1892 / 40 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 15 Feb 1892 18:00:01 GMT) scan diff

Den Zeugen, die jür Baare's Mitwissenschaft aufgetreten seien, habe ich ein gewisser Defentaine befunden, und in seinen belastenden Aus—⸗ 2 sei in den Acten ein Schreibfehler vorgekommen; dort habe es nämlich geheißen, die Mitwissenschaft Baare's habe sich nach Defontaine's Aussagen bis 1880 erstreckt, es habe aber heißen sollen (bis Ende 1889 oder Anfang 1890“. Defontaine habe nämlich Herrn Baare vor zwei Jahren die ganze Sachlage auseinandergesetzt, der aber sei darüber nicht erstaunt oder entrüstet gewesen, sondern habe gesagt, dergleichen komme auf allen Werken vor, und habe sich von dem Zeugen versprechen lassen, über die Vorgänge Schweigen bis zum Grabe zu bewahren. Er wolle Herrn Baare auf Grund dieser einseitigen Aussage nicht schuldig sprechen, fest stehe aber seine Schuld bis 1880, für die er der Verfolgung nur wegen Ver Währung entgangen sei. Es entstehe dabei die Frage, ob es denkbar fei, daß der Director, der bis 1389 von den Schwindeleien unter— richtet gewesen sei, es auf einmal nicht mehr sei; das sei undenkbar, man müßte mindestens nachweisen, daß Baare 1880, als er von den Vorgängen erfahren, alles aufgeboten habe, um in seinem und des Werkes Interesse alle weiteren Betrügereien hintan— zuhalten. Aber im Gegentheil, 1889 sei ein gewisser Arbeiter Luning, der beim Herstellen falscher Stempel in Bochum abgefaßt worden sei, mit einer Empfehlung des Werkes nach dem vorhin erwähnten Osnabrücker Werk gegangen, wo er Anstellung gefunden habe. Es bedürfe nur des Hinweises auf die Steuervorgänge, um zu zeigen, es handle sich hier nicht um einzelne Personen, sondern um ein System, das in den herrschenden Klassen Platz gegriffen habe. Im Vorder— grund stehe dabei, daß am 5. Juni 1891 Herr Baare als Zeuge vor⸗ geladen und, gefragt, wie es mit seinem Wissen in Bezug auf die

galschen Schienen stehe, gesagt habe: Selbstverständlich ist so etwas niemals vorgekommen; daß einmal geflickte Schienen mit unterlaufen, kommt bei allen Werken vor. Es würde interessant sein, wenn der Abg. Freiherr von Stumm heute gegen diese n,, , Baare's Widerspruch erhöhe. Er (Redner) sei fest überzeugt, daß solche Dinge auf den Stumm'schen. Werken nicht vorkämen. Aber in seinem Interesse müsse es liegen, wenn er sich feierlichst gegen solchen Verdacht verwahre. Herr Baare habe unter seinem Eide ausgesagt, daß er von Fälschungen nichts wisse. Jetzt weise ihm die Stagts—⸗ anwaltschaft das Gegentheil nach. (Präsident von Levetzow: Soll das etwa alles dazu dienen, die Verwaltung vor einzelnen Werken zu warnen?) Er habe seine Ausführungen zur Genüge gemacht, es folge daraus mit Nothwendigkeit, daß die Eisenbahnverwaltungen sich entschlössen, Werke, bei denen jeßt oder früher solche Betrügereien und Schwindeleien vorgekommen seien, wie Osnabrück und Bochum, ein für alle Mal von der Betheiligung an Submiffionen aus—

zuschließen; denn auch bei der schärfsten Controle gebe es, wie die Er— fahrung zeige, Mittel und Wege, schlechte Waare für gute anzubringen, die Verwaltung müßte denn geradezu fortwährend Beamte auf den Werken installiren, die das ganze Jahr hindurch ganz genau con— trolirten, daß nicht in einem Winkel des Werkes oder in der Nach⸗— barschaft Betrügereien vorgenommen würden. Ueber diese Uebel— thäter müsse der Staat strenges Gericht halten, was bis jetzt nicht der Fall gewesen zu sein scheine. In diesem Sinne richte er die An— frage an die Verwaltung, ob Maßregeln ergriffen seien, um für die Zukunft solche Schwindeleien zu verhindern, und ob sie nicht geneigt sei, in der von ihm angedeuteten Weise vorzugehen, daß solche Werke nicht mehr zu Submissionen zugelassen würden.

Wirklicher Geheimer Ober⸗Regierungs-Rath Kinel: Er sei dem Abg. Bebel außerordentlich dankbar für die Warnung, die er an die Verwaltung gerichtet habe; aber er scheine die Regierungsbeamten doch für naivere Menschen zu halten, als sie seien, und er (Redner) dürfe wohl auf die große Betriebssicherheit der deutschen Eisenbahn, die seines Wissens die erste in der Welt sei, hinweisen im Gegensatz zu all' den Bedenken, die hier ausgesprochen worden seien. as zunächst die Zulassung zu einer Submission anbetreffe, X sei bei einem öffentlichen Submissionsverfahren jedermann, der Schienen liefere, berechtigt, ein Angebot zu machen; ob das Angebot angenommen werde oder nicht, das haͤnge von einer Prüfung ab. In dem vorliegenden Falle habe der Bochumer Verein ein Anerbieten gemacht, er sei nicht der Mindestfordernde gewesen, und infolge dessen sei ihm auch der Zuschlag nicht ertheilt worden. Er halte sich aber verpflichtet, zu sagen, daß nach sehr eingehen— den Untersuchungen und Zusammenstellungen über Schienenbrüche, die in Deutschland seit dem Jahre 1878 vorgekommen seien, es einem Bedenken nicht unterlegen haben würde, dem Bochumer Verein die Lieferung zu übertragen, wenn er der Mindestfordernde gewesen wäre. Nun, die Stempelgeschichte; sie interessire die Reichs-Eisen— bahnverwaltung außerordentlich wenig, dort spiele die Stempelung der Schienen eine sehr geringe Rolle. Es sei Sitte, in den Schienen die Jahreszahl erhaben einzuwalzen, und diese bei den Schienen, die ausgeworfen würden, wegzumeißeln; es möchte sehr schwierig sein, eine neue Jahreszahl, ohne daß man dies erkenne, herzustellen. Endlich, nachdem die genauesten Proben und zwar in den eigenen Werkstätten der Verwaltung vorgenommen worden seien in Bezug auf das Material, das verwendet werden solle, erfolge die Prüfung und Abnahme in Bezug auf die Fabrikation, und zwar durch Con— troleure, die von Anfang bis zum Ende der Fabrikation von früh bis Abends im Werke ständen. Aber auch diese Abnahme genüge noch nicht, sondern die Schienen würden, nachdem sie an Ort und Stelle abgeliefert worden seien, noch einmal einer Prüfung unterworfen, und es sei manchen Lieferanten unbequem gewesen, wenn man ihnen einige Schienen zurückgeschickt habe, wobei sie überdies die Fracht⸗ kosten hätten zahlen müssen. Das sei das, was er über die gute oder schlechte Waare und über die ganze Sache zu sagen habe.

