weiß ich gar nicht; das aber weiß ich, daß weder Oesterreich noch wir, selbst wenn wir wollten, bis zum 1. Februar 1392 im Stande ge⸗ wesen wären, eine Veränderung der Währung vorzunehmen.
Nun, dann hättet ihr ja mit dem bisherigen Vertrage noch eine Zeit lang weiter leben können, bis die Valuta geändert wäre“ — sagen die bimetallistischen Fanatiker. Auch das war nicht möglich. Wenn wir noch länger hätten mit dem Vertrage warten wollen, so würde, ich möchte sagen, von Monat zu Monat die Zahl der Staaten zugenommen haben, die in die andere Richtung verfallen wären, die sich mit chinesischen Mauern umgeben hätten. Der Kampf würde immer erbitterter geworden sein, und wenn wir dann endlich fertig geworden wären, so würden wir Niemand mehr gefunden haben, der geneigt gewesen wäre, mit uns einen Tarifvertrag abzuschließen.
Ich habe dann in der Presse, vorherrschend in der agrarischen, die Frage gefunden: ja, die Regierung bindet sich nach oben, indem sie den Zoll für Weizen und Roggen auf 1,50 festsetzt (3uruf rechts) — um 1,50 verringert, auf 3,50 festsetzt — sie soll sich auch nach unten binden! Wir wollen wissen, daß in diesen zwölf Jahren der Zoll nicht weiter ermäßigt werden wird! Meine Herren, keine Regierung ist im Stande, vorauszusagen, was sie in zwölf Jahren thun wird. (Sehr richtig! im Centrum und links) Ich lehne das ab. (Be⸗ wegung rechts.) Ich bin aber der Meinung, daß auch die Agrarier keinen Grund haben zu glauben, daß es in der Absicht der verbündeten Regierungen läge, sie zu schädigen. (Bewegung rechts.)
Als im Frühjahr dieses Jahres im preußischen Abgeordnetenhause Verhandlungen über den sogenannten Nothstand vorgenommen wurden, war eine so starke Strömung für eine zeitweise Herabsetzung der agrarischen Zölle da, daß, wenn die preußische Regierung nur einen Finger hingegeben hätte, ich glaube, es zu einem ziemlich einstimmigen Beschluß des Abgeordnetenhauses dahin gekommen sein würde, daß die Zölle auf Zeit herunterzusetzen wären. (Sehr richtig! links.) Dem hat die preußische Regierung widerstanden und hat dem ganz allein widerstanden. Wir haben Monate lang Hohn und Spott ertragen; wir sind in der Presse im Kathederton belehrt und im Straßenton verspottet worden, und es ist uns gleichgültig geblieben. (Sehr richtig) Wir baben festgehalten. Ich will den Agrarier sehen, der behaupten kann, daß er mehr für die Erhaltung der Zölle gethan hat, als diese Regierung! Hätten wir damals nachgegeben, und wäre dann zum zweiten Mal eine mäßige Ernte eingetreten, so wären die agrarischen Zölle auf Nieundnimmerwiedersehen verloren gegangen. (Sehr richtig! links.)
Ich lehne also jede Provokation von dieser Seite entschieden ab. (Lebhaftes Bravo im Centrum und links. Bewegung rechts.)
Ich verkenne nicht, daß die deutsche Landwirthschaft sich in einer schwierigen Lage befindet. Es ist begreiflich, wie sie da hinein⸗ gekommen ist, und es liegt mir fern, Einzelnen oder Generationen von Landwirthen die Schuld beizumessen.
Durch Verbesserung der Kommunikationsmittel, durch die Be⸗ nutzung des Dampfes traten Staaten, Reiche, die bisher auf dem deutschen Markt mit Getreide nicht hatten erscheinen können, anbietend auf. Die deutsche Landwirthschaft verlor dadurch einen Schutz gegen fremde Konkurrenz, den sie bisher in ihrer geographischen Lage ge⸗ funden hatte. So lange es weder Eisenbahnen noch Dampfschiffe gab, kam ein mäßiges Quantum fremden Getreides vielleicht die Flüsse herunter, oder kamen auch Segelschiffe in die Häfen; das Alles war, um so mehr, als die Getreideproduktion damals zur Bevölkerungs⸗ zahl in einem viel günstigeren Verhältniß stand, nicht im Stande, den inländischen Getreidebau zu gefährden. Erst als das entstand, was man jetzt den Weltmarkt nennt, wurde die deutsche Landwirthschaft gefährdet. Sie hat mit hohen Gestehungskosten zu rechnen, der deutsche be⸗ stellbate Boden trägt nicht mehr, ohne gedüngt, zum Theil auf kost⸗ spielige Weise gedüngt zu sein. Die deutschen Löhne stiegen allmählich; die Ausgaben, die in der letzten Zeit auch von der Landwirthschaft für die sozialen Fragen verlangt worden sind, erschwerten ihr das Dasein: so wurde ihre Lage nach und nach immer schwieriger; es wurde ihr schwer, die Gestehungekosten herauszuwirthschaften. Es war natürlich, daß unter diesen Verhältnissen die deutsche Landwirth⸗ schaft sich nach einem Schutze umsah, und daß sie diesen Schutz in den Zöllen fand. Auch heute ist die Lage noch so, daß sie diesen Schutz nicht entbehren kann (sehr richtig! rechts); sie würde noch heute gegenüber den Reichen, die entweder auf jungfräulichem Boden billig bestellen oder die Arbeitskräfte sehr gering zu lohnen brauchen, nicht konkurrenzfähig bleiben, wenn sie nicht geschützt würde. (Sehr richtig! rechts.)
Es liegt nicht in der Absicht der verbündeten Reglerungen, wie die Vorlage ja zeigt, diesen Schutz aufzuheben; auf der anderen Seite ist es zweifellos, daß die Schutzzölle im Allgemeinen das für die Landwirthschast nicht gewirkt haben, was man voraussetzte; sie haben vielleicht vor einem allju plötzlichen Schwanken nach unten, vor einem jähen Niedergang bewahrt; aber befriedigt haben sie wohl erst im letzten Jahre, wo sehr hohe Zölle mit Kalamitäten in anderen Ländern und einer mäßigen Ernte im eigenen Lande zusammenfallen.
