1892 / 55 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 03 Mar 1892 18:00:01 GMT) scan diff

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zwischen Heilmitteln für die Armen und für die Reichen. Er habe sich nun eigens von einem Arzt in Hannover ein Recept besorgt und in zwei verschiedenen Apotheken anfertigen lassen. In der Phar⸗ makorse stehe, daß für die Armen statt Wein zu geben sei eine Mischung von Spiritus, aromatischer Tinctur, destillirtem Wasser und Syrup. Diese billige Mischung babe er zuerst für den Arzt selbst herstellen lassen, da habe sie nur 20 gekostet. Darauf habe er sie für einen Fremden herstellen lassen, da habe sie 65 gekostet. Der Wein selbst habe einen Werth von 3 3, die Flasche von 8 . Auf das Liter berechnet, würde sich das Liter Armenwein auf 5.20 (0 stellen, dafür lasse sich doch schon ein ganz hübscher Wein herstellen. Seit der Zeit, we der Abg. Dr. Witte Apotheker gewesen sei, hätten sich die Verhältnisse sehr geändert. Ein großer Theil der Medicamente werde sogar schon fertig verpackt von den chemischen Fabriken bezogen. Die Troguenwaaren würden von den Apothekern mit 200 –500 Procent theurer verkauft, als sie sie selbst bezögen. Die Apotheker⸗ gebilken und (lehrlinge würden heute von den Beützern in ganz entsetz= licher Weise ausgebeutet. Nach der amtlichen Statistik habe sich in den letzten elf Jahren die Zahl der approbirten Gehilfen überhaupt nicht vermehrt und nicht vermindert, die Zahl der nichtapprobirten Gebülfen um 36 und der Lehrlinge um 60 0 gesteigert. Wenn jeẽmand im Eisenbahndienst einen Unfall verschulde, dann sei Publikum und Gerichte geneigt, Milde walten zu lassen, wenn der betreffende Beamte überbürdet gewesen sei. Vergreife sich aber ein überbürdeter Apothekergehilfe, dann würden ihm nicht mildernde Umstände zu—= gebilligt. Uebertriebene Preise für Apotheken seien ihm namentlich in Hannover vorgekommen. Das Uebel liege in einer völlig falschen Handhabung der bestehenden Gesetzgebung. Das Gesetz kenne nur concessionirte Apotheken, von 6000 Apotheken seien nur 40 privi⸗ legirt mit der Realberechtigung, bei allen übrigen müßte mit dem Tode des Besitzers die Concession erlöschen. Es habe sich aber der Usus herausgebildet, daß Personalconcessignen vollständig zu Realconcessionen gewerden seien. Es könne einmal nicht bestritten werden, daß die Kranken— kassen jährlich für Arzneien zwölf Millionen Mark ausgäben. Diese Arincien würden in Wirklichkeit einen Bruttowerth von 200 000 * re—⸗ vräsentiren. Würde das Reich nicht ein ungeheures Geschäft machen, wenn es für den Preis von 11 8000090 1M die Apotheken in die Hand nähme?. Wenn man sage, daß bei den Apotheken nur ein beschei⸗ dener Zinsfuß herauskomme, so übersehe man, daß, wie bei der Land⸗ wirthschaft der Grund und Boden, hier der Besitz der Apotheke viel zu theuer gekauft worden sei. Die Realconcessionen stammten noch aus der Zeit der Privilegien, die Zeit der Realconcessionen sei vor— über. In Braunschweig habe man im vorigen Jahrhundert ver— staatlichte Apotheken gelab sie aber wieder aufgehoben, weil Un—⸗ regelmäßigkeiten vorgekommen seien. Die württembergischen Apotheker hätten selbst das Spstem der Personalconcession für Gift erklärt, für den moralischen Ruin des Standes. Im weiteren führt Redner einige Beispiele an, welche die ungeheuere Vertheuerung darthun sollen, die für die arme Bevölkerung durch den Arzneizwang und Apotheken⸗ zwang, welchen die Krankenversicherung eingeführt hat, herbeigeführt worden ist. Arzneien, welche mit 80 vom Drogisten geliefert werden könnten, seien mit 9 M berechnet worden. Dabei würden eine Masse Recepte nur u. a. f. verschrieben, nämlich ut aliquid fiat, damit nur etwas geschehe. Ein Millionär lasse sich für 36 K Fliederthee vom Drogisten holen, ein Krankenkassenmitglied müsse sich vom Kassen— arzt die Sache verschreiben lassen und bezahle 57 3. Seine Partei sei der Meinung, daß über solche Fachgegenstände nicht im Plenum verhandelt werden könne, sondern nur in der Commission. Sie habe darauf bingewiesen, daß etwas geschehen müsse zur Regelung dieser Verhältnisse, daß ein ganz ungeheurer Wirrwarr in der Apotheken gesetzgebung herrsche. er lich realprivilegirte Apotheken gebe es im Deutschen R nur 4000, also etwa 4009 seien Personalconcessionen. Bei den letzteren lasse sich schon dadurch der Antrag realisiren, in— dem man einfach das heute bestehende esez zur Ausübung bringe, wonach das Privilegium mit dem Tode des jeweiligen Inhabers er—

lösche. Die Regierung könne schon jetzt Apotheken errichten, wo es nothwendig sei, ohne sich um r m , zu kümmern; denn es stehe

nirgends im Gesetz, daß den privilegirten Apothekenbesitzern keine Concurrenz gemacht werden dürfe. Man habe ja heute schon die Apotheken unter Staatsrevision; die staatliche Aufsicht sei also kein Novum, seine Partei wolle nur, daß sie etwas erweitert und strenger gehandhabt werde. Die Staatsapotheken könnten auf jeden Fall billiger arbeiten, denn nicht allein die ungeheueren Kosten seien es, welche den Preis für Medicamente vertheuerten; es seien die Grundobjecte, welche mit verzinst werden müßten, das Kapital, welches in Vorräthen angelegt sei u. s. w. Auch die Haus— wirthe prellten die Leute, die eine Apotheke in ihren Häusern eröffnen wollten. Dabei erzielten die Apothekenbesitzer. wie er ganz genau wisse, noch ganz enorme Ueberschüsse. Was fei denn eigentkich aus den wissenschaftlichen Heimstätten geworden? Niederlagen von allerlei Mineralwassern, ein Sammelsurium von allen möglichen Geheim⸗ mitteln u. s. w. Das Loos der Apothekergehilfen, die erst lange studiren und zwei Examina ablegen müßten tum schließlich 1500 bis 1600 6 zu beziehen, sei kein glückliches, oft seien sie fogar noch zum Cölibat verurtheilt. Man ziehe immer mehr Personal durch die technischen Hochschulen heran, an ein Selbständigwerden sei gar nicht zu denken, es sei denn, daß jeinand einen reichen Vater habe oder es ver— stehe, einen reichen Schwiegervater zu bekommen. Diese Zustãnde seien nach allen Seiten hin unhaltbar. Der Antrag seiner Partei sei einem dringenden Bedürfniß entsprungen. Die Regierung beeile sich ja auch sehr, die Zustände zu verbessern seit 80 k sei die Arothekenordnung nicht geandert worden. Der preußische Cultus— Minister erkläre zwar, er habe für Preußen eine neue Apotheker— gesetzgebung fir und fertig, aber man sehe nichts davon. Die social— demokratische Partei denke nicht daran, daß diese scheinbaren Con— cessionen irgendwie abgelöst werden sollten, dazu würden 400 Mil— lionen nicht genügen; man brauche sich nur auf den Boden des Geseßzes zu stellen und zu verlangen, daß das Reich von feinem Recht Gebrauch mache und Apotheken gründe. Die Gründe gegen den Antrag hätten keinen Gehalt; wenn die Mehrheit sich auf den Antrag nicht einlassen wolle, so beweise das bloß ihre alte Neigung, zu Gunsten einer begünstigten Klasse das Alte bestehen zu lassen. Präsident von Levetzow: Der Redner hat der Majorität des Hauses einen Vorwurf gemacht, den ich als parlamentarssch unzu⸗ lässig erklären muß.

