1892 / 45 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 20 Feb 1892 18:00:01 GMT) scan diff

maßgebend . seien, hätten die angenommene Steigerung von

40M nicht mehr erreicht, sondern nur noch eine solche von 3,41 oso. Viele Familien seien genöthigt gewesen, die Ausgabe für eine Bade⸗ oder Erholungsreise zu sparen. Es sei schlechthin unverständlich, wie die Verwaltung dazu komme, in einem Moment, wo nach ihrem eigenen Zugeständniß die wirthschaftlichen Verhältnisse keine besonders guͤnstigen seien, eine Steigerung von 5 / vorauszusetzen, die man früher nie vorausgesetzt habe. Das sei nur zu erklären aus der a. meinen Finanzlage. Seitens des Finanz⸗Ministers sei sicherlich eine douce violence auf den Eisenbahn⸗Minister aus⸗ geübt worden. Die höchste zulässige Annahme würde eine Steigerung von 3 0 gewesen sein. Das mache einen Unterschied von 9 Millionen Mark, und mit einem Schlage sei das ganze Bild des Etats ein anderes. Redner wendet sich dann zu seinem heute eingebrachten Antrag. Der Abg. von Puttkamer Plauth habe gestern gesagt, er könne es nicht für richtig halten, daß ein roßer Theil der Bevölkerung sich fortwährend auf der Eisenbahn . Die bisher hier im Hause gemachten Vorschläge einer Tarifreform gingen aber darauf gar nicht hinaus. Glaube denn der Abg. von Puttkamer, daß wir Tarife hätten, welche den Leuten er⸗ laubten, nur so auf der Eisenbahn herumzubummeln? Im Jahre 1890 91 seien auf preußischen Staatsbahnen 274 Millionen Fahrten gemacht, d. h. noch nicht 10 Fahrten auf den Kopf der Bevölke⸗ rung. Bei dem Abg. von Puttkamer sei es nichts als der Wunsch, einen Theil der Arbeiterbevölkerung an die Scholle zu fesseln und für gewisse landwirthschaftliche Betriebe in manchen Gegenden des Vater⸗ landes billige Arbeitskräfte zu halten. Seine (des Redners) Partei aber wolle dem, der nichts weiter habe als seine Arbeitskraft, die Verwerthung derselben nach Kräften ermöglichen. Alle Reden vom Ministertische und von jener Seite des Hauses flössen über von Wohlwollen gegen die Arbeiter. Hier sei eine Gelegenheit, einmal die Probe darauf zu machen. Auf die Gestaltung des Systems. Ersetzung des Kilo— metertarifs durch den Zonentarff u. s. w., wolle er nicht näher ein—⸗ gehen. Man könne nichts Besseres thun, als den im vorigen Sommer vom Minister Maybach aufgestellten Plan sich zu eigen zu machen, der nicht das letzte Wort in dieser Sache, sondern nur ein Fühler den anderen deutschen Staaten gegenüber habe sein sollen. Der Landes-Eisenbahnrath habe sich bis zur Stunde mit jenem Vorschlage noch nicht befaßt, und die Verwaltung habe es nicht für nöthig gehalten, der Landesvertretung amtlich davon . Mittheilung zu machen. Formell habe die Verwaltung Recht gehabt, denn die Festsetzung der Tarife sei gesetzlich Sache der Verwal— tung. Auch von anderen deutschen Staatsbahnen seien Vorschläge ge⸗ macht worden: die baverische Verwaltung habe ihren Plan ohne Weiteres der Kammer vorgelegt, er selbst habe sich als preußischer Abgeordneter an die bavyerische Kammer gewandt, um das Material über diese Frage zu erlangen. Ihm mache es überhaupt keine Schwierigkeit, alles einschläglge Material zu erhalten, aber er wünsche, daß auch die anderen Mitglieder des Hauses über diese Verhältnisse unterrichtet würden. Er tröste sich, daß man sich auch in diesem Falle am Besten auf die Selbsthilfe verlasse. Wenn der Minister es nicht wolle, so wolle er (Redner) gern eine Zusammenstellung des Materials anfertigen, auf seine Kosten drucken und den Collegen zugehen lassen. Auffällig bleibe immer die Geheimnißkrämerei, mit der der Vorschlag des Herrn von Mapbach behandelt worden sei. Er gebe ja zu, daß der jetzige Minister sein Amt in einem schwierigen Moment übernommen habe, als nämlich ein wirthschaft⸗ licher Rückgang eingetreten sei, aber gerade ein solcher Zeitpunkt fordere zu . auf. Man habe den vorjährigen Vor⸗ schlag den Bezirks-Eisenbahnräthen zur Begutachtung zugehen lassen, und diese hätten sich in sehr verschiedenem Sinne, über die Ausdehnung des Systems der Rückfahrtkarten, über die Preiszuschläge bei Schnellzügen, die Abschaffung der vierten Klasse u. s. 5 aber alle diefe Urtheile könnten doch keine Autorität für sich in An— spruch nehmen, wenn sie nicht sachlich begründet seien, und der Geheime Regierungs⸗Rath Ulrich, durchaus kein Freund der von ihm (Rezner) ver⸗ tretenen Personentarifreform, veröffentliche in einer größeren Schrift Aus⸗ führungen, die sich seinen Auslassungen in Bezug auf die Besei⸗ tigung der vierten Fahrklasse direkt anschlössen seine wohl— begründeten Sätze verdienten doch wohl mehr, Beachtung, als die gegentheiligen, uͤnmotivirten Vota der Bezirks-Eisenbahnräthe. Bei. uns würden ja in Bezug auf den Zonentarif von mancher Seite ganz überschwängliche Forderungen gestellt, aber wenn sich auch der Most noch so absurd geberde, er gebe zuletzt doch noch nen Wein! In Desterreich und namentlich in Ungarn hätten die dortigen Personen⸗ tarife alle die günstigen Resultate gezeitigt, die er für seinen vorjährigen Antrag vorausgesagt habe. Wenn man . eine grundlegende Reform, resp. Ermäßigung der Gütertarife aus finanziellen Rüͤcksichten für unangebracht erkläre, so seien doch die Eisenbahnautoritäten sämmtlich darüber einig, daß Gütertarife und Personentarife durchaus nicht auf gleicher Linie ständen, und daß der Personenverkehr viel weniger zu der Rentabilität der Eisenbahnen beitrage, als der Güterverkehr. Uebrigens würde eine Herabsetzung der Personentarife sogar eine Vermehrung der Einnahmen etwa in Höhe von 2 Millionen in Folge des gesteigerten Verkehrs zur Folge haben. Für eine Vereinfachung des Personen— tarifsystems habe sich ja der Minister selbst energisch ausgesprochen und schließlich würden durch den in Folge niedriger Fahrpreise ge⸗ steigerten versönlichen Verkehr die Geschäftsverbindungen so vermehrt werden, daß dadurch auch ein vergrößerter Geschäfts- und Güterverkehr werde veranlaßt werden. Der Geheime Regierungs⸗Rath Ulrich meine selbst, mit den finanziellen Erfolgen des österreichischen und ungarischen Tarifsystems könne man wohl zufrieden sein. Warum uff man nun nicht in Preußen dieselben Reformen einführen? In der bayerischen Kammer seien vergleichende Uebersichten über die finanziellen Ergebnisse des österreichischen, des ungarischen und des projectirten bayerischen Tarifs vorgelegt worden; vergleiche man damit unsere Personentarife, so folge, daß für die dritte und vierte Bahnklasse Preußen erheblich höhere Kosten verlange, als alle diese drei Tarife. Bedenke man, daß wir bei allen unseren größeren gesetzgeberischen Maßnahmen von soeialpolitischen Erwägungen ge— eitet würden, so müsse man sagen, daß unsere Tarifzustände solchen Erwägungen schnurstracks zuwiderliefen, zumal die Fahrpreise für die erste und zweite Wagenklasse in Preußen niedriger seien, als in den drei vorhergenannten Tarifen. Dazu komme, daß unsere vierte Wagenklasse gar häufig einen kaum menschenwürdigen Aufenthalt biete und im letzten Jahre, im Gegensatz zu den Vorjahren, sich eine wesentliche . der Benutzung der vierten Klasse heraus gestellt habe. Die Thatsache, daß für Dreiviertel aller Eisenbahn— fahrenden der preußische Staat weit weniger thue als Oesterreich müsse doch die Frage nahelegen: wie lange man diese Zustände no mit ansehen wolle? Preußen dürfe ei der sociglpolitischen Gesetz⸗= gebung nicht zurückstehen, wenn diese leisten solle, was man von ihr erwarte, und schon um dieser Erwartung zu entsprechen, bitte er, seinen Antrag anzunehmen. (Beifall links.)

