Reichsanleiben wird durch die neugeforderte recht erheblich steigen, und ich erkenne vollständig an, daß dieses Steigen an und für sich etwas durchaus Unerwünschtes ist. Sie werden ja zu prüfen haben, ob und welche von den geforderten Ausgaben Sie versagen können. Wenn Sie mit den verbündeten Regierungen zu der Ueberjeugung kommen, daß die von Ihnen geforderten Ausgaben nützlich, nothwendig und unaufschieblich sind, so werden Sie auch Mangels anderer Deckungsmittel uns die Bewilligung zu der entsprechenden Ver— mehrung unserer Reichsanleibe nicht versagen dürfen. Wann diese Reichsanleihe demnächst wirklich begeben wird, darüber ist im gegen⸗ wärtigen Moment irgend ein Beschluß noch nicht gefaßt. Sie werden, wie ich, bemerkt haben, daß nach dem Bekanntwerden des neuen Etats die augenblicklich durch allerhand Vorgänge sehr nervöse Börse in eine gewisse Erregung gerieth und daß vorübergehend der Curs, namentlich unserer 3 0so Reichsanleihe, in unerwünschter Weise zurückging. Es hat dies, wie ich glaube, um Theil darin seinen Grund, daß man in den betreffenden Kreisen der Meinung war, wenn nun die noch offenen Kredite von etwa 130 Millionen Mark um etwa 150 Millionen Maik gesteigert würden, dann müßte diese gesammte Summe von 200 bis 300 Millionen Mark Reichsanleihe unbedingt im Laufe der nächsten Monate auf den Markt geworfen werden. Davon ist selbstverständlich gar keine Rede. Wann wir die Anleihe begeben müssen, kann ich selbst im Augenblicke nicht übersehen; es richtet sich das ja nach dem Maße, in dem die von Ihnen bewilligten Ausgaben zur Ausführung gelangen, in denen die Anschaffungen bewirkt, die Bauten gefördert werden und die Mittel zur Bestreitung dieser Ausgaben gebraucht werden. Wir baben die letztere größere Anleihe, wie Ihnen bekannt, im Frühjahre dieses Jahres begeben. Wir haben dabei eine Verpflichtung nicht über nommen, während eines bestimmten Zeitraums keine neue Anleihe auf den Markt zu bringen; wir sind aber von der Voraussetzung aus— gegangen, daß, so lange bis dieses Anleihegeschäft abgewickelt wäre, neue 3 proz. Anleihen nicht auf den Markt kommen würden, und wir baben diese Voraussetzung, da es uns durch die Gesammtlage möglich war, einfach und ehrlich gehalten. Es ist also aus dem bisherigen Verhalten der Reichsverwaltung irgend ein Grund zur Besorgniß, wie sie sich in den öffentlichen Blättern ausgesprochen hat, meiner Ansicht nach nicht zu entnehmen. Ich kann auch weiter sagen, daß, soweit ich heute die Sache übersehen kann, auch für die nächsten Monate es vorautsichtlich nicht nöthig werden wird, neue Anleihen zu begeben. Wir haben augenblicklich eine ziemlich volle Kasse, der Bestand wird sich allerdings in kurzer Zeit dadurch verringern, daß die Einzelstaaten ihre Antheile an den Zöllen und Steuern abheben. Dennoch aber wird für die nächste Zeit ein Bedarf zur Begebung von Reick sanleihen meiner Meinung nach nicht eintreten. Wenn dann später der Moment eintritt, wo wir das Geld brauchen, so haben wir auch dann noch die Möglichkeit, während eines gewissen Zeitraums den Augenblick der Begebung hinauszuschieben, weil wir uns nach den geforderten und bisher stets bewilligten Einrichtungen vorübergehend mit der Ausgabe ron Schatzanweisungen helfen können. Wir werden also naturgemäß den Moment zur Begebung neuer Anleihen zu wählen suchen, in welchem den Kreisen, die uns das Geld dazu beschaffen sollen, die Sache am Wenigsten unbequem ist, und in diesem Moment werden wir die günstigsten Chancen haben. Ebenso wie ich außer Stande bin anzugeben, wann dieser Moment eintritt, bin ich heute natürlich vollständig außer Stande zu erklären, welchen Typus wir für die neue Anleihe wäblen werden. Auch hier habe ich in den öffentlichen Blättern ein mich, ehrlich gestanden, überraschendes Mißverständniß gefunden. Ich fand eine Notiz in einem Blatt: der Reichsschatzsekretär habe nun bestimmt erklärt, daß die nächste Anleihe eine 3 prozentige sein soll. Ich habe mich im ersten Moment gefragt: woher dieser Irrthum? Es ergab sich dann, daß ein Satz in der Denkschrift zum Etat der Reichsschuld zu diesem Mißverständniß den Anlaß gegeben bat. Dieser Satz führt aus, daß bei der Veranschlagung des Zinsbedarfs für das nächste Etatsjahr davon ausgegangen sei, daß eine 3 prozentige Ver— zinsung stattfinde. Beiläufig gesagt, wäre der Zinsbedarf annähernd der gleiche gewesen, wenn 36 , zu Grunde gelegt wären. Hierbei handelt es sich aber rein um die Grundlage eines Rechenexempels, nicht um eine materielle Entscheidung über den Typus; und wir haben naturgemäß bei Berechnung der Zinsen, die wir im nächsten Jahre brauchen, den Typus zu Grunde gelegt, welcher bei der Ausgabe der beiden letzten größeren Anleihen gewählt war. Wären wir bei der Berechnung von diesem Typus abgewichen, so hätte man eher sagen können, es liegt darin ein gewisser Hinweis, daß man bei der nächsten Begebung von dem 3prozentigen Typus abgehen will, aber jetzt spricht dieser Satz in den Motiven weder dafür noch dagegen, daß die nächste Anleihe eine 3, 3 oder 4prozentige werden soll. Die Wahl des Typus für eine auszugebende Anleihe ist in erster Linie eine Cursfrage. Den zprozentigen Typus haben wir seiner Zeit nicht aus eigenem Willen gewählt, sogar sehtr gegen unsere Neigung, wir haben ihn gewählt, weil die sachverständigen Leute uns ganz positiv erklärten: nur bei diesem Typus ist es nach der gesammten Marktlage möglich, größere Summen in diesem Augenblicke zu