1892 / 11 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 14 Jan 1892 18:00:01 GMT) scan diff

der Erziehung der Jugend an unseren höheren Schulen schien es der Unterrichts verwaltung geboten, dem weiteren Umsichgreifen des specialisirenden a, nn, durch stärkere Betonung der Wirkfamkeit der Klassenlehrer wenigstens in den unteren und mittleren Klassen zu begegnen. Indem in dieser Veziehung auf die Erläuterungen zu den Lehrplänen unter „Religion verwiesen wird, sei der nur die Bemerkung gestattet, daß ein Theil der Anklagen wegen Ueberbürdung der n in den zu weit gehenden Forderungen der Fachlehrer begründet scheint. Wie dem ohne Schädigung der wissenschaftlichen Auf⸗ gabe der Oberstufe gesteuert werden könne, ist in den Er⸗ läuterungen angedeutet. . .

11 Entlastung der Reifeprüfung von Gedächt⸗ nißstoff und Vereinfachung der Prüfung. In dieser Beziehung ergiebt sich alles Nothwendige aus den Erläute⸗ rungen und Ausführungsbestimmungen zu A; hier seien nur die Minderung des Gedächtnißstoffes in Religion und Ge— chichte, die Beschränkung der Prüfung auf die Lehraufgaben 65. Prima und die Erleichterung der Befreiung von der mündlichen Prüfung hervorgehoben. .

17) Abschlußprüfung nach dem sechsten Jahr⸗ gange. Auch hier darf lediglich auf die Ordnung dieser Prüfung unter ITV. und die Erläuterungen dazu unter B. Bezug genommen werden. Letztere insbesondere enthalten auch die Grunde für die Zweckmäßigkeit einer solchen lediglich den Charakter einer Klassen⸗ und Versetzungsprüfung tragenden Einrichtung und die Widerlegung der dagegen erhobenen Ein— wendungen.

Deutscher Reichstag. 146. Sitzung vom Mittwoch, 13. Januar. 1 Uhr.

Am Tische des Bundesrathes die Staatssecretäre Dr. von Boetticher und Freiherr von Maltzahn.

Die zweite Berathung des Reichshaushalts⸗-Etats für 1892/03 wird fortgesetzt und zwar beim Etat des Reichs—⸗ J, .

Beim Gehalt des Staatssecretärs 50 000 ( richtet

Abg. Graf von Behr (Ry, die Frage an die Regierung, wie weit die Vorarbeiten zum Erlaß eines Reichs⸗Versicherungsgesetzes gediehen seien. Schon am 31. Oktober 1871 sei die Regierung in dieser Angelegenheit interpellirt worden. Im März 1874 sei dann eine Petition der deutschen Versicherungsgesellschaften beim Reichs— tage eingegangen, welche der Regierung zur Erwägung überwiesen worden sei. 1880 und 1881 habe die Regierung die Mittheilung ge⸗ macht, daß in der fraglichen Richtung Material gesammelt werde. Seitdem habe die Frage geruht. Die Nothwendigkeit der reichsgesetz⸗ lichen Regelung des Versicherungswesens bedürfe keiner weiteren Erörterung, sei auch von den verbuͤndeten Regierungen nie in Abrede gestellt worden.

Staatssecretär Dr. von Boetticher:

Vorarbeiten für den Erlaß eines Reichs⸗Versicherungs—⸗ gesetzes haben, wie so viele andere nützliche Unternehmungen, auch ihre Schicksale gehabt. Der Herr Vorredner hat mit Recht hervor⸗ gehoben, daß die erste Anregung zum Erlaß eines Reichs⸗Versicherungs—⸗ gesetzes schon eine geraume Zeit zurückdatirt. Im Jahre 1883 wurde im Reichsamt des Innern der erste Entwurf eines Reichs— Versicherungsgesetzes fertiggestellt, und zwar auf Grund des⸗ jenigen Materials, das sich aus einer Enquete ergeben hatte,

Di Vie

die bereits im Jahre 1879 durch ein Rundschreiben des Reichskanzlers

an die verbündeten Regierungen eingeleitet worden war. In dieser Enquéte hatten sich sehr tiefgehende Meinungsverschiedenheiten unter den Bundes-Regierungen herausgestellt, und es war insbesondere von einer namhaften Zahl von Regierungen die Bedürfnißfrage, also die Frage, ob überhaupt zum Erlaß eines Reichsgesetzes auf dem Gebiete des Versicherungswesens ein Bedürfniß vorhanden sei, verneint worden. Gleichwohl ging damals die Reichs-Verwaltung 1dazu über, diesen Entwurf von 1883 bei den betheiligten Reichs- und Landesressorts zur Prüfung vorzulegen. Aber auch da ergaben sich ungewöhnliche Schwierigkeiten. Die Verhandlungen darüber zogen sich bis zum Jahre 1886 oder 1887 hin. Es wurde nicht mög⸗ lich, die verschiedenen Auffassungen mit einander auszugleichen, und im Jahre 1887 ist dann die Sache liegen geblieben, weil inzwischen ein lebhaftes Verlangen nach der Regelung dieser Materie im Wege der Reichsgesetzgebung nicht weiter hervorgetreten war; das ist auch bis in die neueste Zeit nicht geschehen. Neuerdings freilich haben sich in der Presse lebhafte Stimmen erhoben, welche auf die unleugbaren Mißstände, die aus der Verschiedenartigkeit der Gestaltung des Versicherungsrechts innerhalb des Reichs entstehen, hinwiesen, und diese Aeußerungen haben mir Veranlassung gegeben, von neuem die Sache in Angriff zu nehmen. Ich habe es zunächst für nützlich erachtet, die Erfahrungen in denjenigen Ländern, in denen das Versicherungswesen gesetzlich auf einer, wie es scheint, gesunden Grund⸗ lage aufgebaut ist, zu Rathe zu ziehen, Nachforschungen darüber anzu—⸗ stellen, welche Erfahrungen in diesen Ländern mit der geltenden Ver— sicherungsgesetzgebung gemacht worden sind. So ist namentlich! eine An⸗ frage nach Amerika ergangen und nach England; außerdem haben wir runs nach Frankreich mit Rücksicht darauf gewendet, daß dort die Neuregelung des Versicherungswesens im Wege der Gesetzgebung im Werke ist. Meine Herren, wie schon bemerkt, es liegen außerordentliche Schwierig⸗ keiten vor. Eine der wichtigsten Fragen ist namentlich die: soll man die Versicherungsanstalten einer Concession unterwerfen oder soll man sie operiren lassen auf Grund einer Anmeldung, die bei einer! be— stimmten Behörde zu geschehen hätte, und den Nachweis zu führen hätte, daß gewisse Normativbedingungen, die das Gesetz aufstellt, in dem Plane der zu begründenden Versicherungsanstalt erfüllt sind? Eine zweite sehr schwierige Frage ist die: wie soll es mit der Aufsicht werden? Soll sie dem einzelnen Staates, soll sie dem Reiche zustehen? Wie soll die Aufsichtsbehörde 8 komponirt werden? Woher sollen die Kräfte für eine solche Aufsicht, die doch, wenn sie den Versicherungsanstalten das bis dahin genossene Ver⸗ trauen auch erhalten soll, eine sehr peinliche und sorgfältige sein muß, genommen werden? Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß es möglich sein wird, na— mentlich wenn man sich auf die Erfahrungen anderer Kulturstaaten stützen kann, die noch bestehenden Meinungsberschiedenheiten zum Ausgleich zu bringen, oder, wenn es nicht anders ist, schließlich wenigstens unter der Mehrheit der verbündeten Regierungen zu erledigen. Leicht wird die Sache indessen nicht sein. Immerhin glaube ich, daß der Herr Vorredner sich mit der Ueberzeugung wird beruhigen können, daß die Sache von neuem in Fluß gebracht ist, und daß alles geschieht, um der Schwierigkeiten Herr zu werden, die in der Materie nun einmal