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Der Herr Abg. Broemel hat zunächst auf die gestrige Debatte zurückgegriffen und nochmals ausgeführt, daß die Veranschlagung der Einnahmen aus dem Personenverkehr in dem Ihnen vorliegenden Etat zu hoch gegriffen sei. Meine Herren, ich kann das durchaus nicht anerkennen. Der Herr Abg. Broemel hat sich darauf berufen, daß, während der Vorschlag darauf beruht, daß eine fünfprocentige Steigerung in dem Personenverkehr eintreten würde, bis zur Mitte des Jahres nur 3,4 , eingetreten sind. Inzwischen liegen uns die Resultate bis Ende Januar dieses Jahres vor; und diese Resultate ergeben für den Personenverkehr schon jetzt eine Steigerung von 4,960, (Hört! hört! rechts), also fast genau die 50, die im Etat vorgesehen sind. Meine Herren, wir konnten auch nicht wohl den Personenverkehr geringer veranschlagen, wenn wir die Augen nicht von dem thatsächlichen Anwachsen des

wollen. Auch der Herr Abg. Broemel hat Ihnen ausgeführt, daß die Steigerung des Personenverkehrs noch in den beiden letzten Jahren 7,33 0 betragen hat in jedem Jahre. Ich kann dem noch hinzufügen, daß die Steigerung des Personenverkehrs in den beiden letzten Jahren über den Etat hinaus im Jahre 1889/90 80 und im Jahre 1890/91 9,400 betragen hat. Es mußte daraus geschlossen werden, daß der Personenverkehr noch weiter in einer ziemlich starken Steigerung begriffen ist. Für den Januar möchte ich noch hinzu— fügen, daß die Steigerung des Personenverkehrs, für sich betrachtet, gegen den Januar vorigen Jahres 8o beträgt. Ich glaube daher, daß die Annahme einer fünfprocentigen Steigerung durchaus den Ver⸗ hältnissen entspricht und daß die Staatseisenbahnverwaltung nicht richtig gehandelt haben würde und sich ebenso einer abfälligen Kritik nach der entgegengesetzten Seite ausgesetzt haben würde, wenn sie eine geringere Steigerung als 5 o in Aussicht genommen hätte.

Es bedurfte, um auf dieses Resultat zu kommen, durchaus nicht einer Einwirkung des Herrn Finanz-Ministers, dieselbe hat auch in keiner Weise stattgefunden. Wir haben die Aufstellung, die in der Eisenbahnverwaltung gemacht worden ist, dem Herrn Finanz⸗Minister gegenüber rechtfertigen müssen und haben sie auch rechtfertigen können auf Grund derjenigen Thatsachen, die ich Ihnen eben mitgetheilt habe.