begeben. An sich sprachen für und gegen diesen Typus eine Menge Gründe, auf welche ich jetzt nicht eingehen will. Jetzt ist die Meinung verbreitet, dieser Typus habe sich vollständig überlebt; und ich finde in der Presse vielfach die Ausführung: auch der 34 projentige Typus sei nicht wünschens— werth, man müsse den 4prozentigen wählen. Ja, ich habe sogar die Bemerkung gefunden, eine neue Anleihe wäre nur dann zu begeben, wenn man den 4prozentigen Typus nähme und dabei die Verpflichtung eingehe, bis zum Jahre 1900 nicht zu konver⸗ tiren. Ja, meine Herren, selbst dieser Vorschlag ist nur diskutabel, wenn man uns einen entsprechend höheren Curs giebt; aber das gestehe ich allerdings, daß unter sämmtlichen Vorschlägen, welche ich augenblicklich als nützlich sehe, derjenige, daß wir eine derartige Verpflichtung eingeben sollen, mir heute der allerunacceptabelste erscheint. So schlecht ist meiner Meinung nach der Kredit des Deutschen Reichs z. 3. nicht, daß wir eine solche Verpflichtung eingehen müßten. Sie wissen aus früheren Aus—⸗ führungen von mlr, daß ich meinerseits ein Freund der Konvertirung nicht bin; dennoch würde ich aber dazu, eine Verpflichtung zur Nichtkonvertirung für eine Reihe von Jahren bei der Begebung einer Anleihe einzugehen, dem Herrn Reichskanzler meinerseits nur dann rathen können, wenn wir absolut gezwungen wären, ein derartiges Verfahren einzuschlagen, und ich glaube und hoffe, das ist zur Zeit nicht der Fall und wird auch in absehbarer Zeit nicht der Fall sein. Das Anwachsen der Anleihe des Deutschen Reichs ist unerwünscht, die
gaben, zu denen sie gefordert wurden und zu denen sie gefordert werden, sind nothwendig, also haben wir die Anleihen machen müssen, und ich glaube und vertraue, daß, wenn wir für derartige nothwendige Ausgaben neue Forderungen auf Anleihen stellen werden, so werden wir wie bisher bei ihrer Begebung einen der gesammten Marktlage entsprechenden Kredit zu relativ guten Bedingungen finden. (Bravo rechts.)
Abg. Rickert: Man dürfe nur Dasjenige bewilligen, was nicht nur nützlich, sondern auch nothwendig und unaufschiehbar sei. Ent⸗ sprächen alle Anforderungen des Etats auch diesen Bedingungen — das müsse man genau prüfen, diese Forderung stellten jetzt auch Leute im Lande, die sonst der Regierung gegenüber sehr wohlwollend seien. Man sage: Ja, so gehen die Dinge nicht weiter! Die erste, 3 0/oige Anleihe fei zu 87 ½ herausgekommen, die zweite zu 84,40 ο — sie stehe jetzt auf 83,0 — und ein großer Theil davon solle auch heute noch nicht in festen Händen sein! Der Stimmung im Lande auch bei sehr weit rechts stehenden Leuten gebe ein Münchener Blatt Ausdruck, das die Lage als eine ver⸗ zweifelte schildere, In den letzten 24 Stunden sei in einem freikonfervat ven Blaft ein Artikel eines preußischen Abge⸗ ordneten erschienen, der ihn (den Redner) zum Erschrecken gebracht babe — danach sei der Reichskanzler amtsmüde, es stehe eine scharfe Wendung in der ganzen — er (Redner) hoffe nur inneren — Politik bevor. Er hoffe, der Reichskanzler werde darüber Auskunft geben, was daran Wahres sei. Ihn (den Redner) erschrecke besonders die Bemerkung, daß die heutigen Verhältnisse zu einem Vergleich mit den' unmittelbar vor Auebruch der französischen Revo⸗ lution bestandenen herausforderten. Zu gleicher Zeit solle auch des Staats⸗Ministers Herrfurth, Gesundheit. ungünstig fein, — merkwürdiger Weise gerade zu der Zeit, wo die Landgemeinde⸗ ordnung durchgeführt werden folle! Die Lage sei ja eine sehr ernste, aber zu einem solchen Pessimismus sehe er (Redner) keinen Anlaß. Gerade die Volksvertreter sollten, in einer schlimmen Lage umsomehr auf ihrem Posten sein. Die Schuld für die jetzige Lage und Stimmung dürfe man nicht den Männern zuweisen, die eine schwere Erbschaft angetreten hätten, die die Ueberzeugung hätten, je schneller sie sich von der früher geübten Politik abwendeten, um fo besser sei es für das Vaterland. Die dütften sich nicht beklagen, die jetzt die Früchte einer Politik ernteten, die sie selbst mitgemacht, der gegenüber sie geschwiegen hätten, als sie hätten reden sollen. Die jetzige Lage sei die Folge des wirthschaftlichen Systems des Fürsten Bismarck. Jetzt verlange man auf einmal entschiedene Charaktere, während man früher dem gewaltigsten Manne des Jahrhunderts gegenüber geschwiegen habe! Jetzt heiße es: Dilettantismus und Servilismus könnten keine guten Gesetze machen. Das Ministerium Caprivi habe doch die jetzt geltenden Gesetze nicht gemacht, dazu sei es noch nicht lange genug im Amt. Er (Redner) würde allerdings auch den Augenblick froh begrüßen, in dem das Ministerium Caprivi sich von jener unglücklichen Vergangenheit entschieden lossage und energisch den neuen Curg anstrebe, während es jetzt nur allmaͤblich aus jener Politik herausgehe. Der Etat solle den jeweiligen wirthschaftlichen Ver hältnissen Rechnung tragen. In guten Zeiten könne man auch einmal Ausgaben zu z nützlichen Dingen machen, wenn sie auch nicht dringlich eien, aber ganze Erwerbs kreise befänden sich jetzt in gedruͤcktester Stimmung. Doch der Etat ent spreche diesen Verhältnissen nicht. Der Schwerpunkt liege im außer⸗ ordentlichen Etat, und auch der Schatzsekretär fühle, daß dieser die Achillesferse sei. Der außerordentliche Etat verlange 1595 Millionen, d. h. 67 Millionen mehr als im Vorjahr, obgleich noch 138 Millionen schon bewilligter Anleihen verfügbar seien. Die Regierung werde also 300 Millionen Anleihen in einem Jahre verfügbar haben. Außerdem übernebme man durch diesen außerordentlichen Etat für die Zukunft eine Verpflichtung von 150 Millionen. Selbst der Abg. Graf von Behr habe schon vor drei Jahren verlangt, daß dieser Schuldenlawine Einhalt gethan werde und die Schulden abgetragen würden. 