Abg. Schneider⸗Hamm (nl.): Er fühle sich verpflichtet, gegen⸗ über den schweren Anschuldigungen gegen die Geschäftsehre des Leiters der Bochumer Werke den Sachverhalt klar zu stellen. Auf die materielle Seite der Sache lasse er sich nicht ein, sondern lege nur dagegen Verwahrung ein, daß sich der Reichstag als Gerichtshof constituire gegen einen Mann, der sich hier nicht vertheidigen könne, und 95 en den ein verurtheilender Richterspruch nicht ergangen sei. Der 6 Bebel habe von dem ihm vorliegenden Actenmaterial ge—

sprochen. Ein solches könne in dieser Sache überhaupt nicht vor— liegen, so lange kein Urtheil gesprochen sei. Deshalb könne er ihm nicht das Recht zuerkennen, in solcher Weise über Herrn Baare zu urtheilen, dessen Persönlichkeit ihm (dem Redner) ganz fern stehe, und dem gegenüber er nur eine Pflicht der Billigkeit und Gerechtig⸗ keit erfüllen wolle. Redner geht näher auf die Vorgeschichte des Prozesses Fusangel-⸗Baare ein. Im Laufe der Verhandlungen über die Steuerhinterziehungen habe Fusangel zu seiner Vertheidigung geltend gemacht, daß auf dem Bochumer Werk Jahre lang Stempel— ,, unter Wissen des Herrn Baare vorgekommen seien. Dieselbe Schrift sei als Anzeige an den Staatsanwalt gegangen. Das Ermittelungsverfahren sei sehr ausgedehnt und sorg— fältig gewesen; über hundert Zeugen und Sachverständige seien vernommen, darunter zu wiederholten Malen Fusangel, der wieder von neuem Fristen zur Beschaffung von Belastungsmaterial habe erbitten müssen. Die Voruntersuchung gegen Baare sei trotzdem nicht eingeleitet worden, sondern nur gegen neun Arbeiter (Abg. Bebel: Siebzehn!), gegen neun Arbeiter und Beamte der Bochumer Werke. Der Abg. Bebel habe von einem Brief des Staatsanwalts an Fus— angel gesprochen. Es würde ihn interessiren, das Schreiben kennen zu lernen. Eine gerichtliche Untersuchung werde auf verjährte Fälle nicht ausgedehnt. Da jedoch das Hauptverfahren eröffnet werden solle, so sei es gerecht, das Ergebniß abzuwarten. Der Abg. Bebel habe neulich für jeden tant bürger gleiches Recht in Anspruch genommen, er möge nun den Satz der Verfassung „niemand soll seinem ordent— lichen Richter entzogen werden“, auf den Commerzien⸗Rath Baare anwenden. Jeder sei unschuldig, der noch nicht überführt sei. Wenn man jetzt das Urtheil über Baare ausspreche, daß er die Gesellschaft und den Staat betrüge, dann stelle man sich auf den mittelalterlichen Standpunkt: Der Jude wird verbrannt! Herr Baare werde von den Socialdemokraten verurtheilt, weil er das Brandmal des Groß⸗ industriellen an der Stirn trage.

Abg. Freiherr von Stumm (Rp.): Er nehme jederzeit das Recht in Anspruch, die sittliche Haltung seines Personals auch außer—

