2 Uebungen nur ausnahms⸗ erlicher Verordnung einberufen werden. Diese Beschränkung findet jedoch keine Anwendung auf die⸗ jenigen, welche a. infolge eigenen Verschuldens verspätet in den activen Dienst getreten sind. Die übrigen Kategorien kämen hier nicht in Betracht. Es sei dem Kriegs⸗Ministerium im Frübjahr vorigen Jahres die Frage vorgelegt worden, ob auch Mannschaften, die auf eigenen Antrag verspätet in den activen Dienst eingetreten seien, der Vergünstigung dieses Paragraphen theilhaftig werden sollten. Die Verhandlungen bei der Berathung des Gesetzes hätten keinen Aufschluß darüber gegeben. sondern die Be⸗ stimmung sei übernemmen aus der preußischen Landwehrordnung vom Jahre 1867. Man habe sich nun gesagt: dieses Verschulden brauche ja kein strafbares zu sein; es heiße „infolge eigenen Ver⸗ schuldens.!. Die Leute müßten also schuld daran sein, .. sie so spät in den activen Dienst eingetreten seien. Wenn sie selbst bean⸗ tragten, daß sie so verspätet einträten, so sei das ihre eigene Schuld. Es kämen nicht allein in Betracht Einjährig-Freiwillige, die wenige Jahre zurückgestellt seien, sondern auch alle Mannschaften, die in Berücksichtigung ungestörter Vorbereitung für ihren Lebens— beruf zur Zurückstellung gelangten. Es geschehe dies nicht allein bis zum fünften Militärjahre, fondern eventuell bis zum 1. Oktober des siebenten Militärpflichtjahres. Der Abg. Richter habe bereits ausgeführt, daß es ja eine Vergünstigung sei, wenn Einjährig-Frei⸗ willige vom Dienst zurückgestellt würden, um sich für ihren Beruf vorzubereiten; eine Doppelvergünstigung würde darin bestehen, wenn man diesen Mannschaften auch noch eine Erleichterung in den Uebungen zu theil werden ließe, oder sie ganz davon befreite. Ein⸗ jährig⸗- Freiwillige, welche bis zum siebenten. Militärpflicht⸗ jahre zurückgestellt seien, würden überhaupt keine Uebung in der Landwehr mehr abzuleisten haben. Das Kriegs⸗-Ministerium habe mit seiner Auffassung in Uebereinstimmung gestanden mit der Auffafsung in der älteren Zeit. Aber der Instanzenzug sei noch nicht erschöpft. Man sei jetzt verpflichtet, da hier Zweifel erhoben seien, an den Reichskanzler zu gehen und ihn zu bitten, eine authen— tische Interpreiation der Gesetzesstelle zu geben. Er glaube also, , zur Annahme dieses Antrages eine Veranlassung noch nicht vorliege.
Abg. Hinze (dfr.): Nach den bestehenden Vorschriften könnten diejenigen Einjährig⸗Freiwilligen, welche bei der Vorbereitun zu ihrem Lebensberuf, durch eine Unterbrechung bedeutenden Nachtheil erleiden würden, diesen Ausstand erhalten; sie hätten aber im übri⸗ gen Nas Recht, so behandelt zu werden, als wären sie vor dem 3B. Jahre eingetreten. Wenn der Reichskanzler eine authentische Interpretation geben werde, so hoffe er (Redner), daß der Reichs⸗ kanzler sich mehr seiner Auslegung zuneige, als der der preußischen Militãrverwaltung, ö.
Darauf wurden der Antrag der Budgetcommission und der Antrag Richter angenommen.
Beim Capitel Militär-Justizverwaltung beantragt die Budgetcommission: /
Die verbündeten Regierungen zu ersuchen: I) die Militär⸗ Strafproceßordnung baldigst einer Reform, namentlich in der Richtung einer größeren Seffentlichkeit des Verfahrens, zu unterwerfen, 2) die Bestimmungen über das Beschwerderecht der Militärpersonen, namentlich in der Richtung einer Er— leichterung dieses Beschwerderechts, einer Revision zu unterziehen, 3) auf die Pflege religiösen Sinnes unter den Angehörigen des Heeres, sowie im gesammten Volksleben, insbesondere bei der Erziehung der Jugend, thunlichst hinzuwirken.
Außerdem beantragen die Abgg. Dr. Buhl (ul.) und Räch ter (dfr.), unterstützt von nationalliberalen und freisinnigen Abgeordneten, den Antrag der Budgetcommission durch fol— genden zu ersetzen:
Im Interesse der größeren Sicherstellung einer angemessenen Behandlung der Soldaten durch ihre Vorgesetzten erfcheint es dringend erforderlich, die Bestimmungen über das Beschwerde— recht der Militärpersonen einer Revision zu unterziehen und ins— besondere mißhandelte Soldaten zur Erhebung der Beschwerde zu verpflichten; bei der in Aussicht genommenen Reform der Militär— Gerichtsverfassung und Militär⸗Strafprozeßordnung die Grundsätze der Ständigkeit und Selbständigkeit der Gerichte, sowie der Sef⸗ sentlichkeit und Mündlichkeit des Hauptverfahrens, wie ö. sich im Königreich Bayern bewährt haben, zur Geltung zu
ringen.