Der Herr Abg. Broemel hat weiter darüber Klage geführt, daß dem hohen Hause Mittheilungen über die beabsichtigte Reform des Personenverkehrs nicht rechtzeitig gemacht worden seien. Meine Herren, das Reformproject, welches mein Herr Amtsvorgänger im vorigen Jahre aufgestellt hat, war eben nur ein Entwurf, ein Fühler, wie ihn der Herr Abg. Broemel richtig be— zeichnet hat. Dies Project bedurfte zunächst der Er—⸗ örterung in denjenigen Kreisen, die der Eisenbahnverwaltung organisationsmäßig als Beiräthe zugeordnet find. Diese Erörterung hat stattgefunden. Die Erörterung hat, wie Herr Abg. Broemel richtig mitgetheilt, zu einer ganzen Reihe von Ausstellungen, zu einer sehr eingehenden Kritik geführt. Schon daraus mögen Sie entnehmen, daß es nicht richtig gewesen wäre, das Project in feiner damaligen wenn man so sagen soll unreifen Form bereits dem Hause vorzu⸗ legen. Es bedurfte aber, um diefes Project durchzuführen, nicht nur der Erörterung mit den wirthschaftlichen Beiräthen, sondern es be⸗ durfte auch, um das Project als ein einheitliches für ganz Deutschland durchzuführen, der Erörterung mit den übrigen Staatseisenbahn— verwaltungen. Diese Erörterungen haben bisher für das vorliegende Project nicht, wohl aber bezüglich anderer Vorfchläge stattgefunden; sie sind nicht abgebrochen worden, werden vielmehr in Zukunft wieder fort⸗ gesetzt werden, und zwar dann, wenn die Erörterungen und die Unter— suchung, die sich an die Kritik der Bezirks⸗-Eisenbahnräthe angeknüpft hat, zu einem Resultat geführt haben. Es ist seitens der Staats⸗ eisenbahnverwaltung veranlaßt worden, daß die verschiedenen Vor— schläge, die aus dem Schoße der Bezirks-Eisenbahnräthe an den Mi— nister herangetreten sind, einer genauen finanziellen Untersuchung unterzogen werden. Diese finanzielle Untersuchung, die durchaus noth— wendig war, ist zur Zeit noch nicht abgeschlossen. Es wird beab⸗ sichtigt, wenn der Abschluß bewirkt ist, was binnen kurzem voraus— sichtlich geschehen wird, dann den Landes-Eisenbahnrath mit der Sache zu befassen und auf Grund der Erörterungen, die dort stattgefunden haben, wieder in weitere Verhandlungen mit den übrigen deutschen Bundesstaaten einzutreten.

Meine Herren, zur Sache selbst habe ich bereits früher wieder⸗ holt Gelegenheit gehabt, meiner Auffassung dahin Ausdruck zu geben, daß ich die bestehenden Personentarife, oder besser allgemeiner gesagt, daß ich die bestehenden Formen, in denen, und Bedingungen, unter denen sich der Personenverkehr zur Zeit auf den preußischen Staats— bahnen bewegt, nicht für derartige halte, daß sie auf die Dauer werden beibehalten werden können. In der historischen Entwickelung, welche diese Formen und Bedingungen genommen haben, sind dieselben all— mählich zu einer unübersichtlichen Buntscheckigkeit gediehen, welche auch vielfach ein Anpassen an die inzwischen veränderten Verkehrsbedürfnisse verhindert. Meine Herren, ich habe nur bestritten, daß die Reform der Personentarife eine so dringende sei, daß sie ohne Rücksicht auf die allgemeine finanzielle Lage des Staats und ohne Rücksicht auf etwaige andere Verkehrsbedürfnisse sowie darauf, daß die Frage zur Zeit eine noch keineswegs vollständig abgeklärte ist, sofort in Angriff genommen werden müßte. Wir wären zur Zeit überhaupt gar nicht im stande, auch wenn der Antrag Broemel angenommen wird, diese Reform sofort in die Praxis zu übersetzen. Ich habe gesagt, die Reform ist keine so dringende, und habe geglaubt, dies zunächst aus dem Umstande herleiten zu dürfen, daß auch unter der Herrschaft der gegenwärtigen Tarife und Beförderungs— bedingungen der Personenverkehr ständig und zwar in ziemlich erheb— lichem Maße angewachsen ist. Die Zahlen, die Ihnen in aus— reichender Weise in dem Betriebsbericht mitgetheilt sind, geben dafür, wie ich meine, den durchschlagenden Beweis.

Wir stehen auch in Bezug auf die Dichtigkeit unseres Verkehrs nicht zurück gegen die übrigen deutschen Staaten, im Gegentheil, wir

sächsischen Staatsbahnen, die bei der außerordentlichen Dichtigkeit der Bevölkerung in Sachsen noch um eine Kleinigkeit höhere specifische Kilometerfrequenz im Personenverkehr habe wie wir; wir stehen erheb— lich nach der Main⸗Neckar⸗Bahn, die unter ganz besonderen Verkehrs⸗ verhältnissen auf ihrer kurzen Strecke wirthschaftet.

Ich kann auch nicht anerkennen, daß unsere Personentarife zur Zeit so hoch sind, daß sie das wirthschaftliche Leben irgendwie beeinträch⸗ tigen. (Sehr richtig! rechts.)

Die Zahlen, die Herr Broemel zum Vergleich angeführt hat, sind zum theil für einen Vergleich absolut nicht passend; er hat Dinge mit einander verglichen, die durchaus nicht commensurabel sind. Wenn Herr Broemel die Broschüre des Herrn Geheimen Raths Ulrich angeführt hat, so hätte er gerade aus dieser Broschüre den Beweis für meine Ansicht entnehmen können. In der Broschüre, und zwar auf Seite 99, Herr Abg. Bromel, sind die Durchschnittseinnahmen für das Personenkilometer, welche für diese Frage allein ausschlag⸗ gebend sind, verglichen, dieselben haben betragen im Jahre 1888 auf den preußischen Staatseisenbahnen 3,19, auf den österreichischen 3,73 und auf den ungarischen 4,09. Wir waren also im Jahre 1888 er— heblich billiger wie Oesterreich und wie Ungarn.

Die österreichischen und die ungarischen Eisenbahnen haben die Erfahrung gemacht, daß auf Grund ihrer Sätze der Personenverkehr fiel und nicht wie bei uns anwuchs, und diese Erfahrung mußte sie

Personenverkehrs in den letzten Jahren vollständig hätten verschließen

nothwendigerweise dahin führen, eine Reform ihrer Sätze eintreten

stehen allen anderen deutschen Staatsbahnen vor, mit Ausnahme der

zu lassen. Es ermäßigten sich dann die Sätze im Jahre 1899 bei den ungarischen und bei den österreichischen Staatseisenbahnen infolge der Reformtarife wesentlich; aber die österreichischen Bahnen erreichten auch damit die Durchschnittseinnahmen der vreußi— schen Staatseisenbahnen noch nicht, die Durchschnitts einnahme für den Personenfilometer blieb immer noch höher. Dieselbe betrug im Jahre 1890 auf den preußischen Staatsbahnen 2, 9ß, in Dester⸗ reich 301; es ist also dort immer noch ein höherer Durchschnitts a auf den Personenverkehr gelegt, als bei unsern preußischen Staatz. bahnen nach dem gegenwärtigen Tarif.