Auch räumlich ist die Wirkung der Schutzöölle eine verschiedene gewesen. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich ausspreche, daß sie am Wenigsten unseren östlichen Provinzen genützt haben. (Sehr richtig! link6.) Auf den inneren Markt durch die Schutzzölle angewiesen, im äußeren Export beschränkt, mußten unsere östlichen Provinzen ihre landwirthschaftlichen Produkte dahin bringen, wo innerhalb Deutsch⸗ lands ein starker Bedarf war, wo der Bedarf die Produktion über⸗ stieg, also nach dem Westen. Schlugen sie dazu den Weg der Eisenbahn ein, so hatten sie eine hohe Fracht zu bezahlen; das Ge—⸗ treide wurde theuer, es wurde kaum noch verkaufsfähig im Westen. Schlugen sie den Seeweg ein und landeten dann in Amsterdam oder Rotterdam, so begegneten sie da der amerikaniscen und ostindischen Konkurrenz. Es ist also keineswegs das eingetroffen, was man im Jahre 1879 und selbst in den folgenden Jahren von den Schutzzöllen erwartet hat. (Hört, hört! links Aber immerhin bleibt bestehen: wären die Schutzzölle nicht dagewesen, so wären wir voraussichtlich inzwischen einer land—⸗ wirthschaftlichen Krisis entgegengegangen (sehr richtig! rechts; hört, hört! links), und eine solche landwirthschaftliche Krisis ist in ihren Folgen doch nicht gering anzuschlagen. Es handelt sich nicht darum, daß A. sein Gat verliert und B. es kauft, oder daß mehrere Käufer sich in das bisherige Gut theilen. Ehe es so weit kommt, ringt A. um sein Dasein und saugt den Boden immer mehr aus, er ist nicht mehr im Stande zu düngen, die Gläubiger drängen ibn nicht, weil keiner von ihnen geneigt ist, das heruntergegangene Gut zu übernehmen. (Sehr richtig! rechts.) So
geht die Sache durch Jahre bergab; dann kommt der neue Käufer, der macht erst seine Erfahrungen, und wie wir neulich hier gehört haben, kann man es auf etwa sieben Jahre ver— anschlagen, bis Jemand sein Gut so weit kennt, daß er es mit Sicherheit bewirthschaften kann. Wir würden also eine Periode des wirthschaftlichen Niederganges in der Landwirthschaft durchgemacht haben, die Jahre lang gedauert hätte, und nicht allein die Landwirthschaft würde gelitten haben. Man darf die Parallele mit den englischen Kornzöllen und deren Aufhebung nicht ziehen. Unsere Berhältnisse sind durchaus andere wie die englischen. Da handelte es sich um relativ wenige große Magnaten, die schließlich Einiges aushalten können. Was wir bei uns Großgrundbesitzer nennen, sind zum Theil nur kleine Grundbesitzer, die kümmerlich sich durch⸗ schlagen (sehr richtig! rechts, Widerspruch links) und, um elne gewisse Apparence aufrechtzuerhalten, sich mühsam durchs Leben drücken. (Sehr richtig! rechts) Diese kleinen Grundbesitzer haben entweder theuer gekauft — es ist ja bekannt, wie nach dem Krim⸗Kriege die Güter in die Höhe gingen —,, es folgten dann eine Zeit lang günstige Jahre, es stiegen die Güter im Preise, man hat hoch gekauft und gepachtet, man hat Schulden aufgenommen auf das Gut, und durch diese Schulden würde eine landwirthschaftliche Krisis weit über den Rahmen der nominellen Gutsbesitzer hinaus wirken, alle diese Gläubiger würden in Mitleidenschaft gezogen werden, und ich glaube, daß ich mich keiner Uebertreibung schuldig mache, wenn ich sage, eine land⸗ wirthschaftliche Krisis wäre eine Kalamität ersten Ranges für den Staat im Ganzen gewesen. (Sehr richtig! rechts.)
Ich schlage — und ich glaube, das kann kein Staatsmann, auch in keinem Staate — den Werth der Landwirthschaft nicht gering an. Ich habe mich schon öfter darüber ausgesprochen, daß es nothwendig ist, die staatserhaltenden Kräfte zu stärken und zu vermehren, und ohne irgend einem Stande zu nahe treten zu wollen, bin ich der Meinung, es liegt in den Bedingungen des Daseins der Landwirth⸗ schaft ein starkes Moment, das unter allen Umständen den Landwirth — mag er einer politischen Partei angehören, welcher er will — zu einem staatserhaltenden Menschen macht; vollends, wenn der Grund und] Boden durch Generationen in denselben Händen bleibt, erwächst eine Liebe zur Heimath, wie sie kein anderer Stand hat, und die erste und sicherste Quelle des Patriotismus ist, wie ihn der Staat in ernsten Zeiten braucht. (Bravo!)
Ich halte weiter dafür, daß eine der wesentlichsten Grundlagen unseres Daseins das Familienleben ist. Die Arbeiter, die in industriellen Betrieben beschäftigt sind, mögen noch so weitgehende Wohlfahrtsanstalten genießen; im Allgemeinen glaube ich mich nicht zu irren, wenn ich annehme, daß das Leben des Arbeiters auf dem Lande eher die Möglichkeit eines gesunden Familienlebens giebt, als das eines Arbeiters in der Stadt. (Sehr richtig! rechts.)
Ich will damit nicht sagen, daß die Verhältnisse auf dem Lande überall so wären; ich weiß sehr gut, wie viel daran noch fehlt, und ich behaupte nur, die Möglichkeit ist auf dem Lande eher gegeben, als in der Stadt, und weil ich das Familienleben für eine Quelle der Kraft und des Gedeihens des Staats in körperlicher und sitt— licher Beziehung ansehe, so würde ich allein schon hierin Grund genug finden, es zu beklagen, wenn die Landwirthschaft einer Krisis entgegenginge und geschädigt würde.