Abg. Dr. Witte (dfr): Die ganzen Ausführungen, die man hier rt babe, seien zum Fenster hinausgesprochen; man wißffe ja doch, daß die socialdemokratische Partei den ganzen Antrag auf ihrem Parteitag lediglich als Agitationsmittel bezeichnet habe. Wan ein Fall angeführt werde, daß ein Apotheker in 246 Jahren zehnmal seine Apotheke verkaufe, so sei dieser häßliche Schacher doch nur eine Ausnahme. Mit einer Regelung des Concessionswesens dahin, daß eine möglichst gleichmäßige Vertheilung der Apotheken über das Ri stattfinde, sei er ganz einverstanden. Der Vorwurf, daß die Apo⸗ theker Handel mit Geheimmitteln trieben, treffe nicht zu; sie seien im Gegentheil seit Jahren bestrebt, diesen Vertrieb von den Apotheken fernzuhalten. Daß die meisten Arzneien schon fertig in die Apotheke kamen, sei ganz falsch; das seien nur Kleinigkeiten, die im Handverkauf, der einen großen Umfang angenommen habe, zu äußerst billigen Preisen abge Die Preise der Medikamente seien zum Vortheil der Minderwohlhabenden seit 26 Jahren außerordentlich zurückgegangen. Man könne verlangen, daß die Antragsteller ihren Antrag in der Weise begründeten, daß man von der Nothwendigkeit einer Aenderung des AEothekenwesens überzeugt sei und sehen könne, wie es zu machen ei. So lange das nicht der Fall sei, bitte er dringend, den Antrag Auer abzulehnen. . .

Damit schließt die Discussion. Im Schlußwort bemerkt

Abg. Bebel (Soc.): Da es sich hier um principielle Auf— fassungen handele, könne seine Partei ihre Gegner nicht von der Richtigkeit ihrer Ansichten überzeugen. Man . ja schon viele Staate betriebe: Bergwerke, ,, . u. s. w.; hier solle ein ähn⸗ licher Staatsbetrieb eingeführt werden, nur solle der Staat nicht, wic es sonst geschehe, materielle Vortheile von seinem Betrieb haben. Die Thatsache, daß seine Partei einen folchen Antrag hier eingebracht habe, beweise, daß sie praktische Vorschläge mache, aber daß der An—

trag von ihr komme, genüge, dagegen zu sein. Die Apotheken⸗ feen nn; sei schon seit 5 Jahren von dem bekannten Apotheker Kempf in mehreren Petitionen als Ideal hingestellt worden. Durch die neuere socialpolitische Gesetzgebung seien die Arbeiter genöthigt, ihre Medikamente in den Apotheken zu hohen Preisen herstellen zu lassen. Hier solle ja nicht eine tausendjährige Cultur umgestoßen werden, denn so lange beständen die Apotheken noch nicht, und die jetzigen Apothekenverhältnisse verdienten nicht, erhalten zu werden. Dieser Antrag Auer solle durchaus kein Agitationsmittel sein. Die Absicht, den Antrag zu stellen, sei bei ihm (dem Redner) schon seit sieben Jahren vorhanden, und er sei nur aus personlichen Gründen daran gehindert worden, ihn einzubringen. Die Auffassung von der Nothwendigkeit einer Aenderung sei all— gemein, Die schwindelhaften Preise der Medikamente hätten von keiner Seite widerlegt werden können. Auch daß eine fortwährende Preissteigerung der Apotheken selbst vorhanden sei, sei nicht bestritten worden. Diese unnatürlichen Zustände müßten beseitigt werden. Bei dem jetzigen ganzen System müßten die Apotheken geradezu aus finanziellem Interesse den Geheimmittelschwindel begünstigen. Die Zustände, die er bezüglich der Lage der Apothekergehilfen und lehr⸗ linge geschildert habe, beruhten durchaus auf Wahrheit, denn seine Anführungen entstammten Thatsachen, die ihm aus Kreisen der Ge— hilfen mitgetheilt und die in den Fachzeitschriften öffentlich besprochen seien. Man sollte den Antrag nicht lediglich deshalb ablehnen, weil er von seiner Partei komme. Die Unternehmerklasse habe auch ein Interesse an der Verbilligung der Medikamente, denn sie klage ja über die Opfer, welche ihr die Kranken- und Unfallversicherungs esetz⸗ gebung auferlege. Die ärmeren Klassen treffe natürlich erst recht die Vertheuerung der Medikamente. Er bitte, den Antrag anzunehmen.