Beim ungarischen Tarif stellt sich allerdings ein kleiner Unter schied bezüglich der Sätze heraus. Auf den ungarischen Eisenbahnen ist nämlich für ein Personenkilometer im Jahre 1890 275 ver— einnahmt, während auf Preußen der Satz von 2,96 kommt, also in dieser Beziehung sind wir um eine Kleinigkeit höher wie Ungarn.

Nun aber, meine Herren, habe ich bereits Gelegenheit gehabt, bei der gleichen Erörterung dieser Frage im Reichstage darauf hinzu— weisen, daß man bezüglich des Perfonenverkehrs sich doch nicht allein an die Sätze halten möge, sondern auch in Betracht ziehen folle, waz für Verkehrsgelegenheiten in den verschiedenen Ländern dem Publikum geboten werden. Ich darf mich auf das Reichscursbuch beziehen. Wenn die Herren dort nachsehen wollen, welche Zugfrequenʒ auf den ungarischen Bahnen besteht und felbst auf manchen öfterreichischen, wie die großen Linien häufig nur mit zwei oder drei durchgehenden Zügen ausgestattet sind, während selbst auf unseren Nebenlinien zum theil eine viel größere Zugfreguenz existirt, wenn Sie dann weiter bedenken, daß in ganz Norddeutschland auf allen preußischen Staatsbahnen die vierte Klasse eingeführt worden ist, und zwar nicht nur in wenigen Zügen, sondern in der letzten Zeit in einer ganzen Fülle von Zügen; wenn Sie ferner bedenken, daß die Reise⸗ kosten nicht bloß aus dem Fahrgeld bestehen, sondern daß das Fahr— geld namentlich auf allen weiteren Strecken ein verhältnißmäßig ge— ringer Factor der allgemeinen Kosten ist; wenn Sie bedenken, daß wir beispielsweise von Hannover nach Berlin fahren und in einem Tage ganz bequem ohne Uebernachtung unsere Geschäfte abmachen können wir haben dazu Zeit von Mittags um zwölf Uhr, wo wir in Berlin eintreffen, bis Abends fieben Uhr oder bis Abends 10 Uhr so werden Sie mir zugeben, daß darin ein größerer Vortheil zu suchen ist, als in Tarifermäßigungen. (Sehr richtig! rechts.) *

Dann erlaube ich mir noch darauf aufmerksam zu machen, daß die preußischen Staatsbahnen eine große Ermäßigung für die Reisen— den dadurch herbeigeführt haben, daß sie, und zwar allmählich, in sehr erheblichem Maße in den Schnellzügen die dritte Klasse eingeführt haben. Gerade den weniger bemittelten Reisenden ist dadurch die Gelegenheit gegeben, auf weite Entfernungen mit verhältnißmäßig geringen Kosten ihre Reisen ausführen zu können. Auch selbst ein Theil unserer Nacht— züge, und zwar auf den frequentesten Hauptlinien, führt jetzt die dritte Klasse. In Oesterreich und Ungarn ist das nicht der Fall. Wer in Desterreich und Ungarn rasch fahren will, muß sich entschließen, den Preis für die zweite oder erste Klasse anzulegen.

Meine Herren, die österreichisch-ungarischen Tarife, die uns so oft bei allen möglichen Gelegenheiten als Muster vorgelegt worden sind, paffen nach meiner Ansicht für unsere Verhältnisse nicht. Nach meiner allerdings ganz persönlichen Auffassung glaube ich auch kaum, daß diefe Tarife auf die Dauer, weder in Oesterreich noch in Ungarn, werden aufrecht erhalten werden können. Durch die Presse gehen schon bezüglich der österreichischen Tarife Mittheilungen, die darauf hindeuten, daß man in den Kreisen der österreichischen Staats— eisenbahnverwaltung oder vielleicht in den Kreifen der österreichischen Finanzverwaltung bereits sich mit Projeeten beschäftigt, einen Zuschlag auf diese Preise zu legen. (Hört! hört! rechts.)

Meine Herren, ich glaube aber auch, daß im übrigen diese Zonen— tarife, wenn man sie einmal so nennen soll, für uns nicht passen, und zwar zunächst wirthschaftlich nicht passen. Führen wir ähnliche Tarife mit großen Ermäßigungen für den Fernverkehr ein, seien es nun radicale Tarife wie der Engel⸗-Perrot'sche oder Tarife nach ungarischem Muster, so wird unzweifelhaft sich daraus eine sehr erhebliche Verschiebung in unsern wirthschaftlichen Verhältnissen ergeben, und zwar nach meiner Auffassung eine Verschiebung zum Nach— theil der wirthschaftlich Schwachen, zum Nachtheil der dünn bevölkerten Gegenden (sehr richtig! rechts), zum Nachtheil der kleinen Städte, der kleinen Gewerbtreibenden, der Handwerker und zum nicht geringen Theil auch zum Nachtheil der arbeitenden Klassen. Sie alle werden in weit stärkerem Maße, als dies bis jetz schon der Fall ist, auf Grund dieser Tarife von den wirthschaftlich Starken bedrängt werden. Es werden die Bewohner der kleinen Städte und des platten Landes ihre Bedürfnisse in höherem Maße in den großen Städten befriedigen und die kleinen Gewerbtreibenden trocken gelegt werden. Es werden die Arbeitgeber in den großzen Städten, sowie sie irgend eine Schwierigkeit mit ihren eigenen Arbeitern haben, sich aus den weitesten Gegenden Arbeiter verschreiben. Es werden den dünn bevölkerten Gegenden

in unserem Osten die Leute in noch viel é höherem Maße entzogen werden zu Gunsten der dicht bevölkerten capitalstarlen Gegenden West- und Mitteldeutschlands als das bisher der Fall ge wesen ist. Es wird aber auch meines Erachtens social durchaus nicht die günstige Wirkung haben, die die begeisterten Anhänger dieser Re form sich davon versprechen. Ich halte es durchaus nicht für wünschenswerth, daß die Menschen noch mehr von der Heimath ent. wöhnt und auf die Landstraße geworfen werden. (Sehr richtig! rebt. Es ist leider Gottes das schon in viel zu hohem Maße jetzt der zal. Sie werden dadurch weder reicher an irdischem Gut, noch an guten Eigenschaften ihres Leibes und ihrer Seele. (Bravo! rechts und im Centrum.) .

