg bleiben werden. Der Voss. Ztg.“ wird aus Paris vom gestrigen Tage telegraphirt: In Lyon ruht wegen des Ausst andes der Bediensteten seit gestern der Qmnibusverkebr. In zahlreichen anderen Gewerben werden im Zusammenbang mit der Gründung der Berufsgenossenschaften Ausstände vorbereitet. Die Unternehmer beginnen an Widerstand zu denken. Für den gestrigen Tag war eine Versammlung der Pariser Schuhfabrikanten einberufen, welcher der Antrag vorgelegt werden soll, eine Million einjuschießen, um den Kampf gegen neue Forderungen und Verrufserklärungen der Arbeiter aufzunehmen. Allen diesen Nachrichten steht die Meldung gegenüber, daß der angedrohte Bäckerstrike ebenso⸗ wenig zur Ausführung kommen werde, wie der Strike der Eisenbahn-Angestellten. In beiden Fällen, berichtet man der „Madb. Ztg.“, führten Lärmmacher das Wort, und suchten die ruhigeren Leute mit fortzureißen; aber es gelang ihnen nur, eine An— zahl Gleichgesinnter für ihre Idee zu gewinnen, während die Mehrheit unverdrossen bei der Arbeit blieb, ohne sich an die Herausforderungen zu kehren. Was die Bäcker betrifft, so zählt Paris deren acht⸗ bis zehntausend, wovon jetzt etwa ein Viertel unbeschäßfligt ist. Höchst wahr scheinlich gebörten Diejenigen, die dem Meeting auf der Arbeitsbörse bei⸗ wohnten und den Ausstand beschlossen, der letzteren Kategorie an; aber für die übrigen war der Beschluß nicht bindend und man er— wartete von einer Versammlung der Vorstände der Syndikate (die gestern stattfinden sollte) die Aufbebung des ersten Beschlusses. Ferner hielt am 13. d. M., wie die „Köln. Ztg.‘ aus Paris berichtet, der seit Anfang voriger Woche in Paris tagende Kongreß der katbolischen Gesellenvereine seine Schlußsitzung ab. Der Deputirte Graf de Mun, einer der Gründer der katholischen Gesellenvereine, hielt die Hauptrede, die insofern Interesse hat, als er darin den großen Erfolg dieses Beginnens feststellt. Er stützte sich auf die letzte Eneyklika des Papstes und forderte die Kaiboliken auf, mit aller Kraft die arbeitenden Klassen durch weit gebende Zugeständnisse der katholischen Kirche wiederzugewinnen. In einer späteren Rede forderte der Abgeordnete die Arbeitgeber und Arbeitnebmer auf, Syndikate aus Gesellen und Meistern zu bilden, um sich über ibre gemeinsamen Interessen zu verständigen.

In Belgien ist der Ausstand im Becken von Charleroi noch immer nicht beendigt. Der „Voss. Ztg.“ schreibt man von dort:

20000 Bergleute feiern und darben mit ihren Familien seit 45 Tagen. Alle Zechen feiern und erleiden schwere Verluste, und beide Parteien beharren auf gesetzlichem Boden bei ibrem Widerstand. Alle Versuche, die Arbeiter mürbe ju machen, sind gescheitert. Die Zechenbesitzer baden nunmehr kundgethan, daß sie alle Arbeiter, welche am I5. d. M. die Arbeit nicht wieder aufnehmen, als endgültig entlassen an⸗ sehen. Einige liberale Deputirte des Beckens von Charleroi suchen jetzt eine Verständigung anzubahnen; die Arbeiterführer wollen sich sogar ibrem Schiedsspruche fügen. Ob diese Versuche mehr Erfolg baben werden, als die bisberigen, wird sich erst in der kommenden Woche jeigen. Die staatlichen Behörden enthalten sich jeder Ein⸗ mischung, da die Zechen wiederholte Mahnungen des Gouverneurs nicht beachtet haben ;

