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der ganzen Sache, nicht aber die Bestreitung von Volksrechten. Diese Rechte verhãltnisse der Contingentsverwaltungen machen es uns einfach unmöglich, der von dem Herrn Abg. Dr. Mever vertretenen Auf⸗ fassung noch weiter entgegen zu kommen, als wir thatsãchlich entgegen⸗ gekommen sind, und ich glaube, das müssen Sie anerkennen, so weit wir entgegenkommen konnten, sind wir entgegengekommen, vorausgesetzt immer, daß man sich auf den Boden stellt, daß wir von der Richtig⸗ keit dieser unserer Auffassung über die Rechte der Contingents⸗ verwaltungen überzeugt sind.
Dann hat der Herr Abg. Dr. Pieschel die Frage des Comptabilitãtsgesetzes zur Sprache gebracht, eine Frage, die auch bereits in der Commission zur Erwägung gekommen ist. Ich geftatte mir, in dieser Beziehung darauf hinzuweisen, daß in der Thronrede bei Eröffnung des preußischen Landtags das C omptabilitãts⸗ gesetz für Preußen in Aussicht gestellt ist. Ich brauche kaum hervor⸗ zubeben, daß sich ein Comptabilitätsgesetz gleichzeitig auf beiden Stellen nicht wohl ausarbeiten läßt, und schon durch den großen Einfluß, den das preußische Etatsrecht und die preußische Etatspraxis auch auf das Etatsrecht und die Etatspraxis des Reichs aus⸗ geübt hat und noch ausübt, wird es gerechtfertigt sein, wenn ich sage, daß das Comptabilitätsgesetz für das Reich jeden⸗ falls dann erst in Angriff wird genommen werden kõnnen, wenn das preußische vorliegt. Die Sache ist aber in Fluß, und sie wird unausgesetzt von uns im Auge behalten, ja sie ist schon im Flusse gewesen, ehe diese preußische Anregung erfolgt war. In der That, meine Herren, wenn man sich vergegenwärtigt, um was es sich hier handelt, so schrumpft die Frage, wie der Herr Abg. Pieschel sehr richtig bemerkt hat, zu einer rein formalen zusammen, und sie thut es noch mehr, wenn man sich vergegenwärtigt, daß es sich um eine Ablehnung der Verantwortlichkeit des Herrn Reichskanzlers hier gar nicht handelt.
Nun, meine Herren, ich glaube, ich kann mich auf diese Be⸗ merkungen beschränken. Ich will den Reichstag nicht länger aufhalten mit Dingen, die so viel tausende Mal erörtert sind wie diese. Immer und immer wieder haben wir unsere Erklä⸗ rungen abgegeben, es sind die gegenseitigen Erklärungen einander ent⸗ gegengestellt; aber irgend eine Möglichkeit, zu einem Ausgleich, auch nur zu dem Versuch eines Ausgleichs zu kommen, ist bis jetzt nicht hervorgetreten. Ich kann Sie nur auf das dringendste bitten: Machen Sie dem jetzigen Zustand ein Ende! Genehmigen Sie die Anträge Ihrer Rechnungscommission! Sie werden damit uns und dem Reichstag geschäftlich erheblich vorwärts helfen. Bravo! rechts!)
Abg. Dr. Bachem (Centr.) Der Reichstag sei bei dieser An⸗ gelegenheit in eine Sackgasse gerathen. Er habe für die Rechnungen nicht Entlastung ertheilt, sondern Vorbehalte gemacht, denen Nach⸗ druck zu geben er nicht im stande sei. Die Reichsregierung beharre auf ihrem Standpunkt. Aus diesem Zustande müsse man heraus⸗ kommen. Ser Reichstag könne, das stehe fest, dem Bundesrathe seine Anficht nicht aufzwingen, der Bundesrath dem Reichstag nicht die seinige. Es handele sich nicht darum, grundsätzlich die Rechte des Reichstags abzugrenzen, das könne man nicht durch einseitigen Beschluß des Hauses, dazu bedürfe es eines Comptabilitätsgefetzes. Von einer Zurückperweisung an die Gommiffion sei nichts zu hoffen. An sich halte er die Verwendung von Reichsgeldern auf diese Weise für gänzlich unzulässig: es dürfe kein deutfches Reichsgeld ausgegeben werden, das nicht vorher im Etat genehmigt fei. Es müsse ein Weg gesucht werden, aus dem Dilemma herauszukommen. Der Vorschlag des Abg. Dr. Meyer fördere nichts; die endgültige Regelung muͤsse bis zur Emanirung eines Comptabilitätsgesetzes aufgehoben werden. Dieses schlummere schon feit fünfzehn Fahren und könne sehr wohl weitere fünfzehn Jahre schlummern. Darauf könne man also nicht warten. Die Com⸗ missionsbeschlüsse gäben einen Ausweg, indem sie dem Hause empföhlen, die auf Grund dieser Ordres erfolgten Ausgaben nachträglich zu ge⸗ nehmigen, ebwohl die Militärverwaltung ihre Genehmigung nicht nachgefucht habe. Außerdem stehe ja nichts im Wege, daß man den Rechnungshof ersuche, dem Reichstage nach wie vor von den justi⸗ ficirenden Cabinetsordres Mittheilung zu machen. .
Abg. v. Helldorff (eons.) ist auch dafür, die grundsãtzliche Frage sdäter zu entscheiden; der Commissionsantrag sei augenblicklich der geeignetste, um über die formale Schwierigkeit hinweg zu kommen.
Abg. Gröber (Centr.) erwidert dem Abg. Dr. Meyer, daß er die Folgen des Coemmissionsantrags für die Zukunft nicht übersehen babe; diefelbe Gefahr folge aber auch aus dem Antrage Meyer, denn wenn der Reichskanzler die betreffenden Ordres contrasignire, werde der Rechnungshof diese Fälle nicht zur Kenntniß des Reichstags bringen.
Abg. Rickert (Pfr.: Ihm sei das Verhalten des Centrums sehr befremdlich, insofern diefes gewillt scheine, dem Standpunkt der Regierung nachzugeben. Windthorst habe seiner Zeit die Frage für fo wichtig gehallen, daß er ihre Entscheidung nicht übereilt habe. Wolle das Haus wirklich entscheiden, dann möge es auch in beschluß⸗ fähiger Anzahl versammelt sein, das sei aber heute nicht der Fall. Warum man hier auf das Vorgehen Preußens warten solle, das mit Militärrechnungen nichts zu thun habe, verstehe er nicht.