Frohme (Soc): Auch diesmal müsse er bemängeln, 24 die Zahl der Fabrikinspectoren nicht genüge, trotzdem die kschri des vorigen Jahres darauf habe schließ laffen, den bisher hervor⸗ getretenen Mängeln abgeholfen werden solle. Die Aufsichtsbezirke müßten ganz erheblich eingeschränkt werden, jetzt müßten sich die Berichte e mit einem anscheinend begnügen; so heiße es, die Nachtarbeit der Frauen in den Fabriken nehme „anscheinend' ab, trotzdem es thatsächlich nicht so sei; bei der Größe der Bezirke könne man eben den einzelnen Fabrikinspectoren die relativ geringe Zahl der factischen Revisionen nicht zum Vor⸗ wurf machen. Bei den Berichten der Fabrikinspectoren resp. der im Reichsamt des Innern vorgenommenen Zusammenstellung sei zu bemängeln, daß sie eine gegen die Arbeiter tendenziös gerich⸗ tete Spitze hätten, was freilich nicht zu verwundern sei, da die In⸗ spectgren Kreisen entstammten, welche im Allgemeinen die Anschauungen der Arbeitgeber theilten. Dazu komme, daß die Arbeiter häufig nicht in der Lage seien, den ö ihre Klagen mitzu⸗ theilen, weil sie sonst Maßregelungen durch die Arbeitgeber zu gewär⸗ tigen hätten. Es müßte ein Gesetz erlassen werden, welches solche . en wegen an die Fabrikinspectoren gerichteter Be⸗ schwerden bei strenger Strafe untersage; freilich wäre es schwer, ein solches Gesetz praktisch durchzuführen, ebenso wie das Verbot der Wahlbeeinflussungen durch Arbeitgeber nicht streng durchzuführen sei, aber immerhin könnte ein solches Gesetz doch einigen Nutzen schaffen. Die Fabrikinspectoren würden sich ein viel richtigeres Bild von den thatsächlichen Verhältnissen schaffen, wenn sie sich mehr an die Arbeiterorganisationen wenden wollten, welche sich freilich keiner besonderen Sympathie bei den Arbeitgebern er⸗ freuten. Ferner wäre ernsthaft der Frage näher zu treten, ob man nicht den Hanh mere gehrlinge⸗ denselben Schutz gewähren wolle, wie den jugendlichen Arbeitern in Fabriken. Die Lehrlinge, welche im Hause ihrer Arbeitgeber beschäftigt würden, ständen der . ihrer Arbeitskraft schutzlos gegenüber. Es komme außerdem vielfac Handbetrieb vor, daß die

in den Ziegeleien mit da von 14 —15 Stunden

3. 3 J jugendlichen Arbeiter eine Arbeitszeit ; : ; . Man sollte also auch für die. Handwerks-Lehrlinge die zehn stündige Arbeitszeit mit je einviertelstündigen Frühstücks- und Vesperpausen und 195stündiger Mittagspause einführen. Mit eigen⸗ thümlich berührender Sorgfalt werde in den Berichten der Fabrik- inspectoren darauf gedrungen, daß die in den Fabriken beschäf⸗ tigten Frauen und Mädchen unter eine besonders strenge sittliche Kon—⸗ trole gestellt werden müßten. Aber nicht durch einen mit den Männern gemeinschaftlichen Weg von oder zu der Arbeitsstelle werde die Sittlich⸗ keit der Arbeiterinnen gefährdet, wie die Hausordnung eines Duiz⸗ burger Arbeitgebers befürchte, sondern es sei die geringe Bezah⸗ lung, welche die Arbeiterinnen der Prostitution in die Arme treibe. Man wolle aber den Arbeiter an jedem Punkte fühlen lassen, daß er der Fürsorge des Arbeitgebers nicht entbehren könne, und die große Menge der Bevölkerung glauben machen, daß die Arbeiter besonders für die Unsittlichkeit und alle schlechten Neigungen veranlagt seien. Gegen diese Auffassung der ven den Arbeitgebern inspirirten amt⸗ lichen Berichte müsse er aufs entschiedenste Verwahrung einlegen. Das häusliche Leben der Arbeiter werde durch, die moderne Productions⸗ weise zerstört und könne durch kleine Mittel, wie Nähschulen und dergleichen, nicht geheilt werden. Alle diese Wohlfahrtseinrichtungen, Einrichtung von Wohnungen u. s. w., würden von den Unternehmern nur in ihrem eigenen Interesse getroffen, um die Arbeiter desto fester an den Betrieb zu fesseln. Es 3. ja auch welche, die es aus wahrhaft humanitärer Gesinnung thäten, aber diese bildeten nicht die Regel. Auch das Capitel der Arbeitseinstellungen werde sehr breit besprochen und nachzuweisen versucht, wie schlecht, wie thöricht die Arbeiter dabei meist gehandelt, und wie sehr sie sich selbst geschädigt hätten. Die Strikes würden sodann vielfach auf Einwirkungen der socialdemokratischen Partei zurückgeführt. Diese Partei und ihre Presse habe sich so viel bemüht, Klarheit über die zweischneidige Waffe der Arbeitseinstellungen zu verbreiten, daß er jene frivole und gewissenlose Behauptung ganz entschieden zurück⸗ weisen müsse. Und wie stehe es denn mit dem Coalitionsrecht der Arbeiter überhaupt? So alt, wie dieses, seien auch die Gegen⸗ coalitionen der Unternehmer, welche darauf ausgingen, die Arbeiter an der Ausübung des Coalitionsrechts zu hindern und dieses ganz und gar zu beseitigen. Die Gewerberäthe, Handelskammern und Gewerbekammern sollten sich mehr mit den Arbeitern in Verbindung setzen sie würden dann richtiger über alle diese Verhältnisse urtheilen. Bisher hätten sie sich nur auf die Behauptungen, irrigen Ansichten und ten⸗ denziösen Erklärungen der Unternehmer verlassen. Von diesen er⸗ hielten die Fabrikinspectoren eben meist ein falsches Bild von den Ursachen der Strikes. Die Arbeitgeber seien meist schuld an den Strikes, denn sie sagten: Sobald die Arbeiter von ihrem Coalitions⸗ recht Gebrauch machen, ist das Tischtuch zwischen ihnen und uns zer⸗ schnitten. In keinem Bericht der Fabrikinspectoren habe er soviel Ge⸗ rechtigkeitsgefühl gefunden, daß man diese Thatsachen anerkannt habe. Er hoffe, daß seine Bemerkungen zum Nachdenken anregen und die Regierungen veranlassen würden, die thatsächlich bestehenden Miß⸗ stände zu beseitigen.

