Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 22. Sitzung vom Freitag, 26. Februar.
Der Sitzung wohnt der Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch bei. d
Auf der Tagesordnung steht die zweite Berathung des Etats der Verwaltung für Handel und Gewerbe.
Die Einnahmen werden ohne Debatte bewilligt. Beim ersten Titel der Ausgaben: Gehalt des Ministers, ergreift das Wort Abg. Goldschmidt (of): Er wiederhole nur ungern Be⸗ schwerden, die bereits im vorigen Jahre vorgebracht seien, aber es sei nothwendig, weil ihnen noch immer nicht abgeholfen sei. Es handele sich um den Kampf der Berliner Gastwirthe gegen die Vor⸗ rechte, die der Gastwirthsinnung verliehen worden seien, obwohl die Innung an Zahl der Mitglieder weit hinter der Zahl der zum Beitritt derechtigten Richtinnungsmitglieder zurückstehe, und er möchte den Minister um Auskunft über die Stellung bitten, die er zu der Petition des Vereins Berliner Gastwirthe vom 15. Juli 1891 ein⸗ nehme. Die Zahl der Innungsmitglieder habe 1891 nach der eigenen Angabe der Innung 311, die Zahl der zu Beiträgen beran⸗ zogenen Richtinnungsmitglieder 715 betragen; die Innungsmitglieder machten also. von der Gesammtzahl, der mindestens einen Ge⸗ hilfen Beschäftigenden noch nicht den dritten Theil aus. Aber nicht nur diese 715 hätten ein Recht, die Vorrechte zu be— kämpfen, sondern auch die 3000 Gastwirthe, welche keinen Gehilfen' beschäftigten, hätten ein Recht dazu; denn sie könnten ja jeden Aug e, in die gleiche Lage kommen, für eine Innung zu zahlen, von der sie nit wissen wollten. Obwohl nun die Nichtinnungsmitglieder von den Kosten für die Innungsfachschule befreit feien, würden doch die Forderungen der Innung an Beiträgen immer größer. 1890 seien nur 450 „½ 1891 trotz Fortfalls der Beiträge für die Fachschule 6 A6 und 1892 werden 650 A gefordert worden! Welches seien denn nun die Leistungen der Innung? Nach dem Magiftratsberichte habe die Innung dem Vorsteher der Innungs⸗ herberge 1800 0 Remuneration und für das Local 509 (. gezahlt, wofür ganze 20 Gehilfen im Laufe des Jahres ein Unterkommen dort gesucht härten. Die Innung habe nach ihren Angaben 4450 Stellen vermittelt, nebenbei bemerkt, trotzdkem nur 1565 Bewerber da gewesen seien, das Bureau der freien w ing aber 9036, allerdings gegen Zahlung einer Vermittelungsgebühr. Nun rühme der Minister die Roftenfreiheit des Arbeitsnachweises der Innung, das sei ja anerkennens⸗ werth; aber warum solle jemand, dem eine Stelle nach⸗ ewiesen werde, nicht au dafür bezahlen, und die Ge— flfen felbst legten ja keinen so großen Werth auf die Kostenfreiheit, denn sie wendeten sich doch nur zum geringsten Theil an die Innung, zum größten Theil doch an die von der Gehilfenschaft selbst eingerichteten nicht kostenfreien Nachweise. Die Gebühren für den Nachweis einer Stelle durch den Verein Berliner Gastwirthe seien entsprechend der Einträglichkeit der Stellen abgestuft, nur Stellen mit 15 bis 25 S6 Tageseinnahme zahlten 5 M6, die anderen,. weniger, und der größte Theil der Arbeitsuchenden, die Lohn- und Hilfskellner, nur 35 3 für eine zugewiesene Stelle. Nun werde niemand etwas dagegen haben, daß Gastwirthe sich zusammenschlössen und ihrer Ver— einigung den Charakter der Innung gewönnen; aber eine Organisation zu schaffen, von der der größte Ibel derjenigen, für die sie bestimmt sei, nichts wissen wolle, gehe doch zu weit. Er sei im parlamenta⸗ rischen Leben gewöhnt, daß Minoritäten majorisirt würden: daß aber eins Minorität einer organisirten Majorität ihren Willen aufnöthigen dürfe, nur weil die Behörde das beliebe, sei jedenfalls ein Unicum. Die freien Vereinigungen hätten für ihre Fachgenossen Tüchtiges geleistet, wie er das schon früher hervorgehoben habe, und er bitte haber den Minister, diefen unleidlichen Zustand endlich zu beseitigen.
Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:
Meine Herren! Im wesentlichen hat der geehrte Herr Vor⸗ redner denselben Standpunkt zu der von ihm angeregten Auffassung eingenommen, den er auch im vorigen Jahre eingenommen hatte, und dasselbe ist bei mir der Fall. Ich habe mir damals erlaubt, die Gründe, die mich bestimmten, auszuführen und, da seit dem vorigen Jahre eine wesentliche Aenderung in den thatsächlichen Verhältnissen nicht eingetreten ist, so kann ich mich auch nicht entschließen, an einer Anordnung, die ich vor ganz kurzer Zeit getroffen habe, heute wieder eine Aenderung vorzunehmen. Dazu würde doch gehören, daß sich durch die von mir getroffene Bestimmung wesentliche Mißstände herausgestellt hätten, und solche Mißstände sind bisher nicht zu meiner Kenntniß gekommen.
Der Herr Vorredner hat eine Reihe von Zahlen angeführt in Bezug auf die Geringfügigkeit der Benutzung der Institute, die von der Gastwirthsinnung ins Leben gerufen sind. Ich bin leider nicht genügend vorbereitet, um ihm auf diese einzelnen Zahlen heute ant— worten zu können. Ich muß erwähnen, daß von den Betheiligten uns diese Zahlen nicht vorgebracht worden sind. In der Petition, velche die Gastwirthsvereine vor einiger Zeit an mich gerichtet haben, die im vorigen Jahre getroffene Anordnung wieder aufzuheben, kann ich zur Zeit nicht stattgeben, ich sage dem Herrn Vorredner aber zu, die Verhältnisse der Gastwirthsvereinigung und der Gastwirths— innung mit Aufmerksamkeit zu verfolgen. Wenn ich finden werde, daß sich durch die von mir getroffene Anordnung wirklich wesentliche Mißstände herausstellen, so würde ich nicht Anstand nehmen, die ge⸗ troffene Anordnung wieder zu beseitigen. So lange das aber nicht der Fall ist, so lange kann ich mich dazu nicht entschließen.