Meine Herren, der Zonentarif geht aber auch finanziell me Erachtens von unrichtigen Voraussetzungen aus, von Voraus setunhen die nicht zutreffen. Der Zonentarif geht zunächst von der Vorauẽ⸗ setzung aus, die nicht zutreffend ist, daß der Fernverkehr eine gr Rolle spiele in den Einnahmen der Eisenbahnen. Meine derten, der ist nicht der Fall. Er spielt diese große Rolle nicht, sondern in gan colossalem Maße überwiegend ist der Verkehr, der sich innerhalb einer gewissen Nahzone absrielt. Es ist also auch nicht anzunehmen dn durch die Einführung eines für die weiten Entfernungen sehr ermãzigte Tarifs dieser Fernverkehr sich erheblich steigern soll. dat

Aus den oft citirten Verhandlungen der bayerischen Kammer

ine?

ich mir erlauben, vielleicht wieder auf die Ausführungen des

ö. Ministeryrãsidenten von Crailsheim zurückzugehen und einige kleine

Sãtze daraus vorzulesen. Herr von Crailsheim sagt: ö . Von dem exorbitanten Privilegium, welches der ungarische Tarif dem Fernverkehr einräumt, daß nämlich bei 225 km eine Steigerung des Personentarifs nicht mehr eintritt, machen nur 400 der sämmt⸗ lichen Reisenden in Ungarn Gebrauch. (Hört, hört! rechts.) Ueberhaupt hat die Begünstigung des Fernverkehrs in Ungarn nahezu gar keine Wirkung. (Hört! hört! rechts) Von der gesammten Steigerung des Verkehrs zwischen den Jahren 18388 und 1890 ent⸗ fallen 29 auf die Entfernung von 1 bis 25 Em. also ungefähr auf die Entfernung unseres Vorortyerkehrs. Der Verkehr auf einer Entfernung von mehr als 25 km ist nur um 74 0so gestiegen, also nur um einen Procentsatz, der wahrschein⸗ lich auch bei gleichbleibenden Tarifsätzen eingetreten wäre. Einer der Hauptzwecke des ungarischen Tarifspstems, die Hebung des Fernverkehrs, ist daher unerreicht geblieben. Die durchschnittlich auf den Reisenden entfallende Kilometerzahl ist nicht gestiegen, sondern von 64 auf 414 gesunken. Meine Herren, diese Zahlen sind so schlagend, daß wir, glaube ich, doch alle Ursache haben, auch unsererseits mit äußerster Vorsicht mit großen Ermäßigungen in Bezug auf den Fernverkehr vorzugehen. Die Anhänger der Zonentarife jeglicher Art täuschen sich in Bezug auf das finanzielle Resultat auch in dem dritten Punkt. Es wird stets behauptet, der Zonentarif würde eine bessere Durchschnittsfrequenz in den Zügen herbeiführen, eine bessere Ausnutzung der Plätze. Meine Herren, das ist nur theilweise zuzugeben, hat sich auch für Ungarn nicht in dem Maße bewährt, als dies erwartet werden mußte. Es ist in DOesterreich die Ausnutzung der Sitzplätze nach Einführung des Zonentarifes von 21,6 auf 24.5 gestiegen bei uns betrug sie etwa 24 in Ungarn stieg sie im ersten Jahre nach Einführung des Zonentarifs allerdings von 24 auf 34. Aber, meine Herren, die un— garische Verwaltung ist sich selber schon darüber klar, daß diese 34 nicht boll zu halten sind, sondern daß bei 34 das Publikum schon längst angefangen hat, zu schreien und auf Vermehrung der Züge und größere Einstellung von Betriebsmitteln zu dringen. Wenn das so wäre, daß man eine erheblich größere Aus⸗ nutzung der Plätze herbeiführen könnte allein durch Tarif⸗ maßregeln, so würde ja wohl darin ein anreizendes Moment liegen für die Eisenbahnverwaltung, ihrerseits mit Maßregeln vor— zugehen, die dies erzielen. Allein, meine Herren, Sie dürfen nicht vergessen, die angeführten Zahlen sind Durchschnittszahlen; durch⸗ schnittlich beträgt die Platzfrequenz bei uns 25 0,9. Aber Sie wissen alle, meine Herren, und haben das eigentlich wahrscheinlich schon selbst er— fahren, daß auf den Hauptlinien und in den günstig liegenden Zügen die Platzfrequenz eine oft mehr als ausreichende ist. Wer von hier nach Köln oder nach Frankfurt fahren will, muß sich recht frühzeitig nach einem Platz umsehen, wenn er in angenehmer Weise unter— kommen will; gewöhnlich nützt ihm das frühzeitige Umsehen aber auch nichts; denn das Coupee wird doch voll. Wenn man nun durch einen Zonentarif oder andere Reformtarife es dahin bringen könnte, daß die Leute, statt im Sommer auf Badereisen zu gehen, im Winter führen (Heiterkeit, daß sie statt von Köln nach Berlin zu fahren, sich eine Linie aufsuchten in Westpreußen oder Pommern, daß sie statt auf Hauptlinien auf Nebenlinien fahren, dann wäre es schön, dann kämen wir zu einer besseren Ausnutzung der Plätze. Aber Publikus wird das nicht thun (Heiterkeit), sondern wir werden, wenn wir die Tarife ermäßigen wollen, ernst und nüchtern die Frage er— vägen, und uns vorhalten müssen, daß zunächst die Frequenz auf den Hauptlinien und auf den günstiger gelegenen Zügen zunehmen wird. Wir werden also sofort mit einer erheblichen Vermehrung der Züge vorgehen müssen, und wir werden die Züge bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit unserer modernen Maschinen belasten müssen, und wir werden sehr zum Verdruß der Herren Reisenden die Plätze mög— lichst alle besetzen müssen. Es werden also unzweifelhaft dadurch eine Reihe von Kostenerhöhungen stattfinden, die das uns so glänzend geschilderte finanzielle Resultat dieser Reformtarife in ihren Nettoergebnissen wesentlich beeinträchtigen würden. . Meine Herren, der Reformtarif, den mein Herr Amtsvorgänger un vorigen Jahre aufgestellt hat, verfolgt im großen ganzen drei Richtungen. Er beabsichtigt zunächst, und das ist allgemein als ein dringendes Bedürfniß nicht nur von uns in Preußen, sondern in ganz Deutschland empfunden worden, thunlichst gleichmäßige Sätze und gleichmäßige Bedingungen der Beförderungen für ganz Deutschland herbeizuführen; er beabsichtigte ferner, die vielgestaltige Buntscheckig— keit der Bedingungen der Beförderung zu beseitigen und statt dessen ein ache, übersichtliche Normen und damit eine Verringerung der Selbst⸗ losten herbeizuführen; er beabsichtigte drittens, Ermäßigungen in den Beziehungen einzuführen, wo sie nothwendig erschienen, das Ver— haltniß der Klassen zu einander dem heutigen Verkehrsbedürfniß mehr mtzupassen und Einrichtungen zu beseitigen, die als gerechtfertigt zur Zeit nicht mehr anzusehen sind. . Meine Herren, ich stehe im wesentlichen auch heute noch auf dem Standpunkte meines Herrn Amtsvorgängers, ich erkenne die Grundidee diese Reformprojects auch meinerseits als durchaus rationell und wirthschaftlich berechtigt an. Ich würde also im Grunde genommen auch gegen den, wie der Herr Abg. Broemel selber gesagt hat, be— scheidenen Antrag, den er eingebracht hat, meinerseits nichts zu er— innern haben, wenn nicht in demselben eine Bemerkung stände, die, glaube ich, doch nicht ganz richtig und auch nicht ganz durchführbar ist wenn er nicht gesagt hätte: „jedoch unter Ausschluß von Tarif— *rböhungen , Meine Herren, wenn wir eine systematisch und wirth— 66 richtig gestaltete Tarifreform einführen wollen, so dürfen wir, h ö. ich nicht minutiös suchen, ob vielleicht in der oder jener Ver⸗ ne. ob in dem oder jenem Rilometersatz irgendmal eine * hung vorkommt. Ich glaube, derartige Erhöhungen sind wirth⸗— . 9 gar keiner Bedeutung gegenüber den außerordentlichen err e ö welche beisvielsweise dieses Reformprejerct dem allgemeinen eum , Schließen wir aber von vornherein alle und jede Er⸗ amal u. so ist das doch im Grunde genommen nur durchzuführen urchzufunn sehr viel höherem finanziellen Risico und ,. nur dies . auch die übrigen deutschen Bahnen mit 3. Klagen einverstanden sind. aud be daher bitten, deß Sie diese Clausel: jedoch unter Ante * . Tariferhõöhungen jedenfalls nicht , Ob der dart ö. . Abg. Broemel eine große praltische 2B edeutung hat, Ged zt er, glaube ich, sich selbst ebenfalls keine zu weittragenden anken. Meine Herren, ich nehm, keinen Anstand zu erklären, daß

