den gegenwärtigen Zeitpunkt für sehr opportun. Ich möchte mir aber noch einige allgemeine Bemerkungen gegen die Ausführungen des Herrn Ober⸗Bürgermeisters Selke gestatten. Er hat die Sache so dargestellt, als wenn den Städten und Communen in den letzten Jahren immer mehr Lasten auferlegt wären seitens des Staats, der Staat sich bereichert habe und die Communen überbürdet seien mit Pflichten und Opfern und Lasten. Nun, ich bin gerade der entgegengesetzten Meinung, und wenn die Herren unseren Etat berathen und die Finanzlage des Staats, wie sie sich gestaltet hat, sich klar machen, so werden Sie sich überzeugen, daß wir in den letzten Jahren in der gerade entgegengesetzten Entwickelung gewesen sind. Es wird Ihnen leicht ersichtlich werden, daß der Staat zu Gunsten der Communen dauernde Einnahmen preisgegeben, bezw. dauernde Ausgaben übernommen hat mindestens in Höhe von S0 bis 9g0 Millionen. Ich werde auf die Details nicht näher eingehen, ich wäre aber sehr wohl dazu in der Lage. Wie aber solche Klagen noch erhoben werden können in demselben Augenblick, wo ein Mehrbetrag von etwa 40 Millionen aus der neuen Einkommensteuer gesetzmäßig bestimmt ist, zur Ueberweisung von Grund⸗ und Gebäudesteuer an die Communen zu dienen, das ist mir vollständig räthselhaft. Die gegenwärtige Finanzlage des Staats könnte wohl sehr erhebliche Be⸗ denken in dieser Beziehung erregen, aber daß seitens der Communal⸗ Verwaltungen darüber geklagt wird, daß der Staat ihnen nur Lasten und keine Einnahmen zuwendet, das ist in keinem Falle zutreffend.
Der Herr Ober⸗Bürgermeister Selke hat sich nun weiter darüber beklagt, daß das ganze Gesetz keineswegs einen irgendwie organischen Charakter habe, es sei ein Gelegenheitsgesetz, um mehr Einnahmen zu bekommen. Nun, was diesen organischen Charakter betrifft, so könnte man ja unter gewissen Voraussetzungen vielleicht diese Be⸗ mängelung gehen lassen. Wenn man aber den anscheinend dem Herrn Ober⸗Bürgermeister Selke unterliegenden Gedanken verfolgt, daß durch Gesetz der Staat auf die Ausübung der Polizei in den großen Städten überhaupt verzichte, und die gesammte Polizei zu Lasten der großen Städte ausgeübt werde, — wenn ein solches Gesetz vorgelegt würde, so würden diese großen Städte, um die es sich hier handelt, doch nicht behaupten können, daß sie in Beziehung auf die hieraus entstehenden Lasten besser behandelt werden müßten als alle übrigen Städte des Landes, die heute die gesammte Polizei auf ihre Kosten verwalten. Im Gegentheil, man würde wohl berechtigt sein zu sagen: diese großen Städte sind in so günstigen Verhãältnissen gegenüber den kleinen Städten, daß sie wohl mehr Lasten übernehmen könnten als diese. Also wenn dieser organische Gesichtspunkt, wie Herr Ober⸗Bürgermeister Selke meint, wirklich zur Durchführung gelangen würde, dann würden finanziell die großen Städte sich jedenfalls sehr viel schlechter stehen.
Nun kommt aber weiter hinzu: er stellt die Sache so dar, als wenn die Ausübung einer Polizeigewalt in den Städten eine Ver— minderung der Selbstverwaltung, gewissermaßen eine capitis diminutio wäre. Der Herr Minister des Innern hat schon darauf hingewiesen, daß von vier Städten wenigstens der Versuch, die Königliche Polizeiverwaltung überhaupt aufzuheben, zurück⸗ gewiesen worden ist. Aber wir haben noch mehr Er—⸗ fahrungen gemacht. Ich behaupte aus meiner früheren Stellung als Ober⸗Bürgermeister, daß kaum eine Stadt von den hier in Frage kommenden Städten zu finden wäre, die geneigt wäre, die Sicher— heitspolizei zu übernehmen, selbst wenn es staatlich möglich wäre, dazu überzugehen. Ich bin überzeugt, die Städte würden sämmtlich eine solche Zumuthung abweisen. Ganz anders aber liegt noch die Frage in Betreff einer ganzen Reihe von Zweigen der Wohlfahrts⸗ polizei. Da ist auch die Staatsregierung der Meinung, daß es in vielen Fällen unbedenklich ist, wichtige Zweige der Wohlfahrtspolizei zu übertragen. Aber selbst da haben die Verhandlungen Schwierigkeiten gefunden, und verschiedene Städte haben gar keine Neigung gezeigt, sehr wichtige, ihre Selbstverwaltung vermehrende Zweige der Wohl⸗ fahrtspolizei zu übernehmen. Man wird also von diesem Sesichtspunkt aus jedenfalls die Vorlage nicht bekämpfen können, während die Absicht ja deutlich genug ausgedrückt ist, sehr erhebliche ja alle Zweige der Wohlfahrtspolizei in die communale Verwaltung zu geben; die Städte, die dazu geneigt sind, werden bei der Staats⸗ regierung ein durchaus geneigtes Ohr finden.
Melsne Herren, auf die Specialfragen, die namentlich in dem einen Amendement angedeutet sind, wird man später zurückkommen. Ich bin überzeugt, diesem Gesetz wird es genau so gehen, wie der Ein—⸗ kommensteuer. Das Gesetz wird im Anfang in den Städten schon wegen der stattfindenden mäßigen Mehrbelastung unangenehm empfunden werden, ebenso wie die Declaration und die Pflicht zur Declarirung von den Betheiligten unangenehm empfunden wurde, auch ganz abgesehen von der Mehrleistung; und doch wird schließlich das Gefühl der Gerechtigkeit und der gleich— mäßigen Behandlung gegenüber den Staatslasten durchschlagend sein, selbst in denjenigen Städten, um die es sich im vorliegenden Falle handelt. (Bravo.)
