ö
niversität Tübingen, bis zum 30. September 1892 in diesem Com — belassen. Dr. Bihler, Assist. Arzt 2. Kl. im Inf. Regt. König Wilhelm J. Nr. 124, in das 2. Feld⸗Art. Regt. Rr. 25 Prinz⸗Regent Luitpold von Bavern versetzt. Dr. Held, Assist. Arzt 3 Kl. im Gren. Regt. König Karl Nr. 123, als Assist. Arzt 1. Kl. mit Pension der Abschied bewilligt.
Deutscher Reichstag. 194 Sitzung vom Dienstag, 15. März, 12 Uhr.
Am Tische des Bundesraths der Ministerial-Director Lohmann. . 3 ö
Vor der Tagesordnung beschwert sich der Abg. Freiherr von Münch (b. k. F darüber, daß der Abg. Schneider (Hamm) als Referent über den Antrag auf strafrechtliche Verfolgung v. M. Handlungen desselben bereiks als strafbare bezeichnet habe, bevor noch vom Richter über ihren strafbaren Charakter entschieden worden. Jedes Mitglied des Reichstags habe den Anspruch auf Schutz des Präsidiums gegen eine solche Behandlung.
Darauf beginnt die Specialdiscussion der Novelle zum Krankenkassengesetz. 8 des n lichtung zur Versich erung e Novelle wird diese V
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gehilfen
Art
1.
Abg.
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zes Falle 150 w mal.
die
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verein deutscher Kaufleute . behauptet worden, daß die Wirkungen des Artikels 60 des Handels— gefetzbuchs häufig vertragsmäßig außer Kraft gesetzt würden; aber nur in überaus seltenen, vereinzelten Fällen hatten sich Principale die sofortige Entlassung des Gehilfen im Erkrankungsfalle ausbe—⸗ dungen. Mit diesein Gesetz werde ihnen aber ein gewisses Recht gegeben, den Art. 60 außer Kraft zu setzen: warum, würden sie agen, zumal in schlechten Zeiten, dem erkrankten Gehilfen, das Gehalt für sechs Wochen wester auszahlen, wenn sie ihre Beiträge an die Krankenkasse bezahlten? Der Antrag Buhl⸗Gutfleisch ver⸗ diene daher Annahme, da er den Artikel 60, der den Gehilfen größere Vortheile gewähre als das neue Gesetz, in seiner Wirksamkeit zu erhalten bezwecke. ; . Abg. Dr. Buhl (nl): Für sechs Wochen werde auf Grund des Art. 666 des Deutschen Handelsgesetzbuches den Handlungsgehilfen in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle viel mehr gewährt,; als durch die Krankenversicherung gewährt werden könne. Diejenigen, welche keine Ueberversicherung wollten, die nicht wollten, daß der Dank lungsgehilfe während sechs Wochen sein volles Gehalt, Kranken⸗ geld, freien Arzt und freie Apotheke bekomme, müßten für den Antrag stimmen, der ein Vermittlungsantrag sei: der Antrag spreche eine Befreiung von dem Versicherungszwange dann aus, wenn ein gesetzlicher Ansprnch auf eine kürzere Unterstützungszeit durch eine größere Leistung compensirt werde. Der Antrag Hitze würde es sederzeit einer großen Zahl von Kassenmitgliedern ermöglichen, durch ihren Austritt die Kasse wieder in Frage zu stellen. . Abg. Singer (Soc.): Auch für die Handlungsgehilfen sei der Versicherungszwang durchaus nothwendig; sie bekämen auch nicht, wie der Antrag Buhl voraussetze, in sechs Wochen an Gehalt mehr als in dreizehn Wochen von der Zwangskasse, denn ihr Minimalgehalt sei fehr häufig weniger als 900. Sie seien nach der Entwickelung des Handelsgewerbes heute meist nur noch gewerbliche Hilfsarbeiter, und die Möglichkeit der Gründung eines eigenen kleinen Geschäfts schwinde ihnen mehr und mehr. Würde der Antrag Buhl Gesetz, würde er für die Unternehmer nur einen Anhalt bieten, durch Umgehung der sechswöchigen Kündigungsfrist der Pflicht enthoben zu sein, . Gehilfen im Falle der Erkrankung während sechs Wochen das Gehalt zu zahlen. Aber selbst, wenn die Leistung für sechs Wochen größer wäre, als das Krankengeld für dreizehn, was er bestreste, fo sek es doch wohl richtiger den Gehilfen für dreizehn als für sechs Wochen zu versichern. Die Nothlage der Handlungs⸗ gehilfen fei in vielen Fällen eine größere als die der Arbeiter. Sie seien der schrankenlosen Ausbeutung ihrer Principale ebenso ausgesetzt wie die Arbeiter. Alle Achtung vor der freien Hilfsthätigkeit einiger kaufmaͤnnischer Verbände für ihre Mitglieder, aber diese Verbände umfaßten doch nur einen kleinen Theil der Handlungsgehilfen. Darum wolle feine Partei den staatlichen Versicherungszwang auch für sie constituiren. Sie werde daher gegen die Anträge Buhl⸗Hitze, aber für den des Abg. Grafen Hölstein stimmen; denn sie wünsche, daß alle Arbeiter, auch die Dienstboten, versichert würden. . Abg. Hitze (Centr. : Es sei ein Widerspruch, daß die Social⸗ demekraten' die Vorlage für unannehmbar erklärten und ihren Geltungs⸗ bereich dennoch ausdehnen wollten. Es handele sich hier nicht darum, sttheoretische oder principielle Gesichtspunkte aufzustellen, fondern das Gefetz praktisch durchführbar zu machen. Seine Partei wolle die freien Hilfskassen nicht beeinträchtigen und Kaufleute nicht zur Umgehung der im SS 60 des Handelsgefetzes enthaltenen, sechswöchigen Kündigung. provociren. Darum wüͤnsche sie, daß Handlungsgehilfen und Lehrlinge, für welche die Rechte des 5 60 des Handelsgesetzbuches nicht aufgehoben seien, auf ihren Antrag von der Versicherungspflicht zu befrelen seien, und dies beantrage sie zum 3a der, Vorlage. Die Lage der Handlungsgehilfen und Lehrlinge in Großstädten mache ja die Versicherung flir sie sehr wünschenswerth, in kleineren und Mittel- städten bestehe noch ein familiares Verhältniß zwischen Principal und Gehilfen, dort sei der Versicherungszwang nicht nöthig; darum müsse Letzteren die Möglichkeit gegeben sein, sich von der Versicherung zu befreien, und darum bitte er um Annahme seines i,. Ministerial-⸗Director Lohmann: Er lasse es dahingestellt, ob in Betreff der Wirkung einer etwaigen Annahme des Antrages Buhl-(Gutfleisch der Abg. Goldschmidt oder der Abg. Singer die richtigere Uuffassung habe, aber er glaube, die Auffassung, daß 0 „M das Minimalgehalt von Handlungsgehilfen sei, sei eine zu rosige. In Berlin sei das Gehalt sehr vieler Handlungsgehilfen ein bedeutend geringeres, sie ständen nicht anders da, als gewerbliche Arh emen und seien auch nicht anders zu be⸗ banteln. Die Scheidung zwischen Versicherungspflichtigen und Nichtversicherungspflichtigen solle nach den Beschlüssen zweiter Le⸗
sung vollzogen werden dadurch, daß die Ersteren unter 2000 6 be zögen, die Letzteren darüber; er bitte, es dabei zu belassen. Durch die Annahme des Antrages Buhl würde eine große Unsicherheit geschaffen werden, denn er schaffe eine dritte Klasse von Ver⸗ sicherungspflichtigen, und für diese würde es bei allen Streitigkeiten über Beitragspflicht und Anspruch auf Krankenunterstützung auf den Inhalt des Arbeitsvertrages ankommen; dieser Vertrag sei aber oft mündlich abgeschlossen, oft nicht in einem einzigen Schriftstück, sondern in einem längeren Schriftwechsel enthalten, sodaß der Inhalt des Ver⸗ trages oft recht schwer festzustellen sei. Durch den Antrag Hitze werde das, was er erreichen solle, keineswegs erreicht, denn es werde dem Principal sehr leicht sein, die Gehilfen zu der Erklärung zu be⸗ wegen, daß sie auf den ihnen nach 8 50 des Handelsgesetzbuchs auch im Erkrankungsfall zustehenden sechswöchigen Gehaltsbezug verzichteten. Er bitte alfo, es bei dem Beschluß zweiter Lesung zu belassen.
