1891 / 288 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 07 Dec 1891 18:00:01 GMT) scan diff

als der Reichttag am 6. Februar 1391 fast eiastimmig erllärt babe, die Immunität der Reichstagsmitglieder dauere wãbrend jeder Vertagung fort, und den Reichskanzler aufgefordert babe, bei den ESinzelregierungen dabin —— *— daß die zur Durchführung dieser Auffafsung nötbigen Maß⸗ regeln getroffen würden. Ueber die Materie selbst also berrsche keine Meinungsverschiedenheit. Umsoweniger gebe er auf den Vor schlag ein, der nicht nur cine Gesetzes', sondern auch eine Ver⸗ fasangtänderung bejwecke und sich in den Spuren einer Ge⸗ wohnbeit bewege, von der er gehofft habe, daß die 1 Regierung sie aus der Welt schaffen werde. Es handele sich ja um keinen furchtbaren Ansturm auf die Verfassung, man könne die Sache ruhig besprechen und ruhig ablebnen Die Be⸗ stimmung, daß ein Parlamentsmitglied wäbrend der Sessione periode nicht verhaftet werden dürfe, sei sehr alt und ftamme aus England, wo die Immunität der Ahgeordneten nickt als ein Recht des Einzelnen aufgefaßt werde, sondern als ein Reckt des Parlaments, das einen Anspruch darauf babe, in seiner Ttãtigkeit nicht durch die obne zureichenden Grund berbeigefübrte Entziebung einzelner Mit glieder geftrt zu werden. Dieses Recht sei in England lechs Jahr⸗ hunderte hindurch durch alle Parteikãmpfe und gegen alle Schwierig · keiten verfochten worden, es habe sich früher sogar auf die Diener der Mitglieder ausgedebnt. Ven da sei die Immunität auf alle parlamentarisch regierten Länder des Kontinents übergegangen, und zwar fast überall in weiterer Ausdebnung als in Deutsckland. Die Immunitätsbestimmungen in der deutschen Verfaffung stammten noch aus der des Norddeutscken Bundes, wo sie unter besonderer Mitwirkung des Abg. Dr. von Bennigsen redigirt und ohne Besprechunz genehmigt worden seien. Aus Anlaß der be⸗ kannten Majunke schen Verbaftung im Jabre 1874 habe der Reichstag den Art. 31 der Verfassung nur für anwendbar er⸗ klärt auf die Untersuchungsbaft, auf das Vorverfahren, nicht aber auf eine rechtskräftig gewordene Verurtbeilung. Die Sache sei streitig geblieben. Im Großen und Ganzen babe die Frage in Dentschland aber nicht die Bedentung, die sie in England gehabt babe. Meistens hätten Yreßvergeben und Beleidigurgsklagen zu einer Verhaftung von Abgeordneten gefübrt, und er wünsche, daß die üble Tradition einer 1c boffentlich vergangenen Zeit, in der der Staat?. anwalt beftändig arf der Lauer gestanden habe, endlich yen , sei. Was babe nun zu einem so außergewöbnlichen Ab⸗ änderunzgantrag geführt? Es sei die jweimalige Vertagung des Reichstags seit dem Mai 1880. Dieser Zustand sei ein an und für sich ganz ungewöhnlicher und naturwidriger. Nur durch eine Fiktion sei man seit 1880 noch in dersel ben Sesston, und um diesen fiktiven Zustand gegen die Natur des Gesetzes, die Absicht der Geschäfts ordnung und die Reichsderfaffung aufrecht zu erhalten, schlage man eine Verfassunacarderurg vor. Der Grundsatz der Diskontinuität zwischen den verichiedenen Legislaturperioden werde in der parlamentarischen Praxis Englands auf das Schärfste festgebalten und babe sich dvraktisch als nützlich bewährt. Jede Legislatur ptriode bestebe für sich und habe ihren natürlichen Anfang und ihr natürliches Ende. Die Folge davon sei daß alle geetzlichen und ge⸗ schästlichen Initiativen, die in einer Legislaturperiode zu Tage ge- zreten seien, mit ihr selbst eines natürlichen Todes stürben. Man babe allerdings bei der großen Justizgesetzgebung das Bedürfniß ge—⸗ füblt, Kommissionen einjusetzen über die Dauer einer Legislatur periode binaus. Der beirtffende Antrag Lasker sei 1871 vam Reichs. tag verworfen worden. Unter den Gegnern habe sich Windthorft befunden, der als Folge dieser Fortschleppung der varlamentarischen Thätigkeit ein allzu großes Anwachsen der Macht des Parlaments und eine Erschütterung der Rechte des Kaisers und der verbündeten Regierungen befürchtet habe. Von dieser Beunrubigung sei man allerdings zurückgekommen. Später sei es doch zu solchen Zwischenkommissionen gekommen, aber die Sache sei von einer organischen Einrichtung herabgemindert worden zu einer konkreten Vor⸗ schrift für bestimmte Fälle. 1874 sei beinabe einstimmig die Zustiz⸗ kommission für die Berathung der Civilprozeßordnung und für die Gerichtsordnung, 1876 für die Konkursordnung eingesetzt worden. Der gegenwärtige Zuftand sei ein ganz anderer, als er damals ge⸗ wesen sei. Damit die Beschlüsse einer Kommission nicht verloren gingen mit dem Schluß der Session, habe man 1880 wegen der Gewerbeordnungs und 1391 wegen der Krankenkassennovelle eine fiktive Vertagung eingeführt. Nun sei es für ihn schon an und für sich höchst anstößig, daß nur wegen solcher Spezialfragen eine so gründliche Veränderung der Verfaffung vorgenommen werden solle Er halte diese Prozedur der ewigen Vertagung, überbaupt für ein Unglück. Anträge und Gesetzesvorlagen sollten immer das Ergebniß gewisser Zeitumstände sein und nicht in alle Ewigkeit auf der Tagesordnung stehen bleiben. Was des Lebens werth sei, könne bei jeder neuen Legiglaturperiode von Neuem eingebracht werden. Außerdem werde durch diese Vertagung die Bestimmung der Verfassung, wonach der Reichstag jährlich berufen werden solle, vollständig außer Kraft gesetzt. Es handele sich hier nicht um etwas Formales. Man babe mar richt mehr, wie in anderen Parlamenten, die Beantwortung von Thranreden durch Adressen, aber die Eröffnungebotschaft bei Beginn der Sesston sei kein gleichgültiges Ding; die ganze Welt warte auf die Worte, die vom Throne herab an das Volk und aus an die Welt erklingen würden. Der Reichstag sei in den letzten Jahren zweimal eröffnet worden, ohne diese Manifestation von Allerbönster Stelle, ebenso habe auch der Schluß des Reichstags in Gegenwart des Kaisers gefehlt. Rur der Gewerbeordnungs⸗ und der Krankenkassen novelle wegen habe man doch nicht zu einem solchen Mittel zu greifen brauchen, um so weniger, als man sich damit formell in Widerspruch setze mit den Verfassungen der Einzelstaaten. In Folge dieser Vertagungen laufe man auch Gefahr, daß man von dem Bundesrath keine Entschließungen über die vom Reichstag angenommenen Initigtiv⸗ anträge erfahre. Er erinnere nur an die wichtigen Beschlüsse in Bezug auf Tarlfwesen, bezüglich des Zolls auf Petroleumfässer u. s. w. Es könne weiter die Frage entstehen, ob z. B. ein Richter als Mitglied des Reichstags während der Vertagung keinen Dienst zu thun brauche, ob die Abgeordneten von Berlin nach ihrer , freie Fahrt hätten. Gebe es denn wirklich kein anderes, einfacheres Auskunfte⸗ mittel? Die Geschäftgordnung bestimme, daß alle Wirkungen der Legislaturperiode mit ihrem Schluß aufhörten. Damit seien auch die Kommissionen zum Tode verurtheilt. Nun sollte man den Reichstag möglichst verschonen mit Gesetzen, die derartige langathmige Kommissionsarbeiten nothwendig machten, wenn die Kom missionen nicht, wie für die Justizgesetze ad, hoc ein- esetzt würden. Man könne im Einzelfall bestimmen, daß die rbeiten einer wichtigen Kommission, wenn sie am Schluß einer Sitzungsperiode nicht zum Ende lämen, nicht verloren seien. In erster Reihe halte seine mr eine kommissarische Berathung der Vorlage für überflüssig, sollte sie aber von anderer Seite beliebt werden, so empfehle er die Ueberweisung an die Geschäftsordnungt— Kommission zur Prüfung, wie die entstandenen Schwierigkeiten durch Aenderungen der Geschaͤftfordnung zu beseitigen seien. Staatssekretär Dr. von Boetticher: Mit dem Herrn Vorredner bin ich in zwei Punkten von vorne⸗ herein einverstanden: einmal damit, daß man nicht ohne zwingende Noth zu Verfassungsänderungen schreiten soll, und zweitens damit, daß der vorliegende Gegenstand nicht so geartet ist, daß man sich darüber in irgend welche Erregung zu versetzen nöthig hätte, daß wir vielmehr ganz ruhig und objektiv überlegen können, wie wir aus den Verlegenheiten, die bisher in der Praxis rücksichtich der Auslegung des Artikels 31 entstanden sind, herauskommen können. Ich bin ihm auch dankbar dafür, daß er die Frage, was die materielle Seite der Vorlage der Regierungen anlangt, nicht unfreundlich beurtbeilt hat. Seine Auseinandersetzung ging in der Hauptsache dabin, es sei kein ausreichender Grund vorhanden, um eine Verfassungtänderung vor⸗ znehmen, und wenn man auch gewisse Mißflände anerkennen müsfe, so ließen fich diese vielleicht auf anderem Wege beseitigen, namentlich