Staatssecretär Dr. von Boetticher:

Ich bin sehr gern bereit, über die Bemerkungen, die der Herr Abg. Frohme gemacht hat, noch weiter nachzudenken; aber vorläufig kann ich nicht umhin, die Erklärung abzugeben, daß seine Ausführungen für ein Vorgehen auf dem Gebiete der Gesetzgebung und Verwaltung mir noch sehr wenig Ausbeute geliefert haben. (Sehr wahr!)

Meine Herren, der Herr Vorredner hat damit begonnen, sich darüber zu beklagen, daß das wichtige Institut der Fabrikinspectoren noch nicht in dem wünschenswerthen und dem Bedürfniß ent⸗ sprechendem Grade entwickelt sei. Er hat aber dabei wohl nicht daran gedacht, daß man seit einem Jahre in Preußen damit be⸗ schäftigt ist, die Zahl der Fabrikaufsichtsbeamten erheblich zu ver⸗ mehren, und daß ein Plan besteht, dessen Durchführung allerdings noch einige Jahre die ganze Ausführung ist auf vier Jahre be⸗ rechnet erfordern wird, wonach an Stelle der gegenwärtig in der Zahl von etwa 45 vorhandenen Fabrikaufsichtsbeamten deren 160 angestellt werden sollen. Damit wird doch auch wohl dem Bedürfniß des Herrn Abg. Frohme genügt sein, um so mehr, als ich ihm sagen kann, daß, wenn diese Organisation durchgeführt ist, allein in Preußen mehr Fabrikaufsichtsbeamte vorhanden sein werden, als wie in dem vereinigten Königreich Großbritannien und Irland.

Der Herr Vorredner hat dann weiter den Berichten der Fabrik⸗ inspectoren eine arbeiterfeindliche Tendenz beigemessen und gemeint, sie seien von der verderblichen Socialpolitik der Regierung beeinflußt. Dem gegenüber habe ich darauf hinzuweisen, daß es nicht die Aufgabe der Fabrikaufsichtsbeamten ist, überhaupt Politik zu treiben; die Fabrikaufsichtsbeamten sollen, was ihre Pflicht zur Berichterstattung anlangt, über Thatsachen berichten und sollen Urtheile über gewisse Mißstände, die ihnen bemerkbar geworden sind, abgeben; eine selbst⸗ ständige Politik haben sie nicht zu treiben. Soweit aber die soeial⸗ politische Auffassung bei ihrer Thätigkeit überhaupt von Einfluß ist,

muß es natürlich diejenige sein, die die verbündeten Regierungen im Verein mit dem Reichstag zu verfolgen beschlossen haben. Der Herr Vorredner hat es dann als einen Mangel bezeichnet, daß die Fabrikinspectoren nicht genügende Fühlung mit den gewerk⸗ schaftlichen Vereinen hielten; er meint, daß die Fühlung zwischen den Fabrikinspectoren und jenen Vereinen dazu führen würde, den ersteren eine viel bessere Kenntniß der Verhältnisse der Arbeiter zu verschaffen, als wie dies ihre bisherige Thätigkeit vermöge. Auch ich beklage es,

samkeit anlangt, noch nicht so entwickelt hat, daß der Arbeiter mit vollem Vertrauen und mit voller Offenheit dem Fabrikaufsi gegenübertritt. Ich würde es freudig begrüßen, wenn ein solches Ver hältniß hergestellt würde, daß der Arbeiter in dem Fabrikauffichts beamten seinen Berather und seinen Freund erblickt, der ihn in seinem wohl verstandenen Interesse beräth. Ich halte es auch nicht für aus. geschlossen, daß die Fabrikinspectionsbeamten sich Informationen bei den gewerkschaftlichen Vereinen holen; wo das Bedürfniß hierzu bei ihnen empfunden wird, werden sie eine Verbindung, wie ich nicht zweifle, auch suchen.

Wenn der Herr Vorredner es aber weiter als ein besonderez Verdienst der gewerkschaftlichen Vereine bezeichnet hat, daß sie bemüht seien, über die Verhältnisse der Arbeiter Klarheit zu verbreiten, und daß dies Bestreben namentlich auch durch die Arbeiten zum Ausdruck gekommen sei, welche die gewerkschaftlichen Vereine für die Aufstellung von Lohnstatistiken unternommen hätten, so will ich die Nützlichkeit solcher Unternehmungen nicht in Abrede stellen. Allein es liegt in der Natur der Sache, daß eine solche Lohn⸗ statistik, von einzelnen gewerkschaftlichen Vereinen aufgenommen, kein erschöpfendes Bild zu geben vermag. Hier wird vielmehr dem Be— dürfniß, welches auch ich anerkenne, erst dann entsprechend Rechnung getragen werden können, wenn eine Organisation, die jetzt von uns in Angriff genommen ist, zur Durch⸗ führung gebracht sein wird. Wir beabsichtigen nämlich, eine Commission für Arbeitsstatistik einzusetzen; die Mitglieder dieser Commission sollen zu einem Theile vom Bundesrathe, zum anderen vom Reichstage gewählt werden. Diese Commission, der neben dem einen oder anderen Statistiker Männer angehören werden, die im gewerblichen Leben stehen, wird die Verwaltung mit sach⸗ verständigem Urtheil berathen können, in welcher Weise man die zur Klärung der Arbeiterverhältnisse nothwendigen Auf⸗ nahmen einzurichten hat. Die nächste Aufgabe dieser Com— mission, die, wie ich annehme, in nicht zu ferner Zeit, wahr— scheinlich noch während der diesjährigen Tagung des Reichstags in Thätigkeit treten wird, haben wir bereits entworfen, und dabei namentlich ins Auge gefaßt, über die Arbeitsdauer in gewissen Ge— werben ich erinnere nur an das Müller- Bäcker- und Verkehrs- gewerbe Klarheit zu schaffen. Außerdem ist für die Thätigkeit dieser Commission ein Feld dadurch eröffnet, daß sie zum Zwecke der Ausdehnung der Arbeiterschutzgesetzgebung auf das Handwerk und auf die Hausindustrie die nöthigen Vorbereitungen treffen soll.