Abg. Br. Gutfleisch (döfr. ): Die Einwände des Regierungs⸗ vertreters gegen seinen Antrag überzeugten ihn nicht; zur Krankenver⸗ sicherung habe der Gehilfe sich nicht selbst anzumelden, sondern der Principal müsse dies beforgen, und der Arbeitsvertrag möge vorher noch so unklar sein — im Moment, wo der Gehilfe die Stelle an⸗ trete, müffe fich der Principal entscheiden, ob er ihn zur Versicherung anmelden wolle oder nicht, in welch letzterem Fall dann § 60 des Handelsgesetzbuchs in Geltung bleibe. Seine Partei gebe zu, daß die Lage vieler Handlungsgehilfen eine Unterstützung in Krantheits— fällen nöthig mache, in sehr vielen Fällen treffe das aber nicht zu. Zwinge man die Handlungsgehilfen sämmtlich zur Krankenversicherung, so verschlechtere man ihre Rechtsverhältnisse ganz wesentlich; man provocire bei den Kaufleuten förmlich die Umgehung des 5§ 69. Seine Partei hätte einen entsprechenden Antrag, wie hier für die Dand⸗ lungsgehilfen, gern auch für die Anwalts— und. Notariatsgehilfen gestellt, aber für diese existirten nicht so einheitliche Rechtsverhält⸗ niffe, wie für jene. Sollte sein Antrag aber abgelehnt werden, so werde seine Partei für den Antrag Hitze stimmen. Abg. Singer deute an, daß wesentlich durch ihn (den Redner) Verschlechterungen in die Vorlage gebracht würden, wie es auch, schon in der Ge⸗ werbeordnungsnovelle der Fall gewesen sei, wo er den Lohn⸗ einbehaltungs⸗Paragraphen geschaffen hätte; dieser Legendenbildung müffe er entgegentreten. Die Lohneinbehaltung habe schon. früher beftanden, er habe ihre Anwendbarkeit präcisirt und eingeschränkt. Uebrigens gebe er zu, daß dies Gesetz, wie die ganze neuere sozial⸗ politische Gesetzgebung mit zahlreichen Ausnahmebestimmungen be⸗ haftet sei, aber das sei bei der Natur der Sache unvermeidlich, wenn man etwas praktisch brauchbares schaffen und nicht, nach Art der Socialdemokraten, nur allgemeine Principien aufstellen wolle, ohne Rücksicht auf ihre Durchführbarkeit. ;
Abg. Dr. Höffel (Rp.): Der von ihm gestellte Antrag recht— fertige sich selbst; man brauche die Wohlthgten dieses Gesetzes nicht Leuten zuzubilligen, die etwa als Werkmeister u. dergl. mehr als 2000 6. Jahreseinkommen hätten, .
Abg. von der Schulenburg (eons. ; Der Antrag Höffel sei überflüssig, da Betriebsbeamte mit mehr als 6 - Tagelohn ohnehin von der Krankenversicherung befreit seien. Seine Partei halte die Versicherungspflicht der Handlungsgehilfen für unbedingt nöthig; es fei ja möglich, daß die Mehrheit der Gehilfen sich dagegen erkläre, aber hier wie bei anderen socialpolitischen Gesetzen müsse man den Betheiligten die Wohlthaten des Gesetzes aufzwingen, man thue damit ein gutes Werk. Seine Partei sei gegen die Anträge Buhl und Hitze, und bitte, es bei den Beschlüssen zweiter Lesung zu belassen. Abg. Dr. Hirsch (dfr): Der Antrag Höffel liege in der Linie der Wünsche selner Partei, sie stimme aber dagegen, weil Betriebs⸗ leiter u. dergl, mit einem Gehalt von mehr als 2000 „ ohnehin vom Versicherungszwang ausgenommen seien, wirkliche Arbeiter mit diesem Einkommen aber sehr selten seien, und, wo sie vorkämen, ihr hohes Einkommen doch wohl nur vorübergehend bezögen, so daß die Betreffenden bald unter das Gesetz fielen, bald nicht, wodurch eine große Unsicherheit für diese Leute geschaffen würde. Die An⸗ wendung des Versicherungszwanges auf die Notariatsgehilfen er— scheine unberechtigt. Die wichtigste Frage sei die Einbeziehung der Handlungsgehilfen. Zu seiner Freude seien die hierfür früher am meisten Fervorgehobenen Motive, die Berufung auf das Alters= und Invaliditätsgesetz und der Hinweis auf den eigenen Wunsch der Häandlungsgehilfen, heut ganz verstummt resp. sehr zurückgetreten. Heut wifse man, daß nur eine schwache Minderheit der Gehilfen sich für den Versicherungszwang erkläre — heut sage ja selbst Abg. von der Schulenburg, man müsse die Gehilfen zu ihrem Glück zwingen; ein fo großes Glück sei aber die Zwangsversicherung nicht, zumal die Krankenunterstützung nur 13, Wochen gewährt werde, für Diejenigen also, die keinen freien Kassen angehörten — und die Novelle werde deren Zahl sehr vermindern „ und deren Krank— heit mehr als dreizehn Wochen dauere, bis zum Eintritt der Invaliditäts⸗ rente doch noch neun Monate hindurch die öffentliche Wohlthätigkeit eintreten müsse. Die Neigung der Handlungsgehilfen für den Ver— sicherungszwang sei eine Zeit lang, durch eine geschickte Agitation her⸗ vorgerufen worden, welche die Meinung zu erwecken verstanden habe, es handele sich wesentlich um einen Zwang zur Versicherung bei 5 Hilfskassen, welche dadurch einen neuen Aufschwung nehmen könnten. Wo die Lage der Handlungsgehilfen den Versicherungszwang wün⸗ schenswerth mache. könne er ja auch ietzt schon durch Ortsstatut ein— geführt werden. Die von dem Ministerlal-Diregtor Lohmann hervor— gehobene Scheidung zwischen Gehilfen, die mehr