nicht die Thatsachen vollständig g. seien. Aber man habe allerdings ein Recht, von den Ministern die Aufklärung dieses Thatbestandes zu verlangen. Es handele sich hier um eine öffentliche Angelegenheit, die schon deshalb die Verantwort⸗ lichkeit der Minister erheische, weil ohne die Gegen⸗ zeichnung der Minister nach Berliner Baurecht diese Linien einer Ver⸗ änderung nicht unterworfen werden könnten Die Minister seien seine politischen Gegner, aber trotzdem habe er in dieser Angelegen⸗ heit das volle Vertrauen, daß sie sich bewußt seien in ihren Ent⸗ schließungen dessen, was sie einer solchen Frage schuldeten, ihrer verfassungsmäßigen Stellung, der Wahrung ihres Ansehens vor Landtag und Regierung, der Wahrung ihrer persönlichen Würde und ihrem politischen Charakter.
Vice⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher: J Meine Herren! Wenn ich es unternehme, zunächst und unter
Vorbehalt der Aeußerungen meiner Herren Collegen aus den preußischen Ressorts die Ausführungen des Herrn Vorredners zu erwidern, so geschieht es um deswillen, weil der erste Theil seiner Rede sich damit beschäftigt hat, die Frage der Herstellung des Platzes für das Denkmal des hochseligen Kaisers Wilhelm J. zur Er⸗ örterung zu ziehen, und weil die Bearbeitung dieser Angelegenheit in mein Ressort fällt.
Ich bin dem Herrn Vorredner dafür dankbar, daß er bei Be⸗ ginn seiner Ausführungen sich dahin ausgesprochen hat, daß es nicht seine Absicht sei, gegen die Mitglieder der Regierung irgend welche Spitze eintreten zu lassen, und ich will diesem meinem Dank da⸗ durch Ausdruck geben, daß ich ihn über die Irrthümer, die in seinen Ausführungen enthalten waren, zwar nicht vollständig, denn das ist bei der Fülle des Stoffs, den er uns gegeben hat, un⸗ möglich, aufkläre.
Meine Herren, wenn der Herr Vorredner am Schluß seiner Rede das Vertrauen ausgesprochen hat, daß die Mitglieder der Re⸗ gierung sich voll und ganz ihrer Pflicht gegenüber Unternehmungen, wie er sie im letzten Theil seiner Rede behandelt hat, bewußt wären, so bedarf es keiner Versicherung von unserer Seite, daß diese Vor— aussetzung im vollen Maße zutrifft. Wir können aber nicht Erklä— rungen abgeben über Vorgänge, welche nicht in den Kreis unserer verantwortlichen Thätigkeit fallen, und wir dürfen es namentlich ab⸗ lehnen, uns über Vorgänge zu äußern, welche sich in der Umgebung der Allerhöchsten Person abgespielt haben, und welche nicht in das Gebiet der Regierungshandlungen fallen. (Sehr richtig! rechts.)
Nun, meine Herren, werden Sie aus meinen weiteren Ausführun⸗ gen sehen, daß in der That die Beunruhigung, welche sich an das Project einer Regulirung des Schloßplatzes auf zwei Seiten: auf der Westseite und auf der Südseite, geknüpft hat, eine durchaus un⸗ nöthige und unberechtigte gewesen ist. Der Herr Vorredner hat die Entwickelung der Frage, wo und wie das von den Reichsorganen be⸗ schlossene Denkmal zu Ehren Seiner hochseligen Majestät des Kaisers Wilhelm J. zu setzen sei, im allgemeinen richtig dargestellt; er hat hervorgehoben, daß nach verschiedenen Vorstadien Reichstag und Bundesrath beschlossen haben, die Bestimmung über die Wahl des Platzes und über die Art und Weise der Errichtung des Denkmals Seiner Majestät dem Kaiser anheim zu geben. Diese Entscheidung ist gefallen; Seine Majestät der Kaiser haben befohlen, daß das Denkmal auf dem Platz, der durch die Niederlegung der Schloffreiheit gewonnen wird, errichtet werden soll. Nun haben sich an diesen Platz mannigfache Zweifel und Befürchtungen angeknüpft, und es sind vielfache und nicht bloß das Project, von dem der Herr Vorredner gesprochen hat, sondern eine große Anzahl von anderen Plänen ent— werfen worden, wie man einen würdigen Platz schaffen könne, um mit Rücksicht auf die Umgebung des künftigen Denkmals etwas Schönes und etwas den Empfindungen des deutschen Volks Ent— sprechendes herzustellen. Zu diesen Projecten gehört auch das Project eines Herrn Ziller. Der Herr Vorredner hat nun aber sehr zu Unrecht, entsprechend einer Behauptung, welche durch die Zeitungen ging, mich als den Protector dieses Projects hingestellt. (Widerspruch links.) Meine Herren, wie man unschuldigerweise in einen Verdacht gerathen kann, dafür ist diese Sache außerordentlich lehrreich, und ich will sie deshalb hier erzählen.