Daß höchste und letzte Motiv aber für die Erhaltung der Land wirthschaft ist ein durchaus und exklusiv staatliches. Ich bin der Ueberzeugung, daß wir eines Körnerbaues, der zur Noth hinreicht, selbst die steigende Bevölkerung, wenn auch unter Beschränkungen, im Kriegsfall zu ernähren, gar nicht entbehren können. (Sehr richtig!) Das Dasein des Staats wird aufs Spiel gestellt, wenn er nicht im Stande ist, von seinen eigenen Bezugsquellen zu leben. (Sehr richtig) Sie können mir erwidern: Es können Miß— jahre eintreten, es können Unglücksjahre eintreten. Ja wohl, das sind dann aber keine normalen Verhältnisse, und in etwas sehen wir solchen Unglücksfällen auch dadurch vor, daß wir in diesen Verträgen das Bestreben haben, uns mit einem hervorragend Getreide bauenden Staat so eng zu verbinden, daß wir hoffen dürfen, selbst im Kriegs⸗ falle würden dessen Mittel uns zur Verfügung stehen. Ich habe sagen hören: das ist eine übertriebene Ansicht; selbst wenn wir einen Krieg hätten zugleich gegen Frankreich und Rußland, es bleibt uns ja doch der Weg über die See offen; da sind neutrale Staaten, die werden das Korn bei uns einführen. Ich möchte das Wohl des Staats auf so unsichere Faktoren nicht stellen. Der Seehandel im Falle eines Krieges ist geregelt oder soll wenigstens geregelt sein durch die Pariser Konvention von 1856. Was aber dermaleinst, wenn ein Welt⸗ brand kommt, die zur See mächtigen Staaten für Contrebande, für eine effektive Blockade erklären werden, das wollen wir einmal ab⸗ warten, und ich halte für richtiger, daß Deutschland sich auf seine Landwirthschaft stützt, sie erhält, selbst wenn es nur mit Opfern ge—⸗ schehen kann, als daß es sich auf einen so unsicheren Caleul über die Unterstützung durch Dritte im Kriegsfalle verläßt. Ich bin vielleicht durch meine Vergangenheit als Soldat und durch die Zeit, die ich in der Admiralität zugebracht habe, darauf angewiesen worden, solchen Fragen näher zu treten, und ich habe diese Ueberzeugung nicht von heute. Mir ist es eine ganz unerschütterliche Ueberzeugung, daß in einem künftigen Kriege die Ernährung der Armeen und des Landes eine geradezu entscheidende Rolle spielen kann. Diese entscheidende Rolle geschädigt zu sehen, würde ich fürchten müssen, wenn die Land- wirthschaft in gedeihlichem Betrieb gestört würde.
Daß nun aber eine solche Störung in Aussicht stände, wenn man den Roggen⸗ und den Welzenzoll um 1,50 4 heruntersetzt, bestreite ich mit derselben Entschiedenheit. Die Landwirthschaft wird im Stande sein, diese Zollherabsetzung zu tragen und weiter zu prospe riren. Ich variire insofern von den Herren Agrariern, glaube ich, als ich der Meinung bin, es handelt sich nicht darum, daß in dieser Be⸗ ziehung die Landwirthschaft Opfer bringt, sondern darum, daß für die Landwirthschaft Opfer gebracht werden. Der Staat muß nach meinem Dafürhalten Opfer bringen, und es ist ja ein schweres Opfer für den Staat, welches in den Getreidezöllen liegt; denn es kommt in Betracht nicht bloß die Veriollung des Getreides, welches eingeführt wird, sondern auch die Steigerung des Getreidepreises im Inlande. (Hört, Hört! linkz.) Ich verkenne also die Größe dieses Opfers nicht; aber das Opfer muß gebracht werden, und ich habe zu meiner Freude in einer Broschüre, die mir sonst nicht sympathisch ist, die überschrieben ist: ‚Ablehnen und Annehmen“ — ich glaube, sie entstammt einem agrarischen Konsortium — (Heiterkeit zum ersten Mal in der Ueberschrift eines Kapitels gesehen: „Opfer, die für die Landwirthschaft zu bringen sind.“
Herren Agrarier beim Wort nehmen. Die Regierung ist bereit und will diese Opfer weiter dem Lande auferlegen, weil sie sie für unum⸗ gänglich hält; aber sie verkennt immerhin nicht, daß es Opfer sind, die das Land bringt.
Nun bleiben die 3,50 M noch über dem Maß der Zölle von 1885, und die Herren, die die damaligen Verhandlungen mitgemacht haben, oder die sich mit den stenographischen Berichten und der ein⸗ schlägigen Literatur beschäftigt haben, werden mich vielleicht nicht Lügen strafen, wenn ich behaupte, die Erhöhung der Zölle auf 5 4 war eine Kraftprobe, und ich glaube, diese Kraftprobe ist nicht zu Gunsten des Staats ausgefallen. Man hat den Bogen überspannt. (Hört, hört! links) Jede Ueberspannung eines Bogens in Bezug auf solche Zölle, die ein unentbehrliches Nahrungsmittel der großen Menge sind, birgt aber für den Staat die große Gefahr in sich, daß daraus ein Agitationsmittel geschmiedet wird, was sich gegen den Staat und die staatserhaltenden Parteien richtet. Die verbündeten Regierungen haben also die ernste Pflicht, zu erwägen: wie weit können wir mit den Zöllen auf Lebens mittel heruntergehen, ohne die Landwirthschaft zu schädigen? Wie hoch können wir sie halten, ohne eine Agitation hervorzurufen?