auf dem Wege, daß man die Verfagur gen, die die Veranlassung zu den Mißständen gegeben haben, künftig vermeide.

Meine Herren, die Regierungen befanden sich, als sie in dlesem Sommer sich mit der Frage besckäftigen mußten: wie ist den unleug⸗ baren Mißständen. die aus einer verschiedenartigen Auslegung und Anwendung des Artikels 31 sich ergeben, zu begegnen? der Resolution des Reichetags vom 6. Februar dieses Jahres gegenüber. Diese Resolution giebt dem Artikel 31 der Verfassung eine gan; bestimmte Deutung und fordert die verbündeten Regierungen, oder vielmehr den Reichskanzler auf, bei den verbündeten Regierungen dahin zu wirken, daß die Deutung, welche der Reichstag für die richtige hält, auch in der Praxis der Staatsanwaltschaften und Gerichte zur Anwendung komme. Bei der Frage, was auf Grund dieser Resolution zu thun sei, stellte sich sofort heraus, daß die verbündeien Regierungen über die Auslegung des Artikels 31 sich selbst nicht in Uebereinstimmung befanden, und daß es anmöglich war, auch diejenigen Regierungen, welche dem Artikel 31 die Deutung gaben, die im Jahre 18585 hier des Weiteren vom Regierungstische entwickelt ist, zu zötbigen, dazu überzjugeben, daß sie sich der von den andern Regierungen und vom Reichstag für richtig gebaltenen Auslegung anschlicßen. Weiter mußte man sich aber sagen, daß, selbst wenn es möglich sei, durch einen Majoritätsbeschluß im Bundesraih eine bestimmte Aug⸗ legung des Artikels 31 festzulegen, doch damit gegenũber der Gerichtspraxis gar nichts gewonnen sei. Die Staatsanwaltschaften konnen wir anwelsen, sich des Einschreitens gegen Reichstags ⸗Abgeordnete während der Dauer der Vertagung zu entbalten. Anf die Gerichte haben wir bei ihrer Souveränetät keinen Einfluß, und es wäre namentlich unmöglich gewesen, in denjenigen Fällen, die sich in diefem Sommer ereignet, und die namentlich in der sozialdemokratischen Presse eine so scharfe Verurtheilung erfabren haben, von Seiten der Regierung irgendwie belfend einzugreifen. ;

Also das Ergebniß unserer Betrachtungen war das, daß wir auf dem Wege der Anweisung an die Bebörden nicht zu dem Ziel kommen können, welches der Reichstag wünscht und welchem er in seiner Reso⸗ lution Ausdruck gegeben hat. Wir müssen also den Weg der Gesetz gebung beschreiten. Und dabei bat man sich aus den Gründen, welche der Vorlage beigegeben sind, in voller Einmüthigkeit dafür entschieden, daß die im Artikel 31 für die Mitglieder des Reichstags gegebene Immunität während einer Vertagung außer Geltung zu treten bat. Diese Sründe sind von dem Heirn Vorredner einer Betrachtung nicht unterjogen worden. Ich brauche also an dieser Stelle auch nicht darauf einzugeben.

Nun hat der Herr Vorredner gemeint, gegenüber der gewiß be⸗ rechtigten Empfindang, das man zu Verfassungsänderungen nicht über⸗ geben soll obne zwingende Noth, wäre es viel einfacher, wenn man die Bertagungen vermiede, wie sie nun schon zwei Jabre hintereinander vor⸗ genommen sind und die dazu geführt baben, daß wir uns jetzt immer noch in der ersten Sitzungẽperiode der gegenwärtigen Legislaturperiode befinden.