halb des Betriebes zu beaufsichtigen, wo von allen Seiten die Ver⸗ führung an sie herantrete. Sonst wäre er nicht in der Lage, derartige Dinge, die mit der Ehre des Werkes unverträglich seien, zu verhüten. Der Arbeiter und Unterbeamte habe nämlich ein ganz besonderes Interesse daran, schlecht gerathene Schienen zu verheimlichen, und er sei dieser Versuchung um so mehr ausgesetzt, wenn ihn eine feste Charakterbildung nicht schütze. Bei allen Productionsformen sei es nothwendig, für die nicht vorschriftsmäßig angefertigte Waare den Arbeiter verantwortlich zu machen. Sei das Material ganz schlecht, so erhalte der Arbeiter auf seinen Werten gar keinen Accordlohn; sei es weniger gut, so werde der Lohn verkürzt, z. B. für solche Schienen, die nur ü auf Nebengeleisen benutzt werden könnten, den stricten Anforderungen der ,,, aber nicht entsprächen, bis zur Hälfte. Wenn nun der Arbeiter versuche, durch Manipulationen der geschilderten Art seinen vollen Lohn zu bekommen, so sei das Betrug, und die strengste Ueberwachung seitens der Beamten sei nothwendig, weil sonst zu viele derartige Fehler unentdeckt bleiben würden. Trotzdem seien auch bei ihm vor fünf Jahren in vorschriftswidriger Weise von einigen Werkmeistern durch Unterschiebung vorschriftsmäßiger Proben Dinge verübt worden, die die Ehre des Werkes gefährdet hätten. Er habe sie sofort entlassen und dadurch ein Exempel statuirt. Der Ausspruch: Solche Dinge kommen auf allen Werken vor, sei also nicht so aufzufassen, wie der Abg. Bebel es gethan habe, sondern wenn so etwas vorkomme, dann müsse es bei genügender Aufmerksamkeit bald entdeckt und dann bestraft werden. Aber wo solche Dinge wiederholt vorkämen und nicht abgestellt würden, habe die Verwaltung die Mitschuld, und er verurtheile eine solche Verwal⸗ tung auf das strengste. Einer von jenen Obermeistern sei später allerdings als einfacher Arbeiter wieder eingestellt worden und zwar mit Rücksicht auf seine Familie, aber nur mit der Hälfte seines früheren Verdienstes. Er schäme sich dieser Humanität nicht. Aehnlich liege die Sache mit den geflickten Schienen. Es gebe ganz kleine Schönheitsfehler, z. B. an den Füßen, die auf kaltem Wege, mit Vorwissen der Staatscommissare, zugehämmert werden dürften. In diesem Sinne gebe er zu, daß auch bei ihm geflickte Schienen vor⸗ kämen. Damit geschehe nichts, was nicht mit dem Interesse und der Ehre des Werkes und der Sicherheit der Eisenbahn vereinbar sei. Ferner bestreite er die Richtigkeit der Mittheilung in der Presse, daß er dem Auslande Schienen zu 83 M angeboten habe. Im übrigen begreife er nicht, wie daraus ein Vorwurf hergeleitet werden könne. Der Reichstag habe im Jahre 1879 allerdings auf seinen Antrag, aber unterstützt von der ganzen freihändlerischen Partei, Erleichterungen für den Veredelungsverkehr ge⸗ schaffen, die es ermöglichten, für das Ausland billiger zu liefern, als für das Inland. Der. Abg. Bebel vergesse den Zoll auf fremdes Roheisen. Schon diese Zolldifferenz repräsentire mit Rücksicht auf die Abfälle bei der Production u. s. w. ganz jene Differenz von 256 (6, die er anführe. Im übrigen erführen die Schienenpreise zur Zeit einen Rückgang; der Preis sei seit 1891 bedeutend gesunken und werde in diesen Sommer weiter sinken. Also könnten die Firmen heute sehr viel niedrigere Preise stellen als im Jahre 1891. Auch die Rücksicht auf die Arbeiter spreche hier mit. Die Verwaltung stehe vor der Frage, ob sie die Arbeiter entlassen oder auch in schlechten Zeiten beschäftigen wolle. Ein Werk, das für 8346 thatsächlich verkaufe, müsse einen Verlust von 13— 14.66 für die Tonne tragen; das sei nur möglich, wenn es aus den Ueberschüssen früherer Jahre Opfer bringe. Wenn ein Werk also so niedrig ver— kaufe, so habe es keinen anderen Grund, als 10 bis 20 der Leute nicht zu entlassen. Nun frage man: warum verkaufe denn das Werk nicht auch im Inland so billig? Das gehe denn doch zu weit! Es würde in kürzester Frist dabei zu Grunde gerichtet sein. Bei den Lieferungen in Straßburg seien ausländische rr. wenig . das liege daran, daß z. B. die Engländer dort keinen solchen Fracht— vorsprung hätten, wie in der Nähe der deutschen Küsten. Trotzdem hätten sie sich gemeldet, aber nicht als Mindestfordernde, sie seien besonders den Saar- und Moselwerken gegenüber im Nachtheil. Jede Verwaltung solle demjenigen die Lieferung zuweisen, der am billigsten liefere, nur während der Nothstandszeit der letzten Jahre sei viel— leicht hier und da einmal eine Ausnahme davon gemacht; dann müsse man bedenken, daß einen Theil der Zölle und der Fracht die englischen Werke auf ihre Kappe nehmen. Die Conventionen unter den deutschen Schienenwerken habe der Abg. Bebel „Ringe“ genannt und darunter ein gemeinsames Complot zur Ausbeutung der Consumenten verstanden; er weise diesen Ausdruck zurück. Diese Conventionen oder Kartelle beständen auf allen Gebieten, und das Publikum fahre ganz gut dabei. Die Staatseisenbahnen seien weiter nichts als ein großes Kartell; die Ver— staatlichung der Bahnen habe den Eisenwerken gegenüber genau die— selbe Wirkung gehabt, wie der Zusammenschluß der Eisenwerke den Staatsbahnen gegenüber. Der „Schienenring“ habe es darauf abge— sehen, eine Verschleuderung der Waare zu ,, Der Staat finde darin nichts, sondern er trete selbst solchen Conventionen bei, z. B. mit seinem Kali⸗Bergwerk Staßfurt. Die Buchdruckereibesitzer die sozialdemokratischen vielleicht nicht, aber die freisinnigen jedenfalls seien ja auch zusammengetreten, um eine gemeinschaftliche Macht zu bilden gegenüber den ihnen unberechtigt erscheinenden An— sprüchen der Gehilfen. Das sei genau solch ein Ring, und zwar einer, der sich gegen die minder mächtigen Arbeiter richte, also vielleicht noch schwerer zu vertheidigen sei. Der Abg. Bebel habe behauptet, er (Redner) habe sich gegen den Kohlenring ausgesprochen; wenn er für alle Artikel in den Zeitungen, mit denen er in irgend einer Verbindung stehe, die Verantwortung über— nehmen solle, so seie das doch eine Zumuthung, die seine bescheidenen Kräfte übersteige. Er übe 37 öffentliche Geschäfte und Functionen aus und könne also nicht noch Zeitungs« artikel für alle diese Blätter schreiben. Er habe nur getadelt, daß man den ausländischen, z. B. den lothringischen Eisenwerken, die dicht an der Grenze lägen, die Kohlen billiger liefere, als den inländischen. Der Verkauf billigerer Schienen nach dem Ausland verletze kein inländisches Interesse. Er sei vollkommen zulässig und legal. Bei den Kohlen liege die Sache nicht ganz so, und es sei die Frage, ob der Staat unter Umständen einer so künstlichen Ver— theuerung der Kohlen nicht näher treten solle und ob nicht eine Revision der Kohlentarife nothwendig sei. Nicht in seinem Namen, sondern im Namen aller derjenigen Werke, die eine Lebensfrage in der Convention sähen, danke er dem Abg. Bebel für seine Angriffe. Sie würden wesentlich dazu beitragen, daß die Conventionen erneuert würden, weil jeder geneigt sei, von seinen Feinden zu lernen.

Abg. Hitze (Centr. : Er stehe völlig auf dem Standpunkt des Abg. Schneider. Auch seine Partei wolle die gerichtliche Ent— scheidung abwarten. Er möchte aber dann bitten, sich nicht in solchen Ausdrücken über Herrn Fusangel zu ergehen, wie das gestern und heute hier geschchen sei. Wenn die Sache sich so , wie sie hier dargestellt worden sei, so werde Niemand leugnen, daß es vom öffentlichen Interesse aus dringend nothwendig gewesen sei, daß diese Umstände zur Sprache kämen. In jedem Falle sei es im allgemeinen Interesse wünschenswerth, im öffentlichen gerichtlichen Verfahren die Dinge klar zu stellen und fie nicht im staatsanwaltschaftlichen Vorverfahren verschwinden zu lassen.