Abg. Dr. Piefchel nl): Es handele sich hier ganz einfach um die Beseitigung eines Zweifels; wie man diese auch vornehme, die Ober⸗Rechnungs kammer werde es nicht übel nehmen. Dem Staats⸗ secretãr danke er für die Zusage der Vorlegung eines Comptabili⸗ tätsgesetzes und frage ihn, ob man der Ober ⸗Rechnungskammer nicht nm eistin] geben koͤnne, dem Reichstag Uebersichten uͤber das vor⸗ liegende Material vorzulegen.
Abg. Dr. Meyer⸗Berlin (dfr.): Die Rechnungscommission des preußischen Abgeordnetenhauses lade zu ihren Verhandlungen Com⸗ missare des Rechnungshofs ein, und schen damit sie das auch thun könne, bitte er um Jarsckverweisung der Sache an die Commission. Das Entgegenkommen des Staatssecretãärs habe darin bestanden,
5 er mit freundlichstem Gesicht und größter Liebenswürdigkeit erklärt
e, er könne nicht entgegenkommen. (Heiterkeit) Das Dechargerecht sei das nothwendige Correlat des Budgetrechts, ohne ersteres wäre das letztere reine Comödie. Die Ober⸗Rechnungskammer mache dem Reichstage doch nur Mittheilungen, wenn sie gesetzlich dazu gezwungen fei, wenn ihr nämlich eine Gesetzesübertretung vorzuliegen scheine, und hier glaube sie eine Verletzung der Art. I7 und 72 der Ver⸗ faffung zu sehen. Gehe der Reichstag darüber einfach hinweg, so werde sie eben sagen: Der Reichstag ken die Verfassung nicht aus wie die ö sondern wie der Bundesrath, habeat
son sibi“, und werde dem Reichstag in dieser Materie nicht wieder kommen. Staatssecretãr Dr. Bosse: Ich will nur noch zwei Worte auf die Anfrage des Herrn Abg. Dr. Pieschel antworten wegen der Anweisung an den Rechnungshof. Ich für meine Person bezweifle, daß eine solche Anweisung erlassen
werden kann. Vielleicht aber folgt der Rechnungshof einem bloßen Ersuchen.
Die Darstellung des Herrn Abg. Dr. Meyer über den Gang der Verhandlungen in der Commission ist richtig. Ich bin ja in der glück⸗ lichen Lage, sie dankbar acceptiren zu durfen, mit der einzigen Ausnahme der freundlichen Bemerkung über meine persõnliche Liebenswürdigkeit, ven der ich natürlich nicht in derselben Weise durchdrungen bin, wie
Endlich aber muß ich mich doch noch gegen ein Wort des Herrn Abg. Rickert verwahren, welcher sagte, wir sollten uns dem Recht unterwerfen, dann wäre die Sache geschlichtet, dann wäre die Sache zu Ende. Ja, meine Herren, wir sind dem Rechte unter⸗ worfen; hier stehen sich aber zwei Rechtsanschauungen einander gegen⸗ über, und ich glaube nicht, daß der Eine dem Andern sagen kann: unterwerft euch, dann ist die Sache aus! Wir müssen mit derselben Sicherheit wie bisher unsere rechtlichen Anschauungen vertreten, und zwar so lange, bis man uns überzeugt hat, daß wir uns geirrt haben. Diese Ueberzeugung habe ich aber bis jetzt nicht gewonnen. (Bravo! rechts.)
Abg. Rickert (dfr) beantragt darauf die Vertagung und bezweifelt vor der Abstimmung die Beschlußfähigkeit des
auses.
d Ei Auszählung ergiebt die Anwesenheit von nur 108 Mitgliedern, von denen 55 für, 3 gegen die Vertagung stimmen. Das Haus ist nicht bi hin fad und die Verhand⸗ lungen müssen abgebrochen werden,
Schluß 5 Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch 1 Uhr. Vorlage, betreffend die Verlängerung des spanischen Handels⸗ vertrags, Anträge aus dem Hause.)
Haus der Abgeordneten. 9. Sitzung vom Sonnabend, 30. Januar.
Der Sitzung wohnen der Präsident des Staats⸗ Ministeriums, Reichskanzler Graf von Caprivi und der 6 . der geistlichen 2c. Angelegenheiten Graf von Zedlitz bei.
Das Haus ehrt zunächst das Andenken des am Morgen verstorbenen Abg. Dr. Mithoff durch Erheben von den Sitzen. . Darauf wird die erste Berathung des Entwurfs eines Volksschulgesetzes fortgesetzt.
Abg. Stöcker (Con): Senst pflege die erste Lesung eines Entwurfs höchstens drei Tage zu dauern, wie die Schlacht bei Leipzig, diesmal dauere sie schon fast eine Woche, wie die Hunnenschlacht. Es handele sich hier eben um unüberbrückbare Gegensätze. Die gestrige Debatte habe dies besonders gezeigt. Bei den Vertretern der freiconservativen Partei vermisse er die volle Würdigung der Kirche, bei den Vertretern der nationalliberalen Partei die volle Würdigung der Confession, bei den Freisinnigen die volle Würdigung des Christenthums. Zuerst wende er sich zu dem Abg. von Zedlitz. Er möchte ihm erwidern, daß es nur eine esunde Pädagogik gebe, die christliche. Er nehme weder in der che noch ö. als alleinige Parole die Bekämpfung der Socialdemokratie an. Die Socialdemokratie sei ein Product der Sünden unserer Ge⸗ sellschaft. Wenn die antifkirchlichen Tendenzen so weiter wucherten in unserer Gesellschaft und diese sich nicht auf einen ganz positiven Standpunkt stelle, dann feien die, welche die vollen Consequenzen aus dieser anti- religiöfen Richtung zögen, weit stärker als die, welche damit halb Scher; halb Ernst machten. Der Abg. ven Zedlitz meine, die Schule solle besonders das selbständige Denken befördern. Darunter könne man sehr Verschiedenes verstehen. Seiner Meinung nach könne das nichts anderes heißen, als Kinder bis zu vierzehn Jahren an Sachen zu gewöhnen, die ihnen gegeben worden seien. Es sei unmöglich, Kinder in diesem Alter bereits wirklich selbständig zu machen. Die Religiositãt fei das einzige Gebiet, wo auch die Kinder in der Volksschule eine gewisse Selbständigkeit erlangen könnten, Religiosität sei der Punkt, wo der Mensch die ersten Stufen des menschlichen Daseins ersteige. Von einer volksthümlichen Bewegung gegen das Gesetz könne keine Rede sein, wie das Herr von Zedlitz meine. Freilich, wenn man im Volk Unwahrheiten über das Gesetz verbreite, könne eine gewisse Er⸗ regung entstehen. Heute handele es sich nur darum, ob der Liberalismus seinen großen Fehler, den er durch seine Kriegserklärung