Abg. Lohren ffreicons.): Er möchte vom Minister erfahren, welche Stellung er in der Handwerkerfrage, insbesondere in Bezug auf die Einführung des Befähigungsnachweises einnehme. Er habe im Verein mit seiner Fraction im Reichstag einen diese anstrebenden Gesetzentwurf eingebracht, der lange nicht so weit gegangen sei wie der dieselben Zwecke verfolgende, Antrag des Centrums und der Deutscheonservativen, dem der Reichstag am 20. Januar 1890 seine ZJustimmung ertheilt habe. Seine Fraction habe es für unmöglich gehalten, daß diesem Beschluß die Reichsregierung beitreten könne, weil darin auf die Fortschritte der Maschinentechnik und auf die For⸗ derungen der unbemittelten Gehilfen zu wenig Rücksicht genommen fei; dennoch habe sie sich über die Annahme des Antrages gefreut, weil die Regierung hierdurch gezwungen worden sei, zu dieser Frage endlich einmal Stellung zu nehmen, Aber es sei nur klar geworden, daß die höheren Beamten wesentlich auf dem manchester⸗ lichen Standpunkt ständen; er habe nicht geglaubt, daß dieser Standpunkt bei Behandlung der für das Volkswohl wefentlichsten Frage maßgebend sein könne. Die eheimnißvolle Art, in der der Bundesrath über den Beschluß des 3636 Beschluß gefaßt habe, liefere dafür den Beweis. ie Art der Behandlung der Handelsverträge und das Auftreten gegenüber den Forderungen der Sandwerker bewiesen, daß ein großer Theil der höheren Beamten mehr Werth lege auf abstracte Theorien, als auf ge⸗ werbliche Erfahrungen. Die Einführung der Gewerbefreiheit habe unzählige Handwerkerexistenzen ruinirt oder wesentlich zurückgebracht; die damit verbundene Zerftbrung der Jahrhunderte alten gewerb⸗ 16 und gefellschaftlichen Ordnung des deutschen Handwerks habe dahin geführt, daß der Kapitalismus auch da, wo keine Fabrikeoncur⸗ renz vorhanden gewesen sei, dem Handwerk immer mehr den Beden entzogen und das Beste an sich gerissen habe. Dieser bedenkliche socialistische Satz werde don jedem Handwerker als Thatsache empfun⸗ den, der die Kunden aus seiner Werkstatt weg in die großen Ma⸗
gzine gehen und seine ärmeren Collegen zu Lohnarbeitern dieser Magazine herabsinken sehe. Diese Lohnarbeiter ständen noch schlechter da, als die durch das Zeitalter der Maschinenerfin⸗ dungen hervorgebrachten Fabrikarbeiter und diese Lohnarbeiter be⸗ griffen es sehr wohl, wenn ihnen der Drechsler Bebel oder der Sattler Auer auseinandersetze, daß, wie die Verschlechterung ihrer Tage aus einer die Gewerbeverhältnisse fundamental verändernden Gesetzgebung resultire, so 1 eine Verbesserung nur durch eine grund⸗ sätzliche gesetzliche Reform herbeigeführt werden könne. olchen Erfahrungen gegenüber mässe er es aufs tiefste beklagen, daß den eine Veränderung ihrer Lage anstrebenden Handwerkern von der. Regierung resp. einem hohen Staatsbeamten erwidert worden sei: wenn sie eine solche Reform wünschten, möchten sie sich an die Socialdemokraten wenden. Das sei ein ganz gefährlicher Ausspruch! Gbenso sei es auch sehr weitgehend gewesen, wenn kurz darauf der Minister von Byetticher im Reichstag alle Bitten der Hand⸗ werker kurz und schroff abgewiesen habe. Dieser unglückliche Verlauf der Dinge habe aber die eine gute Wirkung gehabt, daß sich die deutschen Handwerker fest zusammenschlössen. Die imposante Versammlung, welche der deutsche Innungs⸗ und Allgemeine Handwerkertag vor kurzem in Berlin abgehalten habe, beweise, daß die deutschen Hand⸗ werker fest zusammenständen und auch ohne die Soeialdemokratie fertig zu werden hofften. Er freue sich, daß der Minister den Be—⸗ strebungen, die in jener Versammlung zu Tage getreten seien, seine Mitwirkung gewähren wolle. Der im Reichstag von seiner Fraction eingebrachte Antrag auf . des He r n neh eife⸗ bilde eine Brücke, auf der der Minister den Handwerkern die Hand reichen könne. Dieser Antrag habe fich in den bescheidensten Grenzen gehalten, in so bescheidenen, daß die Handwerker ihn am liebsten verleugneten. Denn Zünfte. Bundeslade, MeisterprüfFing mit großem rn. Meifterstuck, Beschränkung des Maschinenbetriebes und ähnliche weit⸗ gehende Forderungen seien nicht, in ihm enthalten gewesen; seine Fraction wolle nur, daß derjenige, welcher ein Handwerk ordnungs⸗ gemäß gelernt habe und drei Jahre als Geselle beim Meister oder
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in einer gewerbeverwandten Fabrik gearbeitet habe, einzig und allein
berechtigt sein solle, das Handwerk selbständig zu betreiben; und auch
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dies berlange sie nicht für alle Handwerker, sondern nur für diejenigen Gewerbe, in denen auch heute noch die Gesellen gewohnheitsgemäß frei⸗ gesprochen zu werden pflegten. Nur für eine Klasse von Gewerbe⸗ treibenden gehe sie etwas weiter, nämlich für diejenigen, welche bei mangel⸗ hafter Ausführung Leben und Gesundheit der Mitbürger gefährdeten. Dafür verlange sie eine Meisterprüfung, aber durchaus nicht in der alten chicanösen Art, wo der Fonecurrenzneiz so großen Einfluß gehabt habe. Sie wolle dem Handwerker einen gerechten Ertrag seiner Arbeit sichern; das sei durchaus vereinbar mit der großartigen industziellen Entwickelung unserer Zeit. Es würde ihm lieb sein, vom Minister zu hören, welche Haltung er der großen kommenden Bewegung der Handwerker gegenüber einzunehmen gedenke, und ob er den Handwerkern in diesem schweren Kampfe beistehen wolle oder nicht.
Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:
Meine Herren! Die Frage des Handwerks ist eine Sache des Reichs, und wenn ich im Detail auf die Ausführungen des Herrn Vorredners eingehen wollte, so würde ich Discussionen vorausnehmen, die zweifellos an anderer Stelle noch bevorstehen. Ich will indessen nicht verkennen, daß es für das hohe Haus von Interesse ist, zu wissen, welche Stellung der preußische Handels-Minister in dieser Frage einnimmt, und ich scheue mich nicht, hierüber einige An⸗ deutungen zu machen, wenn ich mich auch dahin reserviren muß, daß ich mir die definitive Stellungnahme vorbehalten muß. Ich bin auch nicht in der Lage, in irgend einer anderen Weise auf diese Frage ein⸗ zuwirken, als daß ich meine Stimme im preußischen Staats— Ministerium in dieser oder jener Richtung abgebe. Es wird sich dann fragen, ob das preußische Staats-Ministerium meiner Auffassung beitritt und dementsprechend seine Anträge an den Bundesrath richtet. Es handelt sich also, wie gesagt, nur um meine ganz persönliche Auf⸗ fassung, und auch bezüglich dieser muß ich mich dagegen verwahren, daß sie als eine definitive angesehen wird. Eins möchte ich voraus⸗ schicken. Der Herr Vorredner hat sich auf einige Aeußerungen bezogen, die den Handwerkern gegenüber von Staatsbeamten gefallen sind, und die seiner Meinung nach so schroffe sind, daß die Handwerkerpartei sich dadurch außerordentlich verletzt und zurückgestoßen fühlen mußte.
Die erste dieser Aeußerungen soll dahin lauten, daß die Hand— werker sich nur an die Socialdemokraten wenden möchten, sie würden ihnen helfen. So ungefähr sollen die Worte gelautet haben. Meine Herren, diese Anführung, die gelegentlich der letzten Handwerkertage gemacht ist, ist total falsch und entstellt. Dem betreffenden hohen Staatsbeamten, der übrigens nicht meinem Ressort angehört, wurde in den Verhandlungen mit den Handwerkern gesagt, daß, wenn die Staatsregierung den Forderungen des Handwerks in Bezug auf den Befähigungsnachweis nicht nachkommen werde, das Handwerk genöthigt wäre, sich an die Socialdemokratie anzuschließen. Auf diese Aeuße⸗ rung gab es meines Erachtens nur eine richtige Antwort, und die ist gegeben worden. Der betreffende Staatsbeamte hat darauf erwidert, daß, wenn es wahr ist, daß die Handwerker deshalb, weil einzelne Forde⸗ rungen von ihnen von der Staatsregierung nicht erfüllt werden, sich sofort an die Socialdemokraten wenden, es um diejenigen Handwerker nicht schade sein würde, die das ohne weiteres thun. (Sehr richtig! links) Im übrigen glaube er bestimmt, daß die Handwerker das nicht thun würden. Meines Erachtens kann man richtiger auf jene Aeuße⸗ rung nicht antworten (sehr richtig), und eine Zuweisung der Hand⸗ werker an die socialdemokratische Partei ist in gar keiner Weise erfolgt.
Ferner hat der Herr Vorredner gemeint, daß der Herr Staats⸗ secretär von Boetticher in der Sitzung des Reichstags die Forderungen des Handwerks kurz und schroff abgewiesen habe. Meine Herren, ab⸗ gewiesen hat er sie, kurz und schroff hat er sie meines Erachtens nicht zurückgewiesen. Ich wenigstens kann aus dem Wortlaut seiner Rede nicht folgern, daß irgend eine Schroffheit von ihm auch nur gedacht worden ist. Es ist für mich außer jedem Zweifel, daß der Herr Staatssecretär von Boetticher, gerade so wie ich, den Handwerkern das allerlebhafteste Interesse entgegenbringt, daß er, wie ich, auf das ernsthafteste bemüht ist, den zweifellosen Uebelständen, die sich für den gewerblichen Mittelstand im Laufe der Zeit herausgestellt haben, ab⸗ zuhelfen, daß es ihm aber ganz fern liegt, eine schroffe Stellung den betreffenden Handwerkern gegenüber einzunehmen.
Im übrigen, meine Herren, halte ich es für durchaus richtig, daß über diese Frage des obligatorischen Befähigungsnachweises von der Reichsregierung, die hier competent ist, eine deutliche Erklärung abgegeben worden ist. Das ist auch im Interesse der Handwerker viel richtiger, als daß sie, wie das bisher geschehen ist, jahrelang hin⸗ gehalten worden sind und daß sie nicht gewußt haben, welche Stellung die Staatsregierung zu dieser Frage einnimmt. Die Folge davon wird die sein — das ist ganz richtig gesagt worden —: das Hand⸗ werk wird sich eng zusammenschließen, um seine Interessen zu ver⸗ treten. Dagegen ist gar nichts einzuwenden. Ich hoffe aber auch, das Handwerk wird sich überlegen, ob es nicht andere Mittel giebt
außerhalb des obligatorischen Befähigungsnachweises, auch im Wege der Gesetzgebung, um ihren Schmerzen und Leiden zu Hilfe zu kommen.
Meine Herren, wenn nachgewiesen werden könnte, daß wirklich der obligatorische Befähigungsnachweis den Handwerkern das bringt, was sie hoffen, nämlich die Concurrenz des Großkapitals zu überwinden den Handwerkern eine gesicherte Existenz zu geben, so würde ich mich für diesen obligatorischen Befähigungsnachweis erklären, selbst auf die Gefahr hin, daß dem consumirenden Publikum dadurch eine ganze Reihe von Unbequemlichkeiten, vielleicht auch Schäden entstehen. Ich bin ganz der Ansicht, daß die Erhaltung dieses unseres gewerblichen Mittelstandes eine der wichtigsten Aufgaben der Staatsregierung ist und aus diesem Grunde würde ich, wie gesagt, auch das Mittel des obligatorischen Befähigungsnachweises ergreifen, wenn es meiner Auf⸗ fassung nach zu dem Ziele führte, welches man davon erhofft.