Meine Herren, ich hätte gewünscht, daß der Herr Vorredner seine für mich sehr interessante Auseinandersetzung damals vorgebracht hätte, als es sich um die Zustimmung des Reichstags zur Vertagung im Interesse der Aufrechterhaltung der Kommissionsarbeiten handelte. Die verbündeten Regierungen würden mit sich baben reden lassen; denn uns kam es nur darauf an, daß die große Mühe und Arbeit, die von Seiten der Kommissionen des Reichstags im vorigen Jahre auf die Arbeiterschutzgesetzgebung, ia diesem auf die Krankenkassen⸗ novelle verwendet war, nicht verloren werden sollte. Im vorigen Jahre hätte man auf dem bei der Beratung der Justizgesetze beliebten Wege helsen können, in diesem Jahre aber konnte eine sogenannte Zwischenkommission garnicht in Frage kommen, denn die Kommissions⸗ arbeiten waren vor der Vertagung abgeschlofsen. Es handelte sich nur darum, daß man das Dpus, welches die Kommission geliefert batte, ohne Weiteres in die Plenarberathung des Reichstags bei Wiederaufnabme einer Sitzungen bringen konnte. Und wenn der Herr Vorredner damals den Verschlag gemacht hätte, ob man nicht durch eine Aenderung der Geschäftẽordnung oder auf irgend welchem anderen Wege dieses Ziel hätte erreichen wollen, ich würde, glaube ich, Namens der verbündeten Regierungen auch ohne besondere Sondirung haben erklären können, daß der Bundesrath durchaus da⸗ mit einverstanden sei. Also die Sache liegt einfach so, daß wir lediglich die Initiative ergriffen haben, um auch unsererseits dazu mitzuhelfen, daß ein unzweifelhafter Mißstand beseitigt wird. Wenn zxir die Initiative ergriffen haben, so haben wir das auch nicht obne genaue Prüfung der Frage gethan, ob es mit Rücksicht darauf, daß es sich hier um ein Recht des Reichstag,s handelt, takt= voll sei, die Initiative gewissermaßen dem Reichstag über den Kopf zu nehmen. Auch diese Frage ist eingehend erwogen worden, und ich bin beute durch die Ausführungen des Herrn Dr. Bamberger in der Empfindung bestärkt worden, daß wir Recht gethan haben, die Initiative zu ergreifen, denn es würde für den Reichstag eine gewisse Verlegenheit gewesen sein, seinerseits in dieser Beziebung den ersten Schritt zu thun, und ich glaube kaum, daß sich dort eine starke Initiative entwickelt haben würde. Jetzt aber, meine Herren, sind Sie vor die Frage gestellt, befinden Sie darüber nach Ihrem Er⸗ messen; halten Sie sich gegenwärtig, daß, wenn Sie diesem Gesetz, oder irgend einer anderen Vorschrift nicht juftimmen, welche den Miß⸗ stand beseitigt, dieser Mißstand ein daaernder sein wird, und daß es außerbalb der Machtoollkommenheit der verbündeten Regierungen liegt, einen Reichstags Abgeordneten vor einer Verfolgung während einer auch in Zukunft doch immerhin möglichen Vertagung zu schützen.

Also ich gebe die Beschlußfassung Ihrem Ermessen anheim will aber darauf hindeuten, daß die Wirkung der von Ihnen am 6 Fe⸗ bruar d. J. gefaßten Resolution nicht eintritt, wenn Sie den Gesetz entwurf ablebnen, oder nicht etwas Anderes an seine Stelle setzen, was eben zweifelsfrei die Anwendung des Artikels 31 der Verfassung

sicher stellt. (Gravo h

Abg. Dr. Lieber: Gegensatz um Abg. Dr. Bamberger sei seine Partei für kommiffarische Berathung der Vorlage, stehe ihr aber darum nicht freundlicher gegenüber. Selbstverftändlich stehe seine Partei auch heute noch auf dem Standpunkt vom 6. Februar 1891 und freue sig daß weder die Gesammtheit noch die Mehrheit der verbündeten Regierungen über Art. 31 eine andere Auffassung babe, als der Reichstag * damals ausgesprochen habe. Allerdings reiche für wiederbolte längere Vertagungen, wie sie in den letzten

abren etreten seien, Art. 31 nicht aus. Die Immunität der eichgta gs Abgeordneten müfse jederzeit durch den Reichstag . aufgehoben werden können, und das eben sei bei Vertagungen ni möglich. Zur Beseitigung dieser Schwierigkeit die Verfaffung zu

änbern, sei aber auch selner Partei bedenklich. Die Schwierigkeit hätte wohl rermieden werden körnen, und der vom Staats ekretãr ge⸗ machte Vorwurf treffe nicht nur den Abg. Or Bamberger, fondern mebr oder weniger alle Mitglieder. Er freue sich, daß die Regie tung anheimgebe, eine Entschließung zu fassen, und seine Hartei wolle gerade deshalb kommiffarische Berathung., damit man hier⸗ nach bestimmte Vorschläge ins Plenum bekomme, abageschen davon, daß er es nicht fär gut halte, eine eine Verfaffungz⸗ änderung anstrebende Regierung s vorlage, die auch nur 28

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den Reichstag gerichtet zu sein scheinen könnte, kurzerhand abzule

Verwunderlich erscheine es nun, daß man bei Schaffung der Geschäfts⸗ ordnung nicht schon Vorkebrungen gegen die jetzt akut gen ordenen Mißstãnde getroffen babe. Die ü der Ver⸗ fafsung feien auf aus dem Norddeutschen Bundestage hervorgegangene Initiative aus der preußischen übernemmen worden; es sei nock un= aufgellärt, warum der Verfaffungsentwurf der Regierung die Inrmu-⸗ nitãt gar nicht enthalten habe. Nachdem aber die beireffenden Be⸗ stimmungen übernommen seien, halte er eine Berfassungs änderung für um so bedenklicher, als sie sonst auch eine solche in Preußen zur Folge haben könnte, die seine Partei unbedingt vermieden fehen möchte.

Abg. Dahn: Seine Partei schlage vor, die Vorlage einer be⸗ sonderen Kommission Lon vierzehn Mitgliedern zu überwmeisen. Auch sie stehe noch auf dem am 2. Februar eingenommenen Stand⸗ punkte, aber sie erkenne mit der Regierung die Noetbwendigkeit an, den Schwierigkeiten Abbülfe zu schaffen, die aus einer Immunität bei einer längeren Vertagung des Reichstags entständen. Der Reichstag solle nach der Verfaffung jedes Jebr berufen und am Ende seiner Arbeiten geschlossen werden. Monate lange Vertagungen seien bei der Einführung der Bestimmungen über die Jumunität sicherlich nicht in Aussicht gens mmen worden Das folge ja auch daraus, daß bei solchen Vertagungen die dem Reichstag jzuftehende Aufhebung der Immunität fortfalle, denn selbsiverständlich könne man zu diesem Zwecke den Reichstag richt besonders berufen. Der Zußstand, daß die Gerichte in der Auslegung der Verfaffung mit der einmüthi⸗ gen Ansicht des Reichstags im Widerspruch ständen, dürfe nicht fort- dauern. Gehe man in dieser Pinsicht gesetzgeberisch vor, jo müsse es in der Richtung der Vorlage gescheben: die Immunität nur während der Versammlung des Reichstags zu konstituiren. In der Kommission sei auch zu prüfen, ob die Iwnmänität sofort nach der Vertagung oder erst nach Ablauf der Frist von dreißig Tagen erlösche und wie für während der Vertagung verhandelnde Kommissionen zu sorgen sei.