. Dr. Casselmann (nl): In der Presse sei ein Erlaß des Prinzen Georg, commandirenden Generals des sächsischen Armee— Corps, veröffentlicht, dessen Inhalt eine ganze Reihe von Mißhand— lungen von Soldaten durch Vorgesetzte bilde, die an Grausamkeit und Rehheit alles bisher Tagewesene weit hinter sich ließen. Infolge dieser Veröffentlichung sei eine tiefe Beunruhigung weit über die sächsischen Kreise hinaus eingetreten, und das sei begreiflich. Der Erlaß als Ausfluß eines edlen, von wahrer Gerechtigkeit erfüllten, echt ritterlichen Sinnes stehe auf dem Standpunkt rückhaltlosester Verurtheilung. Das sei in höchstem Grade anerkennenswerth. Ob dieser Erlaß die Wirkung haben werde, die man von anderer Seite ihm zuschreibe, das möchte er hoffen, aber er könne es nicht glauben, weil schon Erlasse ähnlicher Art nicht die gewünschten Wirkungen gehabt hätten. Das Uebel liege viel tiefer, es müßten andere Heil— mittel gefunden werden. Es sei darauf hingewiesen worden, daß man Abhilfe schaffen könne durch größere Pflege der Religiosität in der Armee. Seine Partei sei die letzte, die es nicht für nothwendig hielte, daß auch Religion in der Armee erhalten bleibe, aber sie gebe sich in dieser . keinen Illusionen hin. Von der Ab— haltung von Abendandachten oder gar von der Errichtung con— fessioneller Unteroffizierschulen erwarte seine Partei keine Abhilfe, wohl aber durch den Antrag, den seine Fraction gemeinsam mit den Frei⸗ sinnigen gestellt habe, in zweifacher Hinsicht: einmal dadurch, daß die Bestimmungen über das Beschwerderecht revidirt, und zweitens, die Militärgerichtsverfassung nach den in Bayern geltenden Normen abgeändert werde. Es müsse zu— gegeben werden, daß das zur Zeit bestehende Beschwerderecht die besten Absichten habe, und daß die Militärbehörden bestrebt seien, eine xichtige Ausführung dieses Beschwerderechts zu gewährleisten. Praktisch lägen die Sachen aber anders. Nicht selten scheue sich der Soldat davor, Gebrauch von seinem Beschwerderecht zu machen, weil er sich sage, wenn er auch Recht bekomme, so habe er es für die Zukunft im Dienst doch nur noch schlechter. In der Praxis kämen ja solche Fälle vor. Wenn der Mann auch nicht gerade neuen Miß— handlungen ausgesetzt sei, so gebe es doch andere Mittel und Wege ganz correcter Art, wie man einen mißliebigen Untergebenen seinen Unmuth fühlen lassen könne. Die Resolution wolle neben dem Beschwerderecht eine Anzeigepflicht der Soldaten statuiren, deren Unterlassung bestraft werde. Dann würden die Vorgesetzten nicht mehr so geneigt sein, den Beichwerden nicht ihren Lauf zu lassen, und die Soldaten würden mehr Muth haben, sich zu beschweren. Das Subordi⸗ nationsverhältniß zwischen Vorgesetzten und Untergebenen werde dadurch nicht untergraben und auch kein Denunciantenthum in der Kaserne großgezogen werden, wohl aber würden sich die Miß— handlungen vermindern. Ein Gesetz wäre dazu nicht nöthig, es könnte durch kriegs ministerielle Ordre gemacht werden. Sodann wünsche die Resolution den Erlaß einer Reichs⸗Militärgerichtsordnung auf Grund⸗ lage der wesentlichen Formen des ordentlichen Strafprocesses. Die furchtbare Beunruhigung durch den sächsischen Erlaß wäre beim Be⸗ stehen einer solchen unmöglich gewesen. Man verstehe es im Volke nicht, namentlich nicht in Bayern, warum die Militärperwaltung trotz des Art. 61 der Verfassung, trotz der dringenden Anregungen in diesem Dause und trotz wiederholter Zusicherungen vom Reglerungstische eine solche Vorlage noch nicht gemacht habe. Allerhand Gesetze kämen durch guten Ville und gegenseitige Concessionen zu stande, nur diese Sache verschleppe sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, denn man wolle
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die durchaus igte Concession der Oeffentlichkeit des Verfahrens nicht machen. Die bayerische Militãrgeri nung entspreche bezüglich der Ständigkeit der e, der chkeit und Münd⸗ lichkeit des Verfahrens durchaus den Anforderungen eines modernen Gexichtsverfahrens. Sollte das zu erlassende Reichsgesetz diesen An⸗ ferderungen nicht genügen, so bedeute das für Bayern einen Rück= ae. der allerbedenklichsten Art. Daher beherrsche zur Zeit keine andere Frage des öffentlichen Lebens dort so sehr die gesammte politische 2 und man sehe deren Lösung mit großer Span⸗
. aber auch mit großer Besorgniß entgegen. Im Interesse einer
unabhängigen Rechtspflege wäre es zu bedauern. wenn das ae g auf den Grundlagen der preußischen Militärgerichts⸗ ordnung aufgebaut werden sollte. Er sei durchaus kein Parti⸗ cularist, am wenigsten auf militärischem Gebiete, denn er wisse, was Bayern Preußen in dieser Beziehung verdanke, und er sei stolz, noch heute ein Angehöriger der preußischen Armee zu sein; aber auf dem Gebiet der militärischen Rechtspflege sei Preußen weit hinter den Fertschritten anderer Staaten, namentlich Bayerns, zu⸗ rückgeblieben, denn eine Preceßordnung ohne die in der Resolution Buhl⸗Richter bezeichneten Grundlagen ö, nicht in einen Rechts⸗ staat in welchem der Grundsatz der Gleichheit aller Staatsangehörigen vor dem Gesetze gelte, und keine dieser Grundlagen sei in der preu⸗ gischen Militärgerichtsordnung enthalten, wohl aber in der bayerischen. Vor kurzem habe man gelesen, daß in Köln ein deutscher Marine— soldat wegen Lines militärischen Verbrechens zum Tede verurtheilt und die Todesstrafe an ihm vollzogen sei. Die Militärbehörde habe sich schließlich, nachdem sie längere Jeit geschwiegen, zu einer officiellen Berichtigung veranlaßt gesehen. Dahin führe also die Heimlichkeit des preußischen Verfahrens, daß am Ausgang des 19. Jahrhunderts in Deutschland einer zum Tode verurtheilt und das Urtheil vollstreckt werden könne, ohne daß jemand etwas davon erführe. Die Zahl der Miß handlungen habe sich in Bayern von Jahr zu Jahr verringert, wie in der hayerischen Kammer ausdrücklich constatirt sei., Er bitte, mit möglichst großer Majorität dem Antrage Buhl⸗Richter zuzustimmen.
Inzwischen ist vom Abg. Pr. von Gagern (Centr)) der Antrag eingelaufen, den ersten Absatz der Resolution zu fassen: Der Reichstag wolle beschließen, zum Zwecke sichernder Für—
sorge für eine angemessene Behandlung der Soldaten“ u. s. w. und die Worte hinzuzufügen: „unbeschadet der in Bayern bereits bestehenden Regulirung“. . . ö
Abg. Rich ter (dfr.) hen nttgg im dritten Absatz vor den Worten „auf die Pflege“ die Worte voranzustellen: „unter Beseitigung des Duellwesens“.