Meine Herren, nach eingehender Beschäftigung mit der Frage bin ich zu der Ueberzeugung gekommen, daß der obligatorische Be— fähigungsnachweis nicht nur dem Handwerk das Erhoffte nicht bringen sondern ihm selbst zum allerempfindlichsten Schaden gereichen wird. (Sehr richtig! links) Für mich ist das nicht ein theoretischer Satz — die ganze Frage wird ja sonst leider zum großen Theil theoretisch behandelt; wir sind meines Erachtens in der Lage, auf praktische Vor⸗ gänge hinzuweisen, auf die Vorgänge in Oesterreich. Dort ist seit nahezu 10 Jahren der obligatorische Befähigungsnachweis, wie Sie wissen, eingeführt. Alle Nachrichten, die wir über die Wirkung dieser Bestimmungen dort haben, gehen dahin, daß dem Handwerk in keiner Weise durch die Einführung des obligatorischen Befähigungsnachweises geholfen ist.
Nebenbei will ich bemerken, daß, soviel mir bekannt ist, derselbe in den ländlichen Districten und in den kleineren Städten überhaupt nicht zur Einführung gekommen ist, sondern nur in den dicht be— völkerten Städten der österreichisch⸗ungarischen Monarchie.
Meine Herren, ich muß mich davon dispensiren, in dieser Frage eingehender zu werden. Wie gesagt, ich halte es für mich nicht für zulässig, heute hier auf die ganze Handwerkerfrage in ihren Einzel— heiten einzugehen, die Einwendungen und Behauptungen, die in Bezug auf den obligatorischen Befähigungsnachweis gemacht werden, zu er⸗ örtern oder zu widerlegen.
Ich bin der Meinung, meine Herren, das, was das Handwerk braucht, ist erstens ein Zusammenschließen zu Genossenschaften, um das zu ergänzen, was dem Einzelnen an Kapital fehlt, durch gemeinsamen Bezug von Rohmaterialien, vielleicht auch durch gemeinsame Etablirung von Verkaufsstätten und andere gemein— same Einrichtungen mehr. Das Handwerk muß dafür sorgen, daß es creditfähig wird und ecreditfähig, das kann es nur, wenn es sich zu Genossenschaften zusammenschließt. Zum ersten Mal, seitdem die Handwerkerbewegung überhaupt im Gange ist, ist in jüngster Zeit ein Versuch in der Richtung von einer Innung gemacht worden, sich als solche Credit zu verschaffen, den sie dann den ein— zelnen Mitgliedern zu gute kommen lassen will. Ich muß es auf das aufrichtigste bedauern, daß dieser Weg der Genossenschaftsbildung bisher von dem Handwerk — man kann beinahe sagen — völlig verachtet worden ist. Noch in der letzten Hand— werkerversammlung ist eine Aeußerung gefallen von einem der Vertreter des Handwerks, daß das Genossenschaftswesen für das Handwerk überhaupt eine unbrauchbare Sache sei, vielleicht sei es für Fabrikarbeiter anzuwenden, um ihre Existenz zu erhalten und zu erleichtern, aber für das Handwerk sei das Genossenschafts— wesen nicht brauchbar. Ich verstehe nicht, wie man sich auf einen solchen Standpunkt stellen kann. Denn, wenn man die Mittel, die nahe liegen, und die zu ergreifen möglich sind, in einer — hier kann man wirklich sagen — schroffen Weise zurückweist, so kann man wirklich kaum noch in Anspruch nehmen, daß die Gesetzgebung andere Mittel erfindet, um dem Handwerk zu Hilfe zu kommen. Ich hoffe nur, daß die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit der Genossen— schaftsbildung im Handwerk eine erheblich stärkere werden wird, als sie bisher gewesen ist. Vielleicht wird das offene Auftreten der Reichsregierung dem obligatorischen Befähigungsnachweis gegenüber dazu führen.
Das zweite, meine Herren, ist die bessere technische Ausbildung des Handwerks. (Sehr richtig! links) Auch in dieser Beziehung kann ich dem Handwerk den Vorwurf nicht ersparen, daß es an vielen Stellen seine Aufgabe nicht richtig erfüllt hat. Ich kann es aber auch aussprechen, daß ich bedauere, daß seitens der Staatsregierung nicht die nöthigen Mittel flüssig gemacht werden konnten, um das technische Können mehr zu heben, als das bisher geschehen ist. Ich werde stets mein Bemühen dahin richten, die nöthigen Mittel zu erlangen, um auch ganz besonders für das Handwerk technische Fachschulen herzustellen, die ihm die technische Ueberlegenheit geben, die das Großkapital in seinen Werkstätten, wo Massenartikel hergestellt werden, nie erreichen kann. Wir müssen uns doch unter allen Umständen darüber klar sein, daß alle einfachen Fa⸗ brikate, die heute die Maschine billig und für die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung genügend gut herstellt, dem Handwerk ver— loren sind. Das Handwerk muß sich auf die Qualitäten richten, es muß eigentlich in allen seinen Zweigen zum Kunsthandwerk werden; auch der Schuster muß zum Kunsthandwerker werden, auch der Schneider. Sie können die Massenproduction an Schuhwerk und an Kleidern nicht todt machen, ohne eine empfindliche Schädigung der arbeitenden Bevölkerung dadurch herbeizuführen, und nebenbei sind wir dazu gar nicht in der Lage, auch nicht durch den obligatorischen Befähigungsnachweis, wenn wir nicht zu einem Gesetz übergehen wollen, was das Herstellen solcher Massenartikel im Wege des Großbetriebes einfach untersagt. Ich glaube nicht, daß man ge⸗ sonnen sein kann, auch diesen Weg zu gehen. Dagegen giebt es große Kreise von Consumenten, die heute noch eine bessere Waare verlangen, z. B. für die Schuhwaaren. Derjenige Schuhmacher, der für die Bedürfnisse der wohlhabenden Bevölkerung arbeitet, ist in seiner Existenz in keiner Weise gefährdet nach meiner Kenntniß der Dinge; (sehr richtig! links) es gehört nur dazu, daß er sich immer mehr und mehr zum Kunsthandwerker auch auf dem Gebiet des Stiefels ausbildet, und ich bin überzeugt, wenn er diesen Weg beschreitet, so wird er dabei reüssiren.