Abg. Singer: Er könne den Standpunkt, den sämmtliche Vor⸗ redner eingenommen, als richtig nicht anerkennen. Der Reichstag müsse sich diesem Versuch, seine Rete einzuschränken, auf das Ent⸗ schiedenfte widerseten. Die ganze Vorlage sei durch das gerichiliche Vorgehen gegen sozialdemokratische Abgeordnete veranlaßt Gleich nach der vorjährigen Vertagung sei durch die Staatsanwaltschaften die Jagd auf die Sozialdemokraten eröffnet worden. Der Abg. Schmitt sei während der diesjäbrigen Vertagung in Cbemnitz vor Gericht gefübrt und zu fünfiekn Monaten Gefaͤngniß verurtheilt worden. Er sei wegen Privatbeleidigung angeflagt gewesen; die sächsischen Staattanwalte verfolgten solche ja mit Vor liebe aus öffentlichem Interesse, falls der Beleidigte nicht etwa Soꝛialdemokrat sei. Der Abg. Schmidt solle dadurch groben Unfug verübt baben, daß er zum Vierteliabrswechsel in seinem Blatt in einem Artikel zum Abonnement aufgefordert habe Dieser Prozeß sei sogar vollständig ungesetzlich während der Sitzung des Reichs⸗ tags, obne die Genebmigung ur Strafverfolgung nachzusuchen, ein⸗ geleitet worden. Der Abg Schmidt solle ferner einen Gemeinde dorstand beleidigt baben weil er ibm gesagt habe, daß er einen Wahl⸗ aufruf mit seinem Titel unterzeichnet babe. Den Amtsgerichts Rath Brettschneider solle er dadurch beleidigt baben, daß er ibn in seiner Zeitung Amterichter genannt babe. Wegen aller dieser Fälle sei er zu fuͤnfzebn Monaten Gefängniß verurtbeilt worden. Die Thatsache, daß der sächsische General Staatsanwalt Held beute hier sei, sei arakteristisch dafür, daß man die Urheber der Vorlage in der säcksischen Regierung zu suchen babe. Der Staats sekretär habe zugegeben, daß die verbündeten Regierungen über die Auslegung der Verfaffung nicht übereinstimmten Diese Meinungsverschiedenheit werde wobl durch die sächsische Regierung gestützt sein; sei man doch seit Jahrzehnten gewobnt, bei allen Maßregeln gegen die Sozialdemokratie die Herren aus Sachsen die Rolle der Piqueure bei der Jagd spielen zu seben. Cine Kommissions beralbung sei nicht nötbig, die Vorlage sollte einfach mit einem entschiedenen Nein beantwortet werden. Der Abg. Hahn. dessen Partei sich im vorigen Jabre durch den Abg. Dr. Hartmann für die Aufrecht⸗ erbaltung der Immunität während jeder Vertagung ausgesprochen habe, sei jetzt zu der Ansicht der Regierung übergegangen. Für die Nationalliberalen und die Reichspartei hätten damals die Abgg. Dr. von Marquardsen und Freiherr von Unruhe ⸗Bomst ebenfalls im Sinne seiner Partei gesprochen. Die Vorlage spreche aber das Gegen⸗ theil von dem auß, was der Reichstag einmüthig beschlofsen babe. Der Reickstag müße an seiner Immunität in allen Fällen festhalten. Manche anderen Staaten gingen über die Auffafsung seiner Partei noch binaus, so batten Portugal und Ungarn die Immunitãt wãhrend der ganzen Legislaturperiode. Die Regierung befürchte bei Aufrechterhaltung der Immunität eine Verjährung von Preßvergehen. Dann sollte sie doch den Art. 69 des Strafgesetzbuches dabin ju ändern beantragen, daß die Verjãhrung während der Reichstags vertagung rube, wogegen seine Partei keinen Widerspruch erheben würde. Die Regierung sehe kein Bedürfniß für eine so weit gehende Immunität, aber sie versende doch selbst wäbrend der Vertagung Aktenstücke an die Abgeordneten, setze also eine Thätigkeit von ibnen auch während der Vertagung voraus. Er könne den Staatssekretär nicht von einer gewissen Schuld an der Interpretationswuth der Staatganwälte und Gerichte freisprechen, denn aus seiner Rede im vorigen Jahre hätten dieselben wohl einen Anlaß nebmen können, sich nicht um die Vertagung zu kümmern. Die Regierung hätte nicht eine Einschränkung der Immunität, sondern ihre Grweiterung vorschlagen sollen. Seine Partei wolle diese Erweiterung selbst beantragen, wolle aber erst die Entscheidung des Reichsgerichts über die Auslegung des Chemnitzer Gerichts abwarten. Das Reichsgericht habe sich zwar auch schon Unglaubliches geleiftet er erinnere nur an die Ent ⸗˖ scheidung über die konkludenten Handlungen aber er hoffe, daß das Reiche gericht die Auslegung des Chemnitzer Gerichts für un= gesetzlich erklären werde. Beantrage seine Partei die Erweiterung der Immunität und der Reichttag werde die Aufrechterhaltung seiner früberen Beschlüße hier hoffentlich annehmen so bleibe der Regi Gberlaffen, dazu Stellung zu nehmen. Die Regierung werde ũbeꝛ müssen, ob sie einen Konflikt mit dem Reiche tag hervorrufen wolle in einer Sache, die der Würde, dem nieben und der Ehre des Reichstags zu gute komme. Bedauerlich sei, daß die übrigen Fraktionen, auch der . Dr. Bamberger, beute die Frage so nüchtern und geschäftsmäß bebandeltea, bier heiße es: principiis obgta gegenüber dem erften Versuch eines Eingriffs in die Privilegien des Reichstags. Für den Reichstag gebe es kein höhrres Gesetz als das Wohl des Volks, und eine Ginschränkung der Rechte der Volksvertretung sei ein An⸗

riff auf das Volle wobl. Keine bundesstaatliche Versassung ent . eine ähnliche Beftimmung wie die Vorlage. Hessen habe sogar die I'nmunttät für die ganze Legielaturperiode. Man wär de mit diesem Gesetz den Reichttag in seinen Rechten also f stellen als die Parlamente der Ginzelstaaten.

8s Dr. Bosse:

Staats sekretãr des Reichs⸗Justizamt

Meine Herren! Ich will den Ausführungen des Herrn Vor redners im Ginzelnen nicht nachgehen, ich kann das meinem sächstschen Herrn Kollegen im Bundesrath überlassen. Ich habe aber einen be- stimmten Anlaß, als Vertreter der Reiche ⸗Justijverwaltung, dem Herrn Abg. Singer zu widersprechen. Er hat es für richtig gehalsen, zu behaupten, daß auch das Reichsgericht bereits Unglaubliche geleistet habe, und diesez Unglaubliche soll offenar ein Tadel und ein Urtheil über das Reichsgericht sein, das wohl geeignet ist, Bedenken i erregen

*

* wenn es bier an dieser Stelle, ohne Widerspruch ju finden, autz=

Meine Herren, das Reichsgericht und ich alaube mich dabel auf die überwiegende Mehrheit hier im Hause und auch im ganzen Reiche berufen zu können hat wäbrend seiner Wirksamkeit Aus⸗ gezeichnetes geleiftet. Es bat sich das Bertrauen des deutschen Volkes in den weitesten Kreisen erworben, und ich balte es für meine Pflicht, das hier ausdrücklich auszusprechen und das Reichsgericht gegen die

Insinuationen des Herrn Abg. Singer zu verwahren. (Bravo rechts.) Wir können froh sein, daß wir das Reichsgericht baben und daß das Reichsgericht seine Pflickt in der ausgezeichneten und von Menschen⸗ furcht freien Weise erfüllt hat, wie es dies bis jetzt gethan bat. Ich bin es dem Reichsgericht schuldig, das vor dem Haufe und dem Lande ausdrũcklich zu beztugen Bravo rechts.)