Königlich enn, Oberst von Schlieben: Der Vor— redner habe me rfach auf eine Ordre Bezug n welche don dem commandirenden General des Königlich achsischen Armee⸗ Corps im Sommer vorigen Jahres erlassen worden sei und deren Inhalt lich vor kurzem in hiesigen Zeitungen wörtlich abgedruckt finde. Diese Ordre sei nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt wesen, sie sei auch ausdrücklich als geheim bezeichnet worden. Nach den Be⸗ stimmungen aber, welche für die Behandlung derartiger Schriftstücke beständen, könne die Veröffentlichung nur durch einen unerhörten Vertrauensbruch ermöglicht worden lein. Nur unter diesem Gesichts— punkte habe die Königlich sächsische Militärverwaltung die Veröffent⸗ lichung zu beklagen; im übrigen sei sie aber der Ansicht. daß die Qrdre selbst die Oeffentlichkeit nicht zu scheuen habe. Der Inhalt der Ordre sei ein so klarer, er spreche eine so beredte Sprache, daß er nicht näher auf denselben einzugehen brauche. Er könne sich auf wenige Bemerkungen beschränken. Die in der Ordre besonders auf— geführten Mißhandlungsfälle seien zusammengesucht und zusammen— getragen als die weitaus schlimmsten unter einer Anzahl von Aus— schreitungen, welche im Laufe mehrerer Jahre vorgekommen seien. Es würde ein großer Irrthum sein, anzunehmen, daß die übrigen in der Ordre nicht näher bezeichneten Fälle jenen wahrhaft empörenden Brutalitäten an die Seite zu stellen waͤren. Die Auswahl gerade dieser Fälle sei in der Absicht erfolgt, eine abschreckende und dadurch fördernde Wirkung zu erzielen; und er dürfe hinzufügen, daß diese Absicht in vollstem Maße erreicht worden sei. Die Ordre habe durch die in den Acten citirten Thatsachen einen Sturm der Entrüstung im ganzen. Armee Corps hervorgerufen. Dementsprechend sei auch schon jetzt eine entschieden günstige Wirkung der Ordre zu constatiren. Fälle roher Mißhandlung seien seitdem nicht mehr zu verzeichnen gewesen. Andererseits sei aber die Erscheinung an den Tag getreten, daß Ausschreitungen, welche aus der Zeit vor Erlaß der Ordre datirten, noch nachträglich zur Meldung und Untersuchung gebracht worden seien. Ferner seien in der Ordre auch die Strafen näher bezeichnet, welche den betreffenden Unteroffizieren auf gerichtlichem Wege zuerkannt werden seien. Angesichts des Zweckes, welchen die Ordre verfolgt, halte er es für richtig und angemessen, hier aus⸗ drücklich ausöusprechen daß sich die Ahndung der angeführten . handlungen nicht auf die Thäter selbst beschraͤnkt habe, daß vielmehr auch diejenigen Offiziere, welchen ein Verschulden hieran beizumessen sei, in der schärfsten Weise zur Verantwortung gezogen worden seien. (Beifall. Der Reichstag werde aus dem Inhalt der Ordre ersehen, daß der feste Wille bestehe, die Wiederkehr solcher Vor— kommnisse unter allen Umständen und mit allen Mitteln zu ver⸗ hindern; und er dürfe hierbei seiner Ueberzeugung dahin Ausdruck geben, daß die hier vorliegende eindringliche und ergreifende Mahnung von einer Stelle aus, welcher das denkbar höchste Maß der Ver— ehrung im ganzen sächsischen Contingent (Beifall) gezollt werde, ihren Zweck sicherlich nicht verfehlen könne. (Beifall.)
Reichskanzler Graf von Caprivi:
Der früheren Gepflogenheit würde es entsprochen haben, wenn bei Initiativanträgen aus dem Hause der Reichskanzler das Wort nicht ergriffe. Angesichts der Beunruhigung, die der Herr Abg. Dr. Casselmann so drastisch dargestellt hat und deren Dasein ich nicht in Abrede zu stellen im stande bin, angesichts der indirecten Angriffe, die der Herr Abgeordnete gegen die preußische Verwaltung gerichtet, deren Chef heute leider durch Krankheit verhindert ist, hier zu sein, sehe ich mich indeß veranlaßt, das Wort zu nehmen.
Zunächst ist unter uns allen ja darüber Einverständniß, daß die Mißhandlungen, die Gegenstand zu der Debatte geben, überaus beklagenswerth sind. Ich brauche darüber kein Wort zu verlieren. Sie sind vielleicht von Standpunkt des Militärcommandos noch beklagenswerther, als von irgend einem anderen, denn sie erschweren die Aufrechterhaltung von Zucht und Ordnung in der Truppe, das, woran niemand anders ein so starkes Interesse hat, als das Militär— commando. Also darüber sind wir alle einig, ich verliere kein Wort weiter darüber. Beruhigend kann für den Herrn Abgeordneten viel— leicht sein, daß die Dinge doch auch bei dem heimlichen norddeutschen Verfahren zu Tage gekommen sind und daß sie eine Ahndung gefunden haben, wie es bei dem bayerischen Verfahren vielleicht nicht schärfer der Fall gewesen sein könnte.
Wenn der Herr Abgeordnete aus dem Umstande, daß acht Tage durch die Zeitungen die Nachricht ging, in Köln wäre ein Marine— soldat erschossen worden und das habe die Welt beunruhigt, ein Moment gegen das preußische Verfahren herleitet, so sehe ich nicht ein, wie sich Leute über so etwas beunruhigen können, und ich sehe nicht ein, wie diese Beunruhigung sich anders gestalten sollte bei einem andern Verfahren. Wenn jemand in der Zeitung lügt, und dem wird nicht widersprochen, so läßt sich nicht verhindern, daß solche Lügen üble Folge haben. Wir sind aber auf der andern Seite weder gewillt noch verpflichtet, gegen jede Lüge öffentlich aufzutreten, und
ich habe schon früher einmal an dieser Stelle gesagt, ich könnte einen
eigenen Beamten halten, der alle Tage das dementirte, was von dem
— — —
wü
Reichskanzler allein gesagt wird; das würde allein einen Mann be.
schäftigen können.