gegen diesen Entwurf begangen habe, durch eine allgemeine Mobilmachung wieder gut machen könne oder ob er sich blamirt vom Kriegsschauplatz zurück ziehen müsse. Das Auftreten des Liberalismus gegen die Geistlichen heiße doch die Sachen auf den Kopf stellen. Die Kirche sei doch nicht Sache der Geistlichen, sondern des Volkes. Er würde gern mit den Nationalliberalen zusammengegangen sein, sie seien zum größten Theil seine Glaubensgenossen und verträten eine beträchtliche ** des evangelischen Bürgerthums. Leider sei ein Zusammengehen mit ihnen bei dem Standpunkt unmöglich, den sie von vornherein en den Entwurf angenommen hätten. Der Abg. Dr. Friedberg abe dem Entwurf übertriebene Confessionalität vorgeworfen. In der Commission des vorigen Jahres seien es nicht extreme Leute ge⸗ wesen, die die Worte in den Entwurf hineingebracht hätten, daß der Geistliche den Lehrer mit Anweisungen versehen folle. Freiconservative und Nationalliberale seien dafür. ein⸗ getreten, und nun folle das mit einem Mal etwas Uebertriebenes fein? Eine solche Kampfesweise verstehe er nicht. Herr Friedberg habe seine Bedenken vor confessionellen Gymnasien und Universitäten geäußert. Dazu liege gar kein Grund vor, er erinnere nur daran, wie segensreich das im wesentlichen confessionell geleitete Gymnasium in Gütersloh gewirkt habe. Als das Judenthum in Berlin eine Hochschule habe einrichten wollen, habe dies die Billigung der ge⸗ sammten liberalen Presse gefunden. Er erinnere dann noch daran, daß die Generalsynode, einschließlich der Gesinnungsgenossen des Herrn Beyschlag, im wesentlichen mit den Grundsätzen des Entwurfs einverstanden gewesen sei. Der Entwurf habe dort die gleiche Rolle gespielt, welche der Abg. Knoercke hier friele, der immer die Interessen der Lehrer zu vertreten sich bemühe, dann aber in der gn, f, von seinen eigenen Leuten im Stich gelassen werde. Wenn der Abg. Virchow von einer allgemeinen confessionslosen Moral gesprochen habe, so bleibe er damit weit hinter der Zeit zurück. Wie er fogar mit einer Moral aus Afrika kommen konne, um darauf unsere Bolksschule zu gründen, sei ihm (Redner) unerfindlich. Herr Virchow meine, mit Priestern sei schlecht umzugehen. Nun, mit liberalen Universitätslehrern. die den Unglauben predigten, sei noch schlechter umzugehen. Diese hätten sehr geschadet, sie seien schuld daran, daß so viel unverdauter Unglaube im Volke vorhanden sei. Eine folche allgemeine Moral sei nicht geeignet, der in allen Tiefen von den finstern Mächten des Unglaubens erschütterten Volksseele ihre Ruhe wiederzugeben. Wenn dieses Gesetz angenommen, werde, dann werte der Kampf um die Schule fürs erste zum Stillstand kosnmen. Das Centrum erkenne, wenn es ihn annehme, damit das . recht des Staats an. Wenn man die radicale Pädagogik durch den Entwurf Tos werde, fo könnten um diesen Preis wohl auch die Nationalliberalen sich mit dem Entwurfe befreunden. Andererseits würden auch die hyperkatholischen Ansprüche herabgeschraubt werden. Von diesem Standpunkt aus werde sich ja in der Commissien aber eine Verftändigung haben reden lassen. Herr Friedberg habe sich daruber beschwert, daß der Minister von Baten als einem iberalen Musterstaat gesprochen habe. Er möchte ihn darauf aufmerksam machen, in welcher 14 ein amtliches badisches Blatt, der Mannheimer Amtsverkündiger“, den Entwurf kritifire, er spreche von. Capuzinerweisheit. Der 5 Friedberg scheine wohl für die Ehre Badens Gefühl zu kaben, aber nicht für die Preußens. Die nationalliberale Partei habe gar keine Ursache, in dieser Angelegenheit der Regierung so heftig sich entgegenzustellen. Was würde diese Partei ohne die Regierung ein? Die Nationalliberalen seien weit öfter von der Regierung unterstũtzt worden, als sie diese unterstũtzt hätten. Er . der Neberzeugung, daß, wenn die Regierung bei diesem Entwurf fest
unverschãmten Weise
Knsrcke (fr): Wenn solche Vorwürfe, daß seine Partei den Atheismus fördere, nur von Stöcker kämen, könnte sie darüber schweigen, denn was er über ihr Christenthum denke, fei ihr gleichgültig. Solche Urtheile, wie gestern der Minister⸗ Prãsident ausgesprochen habe, seien niemals in diesem Hause über ganze Parteien ausgesprochen worden. Seine Partei nehme für sich in Anspruch, daß sie auf dem Grunde des Christenthums stehe, wenn auch ihre AÄnschauung abweiche von dem, was Herr Stöcker darunter verstehe. Man verwechsele die altkirchliche und die moderne Welt⸗ anschauung. Es würde ein . für das Vaterland sein, wenn das Christenthum nicht in Einklang zu bringen sei mit der Cultur. Der Minister⸗Präsident habe davon gesprochen, daß er gegen den Strom schwimmen könne. Er habe dabei auf. die Kornzölle verwiesen. Er vergesse den Unterschied zwischen Kornzöllen und den geistigen Interessen, die hier in Frage ständen. Das Volk werde sich eine Beeinträchtigung der geistigen Interessen nicht gefallen lassen. Den Materialismus bekämpfe er wie die Herren von der Rechten, aber es gebe nicht nur ein Dogmg des Materialismus, sondern auch einen Materialismus des Dogmas. Wenn Herr Stöcker glaube, daß die Erregung im Lande bloß eine emachte Sache sei, so werde er sich bald überzeugen, daß er sich im Irrthum befinde. Er stehe auch auf dem Standpunkt des religiösen Unterrichts in der Schule, aber nicht so, wie in diesem Gesetzentwurf verlangt werde. Mit Unrecht habe der Minister⸗Präsident gesagt, er gebe auf das Urtheil eines österreichischen Gelehrten über diesen Volksschul⸗ gesetzentwurf nichts; die Leute da draußen könnten kein Urtheil darüber abgeben. Er (Redner) habe auch Briefe aus Wien bekommen, auch von einem dortigen Berliner. (Heiterkeit rechts Auch das sei nichtrichtig, daß die große Masse des Volkes kein Urtheil