Da ich einmal das Wort habe. ss will ich nur Folgendes binm fügen: wenn der Herr Abg. Singer gesagt bat, es sei bedauerlich, daß die Staatsanwälte und die Gerichte Interpretationen derart, wie es ja vorgekommen ist, aufftellen, und er könne den Herrn Staats- sekcelär des Innern von einer gewiffen Mitschuld davon nicht frei⸗ sprechen, so will ich, da der Herr Staatesektetär des Innern nicht anwesend war, als diese Atußerung fil, nur bemerken, daß es mir vollkommen unfaßlich ist, in welcher Weise der Staatssekretr des Innern im Stande sein sollte, der von dem Herrn Abg. Singer als Interpretationswuth bezeichneten Thätigkeit der Staatsanwälte ent . gegenzutreten. Meine Herren, eine solche Interpretationswuth befteht so wenig, wie bei den Staatsanwälten eine Jagd auf Demekraten bestebt. (Lachen und Widerspruch bei den Sosialdemokraten) Wenn die Staatsanwälte Rechtzwidrigkeiten verfolgen, so verfolgen sie sie gegen Jedermann, gegen Sozialdemokraten so gut, wie gegen An⸗ gehörige anderer Parteien, und damit thun sie nur ibre Pflicht und Schuld igktit. Sie verdienen aber nicht, in dieser Weise deshalb an⸗ gegriffen zu werden. (Lebbaftes Bravo! rechte.)

Sächsischer Bundesratbsbevollmächtigter, General ˖ Staatean walt Held; Die Mittbeilungen des Abg. Singer aus dem Chemnitzer Prozeß seien so unvollkommen gewesen, daß er ihnen gar nicht anders entgegentreten könnte, als 9 er den ganzen Prozeß bier vorführte; dies würde ihn aber zu weit fübren. Er muͤsse die sächsischen Staats⸗ anwalte gegen den Vorwurf in Schutz nehmen, daß sie in ihrer Verfolgungssucht! vornehmlich gegen Anbänger der Sozial demokratie borgingen. Worum handele es sich denn? Die Staats . anwalte und Gerichte seien in ihrer Interpretation anderer Meinung ge—⸗ wesen als der Reichstag, und der Jurist, der nickt einer anderen Meinung sein dürfte, der hätte seinen Beruf verfehlt. (Heiterieit. ) Selten sei eine Frage mit einer solchen objektigen Küblheit behandelt worden von der Presse sämmtlicher Parteien, mit Ausnahme der sozial⸗ demokratischen, wie diese. Blätter von der Linken hätten zwar den Art. 31 im Sinne des Reichstags interpretirt, aber es sei allseitig anerkannt worden, daß diese Interpretation zu Mißständen fübre, die unerträglich seien. Der Abg. Dr. Bamberger habe wiederbolt die Ver⸗ tagungen als einen abnormen, fiktiven Zastand erklärt. Was sage denn die Regel der logischen Interpretation? Sie frage nach den Gründen, den Zwecken des Gesetzes, was der Wille der Gesetzgeber ewesen sei, und wenn man erkenne, daß der Gesetzgeber einen . erbeigeführt habe, den er nicht habe herbeifüt ren wollen, so müsse man auch erklären, daß dieses Gesetz nicht in diesem Sinne iu erklären sei. Man möge ihm beweisen, daß der Reichstag, als er diesen Paragraphen in die Verfafsung aufgenommen babe, sich dieser Trag⸗ weite bewußt gewesen sei! Habe er denn diese Erfahrungen gemacht? Es liege ihm nur daran, zu sagen: es ist ein Unrecht, eine Behörde deswegen, weil sie einen Verfassungsartikel anders interpretirt als Sie, der Verfolgungswuth zu zelben. Es wäre schon viel gewonnen, wenn festgestellt würde, daß die Verjährung während der Dauer der Session rube.

Abg. Dr. von Margquardsen; Er interpretire den Art. 31 der Verfafsung heute noch so wie früher, dürfe sich aber den Lehren der Erfahrung nicht verschließen, die auch nach der Meinung seiner Partei dabin gehe, daß diese wichtige Auslegung des Artikels in der Praris zu sehr schweren Mißstäͤnden gesübrt habe, besonders in Folge der langen Vertagungen, die in den letzten Jahren vor— gekommen seien. Der Forderung, daß die Rechte des Reichttags und der Reichstagsmitglieder der Ausgange punkt dieser ganzen Besprechung sein sollten, halte er das Wort entgegen: jastitia fandamentam regnorum. Bei den langen Vertagungen komme die Gerechtigkeitepflege zu kurz, und der Reichs⸗ tags Abgeordnete babe auch in Anwendung auf sich selber vor allen Dingen darauf zu sehen, daß ein Rechtsschutz bestehe für solche Per= sonen, die in itgend welcher Weise durch Mitglieder des Reichstags sich verletzt glaubten. Dieg werde aber durch die Immunifät der Abgeordneten wäbrend der langen Vertagung illusorisch gemacht. In Folge dessen könne eine Reibe von Strafverfolgungen als verjährt erscheinen. Auch er sei der Meinung des Abg. Dr Bamberger, daß man nicht leichter Dinge an eine Verfassungsänderung gehen sollte. Man müffe um so vorsichtiger sein, als Verfass unggãnderungen nicht mit besonderen Garantien in Bezug auf ihre geschäftliche Behandlung verfeben seien, sondern wie einfache Gesetze behandelt wärden. Er fei auch gern bereit, die anderweitigen Vorschläge in einer Kommisfion zu prüfen. Auch einer authentischen Interpretation des Verfassungẽartikels würde er nicht abgeneigt sein. Dem Antrage auf kommissarische Berathung stimmne feine Partei zu Im Anschluß an die Worte des Staats sekretãrs des Reichs-⸗Justizamts möchte er aus der Mitte des Hauses sagen, daß das Reichegericht das Vertrauen der großen Mehrbeit und des Volkes genieße. Selbft wenn die Entscheidung des Reichsgerichts in dieser Frage anders ausfiele, als der Abg. Singer wünsche, so hätte man doch die Entscheidung dieses aus unabhängigen Ehrenmännern bestebenden Gerichts zu achten.