Zu denjenigen Sachen, die schon vor der Veröffentlichung der Verträge in der Presse zu Kontroversen Veranlassung gegeben haben, gehört der Wein. Der Wein steht selbstredend ganz anders da, als das Getreide. All die Erwägungen, die ich mir vorher erlaubt habe hinsichtlich des Getreidebaues anzustellen, treffen für den Weinbau nicht zu, ausgenommen, daß auch der Weinbau den Mann an die Fheimische Scholle bindet. Der Wein ist kein unentbehrliches Nahrungsmittel. Vielleicht kann man von Elsaß ˖ Lothringen noch sagen, daß er da bis vor Kurzem ein Nahrungs— mittel war. Schlechte Weinernten und hohe Preise haben aber diesen Zustand geändert; die Produktion ist ungenügend geworden. Das, was Ihnen in den Zöllen hier vorgeschlagen wird, trifft nicht die guten deutschen Weine; die haben ihren individuellen Geschmack, ihre individuellen Preise, zum Theil Liebhaberpreise. Es trifft die kleinen Weine, und in Bezug auf diese tleinen Weine, über die, wenn die Diskussion weiter geht, von Seiten eines sachverständigen Mit⸗ aliedes der verbündeten Regierungen nähere Auskunft gegeben werden wird, geht die Absicht der verbündeten Regierungen dahin, einmal den Kunstwein und den Schnaps durch sie zu verdrängen, diesen beiden Dingen Konkurrenz zu machen und eine eben solche Konkurrenz dem sogenannten französischen Bordeauxwein zu machen, faktisch ver⸗ schnittenen Weinen, die in einer Anzahl, die viel größer ist, als die meisten Menschen ahnen, in Deutschland für französischen Wein ver⸗ kauft werden. (Sehr richtig) Wir wollen dem italienischen Wein auf unserem Boden ein Schlachtfeld gegen die französischen Weine eröffnen. (Heiterkeit, sehr gut) Daß die Sache nicht so schlimm ist, wie sie von den Gegnern der Herabsetzung des Weinzolls gemacht wird, möchte schon daraus hervorgehen, daß man diesen Zoll früher nur als Finanzzoll angesehen hat, daß er Jahre lang nur 16 4 betragen hat, und daß bei den Verhandlungen von 1879 Elsasser reinster Rasse, die Abgeordneten Winterer und Cabls, den Antrag gestellt haben, die Weinzölle auf 12 M herabzusetzen. Wir sehen also einer Debatte hierüber mit großer Ruhe entgegen, und ich glaube auch hier dargethan zu haben, wie das Vereinbarte im Interesse der Kon⸗ sumenten, im Interesse der Weinhändler, im Interesse eines großen Theils der Produzenten und im Interesse unseres Bündnisses mit Italien liegt.
Die Behandlung der Industrie bei den vorliegenden Zöllen war eine ungleich schwierigere als die der Landwirthschaft. Die deutsche Industrie hat alle Arten von Betrieben, von der Großindustrie bis zur Hausindustrie; sie umfaßt fast alle Branchen und sie hat wenigstens Ansätze zum Export in fast alle Welttheile. Das giebt so verschiedene Verhältnisse, daß deren Berücksichtigung bei solchen Verträgen nicht immer leicht ist und einen hohen Grad von Geschick und Sachverständniß Seitens der Kommissarien erfordert.
Weiter ist ein erschwerender Umstand für die deutsche Industrie bei allen Zollfragen, daß sie sehr wenig hochfeine Artikel hervorbringt, Artikel, die ohne Weiteres schließlich jeden Zoll tragen. Will man das Charakteristische der deutschen Industrie im Ganzen zusammen⸗ fassen, so ist es eine maschinelle Massenproduktion. Wenn Sie die Tabellen, die darüber existiren — und ich glaube, es ist dies auch in den Beilagen zur Denkschrift angeführt — nachsehen, so werden Sie finden, daß, wenn man die Staaten, mit denen wir in Handelsver⸗ bindung stehen, rangirt nach den Mengen unserer Ausfuhr und Ein⸗ fuhr und nach deren Werth, total verschiedene Resultate heraus⸗ kommen. Wir führen eben relativ sehr große Mengen mit ver⸗ hältnißmäßig geringem Werth aus.
Der Werth der Industrie für den Staat wächst von Jahr zu Jahr. Es ist mir interessant gewesen, eine Aeußerung Friedrich's des Großen an seinen Regiedirektor zu lesen, der ihm vorschlug, er sollte den Handel sich freier bewegen lassen. Der König führt darauf aus, das ginge nicht, er brauche für seine Landwirthschaft Vieh aus Polen und dergleichen Dinge; das Alles müsse er in der Hand behalten. Er fährt dann fort:
Sie haben große Absichten, aber Sie eilen der Zeit voraus; ist diese gekommen, so werde ich schon thun, was Sie mir rathen. Was Sie mir sagen von Handel und Industrie, ist ganz gut. Die Industrie ist in der That die Nähramme des Landes und der Handel die lebendige Seele des Staats; allein das gilt nur von Ländern, wo die Industrie die Grundfeste des Handels und der Handel der Geschäfts mann der Industrie ist.
Seitdem ist ein Jahrhundert und mehr verflossen, im Grunde ist das noch heute wahr. Man muß vollkommen anerkennen, daß die Industrie die Nähramme des Staats ist; aber noch heute kann sie sich nicht ganz frei bewegen, sie bedarf noch heute eines gewissen Schutzes. .
Man hat gesagt, Deutschland wäre Industriestaat geworden, und ich bin auch nicht abgeneigt, diesen Ausdruck anzunehmen, insofern, als die Industrie fortwährend im Steigen ist und fortwährend an Be⸗ deutung für den Staat gewinnt. Es ist ein charakteristischer Unter⸗ schied zwischen der Industrie und der Landwirthschaft, daß die Land⸗ wirthschaft eines Staats nur bis zu einem gewissen Grade steige⸗ rungsfähig ist, weil sie vom Grund und Boden abhangig bleibt. Man kann intensiver wirthschaften, und ich mweifle nicht, daß aus unserem Grund und Boden noch mehr heraus- zuwirthschaften ist, als bis jetzt geschieht; aber es bleibt immer derselbe Grund und Boden, auf dem gewirthschaftet werden muß. Die Industrie dagegen ist abhängig von den Absatz⸗
Da möchte ich die
märkten. Erweitert man ihr dieselben, wie wir das durch diese Ver⸗
träge wollen, so kann sich auch die Industrie erweitern, und es ist fürs Erste kein Ende in dieser Beziehung abzusehen, sofern nur die Möglichkeit eines lohnenden Verkaufs ihrer Fabrikate für die In⸗ dustrie da ist. Handel und Industrie sind und bleiben die wesent⸗ lichsten Quellen des Wohlstandes und damit politischer Macht, kultureller Bedeutung; denn ohne einen gewissen Grad von Wohlstand werden Kunst und Wissenschaft — ich weiche darin von dem Herrn Abgeordneten Bebel wesentlich ab, wie in manchen andern Dingen — (Heiterkeit) nicht gedeihen können.