als 2090 (6 Ein⸗ kommen hätten, und solchen, die weniger bezögen, sei keine zwischen folchen, die nicht in proletarischen Verhältnissen lebten und solchen, bei denen das der Fall sei; Handlungsgehilfen mit weit unter 2000 M sich haltendem Einkommen könnten einigermaßen aus⸗ kömmlich für sich selbst sorgen. Ein weiterer Grund gegen die Ausdehnung des Versicherungszwanges sei die Rücksicht auf die Aerzte; diefe feien schon jetzt von den Kassenvorständen, d. h. meist von Be⸗ hörden, so abhängig, daß man eine weitere Ausdehnung dieses Zustandes vermeiden sollte. Uebrigens seien gerade Kaufleute ge— wohnt, in Krankheitsfällen sich an Aerzte ihres Vertrauens zu wenden, man sollte sie mit der Zwangsbehandlung durch be— stimmte Aerzte auch in Zukunft verschonen. Die Umgehung des sz 60 des Handelsgesetzes sollte man schon um deswillen vermeiden, weil diefer Paragraph auch für andere, unverschuldete Behinderungsfälle an der Arbeit, als die durch Krankheitsfälle veranlaßten, Vorsorge treffe, und weil mit der Verkürzung der Kündigungsfrist die Chance, eine günstige Stelle zu bekommen, geringer werde; gerade aus der vertragsmäßig oft eintretenden kurzen Kündigungsfrist resultire di Stellenlosigkeit Tausender von Handlungsgehilfen. Nach allem dem bitte er, den Antrag Buhl anzunehmen. ö .
Ministerial⸗Director Lohmann: Er müsse entschieden Ver⸗ wahrung dagegen einlegen, daß er diejenigen, welche ein Einkommen unter 2500. hätten, als Proletarier bezeichnet habe. Er habe das Wort gar nicht in den Mund genommen, sendern nur gefagt, daß die Grenze bei 2000 46 gezogen werden müsse, und daß diejenigen, welche ein geringeres Einkommen hätten, mit den gewerblichen Ar— beitern im Gesetz auf eine Stufe gestellt würden. Daß unter den Handlungsgehilfen sich nur eine verschwindende Minderheit, für den Kassenzwang ausgesprochen habe, müsse er bestreiten. Die großen Vereinigungen der jungen Kaufleute hätten sich für die Einbeziehung in den Bereich des Gesetzes noch neuerdings in Eisenach in einer Vorstandssitzung ausgesprochen. Deren Standpunkt sei also ganz derselbe wie im vorigen Jahre. Die Kaufleute, die mit dem Abg. Hirsch in Beziehung ständen, möchten ja einen ganz anderen Stand—⸗ punkt einnehmen, aber das sei doch wohl nur die Minderheit.
Abg. Möller (n.); Ein großer Theil derjenigen jungen Kauf⸗ leute, die für den Versicherungszwang agitirt hätten, sei Mitglied einer großen freien Hilfskasse gewesen und habe gehofft, durch den Ver⸗ sicherungszwang gute Geschäfte zu machen, indem der Geschäftskreis der freien Kassen dadurch ausgedehnt werden würde. Es sei die Meinung aufgetaucht, man könne sich wohl mit dem Versicherungs⸗ zwang abfinden, aber man müßte dann örtliche Krankenkassen bilden, die nicht bloß auf den Kreis eines bestimmten Berufes beschränkt seien. Etwa die Hälfte der jungen Kaufleute sei für, die Hälfte gegen die Einführung des Versicherungsgesetzes. Den Antrag Höffel halte
er für unannehmbar. Für die große Zahl von Arbeitern, welche über 2000 a verdienten, aber nicht dauernd beschäftigt seien und schwankend. Einnahmen hätten, sei es absolut nothwendig, daß sie dem Versiche rungszwange unterworfen seien.
Abg. Eberty (of.: Art. 69 des Handelsgesetzbuches stell 1 6 ; e . . a e ein Sonderrecht für den Kaufmannsstand dar und ordne die Versiche. rungspflicht der Gehilfen im Sinne des mehr familiären Verhältniffe; zwischen ihnen und dem Principal, Das allgemeine Versicherungsrecht und dieses Rechtsverhältniß verhielten sich zu einander wie das weniger Gute zum Besseren. Da aber eine Majoritaät für die Streichung der Handlungsgehilfen aus diesem Paragraphen nicht zu erlangen se fo ziehe feine Partei sich auf den Antrag Buhl⸗-Gutfleisch zurück dem das Haus zustimmen könne, weil er der Gerechtigkeit entspreche und der alleinige Ausweg sei. Der Reichstag würde ungerecht handeln wenn er wider den Willen der Betheiligten ihnen ein Sonderrecht nehmen wollte, das ihnen durch ein Gesetz verbrieft sei. Die Kauf leute sollten wenigstens selbst entscheiden können, ob sie nach dem Versicherungsrecht oder nach eigenem kaufmännischen Recht leben wollten.
Abg. Freiherr von Stumm (Rp.): Dem Antrage Buhl stimme er bei. Wenn man das Gesetz auf alle Handlungsgehilfen anwende, werde ihnen ein großes Recht entzogen und dafür ein Danaergeschenk gemacht, das er ihnen nicht zuweisen wolle. Bei den Handlungsgehilfen, deren Wünsche er hier vertrete und deren Kreise er nahe stehe, Leuten, die eine große Carrière vor sich hätten, habe er einstimmige Abneigung gegen dieses Gesetz gefunden, zum theil. weil sie fürchteten, ihr eigenes besonderes Recht zu verlieren, zum theil auch, namentlich die besser Situirten, weil sie glaubten, in ihrer socialen Stellung benachtheiligt zu werden. Eventuell könnte er sich mit dem Antrage des Centrums zu § 3 begnügen, falls der des Abg. Dr. Buhl abgelehnt werde.