Abg. Dr. Bamberger: Der Siaats fetrelãär habe ibm vorge⸗ worfen, warum er nicht damalk, als es sich um die Vertagung ge= handelt babe, jeine jetzigen Bedenken vorgebracht babe. Resches If ki hãtte man wohl gemacht, wenn er sich damals gegen die Vertagung erklärt hätte, weil ein Gericht in der Zwischemeit eiwa einen e ordneten verhaften könnte? Daß eine Vertagung aus anderen Gründen als wegen Zwischenkommissionen eintrete und man dann in derfelben

e sei, müsse man doch erst abwarten, bevor man die Verfassung

e. Abg. Hahnz Es sei durchaus nicht richtig daß er jetzt auf Einem anderen Standpunkt stehe, als dem Kürzlich 36 g. Pr. Dattmann vertretenen. Seine Partei lege auch jetzt den Art. 31 so aug, wie am 2. Februar. Aer inzwischen vorgekommene Er⸗ 5. ließen ihr eine Aenderung diefes Paragraphen wünschengwersh

cheinen. Werde diese Aenderung nicht vorgenommen, so lege fie eben den Paragraphen unverändert aus.

Abg. Stadthagen: In einem der gegen Sozialdemokraten angeftrengten Prozeffe fei sogar während des tagenden Reichstags, nicht während der Vertagung eingeschritten worden Daß in Sachsen eine besondere Verfolgun n gegen die Sozialdemokraten bestehe, folge ja auch mit Deutlichten daraus, daß vom Gerichtshof felbst gerügt worden fei, daß die Staateanwaltschaft einen unbescholenen und unbestraften Abgeordneten einen gewerbsmäßigen Ehrabschneider n,. abe. Dagegen sei freilich kein Ober Saatganwalt elnge⸗ chhritten. Die Rehau ö daß eine so large Vertagung zur Efrlakrung der Strafthat sühren müffe, sel auch unrichtig, die Ver⸗ bruhng werde durch jede richterliche Handlung unterbrochen, alfo . . . . n., . . die Strafver ·

ehmigen, ohne been ng sekh hn 9 . sicht darauf, ob der Reichstag 9 eld scher Bundegralhebevoll mächtigter, General ⸗Staaltanwalt eldi Die vom Vorredner geiadeste en ßerung des Chemnitzer

Staatsanwalts sei nur zur Begründung des Strafantrages vorgebracht worden. Wäre über diesen Ausspruch Beschwerde —— —— so bätte er Remedur eintreten laffen. Die 1 wird an eine besondere Kommission von vierzehn Mitgliebern verwiesen. Schluß i644 Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch 1 Uhr. (Anträge aus dem Hause.)

Statiftik und Volkswirthschaft.

Bierbrauerei und Bierbesteuerung.

Das QAktoberbeft des Jabrganzs 1391 der Monatshefte zur Sta⸗ tiftik des Deutschen Reichs enthält die Statistik der Bierbrauerei und Bierbeft ea erung im deut schen Zollgebiet für das Etats jahr 1890,91. Belanntlich wird das Bier im Deutschen Reich richt gleickmäßig besteuert, vielmebr beste ben fünf deut sche Steuergebiet, die fich durch die verschiedene Art der Bierbesteuerung und die Höbe der Steuer sätze wesentlich unters Seiden. Das größte dieser Gebiete, das so⸗ genannte Brausteuergebiet, umfaßt diejenigen innerhalb der Zolllinie liegenden deutschen Staaten, welche die Braufteuer für Rechnung der Reichskasie erbeben. Bavern. Wärttemberg. Baden und Clsaß. doth= ringen bilden sodonn je für sich besondere Sttuergeblete und besteuern den Bierverbrauch für eigene Rechnang, also nicht für Rechnang der Reichs kasse.

Im Bragusteunergebiet waren während des Etatsjahres 1890191 8969 Brauereien im Betriebe, darunter 915 nicht gewerbliche, d. h. solche steuerpflichtige Brauerejen, die nur für den Bedarf des eigenen Haus halt ohne besondere Brauanlage Bier bereitet haben. Unter den ubrigen Soo, den sogenannten gewerblichen Brautreien, waren 4916, die vorwiegend obergäbriges. und 3138, die vorwiegend untergähriges Bier bercitet haben. Die Zabl der Bierbrauereien nimmt von Jahr zu Ja br ab, und namentlich die Zabl derjenigen, die vorwiegend obergäbriges Bier bereiten. Wie groß diese Abnahme ist, gebt daraus herpor, daß im Jabre 1873 noch zusammen 10 927 gewerbliche Brauereien im Betriebe gewesen sind, von denen 7544 (also 2628 mehr als 1890,91) vorwiezend obergähriges und 3383 vor⸗ wiegend untergähriges Bier bereiteten. Mit der Herstellung der ober⸗ gäbrigen Biere befassen sich bauptsächlich die mütleren und kleineren Brauereien, und ditse werden mehr und mehr durch den Großbetrieb zurückgedrängt, der vorwiegend untergährige Biere herftellt und den Absatz seiner Erzeugnisse durch den Vertrieb in Flaschen immer weiter ausdebnt. Im Vergleich jum untergährigen gebt daber die Produktion des ober⸗ gährigen Bieres mehr und mehr zurück, denn, wäbrend noch 1875,80 von der Gesammtmenge det erzeugten Bieres durchschnittlich 40 8 der letztaenannten Braugattung angebörten, waren es 1890591 nur Durchschnittlich 26 0. An steuerpflichtigen Stoffen wurden im letzten Jahre ver braucht 630 t Millionen Kilogramm Getreide, darunter 6i2 8 Millionen Kilogramm Gerstenmal schrot und 81 Millionen Kilogramm Malisurrogate, hierunter 3.3 Millionen Kilegtamm Reis. Wenn man nun auch den Reis zu dem Getreide rechnet und lediglich die anderen Surrogate, die hauptfächlich aus Zucker und Zucker kouleur bestehen, in Betracht zieht so stellt sich doch beraus, daß die Verwendung von Surrogaten zur Bierbereitung stetig junimmt, die Verwendung von Getreide dagegen fortwährend abnimmt gu 1 hl Bier wurden durchschnitt ˖ lich neben einander verwendet 1873: Getreide und Reis 2076 kg, Surrogate O 11 Kg; 1890/81. Getreide und Reis 1864 Rg, Surros- gate O19 kg).