Aber noch weiter! Ich glaube nicht, daß man leugnen kann, daß zwischen Wohlstand und Sittlichkeit gewisse Beziehungen bestehen, und daß die Sittlichkeit in den unteren Klafsen bis zu einem gewissen Grad einen steigenden Wohlstand zur Voraussetzung hat, etwas, was mit dem zusammenhängt, was ich vorhin über die Familie zu äußern mir erlaubt habe.
Mit der Industrie hängt ja der Arbeiterstand auf das Engste zusammen, und wir würden unsere Pflicht vernachlässigt haben, wenn wir beim Abschluß dieser Verträge nicht die Möglichkeit, unseren Arbeiterstand zu erhalten, leistungsfähig zu erhalten, ins Auge gefaßt hätten. Es kamen dabei zwei Momente zur Sprache: einmal billigere Lebensmittel zu schaffen. So weit das, ohne die staatlichen Inter essen, die höheren staatlichen Interessen, zu gefährden, geschehen konnte, haben die verbündeten Regierungen eine Reihe von kleineren Maßregeln eintreten lafsen. Sie haben diejenige Herabsetzung der Zölle für Lebensmittel vorgenommen, die sie für zulässig hielten. Ich erachte aber für viel wesentlicher für die Erhaltung und für das Gedeihen des Arbeiterstandes, daß ihm Arbeit geschaffen werde. (Sehr richtig! rechts) Wenn dies nicht die wesentlichere Frage wäre, so würde der Andrang unserer ländlichen Arbeiter in die Städte und nach dem Westen gar nicht zu erklären sein. Unser Westen hat unausgesetzt Preise für unentbehrliche Lebensmittel, die so viel höher sind wie im Osten (sehr richtig! rechts), daß, wenn man diese Preise miteinander vergleicht und sie absolut nimmt, man meinen sollte, es müßte im Westen eine fortwährende Theuerung da sein. Daß trotzdem die Menschen so gern nach dem Westen gehen, hat seinen Grund darin, daß sie die lohnendere Arbeit den billigeren Lebens⸗ mittelpreisen voranstellen. Lohnende Arbeit wird aber, wenn diese Verträge genehmigt werden, zur Perfektion kommen, gefunden werden. Wir werden sie finden durch den Export; wir müssen exportiren; entweder wir exportiren Waaren oder wir exportiren Menschen. Mit dieser steigenden Bevölkerung ohne eine gleichmäßig zunehmende In⸗ dustrie sind wir nicht in der Lage, weiter zu leben.
Ich möchte aber hier noch ein Wort für den Arbeiterstand sagen. Wir gewöhnen uns an — und jene Herren sind daran schuld; wenn man Dinge hört, wie man sie in Erfurt gehört hat, so ist man un—⸗ willkürlich dazu geneigt — mit einer gewissen Mißgunst die Menschen anzusehen, die sich in Erfurt versammelt haben, wenigstens das Volk um die Rednertribüne in Erfurt; — trotzdem können wir nicht ver⸗ kennen, welchen Werth ein kräftiger Arbeiterstand in jeder Beziehung für Deutschland hat. Wir müssen uns nicht angewöhnen, diesen Arbeiterstand immer mit einem pessimistischen Blick anzu⸗ sehen, wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, auch diese Leute wiederzugewinnen, und ich stehe vollkommen auf dem Boden des Herrn Abg. Stöcker, der einmal gesagt hat, wir müssen den Arbeitern nicht bloß entgegentreten, sondern auch entgegenkommen. (Sehr richtig! rechts) Dieses zu thun, ist einer der Zwecke dieser Verträge. Wir wollen ihnen entgegenkommen, indem wir ihnen die Möglichkeit zu einem redlichen Erwerb geben. (Bewegung) Wir stehen noch ganz auf dem Boden der Botschaft von 1881, die die Ueberzeugung ausspricht, daß die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialistischer Ausschreitung, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sei. Wir glauben, in diesen Verträgen das Wohl der Arbeitgeber und das Wohl der Ar— beiter im Auge gehabt zu haben, und die Grenzen unserer Konzessionen so zu ziehen, daß die Verträge, soweit es möglich ist, beides fördern würden.
Man hat von der politischen Seite dieser Verträge viel gesprochen und wohl hier und da erwartet, die Regierung habe Geheimnisse nach dieser Seite zu enthüllen. Das ist durchaus nicht der Fall. Was zuerst Belgien und die Schweiz angeht, so sind das neutrale Staaten, deren Neutralität durch europäische Verträge gewährleistet ist, und von denen wir nichts Anderes wünschen, ja dringend hoffen, als in freund⸗ nachbarlichen Beziehungen mit ihnen zu leben. Anders steht die Sache in Bezug auf den Dreibund. Der Dreibund ist geschlofssen zu gegenseitiger Abwehr, er hat nicht die mindesten aggressiven Ziele; aber ich bin der Meinung, daß, wenn man mit anderen Staaten ein Bündniß abschließt, dessen Zweck es ist, auf lange Zeit, so Gott will, diesen Frieden zu erhalten, es dann nicht möglich ist, mit denselben dauernd in einem wirth— schaftlichen Krieg zu leben. (Sehr wahr! Bravo) Wenn ich Jemand wirthschaftlich mit einem Krieg überziehe, so will ich ihn schwächen; wir aber haben gerade das Interesse, unsere Verbündeten zu stärken. (Sehr wahr) Denn wenn einmal der Friedenszustand trotz unserer Bemühungen nicht mehr zu erhalten wäre, brauchen wir an unserer Seite kräftige Verbündete; wir müssen sie und uns in den Stand setzen, die Rüstung, die die Weltverhältnisse zu tragen uns nun einmal zwingen, auch tragen zu können, und ich halte es für absolut unzulässig, daß man die Staaten, mit denen wir in einem so innigen Verhältniß stehen, auf die Dauer zu schäͤdigen bestrebt sein könne. Die Regierungen dieser Staaten sind gemeinsam bemüht gewesen, bei Abschluß der Verträge die Wege zu finden, in denen ein gegenseitiger Waarenaustausch möglich ist, der Keinen wesentlich schwächt, aber jedenfalls da, wo er Einem auch nur unangenehm ist, Andere stärkt.