Abg. Singer (Soz.): Die Gehilfen, bei denen eine Abneigunz gegen den Krankenkassenzwang bestehe, würden sich wahrscheinlich in guten Stellungen befinden und an ihrem eigenen Leibe nicht die Noth wendigkeit der Versicherung spüren. Aber der Gesetzgeber müsse doch mit der großen Masse eines Standes rechnen, nicht mit einzelnen Kreisen desselben. Die große Masse der Gehilfen, welche oft stellungs— los seien und einem fortwährenden Wechsel ihrer Einnahmen unter— worfen seien, spreche sich für das Gesetz aus. Der Abg. Dr. Hirsch habe ihn mißverstanden, wenn er glaube, seine Partei habe die Ge— hilfen auf die freien Hilfskassen vertröstet. Er habe nur gesagt, daß, wenn den freien Hilfskassen nach diesem Gesetz das Leben noch möglich sein werde, dann auch die Handlungsgehilfen sich ihrer bedienen könnten. Bei aller Sympathie für die freie Arztwahl innerhalb des Kassenzwanges müsse man sich doch sagen, daß die Aerzte der Menschen wegen da seien, und nicht umgekehrt. Auf die Brücke des Ortsstatuts trete seine Partei nicht mehr, nachdem sie z. B. bei der Sonntagsruhe den Gebrauch gesehen habe den die Gemeinden von der ihnen übertragenen Befugniß machten. Seit Jahren sei von den Gehilfen die Nothwendigkeit der Zwangsversicherung sehr stark betont worden, infolge der grenzenlosen Noth, in der sie sich in Krankheitsfällen befänden. Dem Abg. Dr. Gutfleisch gegenüber stelle er fest, daß der thatsächliche Zustand bis zum Erlaß der Gewerbe— ordnungsnovelle der gewesen sei, daß nur ein absolut verschwindender Theil der Unternehmer von dem Recht der Cautions- und Lohn— einbehaltung Gebrauch gemacht habe. Der Versicherungszwang sei eine Wohlthat für die Handlungsgehilfen, welche in schlechten Ver— hältnissen lebten, und seine Partei werde daher gegen den Antraz Buhl-⸗Gutfleisch stimmen.
Abg. Dr. Gutfleisch (dfr.): Seine Partei habe sich bemüht, die Schwierigkeiten zu beseitigen, ohne deren Nichtbeseitigung an eine Einführung des Gesetzes , nicht zu denken gewesen sei. Eine Rückbehaltung von Löhnen sei auch früher schon gesetzlich ge— stattet gewesen und sei davon viel Gebrauch gemacht worden.
Damit schließt die Discussion.
Der Antrag Höffel wird abgelehnt, der Antrag Buhl— Gutfleisch angenommen und mit dieser Aenderung gelang S1 fast einstimmig zur Annahme. . .
S2 statuirt die Befugniß der Gemeinden und weiteren Communalverbände, durch Statut die Geltung des Gesetzes auf Communalbeamte, soweit deren Arbeitsverdienst an Ge⸗ halt oder Lohn 6*½ 6 für den Arbeitstag nicht übersteigt, auf Familienangehörige der Versicherten, auf die Haus— industriellen und auf die land- und forstwirthschaftlichen Ar— beiter auszudehnen. . . ö
Die Abgg. Dr. Gutfleisch (Dfr), Merbach (Rp.), Möller (nl,), von der Schulenburg (cons.) ünd von Strombeck (Centr. freie Commission] beantragen, in Ansehung der Communah beamten die Einschränkung „soweit ihr Arbeitsverdienst nicht mehr als 62, (6 für den Arbeitstag beträgt“ zu beseitigen.
Abg. Graf Holstein (cons.) beantragt, die Ausdehnun) der Facultät auf die Dienstboten und das Gesinde, und hat diesem Principalantrage entsprechend eine Reihe weiterer Anträge vorgelegt, welche das Gesetz mit dieser Erweiterung in allen seinen ö,, in Einklang bringen sollen.
Der Antragsteller hebt hervor, daß es sich hier, nur um eine den Gemeinden resp. Communalverbänden zu ertheilende Facultät handle, die in denjenigen Einzelstaaten, wo die Ver⸗ sicherung der Dienstboten bereits geregelt sei, nicht angewendet zu werden brauche. .
Ministerial⸗Director Lohmann: Er könne keine Erklärung dar= über abgeben, ob die Einbeziehung der Dienstboten in das Kranken, kassengefetz die Zustimmung der verbündeten Regierungen finde werde. Der Bundesrath habe keine Veranlassung gehabt, sich m diefer Frage nach der zweiten Lesung nochmals zu beschäftigen. Man könne die Gründe des Abg. Grafen Holstein für seinen Antrag vol würdigen; aber es sei ein etwas gewagtes Unternehmen, in der dritten Lesung eines Gesetzentwurfs eine so wesentliche Ergänzung desselben vorzunehmen. Das System der Versicherungs wie es in dem Gesch aufgebaut sei, passe eigentlich auf. die Verhältnisse der Dienstboten nicht, und die Ausführungsanträge des. Ab! Grafen Holstein enthielten die wesentlichsten Abweichungen von den Grundsätzen des Gesetzes. Diese Anträge seien⸗ h fehr sorgfältig ausgearbeitet, aber er bezweifle, ob sie im einzelner das Richtige träfen. So werde z. B. ganz richtig die Erhöhum und Ermäßigung der Beiträge von der Genehmigung der Aufsichte behörde abhängig gemacht, während in einem anderen. Jal. die Regelung dieser Sache dem Ortsstatut überlassen sei. 2 Abg. Graf Holstein habe darauf hingewiesen, daß es ja die . sichts behörde in der Hand habe, die Genehmigung zu versagen. Aber die Genehmigung zu dem Kassenstatut könne von den Behörden nun versagt werden, wenn das Statut den gesetzlichen Anordnung! nicht entspreche. Das Gesetz gebe keine Bestimmung über die Mn und Weise, wie in diesem Falle die Beiträge zu normiren seien. Alley dings gebe der Antrag des Abg. Grafen Holstein nur eine Facultäz aber eine angenehme Situation für die Regierung sei es nicht, mem sie in ihrem Lande davon keinen Gebrauch mache. Es würde jeden, falls an Vorwürfen und Anklagen nicht fehlen, daß die Regierung nicht loyal verfahren hätten. Er könne also diesen Antrag wede empfehlen, noch das Gesetz mit demselben für unannehmbar erklar! Jedenfalls glaube er versichern zu können, daß die Verhandlung b die Krankenversicherung der Dienstboten den verbündeten Regierung immerhin einen neuen Anlaß bieten werde, die Frage wiederum Erwägung zu ziehen, und es sei nicht augggschesen, daß dum besonderes Gesetz diese Frage geregelt werde. Eben so wenig sei . geschlossen, daß auch die Landesregierungen, welche die Kran ö verficherung der Dienstboten noch nicht besonders geregelt bãtih aus diefer Debatte nun Veranlassung nähmen, diese Regelung seß vorzunehmen.