. Ober⸗Bürgermeister Schmieding: Das Gesetz beruhe eigentlich auf einer ganz verkehrten Grundlage. Denn die Beschwerde sei eigentlich dahin gegangen, daß die meisten Städte Polizeikosten hätten übernehmen müffen, die eigentlich der Staat hatte zahlen müssen. Statt diese Städte zu entlasten, würden die Städte mit König⸗ sicher Polizeiverwaltung belastet. Die Städte empfänden es als, eine Benachtheiligung, daß ihnen die Polizeiverwaltung nicht selbständig überlassen werde. Deshalb solle man die Vorlage ganz ablehnen.
Minister des Königlichen Hauses von Wedel? Eine capitis deminutie könne nicht darin liegen, daß der Stagt eine ihm zustehende Aufgabe auch selbst w während sie sonst auf die anderen Gemeinden übertragen werde. Die Gegner des Gesetzes bewegten sich hierbei in einem gewissen K Daß der Zeit⸗ punkt für die. Vorlage schlecht gewählt sei, könne man nicht sagen; denn wenn Lie neue in n. einzelne, bisher zu niedri eingeschätzte Personen stärker belaste, so könnten diese Letzteren s darüber nicht beklagen; jedenfalls trete eine Vermehrung der Lasten der Gemeinden selbst nicht ein. In die Staatskasse solle kein Geld fließen; die Ueberschüsse sollten den Gemeinden, welche selbst bis—⸗ her die Polizei verwaltet hätten, ihre Aufgabe erleichtern.
SOber⸗Bürgermeister Becker; Das neue Einkommensteuergesetz belaste namentlich die großen Städte, denn die 49 Millionen 5 mehr stammten namentlich aus den Städten. (Widerspruch.) In diefem Augenblicke wolle, man, die Städte noch mehr, belasten. während der Finanz⸗Minister die Behörden angewiesen habe, darauf zu achten, daß die Städte nicht die Gelegenheit benutzten, sich ein größeres Ausgabebudget zu verschaffen. Wo lieg denn die ausgleichende Gerechtigteit? Wer bezahle denn die Polizei⸗ koften auf dem Lande? Der Staat bezahle die Gendarmerie direct und die weiteren. Kosten durch, die Detationen, an denen die Stadtkreise keinen Antheil hätten. Warum sollten denn die aus dem Gesetze gewonnenen Ueberschüsse nur
für die Gendarmen in, den Vororten verwendet werden; Warum verwende man sie nicht in den Städten selbst? Traue man denn den Bürgermeistern nicht zu, daß sie ein paar Gendarmen regieren könnten? Die hohen Koften der Königlichen Polizei rührten davon her, daß die Staatsverwaltung immer theurer sei; die fortwährenden Anregungen der Königlichen Beamten führten immer mehr Kosten herbel, die anderweitig nicht entständen. Seien denn die Pol igzilicher Verhältnise in Sachen so schlecht; wo es nur städtische Polizei⸗ verwaltung gebe? Wenn die Städte sich jetzt gegen die Ueber⸗ nahme der Polizei verwahrt hätten, so liege das nur an den hohen Kosten. Das Vernünftigste sei, daß der Staat die persönlichen Kosten trage; denn die Gemeinden hätten ja keinen Einfluß auf die An⸗ stellung der Beamten. Erst das vielfache Andrängen des Abg. von Eynern habe die Regierung zu dieser Vorlage veranlaßt. Wer die Ausdehnung Königlicher Polizeiverwaltungen wünsche, müsse für die Vorlage stimmen; wer diese nur als die Ausnahme betrachte, müße es bei dem Bestehenden lassen. Das Haus . die Vorlage ab⸗ lehnen, wie dies die Commission vor zwei Jahren gethan habe, doch gewiß aus sachgemäßen Gründen!
Minister des Innern Herrfurth: Was zunächst die letzten Ausführungen des Herrn Ober⸗Bürger⸗
meisters Becker anlangt, so lege auch ich einen sehr großen Werth
auf den Beschluß der Commission dieses hohen Hauses, aber ich darf ja constatiren, daß der Gesetzentwurf vor wenigen Tagen in Ihrer Commission mit allen gegen nur zwei Stimmen (Ruf: Eine ) in der vorliegenden Form angenommen worden ist. Im Jahre 1889 ist allerdings in umgekehrter Weise beschlossen worden. Vielleicht findet das seine Erklärung darin, daß damals die große Majorität der Commission aus Vertretern derjenigen Städte bestand, in denen die Königliche Polizeiverwaltung eingerichtet ist, was bei der Zusammen⸗ setzung der Gemeindecommission jetzt nicht der Fall ist.
Der Herr Ober⸗Bürgermeister Becker warnt vor diesem Gesetz, weil es die Folge haben werde, daß nun in großem Umfang die neue Einführung Königlicher Verwaltungen in den Stadtgemeinden, welche jetzt eigene Polizei hätten, stattfinden würde. Meine Herren, durch
das jetzige Gesetz wird den Städten mit Königlicher Polizeiverwal⸗
tung eine Summe auferlegt, die ungefähr ein Drittel der Ge⸗ sammtkosten beträgt. Der Staat kann also die Königliche Poli⸗ zeiverwaltung in irgend einer Stadt nichtzeher neu einführen, als bis ihm durch den Etat die sehr erheblichen Mittel hierfür gegeben wer⸗ den, denn die übrigen zwei Drittel ider Kosten sind aus Staatsfonds zu beschaffen. Die Staatsregierung wird sich sehr überlegen, inwie— weit sie derartige Forderungen an den Landtag zu stellen in der Lage ist, und der Landtag wird sich sehr genau überlegen, ob er diese For⸗ derungen zu bewilligen geneigt ist.