1876 habe das Reich noch keine Schulden gehabt, und jstzt habe es jährlich 60 Millionen für Schuldenzinsen zu zahlen. Die kon servativen Blätter hätten gerade so gethan, als ob der Reichskanzler dem russischen Minister gegenüber das Ansehen Deutschlands nicht genug wahre. Seine (des Redners) Partei habe das vollste Vertrauen zum Reichskanzler, daß er der Würde und dem Ansehen des Reichs Keinem gegenüber etwas vergeben werde. Seine Partei würde es mit Freuden beßrüßen, wenn Rußland seine wirthschaftlichen Schranken gegen Deutschland beseitige. Möge die deutsche Regierung es in dieser Be⸗ ziehung im rechten Augenblick an Aufmerksamkeit nicht fehlen lassen. Wenn der Reichskanzler ein Wort des Friedens hören lassen wollte, so würde das zur Befestigung der Beruhigung in weitesten Kreisen dienen, die seine Osnabrücker Rede schon gebracht habe. Er (Redner) sei ihm dankbar, daß er in Osnabrück den Kriegstreibereien an den Börsen aller Länder ein energisches Halt entgegengerufen habe. Die Freisinnigen seien allerdings nicht solche Schwärmer, um von der deutschen Regierung zu verlangen, daß sie die Initiative zur Abrüstung ergteife. Alle Parteien in Deutschland wollten mit der Regierung den stätus quo vertheidigen. Aber jede nicht dringliche Aus— gabe müsse man zurückstellen. Von diesem Gesichts punkt müsse die Kommission den Militär ⸗Etat sehr scharf ansehen. Namentlich könnten an den Kasernenbauten einige Millionen gespart werden. Bei der Forderung von 3 Millionen für verstärkte Uebun—2 gen mache er ein großes Fragezeichen. — Dem Marine Etat gegenüber sei man in den letzten drei Jahren in sehr mißlicher Lage und miß= trauisch und vorsichtig geworden. 1874 habe das Ordinarium des Marine⸗ Etats 16700 000 A, das Extraordinarium 22 000 000 4 ent- halten; heute betrage das Ordingrium 465 000 C090 ν, das Extraordinarium 50 000 G00 υ, Bie Kommission werde die Neubauten möglichst ein schränken und auch an den weiteren Raten das Möglichste abzustreichen sich bestreben müssen; vor Allem aber werde sehr genau zu fragen sein, wie viel von den bewilligten Geldern bis jetzt verwendet sei, ob alle Bauten, für die erste Raten bewilligt seien, schon in An— griff genommen, und ob die Pläne fertig seien und vorgelegt werden könnten. Fast Alles sei auf diesem Gebiete in Fluß. Die Marintverwaltung habe offenbar in den letzten 15 Jahren ihren Standpunkt völlig geändert. In der jetzt. vorgelegten Denkschrift werde auf Rußland zur Begründung dieser Forderung Bezug genommen, und gleichzeitig finde er (Redner) in diesen Tagen in einer wohlakkreditirten Petersburger Correspondenz ausgeführt, daß die Russen jetzt einführen würden, was Deutschland, Frankreich u. s. w. schon längst eingeführt hätten. Der Reichekanzler stehe hoffentlich noch auf dem früher von ihm eingenommenen Standpunkt, wonach er das Pflicktgefühl der Parteien wohl begreifen könne, wenn es ihnen auferlege, über eine gewisse Summe für die Marine im Rahmen des Gesammt⸗Etats nicht hinauszugehen. In dem gleichzeitig vorgelegten Nachtrags⸗Etat würden 8706 900 M aus Anlaß der erhöhten Naturalienpreise für die Verpflegung nachgefordert. Das sei der Punkt, über den man nicht hinwegkomme. Seine Partei werde so lange mahnen und erinnern, bis hier den gerechten Forde— rungen des Volkes Rechnung getragen sei. Bei den Dandelverträgen werde er näher auf diese Frage eingehen. Es sei mit Freuden zu begrüßen, daß wieder an die Handels— politik von 1367 angeknüpft werde. Man könne ruhig in die Zukunft blicken, allerdings unter der Voraussetzung, daß die Ausgaben be— schränkt würden auf das Nothwendige und Dringliche.
Reichskanzler von Caprivi:
Ein Eingehen auf die wirthschaftlich-politischen Erörterungen des Herrn Vorredners kann ich mir, wie er selbst andeutete, wohl zweck— mäßig für eine spätere Zeit vorbehalten; dagegen will ich das Wort ergreifen mit Bezug darauf, daß er im Anfang seiner Rede von der zunehmenden Beunruhigung im Lande sprach. Denn nicht von ihm allein, aus zahlreichen Aeußerungen der Presse ist mir bekannt ge⸗ worden, daß eine solche Beunruhigung im Lande existirt oder existiren
meine Person und meine amtliche Stellung genõthigt, von meiner Person zu sprechen. Der Artikel, den der Herr Vorredner erwähnte, ist mit auch zugegangen, er hat in mehreren Zeitungen gestanden. Es ist nicht der erste Versuch, mich als amtsmüde hinzustellen, er wird bier in einer verhältnißmäßig überzuckerten Pille gegeben. Der Herr Schriftsteller hat die Gefälligkeit, mir zu sagen, ich würde ja ein anderes Amt in der Armee bekommen, wenn ich von hier fortginge. Er scheint zu glauben, daß eine Art Militärversorgungssystem für amtsmüde Beamte errichtet werden soll, wie es umgekehrt ein Cwil⸗ versorgungssystem für amtsmüde Soldaten giebt. (Heiterkeit. )
Er scheint auch zu glauben, daß höhere Kommandostellen der Armee etwas von Schlafstellen haben, denn sonst würde ein amts⸗ müder Reichskanzler schwer in der Lage sein, eine solche Stellung ein⸗ zunehmen. Ich kann den Herren, die geneigt sein sollten, zu meinen, daß ich amtsmüde sei, die Versicherung geben, daß ich bei sorg⸗ fältiger Beobachtung keine Spur bei mir hiervon wahrgenommen habe. (Bravo!)