Vor der Abstimmung bezweifelt Abg. Werner (b. k. F.) die Beschlußfähigkeit des Hauses und beantragt die Con k tirung derselben; es mache ihm im allgemeinen kein Ver— gnügen, die Beschlußfähigkeit zu bezweifeln, aber . Präsident von Levetzow: Der Antrag bedarf keiner Motivirung. . . . Der Namensaufruf ergiebt die Anwesenheit von 167 Mit— gliedern, das Haus ist also nicht beschluß fähig . Abg. Prinz Carolath-Schöngich (b. k. F.) zur Geschäfts— ordnung; Er halte es für einen vollkemmen haltlosen Zustand, daß irgend ein Mitglied des Hauses im stande sei, die Thätigkeit dieses hohen Hauses lahmzulegen, und man müsse den Präsidenten bitten, mit dem Seniorenconpent Abmachungen zu treffen, daß derartige Vorkommnisse in Zukunft ausgeschlossen seien und daß ein derartiger Antrag mindestens der Unterstützung einer ansehnlichen Anzahl von Mitgliedern bedürfe. Es sei ein Mangel an Rücksicht gegen den Präsidenten, dem es schwer sein werde, wenn es fo weiter gehe, seines verantwortungsvollen Amtes zu walten, wie gegen die Mit— glieder, die hier ihre Pflicht thäten, wenn solche Vorkommnisse, wie die in den letzten Tagen, sich wiederholten. Es sei eine Strafe für die Anwesenden und nicht für die Abwesenden. Er bitte den Prã⸗ sidenten, soweit es in seiner Macht liege, mit der Bewilligung von Urlaubsgesuchen kärglicher zu verfahren. Die Sache habe eine ernste Seite. Es mache einen unwürdigen Eindruck nach außen wie nach innen, wenn die Vertreter des deutschen Volkes es nicht für ihre erste, vornehmste und schönste . hielten, hier auf dem Platze zu sein und das zu thun, was man von ihnen verlange. Er bitte auch die Vertreter der Presse in diesem Hause, wenigstens die Herren öffentlich namhaft zu machen, die fehlten. Denn sonst würde allerdings der Namens— aufruf nicht den geringsten Erfolg haben. Wenn die Reichstags— mitglieder ihre Autorität nicht achteten und die Stellung, die sie verfassungsmäßig im Deutschen Reich einzunehmen hätten, dann möchte er wissen, wer es thun sollte. Nach Bundesgenossen werde man sich in dieser Hinsicht vergebens umsehen. Es sei die vornehmste Pflicht der Mitglieder dahin zu wirken, daß solche Mißstände sich nicht wiederholten. Er bitte daher den Präsidenten, mit dem Seniorenconvent in Erwägung zu ziehen, wie sich derartigen Uebel⸗ ständen zweckmäßig vorbeugen kaff

Präsident von Levetzow: Ein häufiger Namensaufruf sei ja ein unliebsamer Uebelstand, das größere Uebel sei aber das Fehlen der Mitglieder (sehr richtig), und dieser größere Uebelstand mache das Verweilen an diesem gice allerdings zu einer nicht angenehmen Aufgabe. Dem Vorredner erwidere er, daß die Frage der Urlaubs⸗ gesuche kürzlich hier erörtert worden sei. Bezüglich der Frage wie man den häufigen Auszählungen begegnen koͤnne, habe er sich schon vorgenommen, das zu thun, was er für gerathen und möglich halte.

Schluß Uhr.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 24. Sitzung vom Dienstag, 2. März.

Der Sitzung wohnt der Minister des Innern Herr— furth bei. .

Auf der Tagesordnung steht die zweite , . des Gesetzentwurfs, 6, die Kosten Königlicher Polizeiverwaltungen in Stadtgemeinden.

ga sz 1 sollen zu den Ausgaben für die Polizeiverwal— tungen beitragen: a. die Stadt Berlin 2,50 (S6, b. die Stadt Cassel 0,4 M für den Kopf der Bevölkerung; von den übrigen Stadtgemeinden: (. diejenigen mit mehr als 75900 Einwohnern 150 46, d. diejenigen mit 25 000 bis 75 000 Ein⸗ wohnern 15,10 S, e. diejenigen mit weniger als 25 000 Ein— wohnern O70 M für den Kopf der Bevölkerung.

Abg. Dr. Kelch (freicons.) beantragt, in , e, d, e zu setzen 2,10, 1ů10, 0,70 und O, 60 Mt ö

Abg. von Itzenplitz (cons) will unter ée, d, e setzen 130, 1 und O60 S ;

Abg. Dr. Krause (nl.) beantragt, 1) bei a zu setzen 2 ; 2) an Stelle von e bis e zu setzen: c. diejenigen mit mehr als 100 000 Einwohnern 120; 4. diejenigen mit mehr als 40 000 bis 100 000 Einwohnern 0,90 S; e. die—⸗ jenigen mit mehr als 10009 bis 40 009 Einwohnern 9ö70 4 ; f. diejenigen mit weniger als 10000 Einwohnern O, 60 c

3) Für den Fall der Ablehnung dieser beiden Anträge statt C bis e zu setzen: . .

c: diejenigen mit mehr als 1090 000 Einwohnern 150 6; d. diejenigen mit mehr als 40000 bis 100 009 Einwohnern 10 6; e. diejenigen mit 40 000 und weniger Einwohnern 070 M

Abg Greiß (Centr) beantragte, den Beitrag der Städte über 75 000 Einwohner auf 1,20 466, derjenigen mit 25 009 bis 75 009 auf O,90 t, derjenigen unter 25 000 auf O, 60 S für jeden Kopf der Bevölkerung ke r r,

Außerdem beantragt Abg. Dr. Krause (nl), in dem weiten Absatz des § 1, welcher lautet: „Ueber die Verwen—

ung dieser Beiträge, insbesondere auch zur Vermehrung der

Land⸗Gendarmerie behufs Ausdehnung der Thätigkeit derselben auf die zu Landkreisen gehörigen Stadtgemeinden und behufs Verstärkung derselben in den Vororten der einen eigenen Kreis bildenden Städte mit communaler Polizeiverwaltung, wird durch den Staatshaushalts-Etat alljährlich Bestimmung ge⸗ en. die Worte „insbesondere“ bis Polizeiverwaltung“ zu treichen.

Endlich beantragt Abg. Dr. Kelch (freicons), dem § 1

einen Zusatz zu geben, wonach aus den Beiträgen den)enige Nachtwachtbeamten, welche aus Anlaß dieses desc mn * mindestens dreijähriger Dienstzeit ohne Pension oder Warte geld aus dem Gemeindedienst entiassen werden, auf die Dauer von drei Jahren eine Entschädigung gewährt werden soll.