Wir haben den Wunsch, daß diese Verträge sich immer tiefer in die Bevölkerung einleben. Zu Friedrich's des Großen Zeiten führte man Kriege, die man mit dem technischen Namen „Kabinetskriege“ belegt hat. Der Fürst beschloß, einen anderen Fürsten mit Krieg zu überziehen; er warb oder schaffte sich sonst wie Soldaten, suchte Geld zu bekommen und dann führte er seinen Krieg, an dem die Be⸗ völkerung selbst innerlich immer nur einen beschränkten Antheil nahm. Selbst zu Friedrich's des Großen Zeiten war es viel mehr das Bild dieses großen Mannes, was die eigene Bevölkerung fortriß, was weit nach Süddeutschland wirkte, als das Gefühl, daß es sich hier um Preußen handelte. Kaltblütig sah man eine Provinz abtreten, wenn es nothwendig war; man lebte eben schließlich unter einem anderen Fürsten ebenso weiter wie bisher.
Das hat sich vollkommen geändert Seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts werden Volkskriege geführt, und es ist nicht die mindeste Frage, daß der nächste Krieg der Mitwirkung des Volkes nicht nur mit den Händen, sondern auch mit dem Herzen bedarf. Der Krieg muß aus dem Gefühl des Volkes hervorgehen.
Dasselbe überträgt sich auch auf die Verträge. Man konnte früher Kabinetsverträge abschließen von Fürst zu Fürst. Sie engagirten sich zu gewissen Leistungen; sie hatten die Mittel in der Hand, diesen Leistungen mit den Armeen, über die sie geboten, gerecht zu werden. Heutzutage muß ein Bündaiß, wenn es die Garantie geben I daß es dermaleinst im gegebenen Augenblick auch haltbar ist, in) zeele der Völker eingelebt sein. Dieses Einleben zu er⸗ leichtern rd, wie ich hoffe, eine Folge, eine Wirkung dieser Handels- vertrãge Rin.
Man hat eingewandt: Ja, werden denn solche Verträge nicht eine Veibitterung hervorbringen? Ich glaube nicht, daß das der Fall sein wird. Ich möchte zunächst an ein negatives Beispiel anknüpfen. Denken Sie sich, wir hätten mit den Vereinigten Staaten von Ame⸗ rika im vorigen Jahre ein politisches Bündniß gehabt, was uns zu einer kriegerischen Leistung für Amerika um die Zeit genöthigt haben würde, wo die Aufregung über die Prohibitivgesetze, die Amerika gab, bei uns am Höchsten war. Glaubt irgend Jemand, daß damals in unserer Bevölkerung der Grad von Hingabe gewesen sein würde, der nöthig gewesen wäre, um unsere Armeen gern unter die Waffen zu bringen? Ich bezweifle das. Ich glaube, daß eine Stimmung, wie sie damals da war, für die Regierungen der Anlaß gewesen sein würde, nach Mitteln zu suchen, um einem solchen Kriege aus dem Wege zu gehen. Daß hier und da durch die Verträge Verbitterung entsteht, glaube ich; ich glaube aber nicht, daß diese Verbitterung sich gegen die Staaten richten wird, mit denen wir das Bündniß ab— geschlossen haben; sie wird gewohnheitsmäßig und bequemer den ihr auch lieberen Weg gegen die eigene Regierung wählen. (Heiterkeit. ) Davon zeugt ein Artikel, der vor wenigen Tagen in einer unserer gelesensten konservativen Zeitungen — ich kann nicht sagen, ob sie das Parteiblatt der Konservativen ist oder nicht — gestanden hat. Die Zeitung nimmt ihn vorn auf der ersten Seite auf, er ist ihr gesandt worden, und er handelt davon, daß eine Anzahl zumeist antisemitischer Männer be⸗ schlossen hätte, sich nach Oesterreich zu wenden, um von da Stimmen gegen die Handelsverträge zu bekommen. Der Artikel schließt damit, daß er sagt: Die Annäherung der in beiden Reichen lebenden Völker wird sicherlich nicht eintreten. Der Artikelschreiber führt dann weiter aus, daß man sich an gewisse Völkerschaften in Oesterreich wenden müsse, die zweifellos auch gegen die Verträge sein würden. Es ist für mich ein überaus beklagenkwerthes Schauspiel, daß ein deutscher Mann vorschlägt, bei Czechen, Slovaken, Rumänen, Slovenen und Kroaten, nicht bei Magyaren und Deutschen in Ungarn zu hausiren, um Stimmen gegen die eigene Regierung zu sammeln. (Hört, hört) Noch beklagenswerther ist mir aber, daß ein Blatt, das den Anspruch macht, preußischer zu sein als andere, das Ausland ins Gefecht zu führen sucht gegen eine deutsche Regierung. (Bravo! links und im Centrum.)
Wir haben die Hoffnung, daß mit der Zeit noch andere Staaten sich diesen Verträgen anschließen werden. Es werdeg zunächst in kürzerer Zeit die Verhandlungen, deren Führung der österreichisch—⸗ ungarischen Regierung zufällt, mit Serbien begonnen werden. Welchen Verlauf die Dinge weiter haben werden, vermag ich nicht vorher zu sagen; ich kann aber so viel sagen, daß wir gern auch noch mit anderen Staaten in dieselben Beziehungen treten werden, in die wir jetzt mit den Staaten getreten sind, mit denen die Verträge hier vorliegen.