Herr Ziller macht ein Project — das ist keinem deutschen Reichsangehörigen verwehrt — (Heiterkeit); dieses Project findet eine sehr verschiedenartige Beurtheilung, der Eine verwirfts, der Andere lobts. Ich bin noch heute Morgen in den Besitz der neuesten Nummer der „Deutschen Bauzeitung“ gelangt, in der sich eine ganz objective Beurtheilung dieses Projects befindet, die in dem Nachweis gipfelt, daß dieses Project weit entfernt davon sei, phantastische Pläne zu enthalten, daß es auch nicht übermäßige Kosten verursache, und daß es sich sehr wohl zu weiteren Erwägungen empfehle. Ich lasse dahingestellt, ob dieses Urtheil das richtige ist, oder ob diejenigen Recht haben, die das Project verwerfen; genug, dieses Project erweckte mein amtliches Interesse lediglich dadurch, daß es eben auch, wie viele andere, eine Lösung der Platzfrage für das Kaiser Wilhelm⸗ Denkmal versuchte, sodaß ich das Bedürfniß empfand, mir auch dieses Project näher anzusehen darauf hin, ob es brauchbare Gedanken für die Ausführung enthalte. Daraus hat man nun gemacht, daß ich ein Protector dieses Projects sei. (Widerspruch links.) Ich fühle mich davon durchaus frei, kann aber nicht umhin, auch weiter hier anzuführen, daß auch das von befreundeter Seite veranlaßte Dementi nichts geholfen hat. Denn, nachdem diese Nachricht dementirt war, kam doch eine Zeitung wieder und sagte: ja, aber der Minister von Boetticher hat das Project auch anderen Personen gezeigt, — ergo muß an der Behauptung der Patronage etwas dran sein.
Nun liegt die Sache einfach so: nachdem die letzte Concurrenz für das Kaiser Wilhelm⸗Denkmal die Betheiligung von vier hervor⸗ ragenden Künstlern an dieser Concurrenz gezeitigt hatte, war es für die Reichsverwaltung die nächstliegende Aufgabe, die Ausführung des Denkmals vorzubereiten, und in dieser Beziehung mußten noth⸗ wendiger Weise zunächst die Fragen erledigt werden, die sich auf die Herstellung des für die Errichtung des Denkmals erforderlichen Platzes beziehen. Es concurriren dabei sehr verschiedenartige Inter⸗ essen: es concurrirt dort an der Schloßfreiheit unter anderen das Interesse der Schiffahrt, es concurriren aber auch finanzielle Interessen und verschiedene Factoren, deren finanzielle Betheiligung an der Sache in Frage gezogen werden kann. Die Verhandlungen darüber mußten eingeleitet werden; das ist geschehen. Und es ist jetzt eine Allerhöchste Entscheidung ergangen, welche alle Besorgnisse dahin, daß ein so⸗ genannter Ententeich angelegt oder gar die Bau⸗Akademie nieder⸗ gerissen werden könne, beseitigen. (Bravo! Hört! hört! Ich erlaube mir, meine Herren, Ihnen den Wortlaut dieser Ordre mitzutheilen. Es heißt darin:
Auf den Mir gehaltenen Vortrag bestimme Ich, daß für das auf der Schloßfreiheit zu errichtende Nationaldenkmal weiland Seiner Majestät des hochseligen Kaisers Wilhelm J. ein Entwurf ausgearbeitet werde, bei welchem die Denkmalsanlage auf das öst⸗ liche Ufer des Spreekanals beschränkt bleibt und von der jetzigen Fluchtlinie des gegenüberliegenden Ufers überall einen Abstand von mindestens 18 m erhält.
Dieser Abstand ist um deswillen bestimmt, weil die Interessen der Schiffahrt ein Freilassen eines solchen Wasserniveaus erheischen.
Sie ersehen daraus, daß zunächst auf dieser Seite des Schlosses nichts weiter geplant ist, als wie die Herstellung eines Platzes, der, unter Schonung der dabei in Betracht kommenden Interessen der Schiffahrt, geeignet ist, um ein Denkmal für den hochseligen Kaiser Wilhelm darauf herzustellen.
Hätten die Herren die Güte gehabt, sich an mich zu wenden, statt in den Zeitungen so viel darüber zu schreiben, so würde ich in der Lage gewesen sein, ihnen darüber schon früher diese Auskunft zu geben. (Sehr gut! rechts. Lebhafte Bewegung links. Rufe: Datum!)
Nun ersehen Sie aus diesen meinen kurzen Ausführungen, daß man sich unnöthig über diese Frage aufgeregt hat.
Ich will hinzufügen, daß ich mich der Hoffnung hingeben darf, daß die Sache in der Bearbeitung so günstig vorschreiten wird, daß es uns gelingt, am 100. Geburtstage des unvergeßlichen, großen Kaisers ein seines Andenkens und der Nation würdiges Denkmal her⸗ zustellen. (Lebhaftes Bravo rechts.)
Minister des Innern Herrfurth:
Meine Herren! Nachdem durch die Ausführungen des Herrn Vice⸗Präsidenten des Königlichen Staats⸗Ministeriums die Fragen, welche unter Nr. 1 des Antrages des Herrn Abg. Richter gestellt worden sind, ihre vollständige Erledigung gefunden haben dürften, bleibt mir nur noch übrig, in Betreff des unter Nr. 2 er⸗ wähnten sogenannten Schloßlotterieprojects die erforderlichen Er⸗ klärungen abzugeben.
Ich halte mich hierzu legitimirt dadurch, daß ressortmäßig alle Anträge wegen Genehmigung von Lotterien von den Ministerien der Finanzen und des Innern, und zwar in erster Linie von dem letzteren, bearbeitet werden.
Hierbei habe ich nun zu erklären, daß ein Antrag auf Gestattung einer Lotterie, welche irgend einen Zusammenhang mit den von dem Herrn Abg. Richter erwähnten Projecten hat, weder schriftlich, noch mündlich jemals an mich gelangt ist (hört, hört!), daß über diese ganzen Lotterieprojecte mir weder amtlich noch — allerdings abgesehen von den sehr zahlreichen Zeitungsartikeln — außeramtlich irgend etwas bekannt geworden ist, daß eine Absicht der Staatsregierung, eine solche Lotterie zu genehmigen, überhaupt nicht bestehen kann und nicht besteht. (Hört, hört!)