Also dieser Kölner Fall beweist nach meiner Ansicht für e Herrn Vorredner garnichts.
Der Herr Vorredner hat die Ansicht ausgesprochen, in Bayern hätte man die beste Erfahrung gemacht dank des vorzũglichen baye⸗ rischen Verfahrens, dessen Vortheile nicht anzuerkennen mir fern liegt; — ich habe selbst einmal die Ehre gehabt, baverische Truypen zu commandiren; ich bin diesen Verhältnissen näher getreten. Ich wünsche von dem Herrn Abgeordneten nur, daß er dem vreußischen Verfahren eine ebenso unparteiische Beurtheilung entgegen bringt wie ich dem bayerischen, und vielleicht verhelfe ich ihm in diesem Falle zu einer solchen Unparteilichkeit dadurch, daß ich ihm sage: das Zurückgehen der Strafen wegen Mißhandlung von Unter gebenen, was er dem bayerischen Verfahren als eine Folge vindicirt existirt in Preußen thatsächlich auch seit einer Reihe von Jahren die Fälle wegen Mißhandlung gehen bei uns constant herunter. Ih kann also nicht zu dem Schluß kommen, daß diese Thatsache die Folge des einen oder des anderen Verfahrens sein soll.
Nun muß ich schon bei der eingehenden Weise, mit der der Herr Abgeordnete sich mit dem nichtpreußischen Verfahren beschäftigt hat, um die Erlaubniß bitten, auch darzustellen, wie denn die Dinge bei uns in diesem Falle liegen.
Es existirt eine Cabinetsordre vom 6. Februar 1890, die in Preußen ziemlich bekannt ist; ich bitte aber doch um die Erlaubnif, sie verlesen zu dürfen. Sie handelt über die gleichen Dinge und heißt:
Ich habe aus den Mir von den commandirenden Generalen eingereichten Nachweisungen über die Bestrafungen wegen Mißhand⸗ lung Untergebener ersehen, daß die Bestimmungen der Ordre dom 1. Februar 1843 noch nicht durchweg in dem Geist aufgefaßt und gehandhabt werden, in dem sie gegeben worden sind. In Meiner Armee soll jedem Soldaten eine gesetzliche, gerechte und würdige Behandlung zu theil werden, weil eine solche die wesentlichste Grundlage bildet, um in demselben Dienstfreudigkeit und Hin gebung an den Beruf, Liebe und Vertrauen zu den Vorgesetzten z wecken und zu fördern. Treten Fälle von fortgesetzten systematischen Mißhandlungen Untergebener hervor, so haben Mir die comman— direnden Generale bei Einreichung der Nachweisungen zu berichten, welchen Vorgesetzten die Verantwortung mangelhafter Beauß— sichtigung trifft, und was ihrerseits gegen denselben veranlajt worden ist.
Sie haben hiernach das Erforderliche zu veranlassen und den commandirenden Generalen auch die Bemerkungen, zu welchen Mir die letzten Nachweisungen Anlaß gegeben haben, zugehen zu lassen.
Berlin, den s. Februar 1890.
(gez) Wilhelm.
Diese Ordre bezieht sich also auf eine Ordre von 1843, und so lange ich denken kann, existirt in der preußischen Armee die Be— stimmung, daß früher die alte Ordre, jetzt wahrscheinlich die neue Ordre den Unteroffizieren und Offizieren vor jeder Rekruteneinstellung vorgelesen und eingeschärft wird (Zurufe); trotz alledem sind Miß— handlungen nicht aus der Welt zu schaffen gewesen, und — das erkennt der Herr Vorredner auch an — weder durch Ermahnung, noch durch öffentliche Verhandlung solcher Dinge wird die menschliche Natur geändert werden. Es wird immer, wie er ganz treffend sagte, rohe und heftige Menschen geben. Das wird unter dem einen Verfahren so bleiben, wie unter dem andem. Ich constatire aber hiermit, daß in Preußen seit dem Jahre 186 von dem Monarchen darauf hingewirkt worden ist, die Zahl solcher Fälle zu reduciren.
Wir haben die Bestimmung, wonach Strafbücher geführt werden bei allen Compagnien und Escadrons; diese Strafbücher werden rewi— dirt seitens der Vorgesetzten mit einer Peinlichkeit, wie sie, glaube ich, selten wieder vorkommt, und gegen die man schon das Bedenken erhoben hat, daß, weil die Controle der Hauptleute, der Comwpagnie— Chefs in Bezug auf ihre Bestrafungen eine so starke wäre, sie die Lust am Bestrafen ganz verlieren könnten und lieber eine Sache laufen lassen, als sich dieser unausgesetzten scharfen Controle, diesem Erwägen des Für und Wider bei jeder einzelnen Bestrafung auszu— setzen. In dieser Beziehung ist nach meinem Dafürhalten auch nicht gefehlt worden.
Es ist aber anzuerkennen, daß der Beruf der Offiziere und der Unteroffiziere ein schwerer ist, daß er immer schwerer geworden ist, und die verbündeten Regierungen werden es an dem Ihrigen nicht fehlen lassen, um dahin zu wirken, daß nach dieser Richtung eine Er— leichterung eintreten kann. Wenn Sie sich in die Lage eines Haupt— manns versetzen, so werden Sie, glaube ich, zugeben müssen, sofer Sie die Verhältnisse überhaupt kennen, daß er in einer Weise in Anspruch genommen ist, wie überhaupt kaum ein anderer Beamter. (Sehr richtig!)
Er ist nicht im stande, seine Untergebenen Tag und Nacht so ju überwachen, daß einzelne Fälle von Mißhandlungen nicht vorkommen können. Wenn wir aber entweder die Zahl der Offiziere vermehren oder aber sie nach anderer Richtung erleichtern können, wenn wir den Stand unserer Unteroffiziere zu heben im stande sind, so werden wir darin auch eins der Mittel finden, nicht ein Palladium für alle Fälle, aber eins der Mittel, die nach dieser Richtung mitwirken können. (Hört! hört! rechts.) .
