Vize⸗Präsident des Staats-Ministeriums, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher:
Ich möchte den Herrn Vorredner nur darüber berubigen, daß die Verhandlungen über die Materie noch mehrere Jahre in Anspruch nebmen könnten. Dies fürchte ich nicht, und ich habe auch Nichts dagegen, wenn sein Antrag angenommen wird; nur moͤchte ich dabei von der Voraussetzung ausgeben, daß die Annahme dieses Antrages keine gebundene Marschreute für die Regierung sein soll (Heiterkeit), und ich bin in dieser Annabme bestärkt durch die Ausführungen des Vorredners, der ja den Kreis möglichst ausgedehnt wissen will (Zu⸗ stimmung des Herrn von Worrsch).
Darauf wird der Antrag des Herrn von Woyrsch in der vom Berichterstatter beantragten Fassung angenommen.
Es folgt die einmalige Schlußberathung des Gesetz⸗ entwurfs über die zeitliche Begrenzung der gesetz— lichen Vorausleistungen zu den Kosten der Unter⸗ haltung oder des Neubaues öffentlicher Wege und die Verjäͤhrungsfristen bei diesen Leistun gen.
Der Berichterstatter, Wirkliche Geheime Rath Persius beantragt: .
Das Herrenbaus wolle beschließen:
dem vorzenannten Gesetzentwurfe mit Ausnahme des §. 1 in der vom Hause der Abgeordneten beschlossenen Fassung unverändert, dem §. I dagegen in der aus der nachfolgenden Gegenüberstellung ersichtlichen Fassung die verfassungsmäßige Zustimmung zu ertheilen.
§. 1 soll lauten:
Die gesetzlichen Vorausleistungen zu den Kosten der Unter— haltung oder des Neubaues eines Weges, welcher in Folge der An—⸗ legung von Fabriken, Bergwerken, Steinbrüchen, Fee fein oder ähnlichen Unternehmungen vorübergehend oder durch deren Betrieb dauernd in erheblichem Maße abgenutzt wird, dürfen nur vom Beginn desjenigen Kalenderjabres ab in Anspruch genommen werden, welches dem Jahre, worin die Klage erhoben wird, unmittelbar vorausgeht. Auf rückständig gebliebene oder kreditirte Vorausleistungen finden die Bestimmungen des §. 8 des Gesetzes über die Verjährungsfristen bei öffentlichen Abgaben vom 18. Juni 1840 (Gesetz⸗Samml. für 1340 S. 140 ff) Anwendung.
Regierungskommissar. Gebeimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Freiherr von Zedlitz erklärt, daß die Regierung prinzipielle Bedenken gegen diese Aenderung nicht bege. Was den von dem anderen Hause dem Gesetze eingefügten 8. 3 anbelange, so stimme die Regierung demselben zu, da der selbe nichts Anderes bedeuten solle, als daß man mit Rück⸗ sicht auf die bekannten Entscheidungen des Ober⸗Verwaltungsgerichts ,, Nachweis der Koftenlast des Einzelnen ausschließen wolle.
Der Gesetzentwurf wird mit der vom Referenten be—⸗ antragten Aenderung angenommen. .
Das Haus spricht darauf die Entlastung aus für die allgemeine Rechnung für 1887.88 und für die Uebersicht der Einnahmen und Ausgaben für 1889,90, für letztere unter Vorbehalt der endgültigen Rechnungslegung.
Es folgt die einmalige und Schlußberathung des Gesetz⸗ entwurfs, betreffend die Beförderung der Errich⸗ tung von Rentengütern.
Berichterstatter Herr von Wiedebach: Die Vorlage sei eine nothwendige Ergänzung des Rentengütergesetzes vom vorigen Jabre. Das vorjährige Gesetz würde den Zweck der Erleichterung der An— siedelung nicht erreichen, wenn nicht durch diese Vorlage Kredit geschaffen werde durch Vermittelung der Rentenbanken. Dadurch solle die Bildung von Rentengütern besonders im Osten und die Herstellung mittleren und kleineren Besitzes erleichtert werden, und zwar unter Mitwirkung der Generalkommissionen, welche die Be— fugniß haben sollten, nicht allein die Vermittelung von Renten— autsgeschäften, sondern auch die Ausführung derselben zu übernehmen. Darin liege der Kernpunkt des ganzen Gesetzes, und er habe zu dem Finanz⸗Minister und dem Landwirthschafts⸗Minister volles Vertrauen, daß die Ausfübrungsbestimmungen, welche sie an die General kommissionen erlafsen müßten, diesem Gesetz zum Segen ge— reichen würden. Prinzivielle Bedenken gegen das Gesetz seien im anderen Hause nicht erhoben worden. Die Bedenken gegen die Un⸗ ablösbarkeit der Rente und gegen das Risiko des Staates seien in so schlagender Weise widerlegt worden, daß er nicht mehr darauf eingehe. Das Gesetz, welches eine Verminderung der großen Lati⸗ fundien und eine Vermehrung des kleineren Besitzes herbeifübren werde, sei für den Freisinn nur deshalb unannebmbar, weil, wie der Abg Rickert gesagt habe, dieses Geseßz recht eigentlich eine Schöpfung des Herrenbauses und der jetzigen Majorität des Abgeordnetenbauses sei Er meine, daß eine solche Schöpfung dem Lande zum Segen gereiche und durch dasselbe dem Lande nützliche Einwohner erhalten blieben, die sonst zur Auswanderung würden gedrängt werden. Er hoffe, daß diese Gesetzgebung roch nicht abgeschlossen sei, und die Regierung an sie berantretenden Wünschen ein günstizes Ohr leihen werde. Im Uebrigen danke er der Regierung, daß sie der vor— jährigen Resolution dieses Hauses so schnell Folge gegeben babe. Graf von Mirbach: Für die Bildung von Rentengütern würden in einzelnen Fällen Schwierigkeiten entstehen bei solchen Großgrund- besitzern, welche in einer finanziell nicht sehr günstigen Lage seien. Es komme da bäufig vor, daß die Kündigung der ganzen eirgetra— genen Hypothek stipulirt werde, wenn auch nur ein Btuchtheil des Gutes seinen Besitzer wechsele. Er wisse nicht, ob die Gesetz gebung Kautelen enthalte, daß durch einen solchen Verttag nicht die Wirkung der Vorlage beeinträchtigt werde. Er bitte den Finanz Minister, dem Ministerium die Frage vorzulegen, ob nicht eventuell in diesem Sinne eine gesetzliche Bestimmung zu treffen sei, daß solche Verträge bezüglich der Kündigung einer ganzen Hypothek wirkungslos seien. Er glaube übrigens nicht, daß die Vorlage unter allen Um⸗ staͤnden eine Zerschlagung des größeren Grundbesitzes berbeifübren werde. Er könne sich wohl denken, daß Jemand an einer Stelle Grundbesitz veräußere, aber an der anderen Grundbesitz erwerben wolle. Die Bildung von Rentengütern werde nur da von Vortheil sein, wo das Intereffe des Erwerbers und Verkaufers zufammenliefen. Tas materielle Interesse sei immer der wirksamste Hebel in dieser Beziehung.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Meine Herren! Eine äbnliche Frage, wie sie Herr Graf von Mirbach anregt, die allerdings für die Wicksamkeit dieses Gesetz es von großer Bedeutung ist, wurde bereits hier im Derrenbause auf⸗ geworfen und diskutirt bei der Berathung des Rentengütergeseßes vom 27. Juni v. J, und es wurde, ich glaube auf Antrag des Herrn von Kleist⸗ Retzow, gerade der letzte Absatz des 51 dieses Gesetzes be⸗ scklossen, und demgemäß auch dahin der Gesetzentwurf formulirt. Da heißt es im letzten Absatz des 51:
Auf die Veräußerung zum Zwecke der Bildung von Renten gütern finden die gesetzlichen Bestimmungen über den erleichterten Abyerkauf von Grundstücken Anwendung mit der Maßgabe, daß das Unschädlichkeitsattest auch bei der Abveräußerung größerer Trennstäcke ertbeilt werden kann, wenn die Sicherheit der Realberechtigten da⸗ durch nicht vermindert wird.“
Nun wird doch wohl in der Regel, wenn an Stelle des ab— getrennten Stückes bei der Bildung von kleineren und mittleren Rentengütern entweder unablösbare Renten, oder aber Rentenbriefe treten und letztere zur Deponirung gelangen, damit eine genügende Unterlage zur Ertheilung des Unschädlichkeitsattestes gegeben fein, weil man in der Regel wird annehmen können, daß diese Werthe
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dem Bert des Trennstücks in vollem Maße äquivaliren. Was nun aber die Wirkung sein würde in einem solchen Fall auf Privatverträge, die der Besitzer mit Hypothekengläubigern gemacht hat, das ist allerdings schwer zu sagen. Bei der Landschaft ist ja die Kündigung ausgeschlossen, aber bei Privatbypothekengläubigern, die etwa nech binter den Hypotheken der Landschaft kommt, würde allerdings durch diesen Paragraphen nach meiner Meinung, die ich vorläufig ausspreche, die vertragsmäßige Stipulation nicht alterirt werden. Man wird die Erfahrung abwarten müssen, in welchem Maße derartige Verträge mit Privathypothekengläubigern überhaupt bestehen, und ob sie ein wesentliches Hinderniß für die Erreichung des Ziel es bilden, welches dieser Gesetzentwurf sich stellt, und danach später in die Erwägung der Frage eintreten können, ob man hier irgendwie durch die Gesetzgebung Abhilfe schaffen kann. Leicht wird es allerdings nicht sein; denn es wird immer großes Bedenken haben, durch die Gesetzgebung in solche private Verabredungen einzugreifen.
Meine Herren, ich habe im Uebrigen zu dem Referat des ver⸗ ehrten Herrn Referenten, der die Sache ja sehr klar und erschöpfend dargestellt hat, nichts binzuzufügen. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß durch dieses Gesetz einem thatsächlich vorhandenen weitverbreiteten wirthschaftlichen und sozialen Bedürfniß nicht bloß in den östlichen, sondern zum Theil auch in den westlichen Provinzen, nach Vermehrung und Befestigung der kleineren und mittleren ländlichen Besitzungen eine sehr wesentliche Förderung erwachsen wird. Darüber ift auch bei Berathung des Rentengütergesetzes hier im Herrenhaus kaum ein Zweifel gewesen, daß abgesehen von dem Fall der Bildung von Rentengütern durch den Staat, vielleicht auch durch große Kommunen und Stiftungen, eine wesentliche Wirkung desselben für die Bildung von Rentengütern durch Private nicht erwartet werden konnte, (sehr richtig!) und daß daher die Vermittelung des Staates dabei eingerichtet werden müßte, um diejenigen Kapitalien, die bei solchen Bildungen von Rentengütern zu beschaffen sind, im Interesse des Renten gutsgründers und des Rentesgutsempfängers zu beschaffen. Daß die bewährte Form der Rentenbriefe und der Mitwirkung der Rentenbanken hier sich von vornherein naturgemäß empfahl, das bedarf kaum einer weiteren Beweisführung. Die Befürchtungen, die man etwa hegen könnte in Beziehung auf die Sicherheit des Staates bei dieser ganzen finanziellen Operation, sind durch eine Reihe von mir ausführlich in der Kommission des Abgeordnetenbauses und im Plenum dargelegten Kautelen so sehr abgeschwächt, daß ich meine, es bleibt im Ganzen bei einer verständigen Handhabung des Gesetzes eine irgend wesentliche Gefahr für die Staatsfinanzen nicht über. Antzerdem wird diese ganze Entwicklung nur eine allmählich fort— schreitende sein, und man kann daher, wenn nöthig, diejenigen Erfahrungen, die man im Fortgange der Entwickelung macht, sich zu nutze machen, um noch weitere etwa nothwendige Kautelen für die Staatsfinanzen hier eintreten zulassen. Ich gehe aber selbst als Finanz⸗Minister soweit, zu sagen, daß die soziale Aufgabe, die wir uns hier stellen, von so großer Bedeutung ist, daß der Staat es auch wobl verantworten kann, ein gewisses finanzielles Risiko zu übernehmen. (Bravo
Was aus diesem Gesetze wird, meine Herren, das wird von zwei Um⸗ ständen abhängen: einmal von der Richtigkeit der Behauptung, daß hier ein wirthschaftliches und soziales Bedürfniß vorhanden ist und sich noch mehr erweitern wird. Ich habe dies selbst früher als Mitglied des Herren—⸗ hauses oft genug begründet und komme darauf nicht zurück. Sodann aber wird das Schwergewicht der Frage, ob und welcher Erfolg ein treten wird, in der Art der Durchführung des Gesetzes durch die Behörden liegen. Die Seneralkommissionen sind zweifellos diejenigen Behörden, die uns von vorn berein gegeben waren, die in diesen Sachen besonders bewandert sind. Ihre Aufgabe wird allerdings eine andere und von derjenigen verschieden sein, der sie bisher gedient haben, und die Generalkommissionen werden bier nicht bloß diejenigen Geschäfte zu erledigen haben, die an sie herantreten werden, sondern sie müssen sich durchdringen lassen davon, daß sie ihrerseits eine große staatliche Aufgabe zu erfüllen haben, wobei sie auch fördernd und im Wege eigener Initiative einzutreten baben. Daher ist in dem Gesetz die Vorsorge getroffen, daß die ge⸗ sammte Bildung des Rentengutes, die Vorbereitungen, die Durch— fübrung und schließlich Erledigung aller Formalitäten in der Hand der Generalkommissionen liegen sollen, wodurch Weiterungen, Kosten und Schwierigkeiten für die Betheiligten etspart werden.