Personentarife in den Papierkorb zu legen oder auch nur drauf⸗— zuschreiben: reproducatur nach einem Jahr, sondern wir beabsichtigen, recht fleißig und recht eingehend die Frage weiter zu treiben, sie weiter zu studiren, mit den wirthschaftlichen Beiräthen uns thunlichst zu verständigen, sie demnächst in dem Landes-Eisenbahn— rath zur Berathung zu bringen und auch mit den übrigen Bundesregierungen uns ins Einvernehmen zu setzen, um möglichst eine einheitliche Reform für ganz Deutschland durchzusetzen, damit wir in der Lage sind, dann, wenn die allgemeine Finanzlage es uns ge— stattet, dieses Reformproject durchzuführen, sofort mit fertigen Dingen ins Land zu treten. Wir beabsichtigen auch keineswegs, das nun hinter dem Rücken des Landtags zu thun; ich glaube aus den Mittheilungen, die meinerseits an den Landtag gemacht worden sind in allen wichtigeren Fragen, werden Sie die Ueberzeugung gewonnen haben, daß ich durchaus nicht beabsichtige, mit irgend etwas hinterm Berge zu halten. Aber, meine Herren, mit unreifen Dingen den Landtag zu befassen, das habe ich nicht gewagt und werde es auch in Zukunft nicht wagen. (Bravo! rechts) Das Reformproject meines Herrn Amtsvorgängers enthält ein finanzielles Risico von 51 Millionen, so wie es seiner Zeit im ‚Reichs⸗-Anzeiger veröffentlicht worden ist. Es gehen davon ab diejenigen Mehrerträge, die aus der Aufhebung der Gepäckfreiheit voraussichtlich resultiren, die natürlicherweise abhängig sind von der Höhe der Sätze, welche man für den Gepäcktarif dem— nächst einführen wird. Man kann aber vielleicht annehmen, daß der Mehrertrag aus der Gepäckfracht sich auf 7 bis 10 Millionen be— laufen wird ich will die größere Zahl annehmen —; dann kämen wir auf 41 Millionen. Nun ist ja unzweifelhaft, daß ein Theil dieses Ausfalls durch Erhöhung der Frequenz wieder eingebracht werden wird, allein, meine Herren, doch nur allmählich; es wird ein längerer Zeitraum dafür nöthig sein. So viel ich mich erinnere, hat für den verhältnißmäßig geringeren Ausfall, den die bayerischen Staatsbahnen sich ausgerechnet haben, der Herr Minister von Crails— heim den Zeitraum von 7 Jahren in Aussicht genommen. Ich glaube, daß wir mindestens denselben Zeitraum brauchen werden. Meine Herren, es ist immer nur von Ausgleichung der Ein— nahmeausfälle, also von Wiederherstellung der Bruttoeinnahmen die Rede gewesen. Bei allen derartigen Reformprojecten ist aber auch damit zu rechnen, daß eine Vermehrung der Ausgaben eintritt, daß also die Ausgleichung in den Ueberschüssen jedenfalls einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen wird, als die Ausgleichung der Ein— nahmeausfãälle. Meine Herren, ich könnte meine Bemerkungen hiermit schließen; ich möchte aber nicht gern unerläutert lassen eine Bemerkung des Abg. Broemel, die für ihn auch mit als beweiskräftig angesehen worden ist für die Dringlichkeit der Reform der Personentarife, nämlich das Ver— hältniß des Zuwachses in den verschiedenen Klassen, der Zuwachs an Frequenz, insbesondere in der vierten Wagenklasse. Die statistischen Zahlen ergeben, wie der Herr Abg. Broemel richtig ausgeführt hat, daß der Zuwachs in der vierten Klasse procentual den Zuwachs in der dritten Klasse, was Personen anbetrifft, übersteigt. Meine Herren, das kann nicht wunderbar sein, denn wir haben uns bemüht, die vierte Klasse allmählich, menschenwürdiger“ zu machen, um den oft gehörten Vorwurf nicht länger auf uns sitzen zu lassen. Wir haben also in einem großen Theil unserer Wagen vierter Klasse bereits menschenwürdige Bänke angebracht, wir haben sie aber so gestellt, daß diese Wagen gleichzeitig auch noch benutzt werden können von den Leuten, die mit ihren Traglasten zu Markte gehen von den Arbeitern, die ihr Handwerkszeug zur Arbeitsstelle mitbringen, von den kleinen Hausirern, die ihre Kiepe bei sich haben, u. s. w. Wir sind in rasch steigendem Maße damit vorgegangen und beabsichtigen, das allgemein überhaupt durchzuführen. Von dieser Annehmlichkeit hat das Publikum sofort sehr eingehende Notiz ge— nommen und es ist naturgemäß ein Theil der Leute aus der dritten Klasse in die vierte Klasse hinübergerückt und hat von dem billigen Satz der vierten Klasse auf dem Nahverkehr gern Gebrauch gemacht. Dazu kommt, daß wir im höheren Maße die vierte Klasse den Per— sonenzügen beigegeben haben, als das bisher der Fall gewesen ist. Insbesondere haben ja die Privatbahnen in Deutschland immer eine gewisse Abneigung gegen die vierte Klasse gehabt. Ich kann das meinerseits nur bestätigen; ich habe 14 Jahre lang auch einer Privat— verwaltung angehört und wir thaten in dieser Beziehung nur das, was wir absolut mußten. Die Staatseisenbahnverwaltung hat weit mehr gethan; sie hat nicht nur in die Lokalzüge, sondern auch in durchgehende Personenzüge die vierte Klasse eingestellt, sie hat auch so— fort, wenn sie Privatbahnen verstaatlicht hat, die vierte Klasse auf diesen Bahnen ihrerseits eingeführt. Daraus erklärt sich meines Erachtens die starke Zunahme der Frequenz in den Wagen vierter Klasse. Zum Schluß kann ich nochmals wiederholen, daß ich der Ueber— zeugung bin, daß die Frage der Reform der Personentarife nicht wieder von der Tagesordnung verschwinden wird, (Zuruf links: sehr richtig!) und daß es daher auch Pflicht der Staatseisenbahnverwaltung ist, dieser Frage die allerernsteste Aufmerksamkeit zu schenken (Zuruf links: sehr richtig!) und ihrerseits alles zu thun, diese Frage demnächst zu einer gedeihlichen Lösung zu bringen. (Lebhaftes Bravo!) Finanz⸗Minister Or. Miquel: Meine Herren! Gestatten Sie mir auch vom Standpunkt der Finanzverwaltung über den Antrag des Herrn Broemel einige wenige Worte. Ich möchte mit einer mehr persönlichen Bemerkung be— ginnen. In der Budgetcommission stellte der Herr Abg. Broemel die Frage, ob nicht die nach seiner Meinung zu hohe Veranschlagung der Einnahme der Eisenbahnverwaltung durch den Finanz⸗Minister veranlaßt sei (Zuruf links) oder war es ein Anderer, der diese Frage stellte, darauf kommt es mir hier nicht an. Sowohl der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten als ich verneinten diese Frage auf das allerbestimmteste. Damit hätte sich doch wohl der Herr Abg. Broemel beruhigen können, wenn die beiden Minister eine so bestimmte Erklärung abgeben. Statt dessen kommt nun hier der Herr Abg. Broemel und sagt, ja, wenn das auch nicht durch bestimmte Worte geschehen sei, so habe doch in Bezug auf die zu hohe Veranschlagung wahrscheinlich der Finanz— Minister den Geist gehabt, und das Ministerium für öffentliche Arbeiten hat diesem Geist entsprechend gehandelt. Ich verstehe gar nicht, was das eigentlich heißen soll. Ich beziehe mich übrigens auf die noch— malige ausdrückliche Erklärung meines Herrn Collegen, daß der Herr Abg. Broemel sich auch in dieser Beziehung irrt. Ich möchte aber bei dieser Gelegenheit hervorheben, daß der Finanz⸗Minister, der schwankende hohe Einnahmen in der Rechnung liebt, schon verkehrt handeln würde, der Finanz⸗Minister aber, der in den Etat nach seiner