Abg. Bebel (Soc.): Die Ausführungen des Regierungs— commissars hätten ihn etwas überrascht; er habe gesagt, die Ver⸗ waltung sei nicht in der Lage, jemandem zu verwehren, sich an einer Submission zu betheiligen. Das sei ein ganz falscher Standpunkt, der von anderen Verwaltungen nicht immer ö. werde. In dem Augen⸗ blick, wo er erfahre, daß ein Unternehmer ihn betrogen und beschwindelt habe, höre seine Verbindung mit ihm auf. Warum die Verwaltung der Reichseisenbahnen das nicht auch so machen solle, das verstehe er nicht. Auch dem jetzigen Chef der Reichseisenbahnen seien die Dinge von der Georg⸗Marienhütte amtlich mindestens ebenfo gut bekannt gewesen wie ihm, dem Chef der preußischen Eisenbahnen Tee, Die Rücksicht auf die beschäftigten Arbeiter solle die Regierung auch nicht abhalten, mit aller Strenge gegen die Betriebsleitungen vor⸗ zugehen. Wenn eine Verwaltung unmöglich werde, so seien tausende von anderen Capitalisten bereit, die Werke zu übernehmen. Noch über⸗ raschender sei ihm die Ansicht des Regierungsvertreters gewesen, daß das

Schienenflicken ihm gar keine Sorge mache. Die Controle sei eine so aus giebige und ausgezeichnete, daß die er. kaum hintergangen werden könne. Hier lägen Thatsachen vor, aus denen hervorgehe, daß die Verwal⸗ tungen Jahre lang hintergangen worden seien, ebe sie dahinter gekommen. Und da erkläre der Regierungsvertreter: Das genirt uns nicht! Die Jahreszahlen würden nicht im Beisein der Commiffare entfernt, sondern bei Seite geworfen. Dann flicke man die ausran— girten Schienen und schiebe sie unter die von den Controleuren ab- genommenen, indem man gute Schienen dafür wieder wegnehme. Wenn die Eisenbahnverwallung das Vertrauen habe, daß nichtz Böses vorkomme, so werde das auf allen Schienenwerken sehr deutlich gehört und verstanden werden. Die Kohlenringe würden nicht er— mangeln, die Preise so hoch zu schrauben, daß sie auch dem Abg. reihern ven Stumm anfangen müßten, unbequem zu werden. Aus . Ausführungen habe man wenigstens erfahren, daß der hohe Eisenzoll eigentlich nur eingeführt sei, damit die Eisenindustriellen imöglichst hohe Preise bei den Consumenten, hier speciell der Eisenbahnverwaltung. zu fordern in der Lage seien. Seine Partei sehe den Reichstag durchaus nicht als eine Art Gerichtshof an, der über einen einzelnen Fall urtheilen solle. Aber in dem 6 gegen Fusangel seien alle feine. Beschuldigungen gegen Baare und Genossen bis auf kleine nebensächliche Punkte als wahr angesehen worden, vor allem die Betrügereien in den Steueran— gelegenheiten. Fusangel sei auch nicht wegen verleumderischer, sondern nur wegen einfacher Beleidigung infolge seiner heftigen Aus— drücke gegen Bagre verurtheilt worden. In der Schienenangelegen— heit sei festgestellt, daß er bis 1380 zweifellos um die Fälschungen ewußt habe, obgleich er das im vorjährigen Processe abgeschworen abe. Der Abg. Schneider habe also keine Ursache, Baare in Schutz zu nehmen. Herr Baare könne ja selbst die Sache vor Ge richt bringen, wenn er gegen Fusangel wegen der neuerlichen Be— schuldigungen die Verleumdungsanklage einreiche. Das Verhalten Baare's in dem Steuerproceß haͤtte den Abg. Schneider, der ja als Richter in diesem 536 fungirt, habe, veranlassen sollen, weniger Baare's Partei zu nehmen. Natürlich würden wieder nicht die jenigen auf der Anklagebank erscheinen, die von Rechts wegen dahin gehörten, sondern untergeordnete Beamte und Arbeiter, die nur willenlos Befehle ihrer Vorgesetzten ausgeführt hätten.

Wirklicher Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Kinel: Der Abg. Bebel meine, ihn in seinen J . nicht verstanden zu haben; es gehe ihm mit den Ausführungen des Abg. Bebel ähnlich: ez sollten Werke einfach von der Lieferung ausgeschlossen werden. Wenn ein öffentliches Submissionsverfahren zur Beschaffung von Schienen eingeleitet werde, so liege es im Interesse der Verwaltung, so viel Angebote wie möglich zu erhalten; es stehe ihr dann die Auswahl zu. Werke, welche die Verwaltung betrogen hätten der Ausdruck fei hier gefallen seien nicht zu seiner Kenntniß gekommen. Ueber die Georg⸗Marienhütte habe er nicht gesprochen; er wisse nur, daß sie seit dem Jahre 1878 Schienen für die Reichseisenbahnverwaltung nicht geliefert habe; so viel er wisse, auch früher nicht. Die Controle lege sich der Abg. Bebel so zurecht, daß der Con— troleur die Schienen herüberwerfe und dann fortgehe, möge die Zahl abgemeißelt werden oder nicht. Das geschehe eben nicht. Ja, woher wisse er denn, daß die Controleure so unzuverlässig und so gewissen— los seien, wegzugehen, ehe die Bezeichnung der ausgebrochenen Schienen in der vorgeschriebenen Weise stattgefunden habe? Davor müsse er (Redner) sie denn doch schützen. Endlich mache er darauf aufmerksam, daß bei jeder Lieferung 10, Ff, 5 und mindestens 3 Jahre Garantie geleistet werde. In dieser Zeit müsse jede beschädigte Schiene auf Kosten des Lieferanten ausgewechselt werden. Wie wäre es möglich, daß das Reich die Sicherheit im Betriebe habe, die thatfãchlich be⸗ stehe, wenn in der Weise verfahren würde, wie der Abg. Bebel es sich zurechtlege? Mit Kitt verklebte Schienen! Ja, das sei für ihn absolut unverständlich. Er (Redner) habe dann noch ausgeführt, daß die Abnahme auf den Werken nicht die einzige sei, sondern daß sie später an Ort und Stelle der Verwendung erfolge. Mehr wisse er über diese Sache wirklich nicht zu antworten.

Abg. Schneider⸗Hamm (nl. )* Er gestehe wohl dem Reichstag das Recht zu, solche Mißstände zur Sprache zu bringen, wünsche aber nicht, daß man einzelne Persönlichkeiten für strafbarer Handlungen überführt erachte, obgleich sie noch nicht vor ein ordentliches Gericht gestellt seien. Das Ergebniß der Untersuchung müsse man abwarten. Es liege ihm nichts ferner, als für seinen Parteigenossen Baare einzutreten. Würden die Beschuldigungen gegen ihn erwiesen, so werde er in der Verurtheilung Baare's nicht hinter dem Abg. Bebel zurückstehen. Die Richtigkeit der jüngsten Mittheilung der Staats— anwaltschaft an Fusangel bestreite er nicht, aber der Abg. Bebel sollte durch ihre Vorzeigung urkundlich den Beweis dafür antreten. Das entspreche doch der Billigkeit. Ueber die Schuld oder Unschuld