Bei allen diesen Gesetzen kann man nicht momentane glänzende Erfolge erwarten, aber die Erfahrung in unserer preußischen Agrar— gesetzgebung bat doch bewiesen, wie ein konsequentes und planmäßiges Vorgeben mit der Zeit zu großen Erfolgen fübrt, und ich hoffe, daß das auch mit diesem Gesetz der Fall sein wird. (Lebhaftes Bravo!)
Graf von Mirbach: Die Antwort des Herrn Finanz- Ministers beweise, daß seine Bedenken ibre volle Berechtigung bätten. Es könne durch einen Privatvertrag die Abzweigung von Renten— gütern verhindert werden bei solchem Besitz, der Über die Landschaft binaus verschuldet sei, und das würden 28 0 des gesammten Grundbesitzes sein. Man sehe also, daß unsere Römische Kapitals⸗ schuld schon mit der Bildung des Rentenguts kollidirte. Daß an deren Stelle die Rentenschuld treten solle, sei vor mehreren Jahren schon gefordert worden. Er habe das Vertrauen zum Finanjz⸗ Minister, daß, was auf diesem Gebiete gemacht werden könne, durch seine Mitwirkung geschehen werde. Daß die Generalkommissionen die Initiative selbst ergreifen sollten, sei außerordentlich erfreulich; er weise die Regierung für die Begründung von Rentengütern auf die vielen ab— geboljsten Waldflächen in den östlichen Provinzen hin, diese würden ein sehr werthvolles und umfassendes Objekt für die Kolonisation bilden. Da die Besitzer, welche hätten abforsten müssen, sebr verschuldet seien, werde bierbei allerdings die von ihm geschil⸗ derte Schwierigkeit eintreten. Durch eine Umfraze bei den Gerichten werde leicht zu ermitteln sein, in welchen Privatverträgen eine solche Klausel vorhanden sei. Der Waldbesitz im Osten sei in anderthalb Dezennien von 20 auf 13 7 der Gesammtfläche zurückgegangen, daher würden sich diese devastirten Waldflächen besonders zur Kon stituirung von Rentengütern eignen.
Finanz⸗-Minister Dr. Miquel:
Meine Herren! Ob sich solche devastirten Waldflächen zur Bildung von Rentengütern eignen, wird von einer Reihe von Vor— bedingungen abbängen, von der Bodenbeschaffenbeit, Belegenheit, den Verkebrsverhältnissen u. s. w. Der Herr Minister für Landwirthschaft und ich werden es uns jedenfalls angelegen sein lassen, eine ausführ⸗ liche, thunlichst eingebende Instrüktion über die Durchführung dieses Gesetzes der General ⸗Kommission zuzustellen. Man wird sich aber dabei, glaube ich, sehr hüten müssen, allzupiel zu generalisiren (sehr richtig, denn die Frage, ob die Rentengutbildung mit Aussicht auf dauernden Besitz der Rentengüter durchführbar ist, wird eine wesentlich lokale sein.
Beispielsweise bört man sehr viel sagen, es müßten die bäuer lichen Stellen besonders guten Boden haben. Von anderer Seite
wird das, glaube ich, mit Recht bestritten; besonders schwerer Boden, der namentlich viel Meliorationen, Drainage u. s. w. erfordert, wird sich weniger eignen als Boden mittlerer Qualität, der ohne Weiteres in Kultur genommen werden kann. Das hat sich in denjenigen Landes⸗ theilen, wo freiwillig derartige Parzellirungen ftattgefunden baben, gezeigt, und es wird der alte Satz des amerikanischen National- ökonomen Carey hier bewahrheitet, daß bei Ansiedelungen nicht der beste Boden, sondern derjenige zuerst in Kultur genommen werde, der am Leichtesten in Kultur zu setzen ist.
Ob nicht gerade in solchen Previnzen, wo diese bedauerlichen Walddevastationen stattgefunden haben, von denen Hr. Graf Mirbach gesprochen hat und die allerdings in hohem Grade die Aufmerksam⸗ keit der Königlichen Staatsregierung verdienen, es erwünschter ist, solche Waldflächen mit staatlichen Mitteln wieder aufjuforsten, als sie in vielleicht weniger besonders gut geeigneter Weise in Rentengüter zu verwandeln, das wird wohl zu erwägen sein. Es ist sehr möglich, daß wir mit unserer ganzen Domanialverwaltung auch in finanzieller Beziehung eine ganz gute Operation machen würden, wenn wir in denjenigen Landestheilen, wo nach den gesammten wirth⸗ schaftlichen Verhäͤltnissen ein kulturelles Interesse gar nicht vorhanden ist, übermäßig viel Domanialbesitz zu haben, namentlich, wenn es sich nicht um Güter handelt, die als Musterwirthschaften dienen könnten — wenn wir da den Domanialbesitz vermindern und die daraus gewonnenen Mittel benutzen, um in großem Maße in solchen Provinzen Aufforstungen eintreten zu lassen, wo das ein dringendes Bedürfniß ist. Dieser Frage werden wir gewiß einmal in einer planmäßigen Weise näher treten müssen, und dann werden sich alle die Fragen, die hier angeregt sind, von selbst daran knüpfen. (Bravo)
Darauf gelangt das Gesetz einstimmig zur Annahme.