Es ist in der letzten Zeit eine weltgeschichtliche Erscheinung zum Bewußtsein der Völker gekommen, die ich hoch anschlage: das ist die Bildung großer Reiche, das Selbstbewußtsein dieser Reiche, das Be⸗ streben, sich gegen andere abzuschließen. Unser östlicher Nachbar ver⸗ fügt über ein Gebiet, was von der Zone nördlich vom Himalaya bis an das Eismeer reicht; er ist im Stande, fast alle Produkte, die ein Reich zu seiner Existenz braucht, selbst⸗ ständig hervorzubringen, er hat eine große Ezpansionskraft für seine Arbeit, große Aufgaben liegen nach dieser Richtung vor dem russischen Reich. Jenseits des Atlantischen Ozeans nimmt die Bevölkerungszahl der Vereinigten Staaten von Nord⸗Amerika von Jahr zu Jahr zu, ihr Kraftbewußtsein, die Energie, mit der sie ihre eigenen Interessen verfolgt, nimmt zu. Als im vorigen Jahre diese Erscheinung zum ersten Male auftrat, war man bei uns darüber erstaunt, und ich habe wohl Aeußerungen gehört, das wäre völker⸗ rechtlich nicht zulässig. Ja, meine Herren, jeder Staat hat — und darin unterscheidet er sich vom Individuum — als erste Pflicht die der Selbsterhaltung, und in dem Triebe nach Selbsterhaltung werden die Staaten in absehbarer Zeit viel weiter gehen als bisher. Es ist nicht ausgeschlossen, daß es zwischen den Staaten zu einer Art von Kriegführung kommt, in der nicht geschossen wird, in der sie den Gesetzesparagraphen und die Tarifposition in der Hand haben. Wie das Schicksal von Australien sich gestalten wird, das mag dahin gestellt bleiben. Auch da wächst die Bevölkerung fortwährend, und wenn kundige Beobachter der Erscheinungen, die jetzt in China zu Tage treten, Recht haben, ist China an dem Anfang einer großen Umwälzung, von deren weiterer Entwickelung nicht abzusehen sein wird, ob es sich dann nicht gegen andere abschließen wird, und wie weit auch China in den Wettbewerb auf dem Weltmarkt wird eintreten kznnen. Auf alle Fälle ist so viel klar: wir haben es mit großen Staaten zu thun, die über kurz oder lang zur Rücksichtslosigkeit gegen andere neigen werden. Der Schauplatz der Weltgeschichte hat sich erweitert. Damit sind die Proportionen andere geworden, und ein Staat, der als europäische Großmacht eine Rolle in der Geschichte gespielt hat, kann, was seine materielle Kraft angeht, in absehbarer Zeit zu den Kleinstaaten gehören. Wollen nun die europäischen Staaten ihre Weltstellung aufrecht erhalten, so werden sie nach meinem Dafür⸗ halten nicht umhin können, soweit sie wenigstens ihren sonstigen An⸗ lagen nach dazu geeignet sind, eng aneinander sich anzuschließen. Es ist nicht unmöglich, daß die Zeit kommen wird, wo sie einsehen werden, daß sie Klügeres zu thun haben werden, als sich gegenseitig das Blut auszusaugen (Zurufe: sehr guth, weil sie im wirthschaft⸗ lichen Kampfe um das Dasein genöthigt sein werden, alle ihre Kräfte einzusetzen.
Wie dem aber auch sein möge, man möge das für Zukunfts⸗ gedanken halten, die noch eines reellen Bodens entbehren, so glaube ich, wird man so viel wenig stens zugeben, daß eine solche Entwickelung wahrscheinlich genug ist, um bei allen Schritten auf dem wirthschaft⸗
lichen Boden Berücksichtigung zu verdienen. Und wenn man das einmal zugiebt, so wird man auch von diesem Gesichtepunkt aus nicht in Abrede stellen wollen, daß die Verträge mit den Staaten, wie wir sie abgeschlofen baben, eine gewisse Garantie für die Zukunft geben.
Würden die Verträge, wie sie Ihnen vorgelegt sind, abgelebnt, so weiß ich in der That nicht —, und ich möchte das hier nicht aus malen, wo in etwa einem Jahrzehnt die Grenze der Nothstände liegen würde, die über Deutschland hereinbrechen würden. Ich bitte Sie noch einmal, sehen Sie diese Vertrãge als ein Ganzes mit Vaterlandsliebe an, lassen Sie sich nicht durch einzelne Details beirren, sondern legen Sie sich die Frage ror: geht Deutschland mit oder ohne diese Verträge einer ge—⸗ deihlicheren und aussichtsvolleren Zukunft entgegen? — und ich gebe mich der Hoffnung hin, Sie werden mik den verbündeten Regierungen. der Ansicht sein, daß die vorliegenden Verträge geeignet sind, das innere Gedeihen Deutschlands and seine Weltstellung zu erhalten und zu fördern. (Lebhafter Beifall.)
Abg. Dr. Reichensperger weist den Nutzen und die Noth⸗ wendigkeit der Handelt vertrãge nach, namentlich gegenüber der Ab— sperrung der Nachbarn im Osten und Westen. Der Dreibund, der Eckstein des europäischen Friedens, sei so lange als kündbar anzufehen, als es nicht gelinge, seine Mitglieder auf wirthschaftlichem Gebiet zu vereinigen. Konzessionen müßten die vertragschließenden Staaten sich natürlich machen, doch sei es eine fundamentale Pflicht sfedes gesetz⸗ gebenden Körpers, der Landwirthschaft Schutz angedeihen zu laffen. Aber eine dauernde Aufrechterhaltung der hohen. Getreidezölle sei Angesichtß der hohen Preise für die wichtigsten Lebenz— mittel unmöglich. Die Agrarier sollten es als ein Glück ansehen, gerade jetzt bei Gelegenheit der Handels— verträge vJön so hohen Zöllen absehen zu können. Das Centrum werde fast einstimmig für die Verträge stimmen, aber von vielen seiner Parteigenossen werde dabei ein Akt großer Selbstverleugnung geübt. Deshalb sei es nothwendig, die Be— denken, welche gegen die Herabsetzung der Zölle sprächen, hier zum Ausdruck zu bringen. Redner erklärt dann, daß er in seinen weiteren Aus führungen nur für seine eigene Person spreche. Der Scutzzoll sei nur bestimmt, die Preise zu Gunsten der Landwirthschaft über den normalen Stand zu vertheuern, aber er halte es für unmöglich, einen Zoll von 5 M auf die Dauer aufrecht zu erhalten, namentlich wenn Mißernten eine empfindliche Theuerung hervorriefen. Ein so hober Schutzzoll sei auch nicht mehr nothwendig, da die Land virth= schaft jetzt eines sehr ermäßigten Zinsfußes sich erfreue auf Kosten der Kapitalisten. Deshalb solle auch die Landwirthschaft zu einem Opfer bereit sein. Man misse die Interessen aller Bevölke= rungsklassen gegen einander abwägen; die Höbe des Getreidezolls, wie er nach der Einführung der neuen Handelsverträge bestehen bleibe, betrage doch noch einen recht ansehnlichen Bruchtheil des jetzt sehr bohen Marktpreises, und dafür, daß der Kornzoll von seinem jetzigen hohen Stand auf diesen immer noch nicht als zu niedrig zu be— zeichnenden Betrag heruntergedrängt werde, habe die vaterländische Industrie eine bedeutende Vergrößerung ihres Absatzgebiets erobert. Dieser Gesichtspunkt der Berücksichtigung der Interessen Aller müsse maßgebend sein und zu einer schleunigen Genehmigung der Handels⸗ verträge führen. (Beifall.)