951

lasse sich nur auf Grund einer richterlichen Verhandlung urtheilen. Damit schließt die Besprechung. Der Titel und der Rest des Ordinariums werden bewilligt. . Im Extraordinarium werden 14348509 6 verlangt und ohne Besprechung bewilligt, desgleichen die Einnahmen in Höhe ö 639 000 5s Damit ist der Etat der Reichseisenbahnen erledigt. Es folgt die Berathung von Commissionsberichten über Petitionen. . Die Petition des Kaufmanns und Holzhändlers Fischer in Posen um Gestattung der zollfreien Einfuhr von Rundholz nach seiner früher jenseits der Grenze gelegenen, vor dem L. Oktober 1885 nach dem Grenzorte Podsnamsze verlegten Brettschneidemühle wird entsprechend dem Commissionsantrage und nach Befürwortung durch den Abg. Holzmann (ul) dem Reichskanzler zur Berücksichtigung überwiesen. . Die Petition der Stadtgemeinde? Spandau und der Ge⸗ meinden Ellerbeck und Gaarden, betreffend die Heranziehung des Reichsfiscus zu den Communallasten, beantragt Die Petitionscommission, der Reichsregierung als Material hei einer etwaigen Regelung der communalen Besteuerung des Reichs, sowie zur Erwägung dahin zu überweisen, ob nicht den Gemeinden Ellerbeck und Gaarden ein einmaliger Beitrag zur Tilgung ihrer Schulden zu gewähren sei. 24 Geheimer ir r t Holtz und Geheimer Ober⸗Regie— rungs⸗Rath

Plath widersprechen dem Commissionsantrage peciel mit Rücksicht auf Gaarden und Ellerbeck; in Ellerbeck seien Unrege!— mäßigkeiten in der Gemeindeverwaltung vorgekommen, wodurch die mißliche Lage der Gemeinde sich erkläre. . ;

Abg. Münch (dfr.) tritt dagegen sehr lebhaft für die Schadlos= haltung der beiden durch die Bauten der Marineverwaltung so sehr

benachtheiligten Nachbargemeinden der Stadt Kiel ein. Nicht Lie

schlechte Gemeindeverwaltung, sondern die Maßnahmen der Werft verwaltung seien die Ursache der Finanznoth, in die jene beiden Ge— meinden gerathen seien. Der Commissionsantrag wird angenommen. . Die auf die reichsgesetzliche Regelung der Weinsrag— sich beziehenden zahlreichen Petitionen werden dem Neichs⸗ kanzler als Material zu der in Aussicht gestellten Gesetzgebung überwiesen; soweit sie die ungeschmälerte Forterhaltung der bestehenden Wein- und Traubenzölle betreffen, durch die Je⸗ nehmigung der Handelsverträge für erledigt erklärt. il Ueber die Petitionen, welche die Ausdehnung der Nove . zum Reichsbeamtengesetz vom 21. April 1886 betreffen, geh der Reichstag zur Tagesordnung über. . Die Petitionen verabschiedeter Postbeamten um Erhöhung ihrer Pension werden dem Reichskanzler als Material über⸗ wiesen. . J. V. H. Hannesen aus Ruhrort bittet, der Re j möge den Bundesrath veranlassen, dem Reichstagsbesch un vom 14. Mai 1889 Folge zu geben, wodurch seine dama

J ichte Petition um Herabsetzung des Zolls auf rund— 2 . Reifenstäbe dem Reichskanzler zur Berück⸗ sichtigung überwiesen war. .

Durch die am 1. Juli 1888 in Kraft getretene Ab— änderung des amtlichen Waarenyerzeichnisses hatte der Bundes⸗ rath die Reifenstäbe als grobe Böttcherwagren klassificirt und danach mußten sie von da ab statt 10 3 3 6 Zoll tragen. Jach dem am 15. Januar 1891 erstatteten Commisstonsbericht, ber die Petition zur r , n. und Berücksichtigung empfiehlt, war in der Commmis ion erklärt worden, daß die auf Grund des Beschlusses von 1889 eingeleiteten Erörterungen des Reichs-Schatzamts noch nicht abgeschlossen, aber dem Äb⸗ schluß nahe seien. ö . . ;

Abg. Dr. Ham macher (nl. beklagt, daß dem Reichstag kein Mittel zustehe, den Abschluß dieser Berathungen zu beschleunigen, da guch heute, wo wieder ein Jahr seit jener Erklärung, vergangen sei, fein Vertreter des Bundesraths sich bewogen fühle, irgend elne Be⸗ merlung zur Sache zu machen. Redner kündigt an, daß er zu ge— eigneter Zeit den. Antrag auf Einrichtung eines Gerichtshofes für Zellstreitsachen wiederholen werde . 4

Geheimer C , ,, . Rauschning:; Bis zur Stunde habe der Bundesrath in der Sache noch keinen Beschluß gefaßt. Die Petition wird dem Reichskanzler zur Berücksichtigung überwiesen, ebenso die Petitionen einiger kleiner Gemeinden aus dem Bezirk Passau um Herabsetzung des Zolles für öster— reichische Zugochsen und um Rückerstattung von Zoll für Cocosgarn. .

3. . betreffend das Geheimmittelwesen und die öffentliche Anpreisung medizinischer Präparate werden dem Reichskanzler zur Kenntnißnahme überwiesen.

Darauf wird die Vertagung beschlossen.

Schluß 51 Uhr.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. I6. Sitzung vom Sonnabend, 13. Februar.

Der Sitzung wohnt der Finanz-Minister Dr. Miquel bei. Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der zweiten

Berathung des Staatshaushalts-Etats für is / 93, und zwar der Etat der directen Steuern.

Bei dem ersten Titel der Einnahmen: 399M 000 0 weist

AIbg. Dr. Enneęecerus (nl. darauf hin, daß die directen Steuern scheinbar nur eine tleine Summe in dem großen Etat ausmachten; empfehle sich, einmal eine Netteberechnung aufzustellen. Redner berechnet die Reineinnahmen aus Domänen und Forsten, Lotterie, Seebandlung, Bergwerken und Eisenbahnen auf 429 Millionen Mark; davon ab die Ausgahen für die Staatsschulden mit 267 Millienen Mart, bleibe eine Reineinnahme von. 167 Millionen Mark. Dazu fãmen andere kleinere Einnahmen mit 12 Millionen, die directen Steuen mit. 164, die indirecten mit. 35.7 Millionen und die lleberweisung aus dem Reiche nach Abzug der Matri⸗ kularbeitrãge 244. Millionen Mark, sodaß die Rein⸗ einnahmen in Wirklichkeit 400, Millionen Mark betrügen, während die Bruttoeinnahmen sich auf 1813 Millionen Mark ftellten. Die directen Steuern deckten also etwa 0 „0 des Staatesbedarfs. Wenn man die Reichsausgaben nach dem Verhältniß auf Preußen berechne, so würden alle Ausgaben gedeckt zu 21,400 durch directe Steuern, U öl, durch indirecte Steuern im Reich, zu 3b durch indirecte Steuern in Preußen und zu 21 ho durch Betriebsüberschüsse. Daraus folge, daß die . der preußischen directen Steuern eine sehr große Lei und bleiben müsse. ;