über den Gesetzentwurf habe. an brauche nicht alle Paragraphen dieses Ge⸗ setzes durchzulesen, sondern man brauche nur einige Paragraphen zu kennen., um zu einem Urtheil zu gelangen. Der Mahnung des Eultus⸗Ministers entsprechend, habe er ohne Vorurtheil durch ernst⸗ liche Prüfung der einzelnen Bestimmungen sich bemüht, zu einem anderen Urtheil zu gelangen; er sei aber in seiner Ansicht nur be⸗ stärkt worden. Dieses Schulgesetz bleibe hinter den Schulgefetzen der neueren Zeit in Deutschland zurück, gar nicht zu reden von dem Schulgesetz in Frankreich. Auf ihn mache dieses Gesetz viel weniger den Eindruck eines eigentlichen Schulgesetzes, als eines vorwiegend kirchen und staatspolitischen Gesetzes. Es sei ein gut Theil derjenigen Materie, welche bei einem Schulgefetz die eigentliche Grundlage bilden follte, zurückgeftellt worden gegen orthodox⸗confessionelle und staatlich⸗ bureaukratische Motive. Man hätte erwarten sollen, daß der Cultus⸗ Minister in diesem Gesetz die gesammte Materie ordnen werde. Das sei aber nicht der Fall. Die Lehrpläne seien eigentlich nur von der confefsionellen Seite geordnet. Das Lehrerprüfungswesen, die Stellung der Volksschule zu anderen höheren Lehranstalten, die Fortbildungsschulen, die Lehrerbesoldung, alles das habe in diesem Hheset keine genügende Ordnung gefunden. Der Entwurf solle nur die bestehende Praxis festlegen. Sei es alte Praxis gewesen, daß nur confeffionelle Schulen errichtet werden dürften? Hätten nicht auch früher Simultanschulen eingerichtet werden müssen? Sei es Praxis gewesen, daß an den Schulen nur Lehrer einer Confession hätten angestellt werden dürfen? Sei es Praxis gewesen, daß die Vertreter der Kirche den Lehrer mit Weisungen hätten versehen dürfen? Das Vetorecht des kirchlichen Commissars könne den Lehrer überhaupt um jede Anstellung an der Schule bringen. Gine folche Mitherrschaft der Kirche sei nicht vereinbar mit dem Charakter einer Staatsschule. Der Redner wendet sich dann gegen die Organisation der Schul⸗ verwaltung. durch welche die Selbstverwaltung auf diesem Ge⸗ biet vollständig vernichtet werde. Durch confessionelle Erziehung werde man die Socialdemokratie nicht bekämpfen; denn an der Spitze derselben ständen gerade solche Männer, welche eine strenge kathölische Erziehung genossen hätten. Die Socicaldemokraten könnten ar nichts Besseres wünschen als die Annahme dieses Gesetzes; denn hre Anhänger würden sich dadurch sehr viel schneller vermehren, als sie sonst erwarten könnten. Wenn das Gesetz angenommen werde, werde der Lehrermangel sehr erheblich wachsen, und die Ent⸗ wickelung unserer Volksschulen werde dadurch geschädigt werden. Wenn die Lehrer in ein neues Abhängigskeitsverhält⸗ nö gestellt würden, dann werde, Niemand mehr diesen Beruf ergreifen. Dieser Gesichtspunkt sei durchaus nicht zu unterschätzen. Die kleinen Vortheile, welche, den Lehrern geboten würden, reichten nicht aus, über diese Schwierigkeiten hinwegzuhelfen. Für die Befferstellung der Lehrer danke er dem Minister, ebenso dafür, daß er die Volksschule nicht herabdrücken wolle auf das Niveau, welches Herr Reichensperger als maßgebend hinstelle; aber die Vorlage sei kein Schulgesetz, sondern vielmehr ein Staats- und Kirchengesetz. Deshalb könne er unter keinen Umständen für dieses Gesetz ftimmen, es müßten denn in der Commission durchgreifende Verbesserungen gemacht werden, was er aber nicht glaube. Er habe diesem Gesetz gegenüber keine andere Empfindung als die: Gott behüte unsere Volksschulen!
Präsident des Staats⸗-Ministeriums, Reichskanzler Graf von Caprivi:
Der Herr Abg. Dr. Friedberg hat mir gestern den guten Rath gegeben, ich möchte objectiver sein. Ich habe, soweit ich mich erinnere, seit Jahren zum Grundsatz meines Lebens gemacht, die Sache vor die Person zu stellen. Wenn ich aber dagegen gefehlt haben sollte, so nehme ich guten Rath zu aller Zeit gern an. Ich hoffe aber, der Herr Abg. Dr. Friedberg wird nicht glauben, daß ich gegen jenen Grundfatz fehle, wenn ich nicht mit Rücksicht auf die aus— erlesene Sammlung von Schlagworten, die wir soeben gehört haben, das Wort nehme, sondern aus Anlaß der persönlichen Beziehun— gen, in die der Herr Abg. Knörcke sich zu mir und der Regierung gestellt hat.
Er hat von mir gesagt, ich thue ihm Unrecht; er müsse den Angriff, den ich gestern auf ihn und auf weite Kreise gemacht habe, zurückweisen; er hat angedeutet, daß der Angriff besteht in den Worten: Theismus und Atheismus. Ich will mir erlauben, Ihnen diese Worte vorzulesen. Ich habe gesagt:
Ich glaube, es handelt sich hier in letzter Instanz nicht um evangelisch und katholisch, sondern es handelt sich um Christenthum und Atheismus.
Für die letzte Instanz halte ich weder die nationalliberale Partei, noch die freisinnige Partei, sondern ich habe da meine Ueber= zeugung ausdrücken wollen, daß diese Frage sehr viel weiter geht, daß sie sehr viel tiefere Wurzeln hat, und daß sie auf einem anderen Boden, als auf dem der Kämpfe, die wir jetzt hier führen, werde ausgetragen werden müssen.
Er hat dann weiter gesagt, er stehe auf dem Boden des Christenthums. Das freut mich. (Heiterkeit rechts.)
Wie ich gestern schon gesagt habe, halte ich für das Wesentlichste an einem Menschen seine Stellung zu Gott. Weil ich aber weiß, wie schwer diese Stellung zu beurtheilen ist, selbst wenn man das Bekenntniß eines Menschen kennt, so würde ich nie wagen, ohne einen Menschen länger zu kennen, als den Herrn Abg. Knörcke, den ich heute zum ersten Mal kennen zu lernen die Ehre gehabt habe, über dergleichen zu urtheilen. Also es ist mir weder eingefallen, noch fällt es mir heute ein, mit dem Herrn Abg. Knörcke über seine Stellung zum Christenthum streiten zu wollen.