Abg. Tschocke (ul): Nehme das Haus diese Vorlage an, so thue es damit einen Schritt, der für die Finanzen mehrerer davon be⸗ troffener Städte verhängnißvoll sei, und das geschehe in einem Augenblick., in dem die Regierung das Bedürfniß, die Communen zu entlasten, voll anerkennt, und in dem der Finanz ⸗Minister die Communen auffordere, mit Rücksicht auf die zu erwartenben Mehreinnahmen aus der neuen Einkommensteuer die Communal⸗ steuern zu ermäßigen es werde also mit der einen Hand genommen, was die andere noch nicht einmal gegeben habe. In der ersten Lesung habe er bereits ausgeführt, wie groß die Neigung der so⸗ genannten und wirklich reichen Leute sei, die im Osten sehr spärlich esäet seien, nach dem Westen auszuwandern; der Ersatz, den man im Cr für die Millionäre bekomme, bestehe aus sogenannten kleinen Leuten, die aus der kleinen Stadt kämen, und aus einem Massen⸗ zuzuge der Arbeiter vom Lande, die in der Stadt besseren und bequemeren Verdienst zu finden hofften. Dieser Zuwachs der großen Städte vermehre deren Ausgaben, ohne selbst sehr steuerkräftig zu sein. Viele zahlten ein Minimum von Steuern, Andere, vielleicht die Meisten, seien ganz steuerfrei, und Viele von den Letzteren ver⸗ fielen nach längerer oder kürzerer Zeit der stãdtischen Armenpflege. Ein Beispiel dafür, wohin die rein mechanische Behandlung der Städte führe, liefere Linden vor Hannover, welches nach allgemeinem Zu⸗ geständniß, auch dem des Herren Ministers, zu hart behandelt sei: wolle man aber diese Ungerechtigkeit beseitigen, so könne das nur mittels zweier neuer Ungerechtigkeiten geschehen. Koblenz und Charlottenburg, die besser situirt seien, müßten minder belastet werden als ihnen gebühre. Die ungleichmäßige Behandlung der Stãdte in diesem Gesetz, das doch unter der Flagge der ausgleichenden Gerechtig⸗ keit segele, folge aus der Gegenüberstellung der Städte Danzig Köln, Posen Wiesbaden, Breslau Koblenz. Sie Städte hätten auch noch andere ideelle Ziele, als Kanalisationen und Schlachthäuser zu censtruiren; sie müßten für die Schule und für dis Charitas etwas übrig behalten. Er fürchte aber, durch die hohen Beitragssätze würden diese idealen . erheblich beeinträchtigt; er bitte deshalb, jeden Antrag, der die hohen Beitragssätze auch nur irgendwie ermäßigen könne, anzunehmen, namentlich den Antrag Krause unter Nr. 1 und'? Abg. von Kölichen (cons. : Seine Partei werde für den F! stimmen. Sie verkenne nicht, daß eine sfolche Scala, wie sie im S L aufgestellt sei, nicht allen einzelnen Städten in vollem Umfange gerecht werden könne. Es sei unvermeidlich, daß die eine Stadt mehr berücksichtigt werde als die andere. So weil aber überhaupt bei einer solchen Scala es möglich sei, eins ausgleichende Gerechtig— keit walten zu lassen, sei dies nach seiner Ueberzeugung geschehen. Er gehe dabei von der Voraussetzung aus, daß die Königliche Polizeiverwaltung keine Last, fondern ein hr einn für diese Städte sei, und daß die Königliche Polizeiverwaltung nicht ausschließlich im Jnteresse dez Staats, sondern eben fo fehr im Interesse der' Städte thätig sei. Er müsse entschieden widersprechen, daß die Städte mit Töniglicher Polizeiverwaltung hinter denen ohne dieselbe zursckftänden. Es werde in den Srädten mit Königlicher Polizeiverwaltung in ganz anderer Weise für die Sicherheit geforgt als in den Städten ani eigener Polizeiverwaltung. Es existire dort eine größere Anzahl von Polizeimannschaften, die Leitung fei eine einheitliche, die Disciplin eine vorzügliche. Die größten Einwendungen gegen diese Scala wür— den von der Stadt Berlin gemacht. Berlin befinde sich aber in einer überaus günstigen Lage. Infolge des neuen Volksschulgesetzes würden der Stadt ganz erhebliche pecuniäre Vortheile zuflicken? Berlin babe den Verzug, Residen; zu fein, es habe viele Vortheile aus Tem außerordentlichen Fremdenverkehr und aus den vielen Instituten. In diesem Jahre habe Berlin einen Ueberschuß von 2 Millionen und werde in der Lage sein, die communalen Steuern herabzusetzen. Aller⸗ dings müsse Berlin große Aufwendungen machen, die kleinen Stäbte aber nicht minder und unter schwereren Opfern. Seine politischen Freunde würden es vor ihren Wählern nicht verantworten können, wenn sie die Beiträge für Berlin und andere große Städte herab' setzten. Dazu komme noch Folgendes: Die Ueberschüsse aus diesem Gesetze sollten zur Vermehrung der Gendarmen für die Städte derwendet werden, welche von diesem Gesetz keinen Nutzen hätten. Mit jeder Herabsetzung, der Beiträge, welche die Stadt Berlin und die übrigen Städte zu . hätten, verringere sich dieser Ueberschuß und es könnten weniger Gendarmen angestellt werden. Seine Partei lege aber Las größte Gewicht auf die Vermehrung der Gendarmerie für diese Städte. Eine Bevorzugung der größeren Städte sei ihr auch schon deshalb nicht erwünscht, weil sie in dem Zuzug der ländlichen Bevölkerung in die Städte eine sociale Gefahr erblicke. Sie halte deshalb an den Sätzen des S 1. fest. Der Antrag Kelch, welcher die außer Dienst gesetzten Nachtwächter entschädigen wolle, habe für sie etwas Sympathisches; sie könne aber nicht für ihn stimmen, weil er zur Folge haben müßte, daß auch diejenigen Beamten entschädigt würden, welche entlassen würden, wenn die Städte die Wohlfahrtspoltzei übernähmen. Das wolle sie nicht. (Beifall rechts.)

Abg. Dr. Langerhans (dfr.) : Es werde behauptet, dem Staate würden durch Uebernahme des Nachtwachtwesens große Kosten ent⸗ stehen und daher sei der hohe Betrag bon 250 6 Pro Kopf der Einwohnerschaft gerechtfertigt. Der Stadt Berlin habe bis jetzt das Nachtwachtwesen nur etwas über 09 500 M. gekostet. Sie habe keine andere Aufgabe, als die Nachtwächter zu stellen und Patrouillen auszuschicken. Wenn irgend etwas vorfalle, bei großen Bränden, bei Ercessen irgend welcher Art schreite schon jetzt immer die Sicherheits⸗ volizei ein. Nun wolle die Regierung als Erfatz diefes Nacht wachtwesens 20 Dffiziere, 5 Wachtmeister und Jo0 Schußtzlente einstellen; er verstehe nicht, wie dies ein Ersatz des acht⸗ wachtdienstes sein solle, vorausgesetzt, daß die' Sicherheits⸗ Polizei auch Nachts vom Königlichen Poölizei-Präsidium gestellt werde.