Was die von dem Herrn Vorredner als nothwendig bezeichneten Einschränkungen der Arbeitszeit jugendlicher Arbeiter anlangt, so ist der Bundesrath bereits längst auf diese Materie aufmerksam geworden und wird sich demnächst mit derselben zu befassen haben.

Der Herr Vorredner hat ferner in etwas emphatischer Weise beklagt, daß man in die Sittlichkeit der Arbeiter, namentlich der weiblichen Arbeiter, ein zu geringes Vertrauen setze, und hat sich zum Beweise dieser seiner Annahme auf eine Stelle aus den Berichten der Fabrikinspectoren und auf eine Hausordnung be— rufen, die diesen Berichten angefügt ist. Demgegenüber muß ich doch zur Unterstützung meiner Auffassung, daß der Herr Vorredner in seiner Deduction wohl etwas zu weit gegangen ist, wenn er aus den Vorgängen, die er angezogen, ein Mißtrauen der Arbeitgeber in die Sittlichkeit der Arbeiterinnen construirt, den Wort— laut des Berichts des betreffenden Fabrikinspectors anführen. Es heißt in diesem Bericht:

Das Mädchenheim des Spinnerei⸗ und Webereibesitzers Otto Böninger in Duisburg

ich bemerke, daß auf diesen Arbeitgeber, dessen Verhältnisse mir wohl bekannt sind, und dessen Eifer in der Fürsorge für die Arbeiter ich sehr hoch schätze, die Behauptung, daß er seine Arbeiter drücke und schlecht be— handele, absolut nicht zutrifft

Das Mädchenheim des Spinnerei⸗ und Webereibesitzers Otto Böninger in Duisburg, welches im November 1889 errichtet wurde, fand trotz seiner schönen Einrichtung im Anfang bei den Arbeiterinnen wenig Anklang. Die rastlosen Be— mühungen des Stifters haben, unter Zuhilfenahme des Einflusses der Eltern und Vormünder, erreicht, daß die Zahl der hier Unter— kunft findenden Mädchen von anfänglich sechs auf mehr als zwanzig gestiegen ist. Ueber Zweck und Leitung der Anlage giebt die dem Anhange beigefügte Hausordnung nähere Auskunft.

Ich frage, ob in dieser Bemerkung des Fabrikinspectors irgend etwas enthalten ist, was zu den abfälligen Bemerkungen des Herrn Vorredners Anlaß geben könnte.

Nun komme ich auf die Hausordnung, und da lautet der 5 7 es ist das derjenige Paragraph, welchen der Herr Vorredner als so verfänglich bezeichnet, aus dem er construirt, daß er ein Mißtrauen bekundet gegen die sittliche Aufführung der Arbeiterinnen folgendermaßen:

Es ist Vorsorge getroffen, daß die Mädchen den Weg zur Fabrik hin und zurück gemeinschaftlich mit den nebenan in den Fabrikarbeiterhäusern wohnenden Meistern und verheiratheten Ar— beitern zurücklegen können.

Also, wenn die Arbeiterinnen nicht wollen, brauchen sie es nicht einmal. Wenn sie vorziehen, allein oder in Gemeinschaft mit anderen Personen zu gehen, so ist das ihnen überlassen. Die Vorsorge aber, die der Arbeitgeber getroffen hat, indem er es ermöglicht, daß die Mädchen aus der Fabrik unbehelligt durch irgend welche Be⸗ lästigungen unter dem Schutz anderer Personen in ihre Behausung sich be⸗ geben können, ist nicht allein eine sehr dankenswerthe, sondern auch eine außerordentlich vernünftige. (Sehr richtig.)

Dann hat der Herr Vorredner sich zu der meines Erachtens recht kühnen Behauptung verstiegen, die wohlwollenden Arbeitgeber bildeten nicht die Regel. Meine Erfahrungen sind ganz andere. Ich will ja nicht leugnen, daß es Arbeitgeber giebt, welche in eigensüchtigem Interesse die Arbeiter nicht so wohlwollend behandeln, wie es sein müßte; allein die überwiegende Mehrzahl der deutschen Arbeit⸗ geber ist durchaus von Wohlwollen für die arbeitenden Klassen erfüllt, und ich muß die Behauptung, daß die wohlwollenden Arbeitgeber die Ausnahme bilden, allen Ernstes zurückweisen.

Der Herr Vorredner hat sich des weiteren darüber ausgelassen, daß Arbeitgeberverbände bestehen, welche dazu übergegangen sind, eine gewisse Controle über die Haltung der Arbeiter, namentlich in Bezug auf ihr politisches Verhalten und auf socialdemokratische Aus- schreitungen einzuführen. Ja, meine Herren, die Thatsache ist richtig.

liegen.

daß sich das Institut der Fabrikinspectoren, was seine innere Wirk⸗

geber Coalition, welche durch ihr Statut festgesetzz hat, daß die=

Es besteht ausweislich des uns vorliegenden Berichts eine Arbeit-

Arbeiter dem Vorstand namhaft gemacht werden, welche ö e elles atische Uebergriffe und Ausschreitungen zu schulden haben kommen lassen. Aber, meine Herren, ich sollte doch glauben, daß gerade der Herr Vorredner als Mitglied der socialdemokratischen ei keinen Grund hat, sich darüber zu beschweren, denn, meine Herren, Sie machen es ja just ebenso. (Sehr richtig) Ist Ihnen denn aus dem Gedächtniß geschwunden, daß Sie in Ihren Zeitungen Sperren verhängen über Arbeitgeber, die sich Ihrer Meinung nach gegen ihre Arbeiter nicht so verhalten haben, wie Sie das wollten? Ist Ihnen aus dem Gedächtniß gekommen, daß Sie eine große Klasse von Arbeitgebern boycottiren, die Ihnen nicht Locale zu Ihren Ver⸗ sammlungen einräumen? Was dem Einen recht ist, ist dem Andern billig: Bezeichnen Sie in der Oeffentlichkeit die Arbeitgeber, die Ihnen nicht zu Willen sind, so seien Sie auch so billig, es den Arbeitgebern nicht zu verdenken, wenn sie unter sich Arbeiter namhaft machen, und das nicht einmal öffentlich. (Zuruf) Ja, meinetwegen auch schwarze Listen. Gehen Sie mit gutem Bei⸗ spiel voran: geben Sie es auf, zu boycottiren und die Namen der Arbeitgeber zu publiciren, die Ihnen nicht zu Willen leben! Dann will ich alles daran setzen, um auch die Arbeitgeber zu bestimmen, daß sie sich desselben löblichen Thuns befleißigen. (Bravo h