. Die Grundsteuer wird genehmigt, ebenso ohne Debatte die Hebãudeste uer. Bei dem Titel „Einkommensteuer“ be— merkt

Abg. Rickert of): Die Steuerpflichtige seien seiner Ansicht 3 nicht verpflichtet, lich an die Instructionen des Finanz Ninisters zu halten. Sie könnten ihr Recht bis in die höchste Fnstanz geltend machen, bis zum Ober⸗Verwaltungsgericht. Des⸗ al wolle er es unterlassen, einige interessante Streitfragen hier Rerzubringen. Er wähnen wolle er nur die Verfügung des Finanz Ministers, wonach die Beiträge für Unfallversicherung bei Uiengesellschaften nicht abzugsfähig sein sollten. Das entspreche nicht dr Verschrift des 8.9, welcher in Bezug auf die Frage durch hen Antrag des Abg. Richter abgeändert worden scei. Der Finanz⸗ Ninister mache einen Unterschied zwischen Versicherungékassen und VLersicherungs⸗Actiengesellschaften; ein solcher Unterschied sei aber im Dause nicht gemacht und namentlich vom Abg. Richter ausdrücklich r ückgewiesen worden. Der Minister habe auch damals keinen Widerspruch erhoben.

Finanz⸗-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Wenn ich mich überzeugte, daß ich mich geirr hatte, so würde ich mit dem größten Vergnügen den Wünschen des Derrn Abg. Rickert entsprechen und diese Verfügung wieder abändern, indem ich nicht entfernt glaube, daß ein Minister als solcher in diesen oder andern Dingen unfehlbar ist. Ich kann mich aber trotz der Ausführungen des Herrn Abg. Rickert von der Unrichtigkeit der Auslegung in diesem einzelnen Punkte des Gesetzes nicht über— k und da der Minister entscheiden muß nach Maßgabe seiner Auffassung des Gesetzes, so bin ich nicht in der Lage, bloß weil Andere . Ansicht sind, nun meine Verfügung zurückzunehmen. . Der Herr Abg. Rickert hat ganz Recht, wenn er sagt: präjudieir⸗ lich ind ja diese Verfügungen in Bezug auf die Auslegung des Ge— Fes seitens des Finanz-Ministers überhaupt nicht. Jedem Sreuerpflichtigen steht es frei, trotz der Verfügung des Mi— nisters in diesen Fragen die letzte Instanz, die Entscheidung 4 Ober⸗ Verwaltungsgerichts, anzurufen, und da wird sich 4 zeigen, wer Recht hat. Entscheidet das Ober⸗Verwaltungsgericht sich für die Ansicht des Herrn Abg. Rickert, nun dann wird der Mi— . sich dieser Entscheidung des Ober-Verwaltungsgerichts zu fügen aben . das werde ich dann mit dem größten Vergnügen thun.

( GS ist nicht leicht gewesen, einü Gesetz, wie dieses, welches so viel e X 1sa *; 5 z . * . 3 Tiganisation, so viele Erledigungen von Personalien aller Art, iel Instruetionen und Anweisungen, so viele tägliche Entscheidungen . Correeturen falschen Vorgehens mit sich brachte, vom 24. Juni 1 bis heute so weit in der Durchführung zu bringen, bur ich lann sagen, ich bin meinen Herren Räthen, die mir dabei . Intelligenz, durch ihren unermüdlichen Eifer, durch die y. ö. Abwesenheit jeder Scheu vor der schwersten Anstrengung und

; . eit geholfen haben, im höchsten Grade dankbar. (Bravo) . en, diese Anweisungen, die wir erlassen haben, haben wir von , rein nicht als neue Gesetze angesehen, sondern nur als eine An= He. e der Behõrden bezüglich des Verfahrens bei solchen Fragen, än, e, wir uns sagten: es werden darüber von vorneherein Zweifel it 9 . sind aber so genereller Natur, daß es wünschenswerth

! en Anweisungen die Stellung der Regierung zu diesen Fragen schen ; j

zen zu bezeichnen.

Grundsteuer

generelle Bedeutung haben, haben wir nicht allein in den Anweisungen nicht entschieden, sondern wir haben auch auf das Drängen der Be— theiligten vielfach eine solche Entscheidung abgelehnt. Beispielsweise die sehr praktische Frage, ob das Agio, welches bei der Ausgabe neuer Actien von bestehenden Gesellschaften gewonnen wird, als Vermõgens⸗ zuwachs oder als Einkommen zu behandeln ist eine Frage, die in sehr vielen Landestheilen sehr praktisch hervorgetreten ist haben wir in entscheiden abgelehnt. Wir haben aber unsere Behörden ange⸗ wiesen, vorläufig unserer Auffassung zu folgen und dieses Agio als Einkommen zu behandeln und nicht als Vermögens⸗ zuwachs. Wir haben aber den Betheiligten bei der großen Zweifel⸗ haftigkeit der Frage anheimgegeben, wenn nicht in dem Sinne, den sie für den richtigen halten, entschieden werde, was wir nur wünschen können, diese Frage bis zur höchsten Instanz, dem O ber⸗Verwaltungs⸗ gericht, zu bringen.

Meine Herren, wir können also wohl diese vielen Zweifelsfragen, die bei der ersten Durchführung des Einkommensteuergesetzes entstehen, hier sine ira et studio behandeln. Es sind das alles nur vorläufige Entscheidungen; es wird sich nach und nach eine feste Judicatur in diesen Fragen herausbilden, und dann wird alle Welt, die Steuer— pflichtigen und die Staatsregierung, sich nach dieser Judi⸗ catur richten müssen. Man kann sich auch selbst leicht trösten in diesen Fällen bei einer Entscheidung, die man subjectiv nicht für richtig hält, weil nicht die objective Richtigkeit bei diesen Entscheidungen in vielen Fragen das wesentliche ist, sondern die Gleichmäßigkeit der Handhabung in allen Fällen.