Der Herr Ober⸗Bürgermeister Becker sagt sodann, durch die Königliche Polizeiverwaltung erwächst der betreffenden Stadt eine sehr große Menge von Ausgaben, weil nunmehr in einer ganzen Reihe von anderen mehr communalen Angelegenheiten die Königliche Poli⸗ zeiverwaltung zu Anlagen drängt, welche die Stadt sonst nicht ge⸗ macht haben würde. Ich habe mich gewundert, daß er diese An⸗ gaben, die allerdings in der von ihm unterschriebenen Petition an den Landtag sich finden, hier noch einmal wiederholt, denn, meine Herren, ich glaube, man muß aus einer derartigen Anführung doch etwas ganz anderes folgern. Wenn er sagt, daß an Pflasterungen, Ver⸗ breiterung von Straßen, Entwässerungen ꝛc. lediglich auf Andrängen der Königlichen Polizeiverwaltungen große Ausgaben gemacht worden seien, iso möchte ich beinahe zu dem Schluß gelangen, es wäre doch sehr erwünscht, daß in sehr vielen Städten solche Anregung gegeben würde. Denn das ist doch wohl selbstredend, daß keine Gemeinde nach dieser Richtung irgend etwas thut, was nicht polizeilich noth⸗ wendig ist. Es scheint, dies drängt darauf hin, anzunehmen, daß das, was nothwendig ist, bisher von den Gemeinden, welche einer König— lichen Polizeiverwaltung entbehren, nicht überall in ausreichen⸗ dem Maße geschehen ist. Herr Ober-Bürgermeister Becker spricht von einem flagranten Widerspruch des vorliegenden Gesetzes mit dem Rescript über die Aufbringung der Gemeindesteuern, und wenn er letzteres als ein Reseript des Herrn Finanz⸗Ministers bezeichnet, so scheint er gewissermaßen zwischen mir und dem Finanz⸗Minister einen Gegenstand construiren zu wollen. Das Communalsteuer-Reseript ist aber von dem Herrn Finanz⸗ Minister und mir gemeinschaftlich erlassen und auch der Gesetzentwurf ist von ihm und mir gemeinschaftlich eingebracht worden. Wir sind uns solchen Widerspruchs nicht bewußt gewesen. Ein solcher Widerspruch ist aber auch thatsächlich nicht vorhanden, denn, meine Herren, Herr Ober⸗-Bürgermeister Becker geht doch in der Beurtheilung des Resultats der neuen Einkommensteuerveranlagung von irrigen Voraussetzungen aus. Es wird durch diese neue Ein— kommensteuerveranlagung auch den Städten eine Reihe neuer Steuer⸗ quellen eröffnet; nämlich dadurch, daß die latenten Millionäre der Städte nunmehr ans Tageslicht kommen (lsehr richtig!) und diese Herren nach dem richtigen Einkommen herangezogen werden können. Und wenn er dann sagt: „Ja, wir Städte haben wiederum die ganze Last dieser neuen Steuern zu tragen, und auf dem Lande wird nichts aufgebracht!“ so möchte das, glaube ich, nur die Veranlassung geben, daß das Land in einer mit einem Anflug von Neid gemischten Resignation zu den Städten sagt: „Reich sein ist angenehm, es kann nur nicht jeder!“ (Heiterkeit.)
Finanz-Minister Dr. Miquel:
Meine Herren! Ich habe nach den Ausführungen des Herrn Ministers des Innern nur noch wenige Bemerkungen zu machen. Herr Becker sagt, wenn man wirklich hätte gerecht sein wollen, dann hätte man das Mehraufkommen aus den großen Städten mit König⸗ licher Polizeiverwaltung den kleinen Städten überweisen müssen. Dieser Gedanke ist auch im Abgeordnetenhause, namentlich von dem schärfsten Gegner des Herrn Becker, dem Herrn von Eynern, mehrfach vorgetragen worden. Nun meine ich aber, wenn durch die Uebernahme der hier fraglichen Lasten die Königliche Polizeiverwaltung das ganze Nachtwachtwesen über⸗ nimmt, wenn dadurch die Sicherheit während der Nacht in den be⸗ treffenden Städten, die die Kosten aufbringen, sich sehr wesentlich ver⸗ bessern wird — denn darüber kann gar keine Frage sein, daß wenn das Nachtwachtwesen in die Hände des Staats kommt, wenn man die unnatürliche Trennung zwischen Sicherheitspolizei am Tage und in der Nacht aufhebt, wenn man das vielfach mangelhafte Nachtwacht⸗ wesen der Städte beseitigt, daß dies den betreffenden Städten und ihrer Bürgerschaft zum großen Nutzen gereicht. Dieser Vortheil würde wegfallen, wenn man den ganzen Ueberschuß, der sich hier er— giebt, den anderen Städten überweisen wollte, und ich kann nicht be⸗ greifen, wie der Ober-Bürgermeister Becker, wohl jedenfalls nicht in seiner Eigenschaft als Ober⸗Bürgermeister von Köln, ein solches Ver⸗
langen stellen kann. Wenn er nun sagt, daß in den großen Städten die es sich hier handelt, die Ausgaben für das Nachmwacht . ) Feuerlöschwesen schon erheblich höher gekommen sind als in a Städten, und er nun daraus herleiten will, daß ein besonder Drängen der Königlichen Polizei⸗Präsidien stattgefunden habe ö vergißt er, daß in den großen Städten naturgemäß die Auggꝛbiꝰ für diese Zweige der Polizei größer sein müssen, auch ohne daß irgend ein Drängen der Polizei⸗Präsidien stattfindet. Daß dieses Drãngen aber doch nicht sehr weit gegangen ist, das wird der sehr erfahrene Herr Becker nicht bestreiten, wie er zugeben muß, daß trotz der König. lichen Polizei⸗Präsidien das Nachtwachtwesen in verschiedenen Sinetd noch sehr viel zu wünschen übrig gelassen hat.!
Herr Ober⸗Bürgermeister Becker hat nun auf die Ergebnisse der Steuerveranlagung sich bezogen und gesagt: diese Steuerveranlagung ist eigentlich zu Lasten der Städte ausgefallen und wenn Ihr die Städte so mit Einkommensteuer belastet, wie könnt Ihr dann sden Zeitpunkt für geeignet halten, ihnen noch obendrein neue Lasten für die Polizei aufzulegen. Da klingt ja sehr schön und die Voraussetzung ist auch richtig, aber die Folgerung ist irrig. Gewiß hat sich im großen und ganzen heraus— gestellt, daß eine verhältnißmäßig stärkere Heranziehung zur neuen Einkommensteuer in den Städten und in den großen Industriecentren stattfindet als auf dem Lande. Was bedeutet dies aber, wenn der Herr Ober⸗Bürgermeister selbst zugiebt, daß die Einkommensteuer wie wir sie heute haben, zu einer gerechteren Veranlagung führt, das bedeutet doch nur, daß die verhältnißmäßige Ueberbürdung des Landes jetzt durch dieses neue Einkommensteuergesetz beseitigt worden ist. (Sehr richtig!)