Die Abgg. Eberty und Dr. Hirsch beantragen, die Antrãgt
Holstein in die Commission zurückzuverweisen.
Der Antrag wird abgelehnt.
Abg. Eber ty (fr): Man könne unmöglich an dieser Stelle, in dritter Lesung, einen Antrag von so weitgreifenden Folgen hier im Plenum erledigen. In Württemberg und Bayern sei die Krankenver⸗ sicherung der Dienstboten landesgesetzlich geregelt. Setze man hier ö ortastatutarische Regelung fest, so würde man den bestehenden Zustand theilweise verschlechtern, eine Menge von Special- und Dndesgesetzen dem Sie volo. sie jubeo eines beliebigen Kreis— musschusses ausliefern. ö .
Abg. Möller (ul.): Die höhere Verwaltungsbehörde habe die Statuten zu genehmigen, sie lägen also nicht in der Willkür der Kreis⸗ iäschässe. Der Widerstand ven links und die Ausführungen des Räenicrungsvertreters ließen es ihm allerdings zweifelhaft erscheinen, die Sache jetzt zu stande gebracht werden könne. Vielleicht wire es besser, der Antrag würde zurückgezogen und dafür eine ent— sprechende Resolution angenommen. 31
Abg. Moltenbuhr (Soc) befürwortet die Annahme des Antrages; mit Ausnahme von Hamburg seien die Dienstboten im
Deutschen Reiche schlechter gestellt, als sie es unter dem Kranken— 1Fengesetz sein würden.
Die Abgg. Hitze (Centr.) und Freiherr von Stumm (Rp.) richten mit Rücksicht auf die Geschäftslage des Hauses und auf die Schwierigkeit der Materie an den Abg. Grafen Holstein das Er— süchen, den Antrag für jetzt zurückzuziehen und entweder eine Reolation gleichen Inhalts einzubringen oder die Regelung der Krankenversicherung der Dienstboten bei den einzelnen Regierungen anzuregen. . ;
Der Antrag Holstein wird abgelehnt, S 2 im wesent— lichen unverändert angenommen. Die SS Za, 26, 3, Za, 3h, 45a werden ohne Debatte mit einer Reihe lediglich redactio⸗ neller Amendements der Abgg. Dr. Gutfleisch und Genossen angenommen. .
Nach 5 6 ist als Krankenunterstützung freie ärztliche Hilfe und Arznei, sowie ein Krankengeld zu gewähren.
Abg. von der Schulenburg beantragt folgende Ein— schaltung in den S 6:
„Die Hülfe von Nichtärzten ist von der Kasse zu bezahlen, wenn diese Hilfe in Nothfällen hat angerufen werden müssen. Im zweifel entscheidet dieserhalb die Aufsichts behörde.“
Abg. Dr. Höffel (Rp.) beantragt, zwischen die Worte dieses Antrags „ist von“ einzuschalten: „nur dann.“
Abg. von der Schulenburg (eons.): Er habe sich bemüht, in seinem Antrage eine Form dafür zu finden, was unter ärztlicher“ Hilfe zu verstehen sei. Gegenüber der Opferwilligkeit der Aerzte, welche diese bei der Ausführung des Krankenkassengesetzes bewiesen, habe man unbedingt eine Pflicht, ihr Ansehen und ihre materiellen Interessen gegen die Concurrenz der Naturärzte, der Kurpfuscher, zu schützen. Eine Landesregierung habe es für zulässig gehalten, daß die Krankenkassen auf Grund privater Abmachungen mit ihren Mitgliedern auch Naturärzte als Kassenärzte heranzögen. Dadurch werde die klare Bestimmung des Gesetzes paralysirt. Unter ärztlicher‘ Hilfe könne keine andere als die von approbirten Aerzen geleistete verstanden werden. Lasse man die Naturärzte zu, so sei nur noch ein kleiner Schritt bis zur Zulassung der Geheim mittel. Die Beispiele der Halligen und der ärztelosen Gegenden in Ostpreußen, welche der Staatssecretär Dr. von Bötticher in der weiten Lesung angeführt habe, könnten ihn nicht bewegen, die Natur⸗ arte zuzulassen. Der Kranke könne unter allen Umständen „ärztliche“ Hilfe verlangen. Natürlich werde der Staat in solchen ärztelosen Gegenden wie Masuren für eine Vermehrung der Aerzte sorgen müssen, vielleicht durch Subpventionirung derselben an bestimmten Orten. Sobald man von Gesetzeswegen mit den Kurpfuschern rechne, würden sie geradezu gezüchtet. Arzt und Kurpfuscher ständen hier gerade so gegenüber wie Rechtsanwalt und Winkeleonsulent. Kleine Hilfeleistungen wie Schröpfköpfe und Blutegelsetzen seien allerdings nicht Sache des Arztes, sondern nur ein Ausfluß ärztlicher Ver— ordnung wie die Anfertigung der Recepte durch den Apotheker. Für solche Dinge seien die Heilgehülfen da. Er halte die Bestimmung des bestehenden Gesetzes an sich für gut und auch seinen Antrag für eine Verschlechterung, und wenn er Überzeugt sein könnte, daß die Regierung die Zulassung von Naturärzten in Zukunft für unzulässig ansehen würde, könnte er ihn zurückziehen; aber dazu sei leider keine Aussicht. Die Hilfe der Naturärzte müsse sich auf die Nothfälle beschränken. Er habe immer ein warmes Herz für die Wissenschaft gehabt, hier handele es sich nicht allein um einen Stand der Wissen⸗ schaft, sondern auch um einen Stand, der sich in den Dienst der Menschheit gestellt habe, um dieser das goldne Gut der Ge— sundheit zu erhalten. Der Arzt sei immer ein warmer Freund jedes Hauses. In diesem Sinne bitte er, seinen Antrag anzunehmen. Ministerial⸗-Director Lohmann: Ob unter ärztlicher Behand— lung nur die Behandlung durch einen approbirten Arzt zu verstehen zi oder nicht, darauf wolle er sich nicht einlassen; aber durch die Annahme des Antrages Schulenburg würden die Krankenkassen in einer Weise beschränkt, die nicht ganz gerecht ertigt sei, selbst wenn man auf dem Standpunkt stehe, daß nur die Behandlung durch einen approbirten Arzt zulässig sein solle. Es gebe eine Reihe von YDilfeleistungen bei eintretenden krankhaften Zuständen, bei denen man einen Arzt nicht nöthig habe und der Privatmann einen Arzt auch nicht zuziehe. Weshalb wolle man also den Krankenkassen verbieten, ihre Mitglieder so behandeln zu lassen, wie der Familien⸗ bater seine Angehörigen behandeln lasse? Bei geringen Quetschungen ä B. könne der Heilgehilfe genügende Hilfe gewähren, in anderen Fällen genüge der Masseur. Er bite daher, den Antrag nicht an⸗ zunehmen. Sollte er aber doch angenommen werden, so würde er athen, den Schluß „Im Zweifel entscheidet die Aufsichtsbehörde“ zu streichen. Diese Bestimmung würde die Sache im höchsten Grade er— schweren und verwirren.