Abg. Dr. Hartmann (con . Die letzten Ausführungen des Staats seeretärs unterschreibe er K Die Arbeitgeber brauchten ihr gesetzliches Recht so gut wie die Arbeiter. Mit Freude begrüße er die Ankündigung der Commission für Arbeiterstatistik, ihre in Aussicht genommene Zusammensetzung und die Thatsache, daß fie auf weitere Ausdehnung des Arbeiterschutzes auf das Handwerk . solle. Die Zahl der Fabrikinspectoren sei nicht nur in Preußen ver— mehrt, auch in Sachsen sollten sechs neue Insperctoren ernannt werden, was wohl dem Abg. Frohme genügen dürfte. Er sei erstaunt darüber, daß die Fabrikinspectoratsberichte tendenziös gegen die Arbeiter ge⸗ richtet sein sollten; den Beweis für seine Behauptung sei der Ak Frohme schuldig geblieben, denn das erwähnte Mädchenheim mit seiner Hausordnung sei doch nur eine Maßregel des Wohlwollens und keineswegs ein Attentat auf die Würde der deutschen Frauen zumal nach 1 der Hausordnung überhaupt nur Mädchen ohne Familienanschluß dort Unterkunft erhalten sollten. Die Wohlfahrts⸗ einrichtungen, die von vielen Arbeitgebern getroffen seien, hätten auch nicht den Zweck, die Arbeiter wirthschaftlich abhängig zu machen, sondern sie dienten den Interessen der Arbeiter, allerdings auch denen der Arbeitgeber, wie denn diese beiderseitigen Interessen überhaupt nicht einander zuwider zu laufen brauchten. Wenn der Dresdener Fabrikinspecter für das Jahr 1891 aus den geschäftlichen schlechten Zeiten eine Verringerung der Strikes prophezeit habe, so sei diese Prophezeiung ja eingetreten, man könne ihm also daraus keinen Vor— wurf machen. Dabei müsse er die öfter gehörte Behauptung, die Socialdemokraten seien Gegner der Strikes, auch heut wieder als mit den Thatsachen nicht vereinbar zurückweisen. Der Bericht der Fahrikinspectoren sei nach Quantität und Qualität durchaus zu loben, er beweise, daß die Fabrikinspectoren ihre Aufgabe so auffaßten, daß sie Vermittler zwischen Arbeitern und Arbeitgebern sein sollten; dazu sei freilich noch nöthig, daß die Inspectoren mit den Ärbeiter— organisationen Fühlung gewönnen und daß die Arbeiter ihr Miß— trauen und ihre Scheu aufgäben und in 3 Beziehungen zu den Fabrikinspectoren träten. Der Abg. Frohme hätte den Fabrik— inspectoren ein Lob ertheilen sollen; da er es unterlassen habe, so ergänze er (Redner) seinen Vortrag nach dieser Richtung hin.

Abg. Dr. Lingens (Centr.): Die heutige Fassung der Berichte der Fabrikinspectoren entspreche auch seinen W chen nicht, er wünschte eine mehr individuelle Arbeit, die mehr Einblick in die persönlichen und previnziellen Verschiedenheiten zulasse. Die Nachtarbeit werde nicht mit der gehörigen Strenge beaufsichtigt, namentlich in Bezug auf die weiblichen Arbeiter. Von nächtlichen Besuchen der Fabrik inspectoren sei nur ausnahmsweise die Rede. Wenn in dem großen Düffeldorfer Bezirk die Nachtarbeit habe beseitigt werden können, warum solle es nicht auch an andern Stellen möglich sein? In einem Briefe an ihn sei einmal gewünscht worden, er follte dem Fürsten Bismarck schreiben, daß in seinen Fabriken die Nachtarbeit eingestellt werde. Dem Abg. Frohme bemerke er, daß es sehr wohl Arbeitgeber gebe, die sich mit Entrüstung von einer Ausbeutung der Arbeiter abwendeten. Ein leuchtendes Beispiel gebe die Rheinprovinz, namentlich die Firma Brandts in München-Gladbach. Nach den Berichten der aus— ländischen Fabrikinspectoren habe die Schweiz den zehnstündigen Arbeitstag schon mit Erfolg eingeführt. Die Ueberstunden würden in der Schweiz von den betreffenden Behörden nur sehr schwner und unter bestimmten Voraussetzungen bewilligt. Kein Arbeiter dürfe gegen seinen Willen zu Ueberstunden herangezogen werden, und an Tagen vor Sonn- und Festtagen würden ene Ueberstunden zugelassen. Nach dem österreichischen Bericht hätten sich die Fabrikinfpeckoren verfammelt und ihre Erfah⸗ rungen ausgetauscht, ein dankenswerthes und nachahmenswürdiges Unter⸗ nehmen. Die österreichischen Fabrikinspectoren hätten auch Maßnahmen für Sicherheit und. Gesundheit der Arbeiter getroffen und ihre Wohnungen und Schlafstätten besichtigt. Der österreichische Bericht empfehle, was der deutsche Verein für Arbeiterwohl gleichfalls warm empfohlen habe, den Erlaß von Arbeitsordnungen und die Bildung ben Arbeiterausschüfsen in den einzelnen Industrien. Auch nach dem öoͤstexreichischen Bericht mache die Verkürzung der Arbeitszeit Fort⸗ schritte. In allen diesen Punkten seien ja Verbesserungen auch hier nöthig, und sie seien nach der Vermehrung der Fabrikinspectoren auch zu erwarten, wenigstens in dem Maße, als die Arbeitgeber selbst die Nothwendigkeit davon einsehen lernten und sich zu ihrer Ein— sihehn zusammenthun würden.

Abg. Dr. Hir sch (Ef. : Die hocherfreuliche Ankündigung der gom mi fon für Arbeiterstatistik seitens der Regierung begrüße er mit

en Worten; Spät kommt ihr, doch ihr kommt. Es sel hier bisher ken geschehen zur Erweiterung der Kenntniß der Lage der arbeiten⸗ den klassen, aber man könne hoffen, daß die neue Einrichtung auch wirklich die ungeschminkte Wahrheit über die Arbeiter zu Tage fördere. Das Vertrauen hierauf werde bestärkt durch die Versicherung, daß der Reichstag und die Gewerbetreibenden in der Commissisn ver? treten sein sollten. Mit vielen Ausführungen des Abg. Frohme erkläre er sich einverstanden und er könne dem Pane— vricus des Abg. Dr. rtmann nicht beistimmen. Die . hätten ich ihrem Amt mit Eifer zingegeben, aber die. Regierung habe, selbst zugestanden, 6 die Zahl der Fabrikinspectoren nicht ausreichend sei. Man müsse hoffen . Berichte der Fabrikinspectoren künftig mehr Licht über die wirkli Verhältnisse verbreiteten. Er wolle nicht behaupten, .. die Inspectoren absichtlich tendenziös vorgingen. Die Arbeiter ollten an die Inspectoren mit Vertrauen herantreten; thäten sie X aber nicht, dann sei es die Pflicht der Inspectoren, Fühlung mit den Arbeitern zu suchen. Wie wenig dics bis jetzt geschehen sei, ersehe man leicht aus den Berichten. So finde man darin unter der Rubrik „Vereine“ nur eine ganz geringe Zahl Vereinigungen der Arbeitgeber, die Hunderte von Arbeiterdereinen hingegen seien einfach ignorirt. Was das Verhältniß der Arbeitgeber zu den Arbeitern und deren Verbänden betreffe, so sei es unzweifelhaft richtig, daß ein oer The der deutschen Arbeitgeber von humanen Absichten beseelt si; ein Theil der Wohlfahrtseinrichtungen sei gewiß gut, aber die Arbeiter ver gten mehr als Wohlwollen und Geschenke, fie wollten

weniger der auf.