Wir müssen ihm dabei zu Hilfe kommen, das muß dadurch ge⸗ schehen, daß wir z. B. für das Schuhmacherhandwerk — ich habe mir gerade diese Handwerke auserlesen, weil hier neuerdings ent⸗ sprechende Bestrebungen hervorgetreten sind, die mir wichtig und gut zu sein scheinen — Lehrwerkstätten errichten, durch welche die Meister sich zu einem Können erheben, was sie befähigt, die Concurrenß der
gabiilate des Großbetriebes für gewisse Bevölkerungs- und Consu—⸗
nentenkreise zu schlagen. In Dänemark bestehen Lehrwerkstätten für Schuhmacher, die mit solchem Erfolge arbeiten, daß heute Hunderte von dänischen Stiefelarbeitern nach Deutschland gehen, wo sie die gesuchtesten Gesellen sind. Das können wir auch, und deshalb müssen
bestrebt sein, solche Lehrwerkstätten herzustellen.
Nun, meine Herren, komme ich auf ein Gebiet, von dem ich glaube daß eine Annäherung an die Bewegung der Handwerker mög⸗ lich ist, das ist nãmlich das Lehrlingswesen Ich bin der Meinung, daß die technische Ausbildung des Handwerkers vor Allem heim Lehrling einzusetzn hat, (sehr richtig! links) und es wird die Frage entstehen, ob nicht die Gesetzgebung die Er⸗ ziehung des Lehrlings in einer ausgiebigeren Weise wird ausgestalten müssen, als das bisher geschehen ist. Auf diesen Weg zu treten bin ch bereit, ich bin mit den Vorarbeiten zu dieser Frage beschäftigt und hoffe, daß, wenn wir schließlich dazu gelangen werden, einerseits das Handwerk zu bewegen, sich in Genossenschaften zu vereinigen, andererseits die technischen Fähigkeiten des Handwerks zu heben und drittens mit der Gesetzgebung die Erziehung des Lehrlings in einer sachgemäßen, abschließenden Weise zu regeln, wir dann auch mit dem Handwerk uns zu einem befriedigenden Resultat zusammenfinden
fönnen. (Bravo!)
Abg. Dr. Meyer⸗Berlin (I fr): Wenn der Abg. Lohren meine, wir ständen auch heute noch auf, dem manchesterlichen Standpunkte, so scheine er seit zwanzig Jahren keine Zeitungen gelesen zu haben. Die Tuwditionen der Könige berger Schule Hätten sich in unserem Beamten⸗ Hum seit fünfzehn Jahren völlig in Staatssocialismus umgewandelt. Gegenwärtig hätten wir keinen Beamten mehr, der sich noch auf den sogenannten manchesterlichen Standpunkt stelle, vielmehr sei man sestrebk, den zünftlerischen Forderungen möglichst gerecht zu, werden n so die Gewerbeordnung möglichst zu entstellen. Jetzt sei die Richtung am Ende ihrer Weisheit, man erkläre die ohligatorische Innung für unmöglich. Der Minister ven Boetticher solle, wie der Abg. Lohren meine, diese a, n. schroff und kurz abgewiesen haben. Gz sei nun einmal seine ieblingsbeschäftigung, angegriffene Minister zu vertheidigen: schroff sei Herr von Boetticher nie, aber kurz noch
wit
ziel weniger. (Heiterkeit Es bleibe nach Lage der Sache jetzt
mir Eins übrig? Den Abg. Lohren auf;ufordern, auch seinen Entwurf über die obligatorische Innung einzureichen. Der Abg. Lohren sage eine roße Handwerkerbewegung voraus, er Redner) sage mit Schiller: Es ist Zeit, die Uebel beweinen, wenn sie nahen und wirklich erscheinen. Der letzte Handwerkertag sei doch nicht gerade glänzend verlaufen. Die Zünftler seien doch in der entschiedenen Minderheit unter den. Handwerkern. Am schlimmsten erscheine ihm der Zwang zur Gastwirthsinnung. Das Einzige, was an Tiesem Gewerbe handwerksmäßig betrieben werden, könne, sei paß Kochen. Aber das eigentliche Wesen des Gastwirthsstandes sei nicht die äußere Thätigkeit, sondern die Kunst, sich dem Menschen angenehm zu machen und Gäste heranzuziehen. Das seien Eigenschaften, die auf zänftlerischem Wege niemals erworben werden könnten. Ueber Hie bisherige Verwendung der Mittel, der Innungen sei aus den Ma⸗ a,,. en auch nicht das beste zu ersehen. Die Ausgaben für den Unterricht verhielten sich zu denen für Schmausereien, wie auf Falstaf's Rechnung der Betrag für Brod zu dem für Sect. .
Ahg. Lucius ⸗Erfurt (freicons.): Die Vertreter Nordamerikas hätten an die Reichstags-Abgeordneten Proben von Brot gesandt das aus einer Mischung von Roggen und Mais bestehe. Eine ähnliche Reklame fei wohl von unseren deutschen Vertretern im Auslande noch nicht gemacht worden, z. B. sei wohl noch keinem Parlaments⸗ mitgliede in Washington eine deutsche wollene Jacke oder etwas Aehn⸗ liches angeboten worden. Das Deutsche Reich mache 6 aber auch Anstrengungen, um dem deutschen Handel in jeder Weise aufzuhelfen. Man habe in Preußen ein besonderes Handels⸗Ministerium Handels⸗ fammern, Handelsschulen u. dergl. m. Das Neich sei durch seine Rarine. und durch koloniale Unternehmungen bemüht, für den Handel 'fwaz zu thun. Was ferner die Bedeutung der Handelsberträge an. , fo glaube er, diese werde nicht genug gewürdigt. Namentlich wichtig sei, daß bei den Vorbereitungen zu den Handelsvertragsver⸗ handlüngen auch die Handelskammern um ihre Meinung befragt worden feien; nur hätte das in ausgedehnterem Maße stattfinden und hätten sich die Regierungen direct mit den Großindustriellen und auch mit den Consulaten in Verbindung setzen müssen; Auch würde es wünschenswerth gewesen, sein, wenn die Resultate der Engus ten nachher bei den Verträgen möglichst verwerthet worden wären. Ucherhaupt sollte ein solcher directer Verkehr mit den Handels. kammern permanent stattfinden, damit die Regierung nie die Jüh⸗ lung mit den Interessenten und Sachverständigen verliere. Die Gutachten, welche Fabrikinspectoren. Gewerberäthe ü. s. w. abgegehen hätten, könnten ebenfalls bel den Vorberathungen der Handels verträge verwendet werden. Noch besser würde es aber wohl sein., wenn im Handels-Ministerium und bei unseren Vertretungen int Auslande besondere Beamten eingestellt würden, die eine genügende Kenntniß in wirthschaftlichen Dingen besäßen, um die Interessen unserer Industrie zu wahren.
Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:
Meine Herren! Abermals ist ein Gebiet berührt worden, welches eigentlich dem Reiche gebührt und nicht den Vertretungen und Re⸗ gierungen eines Particularstaats. Aber ich muß auch hier anerkennen, daß es einen Punkt giebt, über den Sie von dem preußischen Handels⸗ Minister Auskunft zu fordern berechtigt sind.
ö. Wenn ich den Herrn Vorredner recht verstanden habe, so faßt er diesen Punkt dahin, daß er der Meinung ist: seitens des preußischen Handels-Ministers sei nicht in hinreichender Weise Fühlung mit den gewerblichen Kreisen vorhanden, und es sei nicht in hinreichender Weise versucht worden, sich über die Stimmungen und Anschauungen der gewerblichen Kreise gegenüber den Handelsverträgen zu informiren.
Wenn ich diese Frage aus seinem Vortrage herausgreife, so ge— statte ich mir eine kurze Antwort durch eine Darstellung zu geben, wie meinerseits versucht worden ist, mich über die Stimmung der ge⸗ werblichen Kreise den Handelsverträgen gegenüber zu unterrichten.
Zunächst ist auch von dem Herrn Vorredner hervorgehoben werden, daß ein reiches Material zur Vorbereitung der Handels— verträge bereits 18387 beschafft worden ist durch die von dem deutschen Handelstag eingeforderten eingehenden Gutachten der Dandelskammern Deutschlands. Dieses Material ist vervoll⸗ stindigt worden, es ist seit 1387 auf das sorgfältigste fort— geschrieben worden, man hat sich in den betheiligten Ministerien durch Anfragen an die Handelskammern fortgesetzt darüber informirt, inwieweit die damals kundgegebenen Anschauungen etwa eine lenderung erfahren haben. Es lag also zunächst ein durchgearbeitetes, fertgeschriebenes, zweifellos zutreffendes Material vor, was die Re= gierung in die Lage setzte, die Anschauungen der gewerblichen Kreise den Dandels verträgen gegenüber genau zu kennen. Als nun die ersten Schritte gethan wurden, um den Vertragsverhandlungen näher zu treten, habe ich es für erforderlich gehalten, die hervorragendsten Ver⸗ treter der heimischen Industrie zunächst über die allgemeine Lage zu hören. Ich habe mir gestattet, etwa 25 Herren, meistens die Vor⸗ stenden der großen gewerblichen Vereine Deutschlands in mein Mi⸗ nisterium zu berufen, um mit den Herren diese zu besprechen. Tas
Resultat dieser Besprechungen war das, daß die Versammlung, die alle Zweige unserer industriellen Thätigkeit vertrat, zu dem Schluß kam: Deutschlands Industrie wünscht sich den inneren Markt zu be⸗ wahren und kann infolge dessen eines mäßigen Schutzzolles, wie er bisher bei uns vorhanden war, nicht entbehren. Die deutsche Industrie ist aber auch in einem Maße Exportindustrie geworden, daß sie auch ein System von Handelsverträgen nicht entbehren kann, die es i möglich machen, ihre Producte nach dem Auslande abzusetzen. . hielten es die anwesenden Vertreter der Industrie für unerläßlich nöthig, daß man in Handelsvertragsverhandlungen eintrete und zwar zunächst mit den uns politisch befreundeten Staaten. Das war das Resultat dieser Verhandlungen, ein anderes war damals weder er⸗ forderlich noch möglich.
Nun, meine Herren, dieser erste Versuch der Anhörung gewerb— licher Kreise ist mir außerordentlich schlecht bekommen. Vor nicht langer Zeit fand sich in einem unserer gelesensten Blätter die Be— merkung, daß nichts bekannt darüber sei, daß der Handelsminister die Vertreter der Industrie gehört habe. Es habe zwar eine Verhandlung in Berlin stattgefunden, diese habe indessen, da gar kein Plan vorgelegen habe, ein Resultat nicht gehabt; schließlich sei das Protokoll verbrannt worden, und die betreffenden Mitglieder der Versammlung seien ersucht worden, diese Verhandlung als nicht geschehen zu betrachten. Glücklicherweise, meine Herren, findet sich das corpus delieti noch in meinen Acten, und ich bin bereit, es jedem, der es zu sehen wünscht, vorzuzeigen; das Protokoll ist nicht verbrannt worden, die Mitglieder sind auch nicht aufgefordert worden, anzunehmen, daß die Versammlung nicht stattgefunden hätte, und das Resultat war ein völlig ausreichendes, es beantwortete die Frage, ob die Vertreter der Industrie es für richtig hielten, Handelsverträge abzuschließen oder nicht. Nachdem dieser vorbereitende allgemeine Schritt gethan war, haben unaus— gesetzt über einzelne Fragen Correspondenzen mit den Handelskammern, mit einzelnen Firmen, stattgefunden. Ich habe leider die Zahlen nicht vor mir, ich war nicht darauf vorbereitet, daß die Frage heute angeregt werden würde, ich bin aber nicht zweifelhaft, daß es weit über hundert Correspondenzen sind, die mit Handelskammern gepflogen sind, daß ebenso viele Correspondenzen mit einzelnen Firmen statt— hatten, und daß nebenbei ein fortgesetzter persönlicher Verkehr und Meinungsaustausch zwischen dem Referenten des Handels-Ministeriums und einzelnen Industriellen stattgefunden hat.
Als nun die Vertragsverhandlungen begannen, wurde ein Com— missar des preußischen Handels-Ministeriums zu diesen Verhandlungen hinzugezogen, der Referent meines Ministeriums, der von mir aus— drücklich bevollmächtigt wurde, bei jeder auftauchenden Frage sich direct mit dem betreffenden Handelszweige in Verbindung zu setzen. Es ist ja unmöglich, im Laufe der Verhandlungen auf dem officiellen Wege vorzugehen, daß der Commissar an den Minister berichtet, der Minister an die Handelskammer, die Handelskammer wieder an den Minister, und der Minister wieder an seinen Kommissar. Das ist unmöglich, weil solche Fragen in der Regel innerhalb 24 oder 36 Stunden entschieden werden müssen. Es war deshalb der richtige Weg, daß der betreffende Commissar angewiesen wurde, sich direct mit den Vertretern der betreffenden In⸗ dustrie in Verbindung zu setzen. Das ist in hervorragend reichlichem Maße geschehen, und so wüßte ich wirklich nicht, welcher neue Weg beschritten werden sollte, um der Regierung die nöthige Kenntniß zu verschaffen und in den Vertragsverhandlungen nicht auf einem falschen Boden zu stehen.