Schluß 31, Uhr.
Saus der Abgeordneten. 1065. Sitzung vom Dienstag, 16. Juni.
Der Sitzung wohnt der Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden bei.
Die Wegeordnung für die Provinz Sachsen gelangt in dritter Berathung zur Annahme.
Hierauf wird die Berathung des vom Herrenhause in abgeänderter Fassung zurückgelangten Entwurfs eines Wild⸗ schadengesetz es fortgesetzt, und zwar bei §. 142, dessen Einschaltung hinter 8. 14 von den Abgg. Freiherrn von Huene u. Gen. beantragt ist. —
Derselbe lautet:
Genügen diese Maßregeln nicht, so hat die Aufsichtsbebörde den Grundbesitzern und sonstigen Nutzungsberechtigten selbst nach Maßgabe der S§ 23 und 24 des Gesetzes vom 7. März 1850 GesetzSamml. S. 165) die Genehmigung zu ertbeilen, das auf ihre Grundstücke übertretende Roth und Damwild auf jede erlaubte Weise zu fangen, namentlich auch mit Anwendung des Schießgewehrs zu erlegen. ; .
Abg. Rintelen beantragt, hinzuzufügen:
Das von den Grundbesitzern oder Nutzungsberechtigten in . Genehmigung gefangene oder erlangte Wild verbleibt denselben.
Und ferner folgende Bestimmung (5. 14 aa) aufzunehmen:
Leistet ein Jagdberechtigter der an ihn ergangenen Aufforderung (S. 14) keine oder nicht genügende Folge, so haftet er den Grund⸗ besitzern und sonstigen Nutzungsberechtigten für den durch Wild der in der Aufforderung bezeichneten Gattungen ferner verursachten Schaden.
Abg. Rintelen: Wenn der Jagdberechtigte aufgefordert und angehalten werde, den Wildabschuß vorzunehmen, und darin nach⸗ lässig sei, so könne eine geraume Zeit vergehen, bis durch Zwangs maßregeln der Abschuß bewirkt sei. Für den in der Zwschenzeit entstehenden Schaden müsse der Betreffende haftbar gemacht werden. Nachdem der Regreß im Allgemeinen abgelebnt sei, bitte er, wenigstens einen Rückgriff auf Grund von Verschulden zuzulassen.
Abg. Freiherr von Wackerbarth: Der Antrag Rintelen ent halte einen Rückgriff auf den Jagdberechtigten, der juristisch unzweifel— haft konstruirbar sei, aber mit Rücksicht auf das Herrenhaus, das dem so normirten 5. 14a nicht zustimmen werde, und mit Räcksicht darauf, daß der Jagdberechtigte nicht Herr des Wildes sei und keine freie Verfügung darüber besitze, möchte er um Ablehnung des An— trages bitten. Konsequenter Weise müßte man auch den durch Flug wild, wie Reiber, Enten ꝛc. entstandenen Schaden von dem Besitzer der Standreviere und Seen fordern.
Der Antrag Rintelen wird abgelehnt, der 5. 14a an⸗ genommen. . .
Die Abgg. Freiherr von Huene und Genossen schlagen sodann folgenden 5§. 146 vor:
Schwarzwild darf nur in solchen Einfriedigungen gehegt werden, aus denen es nicht ausbrechen kann.
Außer dem Jagdberechtigten darf jeder Grundbesitzer oder Nutzungsberechtigte innerhalb seiner Grundstücke Schwarzwild auf jede erlaubte Art fangen, tödten und behalten. ; ze.
Die Aufsichtsbehörde kann die Benutzung von Schießwaffen für eine bestimmte Zeit gestatten. ;
Die Aufsichtsbehörde bat außerdem zur Vertilgung uneingefrie⸗ digten Schwarzwildes alles Erforderliche anzuordnen, sei es durch Polizeijagden, sei es durch andere geeignete Maßregeln oder Auf— lagen an die Jagdberechtigten des Bezirks und der Nachbarforsten.
Abg. Rintelen beantragt hierzu folgenden Zusatz:
„Der Jagdberechtigte haftet für den durch das ausgetretene Schwarzwild verursachten Schaden.“
Dieses Amendement wird vom Abg. Freiherrn von Huene zur Annahme empfohlen, während Abg. Freiherr von Wackerbarth die Ablehnung vorschlägt, da schließlich eine für Schwarzwild absolut undurchdringliche Einfriedigung nicht möglich sei. ᷣ
Mit dem Amendement Rintelen wird der Antrag von Huene genehmigt. .
Außerdem beantragen die Abgg. Freiherr von Huene und Genossen die Schaffung eines 8. 140 „Wilde Kaninchen unterliegen dem freien Thierfange.“
Abg. Freiherr von Los bringt dazu das Amendement ein, daß der Fang mit Schlingen verboten sein solle. Man müsse den Wild dieben, welche Rebe und anderes Wild mit Schlingen fingen, die Möglichkeit der Ausrede entziehen. 5 .
Der §. 146 wird hiernach mit dieser Einschränkung an⸗ genommen. . .
Nach 5. 15 soll die Aufsichtsbehörde die Besitzer von Obst⸗, Gemüse⸗ lumen und Baumschulanlagen ermächtigen dürfen, Vögel und Wild, welche in den genannten Anlagen Schaden anrichten, zu jeder Zeit mittels Schußwaffen zu erlegen.
Ohne Debatte wird der Paragraph genehmigt. 3
Sz. 16 bestimmt, daß gegen die Anordnung oder Versagung der im 5. 15 erwähnten Ermächtigung nur die Beschwerde an den Bezirksausschuß und gegen dessen Entscheidung die Be⸗ schwerde an den Minister des Innern und an den Minister für Landwirthschaft gehen soll.
Abg. Das bach hofft, daß, nachdem der Regreßparagraph ab⸗ gelebnt sei, doch wenigftens der Fiskus für den von aus Staatsforsten austretendem Wild angerichteten Schaden in böherem Grade Ersatz leisten möge, als es bisher in einzelnen Fällen geschehen sei.
Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden:
Der Herr Vorredner bat, wenn ich ihn richtig verftanden habe, ausgeführt, daß im Kreise Daun viele kleine Grundbesitzer vollständig verarmt seien, und zwar in Folge des ihnen durch solches Rehwild zugefügten Schadens, welches aus den fiskalischen Forsten heraustritt. Ich glaube, es ist bereits in einem früheren Stadium der Verhand⸗ lungen dem Herrn Vorredner anheimgegeben worden, die Fälle, welche zu derartigen Beschwerden Veranlassung geben, zu meiner Kenntniß zu bringen. Mir ist nicht bekannt, daß diesem Folge gegeben sei. Ich kenne die Verhältnisse im Kreise Daun zwar nicht genau, glaube aber soweit unterrichtet zu sein, daß große zusammenhängende fiskalische Wal⸗ dungen in diesem Kreise überhaupt nicht bestehen, sondern daß die⸗ selben im Gemenge liegen mit kommunalen und Privatwaldungen. Ich wiederhole, wenn wirklich derartige Vorkommnisse im Kreise Daun bestehen, so möge es dem Herrn Abgeordneten gefallen, dieselben mit bestimmten Angaben zu meiner Kenntniß zu bringen.
Abg. Dr. Sanger hans; Nachdem die Regreßpflicht und die Aufbebung der Schonzeit abgelehnt worden sei, könne sich seine Partei . große Wirkung von dem Gesetz versprechen und werde dagegen timmen.
Abg. Conrad (les) fürchtet, daß die Sozialdemokraten den Wegfall der Regreßpflicht, für welche §. 14 keinen genũgenden Ersatz biete, sehr ausbenten würden, und bittet die Staatsregierung, zu er- wägen, ob der Entwurf in der gegenwärtigen Gestalt verdiene, Gesetz zu werden. ;
Is wird genehmigt.
. 17 lautet: ö ⸗
Sofern das gegenwärtige Gesetz dem Jagdpächter größere als die bisberigen Verpflicktungen auferlegt, kann er den Pachtvertrag innerhalb drei Monaten nach Verkuͤndung dieses Gesetzes derart kündigen, daß das Pachtverhältniß mit Ende des laufenden Pacht— jahres erlischt. = n .
Das gleiche Recht steht dem Verpächter zu, sofern der Pächter nicht für die Zeit bis zum Ablauf der bestebenden Pachtverträge die Vergütung der durch das Gesetz dem Verpächter auferlegten Wild— schäden auf sich nimmt. Diese letztere Verpflichtung darf jedoch für jedes Pachtjabr die Hälfte des jäbrlichen Jagdpachtgeldes, be—⸗ , des Werthes der vereinbarten Leistungen nicht über⸗ teigen.
Auf bestebende Jagdpachtverträge, in welchen Seitens des Pächters eine Wildschadenvergütung über nommen ist, findet das dem Verpächter gewährte Kündigungsrecht (Abs. 2) keine An⸗— wendung. ( ö
Abg. Graf zu Lim burg⸗Stirum:; Er habe zu erklären, daß die überwiegende Mehrheit seiner Partei für das Gesetz, wie es sich in dritter Berathung gestaltet habe, stimmen werde. Einzelne seiner Freunde seien gegen das Gesetz, einmal, weil auch für Schäden an Forftgrundstücken Ersatz geleistet werden solle, und dann wegen der Fafsung des 5. 14, welcher die Schonzeit so ordne, daß sie z. B. für Hirsche so gut wie gar nicht mehr existire. Im Uebrigen meine er, daß die aufgenommenen Bestimmungen besser für einen Wildschaden ersatz sorgen könnten, als der von anderer Seite vorgeschlagene Regreßparagrapb. . ö .
Abg. Francke: Es könne leicht kommen, daß Jagdpächter, die den ihrer . aus diesem Gesetz entstehenden Schaden erst übersähen, wenn die hier vorgezeichnete Präklusivfrist verstrichen sei, noch lange obne Entschädigung in dem Jagdpachtkontrakt festgebalten würden. Sr bitte die Regierung, die Verwaltungsbehörden hierbei zur Hand— habung einer möglichst milden Praxis anzuhalten ;
Abg. Dr. Langerhans: Er halte die Fassung des Gesetzes für eine solche, daß danach die Zustände in Zukunft noch schlechter sein würden, als in der Gegenwart.
Abg. Freiherr von Huene:; Er halte im Gegensatz dazu das Besetz, wie es aus den Beschlüssen des Hauses hervorgegangen sei, für eine entschiedene Verbesserung und werde dafür stimmen.
Abg. Conrad: Die einzelnen hier angenommenen Bestim— mungen, namentlich aber das Streichen des Regreßparagraphen, machten das Gesetz zu einem willkommenen Agitationsmittel für die Umsturz⸗ partei, und schon aus dieser Rücksicht, neben der Rückicht auf die ,,,. Grundbesitzer, müsse er sich gegen das ganze Gesetz erilãren.
Danach wird 5§. 17 angenommen.
. Rintelen beantragt folgenden 5. 17a:
Der 8. 25 des Forstpolizeigesetzes ein gesetzlicher Anspruch . y,, für Wildschaden findet nicht statt‘ wird auf⸗ gehoben.“
Abg. Frhr. von Huene sieht in dem Gesetz, wie es jetzt be⸗ schlossen sei, den entwickelungsfäbigen Keim des Wildschadenersatzes und betont den großen Fortschritt, der in dem Gesetze gegenüber den jetzigen Zuständen liege. Das Gesetz werde ferner dem Minister den Anlaß bieten zu der Ueberlegung, ob der Forstfiskus der große Sünder, als welcher er bier hingestellt worden, sei, und ob nicht die Einftellung einer Etatsposition für die Vergütung von Wildschaden angebracht sein würde.
Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden:
Wenn die beantragte Aufhebung des 5. 25 des Jagdpolizei⸗ Gesetzes mit Sicherheit die Bedeutung hat, daß demnächst Wild⸗ schaden bloß nach Maßgabe des uns jetzt beschäftigenden Gesetz⸗ entwurfs beansprucht werden kann, so würden der Aufhebung in meinen Augen keine großen Bedenken entgegenstehen. Die Frage der Aufhebung des §. 25 ist jedoch erst in diesem Moment an mich beran⸗ getreten; und ich gestehe offen, daß ich mir nicht ganz klar darüber bin, ob die vorformulirte Ansicht, welcher ja der Hr. Abg. von Huene wie der Antragsteller Aus⸗ druck gegeben haben, eine zutreffende ist, und ob nicht demnächst der Fall eintreten könnte, daß, wenn lediglich die Aufhebung des 5§. 25 ausgesprochen wird, auch wenn das Hohe Haus voraussetzen sollte, daß Wildschaden dann blos gemäß des jetzt emanirten Gesetzes zur Geltung gebracht werden kann, daß doch ein Gericht die Auslegung als richtig anerkennen würde, daß nunmehr nach vermeintlichen allge—⸗ meinen Rechtegrundsätzen jeder Wildschade, der von irgend einer Art Wild verursacht ist, zum Ersatzanspruch angemeldet und auch mit Erfolg durchgeführt werden könne. Sollte diese Konsequenz eintreten, dann würde ich eine Streichung des §. 265 nicht für zulässig und erwünscht erachten. Ist man aber darüber einig, daß die von dem Herrn An— tragsteller hervorgehobene Konsequenz mit der Streichung des 5. 25 verbunden ist, dann ist die Streichung in meinen Augen gerechtfertigt. Ich bin aber nicht im Stande, in diesem Moment eine bestimmte Antwort auf diese Frage zu geben.
Wenn demnächst der Hr. Abg. von Huene an mich die Auf— forderung gerichtet hat, sofern dieses Gesetz durch überein⸗ stimmende Entschließungen sämmtlicher bei der Gesetzgebung betheiligten Faktore* verabschiedet werden sollte, dann das—⸗ selbe in dem Sinne auszuführen, daß den Wildschadenbeschwerden und der darüber bestehenden Erregung Abhülfe geschaffen wird, so kann ich demselben die Bersicherung geben, daß ich in diesem Be—⸗ streben fortfahren werde, auch dann, wenn das Gesetz nicht zur Ver abschiedung kommen sollte.
Es ist angeführt worden, die Aufhebung des §. 25 des Jagdpolizei⸗Gesetzes sei auch deshalb nothwendig, um es er— möglichen zu können, daß ein etatsmäßiger Titel dem Leiter der Forstverwaltung zur Disposition gestellt werde, um aus demselben Wildschadenansprüche ju begleichen. Ich möchte glauben, daß zu diesem Zweck die Aufhebung dieses Paragraphen nicht nothwendig ist. Ich werde in Verfolgang der hier ausgesprochenen Wünsche Veranlassung nehmen, die Zustimmung des Herrn Finanz ⸗Minifters dazu zu erbitten, daß, wenn auch der §. 25 bestehen bleibt, doch dem landwirthschaft⸗ lichen Minister ein Die positionsfonds zur Verfügung gestellt werde, um in erheblichen Beschwerdefällen dem Geschädigten Seitens der forst⸗ fiskalischen Verwaltung eine Entschädigung zu Theil werden lassen zu können, was aber nicht ausschließt, daß in erster Reihe meinerseits darauf hingewirkt wird, daß durch Verminderung des Wildstandes, welches zu den Beschwerden Veranlassung giebt, die Schädenherbeiführung über⸗ haupt herabgemindert wird. (Bravo! rechts.)
Abg. von Jagsw bittet, den Antrag Rintelen abzulehnen.
Geheimer Justi Rath Humperdinck: Das Gesetz folle auch noch für andere Gebiete gelten als für die, für welche das Jagd⸗ polizeigesetz maßgebend sei, so z. B. für das Herjogthum Naffau und Herzogthum Lauenburg. Wenn der Antrag Rintelen Annabme finden sollte, so möchte er anbeimstellen, auch die bezuglichen sonstigen Be= stimmungen außer Kraft zu setzen.
Abg. Rintelen erklärt sich bereit, seinen Antrag in dieser Richtung ausjudehnen.
Abg. Dr Langerhans giebt seiner Freude darüber Ausdruck, daß sowohl aus den Ausführungen des Ministers, wie aus denen des Orn. von Huene die Nothwendigkeit der Regreßpflicht hervor⸗ gegangen sei.
Abg. Schmidt (Warburg) hält das Bestehenbleiben des 5. 25 für unbedenklich.
Abg. von Jagow beantragt folgenden Zusatz zu dem Antrage Rintelen: ‚Wildschadenersatz kann nur nach Maßgabe dieses Gesetzes gefordert werden.“ ; ;
Der Antrag Rintelen wird mit dem Antrag von Jagow angenommen.
Nach 5§. 18 soll das Gesetz am 1. Januar 1892 in Kraft reten.
Abg. Brandenburg: Das Gesetz, welches in der Haupt— sache eine Exemtion des Forstfiskus und der größeren Forstbesitzer vom Wildschadensersatz darstelle, während von jetzt an kleine Besit.zer zu solchem Ersatz verpflichtet seien, werde viel böses Blut machen; insofern sei der zukünftige Zustand schlimmer als der frühere, wo eben für alle Jagdbesitzer keine Ersatzpflicht bestanden habe. Dies Gesetz werde der öffenilichen Meinung nicht dauernd Widerstand leisten und sich nicht fünf Jahre lang in Kraft halten können. Er bitte den Minisfter, einen Ersatz für Schaden, den fiskalisches Wild vernrsache, nicht bloß im Gnadenwege eintreten lassen, sondern eine gesetzliche Verpflichtung des Fiekus dazu schaffen zu wollen.
Abg. Conrad schließt sich diesen Ausführungen an und bittet, das Gesetz abzulehnen.
Die Abgg. Knoch und Schnatsmeier erklären, daß die Ab— lehnung des Regreßanspruchs sie veranlasse, gegen das Gefetz im Ganzen zu stimmen. ;
§. 18 wird danach genehmigt.
Die Gesammtabstimmung über das ganze Gesetz wird trotz des Wunsches des Abg. Freiherrn von Huene, welcher dieselbe noch in der heutigen Sitzung vorgenommen zu sehen wünscht, erst morgen vorgenommen werden; diese Gesammt⸗ abstimmung wird auf Antrag der Deutschfreisinnigen eine namentliche sein. ö. .
Es folgt der Bericht der Budgetkommission über den bei der Berathung des Lotterieantrages des Abg. Korsch von einer früheren Kommission gemachten Vorschlag, die Zahl der Lotterieloose zu vermehren.
Abg. Dr. Lieber beantragt als Referent der Budgetkommission, die Vermehrung nicht zu genehmigen, vielmehr über den bezüglichen Antrag zur Tagesordnung Überzugehen, da eine Anregung zur Ver— mehrung der Lotterielosse wegen des darin liegenden Momentes der Vermehrung der Staatseinnahmen der Regierung überlassen bleiben müsse. .