Abg. Graf von Kanitz: Er wolle nicht nur die Lichtseiten der Rede des Reichskanzlers betrachten, sondern die ganze Rede sachlich beleuchten. Der von dem Reichskanzler so sehr hervorgehobenen Aus juhr stelle er den Inlandsmarkt voran; aber er möchte dem Reichs⸗ kanzler möglichst wenig widersprechen und verzichte deshalb darauf, auf diesen Punkt einzugehen. Durch die Vertragsentwürfe werde die deutsche Handelspolitik nach zwei Richtungen hin einer durchgreifenden Aenderung unterworfen. Erstens solle von dem autonomen zu dem Vertragstarif übergegangen werden. Die Regierung verzichte für lange Heit darauf, die Tarifsätze nach dem Bedürfniß der einheimischen Erwerbszweige festzusetzen, sie begebe sich des Rechts der freien Hand und stelle sich in Abhängigkeit zum Ausland, was, wie er fürchte, ihr unter Umständen einmal unbequem und dem Lande nachtheilig werden könnte, Er sei Anhänger der Tarifautonomie, nicht aus theoretisch wissenschaftlichen Gründen, sondern einfach im Hinblick auf die Erwerbsverhältnisse des deutschen Vater— landes. für dessen wichtigste Produktionszweige das jetzige Zollsystem nun einmal die Grundlage ihrer Existenz geworden sei. Die Zeiten seien längst vorüber, wo das Schutzjollsystem haupt . sächlich oder ausschließlich als Finaniguelle betrachtet worden fei. Daraus ergebe sich, daß diese Zölle nicht in minimo oder maximo für längere Zeit festgestellt werden, sondern daß sie dem Bedürfniß angepaßt sein müßten. Deutschland babe schon früher Tarifverträge gehabt, aber die Tarifermäßigungen hätten gerade folche Artikel be⸗ troffen, die nicht zu den besten Erzeugnissen gehört hätten. Eine Aus nahme habe nur die der Schweiz zugestandene Ermäßigung von Seidenwaaren gemacht, die er lebhaft bedauere. Diese Tarifverträge hätten indeß der Regierung im Wesentlichen freie Hand gelaffen. Er bedauere, daß man nun zu dem System der gebundenen Tarife übergehen solle. Die zweite Aenderung sei der Bruch mit dem Frundsatz ines wirksamen Schutzes der nationalen Arbeit. Das jetzige Zollsystem stehe wenigstens in den Augen seiner Partei als etwas Untheilbares, Ganzes und Geschlossenes da, Landwirthschaft und Industrie hätten seiner Zeit durch einmüthiges Zusammengehen und Wirken dies System zu Stande gebracht, und er glaube, daß die Landwirthschaft nicht geneigt sein werde, wenn jetzt die landwirthfchaft⸗ lichen Zölle abgebröckelt würden, die industriellen Zölle noch fange Zeit gegen die reihändlerischen Angriffe vertheidigen zu helfen. Man habe genug an den hohen Eisen , und Textil und anderen Industrie⸗ schutzöllen zu tragen. Nehme man das Kompenfationsobseft fort, fo werde die Lage dadurch eine vollkommen andere. Der Reichskanzler habe gesagt, man solle doch nicht vergessen, daß die landwirtbschaftlichen Schutziölle dem Lande große Opfer auferlegt hätten. Cin Opfer habe die Landwirthschaft ebenso gut gebracht, indem sie die hohen Industrie= lölle habe tragen helfen, und er sei noch zweifelhaft, auf welcher Seite die größere Belastung liege. Seine Partei habe den landwirthschaft⸗ lichen Schutzzoll niemals als ein Opfer für das Land betrachtet, sie habe im Gegentheil geglaubt, daß die Zölle nur ein Schutz für den wichtigsten Zweig der Erwerbsthätigkeit, die Landwirthfchaft, seien. Windthorst habe im vorigen Jahre von dieser Stelle aus dasfelbe
esagt. Er könne eigentlich nicht begreifen, warum in diesen neuen
aadelsverträgen gerade die landwirthschaftlichen Schutzzölle so be⸗ trächtlich herabgesetzt würden, während die industriellen Zölle ver⸗ hältnißmäßig eine sehr viel geringere Herabminderung erführen. Der jetzige Preisstand des Getreides sel ein vorübergehender, nur durch die diessährige russische Mißernte veranlaßter, und er halte es für falsch, diesen Preisstand als Grundlage für Konzessionen zu machen, die volle zwölf Jahre dauern sollten. Gegen diesen vorübergehenden Preisstand — er befinde sich hier nicht in Uebereinstimmung mit allen seinen Parteigenossen — gebe es nur ein Mittel, die Suspension der Ge freidesölle, d. h. die Aufhebung oder Herabsetzung der Getreidezölle auf eine bestimmte Zeit. Die Regierung habe von diesem Mittel im Frühjahr keinen Geßrauch gemacht; er würde den Reichskanzler noch jetzt bitten, von diesem Mittel Gebrauch zu machen und dafür die y, ,, . zu unterlassen. Die Besürchtung, daß die Wieder einführung der Getreidezölle nach Ablauf der Suspensionsfrist auf
Schwierigkeiten stoßen könnte, theile er nicht. Wenn der Getreidezoll bis zum 1. Juni 1892 z. B. auf 3 herabgesetzt würde, so würde
am 1. Juni 1897 der Zoll wieder ganz von selbst und obne daß es eines neuen gesetzgeberischen Aktes bedürfe, seinen früheren Stand erreichen. Die Regierung habe in früheren Jahren die Gründe, weswegen sie auf eine Suspension nicht eingegangen sei, vorenthalten. Man habe gesagt, ein Nothstand würde nach Maßgabe der vorhandenen. Getreidevorräthe nicht zu besorgen sein. Als im August dieses Jahres das tussische