Meine Herren, ich möchte doch auch darauf aufmerksam machen, daß das Urtheil der Handelskammern über specielle Tariffragen wirk⸗ lich nicht immer dasjenige ist, was wir brauchen können, es wird häufig das Urtheil einzelner Industrieller und der Fachverbindungen vorzuziehen sein, z. B. der Verein für Glasindustrie, der Verein für Lederindustrie, für Holzindustrie, für Eisen u. s. w., weil die Handels⸗ kammern oft widerstreitende Interessen zu vertreten haben. Es ist uns oft so gegangen, wenn wir eine Handelskammer gefragt haben, welche gleichzeitig Spinnerei und Weberei vertrat oder Weberei und Färberei, daß diese es ablehnte, ein eigenes Urtheil über die Frage abzugeben, und daß nur die Urtheile der Interessentengruppen inner⸗ halb des betreffenden Bezirks uns vorgelegt wurden. Das Ministerium war dann berufen, sich selbst aus dem vorgelegten Material ein Urtheil zu bilden. Meine Herren, Sie müssen nicht glauben, daß über Tarif⸗ fragen die Handelskammern und gewerbliche Vereine nur zu Worte kommen, wenn es sich um den Abschluß von Handelsverträgen handelt. Es vergeht kein Tag, wo nicht eine Eingabe, die sich auf den Tarif bezieht oder auf die Klassifikation des Waarenverzeichnisses, an das Handels⸗Ministerium kommt; es vergeht kein Tag, wo nicht auch technische Erörterungen über einzelne Tarifpositionen stattfinden, und wenn nun ein Beamter des Ministeriums — ich will übrigens zur Beruhigung der Herren, die sich vor theoretisch geschulten Beamten scheuen, bemerken, daß der Referent meines Ministeriums ursprünglich Techniker war —,
wenn nun ein solcher Beamter zwanzig Jahre lang nichts treibt, als
sich unausgesetzt über die Verhältnisse der Industrie zu informiren, alle Handelskammerberichte, alle Berichte der gewerblichen Körper⸗ schaften jahraus jahrein durchzulesen, so werden Sie mir doch zugeben, daß er im stande sein muß, schließlich sich ein Urtheil über die Lage einzelner Industriezweige zu bilden, welches ausreichend ist, um bei Verhandlungen von Handelsverträgen keinen verkehrten Standpunkt einzunehmen. Ich bitte auch nicht anzunehmen, daß alle Tarif⸗ positionen der neuen Handelsverträge meinem oder dem Wunsche meines Referenten entsprechen; im Gegentheil, es sind eine ganze Reihe von Tarifsätzen vereinbart, die ich anders wünschte, als sie sind. Es fragt sich nur: hat man etwas Besseres durchsetzen können? und im großen und ganzen wenigstens muß ich das bestreiten. Hierauf näher einzugehen halte ich mich nicht für befugt, denn die Be⸗ stellung der Commissare, wie die Leitung der Verhandlungen, ihr Ruhm und ihre Verantwortung, ist ausschließlich Sache des Reichs.
Ich glaube, meine Herren, den Beweis geführt zu haben, daß das preußische Handels-Ministerium bemüht gewesen ist, sich diejenigen Informationen zu verschaffen, die sein Commissar brauchte, um, mit der genügenden Sachkunde ausgerüstet, an den Handelsvertrags⸗ verhandlungen theilzunehmen.
Nun bat der Herr Vorredner eine Reihe von Anträgen oder Wünschen mir gegenüber ausgesprochen, über die ich mir noch einige Bemerkungen gestatten muß. Er hat zunächst den Wunsch aus⸗ gesprochen, daß künftig die Handelskammern in ausgiebigerer Weise zu den Vertragsverhandlungen herangezogen werden möchten. Diesen Punkt glaube ich durch die bereits gemachten Bemerkungen erledigt zu haben. Er hat ferner den Wunsch ausgesprochen, daß das Handels⸗
Ministerium sich möglichst in directe Beziehungen zu den Handels⸗ kammern setzen möchte. Meine Herren, der Vorwurf, daß wir uns nicht in directe Beziehungen zu den Handelskammern setzen, ist mir noch nie gemacht worden, so lange ich die Ehre habe, das Amt des Handels⸗Ministers zu verwalten. Noch keine Handelskammer hat sich bisher uns darüber beschwert, daß wir die directen Beziehungen mit ihr vernachlässigen, und ich glaube, auch die Handelskammer von Erfurt wird nicht in der Lage sein, diesen Vorwurf zu erheben. Daß Ver⸗ fügungen des Handels-Ministers an die Handelskammern über den Ober Präsidenten und Regierungs⸗-Präsidenten gehen in solchen Fällen, wo die Zeit nicht drängt, das bestreite ich nicht. Wenn es aber eilig ist, wenden wir uns immer direct an die Handels⸗ kammern. Daß sonst dieser Weg eingeschlagen ist, hat seinen guten Grund, denn es ist sowohl für -den Ober⸗-Präsidenten wie für den Regierungs-Präsidenten nicht nur möglich, sondern auch noth⸗ wendig, zu wissen, was die Handelskammer über die wichtigsten ge⸗ werblichen Fragen ihres Bezirkes sagt. Ich kann Ihnen also zu meinem Bedauern nicht in Aussicht stellen, daß ich in Zukunft von diesem Wege abgehen werde.