Wenn er aber weiter gesagt hat, daß er eine höhere Vor⸗
bleibe, dies dazu führen werde, daß wieder eine gesunde Pädagogik und
der Herr Abg. Dr. Meyer. (Heiterkeit.
christliche Weltanschauung in unserem Volke lebendig werde.
stellung davon habe als ich, so glaube ich, daß es einen Maßstab
*
für diese Dinge nicht giebt; und ich ziehe es vor, mich in einen Disput hierüber mit ihm nicht einzulassen. (Sehr gut! rechts.) . Er hat geglaubt, weiter abwehren zu müssen eine Auffassung, die die Regierung habe, daß die Kirche ein instrumentum regni sei. Ich weiß nicht, woher er glaubt, daß die Regierung diese Auf⸗ fassung hat. Wir sind der Meinung, daß Staat und Kirche zwei Dinge sind, die große Verschiedenheiten haben, von denen das eine nicht auf das andere gestützt werden kann, die aber auch so zahlreiche Beziehungen zu einander haben, daß wenigstens in Deutsch⸗ land das eine schwer von dem anderen getrennt werden kann. Der Herr Abgeordnete meint weiter, er baue das Christen⸗ thum, wenn ich ihn recht verstanden habe, auf die Cultur⸗ entwickelung; in der Culturentwickelung sehe er ein Fundament und eine der Grundlagen für das Christenthum. Ich und die⸗ jenigen, die auf eine historische Weltanschauung Werth legen, sind in dieser Beziehung gerade der entgegengesetzten Ansicht. (Sehr richtig! rechts.) Er hat sich dann weiter dagegen verwahrt, daß ich die Be— hauptung aufgestellt hätte, das Ausland sei über die Fragen, die hier verhandelt werden, nicht competent; er meint, man könne auch dort sehr wohl von einem allgemeinen Standpunkte aus und mit einer allgemeinen Kenntniß der Grundsätze dieser Vorlage über dieselbe urtheilen. Die menschlichen Fähigkeiten sind verschieden; mir ist es nicht so leicht geworden, über diese Vorlage zu urtheilen. Ich kann nur sagen — vielleicht bin ich zu weit gegangen, wenn ich von mir auf Andere schloß — daß es für mich eines ernsten und sehr langen Studiums bedurft hat. Der Herr Abgeordnete steht, wie mir scheint, auf dem Stand⸗ punkt, daß eine Schule auch ohne Religion existiren könne. (Wider⸗ spruch des Abg. Knörcke.) — Dann werde ich mich an Ihren Frac— tionsgenossen, den Herrn Abg. Rickert mit dieser Bemerkung wenden, der uns neulich auf das Beispiel von Schottland hin⸗ wies. Er sagte: in Schottland, dem religiösesten Lande der Welt, hat man den Religionsunterricht aus der Schule entfernt. Wenn die Voraussetzungen auch bei uns zuträfen, daß wir zur Zeit und voraussichtlich auch für die Zukunft das religisseste Volk der Welt sein sollten, dann könnte ich mich mit Herrn Rickert über die Sache verständigen; aber hier handelt es sich um Wirkung und Ur— sache. Schottland ist so religiös, daß es das Risico gehen kann, die Religion aus der Schule zu nehmen, vielleicht ohne Schaden. Wenn wir das thäten, würden wir eben die Religiosität, die wir noch im Lande in unseren unteren Schichten, in den Volks⸗ schulen haben, nach meinem Dafürhalten gefährden. (Bravo! rechts.) Ich halte — und das ist mein Standpunkt, Sie werden es mir nicht übelnehmen, wenn es auch der Ihrige nicht ist — von der Religion im Leben eines Menschen sehr viel, und darin werde ich mich vielleicht wieder nicht der Zustimmung des Herrn Abg. Rickert zu erfreuen haben. Es ist heutzutage unter Arbeiterfamilien enorm schwer, Religiositãt zu erhalten. Vielleicht hat der Herr Abg. Rickert sich ebenso, wie ich, mit den Verhältnissen der Werftarbeiter beschäftigt; er kennt sie vielleicht noch besser als ich, und er wird wissen, wie der Tag eines solchen Menschen, einer solchen Ehe, einer solchen Familie verläuft. In der Mehrzahl der Fälle wird die Frau eines Werftarbeiters — ich bitte um Entschuldigung, wenn ich darauf exemplificire, aber meine amtliche Thätigkeit hat mich durch mehr als fünf Jahre mit diesem Berufskreise in Verbindung gebracht — also man irrt sich, wenn man glaubt, daß die Frau einer solchen Familie die Möglichkeit habe, in ausge— dehnter Weise auf die Religiosität der Kinder einzuwirken; ich halte das mindestens unter zehn Fällen in neun für völlig ausgeschlossen. Ich will Sie hier nicht langweilen mit der Schilderung eines solchen Tages — wie die Frau den Tag verbringt, wie sie auf Arbeit geht, wie sie dem Manne das Essen bringt, wo die Kinder bleiben — aber das ist einmal meine Ueberzeugung, und ich bin hier nicht ganz ohne Erfahrung: es ist furchtbar schwer, wenn selbst eine sittlich gute Familie den Versuch machen will, in ihren Kindern die Religiosität zu erhalten; die Verhältnisse laufen vielfach dagegen. Wird diese Voraussetzung aber zugegeben, dann frage ich weiter: wo soll denn nun ein Kind aus diesen und anderen breiten Schichten unserer Nation die Religion herbekommen, wenn es sie nicht aus der Volksschule bekommt? (Sehr richtig! im Centrum und rechts)
Und, daß es Religion bekommt, ist — darin weiß ich mich mit Ihnen allen einverstanden — wünschenswerth. Wenn ich 60 Kinder in der Volksschule habe, und 59 behalten für das Leben von dem Religionsunterricht gar nichts, und dem sechzigsten ist es einmal in einer entscheidenden Lage seines Lebens von Werth, sich zu erinnern, daß es einen Gott giebt, dann will ich diese 59 Kinder gern in die Schule schicken; es ist das Opfer werth für das eine. Ceb— haftes Bravo! rechts und im Centrum.) Das ist meine versönliche Auffassung von der Sache, und die mag mit Ihrer Auffassung (nach links) weit differiren. Sie können mir aber doch nicht uu⸗ muthen, daß ich meine Auffassung aufgebe, weil ich an dieser Stelle stehe. Im Gegentheil, es ist meine Pflicht, meine persönliche Auf— fassung, soweit es mit der Organisation unseres Staats und der Behörde in Einklang steht, zur Geltung zu bringen.