Ich habe viel zu thun, und wir haben diesen Sommer wieder sehr ernste Arbeiten bewältigen müssen; ich glaube, es ist uns ge⸗ lungen unter Einsetzung aller unserer Kräfte. Es ist für mich seit 13 Jahren das große Stück der deutschen Politik die Vollendung der Handels verträge. Mit vielen Schwierigkeiten, mit unerwarteten Schwierigkeiten, mit Schwierigkeiten in Deutschland und außerhalb Deutschlands haben wir zu kämpfen gehabt; ich hoffe aber, daß ich in der zweiten Dezemberwoche in der Lage sein werde, im Hause die Handels verträge einzubringen. (Bravo!)
Selten in meinem Leben bin ich schaffender Freude so nahe ge⸗ wesen als in diesem Augenblick, wo die Verträge ihrer Vollendung entgegensehen, und selten habe ich so wenig daran gedacht, meine Stellung aufzugeben. Ich stehe hier, wie den Herren bekannt ist, auf die Weisung meines allergnädigsten Herrn und werde hier so lange stehen bleiben, wie es Seiner Majestät gefallen wird. (Bravo.) Wenn ich die Beunruhigung, die durch das Land geht oder gehen soll, zum Gegenstand meiner nächsten Erörterung machen will, so will ich vorweg bemerken, daß Zeitungsschreiber mich nicht beun⸗ ruhigen; ich wünschte nur, sie beunrubigten sich auch um mich nicht. ( Heiterkeit.)
Es läßt sich nicht wegleugnen: es geht durch das Land ein Pessimismus, der mir im höchsten Grade bedenklich ist. So lange deutsche Philosophen allein sich mit dem Pessimismus beschäftigten, mochte das ja für Manchen eine anziehende Beschäftigung sein; wenn diese geistige Richtung aber übergeht in weitere Kreise, die auf Handel und Gewerbe aagewiesen sind, dann wird der Pessimismus gefährlich; denn ich wüßte nicht, warum, wenn alles eitel ist und bei nichts etwas herauskommt, man sich dann noch quälen soll. Es ist aber, wie wenn ein Beunruhigungs⸗Bacillus in der Luft läge, der epidemisch geworden ist, und selbst manche angesehene Zeitungen, die sich sonst für die Bannerträger nationalen Gefühls halten, scheinen mir Reinkulturen für dies Wesen zu sein. (Bravo! und Heiterkeit.) Die Regierung taugt nichts, sie fängt die Sache schlecht an, die Folge ist, es geht nicht, und immer weiter geht es mit Deutschland bergab — das lese ich alle Tage, ich lese es vielleicht in ziemlich schroffen und in schrofferen Ausdrücken als in dieser Schrift, die zu meinem Bedauern von einem Herrn geschrieben sein soll, der in Be⸗ ziehungen zur freikonservativen Partei steht. Er sagt:
Die Zerfahrenhelt und Unentschiedenheit, das Schwanken und Unstäte der Politik des Ministeriums Caprivi trägt die Mitschuld an der allgemeinen Unzufriedenheit.
Nun würde ich dem Herrn sehr dankbar gewesen sein, wenn er die Güte gehabt hätte, mir im Einzelnen nachzuweisen, wo denn die schwankende, unstäte Richtung wäre. Ich bin der Meinung, durch ihre bisherigen Handlungen hat die gegenwärtige Regierung zu solchem Vorwurf keinen Anlaß gegeben, und wenn ich nun diesen Artikel weiter durchsehe, um zu sehen: wo kann denn etwas liegen, so bleibe ich gerade so klug, wie ich vorher war, und das ist mein Schicksal mit einer Unzahl von Zeitungsartikeln und Sroschüren seither ge⸗ wesen: Alles klagt, aber einen brauchbaren Rathschlag, die An— weisung für einen gangbaren Weg habe ich noch von Niemandem bekommen.
Der Herr hier sagt: diese Regierung hat die Kartellparteien zer trümmert. Das ist ein Vorwurf, der mich überrascht. Die letzten Wahlen sind vorgenommen worden, ehe diese jetzige Regierung an Ort und Stelle war. (Sehr richtig!)
Die Regierung würde ja mit den Kartellparteien weiter gelebt haben, weil sie überhaupt das Bestreben hat, wie ich das schon früher einmal ausgesprochen habe, mit allen denen, die ein Interesse an der Erhaltung des Staats und des Reichs haben, zusammenzugehen. Wenn nun eine kompakte Masse der Kartellparteien dagewesen wäre, würden wir ihr gern die Hand gegeben und würden den Versuch ge— macht haben, wen anders wir noch zu dieser Masse heranziehen können. Diese Kartellparteien waren aber nicht mehr da, und wenn sie noch weiter zerfallen werden, so liegt das eben in den inneren Motiven, nicht aber an dem bösen Willen oder dem Ungeschick der Regierung.
Nun führt der Herr noch ein paar andere Dinge auf, auf die ich nachher im Einzelnen kommen werde. Er sagt dann — und das
habe ich auch schon in den Zeitungen der verschiedensten Parteien ge—⸗ lesen —, diese Regierung geht mit keiner Partei, sie wird sich zwischen zwei Stühle setzen. Derselbe Herr, der uns vorhin getadelt hat, weil wir die Kartellparteien zertrümmert haben, macht uns jetzt den Vor— wurf, daß wir mit keiner Partei gehen; wir sollen uns zwischen zwei Stühle setzen. Ich habe überhaupt noch nicht den Wunsch gehabt, mich auf den Stuhl irgend einer Partei zu setzen, sondern habe den Wunsch gehabt, diejenige Politik zu machen, die die verbündeten Regierungen nach reiflicher Erwägung für recht halten; ob die der einen Partei paßt oder nicht, ist erst eine taktische Er wägung für mich, das Wesentliche ist: ist die Maßregel an sich gut?
Ich habe also das Bedürfniß, auf dem Stuhl einer Partei zu sitzen, nicht empfunden, bleibe auch lieber stehen zwischen den Parteien.