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Fabrikinspectoren sollten dazu zuerst beitragen. Zeige sich das Wohl— wellen gegen die Arbeiter au richtigem Wege, so werde ein großer Theil der Arbeiter für den socialen Frieden zürückzuerobern sein Und. dann würde man in 6 auf einen besseren Erfolg der Thätig⸗ keit der Fabrikinspectoren inblicken können.

Abg. Möller (nl): Die Socialdemokraten n. sich über Vergewaltigungen der Arbeiter durch die Arbeitgeber vermittels schwarzer Listen, und namentlich folle die Firma Ger. Körting die Arbeiter in horrender Weise vergewaltigt haben. Aber die soeial— demokratischen Arbeiter hätten selbft den Krieg begonnen und dürften sich nicht wundern, wenn nun wiedergeschossen werde. Die Ärbeit⸗ geber seien zu ihrem Zusammenschluß durch die Arbeiter edrängt worden, welche systematisch den Kampf gegen die Eifengleßereien begonnen und eine Fabrik nach der andern mit einem Strike ber legt hätten. Die Wohlfahrtseinrichtungen kämen einer großen Zahl von Arbeitgebern wohl aus dem Herzen, die Firma Brandts sei ein Muster dafür. Daß die Arbeiter dazu beitrügen, sei natürlich und gerecht, aber man sollte es nicht fo darstellen, als ob diese Ein⸗ richtungen zum Zweck der Ausbeutung getroffen würden. Eine strenge Disciplin, um die Arbeiter vor Verführung zu schützen, sei durchaus zu billigen. Die Fabrikinspectoren sollten jetzt verdreifacht und ver⸗ vierfacht werden, dann würden sie ihre Obliegenheiten intensiver er⸗ füllen können. Sie könnten jetzt naturgemäß noch nicht genügend controliren. Man beklage, daß in keinem einzigen Fall die . inspectoren mit den Arbeitern Fühlung fuchten. Der Fabrik inspektor Wörrishöfer in Mannheim habe sogar infolge eines Angriffs in einer socialdemokratischen Zeitung gegen eine Fabrik diese zusammen mit dem Redacteur der Zeitung besuchen wollen, um diesen von der Unwahrheit des JZeitungsberichts zu überzeugen. Durch die Mitnahme eines Fremden habe er aber feine Befugnisse über⸗ schritten und habe die Fabrik sich darüber beschwert. Die Ankündigung, daß eine Stelle für Aufnahme einer Arbeiterstaristik eingerichtet werden solle, begrüße er mit großer Freude. Seine Partei habe schon in einem Antrag vom 21. Mai 1851, der noch nicht zur Ver— handlung gekommen sei, das Ersuchen an den Reichskanzler gerichtet, eine Statistik über die Arbeiterverhältnisse aufzunehmen.

Abg. Wurm (Soc.): Es heiße, die Socialdemokraten nährten geflissentlich das Mißtrauen zwischen den Fabrikinfpectoren und Arbeit- gebern einerseits und den Arbeitern andererfeits. Der Abg. Dr. Hartmann habe als Staatsanwalt Gelegenheit genug, socialdemo— tratische Zeitungen zu lesen, er lese sie aber sicherlich nicht mit den Augen des Abgeordneten, sonst müßl er daraus lesen, daß die Social— demokraten die Fabrikinspectoren auf Mißstände aufmerkfam machten. Aber die Anklagen wegen Verleumdung gegen diese Zeitungen schwirrten nur so in der Luft, und der Fabrikinspector Wörrishöfer, den die Socialdemokraten als den besten in Deutschland anerkennten, habe natür⸗ lich durch Mitnahme des socialdemokratischen Redacteurs in eine Fabrik seine Befugnisse überschritten! Dann müßten die Arbeiter abgeneigt werden, den Fabrikinspectoren ihre Klagen vorzutragen. Aus vielen Stellen der Berichte gehe hervor, daß die Fabrikinspectoren die Sache einscitig auffaßten; ein objectiver Berichterstatter müßte wenigstens die Beweggründe angeben, aus welchen die Arbeiter zu ihren Klagen kämen, Die Regierungsvertreter würden wissen, daß gerade die Militärbehörden angefangen hätten, diejenigen Gastwirthschaften zu boykottiren, in denen Arbeiter von einer bestimmten politischen Richtung verkehrten, und daß hierdurch jene beklagenswerthe Kampfes⸗ weise eingeführt worden sei, wodurch Arbeiter und Arbeitgeber sich gegen— sitig die Cristenz abgrüben, Es sei vielfach durch die focialdemokrätische Presse festgestellt, daß die Arbeiter in der rücksichtslosesten Weise gemaß⸗ regelt worden seien, wenn sie z. B. mehr Lohn gefordert hätten, und daß dann Listen unter den Arbeitgebern in Umlauf gesetzt seien mit den Namen der betreffenden Arbeiter und der Aufforderung, diesen keine Arbeit mehr zu geben. Diese Schriftstücke feien widerspruchslos in den . veröffentlicht worden, und wären die behaupteten Thatsachen unrichtig, so hätte man ja den Maschinenmeister anklagen können, wenn man den Redacteur nicht fassen zu können geglaubt habe. Wie gehe es denn in den Fabriken zu, wenn der Inspector komme? Zur Hinterthür fliege hinaus, was vorn nicht gesehen werden solle! Die Inspectoren wüßten auch ganz gut, daß sie belogen und betrogen würden. Welcher Mittel man sich bediene, um die soeialen Schäden zu heilen, zeige ein in München⸗-Gladbach von wohl- wollenden Unternehmern herausgegebenes Büchelchen „Das häusliche Glück“, pon dem man sogar eine besondere fächsische Ausgabe ver⸗ anstalte. Darin werde dem Arbeiter vorgerechnet, wie er sich ein Mittagbrot für 10 3 herstellen könne! Das bedeute den Hungertod des Arbeiters, der bei solcher Nahrung zwar nicht plötzlich verhungere, aber früh zu Grunde gehe und es beweise, daß dort Löhne gezahlt würden, welche den Arbeiter auf ein solches Mittagbrot anwiesen. Humanität könne er dabei nicht finden! Die Lohnverhältnisse feien also unzureichend, und wenn die Verfasser der amtlichen Berichte das nicht sähen, so trieben sie Vogelstraußpolitik. Manche Ünternehmer setzten z. B. sofort die Accordlöhne herab, wenn die . verhältnisse günstiger würden. Dann könne man doch wahrlich nicht sagen, daß die bösen Arbeiter. an allem Uebel die Schuld trügen. Vom Staats⸗ secretär sei gesagt, daß das, was in der Duisburger Hdaud ordnung stehe, nicht so bös gemeint sei. Er (Redner) gebe zu, daß jener Arbeit— geber nicht von bösem Willen beseelt gewesen sei, aber an einem Beispiele von Leipzig wolle er zeigen, wie weit der „Moloch Unter⸗ nehmer“ zu gehen wage, um Geld zu verdienen. Dort sei nämlich in einer Metallwaarenfabrik eine ärztliche Unterfuchung aller, auch der ledigen Arbeiterinnen eingeführt worden, und diejenigen, welche im Beginne der Schwangerschaft gestanden hätten, seien nicht aufgenommen So human sei also der Arbeitgeber, daß er die Mutter mit dem Kinde verhungern lasse! Denn wenn die Mutter nichts verdienen könne, so, müͤsse sie verhungern mitsammt dem Kinde, noch ehe es geboren sei. Man welle von jener Maßregel einen bedeutenden Einfluß auf die Hebung der Siktlichkeit bemerkt haben! Wer die Verhältnisse in Leipzig kenne, werde hierüber gewiß sich seine eigenen Gedanken machen. Dann existire vielfach die Bestimmung, daß kleine Kinder nicht mit in die Fabriken gebracht werden dürften. Wenn die Kinder aber zu Hause hlieben, verbreunten sie. Dagegen habe man vor- geschlagen, einen Aufsatz in die Schulbücher aufzunehmen, worin die Kinder gewarnt würden, mit dem Feuer zu spielen. Nun feien aber die Kinder, welche zu Hause blieben und verbrennten, meist höchstens dreijährig, und würden den schönen Aufsatz in den Schulbüchern daher wohl kaum lesen können. Der Fehler liege in der modernen Pro— duetionsweise, welche die Frauen aus dem Haufe und in die Fabriken treibe. So lange man diese nicht ändere, werde man keine Besserung erzielen, und wenn man ganze Bücher schreibe! Er wolle nicht sagen, daß jeder Fabrikinspector ein Verräther, ein pflichtvergessener Mensch sei. 1 er das ganze Institut zwinge dazu, daß ein solcher Verrath geübt werden müsse. Wann folle denn der In— spegtor mit dem Arbeiter sprechen? Vor 6 Uhr Morgens oder nach 8 Uhr Abends habe er doch keine Sprechstunde, und anonyme Denunciationen berücksichtige nur Herr Wörrishöfer. Selbst wenn unter 100 Denunciationen 99 Denunciationen falsch wären, so dürfte man diesen Weg nicht beschränken, wenn der Arbeiter in einer Fabrik ausgebeutet werde. Diese Ausbeutung komme nicht etwa in Han nen vor, wie der Abg. Menzer neulich gesagt habe, der Bericht enthalte Beispiele von . Arbeitszeit. Wo werde berichtet, daß verheirathete Arbeiterinnen nicht die nöthige Mittagspause hätten und deshalb genöthigt gewesen seien, ihren Männern die Mahlzeit erst in später Abendstunde zu bereiten. Sei es da ein Wunder, da die Männer in die Branntweinschenke gingen? Es müsse do ein gesunder Kern in den Arbeitern stecken, das nach alles hätten gefallen lassen. Er der Reichstag die Specialberichte der Fabrikinspectoren selbst erhalte und nicht einen Auszug, der, ob absichtlich oder nicht, niemals so objektiv sein werde wie man ihn verlangen müsse. Es seien den Fabrikinspectoren größere Machtbefugnisse und namentlich wissenschaftlich begründete Instructionen zu geben. Die Wissenschaft habe bereits hinreichend die Zusammensetzung einer gesunden Luft festgestellt; und die Inspectoren sollten sich kümmern um die Bes n der Luft in den Fabrikräumen, denn ohne