Ich bitte nun, noch einen Augenblick mich mit dem Abg. Dr. Friedberg beschäftigen zu dürfen, nicht weil ich die Debatte nicht fin erschöpft hielte — gewiß, sie ist erschöpft — aber man hat sich gestern persönlich an mich gewandt, und da möchte ich denn doch darauf etwas erwidern. Er hat eine Reihe von Angriffen gegen mich gerichtet. Der schärfste war wohl der, daß er sagte: Ich sage es offen — ich brauche ein scharfes Wort —, das sind vergiftete Pfeile, die prallen auf den zurück, der sie abschießt. Starke Worte sind billig, am meisten im politischen Leben; aber gerade, weil ich den Wunsch habe, objectiv zu bleiben, verzichte ich darauf, auf dieses starke Wort mit anderen starken Worten zu erwidern. (Sehr richtig! rechts und im Centrum.)
Ich werde mich bestreben, ganz sachlich zu bleiben und mir den vergifteten Pfeil näher anzusehen. Ich glaube: unter den Menschen und in den Kreisen, in denen ich die Jahre meines Lebens bisher durch—⸗ gemacht habe, habe ich wenigstens nicht für einen Giftmischer gegolten (Heiterkeit), und ich bin innerlich so fern davon, von mir zu glauben, ich könnte Gifte mischen, daß es mir ganz recht sein würde, wenn die Pfeile, die ich abschieße, auf mich wieder zurückfielen; vergiftet wären sie sicherlich nicht. Aber was habe ich denn nun nach der An⸗ sicht des Herrn Abgeordneten für Pfeile abgeschossen? Wohin sind sie gegangen? Der Herr Abgeordnete verwahrt sich dagegen, daß die
dann noch des weiteren aus: die Regierung wolle gegen den Willen der Mittelparteien und der liberalen Parteien ein Gesetz zu stande bringen. Das nennt der Herr Abgeordnete majorisiren. Ja, haben denn die Mittelparteien, deren Unterstũtzung ich mir wünsche, ei verfassungs mäßiges Recht, nicht durch Majoritäten überstimmt zu werden? (Sehr gut! rechts und im Centrum.)
Ich weiß davon nichts. Und liegt in dem, was der Herr Abgeord— nete gesagt hat, und in dem, was von anderen Seiten mir gesagt worden ist, nicht vielmehr das Bestreben, die Staatsregierung zu ma⸗ jorisiren? (Sehr gut! rechts.)
Nicht wir haben gedroht, meine Herren, uns ist gedroht worden. Sie haben uns Ihrem Willen unterwerfen wollen, dagegen wehren wir uns. Der Gedanke, Sie zu majorisiren, in dem Sinne Sie von Ihrer Ueberzeugung abschrecken zu wollen, liegt uns fen! Wenn Sie aber überstimmt werden, so müssen Sie sich das gefallen lassen. Ich glaube, die Verstimmung, die ich hier herausgehört habe, und die mir leid thut — denn es hat der Staatsregierung nichts ferner gelegen, als sich mit der nationalliberalen Partei bei diesem Anlaß, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, zu überwerfen, — die Stimmung hat in etwas Anderem ihren Grund. .
Sie haben durch Zurufe und Mitwirkung in der Presse der Regierung den Vorwurf gemacht, sie hätte keine Voraussicht, weil sie nicht hätte kommen sehen, was jetzt hier vor sich geht; aber die Voraussicht hat sie doch, daß das. Schicksal dieses Gesetzentwurfs noch lange nicht entschieden ist. Ein Gesetz von fast 200 Paragraphen wird so viel Widerspruch im einzelnen herausfordern, daß ich heute noch nicht wissen kann, was aus dem Gesetz wird. Erinnern Sie sich doch an das Geschick, welches Landgemeindeordnung und Einkommensteuer gehabt haben. Zuletzt wird ein Gesetz von Einem zum Anderen hin und her geschickt, vom Herrenhaus zum Abgeordnetenhaus. Also, wie soll ich gewiß wissen können, was aus diesem Gesetz wird? Der Grad von Voraussicht fehlt mir.
Es hat mir auch der Grad von Voraussicht gefehlt, rechtzeitig zu erkennen, daß man sich mit dem Gedanken einer großen liberalen Partei trägt. (Lebhafte Zurufe seitens der Nationalliberalen.)
Verzeihen Sie, meine Herren; wollen Sie die Güte haben, mich ausreden zu lassen! — Wenn Sie sich nicht mit jenem Gedanken tragen, so ist es mir ja ganz willkommen; aber daß Sie es nicht thun, haben wir aus Ihren bisherigen Aeußerungen, wenn ich einige Zwischenrufe von gestern ausnehme, nicht zu erkennen vermocht. ;
Ich bitte um die Erlaubniß, aus einer Nummer des „Hannover— schen Couriers“, die nicht von gestern und heute ist, sondern älter, einen Passus verlesen zu dürfen, der nach meinem Dafürhalten die Kriegserklärung der Nationalliberalen an die Regierung enthielt, und nicht umgekehrt. Es heißt da:
Jetzt ist ein Moment gekommen, wo sich die nationalliberale Partei in ihrer alten Größe zeigen kann, heißt es in einer Zu— schrift, die ein treuer Freund der Partei an uns richtete. Und wir sind überzeugt, daß die Partei sich dieses für die Nation und für sie selbst entscheidungsvollen Augenblicks gewachsen zeigt, daß sie den Erwartungen entsprechen wird, welche die liberalen deutschen Männer ihr in diesem Augenblick entgegenbringen. Mit der Vorlage dieses Schulgesetzes ist die Linie überschritten, jenseits welcher mit Compromissen und Amendements, mit Ver— handlungen und Verständigungen nichts mehr erreicht werden kann. Nicht um den einen oder anderen Paragraphen handelt es sich, sondern um den dunkelmännischen Geist, der aus dem ganzen Werke spricht. (Heiterkeit rechts) Nur ein unbedingtes Nein kann ihn verscheuchen, nur ein entschlossener Kampf kann es hindern, daß die höchsten Güter der Nation, daß unsere culturelle Ent— wickelung, daß die Freiheit der Wissenschaft, daß deutsche Bildung und deutsche Schule unter seinem erkältenden Hauche erstarren und verkümmern. (Heiterkeit rechts) Es war Licht geworden in Deutschland; sorgen wir, daß es Tag bleibe.