Nun ist in diesem Beunruhigungestreben der Bevölkerung die auswärtige Politik ein ungemein ergiebiges Gebiet. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Menschen von der weniger erfahren, aber das berechtigt sie, in diesem Halbdunkel, in dem sie sitzen, sich um so mehr zu graulen oder graulich zu stellen. Da heißt es: ja, wir wissen zwar nicht, was die Regierung macht, aber es wird schon nicht gut sein, da kann das Schlimmste hinter dem stecken, was jetzt passirt.
Bei uns wird auf keinem Gebiete so viel Uebertreibung in die Welt gesetzt, als wenn man sich mit der auswärtigen Politik der Regierung
== selber haben eine erhebliche Höhe erreicht, aber die Aus—⸗
soll. Ehe ich darauf eingehe, hat mich die Provokation des Vorredners auf
zu befassen sucht.
Die Politik dieser Regierung ist, auch was die auswärtige an⸗ gebt, eine sehr einfache gewesen. Ich bin der Meinung, daß auch in der auswärtigen Politik zu den wirksamsten Mitteln Wahrheit und Offenheit gehört (sehr richtig); es ist nicht nöthig, daß man seine leßten Gedanken alle Tage auf dem Präsentirteller herumträgt, Tage das in der auf dem geraden Wege besser weiter als (Sehr richtig!) Eine günstige politische Konstellation in Guropa hat es nun mit diesem Bestreben, wahr und offen zu sein, veranlaßt, daß wir überhaupt wenig zu verhandeln gehabt haben in den anderthalb Jahren, seit ich hier bin; die Dinge sind einfach ver⸗
aber es ist auch nicht nöthig, daß man alle Beftreben hat, Andere zu täuschen; man kommt Mehrzahl der Falle anders.
laufen. Der moderne Zeitungsleser hat ein gewisses Bedürfniß nach
Sensationellem; er verlangt, daß etwas los sein soll. (Heiterkeit) Und wenn nichts los ist, dann ist er unzufrieden; dann ist natürlich die Regierung daran schuld, daß da nichts geschehen ist. (Heiterkeit)
Wenige Fragen nur haben die im Allgemeinen mit der aus— wärtigen Politik der verbündeten Regierungen nicht einverstandenen Davon ist eine die: Ja, die russische Reise Seiner Majestät des Deutschen Kaisers im vorigen Jahre, der Aufenthalt in Narva hat sehr böse gewirkt. Nun habe ich die Ehre
Zeitungsschreiber spezialisirt.
gehabt, an dieser Reise theilzunehmen, und ich bin mit der Ueber— zeugung wiedergekommen, daß diese Reise eine vorzügliche Wirkung gehabt hat. Es waren politische Dinge nicht abzumachen, sondern es kam darauf an, daß die beiden Souveräne in einen freundschaftlichen, durch ihre Verwandtschaft gegebenen Verkehr mit einander traten. Der Verkehr gestaltete sich so günstig, wie irgend möglich. Ich würde dies nicht sagen, wenn ich hier auf meine, auf deutsche Beob⸗ achtung angewiesen wäre, wenn ich nicht bestimmt wüßte, daß auch auf der anderen Seite der Eindruck und der Erfolg dieser Reise ebenso gewesen ist. Dann kommt Kronstadt, man hat sich beunruhigt gezeigt, als die Flotte eines unserer Nachbarn in den Hafen des anderen einfuhr, und weil man sie mit großer Festlichkeit und Freundlichkeit empfangen hat. Wieder läßt man durchblicken: Das wäre doch am Ende sonst nicht vorgekommen, das konnte nur unter dieser Regierung passtren (Heiterkeit) Nun weiß ich in der That nicht, was wir anfangen sollten, wenn zwei andere Leute sich die Hand geben wollen. Wir haben kein Mittel dagegen, wir haben diese Zusammenkunft nicht veranlaßt. Man bat wohl durchfühlen lassen: ja, das habt ihr nun von dem Dreibund, davon kommt nun die Kronstädter Zusammenkunft! Ja wir haben einen Dreibund, der schon jahrelang vor dieser . staͤdier Zusammenkunft existirte, und den haben wir erneuert. Man hat vielleicht bei dieser Erneuerung in der Presse etwas zuviel Pauken und Trompeten gerührt und dadurch anderen Leuten das Gefühl gegeben, sie wollen auch mal Pauken und Trompeten rühren. An sich aber hat sich durch Erneuerung dieses Dreibundes in Bezug auf unsere östlichen und westlichen Nachbarn nichts geändert. Durch die Kronstädter Zusammenkunft ist nur für die Augen des großen Publikums ein Zustand erkennbar geworden, er ist in den Sinn gefallen, der schon seit langer Zeit herrschte. (Sehr richtig! Ich habe in den siebziger Jahren an den Berathungen des preußischen Kriegs. Ministeriums theilgenommen, und schon damals trat der Aus⸗ druck auf von dem Kriege mit zwei Fronten. Soldaten, überdies wenn sie im Kriegs ⸗Ministerium beschäftigt sind, haben ja die Amte⸗ pflicht, alle Kriegslagen vorauszusehen, und so wurde auch diese in den Bereich unserer Kalküle gezogen, und eine große Anzahl von augenfälligen Maßregeln — ich will nur die Dislokation in Ost⸗ preußen nennen — sind von der Voraussetzung ausgegangen, daß es auch mal vielleicht zu einem Krieg mit Rußland, zu einem Krieg mit zwei Fronten kommen könnte. Daß uns dieser Krieg durch die Kronstãdter Entrevue auch nur um einen Zoll näher gerückt sei, glaube ich nicht. Ich kann nicht prophezeien; es ist ja möglich, daß Krieg kommt, daß