Nun hat der Abgeordnete einen einzigen Punkt, der übrigens gar nicht von so großer Tragweite ist, hier vorgetragen: er hat sich dabei auf die Entstehungsgeschichte, auf die Verhandlungen hier im Hause berufen, mein Herr Commissar wird gleich noch specieller auf die Frage eingehen; ich will hier nur bemerken, daß dieselbe Verwechselung, die ich in der Presse in dieser Frage gefunden, auch hier dem Herrn Abg. Rickert unterlaufen ist. Die ganze Discussion, die sich bei Be⸗ rathung des Gesetzes daran anknüpfte, bezog sich gar nicht auf die Streitfrage, um die es sich hier handelt. Der Herr Abg. Rickert hat das selbst anerkannt, indem er sagt: Von dem Unterschiede zwischen Actiengesellschaften und Kassen war überhaupt gar nicht die Rede, sondern es war die Rede von dem Unterschiede zwischen einer Leistung auf Grund eines Gesetzes oder auf Grund eines Vertrages, und der Herr Abg. Richter glaubte annehmen zu sollen, daß wir nicht solche Leistungen im Auge hatten, die auf Vertrag beruhen. Da habe ich gesagt: es ist nicht nothwendig, das in dieses Gesetz besonders aufzunehmen; das erkennen wir vollständig an, daß, wenn es sich um die im Gesetz bezeichneten Kassen handelt, es gleichgültig ist, ob die Leistung an diese Kasse auf Gesetz oder auf Vertrag beruht. Aber von der Frage, die jetzt allein hier Differenzen hervorruft, von welcher Beschaffenheit diese Kasse sein soll ob es eine Privat⸗Actiengesell⸗ schaft sein kann oder eine öffentliche Kasse sein muß —, von der Frage ist nicht die Rede gewesen. Der Herr Geheime Rath Wallach wird noch näher auf die Sache eingehen. .

Ich glaube, es würde unsere Zeit doch zu sehr in Anspruch nehmen, wenn wir alle die einzelnen Streitfragen, die bei der ersten Ausführung eines solchen Gesetzes auftreten, namentlich über die Frage, was abzugsfähig ist, und über die andere Frage: was ist Vermögenszuwachs? und was ist Einkommen— zuwachs? hier behandeln wollen. Wir haben ja deswegen eben das Ober⸗Verwaltungsgericht eingesetzt, das wird uns in dieser Beziehung die definitiven Wege zeigen.

Die Finanzverwaltung hat aber, glaube ich, durch ihre Anwei—

sung zur Genüge bewiesen, daß sie dieses Gesetz keineswegs in einer kleinlichen, fiscalischen Weise ausgeführt wissen will. Das wird man zugeben müssen, und das ist auch von der Presse sehr vielfach und von der öffentlichen Meinung anerkannt worden. Wir haben jede Art Erleichterung, welche mit dem Gesetz in Einklang zu bringen war, namentlich im ersten Jahre eintreten lassen zu sollen geglaubt. Wir haben uns sehr wohl klar gemacht, daß wir hier der Bevölkerung eine neue und vielfach nicht angenehme Last auferlegen, und daß man nur mit Vorsicht und all— mählich ein solches Gesetz mit allen seinen Consequenzen wird durchführen können; und wir haben auch die Freude gehabt, daß, abgesehen von einigen wenigen Fragen, gegen den großen, all— gemeinen Inhalt unserer Anweisungen und Instructionen von keiner Seite begründete Einwendungen haben gemacht werden können. ö Abg. Dr. Enneccerus (nl. ; Von großer Wichtigkeit sei die rg, wie die. Abnutzung bei Gebäuden berechnet werden solle; die Intscheidung dieser Frage sei von größter Wichtigkeit für die ganze Ausführung der Veranlagung. Der Minister habe verfügt, daß die Abnutzung vom Gebäudewerth berechnet werden solle, aber unter Berechnung der Zinseszinsen. Das sei ein Fehler.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Ja, meine Herren, es gehört diese ganze Frage auch zu denen, die man in einem Colleg besser behandelt, als im Abgeordnetenhause— (Geiterkeit und Bravo! rechts) Nachdem aber hier diefe Frage einmal erörtert ist, möchte ich meine abweichende Meinung gegenüber den Ausführungen des Herrn Abg. Enneccerus doch einigermaßen motiviren. Meine Herren, die Frage des Abzugs der jährlichen Abnutzung vom Gebäudewerth ist an und für sich eine sehr schwierige und wird einmal dereinst vielleicht zu ganz sonderbaren Resultaten führen. Ich bin allerdings der Meinung gewesen, daß, nachdem früher es nicht in der Praxis üblich war, den Besitzern von Gebäuden in Stadt und Land einen Abzug der jähr— lichen Abzugsquote überhaupt zu gestatten, man doch diese Consequenz ziehen mußte, nachdem man die Abnutzung auf Mobilien namentlich auf Maschinen und Werkzeuge bei den Gewerbtreibenden schon vorher längst zugestanden hatte. Wohin wird aber schließlich einmal die Sache führen? Dieser Abzug der jährlichen Abnutzungsquote von dem Einkommen aus Gebäuden ist ja anzusehen als die Ansammlung einer Neubaurente. Man sagt sich: das Gebäude kann 300 Jahre stehen; welche Summe muß ich also mir jährlich zurücklegen, um nach dreihundert Jahren dasjenige Capital angesammelt zu haben, welches eriorderlich ist, daß das Haus neu erbaut wird?

Nun will ich einmal einen solchen Grundeigenthümer verfolgen. Das Haus geht von der einen Hand in die andere, jeder sammelt sich dies Capital an und endlich muß das Haus neu gebaut werden. Mit welchen Mitteln wird es neu gebaut? Entweder mit einer Anleihe, und dann werden dem Staat die Zinsen dieser Anleihe künftig ab⸗ gerechnet, oder mit Aufwendung des eigenen Vermögens, welches bis dahin Rente gebracht hat und in der Ein—

Ei ö . ö ; J ne Reihe anderer sehr zweifelhafter Fragen, die aber nicht diese

so viel geringer, und die Einkommensteuer wird auch geringer. Was ergiebt sich also schließlich in der Praxis? Daß diese Abnutzung dem Staat doppelt abgerechnet wird. Und daher könnte wohl schon der Herr Abg. Dr. Enneccerus einen kleinen Rechenfehler zu unseren Gunsten verzeihen, denn wir kommen immer doch noch nicht aufs Ganze.

Diese Frage ist noch garnicht gelöst, und ob man in Zukunft in der Lage sein wird, auch diese Frage zweckmäßig gesetzlich und in der Praxis zu lösen, steht noch dahin. Aber soviel ist gewiß, daß der Fiscus bei dieser ganzen Sache ein sehr schlechtes Geschäft macht.

Wenn ich eine solche Neubaurente, von der ich sprach, mir an— sammele, so würde doch, wenn ich 300 Jahre einfach dividire mit 300, und das erforderliche Capital nach diesem Divisionserempel mir jedes Jahr zurücklege, ich nach 300 Jahren viel mehr Capital haben, als ich nöthig habe. .

Ich möchte Herrn Dr. Enneccerus bitten, mir zu gestatten, in dieser Beziehung auf eine Jugendschrift von mir zu verweisen. Ich habe bei Gelegenheit des- Streites über das Aus— scheiden des hannoverschen Domaniums in den fünfziger Jahren nachgewiesen, daß die Berechnung des Einkommens aus dem Domanium um deswegen um, wenn ich nicht irre, 124 000 Thaler jährlich unrichtig war, weil Zins- und Zinseszinsrechnung die Hannoveraner, die anwesend sind, werden sich vielleicht noch erinnern nicht zur Anwendung gebracht war.