Ueber die Versammlung von Arbeiterinnen, welche am Sonntag im Hyde-Park zu London stattfand, berichtet die „Allg. Corr.“

Die MassenVersammlung der Wäscherinnen Londons fand vrogrammäßig statt und nahm einen böchst eindrucksvollen Verlauf. Eine Anzabl von Londoner Gewerkschaftsvereinen hatte beschlossen, die Bewegung nach Kräften zu unterstützen, und betheiligte sich somit an der Prozession, die gegen 2 Uhr ibren Einzug in Hyde⸗Park hielt. Die Neubeit des Schauspiels lockte viele Zuschauer heran, denen der Aufmarsch der meist in Kattun gekleideten Wäscherinnen vielen Stoff zur Erheiterung bot. Von den fünf Haupt plattformen aus bielten die bekannten Arbeiterführer, unter denen die Leiter der Deckstrikes, John Burns, B. Tillet und Tom Mann selbst—⸗ berständlich nicht fehlten, Ansprachen, in denen unter Anderem wiederum die Einführung des achistündigen Arbeitstages verlangt wurde. Schließlich wurde eine Resolution angenommen, in der man die Forderungen der Wäscherinnen (Cinbegreifung in das Fabrikgesetz, Erhöhung des Lobnes) unterstützte. Die Sozia— listen batten sich ebenfalls an dem Meeting betheiligt. Louise Michel redete ihre Anhänger auf französisch an und führte aus, daß die Arbeiter nicht mehr hinter Barrikaden zur Erlangung ihrer An— sprüche zu fechten und sich den Kugeln der Karitalisten aus zusetzen brauchten. Sie hätten jetzt eine andere Waffe den Strike. Während, der Versammlung verlautete, daß die Aagestellten der Pferdebabn · Sesellschaft ihre Arbeit niederzulegen beabsichtigten. Was die Ausstände in Deutschland anbetrifft, so ist einer Mittheilung der „Magdb. Ztg.“ aus Bremerhaven vom 14. d. M. Erwähnung zu thun. Nach derselben ist in dem Ausstande der Heizer und Kohlenzieher des Nord— deutschen Lloyd eine Aenderung zum Besseren eingetreten. Die Ausständigen sind durch Vorstellungen Seitens des ham— burgischen Vereins der Heizer und Trimmer bewogen worden, ihre Lohnforderungen auf die in Hamburg üblichen Sätze herabzusetzen, wodurch der Weg zu einer Einigung ge⸗— geben ist. Dann sährt das Blatt fort:

Im Ukebrigen hat der Lloyd Vorkehrungen getroffen, daß sich die lärmenden Kundgebungen von neulich nicht wiederholen. Er hat den Dampfer „Amerika‘ auf den Strem gelegt mit der ausgesprochenen Bestimmung, als Sammelschiff zu dienen für Diejenigen, welche von auswärts als Ersatz für die ausständischen Heizer berangezogen werden. Die in Bremen ankommenden Arbeiter werden jetzt mit einem Passa⸗ gierdampfec direkt nach der „Amerika“ gebracht, wo sie so lange freie Unterkunft und Verpflegung finden, bis sie verwendet werden können.

In Mannheim hat, wie der „Köln. Ztg.“ telegraphirt wird, gestern die Mehrzahl der ausständigen Getreide— arbeiter die Arbeit bedingungslos aufgenommen.

Aus Dudweiler berichtet die Dudw. Ztg.“, es sei die Bildung eines christlich⸗sozialen Bergarbeitervereins für das ganze Saarkohlengebiet geplant. Die Orga— nisation des Vereins wird folgendermaßen in Aussicht ge⸗ nommen:

Jede der elf Inspektionen erhält einen Vorsitzenden, einen Schriftführer und einen Kassirer, diese bilden gemeinsam das Bureau. Außer diesen elf Bureaux wird noch ein Central Bureau zur Rege⸗ lung der durch die Lokal⸗Bureaux an dieses gelangenden Sachen gewählt. Dieses Central Bureau soll in die Mitte des Saar⸗ Reviers gelegt werden. Dudweiler ist hierfür in Aussicht ge⸗ nommen. Der Verein soll die Regelung der zwischen den Berg⸗ leuten und Grubenbebörden entstandenen Streitigkeiten auf gütlichem Wege bezwecken, auf ein einträchtigeres Leben und Wirken zwischen Beamten und Bergleuten hinarbeiten, in der Hauptsache sich aber auch die Pflege des Patriotismus, der Liebe zu Kaiser und Reich und des christlichen Familienlebens angelegen sein lassen. Beitritts erklärungen sind in großer Menge in Aussicht gestellt.

Aus Dir schau wird der ‚Brb. Ztg.“ gemeldet: Der Arbeits⸗ zug, der die zum Brückenbau erforderliche Erde hierber befördert, kam leer hier an, weil die dortigen Arbeiter plötzlich höheren Lohn verlangt und, da derselbe ihnen verweigert wurde, die Arbeit ein⸗ gestellt hatten.

Hier in Berlin faßte der ‚Voss. Ztg.“ zufolge eine öffentliche Generalversammlung der Maurer Berlins und Um⸗ gegend am Sonntag den Beschluß: „Hauptsächlich da, wo die Lohnverhältnisse am Schlechtesten sind, an die Unternehmer heranzutreten und die alte Forderung von 60 Stunden lohn wieder aufzunehmen, die Sammlungen zum Kriegs⸗ fonds, d. h. zum Generalfonds der Berliner Maurer, überall und mit größter Energie wieder vorzunehmen und zum nächsten Sonntag wieder eine öffentliche Generalversammlung zu berufen, in welcher über Mittel und Wege zur Abhülfe der Lohndrückerei be— rathen werden soll.

Dänemarks Handelsflotte 1891.

Am 1. Januar 1891 bestand die dänische Handelsflotte ein schließlich der auf den Faröern, in Island und den westindischen Be— sitzungen Dänemarks beheimatheten Schiffe, die unter dänischer Flagge segeln aus 3497 Schiffen mit einer Netto⸗Tragfähigkeit von 301 307,5 Reg. Tons. Dieselben setzten sich wie folgt zusammen:

. Zahl. der Netto · Tragfähigkeit Segelschiffe: Schiffe (Reg. - Tons) von 4-50 Reg. Tons 2296 38 671,5 nber 565. 57 145 758 Dampfschiffe: von 4-50 Reg. Tons 104 2009 uber 50 226 110 879

Die Durchschnitts ⸗Tragfähigkeit betrug bei den kleineren Schiffen von 4 bis 50 Reg.⸗-Tons 16,8 Reg. Tons für Segelschiffe und 19, für Dampfer, bei den größeren Schiffen von über 50 Reg-Tons 171,9 Reg. Tons für Segler und 490,5 für Dampfschiffe. Sämmt⸗ liche Dampfschiffe hatten nominell 27 227 Pferdekräfte.

Land⸗ und Forstwirthschaft.

Die Anwendung Koch'scher Lymphe bei Rindvieb.

In der zweiten Sitzung des Landwirthschaftsraths von Elsaß⸗ Lothringen erstattete Landes ⸗Thierarzt Imlin einen längeren Bericht über die Anwendung von Koch'scher Lymphe bei Rindvieh. Es sind in den letzten Tagen in Mannheim ausgedehnte und gründ⸗ liche Versuche gemacht worden. So wurden am 9. Juni dreiundzwanzig zum Schlachten bestimmte anscheinend voll— kommen gesunde Stück Rindvieh einer Einspritzung mit der Lymphe unterzogen. Drei Stück reagirten hierauf in der bekannten Weise unter Fiebererscheinungen u. s. w. Bei der am andern Tage vor⸗ genommenen Schlachtung und Untersuchung ergab sich, daß diese drei Stück in der That tuberkulös, die übrigen zwanzig aber ganz gesund waren. J.

Ernteaussichten in Frankreich.