Eine neue ungerechte Belastung der Städte liegt hier nicht vor; Kapitalien, die verborgen waren, wo man die Quelle des Einkommens nicht sehen konnte, die sich der Steuer bisher entzogen, sind jetzt herangezogen. (Sehr richtig Das kann unmöglich ein Grund zur Klage sein. Wenn aber verschiedene der Herren Redner nun gemeint haben, für die Städte sei das doch nicht nützlich, denn nun müßten die Bürger erstens für den Staat mehr zahlen und dann auch noch mehr in den communalen Säckel, so frage ich: hat die Thatsache, daß in Berlin 5 bezw. 7 Mil⸗ lionen Steuern mehr aufkommen, die dahin führen kann, daß man einen an und für sich schon mäßigen Zuschlag zur Einkommensteuer von 100 0ο auf 60 bis 700 redueirt, für die Stadt Berlin nicht die größte Bedeutung? Die Herren aus den Provinzialstädten sollten das am meisten fühlen, denn die Gefahr des Hineinwanderns auch der reichen Leute nach Berlin, weil sie in den Provinzialstädten stärker herangezogen werden, kann bei einer solchen Thatsache nur wachsen. Wenn die Zahl der Steuerpflichtigen, die nicht zum Vorschein ge— kommen ist, unverhältnißmäßig gewachsen ist, wenn infolge dessen der procentuale Zuschlag geringer sein kann, hat das keine Bedeutung für die einzelne Stadt? Wenn das Ausgabebudget in gleicher Höhe bleibt, aber die Zahl der Steuerpflichtigen gering ist, wenn infolge dessen die Zuschläge mehr als 1000, erreichen, wenn die wenigen reichen Leute nun mit sehr hohen communalen Zuschlägen überlastet werden, ist für eine solche Stadt die Gefahr nicht vorhanden, daß der Wohlhabende sie verläßt? (Sehr richtig) Wir erleben das ja jeden Tag; folglich sage ich: dieser Gesetzentwurf ist zu allen Zeiten begründet, man braucht garnicht einen besonders geeigneten Zeitpunkt zu suchen; er ist eine Forderung der Gerechtigkeit, aber man kann auch mit gutem Grund behaupten, daß gerade die neue Einkommensteuer⸗ veranlagung diesen Zeitpunkt als besonders geeignet, als am wenigsten drückend für die Gemeinden erscheinen läßt.
Herr Ober-Bürgermeister Becker hat auch den eigentlichen Sinn und die Bedeutung des von dem Herrn Minister des Innern und mir gemeinschaftlich erlassenen Reseripts nicht ganz zutreffend auf gefaßt. Der eigentliche Sinn war der — wenigstens nach meiner Absicht — ich wollte verhüten, daß die Städte die Vorsicht in Bezug auf ihr dauerndes Ausgabebudget bei der Gelegenheit, wo ihnen nun plötzlich große Mittel neu zufließen, allzu sehr außer Acht lassen, daß sie die Gelegenheit benutzen, nicht ihre Einnahmen, d. h. die Steuer⸗ last zu vermindern, sondern die Ausgaben zu erhöhen. Ich gehe dabei von der Anschauung aus, die ich noch später Gelegenheit haben werde, hier näher darzulegen, daß wir im Staat, in der Commune und in unserer Privatwirthschaft in den letzten Jahren übermäßig rasch und stark in den Ausgaben gestiegen sind. (Sehr richtig) Verschiedene Gründe haben das bewirkt; auch die Art der Besteuerung, die schwan— kende Besteuerung nach dem Einkommensteuergesetz und die Dividenden der Actiengesellschaften, culminirt durch die noch mehr schwankenden Ueberweisungen aus der lex Huene, haben vielfach in derselben Weise in den Communen gewirkt, wie die hohen schwankenden Ueberschũsse der Cisenbahnen im Staatsbudget, und da haben wir gewünscht, daß die Städte, unbeschränkt in ihrer vollen Selbstverwaltung, wenn ihnen diese großen neuen Mittel zuflössen, erst einmal die gegen⸗ wärtigen Einnahmen correct gleichstellten den gegenw ärt ig en Ausgaben und sich nun sorgfältig die Frage vorlegen, ob es noth⸗ wendig ist, neue Ausgaben zu beschließen. Wir haben uns an— gewöhnt, in den letzten Jahren immer nur nach neuen Einnahmen auszusehen, und damit kommen bald der Staat und die Commune an die Grenze. Unsere Hauptaufgabe in den nächsten Jahren wird sein, unsere Ausgaben zu vermindern, wenigstens sie möglichst wenig zu erhöhen. (Lebhaftes Bravo!)
Ober⸗Bürgermeister Bender: Die Stadt Breslau halte dat Nachtwachwesen in gutem Stande und folle nun, trotzdem sie an der Grenze der Leistungsfähigkeit angekommen sei, erhebliche Ausgaben mehr“ machen. Bekännte? Millionäre hätten ich bisher dort nicht herausgestellt, trotzdem Breslau 731 009 0 mehr Steuern ausbeins wovon, mehr als ein Drittel auf die Actiengesellschaften entfalle Daß die Kosten der Königlichen Polizeiverwaltungen größer seien als die der städtischen, sei selbstverständlich, denn die Königlichen Beamten ständen nicht mitten in den Verhältnissen, sie urt eilten mehr vom . Tifche aus. Die Vorlage verfolge zu sehr den materialistischen Gedanken. Es werde der Stadt Breslau von ihrem Polizei⸗Präsidenten das Zeugniß ausgestellt, daß das Nachtwachwesen
ut sei, trotzdem solle sie dafür 130 000 6 aufwenden. Um dikses dehr zu decken, müsse die Aufbesserung der Lehrergehälter aufges oben werden. Die Polizei auf dem Lande, die Gendarmerie, bezahle der Staa und an den Dotationen hätten auch die Städte nur einen geringen Antheil. Ein Beneficium sei die Königliche Holtz n walt nicht denn es seien manche besonderen Ausgaben zu . welche bei selbständiger Polizeiverwaltung wegfallen würden. lan möge do bei diesem Gesetz nicht immer an Berlin denken; die Stãdte, au die größeren, seien oft schlechter daran als die kleinsten Gemeinden. Die niedrigen Steuern zögen die Leute nicht nach Berlin, sonderm die gesellschaftlichen Verhältnissee. Damit schließt die Generaldiscussion. Das Haus vertag
ss Sonnabend 1 Uhr. Auf der Tagesordnung stehen: I) Be⸗ asse ee ang, ä, hee gelände
lung des 6, von Woyrsch, betr Flußregu⸗ e, . ündlicher Bericht der Justizcsmmission ug den Gesetzentwurf, betreffend die Führung der fh bei dem. Amtsgericht 1, und. dem Land⸗ uf Jin Berlin, sowie die Handhabung der Disciplinar⸗ ech ben dem Crfieben Herichi;.= 53. Mündlicher Heri
Eil en Fommission über den Gesetzenkwurf, betreffend die
Lrrichtung eines Amtsgerichts in der Gemeinde Lechenich. = h e er Bericht derselben Commission über den Gesetz⸗ . urf, beireffend die Abänderung von ö —
u rn blicher Bericht der Petition ommission äber die Petitionen
. Jerwaltungs⸗ ecretären in Rheinland und Westfalen und . enfionirten rheinischen Bürgermeisters Schwan. 5 Mündlicher Bericht der Commission für communale Ingelegenheiten über den Gesetzentwurf, betreffend die offen Königlicher Polizeiverwaltungen in Stadtge= muinden, und über die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen. (Special⸗Berathung) = 9) Ein⸗ 9. Echlugbercthun der Denkschrift über die Ausführung des Hesetzes vom 25. pril 1886, betreffend die Beförderung deulscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1891.