der Krieg mit zwei Fronten kommt. Daß aber dies Er⸗ eigniß — und da komme ich wieder auf die Beunruhigung zurück, um die es sich dreht — einen Anlaß geben sollte, sich mit einigem Fug und Recht mehr zu beunruhigen als bis dahin, das beftreite ich mit Entschiedenheit. Ich bin felsenfest davon überzeugt, daß die persönlichen Intentionen Seiner Majestät des Kaisers von Rußland die friedlichsten von der Welt sind; ich bin ebenso über⸗ zeugt, daß keine Regierung heutzutage wünschen kann, einen Krieg zu propoziren. Keine Macht hat ein so prononzirtes Urber⸗ gewicht in der Weltlage, daß man mit leichtem Herzen sagen sollte: wir wollen jetzt den Krieg anfangen. Ich will nicht auf die golgen auf die Art und Weise, wie ein solcher Krieg geführt werden wurde, eingehen; das ist in einer so meisterhaften Weise vor einer Reihe bon Jahren hier geschehen, wo Ihnen der Aderlaß bis aufs Weiße vor— geführt wurde, daß ich dem nichts hinzuzufügen habe. Das Bewußtsein aber, daß der kommende Krieg einen sehr ernsten Charakter annehmen wird, hat sich in der ganzen Welt verbreitet, und ich glaube nicht daß es irgend eine Regierung giebt, die geneigt wäre, einen Krieg leicht herbeizuführen. Je stärker nun eine Regierung, umso mehr wird sie geneigt sein, kriegerische Gelüste, wenn sie auftreten sollten Zwischenfãlle, die bei ungeschickter Behandlung einen Krieg herbei⸗ führen könnten, zu vermeiden. Und ich kann mich deshalb des Um- standes freuen, daß bei unserem weftlichen Nachbar jetzt eine Regie⸗ rung die Zůgel führt, von der ich glaube, daß sie stark genug ist, um ihren Willen durchzusetzen. Ich glaube sogar, daß die Flottenrevue in Kronstadt vielleicht nicht stattgefunden hätte, wenn nicht bei unserm östlichen Nachbar die Ueberzeugung dagewesen wäre, daß diese jetzige franzoͤsische Regierung wohl eine ist, auf die man sich verlassen kann. Es ist uns das gesteigerte Selbst⸗ gefühl unseres westlichen Nachbars durch die Zusammen⸗ kunft klarer geworden wie vorher; wir haben mehr davon wahr— genommen, aber auch das braucht uns nicht zu beunruhigen. Jemand der ohne Selbstgefühl die Empfindung hat, eine Stelle in der Deli behaupten zu müssen, wird eher, wenn ich den Ausdruck brauchen darf zu einer gewissen Nervosität neigen als Jemand, der sich bis zu einem gewissen Grade seiner Kraft wieder bewußt geworden ist, und ich glaube nicht, daß in dem gesteigerten Selbstgefühl, was auch nicht durch Kronstadt eist gesteigert, was im Laufe der Jahre wieder ge—⸗ wonnen ist, daß in diesem gesteigerten Selbstgefühl, so wie es sich in Kronstadt ausgedrückt hat, eine Gefahr für uns läge. Ich wiederhole also, die jetzige Regierung ist weder in der Lage gewesen, Kronstadt zu verhindern; sie hat auch gar nicht den Willen dazu gehabt. Sie sieht aber darin auch nicht den mindesten Grund,
Ich will, um ein Mißverfständniß in dieser Richtung schon hier aug⸗ juschließen, nicht gesagt haben, daß wir nun Wehr und Waffen ablegen könnten, davon ist keine Rede; der jetzige Zustand der Rüstungen in Europa wird voraussichtlich noch lange dauern, und da werden alle Zusammenkünfte in Rom Nichts daran ändern. (Heiterkeit. ) Das bleibt ebenso, aber es folgt daraus nicht, daß dieser Zustand ein bedroblicher ist. Je mehr die Völker zur allgemeinen Wehrpflicht übergegangen sind, umsomehr ist auch das Bewußtsein von dem Ernst eines Krieges in die Nationen übergegangen; und wir können jetzt mehr wie früher nicht bloß darauf rechnen, daß die Regierungen den Krieg nicht wollen; wir können darauf rechnen, daß auch die Nationen selbst vorsichtiger mit diesem gefährlichen Feuer spielen werden, wie vielleicht fruher. . Ein drittes Moment, was dann in öffentlichen Blättern aus der auswärtigen Politik angeführt wird, um der jetzigen Regierung klar zu machen, daß sie schwächlich oder thöricht gehandelt habe, ist der deutsch · englische Vertrag. Derselbe Aufsatz, der die Güte hat, sich hier mit meiner Person zu beschäftigen, nimmt unter seine Gravamina auch diesen auf. Als wir im vorigen Jahre an dieser Stelle über den deutsch englischen Vertrag verhandelten, da fand er Gegner. Es sprach Herr von Kardorff, wenn ich nicht irre, auch Herr Graf Mirbach dagegen. Der Einzige, der den Vertrag mißbilligte, aber auch eine etwas starke Tonart anschlug, war der Herr Abg. Graf Arnim. Er sagte, daß er mit Genugthuung den Entrüstungssturm vernommen habe; ich glaube, der Entrüstungssturm hat im Laufe dieses einen Jahres einer ruhigeren Betrachtung Platz gemacht; wenn überhaupt noch Wind in dieser Richtung weht, dann ist er, glaube ich, zu einer schwachen Brise abgeflaut. Meine Herren, es ist mir zweifelhaft, ob nicht vielleicht in diesem Blatte sogar Ventilationsinstrumente zu Hülfe genommen werden, um über— haupt nur nech einigen Wind in die heruntergefallenen Segel zu bringen. Dieses eine Jahr hat hingereicht, um