Meine Herren, das ist geschrieben, ehe ich hier ein Wort über die Dinge gesprochen habe. Sind wir es, die, wenn überhaupt von einem Kriege die Rede sein kann, diesen Kriegszustand herbei⸗ geführt haben? Ich glaube nicht.
Ich habe auch nicht Voraussicht genug, zu übersehen, welche Folgen die Schöpfung einer so großen liberalen Partei haben kann oder der Wille, sie zu schaffen. (Widerspruch bei den Nationalliberalen.) Ja, ich bitte um Entschuldigung, wenn ich, über die Begrenzung dieses Hauses hinausgehend, anknüpfe an die Erinnerungen, die ich aus dem anderen Hause habe; das, was da gesagt worden ist, habe ich nicht anders berstehen können. Wollen Sie nun das negiren? Stimmen Sie nicht überein mit dem, was im anderen Hause gesagt worden ist? Bitte, sprechen Sie es aus, wenn es nicht der Fall ist! Bis jetzt habe ich nur in Zurufen und vielleicht in einigen Anklängen der Presse gehört, daß eine Uebereinstimmung in der nationalliberalen Partei in diesem Punkte nicht existirt.
Immerhin bleibt dieser Punkt interessant für die Regierung; es könnte ja sein, es erfolgte eine zweite Secession, durch die der Freisinn verstärkt würde, sodaß ein Häuflein übrig bliebe; es könnte auch sein, es erfolgte eine Secession nach rechts; es könnte sein, Sie vereinigen sich geschlossen mit anderen Elementen — eine Eventualität, die ich nicht für sehr wahrscheinlich an sich halte, weil gerade Ihre Anschauungen in der letzten Zeit in vieler Beziehung diametral entgegengesetzt gewesen sind denen des Freisinns. Daß ich aber mit meinen Bedenken doch nicht allein stehe oder einen beschränkten Regierungsstandpunkt einnehme, das werden Sie viel⸗ leicht daraus ersehen, daß auch ein mehr wie fortschrittliches Organ, die „Frankfurter Zeitung vor ein Paar Tagen sagte: Die National⸗ liberalen müssen eine Witterung davon haben, daß die Regierung noch viel reactionärere Dinge plant, sonst würden sie dergleichen garnicht machen. Ich habe nur den Wunsch, Klarheit zwischen uns zu bekommen. Arbeiten Sie mit uns das Gesetz durch; wir sind bereit. Wir geben zu, daß in dem Gesetz eine Menge sein kann, wo wir irren; treten Sie mit den anderen Parteien zusammen, überzeugen Sie die, dann werden wir zu einem Resultat kommen; aber bisher — und darin habe ich kein Wort zurückzunehmen von dem, was ich gestern gesagt habe — bisher habe ich keinen Anlaß, an der An⸗ schauung irre zu werden, daß Sie der Regierung den Krieg erklärt haben, auf Grund des Volksschulgesetzes oder auf Grund von Mo⸗ tiven, die für die große liberale Partei entscheidend waren, die mir aber unbekannt sind.
Um nun aber mit einem friedlichen Ton zu schließen — ich hoffe, ich bin nicht kriegerisch gewesen, ich war es auch
Staatsregierung die liberalen Parteien majorisiren wolle, und führt das
heute Morgen citiren, was sie über die gestrige Rede des Herrn Abg. Dr. Friedberg sagt: — Der nationalliberale Redner Dr. Friedberg hat der Regierung, indem er auf die einzelnen Punkte, in denen Uebereinstimmung wischen ihr und den Nationalliberalen besteht und bezüglich deren die Meinungen sich trennen, einging, nochmals Gelegenheit ge⸗ geben, den guten Willen der Partei zu erkennen. Das acceptire ich; ich würde das noch lieber acceptiren, wenn ich die Sicherheit hätte, daß, wie ich aus Zwischenrufen schließe die große liberale Partei eine Seifenblafe wäre, die schon wieder verflogen ist. (Heiterkeit)
. Ab Hr. Fried kerg, (nk: Der Herr. Minister⸗Präsident habe seine Ausführungen über die Nationalliberalen auf einen Artikel der Kolnischen Zeitung begründet; aber wenn schon eine Partei nicht für jedes ihrer Blätter verantwortlich gemacht werden könne, so sei der Rwähnte Artikel von vielen Seiten seiner Partei dementirt worden. Was die Bennigsen'sche Rede anlange, so habe dieser fagen wollen durch die Handelsverträge feien die Gegensätze der einzelnen Theile der liberalen Parteien beseitigt, und es sei nun möglich, daß die ver— hie denen Theile der liberalen Parteien sich näherten. Die Abgg. Richter und Bamberger hätten das falsch aufgefaßt und ein solches Entgegenkommen abgelehnt. Der Minsster habe sich bei seinen Aus⸗ führungen über die Parteien auf die Rede des Abg. von Eynern estützt. Dessen Rede sei nicht so schroff gewesen, um eine folche Folge zu verdienen; umgekehrt habe er die Empfindung gehabt, daß der Cultus Minister dem Abg. von Eynern schroff entgegengetreten ei. Der Minister Präsdent hahe sich dagegen verwahrt, als ob er ne Verschãrfung der Debatte habe eintreten lassen wollen, aber die Alenße rung über; den Atheismus habe nicht beruhigen können, er habe ich die Anschguung des Abg. Porsch zum Muster genommen. Der Reichskanzler habe zwar gesagt, seine (des Redners Freunde ien keine Atheisten, aber er habe gesagt, ihre Stellung leiste dem their mus Vorschub, und auch das sei kränkend. Bisher habe seine Partei mit der Regierung auf verschiedenen Gebieten zusammengehen können, und nur solche Aufgaben, wo dies möglich sei sollte eine Regierung unternehmen, die auf ihr Frogramm schreibe, von allen Parteien das Gute nehmen zu wollen. Damit stimme der Goßler'sche Entwurf zusammen, aber von dem jetzigen Gesetzentwurf koͤnne man das nicht sagen. Der Minister⸗ Präsident habe gesagt, die Nationalliberalen sträubten sich gegen Majorisirung; wenn die Mehrheit gegen sie sei, fo müßte sis sich freilich fügen; sie sagten bloß,. es sei nicht gut, bei einem so wichtigen Gesetz politisch maiorisirt zu sein. Könne eine große Partei bald mit, bald gegen die Regierung gehen? Wenn die Regierung sich eine Mehrheit bald da, bald dort fuche, wirthschafteten die Partelen oder die