Es ist in den Artikeln der Zeitungen, welche seit Wochen fast ausschließlich von diesem Gegenstande gelebt haben, mit voller Be⸗ stimmtheit, unter Angabe des Datums behauptet worden, diese Lotterieprojecte lägen mir zur Genehmigung vor, seien mir an dem und dem Tage vorgelegt worden, sie seien wenigstens privatim von den Unternehmern zu meiner Kenntniß gebracht. Meine Herren, diese sämmtlichen Angaben sind vollständig frei erfunden. (Hört! hört! Rufe: Kunze!)
Der Herr Abg. Richter hat — und das möchte ich noch hinzu— fügen — sehr heftige Angriffe gegen den angeblichen Autor dieses Lotterieprojects, den Ober⸗Verwaltungsgerichts⸗Rath Kunze, gerichtet. Der Herr Abg. Richter weiß sehr wohl, daß die Mitglieder des Ober⸗ Verwaltungsgerichts der Disciplin der Minister überhaupt nicht unterstellt sind. Ich halte mich aber doch für verpflichtet, im Interesse des preußischen Beamtenstandes und im Interesse eines Beamten, welcher sich hier gegen Angriffe zu vertheidigen nicht in der Lage ist, zu constatiren, daß der Herr Abg. Richter dem Vorgehen desselben, von welchem mir absolut nichts bekannt ist, sehr frag⸗ würdige Motive untergelegt hat, von denen er bisher auch nicht einmal den Schatten eines Beweises hat beibringen können. (Bravo! rechts.)
Abg. Hobrecht (nl) verzichtet aufs Wort.
Abg. Graf zu Lim burg⸗Stirum 864 Auf den zweiten Theil des Antrages gehe er nicht ein, weil zu seiner Freude der Ge⸗ danke, daß man überhaupt glauben könne, daß die Bau⸗Akademie eingerissen werden könne, von der Regierung mit aller Bestimmt⸗ heit zurückgewiesen worden sei. Der Gedanke sei überhaupt so monströs, daß man sich nicht habe entschließen können, daran zu glauben. Was den ersten Theil des Antrages betreffe, so sei das Haus unzweifelhaft berechtigt, über Privatlotterieen sich zu äußern. Ir würde nicht geglaubt haben, daß es denkbar sei, Privatlotterieen zu bewilligen für Zwecke, wie sie im ersten Theil des Antrages be⸗
rührt seien, wenn man nicht den ö. einer Schloßfreiheit⸗Lotterie ehabt hätte. Das Haus habe damals geschwiegen, obwohl die
Schloßfreiheit⸗ Lotterie den 5 Eindruck gemacht habe (3u⸗
stimmung), weil, abweichend von der früheren Praxis, eine Lotterie bewilligt worden sei für kae. für die sonst Lotterieen nicht bewilligt würden. Die Sache habe deshalb keinen erfreulichen Eindruck gemacht, weil sie complicirt worden sei mit der Denkmalsfrage für Seine Majestät weiland Kaiser Wilhelm. Unangenehm berühre es auch, daß das Denkmal abseits von der großen Straße gebaut werden solle. Er wolle es offen sagen: Die öffentliche Meinung habe sich gedacht, das Denkmal für diesen großen Kaiser gehöre auf den Pariser Platz, dahin, wo der große Verkehr sich bewege, auf dem der Kaiser zweimal seine sieg⸗ 6 Truppen in die Stadt geführt habe. Die Befugniß der Re⸗ gierung, Privatlotterien zu bewilligen, habe, das Haus nie zu be⸗ mängeln gehabt. Es seien Lotterien bewilligt worden zu gemein⸗ nützigen Zwecken und für die Wiederherstellung älterer unf n. Man habe die Frage aufwerfen können — sie sei auch schon früher angeregt worden — ob es nicht angezeigt sei, die Frage der Ge⸗ ö von Privatlotterieen gesetzlich zu regeln. Indessen habe man dazu nach den Erklärungen der Minister keinen Anlaß. Für den Augenblick liege kein , . einer Lotterie, wie das Haus sie miß⸗ billige, vor, und er hoffe, das es auch in Zukunft so sein werde. Beifall rechts.)
Abg. Vopelius (freicons.): Seine Freunde und er seien der Meinung, daß diese Frage eine rein interne Frage der Stadt Berlin und eventuell des Königlichen Hauz⸗Ministeriums sei und so lange bleiben werde, als . staatliche Interessen zur Sprache kämen. Nach den Aeußerungen des Ministers von Boetticher brauche er auf die erste Anfrage des Abg. Richter nicht einzugehen. Es stehe wohl fest, daß in dieser Beziehung die Interessen des Staats vollständig gewahrt und daß persönliche Neigungen nicht den Interessen des Staats vorangestellt würden. Was die zweite Frage betreffe, so erklärten seine politischen Freunde, daß sie dringend wünschten, daß das Königliche Staats⸗Ministerium, falls ein Antrag wegen einer Lotterie zum Zweck der Niederlegung von Privatgebäuden in der Nähe des Königlichen Schlosses an es herantrete, demselben ein kategorisches Nein entgegenstellen werde. Im übrigen schließe er sich den Ausführungen des Grafen Limburg⸗Stirum an. Auch
in der Bewilligung von Privatlotterien sich eine größere ö auferlegen müsse.