Nun sagt der Herr Abgeordnete, ja, in der Praxis ist doch das nicht möglich, daß jemand immer diese kleinen Beträge auf Zinsen legt. Nein, er legt sie nicht auf Zinsen, aber er verbraucht sie, während er sonst Capital hätte anleihen müssen, um diesen Verbrauch zu decken. Also gedankenmäßig, theoretisch und practisch ist di Zurlastrechnung der Zins- und Zinseszinsrechnung durchaus richtig.

Meine Herren, ich könnte, wenn ich die Summe von Zweifeln und Differenzen, die in dieser Frage stecken, hier vortragen wollte, noch ganz andere Fragen zur Sprache bringen. Nur ein Beispiel. Wenn wir heute anfangen mit der Einführung der Einkommensteuer und mit der Berechuung der Abnutzung soll die Abnutzung nun berechnet werden nach der Zeit, die ein thatsächlich vorhandenes Ge— bäude von heute ab noch stehen wird? Oder soll die Abnutzung berechnet werden nach der Beschaffenheit des Gebäudes von dem Zeitpunkt an, wo das Gebäude hergestellt istẽ? Wir haben diese zweifelhafte Lage ich erkenne sie als zweifelhaft an in dem letzteren Sinne entschieden; wir haben ein wirthschaftliches Verfahren des Steuerpflichtigen zu Grunde gelegt, und dann muß vorausgesetzt werden, daß der Steuerpflichtige vom Tage des Neubaues an diese Abnutzungsrente zurückgelegt hat.

Meine Herren, es stecken in dieser Sache so viele schwierige Fragen, daß wir auch hier ruhig die gründliche Berathung derselben und die schließliche Entscheidung des Ober⸗Verwaltungsgerichts ab— warten können, und ich wiederhole, es wird vor allem darauf an⸗ kommen, daß diese Fragen in der ganzen Monarchie in allen Ver— anlagungsbezirken gleichmäßig zur Durchführung gelangen.

Abg. Herold Centr.) hält es für nothwendig, daß bei solchen kleinen landwirthschaftlichen Betrieben, wo Haus⸗ und Landwirthschaft nicht auseinander zu halten seien, eine Declaration nicht verlangt, sondern nach allgemeinen Normen eingeschätzt werde.

Finanz⸗Minister Dr. Miquel:

Ja, meine Herren, ich habe über diese Frage schon gesprochen; ich habe bei der ersten Einführung des Einkommensteuergesetzes an— erkannt, daß es eine sehr schwierige Frage ist, wie weit man ziffern⸗ mäßige Angaben in den einzelnen Fällen, namentlich bei den kleineren Landwirthen fordern soll. Aber die Frage steht doch so, meine Herren: Wenn der Herr Vorredner seine Gedanken consequent verfolgt, so muß er dazu gelangen, daß er verlangt: jeder Mensch soll deswegen von der ziffermäßigen Angabe seines Einkommens frei bleiben, weil er es vorgezogen hat, keine Bücher zu führen. Es ist der Schlußsatzu in dem Augenblick, wo jemand, ob absichtlich oder unabsichtlich, über seine Einnahmen und Ausgaben keine Bücher führt, wo das Gedächtniß ihn auch verläßt, würde er schließlich sagen: ich kann nicht declariren, ich überlasse die Schätzung der Commission. Wenn Sie den Satz so hinstellen, werden Sie gleich zugeben, geben wir das Declarationsprincip einfach auf. So⸗ weit können wir garnicht gehen. Gewiß, der kleine Landwirth hat bisher nicht ordnungsmäßig Bücher geführt, und es mag in vielen Fällen für ihn das sehr schwierig sein, aus dem Gedächtniß sich richtig das zu construiren, obwohl bei kleinen Betrieben das viel leichter ist als bei großen Be⸗ trieben. Eben deswegen haben wir auch in der Instruction gesagt, man soll namentlich in den ersten Jahren hier nicht allzu schroff und allzu streng verfahren. Wir haben diese Schwierigkeiten sehr wohl berücksichtist. Wenn ich nun früher bereits sagte, man hätte diese Instruction so gefaßt, weil hervorragende Landwirthe wünschten, daß darin ein Anreiz zu der Einführung einer zweckmäßigen landwirthschaftlichen Buchführung erhalten bleiben soll, so ist das allerdings kein entscheidender Gesichtspunkt gewesen, sondern der entscheidende Gesichtspunkt ist gewesen, die nach dem Gesetz vorhandene Declarationspflicht thatsächlich durchzuführen, und nur soweit ist eine Ausnahme zugelassen, als nach der Natur des Ein— kommens im einzelnen Falle dasselbe nur durch Schätzung festgestellt werden kann; z. B. der Werth eines von dem Steuerpflichtigen selbst bewohnten Hauses, das ist keine Thatsache, das kann man nicht durch Buchführung und nicht durch das Gedächtniß ermitteln, sondern das ist eine Werthsfrage, die nur durch Schätzung festgestellt werden kann. Aber allerdings bin ich der Meinung, daß man diese sehr bedeutenden wirthschaftlichen wenn ich so sagen darf Nebenvortheile, daß in diesem ganzen Steuersystem eine directe Aufforderung zu einem Bewußtwerden seiner eigenen wirthschaftlichen Lage, zu einer Auf— zeichnung von Ausgaben und Einnahmen liegt, daß man das wahr— haftig nicht geringschätzen darf. Wir wollen uns in zwanzig Jahren, wenn wir da noch leben, wieder sprechen, in welcher Weise in Preußen die Leute sich ihrer eigenen Verhältnisse schärfer und klarer bewußt werden als heute, und in so fern ist die Bestimmung wohl durchaus begründet. Meine Herren, diese Frage ist aber nicht bloß bei den kleinen Landwirthen eine brennende Frage; bei dem kleinen Handwerker, der bisher nicht ordnungsmäßig buchgeführt hat, liegt die Sache genau so. (Sehr richtig! rechts.) Das ist also in allen Ständen und Klassen, es wird überall dieselbe Frage wieder auftauchen, das ist eben Sache des verständigen Tactes und des vernünftigen Ermessens der Vorsitzenden der Veranlagungs⸗ commissionen, wie sie über solche Schwierigkeiten thatsächlich hinweg⸗ kommen. Aber was die grundsätzliche Instruirung betrifft, die gesetz=

kommensteuer auch versteuert wurde, und dann wird diese Rente um

mäßige Durchführung der gesetzlichen Vorschriften, da kann unsererseits