Abg. Dr. Buhl (nl): Er stehe auf dem Standpunkt, daß nter ärztlicher Behandlung allerdings nur die durch einen approbirten Arzt verstanden werden könne, und beziehe sich dafür auf die Aeuße⸗ ungen des Staatssecretärs Dr. von Boetticher in der zweiten Lesung. - Thätigkeit der Kurpfuscher und Naturärzte habe besonders bei den rankenkassen im Königreich Sachsen einen erschreckenden Umfang mügengmmen und werde noch weiter ausgedehnt werden, wenn F 6 unverändert bleibe. Die bestehende gesetzliche Bestimmung sage war schon völlig klar, daß unter ärztlicher Hilfe nur die Hilfe durch einen approbirten Arzt verstanden sein solle; man könne Ver diese Klarheit noch durch den Antrag Schulenburg verschärfen. Tazu veranlasse seine Partei zunächst die Rücksicht auf den Kranken, dann aber auch die Rücksicht auf die Aerzte. Das ganze Gedeihen der Trankenkassen⸗-Gesetzgebung hänge so sehr von dem guten Willen und der lufopferung der Aerzte ab, daß man hier dem gerechtfertigten Verlangen der Aerzte nicht entgegentreten dürfe. m Dr. Höffel Rp.): Es handele sich nur um die enüberstellung ven Aerzten und Kurpfuschern, denn wenn rbrobirte Aerzte sich der Naturheilmethode widmeten, so sollten e (Ulbstverständlich eben als Aerzte zu Kassenarztstellen zugelassen Ber er Eine der wichtigsten Fragen der neueren Hygiene sei die 6 von Epidemien, und diese könne nur ein akademisch ge— e , Arzt erziclen. Gerade auf dem Lande sei es deshalb wichtig, . gin den ersten Fällen Eon Epidemien einen approbirten Arzt en . zu haben. In Oesterreich dürften auch nur approbirte f; ste als Kassenärzte angestellt werden, ein Mangel an Aerzten habe . aber noch nicht herausgestellt. Er bitte also, den Antrag Schi lenburg mit seinem Unterantrag anzunehmen. zien n g g lich ischer Bexollmã digter, un Bundesrath Geheimer 2. a ath Vodel: ö ischen) egierung sei nichts davon be⸗ hal 37 , , , in Sachsen die Kurpfuscher in Menge u äãrzt⸗ a , 1 eistungen heranzögen und von ihnen Atteste über Arbeits⸗ 1 u. dal, ausstellen ließen. Die Regierung werde aber Er—
. 3 ,, und eventuell diesem Treiben entgegentreten. Erklẽ g. Eberty (dfr.): Er könne seine Genugthuung über diese tlarung aussprechen und stimme dem Antrage Schulenburg zu.
Es sei sehr anerkennenswerth, daß der Antragsteller eine Fassung ge— funden habe, auf die sich die große Mehrheit des Reichstages ver— einigen könne. Auch die Aerzte könnten mit diesem Abschluß des unerquicklichen Streites zufrieden sein, nachdem sie durch die bisherige zweifelhafte Auslegung in die peinlichste Aufregung gerathen seien, und nachdem auch der Regierungscommissar eine Auffassung zum Ausdruck gebracht, habe, die zu der des Staatssecretärs Br,. von Boetticher im Widerspruch stehe. Uebrigens könne er nach seiner ausgedehnten Erfahrung bestätigen, daß die Kassenärzte trotz der großen aus dem Kassenwesen resultirenden Verringerung ihrer Einnahmen immer die größte Opferwilligkeit bewährten. Der Kassenarzt fungire als Sachverständiger, er stelle öffentlich⸗rechtsverbindliche Atteste und Urkunden aus; dazu sei nach den gesetzlichen Bestimmungen nur der berechtigt, der seine Befähigung dazu auf die vorgeschriebene Weise nachgewiesen habe, im vorliegenden Falle also der approbirte Arzt. Wenn Naturärzte etwas Brauchbares leisteten, so geschehe es nur auf Grund gleichsam eines Refleres der Erfahrungen eines studirten Arztes. Daß da, wo kein Arzt, sondern ein Masseur oder Bader nöthig sei, auch ein solcher zugezogen werde, sei selbstverständlich, und darum brauchte es auch im Antrage Schulenburg nicht besonders hervorgehoben zu werden. Er empfehle, den Antrag Schulenburg mit dem Amendement Höffel anzunehmen.
Ministerial⸗Director Lohmann: Der Antrag Schulenburg sage durchaus nicht, was er sagen wolle, denn nach diesem Antrage dürfe ärztliche Behandlung nur an Aerzte bezahlt werden, also nicht an Bader und Masseure. Uebrigens befinde er sich nicht mit dem Staats— secretär Dr. von Boetticher in Widerspruch.
Abg. von der Schulenburg (eons.): Heilgehilfen und Masseure mögen immerhin verwendet werden, wo es nöthig sei, aber alles dieses solle nur auf Anordnung eines Arztes geschehen. Den zweiten Satz seines Antrages ziehe er zurück. ;
Abg. Wurm (Soc.): Der Antrag Schulenburg und seine Be— gründung stellten die Sachlage vollständig auf den Kopf. Man mache doch hier kein Gesetz für die Aerzte, sondern für die Kranken. Im Namen der Naturärzte lege er gegen die Bezeichnung derselben als Kurpfuscher Protest ein. Die Naturheilkunde habe ihre wissenschaft— liche Begründung und zahlreiche Professoren der Medizin hätten die günstigsten Urtheile über sie und ihre Vertreter gefällt. Auch die Receptverschreiber verdienten oft den Namen Kurpfuscher, wenn sie 30 bis 40 Patienten in einer einzigen Sprechstunde behandelten. Uebrigens betrachteten die Kassenmitglieder die Medizinärzte“ ebenso als Kurpfuscher, wie man hier die Naturärzte. Es komme bei der Hei— lung eben wesentlich auf das Vertrauen an, und das hätten die Leute nicht zu den studirten Aerzten. Den Wohlhabenden gestatte man, sich einen Arzt ihres Vertrauens zu wählen, die Arbeiter sollen aber auch hier wieder bevormundet werden. Im Dienste der Gesammtheit wirkten die Aerzte heute durchaus nicht, sie seien einfach Gewerbetreibende, und das gäben sie dadurch zu erkennen, ö sie nächtliche Krankenbesuche ablehnten, wo die Honorirung nicht sicher sei. Im öffentlichen Interesse würden die Aerzte erst dann wirken, wenn das Streben nach Verstaatlichung der Aerzte erfüllt sein werde; dann werde alle Reelame der Aerzte ver— schwinden, dann werde auch ein wirklicher fester Unterschied zwischen Aerzten und Kurpfuschern sich von selbst herausbilden und die Frage von selbst gelöst sein. Durch Annahme des Antrags Schulenburg würden auch die weiblichen Aerzte von den Krankenkassen aus— geschlossen sein, während sie doch anerkanntermaßen in Frauenkrank— heiten wesentliche Vorzüge hätten. So lange also die Aerzte noch nicht staatlich angestellt seien, bitte er, den Antrag Schulenburg ab— zulehnen.