drängt, daß sie aufgenommen werden, geradezu unverantwortlich han⸗ deln würde. (Sehr richtig!)

Meine Herren, was nun diesen Antrag selbst betrifft, so hat mein Herr College mit Recht gesagt, er würde niemals dem Hause unreife Projecte vorlegen. Nun, ich sage: der Antrag Broemel ist jedenfalls, was man auch über diese Materie selbst denkt, für die Beschlußfassung des Hauses nicht bloß in Beziehung auf die von meinem Herrn Collegen bemängelten Worte, sondern überhaupt unreif. (Bravo! und Heiterkeit.)

Meine Herren, ich frage: wie viel Abgeordnete sitzen hier vor mir, welche jetzt schon bestimmt aussprechen wollen und können, daß die Reform der Personentarife nach Maßgabe des von der Staats regierung vorläufig aufgestellten Planes stattfinden solle? Die An— sichten über die Nothwendigkeit der Reform gehen überhaupt noch sehr weit auseinander; die Ansichten über die Opportunität und augen— blickliche Durchführbarkeit gehen noch weiter auseinander; die Ansichten über die Details dieses Plans werden aber doch jedenfalls einer gründ— lichen Erörterung hier im Landtag bedürfen, ehe der Landtag einer derartigen Beschluß fassen kann. Ich kann nur bitten, den Antrag überhaupt abzulehnen, wobei ja natürlich gar nicht die Tendenz des Landtags sein kann, ebensowenig wie es die Tendenz der Staats— regierung ist, der Zweckmäßigkeit einer Reform überhaupt, der Weiter— bearbeitung des Reformplans damit entgegenzutreten.