b diese Vermehrung oder, wie man sage, dieser Ersatz eine wesent⸗ liche Verbesserung der Sicherheit der Stadt sein werde, bezweifle er. Wenn von anderer Seite gesagt werde, für Berlin allein betrũgen die Kosten für die Polizei 11 Millionen, wovon der Staat 7 Millionen trage, während für das ganze übrige Land nur ebenso viel ausgegeben werde, so dürfe man doch nicht vergeffen, daß Berlin viel mehr leisten müsse als andere Städte. Die Berliner Polizei sei gewissermaßen der Centralpunkt für die ganze preußische und deutsche Polizei. Wenn dieser Gesetzentwurf Gesetz werde, müsse Berlin allein für die Polizei 22 60 seiner ganzen Ein— kommensteuer aufwenden; er glaube, so viel wende keine andere Stadt auf, Berlin komme allen Ansprüchen, die an sie als Haupt- und als Residenzstadt in Betreff der Polizei gestellt würden, in Loyalität nach. Wenn man es darin hemme, indem man seine Mittel beschneide, so werde das zum Schaden des ganzen Landes ausschlagen; es werde für seine Wohlfahrtseinrichtungen nicht mehr so viel aufwenden können, die für andere Städte als nachahmenswerthes Beispiel dienten. Endlich finde er es auch ganz falsch, daß in einem solchen Gefetz wie diesem so bestimmte Zahlen genannt würden. Es könnten doch leicht Aenderungen im Besißstande der Stadtgemeinde eintreten, Berlin folle z. B. vergrößert werden durch die Incommunalisirung der Vororte. Allein die Kanalisirung der nächstgelegenen Vororte würde der Stadt hundert Millionen Mark kosten, und dann sollten für jeden Kopf noch 259 M. Polizeikosten gezahlt werden! Man leide schon jetzt an zu vielen Gesetzen, daher sollte man doch nicht noch Gefetze machen, die schon in nächster Zeit wieder abgeändert werden müßten. Vielleicht empfehle es sich, das Gesetz vorläufig nur für einen Zeitraum von fünf Jahren anzunehmen.

Abg. von Itzenplitz (cons: Daß die Regierung in dem Gesetzentwurf berücksichtigt habe, daß die Polizeiverwaltung der Selbft⸗ verwaltung der Städte entzogen worden sei, sei dankbar anzu⸗ erkennen. Daß aber der volle Kostenersatz durch Uebernahme des Nachtwachtwesens diesen Städten allein auferlegt worden fei, könne er nicht für gerechtfertigt anerkennen; ebenso fei ihm unverständlich,

der (

des man die Verstärkung der Land- Gendarmerie um 600 Mann allein

den Städten mit Königlicher Polizeiverwaltung auferlegen wolle und enn. Er halte es für vollkommen richtig, daß diese Maßnahmen nich den Städten mit eigner Polizeiverwaltung zu gute kãmen, wie zuck die Vermehrung der Land⸗-Gendarmerie dem offentlichen Interesse und dem Lande im allgemeinen dienen werde. Dieser Ansicht solle sein Antrag Ausdruck geben. 1885 und 1889 habe man der Angelegenheit ie, freundlicher gegenüber gestanden als heute. ö Alg. Eberty Sf): Es werde den Berlinern hier eine Mehr⸗ ausgabe sũr die Polizei zugemuthet, welche 115060 der Einkommen⸗ stener ausmache. Weil sie gewisse Ausgaben Ehren halber gemacht hätten, würden sie überschätzt. Berlin sei gar nicht so reich, wie man ligeniein annehme. Diese 110,9 Mehrausgaben bedeute fast eben Altre, wie die gesammten Ausgaben für die Armenpflege. Kas rärde der preußische Finanz⸗Minister Jagen, wenn ihm eine felche umstürzende Aenderung der- ganzen Finanzverwaltung zuge— utket wärde? Es verstoße gegen die gute Ordnung, wenn. durch lch, gewaltsamen Maßregeln die Ordnung gestört werde. Berlin ', dich überlegen müssen, ob es nicht, sparfamer wirthschaften d' manche Anstands und Repräsentationsausgaben unterlassen Es würde besser gewesen sein, man hätte diese Regelung m Pelizeikosten gar nicht vorgenommen. Dem Staate hätte es geschadet, der Stadt Berlin, wäre die Störung ihrer anzen erspart geblieben. Es sei auf. die günstigen Folgen rewiesen worden, welche das Volksschulgesetz für Berlin werde. Das Volksschulgesetz werde das Rückgrat der stadtichen Verwaltung auf dem Hauptgebiet derselben. der Pflege der Volksschule, zerbrechen. Diese nachtheiligen Folgen sönnten durch keine kleinen Vortheile gut gemacht werden. Der Grund für die Erhöhung des vom Abgeordnetenhause beschlossenen Satzes von L50 „S auf 2,59 „M sei die Uebernahme des Nachtwacht⸗ wefens, das rechtfertige aber nicht einmal eine Erhöhung auf 2 10 Seine Partei habe keine Anträge selbst gestellt, weil sie aussichtslos scien. Er bitte, wenigstens den Antrag des Abg. Krause anzunehmen, der einigermaßen der Gerechtigkeit entspreche.

Abg, v. Eynern (nl.):, Es handele sich nur um einen Act der ausgleichenden Gerechtigkeit; die privilegirten Städte sollten einen Theil der Kosten übernehmen, welche die anderen Städte allein be— zablten. Das werde 6. von den meisten Städten anerkannt. Denn Berlin ausgenommen, habe nur Danzig und Köln einen Protest

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Redner

Mark beitra⸗ gen für die Kosten der Polizeiverwaltung Berlins. Da sei wirklich kein Anlaß zum Klagen. Wenn von den Ehrenausgaben gesprochen werde, die Berlin zu leisten habe, so werde man ja bei der Frage des Domhaus sehen, wie Berlin sich zu dieser Ehren— ausgabe stelle. Welche Summen gäben andere Städte für Kunst und Wissenschaft aus, Berlin nicht einen Pfennig; fogar für die König— lichen Theater müsse der Staat jetzt trotz der schlechten Finanzlage Gelder ausgeben. Welche Vortheile habe Berlin als Hauptstadt! Er wolle nur hinweisen auf den Verzehr der beiden Parlamente in Berlin; er wolle ferner erinnern an die Kosten, welche der Staat aufwende für die Charits und andere Krankenanstalten 26, welche in anderen Städten aus eigenen Mitteln bezahlt werden müßten. Die Stadt Paris habe 27 Millionen Franes für die medizinische Facultät ausgegeben, Paris unterhalte sämmtliche Kliniken, der Staat gebe nur sehr wenig für die Ausbildung von Aerzten aus. Berlin mache solche Ehrenausgaben vielfach auf Staatskosten. Was für Annehm— lichteiten wolle Berlin in Zukunft beseitigen? Berlin sei so günstig gestellt, daß der Steuerzuschlag auf 60 70 o herabgesetzt werden könne. Von allen Anträgen bitte er, nur den des Abg. Krause zu berüchichtigen, der darauf gerichtet sei, die Stadt Linden etwas zu entlasten. Wenn das Gesetz nach fünf Jahren revidirt werden sollte, so glaube er, die Stadt Berlin werde dann viel höher eingeschätzt werden als mit 2,50 A

Abg. Dr. Kelch (freicons. j: Man empfinde doch allgemein die Un— gerechtigkeit dieses Gesetzes. Man sage sich; wer eine Polizeiver— waltung einrichte, müsse sie auch bezahlen. Bei den meisten König— lichen Polizeiverwaltungen habe wohl ein erhebliches staatliches Interesse vorgelegen, wenn auch daneben ein communales Intereffe mitgespielt habe. Potsdam z. B. sei künstlich herangezogen worden durch unser Herrscherhaus. Es fehle Potsdam an jeder Industrie und an großen Geschäften, weil Berlin zu große Concurrenz mache. Wenn der Stadt Potsdam eine solche Tast aufgebürdet werde, so

würden die kleinen Leute darunter leiden; denn reiche Leute gebe es nicht, wie in der Millionenstadt Berlin. Bei der Uebernahme des Nachtwachtwesens mache der Staat überhaupt ein schlechtes Geschäft, denn er müsse mehr aufwenden, als er von den Städten entschädigt erbalte. Außerdem sei das Nachtwachtwesen zum großen Theil gut eingerichtet. Redner empfiehlt schließlich seinen Antrag wegen Ent— schidigung der infolge des Gesetzes zu entlassenden Nachtwächter.