Haus der Abgeordneten.
4. Sitzung vom Donnerstag, 24 März.
Der Sitzung wohnt der Minister für Handel und Ge⸗ werbe Freiherr von Berlepsch bei .
Auf der Tagesordnung steht die zweite Berathung des Gesetzentwurfs zur Ergänzung der Gesetze, be⸗ treffend das Ruhegehalt der emeritirten Geistlich en und über die R orge für die Wittwen und Kaisen der Geistli firche der neun älteren Pravinzen, .
Abg. von Ey nern (ul. Diese Vorlage bedürfe keiner com. missarifchen Berathung wie die später zu, berathende Vorlage über die Etolgebühren. Er bitte aber die . Rücksicht walten zu lassen gegenüber den Geistlichen, welche unter lachzahlung erheblicher Heiträge aus der alten in die neue Kasse überträten.
Abg. Kors ch Cons.) beantragt, den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes durch Königliche Verorbnung beslimmen zu lassen.
Geheimer Ober⸗Negierungs⸗ Rath Hegel empfiehlt die Annahme dieses Antrages, weil dadurch allein das Gesetz zum 1. April in Geltung tommen könne. Das sei wüns enswerth, weil sonst für die rheinischen Heistlichen nach dem 1. April nicht mehr Fürsorge getroffen werden
ö pon Benda (nl) empfiehlt ebenfalls die Annahme des
Antrages. ö . ie Vorlage wird darauf mit dem Antrage Korsch an⸗ genommen.
In dritter Berathung wird der . über die Sterbe⸗ und Gnadenzeit bei Pensionen so⸗ wie die kirchliche Aufsicht über die Vermögens⸗ verwaltung der Kirchengemeinden innerhalb der evangelischen Landeskirche der älteren Provinzen der Ronarchie angenommen, nachdem .
Abg. Dr. Langerhansz (dfr) erklärt hatte, daß die Freisinnigen gegen denselben stimmen, würden, weil die Selbständigkest der Ge⸗ meinden w geschädigt werde. ö
Es folgt die erste ,, des Gesetzentwurfs, betreffend die Declaration der Vorschriften des Einkommen? und des Gewerbesteuergesetzes. (Es handelt sich darum, daß die Tagegelder und Reisekosten für die Mitglieder der Veranlagun Scommission durch Königliche Perordnung anderweitig festgestellt werden können)
Die g von Jagow Ceons.) und Hr. Gerlich (frei⸗ ons.) halten Jie Vorlage für nicht ausreichend; sie empfehlen deshalb die Verweisung derselben an eine Commission von vierzehn Mitgliedern.
Das Haus beschließt demgemäß. .
Ueber die Rechnungen der Kasse der Ober⸗ Rechnungskammer für 1890,91 wird auf Antrag der Rechnungscommission Decharge ertheilt. . ;
Letzler Gegenstand der Tagesordnung ist die erste Be⸗ rathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Ab⸗ nderung einzelner Bestimmungen des allgemeinen Ferggesetzes vom 24. Juni 18655. .
Abg. Hr. Schultz⸗Bochum (ul.): Nach dem Ausscheiden des Volleschulgesetzes bleibe diese Vorlage wohl die bedeutendste der ganzen Seffion. Deshalb könne er nur bedauern, daß denjenigen, deren Wohl und Wehe von dem Gesetz abhängig sei, keine Ge⸗ . geboten worden sei, zu Stellung zu ne
en der evangelischen Landes⸗
dem Gesetze ü hmen. Er wisse nicht, was die Vergnlassung dazu gewesen sei. Die Vorschriften seien theilweise der neuen Gewerbeordnung entnommen: nie die über die Arbeitsordnung, zg Arbeitsbuch und den Besuch der Fortbildungsschulen seitens der Minderjährigen; theilweise hätten sie einen mehr felbständigen Charakter, so die Bestimmungen über die Befugniffe der Bergbehörden. Er wolle sich enthalten, heute nem fo umfangreichen Gesetz gegenüber zu einem abschließenden äirtheil zu kommen. Die Beslimmungen über die Arbeiter kämen hinaus auf eine Vermehrung der Rechte der großjährigen Berg⸗ zrbeiter, womit man einem allgemein nicht auszurottenden Zuge der Jeit folge. Einzelne Bestimmungen erforderten jedenfalls ö ri fungen auf Grund der thatsächlichen Verhältnisse, denn manche BHestimmungen der Gewerbeordnung paßten, doch nicht ohne weiteres auf die Bergarbeiter. Befonders bedenklich sei aber die geplante Nachterweiterung der Bergbehörden; soweit gingen keinem anderen bürgerlichen Gewerbe gegenüber die Machtbefugnisse der Behörden. . . der großen Bedeutung der Vorlage beantrage er die Ueber⸗ weisung der Ger r ge an eine besondere Commission von 21 Mit⸗ ö Es Pandele sich hier um ein bedeutendes Stück der socialen rage. Das Haus solle für die 300 000 Bergleute Normen auf⸗ stellen. Möge das Werk gelingen
Abg. Hr. Ritter ffreicons.) schließt sich dem Antrage auf ommissionsberathung an; er wolle sich aller Einzelheiten enthalten, Peil. diese nur in der Commissięn, in ruhiger und leidenschaftsloser eise erledigt werden könnten. Die Vorlage selbst sei eine Folge - RNovelle zur Gewerbeordnung und der Bergthung des Staate lt e Die Regelung der Verhältnisse der Bergleute habe mit n früheren Regal zufammengehangen; die Bergleute seien als eine Beamte betrachtet worden und hätten sich, selbst für etwas eseres gehalten als die andern Arbeiter. Das sei anders gewerden nch das Berggefetz von 1865, welches das Regal aufgehoben habe. 1 wolle nicht fagen, daß dies allein zur Lockerung des Verhältnisses Führt habe, daran fei auch wohl der Strom der Jrit im allgemeinen 6. Die Lockerung des Verhältnisses habe zu Ausständen geführt and diese hätten zur Vorlage geführt, die ihm allerding; mehr zu einten der Arbeiter als zu Gunsten der Arbeitgeber . zu sein scheine. Die Forderungen der ausständigen R eiter hätten sich, abgesehen von dem Nullen, der schlechten e. u. f. w., auf die Verkürzung der Arbeitszeit nd, die Erhöhung des Lohnes bezogen. Das sei gar nicht eine 6 die des Schutzes bedürfe; dabei werde doch immer Angebot