zu zeigen, wie richtig wir gehandelt haben. Was warf man uns damals vor? Wir hatten um irgend einer geheimen Abmachung willen — sagten noch günstigere Beurtheiler unter unseren Gegnern — eine Menge Opfer gebracht; was die geheime Abmachung war, wußten sie nicht, aber aus Wohlwollen für uns nahmen sie an, es müßte ja so ein Ding da sein, wenn man so erhebliche Opfer gebracht hat. Von einer ge · beimen Abmachung ist niemals die Rede gewesen. Ich glaube schwer⸗ lich, daß nach den Ergebnissen des letzten Jahres noch Jemand da ist, der uns den Vorwurf machen würde, wir hätten nicht genug in Afrika genommen; denn ich glaube, diese Ergebnisse haben den schlagenden Beweis dafür geführt, wie lange wir an dem, was wir genommen haben, zu arbeiten haben. (Sehr richtig! links.) Nicht ohne Opfer an Menschen und Geld wird diese Arbeit sich vollziehen können, und ich habe schon damals gesagt, das Schlimmste, was uns passiren könnte, wäre, wenn Einer uns ganz Afrika schenkte. (Heiter— keit) Wir haben an dem, was wir bekommen haben, leicht genug und können allen unseren kolonialen Eifer zur Geltung bringen. Dann sagte man, da habt ihr Helgoland genommen und habt Sansibar hingegeben; die Engländer haben den Löwenantheil, sie baben die Insel Sansibar. Ich verkenne den Werth der Insel Sansibar unter keinen Umständen; abgesehen aber davon, daß sie für uns überhaupt nicht zur Diskussion stand, nicht zu haben war, würde die Nutzbarmachung dieser Insel in merkantiler und nautischer Be⸗ ziehung, die Abfindung des Sultans für diesen Theil seiner Macht uns Summen gekostet haben, die vom Reichstag nun und nimmer zu bekommen gewesen wären, und die von ihm zu verlangen ich mit meinem Gewissen nicht würde in Einklang bringen können. (Sehr gut! Schon um die verhältnißmäßig unbedeutenden Aus— gaben zu bestreiten, die wir haben machen müssen, die Ab— findung des Sultans für das Festland von Ost -Afrika, haben wir den Vertrag mit der Ostafrikanischen Gesellschaft schließen müssen, der auch hier besprochen und kritisirt worden ist; wir haben jctzt, um nur den Aufgaben gerecht zu werden, die in der Brüsseler Konferenz wir zu erfüllen übernommen haben, aus Mangel an Mitteln zu einem an sich zweifelhaften Hülfsmittel greifen müssen, wir haben eine Lotterie statuirt, um nur die Mittel zu bekommen, um etwas vorwärts zu kommen. Nun frage ich: wenn wir den Haufen von Millionen — und ganz klein würde er nicht gewesen sein — hätten aufbringen sollen, um Sansibar zu bekommen, ich weiß nicht, wie das hätte gehen sollen. Was nun das Festland aber angeht, das wir bekommen haben so ist kaum ein Mensch, der Afrika kennt, darüber im Zweifel daß der deutsche Besitz in Ostafrika das fache von dem werth ist was der englische Besi werth ist. (Hört! hört h Es ist nur wiede di Pessimismus und diese Beunruhigungsrichtung; man nimmt ohne Weiteres an, das kluge, wenn man nicht etwas derber sagen will perfide Albion lätte diese Dinge besser verstanden, wie wir, das hatt. sein Schäfchen ins Trockene gebracht, Deutschland nicht, Deutsch⸗ land hätte die Kastanien aus dem Feuer geholt, und so säßen wir da auf einem schlechten Theil. Das stimmt nicht Wenn man nur einigermaßen einen Einblick in die Schwierig leiten hat, die in dem von England in Besitz genommenen Küstenstrich sich darbieten, so wird man zugeben müssen, daß die er— heblich größer sind, wie diejenigen für Deutschland, und ich glaube wir können mit dem, was wir da bekommen haben, durchaus jufrieden sein. Es ist ja natürlich, wenn eine solche Beunruhigungskrankheit einmal die Welt ergriffen hat, so wirft sie sich wie andere Krankheiten auf den locus minoris resistentige. Unser Kolonialleben ist noch schwach, wir haben noch alles Mögliche zu thun, wir müssen vor— sichtiger handeln, als anderswo. Es ist auch eine gewisse Besorgniß da vielleicht gerechtfertigter, wenn man eben nur überhaupt Be⸗ sorgniß haben will. Sonst bin ich nicht im Stande, zur Zeit in Bezug auf den deutsch englischen Vertrag und seine Folgen etwas zu sehen was mir die Meinung geben könnte, wir hätten schlecht gehandelt. Die Insel Helgoland, die wir dabei bekommen haben, wurde ja all. gemein für ziemlich werthvoll gehalten, wenigstens spricht man ihr ein pretium affectionis zu, man giebt auch zu, wenigstens ein Theil der Menschen daß sie für die Vertheidigung unserer Nordseeküste einen gewissen Werth haben könnte. Ich schlage den Erwerb dieser Insel in dem Vertrage — und das kann ich jetzt sagen — ungleich höher an, als den negativen Werth. Stellen Sie sich vor, was aus der Insel geworden wäre, von der man sagt, sie war für die Engländer ziemlich werthlos, und das mag ja richtig sein, wenn sie aus englischen Händen in andere über gegangen wäre. England hat Bedürfnisse in manchen Welt
si mehr u beunruhigen, als man es etwa vor Kronstadt gethan hatte.