Minister des Innern Herrfurth:

Zu dem § 1 liegt eine ganze Reihe von Anträgen auf Ab— nderung vor, ich vermag jedoch in keiner dieser Abänderungen eine Verbesserumg der Regierungsvorlage zu erkennen und bitte Sie, alle diese Anträge abzulehnen. Ich gebe zu, daß an sich die Zahlen— ansatze in § 1 durchaus discutabel sind. Bei der Festsetzung der Zahlengrenzen, für welche kein positiver ziffermäßiger Anhalt gezeben ist, sondern welche mehr oder weniger auf Schätzungen beruben, sind diese Abmessungen stets mehr oder minder tilllürlich. Einen strieten Nachweis dafür, daß die von der segierung vorgeschlagenen Sätze richtig und allein richtig keien, vermag ich nicht zu führen; aber ebensowenig ist auch der Nach⸗ reis der Unrichtigkeit derselben zu erbringen, und alle Anführungen, di gegen diese Sätze bisher erhoben worden sind, sind meines Er— actens nicht geeignet gewesen, eine Abänderung, namentlich eine Derabsetzung dieser Sätze zu begründen.

Die Beiträge, welche die Stadtgemeinden mit Königlicher belizeiverwaltung in Zukunft zu leisten haben werden, sind mehrfach als eine Steuer bezeichnet worden, welche diesen Gemeinden neu auferlegt werde. Eine derartige Bezeichnung ist unzutreffend. Ich möchte mir aber die Terminologie der Steuer aneignen und sagen, daß die Einwendungen sowohl gegen die Scala als gegen den Tarif dieser Steuer, der Begründung entbehren. Was zunächst den Tarif anlangt, die Sätze, welche von den enzelnen Kategorien von Stadtgemeinden gefordert werden, so hat k Königliche Staatsregierung zunächst ermittelt, welche Betrãge tnt gemeinden mit communaler Polizeiverwaltung für diese ihre clizeiverwaltung geleistet haben, und sie hat für die verschiedenen Fategorien, der kleineren, mittleren und größeren Städte, dann ur die Abmessung des Beitrages der Städte mit Königlicher Polizei⸗ rrwaltung diese Sätze zu Grunde gelegt, hat sie aber etwas er— naßigt. Aus dem in der Begründung angeführten Grunde, namentlich nut Rũcksicht auf die Beschränkung, welche durch die Einführung der neniglichen Polizeiverwaltung jede Stadt in ihrer allgemeinen Ver— ꝛaltung erfährt, ist eine Ermäßigung dieser Sätze um etwa 40 bis S festgesetzt worden. Nun gebe ich zu, daß, wenn der Abg. Krause reiter geht und sagt, wir können sie um 80 bis 90 ermäßigen, 9. das nicht direct als unzulässig zu bezeichnen ist. Aber, meine ren, ich glaube, die Staatsregierung ist bereits bis an die äußerste

Grenze gegangen in Betreff einer derartigen Berücksichtigung der Ver= hältnisse in den Städten mit Königlicher Polizeiverwaltung, und wenn sie weiter gehen wollte, so würde ein Theil der Zwecke, welche sie mit diesem Gesetz verfolgt, nicht erreicht werden können. Das gilt insbesondere in Betreff des Punktes, der als die Frage der ausgleichen⸗ den Gerechtigkeit bezeichnet worden ist, in Betreff der Vermehrung der Land⸗-Gendarmerie, behufs Ausdehnung der Thätigkeit der⸗ selben auf die Stadtgemeinden der Landkreise. Mit der Summe, welche die Beiträge, die der Gesetzentwurf vorschlägt, als Ueberschuß für den genannten Zweck liefern werde, wird es möglich sein, etwa 600 Gendarmen anzustellen. Sollten die Anträge des Abg. Krause zu 1 und 2 Annahme finden, so würden diese Mittel in der Weise verkürzt werden. daß etwa nur noch 140 Gendarmen im ganzen Staat neu angestellt werden könnten, und mit einer so geringen Zahl würde der von mir angegebene Zweck nicht erreicht werden können. Selbst wenn man die Ermäßigung für

Berlin nicht eintreten lassen, sondern unter Ablehnung des Antrages Krause zu 1 seinen Antrag zu 2 annehmen wollte, würde immerhin eine so erhebliche Verringerung der überschießenden Summe statt— finden, daß höchstens etwa 400 Gendarmen zur Anstellung würden ge— langen können, und auch diese Zahl würde den angegebenen Zweck nicht erfüllen. Dieses Ergebniß würde nur dann zu erreichen sein, wenn man Berlin auf dem Satze von 2,50 M beließe und die übrigen Städte ermäßigte. Das aber wird meines Erachtens um so weniger thunlich sein, als, wie ich bereits in der ersten Lesung anerkannt habe, Berlin mit seinem Beitrage verhältnißmäßig schlechter wegkommt als die übrigen Städte und, wenn Sie für die übrigen Städte eine Ermäßi— gung beschließen sollten, würde Berlin nicht übergangen werden können. Meine Herren, aber auch für Berlin glaube ich, daß, obwohl der Satz von 250. verhältnißmäßig höher normirt ist, es nicht gerecht⸗ fertigt sein würde, eine Ermäßigung stattfinden zu lassen. Nach der Stimmung, die sich in der Commission kundgab und die heute hier im Plenum bestätigt wird, ist übrigens meine Befürchtung nicht zu groß, daß eine derartige Ermäßigung beschlossen werden wird. Die von dem Abg. Langerhans für eine solche Ermäßigung angeführten Gründe, welche sich namentlich auf die angeblich ungerechterweise zu hoch angegebenen Kosten der Reorganisation des Nachtwachtwesens beziehen, sind meines Erachtens nicht zutreffend. Meine Herren, zunächst muß ich bestreiten, daß das Nachtwachtwesen kein Theil der Sicherheits- polizei sei; darüber kann doch kein Zweifel sein, es ist ein wesentlicher Theil der Sicherheitspolizei; dasselbe ist bestimmt zur Aufrechterhal⸗ tung der öffentlichen Sicherheit während der Nacht. Ebensowenig kann man bestreiten, daß diese Functionen jetzt von den städtischen Nachtwächtern in Berlin nicht in ausreichender Weise wahrgenommen werden. Ich darf daran erinnern, daß bereits vor längerer Zeit die Stadt Berlin aufgefordert worden ist, eine bessere Organisation ihres Nachtwachtwesens eintreten zu lassen, insbesondere ist die Forderung gestellt, die Patrouillenbezirke zu ver— kleinern, die Zahl der Nachtwächter zu vermehren, womöglich für die Nachtwächter, welche jetzt in Berlin Nacht für Nacht 75 bis 8 Stunden Dienst haben, eine Theilung des Dienstes stattfinden zu lassen. Die Stadt hat ihrerseits nicht bestritten, daß eine Aenderung nothwendig sei, sie hat nur beantragt, daß die Ver— handlungen ausgesetzt werden möchten, bis die Erörterungen über dieses Gesetz sowie über die Uebertragung der ver— schiedenen Zweige der Wohlfahrtspolizei zum Abschluß gebracht sein würden. Im übrigen aber würde, wenn dieses Gesetz nicht zu stande kommen sollte, dann von Aufsichtswegen auf die Stadt ein.— gewirkt und nöthigen Falls im Wege der Zwangsetatisirung dafür gesorgt werden müssen, daß eine erheblich höhere Summe zur besseren Gestaltung des Berliner Nachtwachtwesens eingestellt werde. Daß aber, wenn der Staat das Nachtwachtwesen übernimmt, die Kosten sehr viel erheblicher werden, ergiebt sich schon einfach daraus, daß der Staat mit Schutzmännern die nächtliche Sicherheit besorgt, welche im Durch— schnitt mit 1300 „M besoldet sind, während die Stadt nur Nacht— wächter einstellt, welche ein Gehalt von 600 „M beziehen.