Abg. Rickert: Mit Rücksicht auf die Geschäftslage des Hauses verzichte seine Partei darauf, die Ausführungen, die sie an diesen Gegenstand bätte knübfen können, jetzt vorzubre egen, sie werde einfach für den Kommissionsvorschlag stimmen.
Abg. Cremer: Er könne nicht übersehen, ob die Regierung eine Vermehrung der Lotterieloofe für nöthig halte, und stimme deshalb für den Kommissionsantrag. Er bitte aber die Regierung, kleinere Loosantheile auszugeben und unbeschadet eines großen Happt— gewinnes mehr Gewinne von kleinerem Betrage einzurichten.
Der Kommissionsvorschlag wird darauf genehmigt.
Den letzten Gegenstand der Tagesordnung bildet der mündliche Bericht der verstärkten Agrarkommission über den Antrag der Abgg. Walther und Genossen auf Annahme eines Gesetzentwurfs, betreffend die Beseitigung der durch die Hochwasser im Sõmmer und Herbst des Jahres 1890 herbeigeführten Verheerungen.
Die Kommission beantragt durch ihren Referenten, den Abg. Schlabitz:
I) Mit Rücksicht auf die Erklärungen der Königlichen Staats⸗ regierung, zunächst keiner außerordentlichen Mittel zur Beseitigung der in den Jahren 1880 bis 1891 durch Hochwasser herbeigefübrten Verheerungen zu bedürfen, eintretenden Falls aber ihrerseits die Anregung zur Bewilligung derselben geben zu wollen, über den Antrag der Abgg. Walther und Genossen zur Tagesordnung überzugehen.
2) Der Königlichen Staatsregierung die auf den Gegenstand des Antrages und gleichartige Fragen bezüglichen Petitionen als Material zu überweisen. ö
3) Die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, die Grundsätze über den Wasserbau unter gleichmäßiger Berücksichtigung der Inter essen der Schiffahrt und der Landeskultur einer Prüfung zu unter zieben und eine einheitliche Regelung des Wasser⸗Bauwesens, insbesondere auch durch Einsetzung einer alle Zweige desselben um— fassenden Behörde herbeizuführen. 8
Abg. von Schenckendorff: Er werde für die Kommissiong⸗ vorschläge stimmen, bitte aber gleichzeitig die Regierung, baldigst ein Gesetz, betreffend die Bereitstellung von Staatsmitteln zu Fluß⸗ regulirungen einbringen und dabei besonders die schlesischen, einer b e eth so dringend bedürftigen Privatflußläufe berücksichtigen zu wollen.
Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden:
Ich beschränke mich gegenüber der Anregung und den Wünschen des Herrn Vorredners: daß die Königliche Staatsregierung möglichst rasch das Gesetz zur Bereitstellung von Mitteln für die Fluß regulirungen durchfübre, auf die Erklärung, daß in diesem Gesetz blos Beihülfen“ zur Verfügung gestellt sind. Es muß also, da es sich hier bei diesen Fällen zunächst lediglich um Pripatflüsse handelt, Jemand da sein, der bereit ist, von diesen Beihülfen Gebrauch zu machen. Nachdem das Gesetz wegen der schlesischen Privatflüsse seiner ⸗ zeit nicht hat zur Verabschiedung gebracht werden können, feblt es noch heute trotz aller Bemühungen der Behörden an den jenigen Verbänden, welche bereit und geneigt wären, unter Zuhülfe⸗ nahme von Beihülfen eben diese Flußregulirungen eintreten zu lassen.
(Zuruf) Auch Provinzen dürften obne Zwang kaum dazu geneigt sein. Es wird deshalb an der Hand des bestehenden Rechts ein bal⸗ diger Ausbau der Privatflüsse kaum in Aussicht genommen werden können, wenn man nicht daran denkt, die Regulirung und Unterhaltung
sämmtlicher Privatflüsse auf den Staat zu übernehmen. Meine
Herren, dies ist eine so kolossale Last, daß dieser Weg wohl nicht gangbar ist.
Abg. Knoch bittet um schnelle Besserung der Flußregulirungs⸗ verbältnife der Oder, welche jetzt so lägen, daß bei irgend gesteigertem Wasserzulauf Ueberschwemmungen entsteben müßten.
Abg. Barth wünscht in erster Reihe diejenigen Gemeinden berũck sichtigt zu sehen, die sich mit Gesuchen um UÜnterstützung bei der Wiedererbauung von durch Hochwasser zerstörten oder beschädigten Schulbauten an die Staatsregierung gewandt hätten.
Abg. von Christen bittet, die Regierung möge die Wasser⸗ baubeamten, welche Flußregulirungen vornãhmen, nicht durch Stockungen in der Flüssigmachung der Geldmittel in Verlegenheit bringen.
Abg. Halberstadt betont, im Anschluß an die Ausführungen des Abg. von Schenckendorff, daß die Flußanwohner ohne Staatg- beibülfe nicht im Stande seien, die Flußregulirungen vorzunehmen.
Abg. Schmidt (Warburg) bittet, die westfälischen Flußläufe, die der Ueberschwemmungsgefahr jetzt febr ausgesetzt seien, baldigst reguliren zu wollen. . ö
Die Debatte wird geschlossen, die Kommissionsvorschläge werden genehmigt.
Schluß 3 Uhr.
Statiftik und Volkswirthschaft.
Zur In validitäts⸗ und Altersversicherung.
Wie die „Köln. Ztg.“ mittheilt, hatte der Ober ⸗Präsident Graf Fulenburg am Sonnabend sämmtliche Landräthe des Regierungs⸗ bezirks Wiesbaden in Langenschwalbach versammelt. In einer län geren Sitzung, an welcher auch Regierungs. Präsidenk von Tepper Laski Teil nahm, wurde über die gleichmäßige Behandlung der Invaliditäts⸗ und Altersversicherung berathen.
Bekämpfung der Wanderbettelei.