Bei den sehr schroffen Fällen — und Fälle, wie sie in der Ke niglich sächsischen Armee vorgekommen sind, sind ja auch anderwart vorgekommen, — ich erinnere an die Broschüre eines Herrn Abel; ic glaube, er hat bei einem Train-Bataillon gestanden — bei den sebr schroffen Fällen also habe ich die Ueberzeugung, daß oftmals ein gemisse Grad von geistiger Störung die Ursache zu den Ausschreitungen seiten⸗ der Vorgesetzten ist; in dem Falle, der den Herrn Abel veranlat hat, in der Presse thätig zu werden, ist der Irrsinn des Vorgesetzten constatirt worden; er ist in ein Irrenhaus gebracht worden. ö
Es werden immer solche Fälle übrig bleiben; Sie werden si durch kein Verfahren ganz aus der Welt schaffen können. Aber . allen deutschen Staaten, so gut in Preußen, in Sachsen wie in Bayern, herrscht das Bestreben der Vorgesetzten, und es wird m allem Ernst danach getrachtet, diese Fälle aus der Welt zu schaffen.
Nun habe ich mich doch fragen müssen: wie kommt es, in dem Antrag Buhl-Richter von einem Theil der unterʒeichtet diesen Fragen gegenüber eine schroffere Stellung eingenommen wird als das bisher der Fall gewesen zu sein scheint? Ich babe 3. letzten Antrag, der noch im November des vorigen Jahres o den Abgg. von Marquardsen, von Cuny und Schneider en
2 ift, vor mir; der ist milder in der Form und schlieit
unit dem Satze: es sollte dies alles geschehen, soweit nicht besondert militãrdienstliche Interessen Ausnahmen nothwendig er⸗ cheinen lassen·. Dieser Saß fallt hier fort, und, wenn ich mich nun n dem Inhalte der Interpellation oder zu der Form der Inter⸗ pellation selbst wende, so muß ich sagen: sie hat eine in hohem Grade schroffe Form angenommen. (Oh! links) Ich kann die Besorgniß nicht unterdrũcken, daß durch diese Form der Behandlung der Materie nicht gedient ist (Sehr richtig! rechts), daß, wenn in der Weise weiter egangen wird, wir da anderen Leuten in die Hände arbeiten, die vielleicht mal nach Ihnen kommen werden. (Sehr richtig! rechts und im Centrum. Ach! links.) Ich kann nicht umhin, zu beklagen, daß die Herren, die jetzt nach drei Monaten eine so andere Stellung ein⸗ genommen haben, wie mir scheint da pflũgen, wo andere ernten werden. (Sehr gut! rechts. Oh! links.)
Der Herr Abgeordnete hat sich dagegen verwahrt, es sei keine einseitige Parteipolitik dabei getrieben worden. Ich kann mich dem Eindruck nicht ganz verschließen, daß ein gewisses Quantum Partei— politik hier mitgespielt hat. (Ach! ach! links.)
Wenn das die Bemerkung war, die ich an den Eingang des Vortrags knüpfe, so wende ich mich nun zu der Frage des Beschwerde— rechts, die in dieser Resolution so gut wie in der von der Commission beantragten besprochen wird. Der Beschwerdeweg ist in der deutschen Armee ein geregelter. Der 5 117 des Militärstrafgesetzbuchs sagt: Ein Vorgesetzter, welcher einen oder mehrere Untergebene mit
Androhung nachtheiliger Folgen oder durch andere widerrechtliche Mittel von dem Führen oder Verfolgen von Beschwerden abzu— halten sucht, oder eine an ihn vorschriftsmäßig gelangte Beschwerde, zu deren Weiterbeförderung oder Untersuchung er verpflichtet ist, unterdrückt oder zu unterdrücken versucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft; zugleich kann auf Dienstentlassung oder Degradation erkannt werden.
Ich glaube, daß der Paragraph an Schärfe nichts zu wünschen übrig läßt; ich will hier bemerken, daß er in dem ersten Entwurf des Strafgesetzbuches von 1872 sich nicht befand, sondern erst durch den Abg. Herrn Lasker in das Strafgesetzbuch gebracht worden ist. Ich glaube, daß der Paragraph noch heute nach der Richtung, Beschwerden zum Ausdruck kommen zu lassen, sie nicht unterdrücken zu lassen, thut, was geschehen kann.
Man hat aber schon damals erkannt, daß die Sache auch eine Kehrseite hat; und da, glaube ich, weicht mein Standpunkt von dem des Herrn Abg. Casselmann ab, der der Meinung zu sein schien: nur immer beschweren! es kann eigentlich nicht genug darin geschehen. Des hat aber im praktischen Leben seine Bedenken: es kann auch zu diel und unbegründet Beschwerde geführt werden, — und dann allerdings geht es auf Kosten der Disciplin. Diesem Bedenken Rechnung tragend, sagt der § 152 desselben Strafgesetzbuches:
Wer wider besseres Wissen eine auf unwahre Behauptungen gestüzte Beschwerde anbringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahre bestraft.
Wer wiederholt und leichtfertig auf unwahre Behauptungen gestützte Beschwerden, oder wer eine Beschwerde unter Abweichung von dem vorgeschriebenen Dienstwege einbringt, wird mit Arrest bestraft.
ift weiß nicht, wie man zur Aufrechterhaltung der Disciplin einen solchen Paragraphen wollte entbehren können. (Bewegung links) Das aber, was die Herren beantragen, würde dahin führen. Widerspruch links) Ich werde mir erlauben, des weiteren noch darauf zu kommen.