Die gesammte Biergewinnung im Brausteuergebiet belief sich 1899/91 auf 323 Millionen h. In Bayern sind im Kalenderjabr 1890 hergeftellt worden 144 Millionen hl Bier, in Württemberg während des Etatsjahres 1890,91: 3.35 Millionen liz Baden während des Stenerjahres 1. Dezember 1889,80: 1,7 Millionen hl und in Elsaß⸗Lothringen während des Etatsjahres . . hl. .

erechnet man unter Berücksichtigung der Bier⸗Einfuhr und Aus⸗ fuhr den muthmaßlichen Verbrauch von Bier, fo stellt sich dieser für den Kopf der Bevölkerung und das vorgenannte Jahr im Braufteuer⸗ gebiet auf 87,8 1, Bavern auf 2321.2 j, Württemberg auf 173.01. Baden 103 21 Elsaß Lothringen 63.7 1 und im ganzen deutschen Zollgebiet (also einschließlich Luxemburgs) auf 195.9 Interessant ift, aus der in der vorliegenden Statiffik zum ersten Male gegebenen Berechnung, des Perhrauchz in den einzelnen Steuergebielen zu erseben, wie im Laufe der briden letzten Fabrebnfe (die Berechnung gebt bis 1872 rückwärts) sich der Bierverbrauch in den verschiedenen deutschen Gebieten verschiedenartig entwickelt hat; da jedoch diefe Frage hier nicht näber erörtert werden kann, so genüge ein Hinweis auf die Veröffentlichung. Die Einnahme von den Bierabgaben be⸗ trug im letzten Jahr im Braustenergebiet 353 Millionen Mark oder 99 M auf den Kopf der Bevölkerung, in Bayern 36.9 Millionen Mark oder 8-54 M auf den Kopf, in Württemberg 8,7 Millionen Mark, oder 425 * auf den Kopf, in Baden 55 Millionen Mart oder 3.33 auf den Kopf, in Elfaß ⸗Lotbringen 23 Millionen Hiart oder 144 4 auf den Kopf, und in sämmtlichen deutschen Steuer 6 jusammen 776 Millionen Mark oder 1.57 * auf den

Sell bstmordstatistik.

Tie Anzabl der Selbftmorde der Welt beträgt nach den Berech— nungen des Statistikers William Mattheus jährlich 180 569. Diese Ilff er sei allsährlich im Wacksen begriffen, und diese Zunabme ftehe in direkter Beziehung zu der fortschreltenden Civilisati⸗n. Aug dieser Statistik geht hervor, daß die Gebirgsbewohner fast nie ihre Rebenz. zeit abkürzen und die Bewobner von sumpfigen Ländern nur fehr felten. Dingegen stellen die Bewohner von Gegenden, die von großen Flüffen durchftrömt werden, ein böbereg Kontingent Die meiften Selkst⸗ morde ereis nen sich im Juni, die wenigsten im Dezember, und zwar vornebmlich in den ersten zehn Tagen des Monats.

Die endgültigen Ergebnisse der Volkszählung vom 1. Dejember 1590 in El saß⸗ Lothringen.

Die Zäblung am 1. Dejember 1890 ergab eine ortsanwe ende Bevölkerung von 1 603 506 Perfonen gegen 1 3 355 am 1. . 1885. Eg bat mithin eine Zunahme i , . die 39 151 Per⸗ sonen = 2.50 9 beträgt; nicht gan * die ser unahme entfällt auf die Civilbevslkerung. on der Gesammtbevölkerung entfallen auf den Bezirk Unter · Glsaß 3 i ob Personen 35,76 So, auf Ober · Elsaß LI 609g Personen 26, 41 oυ·οe und auf Lothringen ol zo = 31. 83 o. Die Bebölkerungginnahme vertbeil: fich auf alle drei Bezirke und beträgt für Unter ⸗Glfaß 138 Perfonen = 1,54 00, für Ober- gizß 060 Personen = 1, 86 c, für Lothringen 26 663 Personen 22 do,. Der Bezirk Lotbringen hat die groͤßte Zunahme erfahren, sie n über 2000 Personen mehr als die Zunahme der beiden Indern Bezirke zusammen. Unter der Gesammüäbevölkerung befinden sich: in Unter · Cssaß 307 994 männl. Pers., in Ober ⸗Glfaß 230 417 männl. Perf., in Lothringen 257 575 männi. Perf., zusammen 805 986 männl Pers. 50 26 Io, in Unter-Elsaß 313 511 weibl. Pers., in Ober Cssaß 241 193 weibl. Pers., in Lothringen 242 817 weibl. Perf., jusammen 797 529 weibl. Perf. 4974 o. Am 1. Vejember 1885 betrug der. Antbeil der männlichen Personen an der Gesammtbe vi kerung 49, 30 oo und der der weiblichen Bevölkerung 50. 70 o. Nach der Zãblung von 1899 ist also das männliche Geschlecht staärker vertreten als das weib- liche, waͤhrend nach den früheren Jählungen das weibliche Geschlecht stäͤrker vertreten war. Dies hat seinen Grund darin, daß die Milität bevölkerung seit dem 1. Dejember 1885 erbeblich zugenommen bat; wird die Hille ber il enn auggeschieden, dann ist die Vertheilung der Geschlechter fast die gleiche wie 18865 bezw. wie bei den früheren ählungen. Die Zunahme in der Gesammtbevölkerung vertheilt sich ehr ungleichmäßls Über die Kreise. Im Birk Lothringen bat mit Ausnahme des Kreiseg Bolchen die Bevölkerung aller Kreise za

während in den Bezirken Unter und Ober Elsaß dies nur i

Stadtkreis Metz die größte Bevölkerungejunahme und der Kreis Weißenburg die größte Bevölkerungsabnahme erfahren.

Zur Arbeiterbewegung.

Ueber die Entwickelung der Lohnbewegung unter den deutschen Buchdruckern liegen heute folgende Nach richten vor:

Aus Leipzig wird telegrapbisch mitgetbeilt, das die Central— In validenkasse für die Buchdrucker Dentschlands, om die Ver⸗ wendung zu Ausftandsiwecken zu verhindern, auf Antrag einer großen Anjahl von Miteliedern, die durch den Rechtsanwalt Pr Paul Schmidt-⸗Leipzig und den Rechtsanwalt Dr. G. Kielmever Stuttgart vertreten waren, am Sonnabend im Wege einstweistger Vecfũgung vom Amtsgericht Stuttgart in Sequester geaommen wurde.