Nachfrage eine Rolle spielen. Aber man finde nur neue
. egen die Arbeitgeber in der Vorlage obgleich es doch nothwendig sei, die Bergwerksbesitzer bei gutem Muthe zu erhalten, damit sie die Arbeiter . schlechten eiten beschäftigten. Die Strafbestimmungen gegen die rbeitgeber sollten nicht gemildert werden; die Grubenbesißer würden ganz ruhig abwarten können ob einen von ihnen eine Strafe treffe. Zur Erwägung sei aber zu geben, daß eine schnellere ö für diejenigen eintreten müsse, die durch ihr Verhalten das Leben ihrer Kameratzen gefährdeten und dadurch viele Familien unglücklich machten. Die Revierbeamten sollten die Arbeitszeit regeln können. Er wolle darauf nicht weiter eingehen. Die Revierbeamten sollten auch ein Werk ganz 9 . können. Zu hoffen sei ja, daß hierbei der Instanzenzug gewahrt werden werde, daß es nich möglich sein werde, daß ein uner ahrener Beamter Unheil anxrichte. Er wolle . diesen Punkt nur kurz hinweisen und empfehle die commissarische Berathung des Gesetzes
Abg. Stötze! (Centr.): Er finde es vollständig richtig, daß die Arbeiterschutzbesätimmungen aus der Novelle zur Gewerbeordnung auf die Bergarbeiter übertragen würden, daß ferner die Befugnisse der Bergbehörde erweitert würden. Seit dem Walten des Berg gesetzcs von 1865 sei der Bergarbeiterstand etwas heruntergekommen. Die Bergleute seien früher eingeschworen worden, sie seien nicht wenig 6 darauf gewesen, und die alten Bergleute blickten immer noch mit Sehnsucht auf die alte Zeit zurück; sie seien zwar etwas weniger frei gewesen, aber sie hätten sich sicherer als heute gefühlt. Daß die Gedingefestsetzung in der Arbeitsordnung erfolgen solle, werde viele Streitigkeiten beseitigen; ein leiches gelte von den Bestimmungen siber die Arbeitszeit, Cine Erweiterung sei für die Vorlage zu wünschen über die Lehrzeit der Bergarheiter. Die Bergleute erklärten positiv, daß die meisten Unfälle durch die Unvorsichtigkeit der un⸗ erfahrenen Bergleute verursacht würden. (Zustimmung.) Soffentlich werde es gelingen, einen Gesetzentwurf zu stande zu bringen, der einem großen Theil der Bevölkerung Ruhe und Frieden bringe. Manche Ausstände seien nur dadurch entstanden, daß keine festen Bestimmungen vorhanden gewesen seien. Zur Beunruhigung habe es auch beig tragen, daß man die älteren Leute entlassen, die jungen Leute aber, Ausländer, beibehalten habe, Man möge sich auf beiden Seiten bemühen, eine Versöhnung herbeizuführen. (Zustimmung im Centrum.)
Abg. Das bach (Centr.) hält ebenfalls eine commissarische Be⸗ rathung der sehr bedeutungsvollen Vorlage für nothwendig. Daß den großjährigen Arbeitern Rechte gegeben würden, welche ihnen nach der allgemeinen Meinung nicht zuständen, könne nicht gesagt werden. Daß die Bedingung für die Arbeiter in den Arbeitsord⸗ nungen enthalten sein müsfe, sei selbstverständlich und werde vielen Streitigkeiten vorbeugen; der Mangel solcher Arbeitsordnungen sei bei den Ausständen deutlich hervorgetreten. Das einzige neue Recht, welches den Arbeitern gegeben werde, sei die Betheiligung der Arbeiter an dem Nullen der Wagen. In England Fei das längst eingeführt. Redner schließt mit der Hoffnung, daß die Vorlage eine Beruhigung herbeiführen werde.
. Abg. Let och a (Centr.) weist darauf hin, daß durch die Vorlage die Sonderstellung, welche der e, ,, in Oberschlesien auf Grund alter Vorfchriften eingenommen habe, beseitigt werden müsse. Das Interesse der Arbeiter verlange es, daß die Eisenerzbergwerke ebenso behandelt würden, wie die andern Bergwerke, weil sie zum Theil noch , seien als diese. . .
Abg. Eberty (ofr.) hält ebenfalls eine commissarische Be⸗ rathung für nothwendig. Es handele sich hierbei um eine Industrie, von welcher das Wohlergehen sämmtlicher anderer Industrien ab— hängig fel. Auf die Einzelheiten könne das Haus heute nicht ein⸗ gehen, denn in der kurzen Zeit, während der Lie Vorlage, dem Hr. vorliege, habe es deren Tragweite nicht überblicken können. Seine Partei könne nur ihre Freude darüber aussprechen, daß die Vorlage eingebracht sei, und hoffen, daß sie allgemeine Beruhigung bringen werde. ‚. zu wenig für die Arbeitgeber und zu viel für die Arbeitnehmer geschehen sei, könne seine Herr nicht anerkennen. Sie stehe dabei der Auffassung der Abgg. Dasbach und Stötzel nahe; es sei auf diesem Gebiete die Gesetzgebung vielleicht zu spät ein⸗ geschritten.