Nachdem das Strafgesetzbuch erlassen war, sagte man sich: wenn hier ein Abweichen von dem vorgeschriebenen Beschwerdewege mit scharfen Strafen bedroht ist, so ist das erste: es muß ein Beschwerde— weg festgestellt werden. In der preußischen Armee hatte bis dahin wie in vielen anderen Dingen der Usus, das historisch Gewordene die Entscheidung gehabt; man hatte dabei gut gelebt. Das Straf— gesetzbuch nöthigte die preußische Militärverwaltung, in die Frage einzutreten: muß nicht ein Beschwerdereglement geschaffen werden? und wie soll es beschaffen sein? Es wurde eine Commission zusammen— gesetzt von Offizieren aller deutschen Staaten. Diese Commission redigirte ein Beschwerdereglement, was noch heute, nach zwanzig
Jahren, in Geltung ist, und — ein unendlich seltener Fall
zwanzig Jahre in unveränderter Haltung geblieben ist, also ein Be⸗ weis dafür, daß diesetz Beschwerdereglement, was in Preußen und, so viel ich weiß, auch in Bayern eingeführt ist, den Bedürfnissen durchaus genügt hat. Dieses Beschwerdereglement setzt weitläufig fest, wie Offiziere und im Offizierrange Stehende sich zu beschweren haben. Da ist zuerst ein Weg der dienstlichen Vermittelung ein— zuschlagen. Bleibt der Weg erfolglos, dann tritt die Beschwerde ein, die schriftlich oder mündlich auf diesem oder jenem Wege überreicht wird. Man hat das Gefühl gehabt, daß für die Mannschaften die Beschwerde erleichtert werden müsse, und dem giebt § 20 dieser Vor— schriften über den Beschwerdeweg Ausdruck, indem er sagt:
Unteroffiziere und Gemeine, sowie die Unterärzte, welche sich über einen Vorgesetzten beschweren wollen, machen ihrem Feldwebel oder Wachtmeister mündliche Meldung.
. Ich halte es nicht für möglich, den Beschwerdeweg für Gemeine in eine gangbarere Form zu bringen, als diefe. Der Feldwebel und Wachtmeister ist der Mann, den der Soldat alle Tage sieht; man hat geflissentlich nicht den Corporalschaftsführer genommen, weil man ich sagte, da kommen schon einmal Dinge vor, die zur Vertuschung führen können; wir wollen den Feldwebel nehmen, an den soll der Mann gehen, der bringt die Sache an den Hauptmann.
. Ich kann also die Ueberzeugung aus dem, was ich gehört und über die vorliegenden Fälle in den Zeitungen gelesen habe, nicht ge— binnen, daß in Bezug auf die Regelung des Beschwerderechts und Beschwerdeweges für unsere Mannschaften irgend etwas versäumt oder besser zu machen wäre.
Was wird uns nun vorgeschlagen? Zunächst habe ich eine for⸗ melle Bemerkung zu machen. Es heißt hier, und das wiederholt sich auch in dem Vorschlage der Commission: Die verbündeten Regierun— gen sollen aufgefordert werden, den Beschwerdeweg zu regeln. Das aber ist nicht Sache der verbündeten Regierungen oder des Bundes— raths, sondern die Regelung des Beschwerderechts und eine Aenderung des Beschwerdereglementg, wenn sie nothwendig werden sollte, ist aun Seiner Majestät des Kaisers, vorbehaltlich der Reservatrechte. Denn das Reichs-Militärgesetz sagt im § 8: .
Die Vorschriften über die Handhabung der Die ciplin im Heere werden vom Kaiser erlassen.
Also der Bundesrath hat mit der Dißciplin im Heere nichts zu thun. Es ist auch ganz natürlich, wie kann eine solche Versammlung die Disciplin regeln, über Disciplin in der Armee befinden? Es existirt auch darüber kein Zweifel, und ich könnte Ihnen, wenn ich wollte, Laband anführen, daß die Auffassung bisher immer dahin unbestritten gegangen ist, daß die Disciplin im Reiche Sache des Kaisers ist und das Beschwerdewesen einen Theil der HSandhabung der Diseiplin ausmacht.
Der Antrag sagt dann weiter:
die Bestimmungen über das Beschwerderecht der Militärpersonen einer Revision zu unterziehen und insbesondere mißhandelte Soldaten zur Erhebung der Beschwerde zu verpflichten.
Ich halte es für unmöglich, einen solchen Paragraphen in ein Gesetz oder eine Militärvorschrift zu bringen. Was ist denn ein mißhandelter Soldat?“ Das sind ja ganz subjective Kriterien! Wo fängt die Mißhandlung an? (Sehr richtig! rechts Wenn der Unteroffizier dem Mann in die linke Hüfte drückt, um die rechte Schulter etwas mehr in die Höhe zu bringen, das kann eine Mißhandlung sein, es kann auch keine sein. Das kommt auf die Weise an, wie es gemacht wird. (Heiterkeit, Wer soll hier darüber entscheiden? Der Mann. Er soll sagen, ob er gemißhandelt worden ist; und da er verpflichtet ist, so würde er, wenn er die Sache nicht zur Anzeige bringt, sich strafbar machen. Es bleibt ihm also nur übrig, er geht hin und führt Beschwerde, wo bleibt da nun der § 152 des Strafgesetzbuches, der von der unbegründeten Beschwerde handelt? Was ist also unbegründete Beschwerde in den Fällen von Mißhandlung? Ich bin der Meinung, daß auf diesem Wege sehr schwer etwas zu erreichen ist.