Was sodann den Antrag 3 des Herrn Abg. Krause auf Ab— änderung der Skala anlangt, so muß ich zugeben, daß derselbe erhebliche finanzielle Bedenken nicht haben würde; denn die Ver— minderung, welche infolge dieses Antrages bei den zu einer Ver— mehrung der Gendarmerie bestimmten Ueberschüssen eintreten würde, ist verhältnißmäßig sehr unerheblich. Es würde sich bei der Annahme dieser Aenderung nur um drei Städte handeln, Charlottenburg, Linden und Koblenz, die danach besser gestellt würden, als es in der Vorlage geschehen ist. Ich erkenne an, daß in Betreff der Stadt Linden Billig— keitsgründe vorliegen, welche eine solche Veränderung rechtfertigen würden; ich erkenne nicht an, daß sie vorliegen in Bezug auf Char— lottenburg und Koblenz, und ich glaube deshalb, daß dieser Antrag weiter geht, als berechtigte Gründe es erforderlich erscheinen lassen.

Was den Antrag des Herrn Abgeordneten für Potsdam an— langt, so möchte ich die Specialschmerzen, die er für die Stadt Potsdam hegt, übergehen und mich lediglich gegen den Antrag zu Gunsten der Nachtwächter wenden. Ich erkenne an, daß dieser Antrag von einem gewissen Wohlwollen gegen die Nachtwächter geleitet ist, welches Wohlwollen auch ich theile. Ich werde meinerseits dieses Wohlwollen dadurch bethätigen, daß ich die— jenigen Nachtwächter, welche sich zur Uebernahme in den Staatsdienst irgend eignen, demnächst zu übernehmen bereit bin und für dieselben die Anstellungsberechtigung erwirken werde. Aber weiter zu gehen erscheint mir bedenklich, namentlich aus dem Grunde, weil sich über— haupt nicht übersehen läßt, welche Beträge aus den nach § 1 zu zahlenden Beiträgen der 22 Stadtgemeinden für diesen Zweck ver— wendet werden müßten. Wir wissen nicht und können kaum im voraus ermitteln, welche Summen hierfür nothwendig werden würden; es kann sich möglicherweise um 2 bis 300 000 handeln. Ich gebe zu, es sind ja keine Summen, die dauernd bewilligt werden sollen, es handelt sich um vorüber— gehende Bewilligungen auf drei Jahre, immerhin aber ist eine derartige Bewilligung nicht unbedenklich, sie wird die Erreichung des auf die Vermehrung der Landgendarmerie gerichteten Zweckes der Gesetzesvorlage erheblich erschweren, und wir würden namentlich bei der Ausführung dieses Antrags in eine sehr große Verlegenheit kommen. Wir würden uns kaum anders helfen können, als daß wir in dem Staatshaushalts-Etat einen Dispositionsfonds zur ‚Unterstützung brotlos gewordener Nachtwächter“ einführten.

Wenn endlich der Herr Abg. Dr. Langerhans am Schluß seiner Ausführungen den Wunsch ausgesprochen hat, der Erlaß dieses Gesetzes möge womöglich ad calendas Graecas verschoben werden, so

möchte ich gerade im Gegentheil glauben, daß der gegenwärtige Zeit- punkt für den Erlaß des Gesetzes besonders geeignet ist. Denn die Ausführung des Gesetzes fällt zusammen mit der Durchführung des Einkommensteuergesetzes, durch welches der Stadt Berlin sehr erhebliche neue Steuerquellen er— schlossen werden, sodaß sie voraussichtlich trotz dieser neuen Last eine Herabsetzung des Procentsatzes ihres Communalsteuerzuschlags wird vornehmen können. Und außerdem kommt hinzu, daß das neue Com— munalsteuergesetz in Verbindung mit der Ueberweisung der Grund— und Gebäudesteuer in Vorbereitung ist und daß, wenn diese Gesetzes⸗ vorlagen zum Abschluß gelangen, für Berlin ebenfalls sich eine fehr wesentliche Verbesserung der Finanzlage der Stadt herausstellen wird. Ich möchte deshalb glauben, daß auch der Zeitpunkt für Erlaß des Gesetzes ein geeigneter ist, und bitte Sie, dasselbe nunmehr endlich zum Abschluß zu bringen. (Bravo! rechts und im Centrum.)

Abg. Greiß (Centr.) empfiehlt eine Herabsetzung der Sätze unter e, d, e auf 120, (0,90 und G60 SM und verweist namentlich auf die Verhältnisse von Köln.