Er hat ferner den Wunsch ausgesprochen, daß man bestrebt sein möge, dafür zu sorgen, daß die Beamten für handelspolitische Be— dürfnisse im praktischen und gewerblichen Verkehr besser ausgebildet würden, als das bisher der Fall ist. Das ist ein Punkt, über den sich reden läßt. Auch ich habe mich bereits mit dem Gedanken be⸗ schäftigt, ob es nicht gerathen ist, den Beamten der Gewerbe—⸗ verwaltung Gelegenheit zu geben, sich an Ort und Stelle intensiver mit den gewerblichen Verhältnissen der Monarchie zu beschäftigen, als es sonst in dem gewöhnlichen Gang einer Beamtenlaufbahn geschehen kann. Wir haben ja einzelne Regierungen, bei denen die industriellen Ver⸗ hältnisse außerordentlich entwickelt sind. Dort wird der gewerbliche Decernent, wenn er sich halbwegs Mühe giebt, in der Lage sein, sich die genügenden Kenntnisse zu verschaffen. Er braucht nicht spinnen und weben zu lernen, er braucht nicht Roheisen und Puddeleisen selbst herstellen zu können, wenn er nur in der Lage ist, die Bedürfnisse der Industrie richtig zu beurtheilen und aus den thatsächlichen Ver— hältnissen die richtigen Schlüsse zu ziehen. An anderen Regierungen liegt die Gelegenheit zur Ausbildung nicht so günstig. Um hier abzuhelfen, könnte z. B. in Frage kommen, ob nicht Beamte der Gewerbeverwaltung zeitweise bei einer bedeutenderen Handels⸗ kammer beschäftigt werden könnten oder bei einem der großen wirth— schaftlichen Vereine. Es giebt eine Reihe von Wegen, die möglich sind, und wie gesagt, diesem Wunsche des Herrn Vorredners gegenüber verhalte ich mich nicht ablehnend.
Dann hat derselbe noch gewünscht, daß bei unseren auswärtigen Vertretungen kaufmännisch ausgebildete Attachés angestellt würden, wie dies bezüglich der Bautechniker heute schon geschähe. Ob das Auswärtige Amt des Reichs Neigung hat, hierauf einzugehen, bin ich nicht in der Lage mitzutheilen, ich möchte aber darauf hinweisen, daß kaufmännisch gebildete Kräfte im Auslande uns in den Konsulaten in reichem Maße zur Verfügung stehen. Das war bezüglich der Techniker nicht der Fall, und deshalb hat man diese technischen Attachés unseren Gesandtschaften zugetheilt. Ich glaube behaupten zu dürfen, daß die Berichte, die wir von unseren Konsulaten über gewerbliche Verhältnisse des Auslandes bekommen, sehr gut sind, und wer von den Herren Gelegenheit gehabt hat, solche Berichte einzusehen, wird mein Urtheil bestätigen, die Kenntnisse unserer Konsuln über gewerbliche Erschei⸗ nungen im Auslande sind erschöpfende und die Berichte, die sid an das Auswärtige Amt erstatten — und diese Berichte theilt das Aus— wärtige Amt fast ausnahmslos dem preußischen Handels⸗Ministerium mit — geben uns ein außerordentlich zutreffendes Bild über die ge— werblichen Verhältnisse der Länder, in denen sie angestellt sind.
Endlich hat der Herr Vorredner noch den Wunsch ausgesprochen, daß hin und wieder Erhebungen über die Production in den einzelnen Handelskammerbezirken vorgenommen werden möchten. Meine Herren, ob das wirklich nothwendig ist, bezweifle ich. Wir haben in den Jahresberichten der Handelskammern ein ausreichendes Material über die ganze gewerbliche Thätigkeit ihrer Bezirke, wir bekommen dann die Jahresberichte aller größeren wirthschaftlichen Vereinigungen, sodaß ich glaube, eine Nothwendigkeit, der Anregung des Herrn Abg. Lucius zu folgen, liegt nicht vor.
Abg. Goldschmidt (dfr.): Der Abg. Lucius habe davon ge⸗ sprochen., daß „gerissene Unterhändler. ausgebildet werden sollten; es fei bedauerkich, daß er nicht ausgeführt habe, wie die Fachschule für gerissene Unterhändler aussehen solle. Mit den Ausführungen des Ministers über die Handwerkerfrage sei er einverstanden, umso⸗
mehr bedauere er, daß sie sich über die Frage der Berliner Gast⸗ wirthsinnung nicht einigen könnten. Er habe den Polizei⸗Präsidenten von Berlin ausdrücklich gebeten, dem Minister das Material über diese Innung zur Verfügung zu stellen. . . .
Abg. Pleß (Centr.]) führt aus, daß es mit der Bildung, mit dem Unterricht nicht abgemacht sei; dem Handwerk fehle das Kapital, um der Großindustrie Concurrenz zu machen. Warum habe man dem Handel die Handelskammer als Vertretung gegeben, dem Hand⸗ werk enthalte man eine solche Vertretung vor? Das zeuge nicht von Interesse für das Handwerk, und man könne es begreifen, daß die Hand= werker bei einer Vergleichung bittere Empfindungen beschlichen. Für andere Stände betrachte man den Befähigungsnachweis als etwas Selbstverständliches; für den Nachtwächter und Polizisten, für den Professor und Minister. Kunsthandwerker könnten die meisten Hand—⸗ werker nicht werden. Bezüglich der Handels verträge erklärt Redner, daß der Abschluß derselben die verdienstvollste That der Regierung gewesen sei, wenn auch zu bedauern sei, daß die Landwirthschaft die Hauptkosten zu tragen habe. Was die Berliner Gastwirthe betreffe, so fei es bedauerlich, daß sie einen freien Verein gegründet hätten, statt den Weg zu beschreiten, den ihnen das Gesetz vorschreibe.
Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:
Meine Herren! Die Ausführungen des Herrn Vorredners geben mir Gelegenheit, eine Lücke zu ergänzen, die ich in meinen Be⸗ merkungen gelassen habe. Es betrifft dies die Errichtung von Hand⸗ werkerkammern.
Ich bin mit dem Herrn Vorredner der Meinung, daß die Er⸗ richtung solcher Handwerkerkammern nützlich, ja sogar nothwendig ist; ich kann ihm auch die Versicherung geben, daß diese Frage bereits in meinem Ressort eingehend erörtert worden ist, und daß wir vielleicht in der Regelung derselben schon weiter wären, wenn nicht inzwischen andere Erwägungen hinzugetreten wären, nämlich die, wie dem Handwerk auf dem Gebiete des dehrlingswesens ge⸗ holfen werden könne. Ich verstehe unter Handwerkerkammer die Er⸗ richtung einer nur für das Handwerk, nicht für die Commerzien⸗-Rätbe, wie der Herr Vorredner befürchtet, bestimmten Organisation, die be⸗ rufen sein soll, das Interesse des Handwerks zu wahren, so wie die
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