Am Freitag fanden in Leipzig der Lp; Zta. umolge drei größere Versammlungen Fstatt, die sich mit dem Bächdruckerausftande beschäftigten. Die erste Versammlung bestand aus den Buche ruckern und den ausständigen Hülfsarbeiteringen selbst und war einberufen worden zur Srwiderung auf eine Veröoͤffentlichane der vereinigten Buck druckereibesizer. Die Versammlung war sebt stark befucht; der Saal mußte, nachdem etwa 2000 Personen Plaz gefunden batten, polizeilich abgespertt werden Besonders zahlreick waren die Arbeiterinnen vertreten. Es wurde nach dem Vorschlage des Vorsitzenden bes loffen, den Aus stand so lange fortzusetzen, bis die Forderungen der Gebülfen bewilligt wären. Die beiden anderen Bersammfan gen bezeichnet die pz. Ztg. ium Unterschied von den zablreichen gewerkaftlichen, jur Unterstützung des Buchdrucker-Ausstandes einberufenen, als so z igld emeokratische Volksversammlungen. Wer noch einen Zweifel darüber gehegt hätte, in welcher engen Verbindung der ganze Ausstand und die soznaldemokratische Partei mit einander fländen, dem hätten jetzt die Augen geöffnet werden müffen. In der einen Versamm⸗ lung zu Plagwitz legte der Vorsitzende der örtlichen Tarifkommission Herr Schöps die Bedeutung des Ausstandes der Buchdrucker für die Arbeiter aller anderen Berufe dar. Der Sieg der Bäichdrucker werde das Signal für alle anderen Arbeiter sein, auch in ihren Berufen auf dem Wege zur Verkürzung der Arbeitszeit einen Schritt vorwärts in thun Er knüpfte an seinen Vortrag die Bitte um moralische und finanzielle Unterstũtzung der Ausständigen, namentlich der strikenden Arbeiterinnen In einer Resolution erklärte sich die Versammlung mit dem Ausstande einverstanden und sagte Unterftützunz zu. In der andern von etwa 800 Personen besuchten Versammlung trat der Führer der Sozialdemokratie des 13. und 13. Reichstags wablkreifes, Herr Geyer, selbst für die Buchdrucker in die Schranken Die Versammlung faßte einen äbnlichen Besckluß wie die „orerwähnte. Ein Antrag, die für den Bau eines Arbeiter-Vereinsbauses ge— sammelten Gelder im Betrage von 2000 6 zur Unterstützung des Buchdruckerausstandes ju verwenden, wurde dem Beschluffe einer zu diesem Zweck einzuberufenden Versammlung vorbehalten.

Ueber den Stand der Bewegung in Bresden schreibt der „Dr. Anz.“ daß auf Ersuchen der Vertreter der dortigen Gehülfenschaft sich der Geheime Regierungs Rath. Dr Böhmert vor einigen Tagen veranlaßt gesehen hat, Vermittelungsvmersuche für eine Ver— ständigung zwischen beiden Theilen anzuknüpfen, die aber erfolglos verlaufen mußten, weil die Arbeitgeber der einzelnen Srte nicht in der Lage sind, mit ihren Gehülfen sich in irgend welche Verhandlungen einzulaffen, vielmehr zu allen Verbandlungen derart nur die Centralleitung für Ausstandsangelegen . heiten in Leipzig oder die deutsche Tarifkommission befugt ist. In einer Versammlung der Dresdner Buchdruckereibesitzer wurde dieser Standpunkt nochmals in einer Resolution zum Ausdruck gebracht und weiter betont, daß vor einer etwaigen Wiedergufnahme der Verhand⸗ lungen die Forderung der Gehülfen auf Verkürzung der Arbeitszeit fallen gelassen werden müsse.

In Frankfurt 4. M. hat, wie wir der ‚Fikf. Ztg. ent . nehmen die Soeietäts⸗Drucerei den aus jhrem Verbande Jeschiedenen 39 Schriftsetzern die Beträge ausbezahlt, die sie noch in der Haussparkasse gut hatten. Die Ersparnifse dieser 39 Arbeiter in der Kasse hatten bis zu ihrem Austritt 6. ʒ6 463,85 betragen. Von dieser Summe waren bereits früher bei be⸗ sonderen Veranlassungen als Vorschüsse M 12066 ausbejahlt worden. Am Freitag wurden an diese 39 Kassenmitglieder noch 2W 842 84 M bäaar auggeschüͤttet. Die Zeit, welche diefe Arbeiter im Geschäft gearbeitet haben, beträgt durchschnittlich 6 Jahre 43 Mo⸗ nate. Während Lieser Zeit beträgt die durchschnittlise Ersparnih eines Arbeiters 1016 4 80 a4. Der höchste an einen Arbeite effekliv ausgezablte Betrag war 3618 85 M bei cchtzehn jähriger Thãtigkeit in der Druckerei. Der geringste ausgezahlte Betrag war 46, 80 6, die in weniger als einem halben Jahre erspart worden.

Aus Saarlouis schreibt man der Berliner Volksjtg. :: Am Mittwoch und Dennerstag wurden an sechs Seten (des Saarreviers) je zwei Versammlungen von Bergleuten abgehalten und bei dieser Helegenbeit Gaben für ausständige französische Bergleute gefammelt. Nächsten Dienstag findet eine Versammlung des Grubenaus schusses statt zur Besprechung der Pflichten und Rechte desselben.

Der Bergarbeiterausstand in Nord⸗Frankreich ist, an einer Stelle des Departements Pas de Calais wieder aufgelebt. Ein Wolff'sches Telegramm berichtet aus Lens: . Koblengruben von Bethune baben die Arbeiter wegen einiger, von der Betriebsgesellschaft nicht bewilligten Forderungen die 3 . n n 9

ie der Köln. Ztg. aus Courtrai geschrieben wird, hatten mehr als 200 Arbeiter der Leinenfabrik Gilles in 2 die Arbeit eingestellt, weil die Leitung acht Weber, die mit den Löhnen nicht zufrieden waren, entlassen hatte. Die Veiwaltung bat sich aber durch die Gemeindevertretung bewegen lassen, wieder die früheren Löhne zu bewilligen. Bie Arbeiter, die unter diesen Umständen den Ausstand aufgeben wollen, sind aufgefordert worden, ihre Namen in eine auf dem Rathhause aufliegende Liste einjutragen. Sobald 40 Unterschriften erfolgt sind, soll der Betrieb der Fabrik wieder aufgenommen werden.

Funft und Wissenschafi.

Der Verein für Deutsches Kunstge werbe hat soeben auf Veranlassung eines seiner Mitglieder ein Preisausfchreiben er— lassen zur Erlangung neuer origineller Entwürfe zu Plakaten für Schaufenster c. Für Preise gelangt die Gesammtsumme von 1200 4 in einzelnen Betrãgen zur Vertheilung. Die näheren Bestimmungen sind durch den Schriftführer Profeffor Hildebrandt, Berfflinger⸗ straße 20 a, zu beziehen.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ Maßregeln.

Wongrowitz, 4. Dezember. Die Influenza bat sich, wie dem . Pos. Tgbl.“ mitgetheilt wird, nicht nur in der Stadt erbeblich ausgebreitet, fondern auch auf dem Lande. Hier ist selten ein Saus unberührt, und auf dem Lande tritt die Krankbeit so expidemisch auf.

daß auf einzelnen Wirtbschaften der Betrieb fast ganz rubt.

Bandel und Gewerbe.

Tägliche Wagengestellang für Kohlen und Koks

z 24 des ek und in Dbers ole ien. k An der RKubr sind am 5. d. M. gestellt 10871, nicht rech tzeinig gestellt keine Wagen. In Dberschlefien sind am 5. d. M. gestelll 4004, nicht rechtzeitig geftellt keine Wagen.

Berlin, 5. Dezemker. (Wechenberidt ar S Stärke fabrikate und Hülsenfrü cte von az Sad

Stẽrce r sr. la. Karte ffelmebl 38—- 39 é 12. Kartoffelftärke 38 35 X.

Na. Tartoffelstarte und Merl 35— 71 2, feuchte Cartoffel- ffärke loco und Haritãt Berlin 2 46, Fabriken be; Frankfurt

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