Abg. Cremer⸗Teltow (b. k. F): Das Project der Nieder. legung der Schloßfreiheit sei nicht dem Kopf des Herrn Kunze ent. sprungen, sondern 1876 hier im Hause, als es sich darum gehandelt habe, für die Erweiterung der Bauakademie einen. Bauplatz zu schaffen. Man solle den Baracken an der Schloßfreiheit gegenüber nicht von historischen Erinnerungen sprechen. Seit 1878 habe die Stadtverwaltung nichts gethan, um hier eine Besserung herbeizuführen das Zögern der Stadt habe es dahin gebracht, daß die Speculatlon sich der Sache bemächtigt habe. Das Comité der Schloßfreiheit habe einen Fehler gemacht, indem es keinen der jüdischen Mitbürger hinzuge= zogen habe: denn anders könnten die Millionen nicht in Bewegung gesetzt werden, schon wegen der dahinter stehenden Presse. Herr Kunze sei jetzt noch nomineller Besitzer der Häuser, da von der Stadt sich niemand ein
efunden habe, als die Auflassung stattgefunden habe. Es seien er⸗ ö. Gelder aus den Miethen eingekommen; die Ueberschüsse seien für allerlei gute Zwecke verwendet worden. Die Sache gehöre doch eigentlich in den Reichstag. Wenn der Platz für das Denkmal ein⸗ mal bestimmt sei, dann möge man sich fügen und keine Redensarten mehr machen. Herr Kunze wolle Ober⸗Bürgermeister von Berlin werden; davon wisse er (Redner) nichts, der Abg. Richter wohl auch nicht Zuruf: Zeitung ; ach, die Zeitung mache ja der Abg. Richter selber. Ein Mensch mit seinen verständigen fünf Sinnen werde nicht die un— abhängige Stellung eines Qber⸗Verwaltungsgerichts⸗Raths mit der abhängigen Stellung eines Ober⸗Bürgermeisters von Berlin ver⸗ tauschen. Die Fortschrittspartei wolle Berlin regieren, aber sie habe in Bezug auf die Initiative wenig geleistet. In den siebziger Jahren habe sie Baracken gebaut, aber nichts gründlich 3 Die enge Passage an der Friedrichstraße sei verbaut worden; die Colonnaden in der Leipziger Straße seien verunziert durch die nebenstehenden Bauten. Daß der Berliner Witz bei dem Ententeich schnell bei der Hand gewesen sei, sei selbstverständlich; das habe man bei dem Forckenbecken eben- falls erlebt. Der Abg. Richter habe lediglich Behauptungen beweislos auf⸗ gestellt. . Beseitigung der Häuser an der Südseite des Schloß⸗ platzes gehöre höchstens die Phantasie eines Maurerpoliers. Weshalb solle man dazu nicht eine Lotterie veranstalten, wenn man das für den Kölner Dom, für Marienburg u. s. w. ebenfalls gethan habe? Wie solle man den Verkehr heben, wenn man kein Geld in Bewegung setze? Es fehle eben nur an der Unternehmungslust. Es scheine ihm überhaupt, daß man die Lotterietrommel rühre, weil man die Judenflinten nicht wolle platzen hören.
Abg. Dr. Lieber (Centr.): Seine Partei erkenne in dem Vor⸗ gehen des Abg. Richter und seiner Freunde das unzweifelhafte Ver⸗ dienst an, in dieser Angelegenheit, die schon zu lange Lie öffent- liche Meinung aufgeregt habe, endlich die gewünschte Aufklärung und Beruhigung herbeigeführt zu haben. Sie rechne es dem Abg. Richter zu ganz besonderem Verdienst, daß er in der Begründung seines Antrages das Staats⸗Ministerium in durchaus angemessener Weise behandelt habe. (Heiterkeit. Sie sei in hohem Grade erfreut über die Erklärungen des Ministers von Boetticher, und bedauere nur, daß die Allerhöchste Ordre, die im Hause heute verlesen worden sei, nicht schon vor längerer Zeit habe bekannt gegeben werden können und gegeben worden sei, weil dadurch alle diese Erörterungen hätten ver⸗ mieden werden können. (Sehr richtig!! Ganz besonders erfreut sei er über die Allerhöchste Ordre, weil ihre Kenntniß ihn der Nothwendigkeit ent⸗ hebe, auch seinerseits Zeugniß ablegen zu müssen für die tiefe Erregung, die in weiten Schichten des Volkes nicht zum Vortheil der Krone Platz gegriffen habe, wenn sie auch nicht geglaubt habe, daß in maß— gebenden Kreisen so unsinnige Projecte, wie sie der Abg. Richter auf⸗ gerollt habe, irgend einen Boden finden könnten. In der Frage der Lotterie könne er seine volle Uebereinstimmung mit denjenigen Grund- sätzen aussprechen, die Graf Limburg⸗Stirum in dieser Beziehung als diejenigen seiner Partei bekannt gegeben habe.
Abg. . (nl. ): Er habe seine Meldung zum Wort nach den Erklärungen der Minister zurückgezogen; da jedoch alle übrigen Parteien sich über die Sache geäußert hätten, halte auch er es für seine Pflicht, die Stellungnahme seiner Partei zu dem Antrag Richter darzulegen. Ueber die Zweckmäßigkeit und den künstlerischen Werth der hier besprochenen Projecte ju urtheilen, sei das Haus nicht berufen. Seine Partei könne sich jedoch der Besorgniß nicht verschließen, daß der Versuch gemacht werden könne, durch eine Lotterie die Mittel dazu aufzubringen, was sie entschieden miß⸗ billigen würde. Nach dem Edict von 1810 sei die Genehmigung der k abhängig von der Zustimmung der competenten Be—
örden, und es sei richtig, sie in den Händen der competenten Be—
hörden zu lassen. Es liege jedoch die Gefahr nahe, daß die competenten Behörden in ihrer Competenz gestört würden von nicht berufenen Leuten, die sich in die Sache hineindrängten, und daß es nachher sehr schwer werde, eine richtige Entscheidung zu treffen. Es genüge, hierauf hinzuweisen. Auch seine Partei meine, daß es ein dankenswerthes Vorgehen gewesen sei, diese Angelegenheit öffentlich zur Sprache zu bringen und hoffe, daß sie durch die Erklärungen der Minister befriedigend erledigt sei.