Meine Herren, in der gestrigen Debatte ich mußte leider das Haus verlassen sind nun auch die Fragen, welche sich auf die Stellung der Finanzgebahrung der Eisenbahnen zu der allgemeinen Finanzverwaltung beziehen, besprochen. Es ist die Vergangenheit in dieser Beziehung von verschiedenen Rednern einer scharfen Kritik unter— worfen; es ist dabei sogar der Ausdruck gefallen ich hoffe, es war nur ein lapsus verbi —, daß bisher in dieser Beziehung eine gewisse Mißwirthschaft bestanden habe. Nun, meine Herren, ich persönlich bin der Meinung, daß das Garantiegesetz von 1882 seine Hauvtauf— gabe, eine gewisse sowohl für die allgemeine Finanzverwaltung als für die Eisenbahnverwaltung nothwendige Grenzlinie zu ziehen, nicht voll erfüllt hat, und daß das wesentlich an den Bestimmungen des Gesetzes selbst liegt. Ich bedaure dies auch und ich gebe zu, daß daraus manche Nachtheile entstanden sind, die ja die Finanzverwaltung am meisten fühlt, und von welchen wir die Rückschläge ja jetzt vor uns sehen. Aber von einer Mißwirthschaft in der preußischen Finanz- verwaltung oder in der preußischen Eisenbahnverwaltung zu sprechen, dagegen muß ich doch entschieden Protest einlegen. (Sehr richtig!)

Meine Herren, die Durchführung des gewaltigen und schwierigen Werkes der Verstaatlichung der Eisenbahnen, die Ueberführung von Tausenden von Kilometern Privatbahnen in den Staatsbetrieb ist in einer so glänzenden Weise vor sich gegangen (lebhafter Beifall), daß sie immer ein Ruhmeszeugniß der ganzen preußischen Verwaltung sein wird. (Lebhaftes Bravo.)

Ich kann aber auch nicht zugeben, daß man von einer unrichtigen und incorrecten Verwaltung selbst im einzelnen sprechen kann. Die Resultate dieser großen Maßnahme liegen vor uns; sie Uiegen vor uns nicht bloß in den bereits 6000 km betragenden Secundärbahnen, welche schen im Betriebe sind, in der großen An⸗ zahl von Secundärbahnen, die im Bau begriffen sind und demnächst in Betrieb kommen werden; sie liegen auch vor in den großen Reformen, die in der Verwaltung selbst durchgeführt sind, namentlich in der Verbesserung der Lage der Beamten selbst, und auch in sehr bedeutenden Tarifreformen.

So sehr ich also mit den Zielen, die die Herren Vorredner in Bezug auf eine in Zukunft besser durchzuführende Grenzscheide zwischen der Finanzverwaltung des Staats und der Eisenbahnfinanzverwaltung einverstanden bin, so habe ich mich doch für verpflichtet gehalten, nicht etwa gewissermaßen durch Schweigen als zustimmend zu erscheinen, daß man eine derartige Kritik daran anknüpfte.

Die Stellung der allgemeinen Staatsfinanzen hängt mit der Finanzverwaltung der Eisenbahnen und somit auch mit dem vor— liegenden Antrag des Herrn Abg. Broemel zusammen, und ich möchte meine weiteren Ausführungen hieran gerade anknüpfen.

Ich habe schon bei einer anderen Gelegenheit gesagt: gewiß giebt es Reformen im Tarifwesen, die sehr geringe Risiken für die Finanz⸗ verwaltung enthalten, wo man mit ziemlicher Sicherheit berechnen kann, daß nach wenigstens einer sehr kurzen Uebergangszeit der Ver— kehr sich derartig heben wird, daß aus der Reform eine Vermehrung selbst der Nettoeinnahmen hervorgeht, wobei ich aber bemerken will, daß ich vielfach finde, daß man allzu sehr bloß auf die Brutto— einnahmen sieht und eine Calculation, ob Nettoeinnahmen aus einer Vermehrung der Bruttoeinnahmen sich ergeben, in der Regel bei Seite läßt. Aber es giebt auch sehr reelle Reformen anderer Art und mit anderen Wirkungen. Wenn hier mein Herr College selbst geäußert hat, daß die Durchführung des damals auf— gestellten Planes für die Reform der Personentarife einen Minusertrag von 51 Millionen ergeben könnte, so möchte ich das Haus bitten, bei allen Beschlußfassungen über solche Reformen sich die drei nur allein möglichen Alternativen vorzuhalten.

Wenn die Reform durchgeführt wird Verlust von 51 Millionen Mark. Wodurch sollen diese gedeckt werden? Sie können in diesem Fall nur gedeckt werden, da Ueberschüsse in der Staatskasse gegen—⸗ wärtig nicht vorhanden sind, entweder dadurch, daß man die Steuern erhöht, oder daß man das Ordinarium des Etats mit Anleihen füllt. Meine Herren, wenn die Frage so gestellt wird, dann, glaube ich, werden doch die eifrigsten Vertreter einer solchen Reform in dem gegenwärtigen Augenblicke selbst dabei sehr bedenklich werden. E mag sein, daß der Vorschlag, diese Ausfälle einfach durch Anleihen zu decken, vielleicht noch den meisten Anklang finden würde, weil das nicht unmittelbar gefühlt werden kann; aber dazu kann die Finanz⸗

verwaltung sich nicht hergeben, und dem wird auch das Haus nicht zustimmen. Wenn aber gefragt wird: sollen diese Tarife, die doch zu einem so regen Verkehr geführt haben, sodaß die Einnahmen jahr⸗ aus, jahrein sehr erheblich gestiegen sind, in einer so schwierigen Finanzlage durchgeführt auf das Risiko eines Verlustes von vorerst 51 Millionen hergenommen werden und soll dieser Verlust gedeckt werden durch eine Steuerhöhung, durch eine Verdoppelung der früheren Einkommensteuer? so weiß ich sehr wohl, wohin die Ent⸗ scheidung fällt. Daß die Finanzverwaltung daher in der gegenwärtigen Situation gegenüber solchen Reformen doch mit großer Vorsicht ver⸗ fahren muß, darüber kann nicht der geringste Zweifel sein. Ich wollte auch, wir hätten eine andere Finanzlage, wir könnten über große Ueber- schüsse leichthin disponiren; dann würde man ganz gewiß geneigter sein,

au ie S ö f . ch die Staatsregierung durchaus nicht Willens ist, die Reform der

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eigenen Ueberzeugung zu hohe fictive Einnahmen aufnimmt oder dahin!

derartige Risiken auf sich zu nehmen. In der gegenwärtigen Zeit

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