Der Herr Abgeordnete hat sich dann dem militärischen Straf— proceßverfahren zugewandt. Er hat mit Lebhaftigkeit und, wie ich auch nicht zweifle, mit Sachkenntniß die Vorzüge des bayerischen Ver— fahrens geschildert. Es liegt mir ferne, diese Vorzüge in Abrede stellen zu wollen; aber ganz so einfach liegen die Dinge doch nicht, daß die preußische Armee in der Lage wäre, die bayerischen Bestim— mungen anzunehmen, ohne zu prüfen, wie liegt das bei uns? wie ist das mit unserer Vergangenheit in Verbindung zu bringen? welche Er— fahrungen haben wir gemacht? Der Herr Abgeordnete sagt: Das Militärverfahren verfolgt denselben Zweck wie das Civilstrafverfahren. Da liegt schon eine Differenz zwischen ihm und mir. Ich bin der Meinung, daß das Dasein einer Armee in einem Staate in vielen Beziehungen des staatsbürgerlichen Lebens eine Anomalie ist. Die Armee ist da, um das Land zu schützen, das kann sie nur, wenn ihr gewisse Daseinsbedingungen gewährt werden, wenn sie eine gewisse Disciplin zu erhalten im stande ist. Eine Armee ohne Disciplin ist ein Luxus, den man sobald als möglich abschaffen sollte. (Sehr richtig! rechts) Nun verlangt man vom Soldaten, daß er mancher staatsbürgerlichen Pflicht entsagt, eben weil er Soldat ist und so lange er Soldat ist. Ich darf daran erinnern, daß das Wahlrecht dem Soldaten pure genommen ist; er kann nicht wählen, das ist recht und gut, weil ein politisirender Soldat eben anfängt, minderwerthig zu werden. (Heiterkeit Sein Gehorsam, seine Disciplin könnte erschüttert werden. Diese exceptionelle Stellung der Armee bringt es auch mit sich, daß selbst die Rechtsfälle in der Armee von dem Standpunkt angesehen werden müssen, wie wirkt ihre Behandlung auf die Disciplin? Es unterliegt ja keinem Zweifel, daß die Armee ein sehr starkes Interesse daran hat, Gerechtigkeit zu üben; denn ohne Gerechtigkeit würden wir auf die Dauer Disciplin nicht erhalten Wege aber, wie wir die Gerechtigkeit üben, die können sehr wohl von den Wegen eines Civilverfahrens abweichen und werden immer von ihm abweichen müssen (sehr richtig! rechts), und so weit ich weiß, giebt es keinen Staat in der Welt, wo für militärische Vergehen das Militärverfahren nicht vom Civilverfahren abwiche. Ich meine also, bei der anderweitigen Regelung des Militär-Strafproceßverfahrens wird immer der Gesichtspunkt im Vordergrund bleiben müssen, wie wirkt die Strafe auf die Erhaltung der Disciplin ein? und daraus folgt nun wieder eine Differenz zwischen mir und dem Herrn Vor— redner.
Ich bin geneigt, bei der weiteren Bearbeitung dieser Frage das letzte Wort dem Soldaten zu gönnen, der Herr Vorredner dem Juristen. Wir müssen mit Juristen zusammen arbeiten und werden das Bestreben haben, und müssen es haben, dem bürgerlichen Ver— fahren so nahe wie möglich zu kommen. Wenn aber der Soldat schließlich sagt: Dies geht nicht, hier wird die Truppe geschädigt, hiermit kann die Truppe nicht existiren, so kann ich mich auf das Jahr 1872 berufen, wo hervorragende Juristen dann sagten: Wenn sachverständige Militärs das behaupten, so müssen wir nach einem anderen Wege suchen, und so glaube ich, werden wir nach einem Wege suchen müssen, der sich dem Civilverfahren soviel als möglich nähert, der aber den militärischen Verhältnissen gerecht wird und dazu hilft, die Disciplin in der Armee zu erhalten und zu erleichtern.
Ich darf dann noch einen — nach meinem Dafürhalten sehr wesentlichen Unterschied zwischen den Anforderungen, welche an ein Militär- und ein Civilverfahren zu stellen sind, hervorheben. Dieser Unterschied beruht darauf, daß eine Armee um so besser ist, je mehr ihre Friedenseinrichtungen sich dem Kriegszustande nähern. Es darf nicht mit dem Uebergange vom Frieden zum Kriege der Vorhang fallen und dann an einer anderen Stelle wieder aufgehen; der Mann darf nicht das Gefühl haben: jetzt hört alles das, was du im Frieden gelernt hast, auf, du kannst auch Zucht und Ordnung zu Hause lassen, es fängt ein ganz neues Leben an. Je mehr wir die Friedensgewohn— heiten auf den Krieg übertragen können, um so leichter werden wir im stande sein, die Disciplin im Kriege aufrecht zu erhalten. Wenn man dies zugiebt, so ist die Forderung nicht unbescheiden, daß bei der Berathung einer Militär⸗Strafprozeßordnung auch die Frage erwogen wird: wie würde sich denn das Verfahren im Kriege gestalten?
Wir haben in der preußischen Armee — und ich will hier vorne— weg sagen trotz Bedenken des Herrn Vorredners: ich liebe noch heute unser altes preußisches Verfahren — zwei Arten von Militärgerichten gehabt: Kriegsgerichte und Standgerichte, Kriegsgerichte für die schweren Fälle, Standgerichte für die leichteren. Ich möchte da einem Mißverständniß entgegentreten, das mir auch in der Presse begegnet ist, wenigstens in der außerpreußischen. Man verbindet mit dem Wort Standgericht“ Erinnerungen an 48. In dem Belagerungszustande damals wurden Standgerichte eingerichtet, die über Civil und Militär erkannten und deren Verfahren ja hier und da vielleicht etwas schroff gewesen ist, es mag auch ab und an einmal mit einem Todesurtheil geendet
können. Die
haben. Aber das militärische Standgericht hat mit diesen politischen Standgerichten, die, wenn ich mich recht entsinne, auch das Gesetz von 1852 über den Belagerungszustand aufrecht erhalten hat, gar nichts gemein. Unser standgerichtliches Verfahren, bei dem das Gericht von dem Obersten als Gerichtsherrn, von einem Lieutenant als unter⸗ suchungsführenden Offizier gebildet ist, ein Gericht, zu dem auch Standes⸗ und Chargengenossen des Angeklagten gehören, dient zu nichts weiter, als zur Handhabung der Disciplin in einer mit gewissen Cautelen versehenen Form. Unsere alte preußische Strafproceß⸗ ordnung, welche noch heute in der Geltung ist, fand den Zustand vor und steht auf demselben Standpunkte, daß die Handhabung der Disciplin und Ausübung der Gerichtsbarkeit Sache des Monarchen sei, der Monarch delegirte von seinen Rechten, so viel er für gut fand, und unter einer Form, wie er sie für gut fand, auf andere. So entstand das Standgerichtsverfahren. Wir haben also das Verfahren vor dem Kriegsgericht, dann das Verfahren vor dem Standgericht, in welchem letzteren nur geringe Strafen verhängt werden können, welches fast schon ein Disciplinarverfahren ist, und endlich das Disciplinarverfahren. Trotz meiner persönlichen Anhänglichkeit an das bisherige Verfahren und trotz der bestimmten Ueberzeugung, daß wir sehr gut mit diesem alten Verfahren gelebt haben, erkenne ich vollkommen an, daß, wie die Dinge einmal liegen und wie von diesem Tisch aus seit Jahren erklärt worden ist, wir nun an eine Umarbeitung der Strafprozeßordnung gehen müssen und gehen werden. Die Herren wissen, daß die Vorarbeiten dazu in Gang ge⸗ kommen sind. Es hat eine Commission getagt, man hat eine Menge Fragen erledigt, ein anderer Theil der Fragen sind strittig geblieben, aber eine Säumigkeit können Sie den ver— bündeten Regierungen nicht vorwerfen; denn nachdem die Commission, die aus Vertretern der verschiedenen deutschen Contingente zusammen— gesetzt war, einen Entwurf ausgearbeitet hatte, hat Seine Majestät der König von Preußen als Chef der preußischen Armee für gut be⸗ funden, zunächst seine General-Commandos darüber zu hören, ein Ver— fahren, das bei uns das gebräuchliche ist, und wenn ich auch als Kanzler nicht berufen bin, den preußischen Standpunkt speciell zu ver— treten, so werden Sie mir doch zugeben, daß der König von Preußen eine gewisse Berechtigung hat, an den hergebrachten Dingen in Preußen festzuhalten, namentlich dann, wenn sie sich nach dem Urtheil der Meistbetheiligten — und das ist hier die Armee — bewährt haben. Bravo! rechts.)