Abg. Hitze (Centr.): Die Krankenkasse habe das Recht, die Behandlung des Patienten einem approbirten Arzt zuzuwenden, und der Kranke habe das Recht, von einem approbirten Arzt behandelt zu werden. Blieben also nur die Fälle, wo Patient und Kasse über die Heranziehung eines Arztes einig seien. Da auch sonst von einer mißbräuchlichen Ausdehnung der Thätigkeit der Nichtärzte nichts bewiesen sei, so belasse man es am besten bei der bisherigen Gesetz— ö die sich bewährt habe, und lehne den Antrag Schulen— burg ab.
Abg. Dr. Virchow (dfr.): Der Abg. Wurm gehe in seinen Darlegungen von einer These aus, die gänzlich auf freier Erfindung beruhe, nämlich daß jemand nicht geheilt werden könne, wenn er nicht Vertrauen zu dem ihn behandelnden Arzt habe. Seine Partei habe nie bestritten, daß das persönliche Vertrauen zum Arzte bei dem Heilprozeß auch in einem gewissen Maße in Betracht kommen könne und daß es jedem gestattet sei, einen Arzt, der ihm nicht gefalle, zu dem er kein Vertrauen habe, abzulehnen. Aber zu glauben, daß eine Krankheit nicht geheilt werden könne, wenn der Patient kein Ver— trauen zum Arzt habe, sei doch mindestens eine sehr freie Erfindung. Die sogenannten Naturheilärzte hätten schon oft die größten Schäden herbeigeführt, und seine Partei müsse sich entschieden dagegen sträuben, daß sie auch als Krankenkassenärzte anerkannt werden sollten. Er erhebe entschieden Protest dagegen, daß das Naturheilverfahren als wissenschaftliches Verfahren anerkannt werde. Selbst in Amerika, wo ja mancher Arzt heiße, der in Deutschland nicht als solcher anerkannt werde, beginne man sich nach guten Aerzten umzusehen, und in einigen Staaten sei sogar schon ein Staatsexamen eingeführt. Gerade in Amerika seien die deutschen Aerzte sehr angesehen. Wenn ein deutscher Arzt, der auch nur einen kleinen Titel aus Deutschland mitbringe, nach Amerika komme, so werde er dort als Arzt sehr gesucht. Wenn der Naturheilkundige nun auch von den Krankenkassen anerkannt werde, so werde schließlich auch jeder Soldat einen Arzt verlangen, zu dem er Vertrauen habe u. s. w. Das werde schließlich zu einer Verbannung der wissenschaftlichen Aerzte führen. Dem müsse man entgegenwirken.
Der Abg. von der Schulenburg (cons) hat seinen Antrag wie folgt modifizirt: Die Hilfe von Nicht⸗Aerzten ist, soweit es sich nicht um Hilfeleistungen untergeordneter Art handelt, nur dann von den Krankenkassen zu bezahlen, wenn diese Hilfe in dringenden Fällen hat angerufen werden müssen oder von einem Arzte angeordnet worden ist. ö
Abg. von Ja gow-Potsdam (cons.) beantragt den Schluß der Discussion.
Der Antrag wird angenommen.
Abg. Goldschmidt (dfr. fragt zur Geschäftsordnung, ob denn auch über den neuen Antrag Schulenburg die Debatte bereits ge⸗ schlossen sei.
Präsident von Levetzow: Gewiß ist die Debatte geschlossen. Ein Amendement kann zu jeder Zeit eingebracht und über ein solches jeder Zeit abgestimmt werden.
Die Abstimmung über den Antrag Schulenburg bleibt zweifelhaft. Die Zählung ergiebt die Ablehnung des Antrags mit 1095 gegen 104 Stimmen.
36 wird unverändert angenommen.
ie Berathung wird hierauf abgebrochen.
Präsident von Levetzow theilt dem Hause folgende, aus Darmstadt eingegangene Depesche mit: ö
„Seine Königliche Hoheit der Großherzog Ernst Ludwig hat mich zu beauftragen geruht, Eurer Excellenz und durch dieselbe dem Reichstage a er, arfrihtteen und wärmsten Dank für die durch Euere Excellenz aus Anlaß des höchst be⸗ trübenden Ablebens des Großherzogs Ludwig's IV. angeregte Kundgebung der hohen Körperschaft auszusprechen.
Finger, Staats⸗Minister.“
Schluß 5i/ Uhr.
B
vreufzischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 32. Sitzung vom Dienstag, 15. März.
Der Sitzung wohnen der Finanz-Minister Dr. Miquel und der Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Graf von Zedlitz bei.
Die zweite Berathung des Staatshaushalts⸗ Etats für 1892,93 wird fortgesetzt bei dem Etat des Ministeriums der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten, und war beim Kapitel „Kunst und Wissenschaft“
Bei den Ausgaben für das Kunstgewerbe-Museum empfiehlt J Abg. Dr. Freiherr von Heereman (Centr), wie gestern der Abg. Goldschmidt, die Förderung der Mofaikmalerei von Seiten des Staats, weil die auf diese Weise hergestellten Bilder allen Ein— flüssen der Witterung widerständen.
Bei den Ausgaben für das geodätische Institut auf dem Telegraphenberge bei Potsdam liegt ein Antrag des Abg. Grafen Kanitz vor:
6. „Die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, eine der vom
Staate unterhaltenen Sternwarten mit einem größeren Refractor
(Telestop) zu versehen, welcher den jetzigen Anforderungen der
astronomischen Wissenschaft entspricht und mit den auf mehreren
ausländischen Sternwarten in neuerer Zeit aufgestellten Instru— menten, zu concurriren vermag, — auch die hierzu erforderlichen
Geldmittel, resp. die erste Rate derselben, im Etat pro 18939
auszuwerfen.