Abg. Richter (dfr.): Er danke den Vertretern der beiden großen Parteien, daß sie durch den Mund ihrer Redner seine Motive zu dem Antrage anerkannt und richtig gewürdigt hätten. Der Abg. Cremer habe offenbar eine ganz andere Rede von ihm erwartet und seine Rede darauf zugespitzt. Durch die Ausführungen des Abg. Cremer sei es wieder klar geworden, woher es komme, daß überall, wo er zur Unterstützung conservativer Candidaten auftrete, diese durch⸗ fielen. Daß Herr Kunze in dem Abg. Cremer einen Freund ge⸗ funden habe, sei nicht hoch zu veranschlagen, da der Abg. Cremer auch seiner Freundschaft für Ahlwardt Ausdruck gegeben, habe. (Abg. Cremer: Das ist einfach gelogen) Er habe nicht verlangt, daß der Minister des Innern Disciplinarmaßregeln gegen Herrn Kunze anwende. Die Aspirationen desselben seien von seinen eigenen Freunden verbreitet worden. Wenn Herr Kunze sich dagegen verwahrt habe, daß ihn materielle Beweggründe leiteten, so hätte er sich noch viel mehr gegen die Unterstellungen bezüglich des Ober⸗Bürgermeisterpostens verwahren sollen. Er habe von vornherein erklärt, daß er den Minister des Innern für die Lotterieprojecte nicht verantwortlich mache. Der Minister solle der Presse dankbar sein, wenn sie die öffentliche Meinung über das, was sich vorbereite, aufkläre und seine Widerstandskraft gegen das Project verstärke. Den Minister von Boetticher habe er mit keiner Silbe als einen Begünstiger oder Beförderer der auf die Westseite des Schlosses bezüglichen Projecte hingestellt. Wenn die Zeitungen eine solche Begünstigung dem Minister zugeschrieben hätten, so habe sich seine Zeitung nicht daran betheiligt. Es sei ein werth— voller Erfolg seines Antrages, daß vor der Oeffentlichkeit klar⸗ estellt worden sei, daß alle die Projecte, die über den Rahmen des rüheren Planes hinausgingen, durch die Entscheidung in der Königlichen Cabinetsordre beseitigt seien. Der Minister von Boetticher habe ihm diese auch privatim zur Kenntniß gebracht. Aber die Abgeordneten seien nicht da, um mit den Ministern hinter den Coulissen zu verhandeln. Es werde schon piel zu viel hinter den Coulissen verhandelt. Warum habe man diese Cabinetsordre nicht veröffentlicht? In demselben Augenblick würde alles Zeitungsgerede zu Ende gewesen sein. Er ziehe seinen Antrag, nachdem er seinen Zweck erfüllt habe, nunmehr zurück.
Wegen des Zwischenrufs „Das ist einfach gelogen“, den der Abg. Cremer in einer persönlichen Bemerkung gegenüber dem Abg. Richter aufrecht erhält, wird derselbe vom rr, denten zur Ordnung gerufen. ̃
Es folgt die Berathung des Antrags der Abgg. Richter und Genossen: ;
Die Staatsregierung zu ersuchen, über die Ergebnisse der Veranlagung der neuen Einkommensteuer für den Staat und für die größeren Communen baldmöglichft ausführliche Denk⸗ schriften zu veröffentlichen. .
Abg. Richter (Dfr.): Man habe behauptet, daß dieser Antrag überflüssig sei; das sei aber durchaus nicht der Fall. Allerdings sei
seine politischen Freunde seien der Meinung, daß das K urũck
rausge daß das Ministerium über die Ergebnisse der neuen ,, dem Landtag eine Denkschrift vorlegen werde; aber diejenigen Erklärungen, die bieher über die Ergebnisse, der Ein⸗ fommensteuer veröffentlicht worden seien, seien sehr dürftig. Man mũsse Erlen gn haben über die Art, wie das neue Einkommen- steuergeseß in alle Verhältnisse eindringe. Von der künftigen Denk⸗ schrift erwarte er, daß sie ausführlicher sein werde als die isherigen, und daß die Ergebnisse sowohl für die fernere Steuer⸗ reform als auch für die Jer. des Wahlrechts, die mit der Einkommensteuer in erbindung slehe, als auch ir die verschiedenen anderen Communalfragen nutzbar ge⸗ macht werden würden. Er lege großen Werth darauf, festzustellen, wie sich das Plus der neuen Einkommensteuer von 15 Millionen ʒzusammense e aus den Ergebnissen der Doppelbesteuerung der Actien r ait! der Veränderung des Tarifs und der schärferen Veranlagung. Dann wolle er auch wissen, wie sich die Einkommen⸗ steuer auf die Städte und auf das Land, vertheile und, wie weit tie Regierung von dem Recht, Steuererklärungen zu verlangen, in Bezug auf die mit weniger als 3000 46 veranlagten Steuerklassen Gebrauch gemacht habe. Auch sei es von. Werth, zu wissen, wie die Einschäͤtzungsbehörden zusammengesetzt seien. In allen diesen Be⸗ ziehungen ganz genaue Aufklärung zu erhalten, sei für die ganze Durchführung der Steuerreform von außerordentlicher Wichtigkeit. Ferner müsse man auch wünschen, über die Wirkungen der neuen e nnen stener auf das Communalsteuerwesen Kenntniß zu erhalten, um fo mehr, als hierüber noch keine Denkschrift vorhanden sei. Die Durchführung des Systems der Zuschläge zur Staatssteuer in den Fommunen habe zu einer starken Ueberlastung der mittleren und wohlhabenden Klassen geführt, sodaß aus vielen kleinen Gemeinden die wohlhabenden Leute in die großen Städte gezogen seien, wo die Zuschläge niedriger seien. Das Gesetz in seiner jetzigen Gestalt sei abfolut unhaltbar, weil dadurch eine zu große Belastung der mittleren Klassen entstehe.