Regierungen bald ab. Er wolle keinen Mißton in die Debatte bringen, und wiederhole nur, daß seine Partei von vornherein nicht zur Dpposition geneigt gewesen sei, sie habe anfangs eine Amendirung für möglich gehalten, diefe Hoffnung sei ihr aber durch 1 des Herrn von Buch und des Abg. Stöcker abgeschnitten Abg. Rickert (dfr.): Er sei mit dem Herrn Minister⸗Präsidenten darin einig, daß nun genug discutirt sei. Wenn der Reichskanzler auch in seiner heutigen Rede einen ganz anderen Ton über die Parteien auschlage, so bleibe das Beunruhigende bestehen, daß derselbe Minister⸗Präsident, der im vorigen Jahre erklärt habe, bei der da— maligen Schulgesetzborlage bis an die Grenze des Möglichen gegangen zu sein, jetzt noch erheblich weiter gehe. Hätte die Regierung diese Vorlage, statt das Haus im Dunkeln darüber zu lassen, vor ihrer Einbringung der Oeffentlichkeit übergeben, wie es z. B. mit dem Trunksuchtsgesetz geschehen sei, so würde die Re— e über die Wirkung auf das Volk erstaunt gewesen sein. Hätte der Reichskanzler die Volksseele besser gekannt, so würde R diese, Srresition vorhergesehen haben; hier im Hause werde die Vorlage freilich die Mehrheit finden, voraussichtlich wohl auch im Herrenhause, wenn ihr auch hoffentlich da die schlimmsten Zähne würden ausgezogen werden, im Volk habe aber die Vorlage nicht diz. Mehrheit für sich. (Widerspruch rechts Dabei bemerke er dem Minister⸗Präsidenten, daß auch die Freiconservativen gegen die Vor⸗ lage seien, er also nicht immer von der „Linken“ reden möge. Wenn er den Prediger der Liebe und Demuth drüben höre, so müsse er san das Wort Friedrich Wilhelm's III. denken, es wolle ihm scheinen, als ob es eine Theologie gebe ohne Religion.. Der Abg. Stöcker brüste sich mit auswendig gelernten Bibelsprüchen; wie es mit seiner christlichen Liebe, seiner Toleranz bestellt sei, wisse man schon seit 1380. Trotzdem aber der Abg. Stöcker wife, wie es ge⸗ macht wird-, verliere seine Partei ihren Optimismus nicht; bei der Einzelberathung der 194 Paragraphen in der Commission und hier im Hause hoffe sie noch manches zu retten; denn wenn auch Herr Stöcker dränge und meine, jetzt sei der geeignete Moment, das Gesetz zu vollenden — ein anderer Landtag würde es nicht ermöglichen — so gebe doch der Abg. Graf Limburg⸗-Stirum zu, daß die Sache gar nicht so sehr dränge. Seit der Berathung des Zoll— tarifs habe nichts das Volk so aufgeregt, wie diese Vorlage; zahl⸗ reiche Zuschriften bewiesen es ihm, er werde vielfach um Vorträge darüber gebeten, er habe auch von einem österreichischen Abgeordneten eine Zuschrift erhalten — einem Manne, der kein Freund von Vor— urtheilen sei, der früher mit dem Grafen von Caprivi immer sym⸗ pathisirt habe. Jetzt schreibe ihm dieser Mann, auch in Desterreich sei man über diese Vorlage sehr niedergeschlagen, weil man davon schlimme Folgen für Oesterreich befürchte. Die Bewegung in unserem Volke sei durchaus urwüchsig, nicht künstlich gemacht. Der Abg. Stöcker habe gesagt, er wolle gern mit den Nationalliberalen zu— sammengehen; ja, wenn sie sich seinem Willen fügten und ihm ihre Wahlstimmen gäben; in seinen Versammlungen behandele er diese selben Nationalliberalen jo, daß es schon nicht mehr schön sei. Aus der Stellung Stöckers gegen. die Vorlage spreche sein Haß gegen die Lehrer, namentlich gegen die Berliner Lehrer, die die Jugend nicht in Stöckersschem Sinne er⸗ zögen. Heute sei der Abg. Stöcker die Hauptstütze der Regierung, aber auch er werde noch dahin gebracht werden, wohin er gehöre. Der Abg. Stöcker frage, wo die Nationalliberalen ohne die Regie⸗ rung sein würden; ja, wo würden die Conservativen sein ohne die Landräthe und Gendarmen? Er glaube, der Reichskanzler wolle die. durch seine gestrige Rede bei den Nationalliberalen entstandene Mißstimmung heute beseitigen; durch eine o ungleiche Behandlung entstehe aber bei den Parteien schließlich ein Mißtrauen, das auch dem größten Staatsmann schließlich die Thatkraft lähme. Im Reichstage seien trotz schutzzöllnerischer Mehrheit die Handelsverträge durch⸗ gegangen, hier werde bei der Stellungnahme der Regierung die Volks⸗ schulvorlage eine Mehrheit, wenn auch nur von wenigen Stimmen finden, aber darum habe sie nicht die Zustimmung im Lande; es ger damit ebenso wie mit dem Inpaliditätsgesetz, das im Reichstag ebenfalls mit, etwa 20 Stimmen Mehrheit ange⸗ nommen worden sei und im Lande die größte Mißstimmung erregt habe. Der Reichskanzler habe damit beruhigen wollen, daß Preußen gegen die Zulassung der Jesuiten stimmen werde, aber seine Freunde und wohl auch die Nationalliberalen hielten die Aufhebung des Jesuitengesetzes für weniger schädlich als das Volksschulgesetz. Es sei ein Irrthun des Herrn e ,, . wenn er meine, er (Redner) habe vorgeschlagen, die Religien aus der Volksschule zu entfernen, wie es in Schettland der Fall sei. Er habe nur, als Herr von Huene gesagt habe, die Folge des Verhaltens der Frei⸗ finn gen werde sein, daß die Religion aus der Volksschule entfernt würde, darauf hingewiesen, daß dies in Schottland, dem religiösesten Lande der Welt, der Fall sei. Der Reichskanzler habe heute gemeint, die letzte Conseguenz der Stellung seiner Partei führe zum Atheismus; das sei nicht richtig. Seine Partei wolle die Religion nicht beseitigen, sie wolle die Schule nur nicht unter den Zwang der Confessionen bringen. Wie dächten sich die Herren übrigens einen Volksschulunterricht, der in allen seinen Theilen
gestern nicht —, will ich aus der „National⸗Zeitung von
von Religion durchtränkt sei? Er könne sich einen evangelischen
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