sich. Es heiße zwar in Berichten, daß die Arbeiter sich weigerten, die Fenster zu öffnen; allein wenn der Arbeiter schwitze, so dürfe er das Fenster im Interesse seiner Gesundheit nicht 3 denn der deutsche Arbeiter sei nicht so wetterhart, wie sein englischer Kollege. Andererseits habe der Arbeiter das Recht, die richtigen Ventilationseinrichtungen zu , . Das Unternehmerthum scheue aber die Kosten solcher Anlagen. Die Berichte seien unvollkommen, die Vermehrung der Zahl der Inspectoren gehe zu langsam vor sich; was man durch ihre Vermehrung gut . habe, das gehe wieder verloren dadurch, daß man ihnen mehr Aufgaben auf⸗ halse. Es sei ihnen die Revision der Kessel aufgetragen worden, was natürlich den Arbeitgebern angenehm sei, weil sie dadurch Geld sparten; ob dadurch einige Menschen mehr zu Grunde gingen, sei einerlei. Nicht alle Strikes feien von Socialdemokraten veranlaßt. Die Buchdruckerbewegung habe nicht in den Händen von Socialdemo= kraten gelegen, sondern sei ein Werk der Gewerkschaft gewesen. Die preußische Regierung und das Unternehmerthum hätten gesorgt, daß diese Buchdrucker, die anfangs noch Fortschrittler gewesen seien, als Sorialdemokrgten aus dem Strife hervorgegangen seien. Je mehr die Beschwerden, der Arbeiter zurückgestoßen würden, um so geringschätziger würden sie die Kleinigkeiten, die man ihnen gegeben habe, bekrachten. Die Inspectoren follten sich mehr um die Beschwerden kümmern, welche in e, n nc Zeitungen vorgebracht würden. Sie hätten eben nicht die genügende Vollmacht; sie seien zu sehr abhängig und Kreisen entnommen, die den Arbeitgebern näher ständen, als den Arbeitern. Warum sträube man sich dagegen, Arbeiter, welche die nöthigen Kenntnisse besäßen, wenigstens ju Gehilfen der Inspectoren zu machen? Die Arbeiter würden mit größerem Verständniß in die Verhältnisse eindringen, weil sie diesen Dingen von Natur näher ständen. Schließ⸗ lich bedürften die Inspectoren dringend der Entlastung namentlich ö. den Bureauarbeiten. Dann würden auch die Berichte besser werden.

Abg. Rösicke (b. k. F.): Die Unternehmer seien in vollem Recht, wenn sie sich vereinigten, um sich gegen die Arbeiter zu schützen; denn nicht selten süchten diese die Arbeitgeber zu schädigen, zu boycottiren, sogar für Dinge, welche die setzteren nicht verschuldet hätten. Der beste Beweis sei der Boycott gegen die Brauereien in Halle, selbst nach der Darstellung einer socialdemokra— tischen Flugschrift. Es sei ebenso ungerecht, wenn Arbeitgeber durch Vereinigungen eine Pression auf die Arbeiter auszuüben suchten, wie umgekehrt. Daß auf Seiten der Arbeitgeber ebenfo gesündigt werde wie bei den Arbeitern, werde niemand leugnen. Aber die Socialdemokraten im Reichstag hätten gesagt, daß an allem wirthschaft⸗ lichen Uebel die Arbeitgeber schuld seien. : .