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Meine Herren! Der Herr Abg. Richter hat sich selbst in der Einleitung gefragt, ob diese ganzen offieiellen Anfragen wohl nöthig gewesen wären. Ich glaube nun, er wird aus meiner Erwiderung sehen, daß sie wirklich nicht nothwendig waren. Die Staatsregierung ist mit seinen Ausführungen und seinen Wünschen vollkommen ein— verstanden. Wir werden nicht bloß dem nächsten Landtag eine aus— führliche Denkschrift über die gesammten von ihm berührten ver⸗ schiedenen Seiten der Einwirkung des neuen Einkommensteuergesetzes vorlegen, sondern, wenn irgendlich thunlich, auch schon vorher dieselbe im „Staats⸗Anzeiger“ veröffentlichen. Denn, meine Herren, und die ganze Staatsregierung ist davon durchdrungen, dieses große Werk der Steuerreform in Staat und Commune kann nur durch— geführt werden mit einer durchgreifenden Zustimmung des Landes, ganz abgesehen von der nothwendigen Uebereinstimmung mit dem Landtag. Wir können daher hier keinerlei Versteckens spielen
wollen, sondern im Gegentheil, wir wollen auf die in Betracht
kommenden Fragen den Landtag und die öffentliche Meinung zeitig
vorbereiten. Aus diesem Grunde ist auch die letzte Veröffentlichung im „Staats⸗-Anzeiger“, die gewissermaßen eine Fragestellung an das Land sein sollte, hervorgegangen. Wir werden alles Material, das zur Beurtheilung dieser großen Frage erforderlich ist, selbst herbeizu⸗ schaffen suchen, es verarbeiten und der öffentlichen Meinung unterbreiten.
Meine Herren, der Herr Abg. Richter hat mit Recht gesagt, es wird keineswegs bloß darauf ankommen festzuftellen, wie die neue Einkommensteuer auf die Vertheilung der Staatslasten gewirkt hat, sondern es wird auch vor allen Dingen darauf ankommen, welche Rückwirkung sie auf die Lage der Communen und die Steuerpflichtigen in den Communen haben wird. Er selbst hat gesagt, es hätte sich herausgestellt — und ich nehme ihn in der Beziehung für die künftigen Vorlagen beim Wort —, daß in manchen Gemeinden durch die Einführung der Einkommensteuer in ihrer jetzigen Verfassung geradezu unhaltbare Zustände herbeigeführt seien. Daraus ergiebt sich eben, daß wir unmöglich ein harmonisches Werk zu stande bringen können, wenn wir nicht gleichzeitig und unzertrennlich mit dem letzten Abschluß der staatlichen Steuerreform zugleich die Communalsteuer durchgreifend regeln und theilweise auf andere Grundlagen bringen. Denn diese Unzuträglichkeiten sind wesentlich hervorgegangen haupt— sächlich aus der beklagenswerthen Thatsache, daß eine große Anzahl von Gemeinden seit längerer Zeit ihre ganze Communalsteuer basirt haben auf Zuschlägen zur Personalsteuer. Diese Zustände würden in manchen Gemeinden auch ohne die Einkommensteuerreform und die Veränderungen des Tarifs in der Staats⸗Einkommensteuer geradezu zu Katastrophen haben führen müssen, und es war auch ohne diese Neform nothwendig, hier Halt zu schaffen. Aber man konnte den Communen die Grundlage nicht gewähren, um hier durchgreifend Wandel zu schaffen, wenn wir nicht mit der Staatssteuerreform voran⸗ gingen. Die Idee, die wohl früher aufgetaucht ist, man solle mit der Com- munalsteuerreform anfangen, die ich selbst in freisinnigen Blättern gelesen habe, war natürlich gänzlich haltlos bei einem Communalsteuersystem, welches ja ausschließlich, abgesehen von wenigen Fällen indirecter Be⸗ steuerung, aus Zuschlägen zu den Staatssteuern besteht, und welches die eigentlichen Grundlagen der Communalbesteuerung, die Real⸗ objecte, dem Staat überläßt.
Diese Unzuträglichkeiten sind allerdings in den Communen durch die Depression in der staatlichen Einkommensteuer sehr erheblich ver⸗ stärkt. Es ist mir unter anderem noch vor kurzem ein Schreiben zu— gegangen von einer Gemeinde von 9000 Seelen, welche geradezu er⸗ klärt, sie sei zahlungsunfähig, sie verlange Staatshilfe, und motivirt diese Behauptung allein dadurch, daß die Depression in den unteren und mittleren Stufen so stark gewirkt habe, daß sie genöthigt sei, nun den Zuschlag zur Staats-Einkommensteuer so zu erhöhen, daß die wenigen wohlhabenden Leute gezwungen würden, die Gemeinde zu verlassen. (Sehr richtig Wenn wir den früheren Bestrebungen, die Depression in der Personalsteuet noch weiter auszudehnen, noch weiter gefolgt wären, so würde die Lage dieser Gemeinde noch viel schlimmer sein. Das beweist allerdings, daß das ausschließliche Basiren der Communalbesteuerung auf den Personalsteuern in einer Zeit, wo der Ausgabe-Etat der Gemeinden ein so gewaltig hoher geworden ist, auf die Dauer unhaltbar geworden ist, daß zwar die Ausgaben der Gemeinden dauernde und unreducirbare sind, daß aber die entsprechenden Einnahmen oft von Zufälligkeiten abhängen, und somit in immer größerem Maße der Haushalt dieser Gemeinden geradezu ins Unsichere gestellt ist.