Nach einer Enquete des französischen Müllerverbandes wird laut Meldung des W. T. B.“ das diesjährige Ergebniß der Getreide ernte in Frankreich auf 83 Millionen Hektoliter geschätzt, d. i. 31 0 weniger als im Vorjabre. Der Import dürfte über 40 Millionen Hektoliter betragen. Vorausgesetzt, daß die Witterung die Ernte nicht weiter ungünstig beeinflaßt, würde der Import bei dem Durchschnitts—⸗ preise von 22 Fr. per Hektoliter 925 Millionen erfordern.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ Maßregeln.

Der Gesundheitsstand in Berlin blieb in der Woche vom 31. Mai bis 6. Juni ein günstiger und die Sterblichkeit eine für Berlin selten niedrige (von je 1000 Einwohner starben aufs Jahr berechnet 15,2). Insbesondere kamen akute Entzündungen der Athmungsorgane in erheblich selteneren Fällen zum Vorschein und endeten auch meist mit günstigem Verlaufe. Dagegen zeigten sich akute Darmkrankheiten zwar etwas häufiger, jedoch, zumeist wohl in Folge der kühleren Witterung, erheblich seltener als sonst um diese Jahreszeit und führten auch nur in verhältnißmäßig geringer Zahl, besonders unter den Säuglingen, zum Tode, so daß die Theilnahme des Säuglingsalters an der Sterblichkeit eine kleinere als in der Vor⸗ woche blieb und von je 10000 Lebenden, aufs Jahr berechnet, 56 Säuglinge starben. Das Vorkommen der Infektionskrankheiten blieb gleichfalls meist ein beschränktes Erkrankungen an Unterleibstvphus waren selten; Erkrankungen an Scharlach wurden weniger, an Masern und Diphtberie etwas mehr als in der Vorwoche zur An— zeige gebracht, und zeigten sich letztere in der jenseitigen Luisenstadt und im Stralauer Viertel am bäufigsten. An Kindbettfieber kamen 4 Erkran⸗ kungen zur Anzeige. Rosenartige Entzündungen des Zellgewebes der Haut gelangten selten zur ärztlichen Behandlung. Erkrankungen an Keuch— busten haben abgenommen auch war der Verlauf ein milder. Rheumatische Beschwerden aller Art zeigten in ihrem Vorkommen im Vergleich zur vorangegangenen Woche keine wesentliche Ver⸗ änderung.

St. Petersburg, 16. Juni. Nach einer Meldung des .W. T. B. aus Kron stadt sind gegen 150 Mann von der Be satzung der Fregatte ‚Minin“ an der Influenza erkrankt. Man glaubt, daß die Krankbeit aus Stockholm, welchen Hafen die Fregatte vor ihrer Rückkehr nach Kronstadt angelaufen war, verschleppt wurde.

Handel und Gewerbe.

Tägliche Wagengestellung für Koblen und Koks ł an der Ruhr und in Oberschlesien. An der Kuhr sind am 15. d. M. gestellt 10 580, nicht rechtzeitig gestellt keine Wagen.

Su bbastgtions⸗Resultate.

Beim Königlichen Amtsgericht 1 Berlin standen am 153. Juni 1891 die nachverzeichneten Grundstücke zur Versteigerung: Markgrafenstraße 64a und an der Ecke der Krausenstraße 25, dem Architekten Conrad Friedrich Adolf Schumann hierselbi gebörig. Das geringste Gebot wurde auf 1210 festgesetzt. Ersteber wurde Kaufmann Ed. Troplowitz, Jägerstraße 26, für das Meist— gebot von 660 000 é Kieler straße 23, dem Maurermeister Otto Teltz gebörig. Das geringste Gebot wurde auf 115 000 fest⸗ gesetzt. Ersteberin wurde die Fr. Wittwe 8. Wedell hierselbst für das Meistgebot ron 121 800 Æ. Havelbergerstraße 3, dem Frl. Martha Murrmann hierselbst gehörig und mit 9200 6