Minister Berlepsch:
Ich bin dankbar dafür, daß der Antrag gestellt worden ist, diesen Gesetzentwurf einer Commission von 21 Mitgliedern zu überweisen; ich bin dankbar für die Ruhe und Objectivität, mit der derselbe bis jetzt im Hause Beurtheilung erfahren hat. Ich bin keineswegs unzu⸗ gänglich gegen dasjenige, was gegen den Entwurf gesagt worden ist; ich werde mich mit den Herren in der Commission bemühen, eine Uebereinstimmung herbeizuführen, die schließlich das Resultat haben wird, was wir, wie das heute ausgesprochen ist, sämmtlich wünschen.
Gegenüber den Ausstellungen, die gegen den Gesetzentwurf ge— macht worden sind, möchte ich mir aber gestatten, heute kurz daran zu erinnern, was denn dazu geführt hat, daß wir überhaupt einen solchen Gesetzentwurf dem Landtage vorgelegt haben. Das, meine Herren, sind zwei Momente; erstens sind es die Erfahrungen, die man gelegentlich der Ausstandsbewegung im Jahre 1889 gemacht hat, und zweitens ist es die Berathung und Verabschiedung der Novelle zur Gewerbeordnung, die am 1. Juli 1891 Gesetzeskraft erlangt hat.
Was die Erfahrungen anlangt, die wir gelegentlich der Ausstände im Jahre 1889 gemacht haben, so will ich heute nicht näher darauf eingehen; die Meinungen darüber sind ja ungemein getheilt. Indessen, meine Herren, eins, glaube ich, steht ganz fest und wird von allen Seiten zugegeben: daß eine wesentliche Ursache der Differenzen und der Schwierigkeiten, diese Differenzen beizulegen, darin gelegen hat, daß entweder gar keine Arbeitsordnung auf den Gruben vorhanden war, oder daß diese Arbeitsordnung einen ganz ungenügenden und un⸗ klaren Inhalt hatte. Das ist in der Denkschrift, die damals von den Commissarien der betheiligten Ressort⸗Minister verfaßt wurde, meines Erachtens, klar gelegt worden, und soweit ich mich der Erörterungen erinnere, die in diesem Hause über diese Denkschrift — ich glaube, es war in der Session von 1889 90 — stattgefunden haben, hat ein Zweifel darüber nicht obgewaltet, daß in diesem Umstand ein wesent— sicher Mißstand zu suchen ist. Deshalb, meine Herren, scheint es mir ganz außer Zweifel zu sein, wenn man an eine Regelung der Arbeits⸗ verhältnisse im Bergbau geht, daß man zunächst dahin zu streben hat, diesen Mangel, in dem auch in Zukunft zweifellos eine Quelle zu fortgesetzten Streitigkeiten liegt, Abhilfe zu schaffen, und daß man vorschreiben muß: auf jedem Bergwerk muß eine Arbeitsordnung vor— handen sein, — daß man ferner, wenigstens in gewissen Umrissen, an⸗ giebt, welchen Inhalt diese Arbeitsordnung haben muß.
Ueber den ersten Punkt, über das obligatorische einer Arbeits ordnung, herrscht, glaube ich, keine Meinungsverschiedenheit im hohen Hause; es fragt sich nur, ob diejenigen Bestimmungen richtig gegriffen sind, die im § 80b über den Inhalt der Arbeitsordnung gegeben sind. Ich erkläre, meine Herren, daß das ein außerordentlich schwieriges Thema ist. Es haben sehr eingehende und außerordentlich lange Ver⸗ handlungen mit den localen Bergbehörden über die Frage statt— gefunden, die abgegebenen Gutachten stimmen durchaus nicht in allen Punkten überein, und ich bekenne ohne weiteres, daß ich es sehr wohl ür denkbar halte, daß diese oder jene Bestimmung abzuändern ist. Inzwischen, meine Herren, können wir gewisse Fragen, meines Er⸗ achtens, nicht auslassen, und insbesondere können wir die Fragen nicht
für Handel und Gewerbe Freiherr von
auslassen, daß für die Arbeitsordnung vorgeschrieben wird, in welcher Art und von wem das Gedinge festzustellen ist. Bei der Unter⸗ suchung über die Arbeiterausstände im Jahre 1889 hat es sich, meines Erachtens, ganz klar ergeben, daß gerade bezüglich der Art der Fest⸗ stellung der Löhne der Mangel an positiven Bestimmungen der Arbeits⸗ ordnung geschadet hat. Die Thatsache, daß die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer verschiedener Ansicht über die Gedingestellung waren, daß die Arbeiter sich ein ganz falsches Bild im einzelnen Falle machen konnten über das, was ihnen zukam, ist nicht in Abrede zu stellen. Es hat sich herausgestellt, daß in den wenigen Arbeitsordnungen, in denen überhaupt in damaliger Zeit — heute hat sich schon manches in dieser Beziehung geändert — Bestimmungen über die Verdinge vorlagen, meistens nur vorgeschrieben war, daß das Gedinge vom Betriebsführer oder seinem Beauftragten festgestellt wird. Etwas Anderes stand nicht darin. Wer derjenige war, der als der Beauftragte des Betriebs⸗ führers zu fungiren hatte, war nicht näher definirt, es bestanden darüber verschiedene Ansichten. Es kam vor — und es liegt auch in der Natur der Dinge — daß bei der monatlich wiederkehrenden Neu⸗ regulirung der Gedinge der Betriebsführer selbst nicht in der Lage war, die vor Ort-Gedinge festzusetzen. Er kann das aus physischen Rücksichten nicht fertig bringen. Die Folge war, daß die Gedinge vom Abtheilungssteiger neu regulirt wurden, daß sie später einer Re⸗ vision unterworfen wurden und hierbei hin und wieder eine Abände⸗ rung erfuhren, nicht bloß zum Schlechten — das will ich gleich be⸗ merken — sondern auch zum Guten. Immerhin war es üblich, daß der Vertrag, den der Abtheilungssteiger zunächst schloß, sich nur als einen vorläufigen charakterisirte, daß er später durch die stillschwei⸗ gende oder ausdrückliche Sanction, die der Betriebsführer dazu gab, zu einem definitiven wurde. Das geschah häufig erst, nachdem bereits die Hälfte der ganzen Monatszeit, für die der Vertrag abgeschlossen war, verlaufen war. Das ist kein günstiger Zustand; denn die Klar⸗ heit der Arbeitsbedingungen ist eine der wichtigsten und ersten Vor⸗ aussetzungen für eine friedliche und verständige Gestaltung des Ver⸗ hältnisses zwischen den Bergarbeitern und den Arbeitgebern.