Nun geht ja aber — wir waren, glaube ich, darüber einig in der großen Mehrheit des Landtags mit der Staatsregierung — die Auf— gabe der Steuerreform dahin, die Ueberschüsse der Einkommensteuer nach der neuen Veranlagung der Einkommensteuer ausschließlich für die weitere Reform der Staatssteuer und dadurch indirect der Com⸗
munalsteuern zu verwenden. Meine Herren, trotz der schwierigen Finanzlage hält die Staatsregierung unbedingt an diesem Satze fest. Sie hält aber auch an dem zweiten Gedanken fest, daß die Haupt⸗ aufgabe von uns dahin zu bezeichnen ist: soweit die Finanzlage es irgend gestattet, die Realsteuern den Gemeinden zu überlassen und auf die Besteuerung für den Staat in der heutigen Form der Grundsteuer, der Gewerbesteuer und der Gebkudesteuer zu ver⸗ zichten.
Die Staatsregierung ist sich consequent in ihrem Plan geblieben. Sie glaubt allerdings jetzt wohl sicher sein zu dürfen, daß die Be⸗ steuerung des Einkommens und die Reform der Einkommensteuer nicht mehr als eine bloß isolirte Maßregel der Plusmacherei für den Staat angesehen werden kann, sondern daß hier ein consequenter, auf die Besteuerung im Staat und in der Commune gerichteter, nunmehr seiner vollen Verwirklichung zuzuführender Plan vorliegt; und wir werden sehen, ob der Landtag auch seinerseits auf der Grundlage stehen bleibt, für welche, wie ich glaube, bei der Berathung dieses Einkommensteuergesetzes bereits eine durch⸗ gängige Uebereinstimmung gewonnen war. Ueber das Mehr oder Weniger, — darüber, meine Herren, ob man suchen will, mit einem großen entschiedenen Schritt das letzte Ziel zu erreichen, oder ob man genöthigt ist, Schritt für Schritt allmählich vorzugehen, nach und nach dem Ziele näher zu kommen, darüber hat die Staatsregie⸗ rung sich noch nicht schlüssig gemacht und auch noch nicht schlüssig machen können, weil eben dasjenige Material, von welchem Herr Abg. Richter gesprochen hat, der Staatsregierung noch nicht vorliegt.
Wir haben die Behörden angewiesen — das möchte ich dem Herrn Abg. Richter mittheilen — bis zum 1. Juni die ge⸗ sammte Zusammenstellung, namentlich nach den verschie⸗ denen Einkommensquellen, aus den einzelnen Veranlagungosbezirken geordnet beim Finanz⸗Ministerium einzureichen. Ich weiß aber nicht, ob die durch die Steuerveranlagung und sonstige Aufgaben im höchsten Grade überlasteten Behörden überall werden bis zum 1. Juni mit dieser Aufgabe fertig werden. Dann wird es einer Verarbeitung im Finanz⸗Ministerium bedürfen, um aus diesem Material diejenige Denkschrift herzustellen, von welcher der Herr Abg. Richter ge⸗ sprochen hat. Und es ist mir erfreulich, daß der Herr Abg. Richter selbst von einer Denkschrift spricht — d. h. von einer richtigen, den Zwecken der Aufklärung entsprechenden, ich möchte sagen, wissenschaft— lichen Ordnung der Zahlen und der nöthigen Erklärung dazu. Denn mit Worten läßt sich — nach Goethe — leicht streiten; aber mit Zahlen, meine Herren, läßt sich alles beweisen. Wir haben daher allerdings ein großes Interesse, durch eine nackte Hinstellung einer großen Masse von Zahlen nicht die öffentliche Meinung und das Publikum irre zu leiten, wir wollen auch gleich die richtigen Gesichtspunkte dazu geben. Wann nun diese Denkschrift fertig gestellt werden kann, — das werden Sie begreifen, — bin ich ganz außer stande, in diesem Augenblick zu sagen. Ich hoffe aber, daß zeitig vor dem Zusammentritt des nächsten Landtags diese Denkschrift publizirt werden kann, und also das ganze Land und namentlich der Landtag selbst in dieser Denkschrift eine gute Vor⸗ bereitung für die Berathung der Steuerreform — welche für den nächsten Landtag in der bestimmtesten Weise in Aussicht genommen ist — finden wird. ‚
Meine Herren, in dieser Sache, wie in vielen anderen Sachen ist die freie Discussion unter Benutzung des besten Materials auch für die Staatsregierung das Allerwünschenswertheste. Diese Dis⸗ cussion wird zur Klarheit und zur Wahrheit führen. (Bravo)
Abg. von Kardorff lfreicons.): Die Wirkung des neuen Einkommensteuergesetzes auf die Communalsteuer⸗Verhältnisse sei eine sehr bedenkliche; es werde eine große Auswanderung der wohl⸗ habenden Klassen aus kleineren Städten nach Berlin stattfinden. Der eh. Wasserkopf Berlin werde ja mit dieser Zunahme der wohl⸗ jabenden Bevölkerung zufrieden sein. Man werde nothwendig dazu übergehen müssen, die starken Ermäßigungen, die für die unteren Klassen eingeführt worden seien, und ebenso die starke Progression nach oben noch einmal darauf hin anzusehen, ob beide so fortbestehen könnten, wenn man nicht die eben erwähnten Consequenzen erleben wolle. Das ganze neue Einkommensteuergesetz habe eine stark socialistische Färbung, und man sehe nun, wohin man damit komme.