Abg. Graf von Kanitz (cons.) führt aus, daß Preußen in der Ausstattung seiner Sternwarten zurückgeblieben sei gegenüber den anderen Staaten; die Technik sei noch nicht weit genug vorgeschritten gewesen und die Regierung habe gewartet, um nachher gleich etwas gutes beschaffen zu können. Zur Förderung der Astronomie müsse aber jetzt andlich mit der Beschaffung eines Refractors vorgegangen werden. Die ganze Schiffahrt und mit ihr der Handel sei auf die astronomischen Beobachtungen angewiesen. Bei San Francisco befinde sich ein Refraetor mit einem Itz zolligen Objectiv; außerdem befinden sich in Amerika noch 28 Refractoren, die größer seien als die größten, welche in Preußen vorhanden seien. Dem gegenüber sei wohl eine weitere Empfehlung des Antrages, welcher alles für die Zukunft vor— behalte, nicht nothwendig.
Geheimer Aber⸗Regierungs⸗Rath hr. Althoff: Die Regierung sei ebenfalls der Ansicht, daß unsere Sternwarten mit besseren Fern— röhren versehen werden müßten, deshalb habe sie eine besondere Com— mission eingesetzt, welche sich die Verhältnisse in andern Ländern näher angesehen habe. Die Commission sei zur Ansicht gelangt, daß die vom Grafen Kanitz vorgeschlagene Anschaffung eines Nefractors sich empfehlen würde. Die Kosten stellten sich aber auf 300 000 6, wozu noch 450 000 46 Aufstellungskosten kämen. Die Summe würde sich Allerdings auf mehrere Jahre vertheilen. Aber bei der gegenwärtigen Finanzlage glaube die Regierung von dieser Ausgabe Abstand nehmen zu sollen. Sie werde, wenn die Finanzlage sich bessere, wieder darauf zurückkommen.
Die Ausgaben werden bewilligt, der Antrag des Grafen Kanitz wird, da er eine Mehrforderung enthält, der Budget— commission zur Vorberathung überwiesen.
Neu gefordert werden 33 900 MS für die Einrichtung einer biologischen Anstalt auf Helgoland.
Abg. Hr. Herm es (dfr. : Durch die Einrichtung dieser Anstalt werde ein langjähriger Wunsch der Zoologen erfüllt, auch ein Wunsch der Hochseefischerei. Alle anderen Staaken, welche an Nord- und Istses grenzten hätten staatliche Anstalten dieser Art eingerichtet. Die Foischungen der biologischen Studien dienten nicht bloß der Wissenschaft, sondern auch der Erferschung der Fischgründe, und damit der Hochseefischerei. Besonders für die . der Lebens⸗ weise des Herings, dieses für die Volksernährung so wichtigen Fisches, sei diese Anstalt nothwendig. Dieser Forschung sei aber die Schwierig keit erwachsen, daß es an einer Heimstätte am Meere selbst gefehlt habe; wo Fischereikundige und Gelehrte ihren Studien obliegen könnten. ; Man habe schon . auf Helgoland hingewiesen, wo die Vorbedingungen für eine solche Anstalt gegeben seien. Aber Helgoland habe früher nicht zum Reich gehört, und es sei dankbar anzuerkennen, daß der Minister so schnell dem Wunsche der Vertreter der Wissenschaft nachgekommen sei. Die Helgoländer seien wegen der Befestigung der Insel besorgt, ob ihre Insel als Seebad werde erhalten bleiben; deshalb begrüßten sie die Errichtung der Anstalt mit großer Freude. Die Einrichtung der Anstalt sei praktisch gedacht; er glaube aber, daß man schon nach wenigen Jahren zu einer erheb— lichen Erweiterung kommen werde.
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Graf von Zedlitz:
Meine Herren! Nach der eingehenden Auseinandersetzung, welche der eben gehörte Herr Abgeordnete für diesen Etatstitel gegeben hat, bleibt mir nur übrig, das besondere Interesse zu bekunden, welches die Staatsregierung für die Begründung dieser Anstalt hegt. Der Plan zur Herstellung der Anstalt ist entstanden einmal aus Rücksicht auf die seit langen Jahren fast einstimmig geäußerten Wünsche der betheiligten wissenschaftlichen Kreise: die Anstalt soll also einmal den Zweck haben, in wissenschaftlicher Beziehung die Fauna und die Flora unserer heimischen Meere zu erforschen und auf diesem Gebiete eine gründlichere Erkenntniß zu geben, als sie bisher bestanden. Die Anstalt hat zweitens die Aufgabe, für die Hochseefischerei ebenfalls diejenige wissenschaftliche Grundlage zu geben, deren sie bisher ermangelt.
Um die Bedeutung dieser letzteren Aufgabe richtig zu würdigen, muß man sich vergegenwärtigen, daß allein die Nordsee in jedem Jahre eine Fischeinnahme im Werthe von etwa 200 Millionen Mark an die Menschheit liefert, und daß der Antheil, welchen das deutsche Volk an diesen 200 Millionen bisher genommen hat, ein geringer und den deutschen Interessen nicht entsprechender gewesen ist. Man hofft also, mit dieser Anstalt auch eine productive Thätigkeit bei unserem nationalen Erwerbsleben zu stärken, und ich kann den Herren mittheilen, daß zu meiner Freude der Congreß für Fischerei, der gestern hier getagt hat, ganz besonderen Werth auf die Errichtung dieser Station legt und dies in einer Resolution, wie mir mitgetheilt ist — ich war leider persönlich verhindert, an dem Congreß theilzu— nehmen —, zum Ausdruck gebracht hat.
Nun ist mir klar, meine Herren, ganz so wie eine agricultur— chemische Station für die Landwirthschaft kann eine biologische Station für die Hochseefischerei nicht wirken; denn der Mensch ist nicht in gleichem Maße Herr der Productionsmittel des Meeres, wie er das jetzt bezüglich der Productionsmittel des Landes ist. Aber zweifellos ist, daß die Erforschung des Fischreichthums, die Er— forschung derjenigen Erzeugungsgesetze, nach denen sich die Verbreitung der Fische in dem Meere vollzieht, für die Hochseefischerei von der größten Bedeutung ist.
Endlich, meine Herren, das möchte ich mit einigen kurzen Worten streifen ist es der Staatsregierung sehr erwünscht, in der Begründung dieser Station der neuesten Erwerbung des Deutschen Reichs einen Beweis ihrer Fürsorge und eine immerhin doch werth— volle Verstärkung der Bedeutung der Insel zu geben. Wenn Sie berücksichtigen, daß sich mit der Station auf der Insel zweifellos ein