Abg. Bebel (Soc.): Die Boykottirungen hätten nicht auf Seiten der Arbeiter angefangen, sondern auf Seiten der Unternehmer und der Staatsbehörden. Im Jahre 18,8 namentlich sei ein großer Boykott eingetreten nach den Attentaten, für welche man die Social— demokraten verantwortlich gemacht habe. Da hätten alle Privat⸗ unternehmer und Staatswerkstätten erklärt, daß sie keinen social⸗ demokratischen Arbeiter einstellen würden. Bei der Marine und den Militärwerkstätten gelte ja das heute noch, wie es in der vorjährigen Etatsberathung noch festgestellt worden sei. Wo die Polizei kein anderes Mittel, gegenüber den Socialdemokraten habe, da stecke sie sich hinter die Gastwirthe, welche den Socialdemokraten ihre Säle zu Versammlungen verweigern müßten. In Augsburg seien für 18 Bierwirthschaften von Seiten des Milstärs Verbote des Besuchs ergangen, weil dort auch Socialdemokraten verkehrten. Die Staats⸗Eisenbahnverwaltung unter Führung des Staats⸗Ministers von Maybach habe sich ja mit den Herren Kuüͤhnemann und E onsorten verbunden, um jeden socialdemokratischen Arbeiter aus den Werk stätten herauszumaßregeln. Dadurch seien diese felbstverständlich zu Gegenmaßregeln genöthigt, und jede andere Partei in der gleichen Lage würde, ebenso verfahren. Ungerechtfertigten Boykotts“ trete seine ö immer entgegen, wie auch er ja hier in einer Versamm⸗ ung vor 17 Jahren sich gegen den Bierboykott ausgesprochen den Halleschen Brauereiboykott aalange, fo sei ; chaus gerechtfertigt, denn dort seien, wie wohl sehr häufig sonst auch, die Bierwirthe gar nicht verantwortlich zu machen für den Ausschluß der Socialdemokraten, sondern diese Wirthe seien völlig in den Händen der Brauereien, und um sie von diesem Zwang zu befreien, müsse man eben die Brauereien boykottiren. Der Boykott sei ja ein ganz abscheuliches Kampfmittel, deswegen schon, weil die von ihm getroffenen Arbeiter gar nicht wüßten, daß sie ber= folgt würden, bis sie sich nach Arbeit umsähen und keine fänden. Das sei aber eben der wirthschaftliche Krieg, seine Partei habe hn nicht angefangen, sie habe nur den Fehdehandschuh aufgenommen. Ein Unternehmer, Körting, der sich durch Maßregelungen und Boykottirungen sehr hervorgethan habe, sei kürzlich in Hannover da⸗ durch geehrt worden, daß man eine Straße nach seinem Namen ge⸗ nannt habe. Man habe den in Preußen freilich mißlungenen Versuch gemacht, die Aufforderung zum Boykott als groben Unfug zu bestrafen, in Sachsen sei man aber damit durchgedrungen und habe fogar einen seiner Genossen in Bautzen zu vierzehn Tagen Gefängniß verurtheilt, weil er den Arbeitern den doch wohl zulässigen ui gegeben habe, nicht das conservative, sondern das socialdemokratische Blatt zu lesen, wo— mit er die Aufforderung zum Boykott, also groben Unfug begangen haben sollte. Auch er, (Redner) sehe in den Fabrik-Inspeckorats— berichten nur unvollständige und tendenziös gegen die Arbeiter ge⸗ richtete Berichte; das erkläre sich daraus, daß Fürst Bismarck ein Gegner der Fabrikinspection gewesen sei, wie er denn auch dem Fabrikinspector, der seine Varziner Fabrik habe revidiren wollen, die Thür gewiesen habe; jetzt hätten sich die Herren noch nicht an den etwas anderen neuen Geist gewöhnen können, der in der Verwaltung herrsche. Die. Berichte, könnten auch nicht erschöpfend sein, weil. die pensionirten Offiziere, die man häufig zu Fabrikinspectoren mache, bei aller Gewissenhaftigkeit, die sie haben mögen, nicht die gehörige Vorbildung besäßen, und die Kesselrevisoren, die man jetzt ebenfalls nicht selten zugleich zu Fabrik⸗ inspectoren berufe, wohl füchtige Maschineningenieure fein mögen, ohne die zum Fabrikinspectorat nöthigen Charaktereigenschaften' zu besitzen. Wenn übrigens schon von den Fabrikinspectoren Berichte eingereicht würden, so sollte man sie dem Reichstage doch direkt zu⸗ gänglich machen, und nicht den Auszug, der nicht selten die Berichte nicht ganz richtig wiedergebe. Uebrigens enthalte der Bericht des

otsdamer Inspectors einen Bericht über die Potsdamer Hutmacher⸗ roductivgenossenschaft, der sich über die Art, wie diese Genossen⸗ chaft die Hüte vertreibe, in Bemerkungen politischer, also in dem Bericht unzulässiger Art ergehe, und in so fern, als er sage, diese Genossenschaft sei bankerott gegangen, eine un⸗ richtige und die Genossenschaft schädigende Bemerkung enthalte; ein amtlicher Bericht sollte sich doch auf bessere Informationen stützen, um solche Irrthümer zu vermeiden. Zuletzt möchte er noch eine Frage an den Staatsseeretär richten. Die Arbeiter chutznovelle sehe in gewisse Ausnahmen von den in ihr enthaltenen Bestimmun⸗ gn ein Verzeichniß von Betrieben vor, auf welches diese Ausnahmen nwendung finden sollten; nun erforderten ja Erwägungen über die . eines solchen Verzeichnisses eine gewisse Zeit, aber es Jei in Jahr vergangen, und da könnten diese Erwägungen vielleicht doch abgeschlossen sein; nun habe in der Presse die Notiz gestanden, daß dieses Verzeichniß nicht einmal bis zum Ende dieses Jahres würde grscheinen können. Diese Notiz habe eine große Beunrußigung in der Arbeiterwelt hervorgerufen, und er möchte eben den Staatssecretär fragen, wie weit diese Angelegenheit gediehen sei.

Staatssecretär Dr. von Boetticher: Die Voraussetzung des Herrn Vorredners, daß die Durchführung der Vorschriften über die Sonntagsarbeit nicht bis zum 1. April d. J. möglich sein wird, trifft zu. Er selber hat anerkannt, daß in der Sache gewisse Schwierigkeiten liegen, die sich nicht in kurzer Zeit bewältigen lassen. Ich bin außer Stande, einen bestimmten

Termin zu bezeichnen, bis zu welchem der Bundesrath in

habe. Was er durchaus

Zweifel trage die verdorbene Luft den Keim der meisten Krankheiten in

der Lage sein wird, die ihm vorbehaltenen Bestimmungen zu