Fünfzig Jahre haben wir mit dem jetzigen Strafgesetzbuch gelebt, und ich möchte glauben, daß krasse Ungerechtigkeiten vermieden worden sind, und zwar zum größten Theile infolge des Systems der Gerichts⸗ herrlichkeit, was ja nun auch von jener Seite ohne weiteres verur— theilt wird. Der Gerichtsherr war nicht bloß derjenige, der den Mann verfolgte, sondern zuletzt auch der berufene Vertreter des Mannes, der in der Lage war, zu mildern, und ein Gerichtsherr mildert immer lieber, als daß er verschärft. So haben wir uns diese fünfzig Jahre ganz gut befunden, und die Herren werden es begreiflich finden, wenn in der Armee, vielleicht abgesehen von den Auditeuren in der preußischen Armee, der Drang nach einem anderen Verfahren nicht so stark ist, daß wir nicht recht gut die Zeit noch erwarten könnten, bis die preußischen General⸗ Commandos sich geäußert haben und deren Aeußerungen verarbeitet sein werden. Wir haben neulich eine Debatte hier im Reichstag gehabt über unschuldig Verurtheilte. Ja, führt das nicht auf den Gedanken, daß, wenn das bei diesem so vorzüglichen, öffentlichen, mündlichen Civilperfahren möglich ist, man sich wundern müßte, wenn auch nicht einmal in der Armee unschuldig verurtheilt würde? Mir ist in meiner ganzen Praxis nur ein einziger Fall bekannt, wo das zu Tage kam. (Hört! hört! rechts.) Der Offizier — und das ist ja ein von der fortgeschritteneren Seite der liberalen Parteien, früher wenigstens, oft vorgebrachter Vorwurf — man hatte zu Zeiten in unseren Zeitungen ganze Rubriken von Säbelaffairen — der Offizier wird hingestellt als ein Mann, der schroff ist, der keinen Spaß an der Gerechtigkeit hat, der seinen Willen seinen Untergebenen auferlegen will. Meine Herren, Ausschreitungen kommen auch hier vor, aber jeder denkende Offizier muß sich sagen, daß die Handhabung der Diseiplin in erster Linie Handhabung der Gerechtigkeit verlangt. (Sehr richtig! rechts.)
Das gilt nicht allein dann, wenn ein Kriegsgericht oder ein Standgericht eintritt, sondern in jedem einzelnen Fall. Wir haben also nicht das mindeste Interesse daran, der Gerechtigkeit auch nur in den Weg zu treten oder einen Schatten auf sie zu werfen, im Gegen theil, wir wollen den höchsten Grad der Gerechtigkeit, wir wollen den Fall aufs äußerste genommen haben. Ich wehre mich nur gegen die Zumuthung, daß das bis heute nicht geschehen ist. Es ist ja sehr schwer, sich über die Dinge zu verständigen. Macaulay hat einmal gesagt: Offiziere verständigten sich sehr ungern mit Civilisten über militärische Dinge. Es ist ja dies in England vielleicht noch mehr der Fall wie hier, aber es hat etwas Wahres, und das Wahre liegt zuletzt darin — ich will ein Wort meines Herrn Amtsvorgängers an⸗ wenden, welcher hier einmal gesprochen hat von den Imponderabilien des militärischen Selbstgefühls. Ich würde das Wort etwas anders gefaßt haben. Ich würde gesagt haben: es giebt Imponderabilien des militärischen Gefühls, und darüber mit Nichtmilitär sich zu ver— ständigen, ist eine überaus schwierige Sache. Diese Gefühlselemente spielen aber im militärischen Leben eine so große Rolle, daß, wenn man sie vernachlässigen wollte, das militärische Leben aufs tiefste ge⸗ schädigt würde, also wir werden ja gern und müssen pflichtschuldigst die Verständigung mit Ihnen über einen anderen Entwurf suchen; ich bitte Sie nur, und namentlich auch die Herren Juristen unter Ihnen, steigen Sie einmal etwas von Ihrem juristischen Sockel herunter und kommen Sie mit uns aufs Blachfeld. Da verständigen wir uns vielleicht leichter. (Bravo! rechts.)
Ich wende mich nun zu Punkt 3 der Resolution, wie ihn die Commission vorgeschlagen hat. Der spricht den Wunsch aus, daß der religiöse Sinn im Heere gepflegt werden möge, es möge das im ganzen Volksleben geschehen und bei der Erziehung der Jugend darauf hingewirkt werden. Nun, meine Herren, von confessionellen Truppen theilen kann wohl ernstlich keine Rede sein. Mir ist der Gedanke vor ein vaar Tagen zum ersten Mal überhaupt entgegengetreten. Wir müssen in der Armee Gehorsam und Kameradschaft pflegen, und um dieser beiden Eigenschaften willen müssen wir nicht danach fragen, in welchem Glauben ist der Mann aufgewachsen?
Wir dürfen in der Armee der Ausübung der religiösen Pflichten der
ihr Angehörigen nicht entgegentreten, wir müssen sie fördern, wo wir es immer können; aber religiöse Uebungen innerhalb der Caserne por—⸗