Abg. Dr. Krause (nl): Daß nicht mehr Petitionen ein— gegangen seien, liege daran, daß die Städte sich gesagt hätten: daß es jetzt nichts mehr helfen würde. Die Städte des Ostens hätten sich noch nie über das sogenannte Privilegium der Städte mit Königlicher Polizeiverwaltung beschwert und hätten damit eine höhere Auffäffung politischer Dinge an den Tag gelegt, als der Abg. von Eynern— Man solle doch nicht immer so nachrechnen bis auf Heller und Pfennig, dadurch werde der Staat schließlich atomisirt. Schließlich bevorzuge jeder Kanal, jede Eisenbahn eine bestimmte Gegend. Warum bleibe man denn hier stehen bei der städtischen Polizei? Trage der Staat nicht alle Kosten der ländlichen Polizei für Gendarmen, Distriets⸗ Commissarien u. s. w. Hätten die Städte jemals etwas dagegen zu erinnern gehabt? Wo seien denn die Vororte von Städten? Im industriereichen Westen, die dadurch begünstigt würden vor Ten Städten des Ostens? Dadurch werde wiederum eine Ungerechtigkeit eschaffen. Und wie ungleich würden die Städte mehr belastet! Für

harlottenburg betrage die Mehrbelastung 150 060, für Königsberg L20, für Breslau gö5, für Aachen 55, für Frankfurt a. M. 10 59. Wenn die Stadt Königsberg, welche für glachtwach titesen, über welches keine Klage zu führen sei, 62 000 S aufgewendet habe, dafür in Zukunft 173 006 . zahlen solle, so sei ihm das ganz unbegreiflich. Sein Antrag solle hauptsächlich für Linden eine Erleichterung schaffen. Daß dadurch Koblenz und Charlottenburg besser gestellt würden, müsse man mit in den Kauf nehmen; für Charlottenburg spreche, daß es jetzt ganz außerordentlich mehr belastet werden solle. Die Abstufung nach seinem Antrage werde dahin führen, daß die meisten Städte lange Zeit in derselben Stufe bleiben würden, während bei der Annahme der Vorlage einige Städte bald in eine höhere Stufe kommen könnten, wodurch sie in ihren Finanzen beunruhigt würden. Wenn die Conservativen 1889 für die niedrigeren Sätze gestimmt hätten, was sei denn neues hervorgetreten, daß sie jetzt höher gehen wollten? Daß die Ueberschüsse für die Land ⸗Gendarmerle verwendet würden, sei zu billigen, aber das sollte nicht im Gesetz stehen.

Abg. Pr. Wuermeling (Centr. empfiehlt die Annahme der

Sätze der Commission und hält höchstens für Linden eine Ermäßigung für nothwendig. Den Berlinern brauche man dagegen in Reinen Weise entgegenzukommen. Abg. Dr. Meyer: Wenn die Berliner wirklich allein egen dieses Gesetz opponirten, so sei dies hinreichend dadurch erklärt, daß Berlin härter getroffen werde, als irgend eine andere Stadt; Die anderen Städte verfuchten aber auch noch, ihre Interessen wahr— zunehmen. In allen anderen Ländern leiste der Staat für! die Ver— waltung der Hauptstadt Zuschüsse; so fei es in Paris und Wien der Fall. Das Gesetz sei seiner Fassung nach ein eigenthümliches. Besetze sollten eigentlich Rechte und Pflichten für jedermann fest— stellen. Dieses Gesetz lege gewissen Gemeinden Pflichten auf, welche nicht im . ständen mit den Pflichten anderer Ge— meinden. Eine Mehrheit beschließe darüber, was eine Minderheit bezahlen solle. Das fei das befonders Krän— kende dieses Gesetzes. Er glaube, daß das Haus von der Gerech⸗ tigkeit dieser Sache überzeugt sei; aber darüber entscheide der Regel nach nicht eine Partei, sondern der Richter. Das müsse das Rechtsbewußtsein verletzen, wenn die Partei, welche die Macht habe, die andere verurtheile. Er könne nicht beweisen, daß die Sätze der Vorlage die unrichtigen seien. Aber den Beweis habe der zu führen, der eine Behauptung aufstelle. Bisher hätten die Einnahmen des Staats aus diesen Verhältnissen auf Verträgen beruht Warum habe der Minister nicht neue Verträge abgeschlossen? Der Staat trete hier als negotiorum gestor auf; das sei aber nur erlaubf, wenn der eigentlich Hrechtigte verhindert oder nicht im stande sei, zu handeln. Das sei aher nicht der Fall. Die Städte könnten ihr Recht allein vertreten. Ein privatrechtliches Verhältniß liege hier nicht vor. Eine Steuer auch nicht, denn es würde der Verfaffung widersprechen, daß eine Stadt mehr bezahlen müsse als eine andere. Er könne diese Auflage nur als eine Kriegscontribution betrachten, die der Stadt auferlegt werde, weil sie so viel bezahlen könne. Die gute Finanzlage Berlins werde aber bald vorüber sein. Wenn die Vororte in Berlin einverleibt würden, dann werde Berlin für alle möglichen Einrichtungen zu sorgen haben., Die allgemeinen Grundlagen des Gesetzes entsprächen nicht dem preußischen Grundsatze der Gesetzgebung: Sunm euique-

Minister des Innern Herrfurth:

Ich möchte nur mit zwei Worten einer meines Erachtens unrich— tigen Behauptung des Herrn Abg. Meyer widersprechen. Er hat ge⸗ sagt, die Beiträge, welche zur Zeit die Städte mit Königlicher Polizei verwaltung zahlen, seien privatrechtlicher Natur und beruhen auf Vertrag. Das ist unrichtig; die Beiträge, welche die Städte zahlen, sind mit wenigen Ausnahmen, in Betreff deren Speeial— verträge abgeschlossen sind, lediglich gezahlt auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen in 3 des Gesetzes vom 11. März 1850 und auf Grund des Gesetzes vom 23. September 1867; sie sind öffentlich— rechtlicher Natur. Und, weil sie auf einem Gesetze beruhen, so ist der richtige Weg, daß sie im Wege eines neuen Gesetzes abgeändert werden, nachdem sich herausgestellt hat, daß die bisherige gesetzliche Regelung eine unbillige ist und auf Kosten der Gesammtheit einzelne Gemeinden bevorzugt. Wenn der Herr Abg. Meyer uns bezüglich einer ander— weiten Regelung auf den Weg des Vertrages verweisen will, so würde das allerdings für die Städte sehr günstig sein; denn, da man niemand zu einem Vertrage zwingen kann, so sind wir sicher, daß keine Stadt und zweifellos auch die Stadt Berlin nicht sich freiwillig dazu verstehen wird, diesen Vertrag abzuändern und einen höheren Betrag zu zahlen.

Daß der Betrag von 250 S, der in diesem Gesetz für Berlin vorgeschlagen ist, absolut zutreffend und der allein richtige ist, dafür das habe ich anerkannt kann ich den stricten Nachweis nicht liefern. Meine Herren, ich bin sehr lange darüber zweifelhaft ge— wesen, ob nicht der Betrag von 3, 00 M richtiger wäre (Hört! hörth; ich habe mich lediglich davon leiten lassen, daß ich den Betrag unter keinen Umständen höher normiren wollte, als wie er meines Erachtens in Rücksicht auf alle übrigen Städte normirt werden müsse, ohne die Stadt Berlin allzusehr zu bevorzugen; und, wenn ich diesen Nach⸗ weis der Richtigkeit von 2,50 „M nicht liefern kann, so glaube ich,

wenigstens in meinem Gewissen darüber beruhigt zu sein, daß ich