Haben wir nun, wie gesagt, in den Vorschriften, die wir Ihnen vorschlagen in S S0b nicht überall das Richtige gegriffen, ich bin gern bereit, mit Ihnen darüber zu verhandeln, die Hauptsache bitte ich aber unberührt zu lassen, daß nach Möglichkeit in der Arbeitsordnung die Bedingungen des Arbeitsverhältnisses klargestellt werden. Ich glaube, wenn ich so den Gedanken dieses Paragraphen fasse, werde ich einen großen Widerspruch bei den Herren nicht finden.
Es ist sodann erwähnt worden, daß der Gesetzentwurf wohl eine Erhöhung der Rechte der Arbeiter enthalte, daß von einem Schutz der Arbeitgeber aber sehr wenig die Rede sei.
Was die Frage der Erhöhung der Rechte der Arbeiter anlangt, so muß ich sagen: erheblich kann ich die Bestimmungen, die in dieser Beziehung vorliegen, nicht finden. Das Einzige, was meines Erachtens als essentiell hervorzuheben ist, ist die obligatorische Vor⸗ schrift, daß die großjährigen Arbeiter über den Erlaß einer Arbeits⸗ ordnung oder über eine Aenderung der Arbeitsordnung gehört werden sollen, und in dieser Beziehung hat meines Erachtens der Herr Abg. Dasbach Unrecht, wenn er nicht finden kann, daß irgend eine Bestimmung vorhanden ist, in der die Rechte der Arbeiter der Gruben erhöht worden sind. Meine Herren, ich muß zugeben: das ist eine Aenderung der bisherigen Gesetzgebung. Diese Aenderung folgt aber durchaus den Vorschriften, die der Reichstag in der Ge⸗ werbeordnungsnovelle für die allgemeinen Arbeiterverhältnisse gegeben hat, und wir werden uns dann doch zu fragen haben: Liegen für den Bergbau besondere Verhältnisse vor, die uns nöthigen, von den Vor⸗ schriften abzugehen, die die Gewerbeordnungsnovelle für die in⸗ dustriellen Arbeiter überhaupt getroffen hat? Ich meine, der preußische Landtag sollte sich diesem Gesetzentwurf gegenüber über— haupt so stellen, daß er diejenigen Bestimmungen, die die Gewerbe⸗ ordnung für die industriellen Arbeiter überhaupt festgesetzt hat, auch für die Bergarbeiter gelten läßt, soweit nicht die besonderen Verhält⸗ nisse des Bergbaues nöthigen, von diesen Verhältnissen abzugehen.
Meine Herren, die Frage der Anhörung der Arbeiter ist aber nicht bloß in der Gewerbeordnungsnovelle zur Frage gekommen; sie ist zur Frage gekommen in dem preußischen Staatsrath, einer Körper⸗ schaft, von der Sie nicht behaupten werden, daß sie in überstürzender Weise über sociale Fragen denkt. Dem preußischen Staatsrath, an dessen Berathung übrigens eine Anzahl der Herren Mitglieder dieses Hauses theilgenommen haben, ist die Frage der Anhörung der Arbeiter ausdrücklich vorgelegt worden. Es lautet die Frage:
Ist mit Rücksicht auf die Eigenthümlichkeiten des Arbeiter⸗ verhältnisses im Bergbau die Frage des Erlasses und des Inhalts der Arbeitsordnung unabhängig von den für die Industrie im Allgemeinen zu treffenden Maßregeln gesondert und ohne Aufschub durch die Landesgesetzgebung zu regeln?
Die Antwort lautet:
Die Arbeitsordnung ist von den Bergwerksbesitzern zu ent⸗ werfen, dem zuständigen Bergrevierbeamten vorzulegen, nachdem die⸗ selbe von dem Arbeiterausschuß des Bergwerks oder, sofern ein solcher nicht besteht, von den seitens der Arbeiter besonders zu wählenden Vertrauensmännern geprüft und begutachtet worden ist.
Sie sehen, meine Herren, die Bestimmungen, die der Entwurf ent⸗ hält, halten sich ganz an das Gutachten des preußischen Staatsraths. Ich muß bemerken, daß nur ganz vereinzelte Stimmen sich in ent— gegengesetztem Sinne äußerten, daß insbesondere der in Bergsachen altbewährte und langerfahrene Referent sich für diese Bestimmung ausgesprochen.
Es ist sodann der Vorwurf erhoben worden, daß die Macht der Bergbehörden in diesem Gesetz zu weit ausgedehnt werde. Auch das kann ich nicht für zutreffend halten, insbesondere nicht, wenn ich mir vergegenwärtige, wie vor etwa 30 Jahren die Verhältnisse in dieser Beziehung bei uns lagen. Da war ja die Macht der Bergbehörden eine ganz andere und ging weit über alles das hinaus, was wir uns heute denken können. Ich bin weit davon entfernt, darauf heute wieder zurückkommen zu wollen, wenn ich auch glaube, daß der Abg. Stötzel nicht Unrecht hat, wenn er sagt, daß ein Theil der Bergarbeiter wünscht, diese alten Verhältnisse wieder zu haben; jedenfalls ist das doch nur ein Theil. Die Verhältnisse unseres Bergbaues haben sich in dieser Zeit so verändert, der Aufschwung der Industrie ist so riesengroß gewerden, daß heute kein Mensch im Ernste mehr daran denken kann, daß ein Revierbeamter, der Bergbeamte des Staats, bestimmt, auf welcher Grube und vor welchem Ort der Bergmann arbeiten, wann er angenommen und abgelegt werden, welchen Lohn er bekommen soll,