Ende nicht ganz schwer geworden sein für England, ein Tauschobjekt ju finden, was ihm willkommen gewesen wäre und für das es wohl geneigt gewesen wäre, die Insel fortzugeben. Ich möchte einmal den Entrüstungssturm — und in diesem Falle würde ich ihn für berechtigt gebalten haben — gesehen baben, wenn im Laufe von Jahr und Tag oder kurz vor Ausbruch eines künftigen Krieges die englische Flagge von Helgoland beruntergegangen und uns eine weniger nahestehende vor unseren Häfen erschienen wäre. Also ich bin der Meinung — ich habe über diesen Vertrag etwas länger sprechen können, er gehört ia nun zum Theil der Geschichte an — ich bin der Meinung, daß dieser Vertrag keinen Anlaß giebt, die Regierung abfällig zu fritistren Man beunruhigt sich nun über die Polenfrage und über Elsaß⸗ Lothringen. Ja, was ist denn da geschehen, was zur Beunruhigung Anlaß geben kann? Wir haben in Elsaß ⸗Lothringen den Paßzwang aufgehoben. Es ist eine Maßregel, die fast von aller Welt gebilligt worden ist; aber der Beunrubigungsbedůrftige fügt hinzu: wird nun die Regierung auch wohl stark genug sein, diejenigen Maßregeln zu ergreifen, die als Surrogat für den aufgehobenen Paßjwang noth⸗ wendig geworden sind? Man wartet gar nicht ab, daß solche Zehen der Schwäche eintreten werden, sondern setzt ohne Weiteres voraus das werde wohl kommen, und man kritisirt. Die Regierung von Elsaß ⸗Lothringen hat geglaubt und hat das mit Zusttmmmig des Reichs. kanzlers, in letzter Instanz Seiner Majestät des Kaisers, gethan den Paßiwang aufheben zu können, weil sie die Neberzeugung gewann! daß die Wirkungen, die er haben sollte, nur dann eintreten . 2 er mit rücksichtsloser Konsequen; durchgeführt worden ware Diese rücksichts lose Konsequen; war aber nicht durchzuführen, sie liegt nicht im Wesen unserer Nation. Ich will auf die einzelnen Fälle nicht eingehen, wo Kinder nicht an das Krankenbett ihrer sterbenden Mutter kommen konnten. ö . . Es ist eben eine solche Schroffheit wohl auf kurze Zeit durch führbar, aber im Laufe der Jahre wird sie unerträglich und führt zur Verstimmung der Elsaß Lothringer selbst. Nun hat das deutsche Wesen in Elsaß Lothringen und die Assumilirung Glfaß Lothringens ans Reich ganz zweifellos in den letzten Jahren Fortschritte ne, und wird weitere Fortschritte machen. Man darf sich nur nicht be⸗ unruhigen, wenn nicht zwischen heute und morgen alle Glfaß Lothringer Deutsche werden in ihrer Gesinnung. Ich darf auf das ö. kannte Beispiel von der Rheinprovinz verweisen. Wie . hat das gedauert, bis die 9 beinprovinz innerlich preußisch wurde, wir wollen hier ebenso lange warten. Nach meinem Dafürhalten wird es hier nicht schlechter gehen; es läßt sich ein Erfolg, wie immer in Deutschland, wo es sich um das Assimistren handelt, nicht davon erwarten, daß wir die zu Assimilirenden durch Liebenswürdigkeit berücken werden. Das liegt nicht im deutschen Charakter, aber wir werden durch die guten Eigenschaften des Dent. schen, wir werden durch die Aenderung in den Verwaltung gesc zen die in Elsaß ‚Lothringen geplant ist, und die dahin geht, 1 dortigen Mitbürgern die Wohlthaten der Selbstverwaltung in erhůhtem Umfange zu gewähren, weiter kommen. Wir kommen aber vor allen Dingen weiter durch die Armee; die hat noch immer das beste Bindeglied unter den Altpreußen und Neu. preußen gebildet, sie wird auch zwischen Alt., und Neudeutschen das beste Bindeglied sein. Das ist aber nicht damit gethan daß man Schilder schwarz⸗weiß roth anstreicht, sondern da müssen k durch die Armee gegangen sein und den deutschen Geist mit zurkik⸗ gebracht und auf ihre Landsleute übertragen baben; das bedürfen sie Ich bin also der Meinung, daß in dem gegenwärtigen Zuste rd ö. Elsaß Lothringen für uns nicht der mindeste Grund zu , . ruhigung liegt. Die dortige Regierung ist sich ibrer Pflichten boll. kommen bewußt und bereit, gegen etwaige Ausschreitungen diejenigen Mittel zu handhaben, die ihr zu Gebote stehen. ; 3 Ich komme zur Polenfrage, und ich muß um E tschuldigung bitten wenn ich hier auf ein Gebiet übergehe, was zum Theil . preußischen Regierung unterliegt und nicht Reichs sache ist, das ich 656 da ich einmal bei diesem Beunruhigungsbacillus bin, auch hier mii besprechen will. Man hat auch hier der Regierung ein vorzeitiges Aufgeben eines bewährten oder noch zu bewährenden Systems n geworfen. Zuerst hat man mißfällig wahrgenommen, daß wir die Grenzen so weit mehr als früher geöffnet haben, daß wir männlichen Arbeitern den Uebertritt aus russischem Gebiet auf preußisches gestattet haben. Nen, uns wäre es! auch angenehm gewesen, wenn all die Aecker, die an den Grenzen liegen, von deutschen Arbeitern bestellt worden wären. Der Uebelstand liegt nur darin, daß, wie es sich his zur Evidenz gezeigt hat, deutsch Arbeiter nicht zu haben waren. Es ist ja eine bekannte Thatsache — und die Klagen, die der Herr Abg. Rickert in Bezug auf die Prodin; Ostpreußen vorgebracht hat, wurzeln zum Theil in dieser Thatsache — daß die Arbeiter aus dem Osten einen starken Drang nach ben Westen haben. Ich will es nicht auf ein allgemeines Naturgesetz zurückführen, aber es kommt eins zum andern. Die Sachsen. gängerei, die ja auch manche gute Seite bat, die Einführung von Maschinen von intensiverer Natur, die auf kurze Zei einen stärkeren und dann wieder einen geringeren Bestand an Arbeitern fordern, der Drang der Menschen in die Stadt hat dahin geführt, daß in den Grenzkreisen die Arbeiter— zahl, wenigstens im Norden, absolut unzureichend ist. Nun hat die preußische Staatsregierung nicht verkannt, daß, wenn sie russische Arbeiter herüberläßt, damit eine gewisse Gefahr für die Germani⸗ sirung verbunden ist; sie macht den Versuch, sie im Herbst immer wieder zurückzuführen. Wie weit es gelingen wird, mag dahingestellt sein. Aber selbst diese Gefahr anerkannt, hatte nach meinem Dafür⸗ halten die Regierung keine Wahl. Wir haben doch kein Interesse daran, daß die Grenzkreise veröden oder verwalden; sollen sie bestellt werden, so müssen Menschen dafür da sein. Diese Menschen konnten wir, wenn die Landwirthschaft nicht im Stande ist, höhere Preise zu zahlen, und das ist sie nicht, nicht anders bekommen, als indem wir die Grenze nicht beschränkten. Es hat dann die preußische Regierung in Bezug auf den Privat unterricht in der polnischen Sprache in den Volksschulen insoweit auch den früher existirenden Zustand wiederhergestellt, als sie ge— nehmigt hat, daß da, wo der Religionsunterricht in der polnischen
Sprache ertheilt wird, Privatunterricht im Polnischen unter Be— nutzung der Schulräume, sofern die Gemeinde damit einverstanden ist, durch die Lehrer den Kindern gegeben werden darf. diese Forderung doch nicht allzu unbillig, wie sie von Seiten dieser polnisch sprechenden Mitbürger aufgestellt worden ist.
Mir scheint
theilen, hat Besitzungen rund um den Erdball, und es möchte am
wenn in dem Religiongunterricht polnisch
Denn,
gesprochen worden