Der Brandenburgische Provinzial⸗Verein zur Be⸗— kämpfung des Vagabundenthums hielt gestern Nachmittag im Ständehause der Provinz in der Matthäikirchstraße seine IV. Ge- neralversammlung ab, nachdem zuvor eine Geschäftssitzung des Vor— standes an derselben Stelle stattgefunden. Der Vorsitzende Graf von Zieten⸗Schwerin, welcher die Versammlung leitete, be⸗ grüßte die anwesenden Vertreter der Königlichen Staatsregierung, Regierungs⸗ Rath von Meusel als Vertreter des Ober Präsidenten und den Regierungs⸗ Präsidenten Grafen Hue de Grais, und erstattete darauf den Geschäftsbericht, welcher sich auf den Zeitraum vom 1. April 1889 bis zum 31. Mär; 1891 erstreckte. In beiden Berichtsjahren ist die Arbeit des Vereins von sichtbaren Erfolgen begleitet gewesen, wenn auch die Zahl der Mitglieder in der Abnahme begriffen ist: ein Umstand, der darin seinen Grund hat, daß in größerem Umfange die Kreisfe und Korporationen als solche selbst dem Verein beitreten und durch feste Beiträge den regelmäßigen Fort- schritt der Arbeit sichern. Der Provinzial Landtag und der Kur— märkische Kommunal Landtag haben in beiden Jahren Beiträge in Höhe von je 6000 bezw. 7500 „ geleistet. Die Bewirthschaftung der Arbeiterkolonie Friedrichswilslle nimmt einen gedeihlichen Fortgang. In seiner Sitzung vom Dezember v. J. beschäftigte sich der Vorstand mit der Frage, ob die Kolonisten versicherungs⸗ pflichtig seien. Während diese Frage damals mit überwiegender Mehrheit verneint wurde, hat der Vorstand, nachdem das Reichs Versicherungsamt auf das Gesuch um Entscheidung dieser streitigen Angelegenheit das Vorhandensein der Versicherungepflicht für die Kolonisten ausgesprochen, vorgestern beschlossen, die Kolonisten zu versichern und von Vereins wegen die Kosten der Versicherung zu übernehmen. Innerhalb der Bereinsorgane sind nur un⸗ wesentliche Veränderungen vor sich gegangen. Die Ver mögenslage des Vereins ist eine befriedigende; das Gesammt— vermögen des Vereins beträgt 303 000 M Im Ganzen sind seit der am 23. November 1883 erfolgten Eröffnung der Kolonie bis zum 31. März 1891 aufgenommen worden 4087 Mann; entlafsen wurden während dieses Zeitraums 3951 Mann, sodaß am 1. April 1891 ein Bestand von 1365 Mann verblieb. Seitdem fand ein Zugang von 461 Personen statt. Unter Letzteren war besonders die Provinz Schlesien stark vertreten; 215 Mann waren ohne Domizil, 112 hatten ihrer Militärpflicht genügt. 2658 waren nicht Soldat gewesen. Von einer eigentlichen Ueberfüllung der Kolonie konnte während der Berichtszeit nicht die Rede sein, wiewohl vorübergehend auch Ställe und Scheunen zur Unterbringung der Wanderer benutzt werden mußteg. Der durchschnittliche Ver— pflegungssatz stellte sich pro Kopf und Tag auf 51,81 3. Ueber das Verhalten der Kolonisten, wurden besondere Klagen nicht laut. Eigentliche Strafen giebt es in der Kolonie nicht; wo durch Zureden und Mahnen nicht zu helfen ist, da giebt es nur eine Strafe — die Entlassung der Kolonisten, und wenn in dem Zeitraum eines Jahres von 400 Mann wegen schlechter Führung nur acht ent— lassen werden mußten, so kann man das wohl als ein recht zufrieden stellendes Ergebniß bezeichnen. Der Gesundheitszustand der Kolonisten war im Allgemeinen ein sehr günstiger. Der geistliche Inspektor der Anstalt sucht durch versönliche Rücksprache mit jedem neuen Kolonisten auf diesen seelsorgerisch einzuwirken, und derselbe setzt sich auch nach der Entlassung der Kolonisten mit den betreffenden Pastoren in Verbin⸗ dung, in deren Gemeinden jene in Arbeit beiw in Stellung gebracht worden sind, damit es an einer persönlichen Seelsorge nicht fehle. Auch diese Bestrebungen sind von Erfolg begleitet gewesen. Nach eiper weiteren Besprechung der Thätigkeit der Verpflegungsstationen, welche sich zu einem gemeinsamen Provinzialverbande zusammen geschlossen haben, dankte der Herr Vorsitzende für alle dem Verein zugewendete thatkräftige Unterstützung und schloß die Versammlung mit dem Ausdruck der Hoffnung, daß Gott dem Liebeswerk der Be⸗ kämpfung der Wanderbettelei und der Vagabondage, wie bisher, auch in Zukunft seinen Segen leihen werde.
Zur Arbeiterbewegung.
Ueber die Ausbreitung der Sozialdemokratie in der Provinz Sachen bietet der letzte Jahresbericht des landwirthschaftlichen Centralvereins der Provinz Sachsen folgende von der „Nordd. Allg. Ztg.“ wiedergegebenen Mit⸗ theilungen dar:
Ganz besondere Beachtung Seitens der Arbeitgeber und der Ver waltungsbehörden erfordert das Vorgehen der Scezialdemokratie auf dem platten Lan de. Als Herde der sozialdemokratischen Agitation sind in erster Linie zu nennen: Magdeburg, Burg, Halberstadt, Cöthen, Dessau, Nordhausen, Mühlhausen, Frankenhausen, Erfurt. Als besonders stark von der Sozialdemokratie durchsetzte Bezirke müssen genannt werden: die Kreise Gardelegen, erichow I. und II., Halberstadt. Osterburg, Wanzleben, Neuhaldensleben, Delitzsch. Bitterfeld, Saalkreis, Weißenfels. Naumburg, Mansfelder Gebirgskreis, Erfurt, Müblhausen, Ziegenrück. In allen diesen Be—⸗ zirken wird die Agitation der Sozialdemokratie von einzelnen Personen
ewerbsmäßig betrieben. Auch aus den Kreisen Querfurt, Sanger ausen, Torgau und Wittenberg wird gemeldet, daß die Sozlal⸗ demokratie immer weitere Kreise der ländlichen Bevölkerung durch ihre Lehren anzustecken beginne. Der Kontraktbruch ist an der Tages ordnung, viele Arbeiter sind bereits sittlich so verwildert, daß die⸗ selben von der Verwerflichkeit einer solchen Handlung das Bewußtsein verloren haben.