Abg. von Schalscha (Centr.): Die Uebereinstimmung des ganzen lande; mit der Steuerreform sei um so leichter zu erzielen, je mehr die Gefühle der Menschen bei der Einschätzung geschont würden. Zahlreiche Reclamationen ständen noch aus; sie würden in manchen Gegenden eine große Höhe erreichen. Bei der Auswahl der Commissarien solle man etwas vorsichtiger sein. Das Verfahren, besondere Beamte zur Einschätzung heranzuziehen, könne leicht ein Streberthum groß ziehen. Er müsse seinen Unwillen über einige seltsame Einschätzungen ausdrücken, die derartige commissarische Beamte borgenommen hätten. Diese Art und Weise sei nicht dazu geeignet, dem 6 mehr Freunde zu verschaffen, als es bisher habe. Es seien haarsträubende Ungerechtigkeiten vorgekommen, Declarationen von Ehrenmännern seien in mehreren Kreisen ignorirt und beanstandet worden. Er möchte dringend bitten, daß der Minister dafür Sorge trage, daß da, wo Reclamationen über ein solches Verfahren von Einschätzungs⸗Commissaren an die höhere Berufsinstanz gelangten, Instruckionen angeordnet würden, daß dem betr. tactlosen Herrn in einer Weise eine Belehrung zu theil werde, die ihm das, was ihm an angeborenem Tactgefühl fehle, ersetze durch die Art der Belehrung. Eine Brutalität geradezu sei es, ohne Angabe des Grundes in dieser Weise Declarationen zu ignoriren. Die Commissare müßten sich per⸗ sönlich mit den Steuerpflichtigen zu einer richtigen Declaration in Verbindung setzen.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Meine Herren! Wenn der Herr Vorredner die Anweisung, welche der Finanz⸗Minister erlassen hat, in Verbindung mit dem Gesetz gelesen hätte, so würde er wissen, daß allerdings das Finanz⸗ Ministerium die Vorsitzenden der Veranlagungsbehörden angewiesen hat, erst zu beanstanden, wenn die Steuererklärung nicht richtig ist, und womöglich persönliche Verhandlungen mit dem Steuerpflichtigen eintreten zu lassen, und daß dann erst, wenn die Commission bei ihrer Ansicht bleibt, daß die Declaration unzutreffend ist, die Ein⸗ schätzung eintritt. Meine Herren, ich will nicht behaupten, daß dieser Anweisung überall in vollkommen entsprechender Weise nachgekommen ist. (Sehr wahr! rechts.) Indessen ist es entschuldbar bei der ersten Einführung einer solchen neuen Steuer, wo die betreffenden Behörden derartig überlastet sind, daß sie that⸗ sächlich vielfach kaum die Zeit fanden, diese persönlichen Verhandlungen mit allen den einzelnen Einkommensteuerpflichtigen zu führen. Aber grundsätzlich halten wir daran fest; und wo in einer zu weit gehenden Weise davon abgewichen ist, gewissermaßen Masseneinschätzungen statt⸗ gefunden haben ohne Rücksprache mit denjenigen Personen, die eine Declaration einreichen, oder in ganz besonders wichtigen Fällen, wo solche Verhandlungen unter Angabe der Gründe der Beanstandungen
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mit den Betheiligten durchaus nöthig waren, haben wir auch nicht angestanden, die erforderliche Correctur sofort eintreten zu lassen.
Der Herr Vorredner hat gefordert, daß wir nicht bloß die Quali⸗ fication, die nöthigen Kenntnisse, sondern von den ernannten Commissarien auch den erforderlichen Takt fordern, das ist vollkommen zutreffend; aber das wird der Herr Vorredner aus seinen eigenen doch kleineren Verhältnissen, als ein Minister sie zu behandeln hat, auch wohl an⸗ erkennen müssen, daß man in dieser Beziehung häufig sehr wohl nicht in der Lage ist, vorher auch nach dieser Seite hin einen anzustellenden Beamten genau beurtheilen zu können. Mir sind übrigens Fälle, wo die Beamten es an Takt haben fehlen lassen, in Form von Be⸗ schwerden noch nicht zugekommen. Ich habe eine Reihe von Be⸗ schwerden bekommen über ein mangelhaftes Verfahren, und da ist die
Sache geprüft und die nöthige Correctur, soweit erforderlich, ein=
getreten; aber von versönlichen Taktwidrigkeiten in Betreff der Ver⸗ anlagungẽcommissarien ist dem Finanz⸗Ministerium noch nichts zur Kenntniß gebracht; sollten solche Fälle vorhanden sein, o wird der Herr Vorredner es wohl sẽlbst für richtiger halten, sich g dieser Be⸗ ziehung direct an den Finanz⸗Minister zu wenden und die er⸗ forderlichen Mittheilungen zu machen, als hier über ganz uncontrolirbare einzelne Fälle im Landtage eine Discussion herbeizuführen. Ich habe immer, auch in meiner früheren langjährigen Thätigkeit als Mitglied des Landtags, den Grundsatz befolgt, daß, wenn solche Personenfragen zur Verhandlung kommen sollen, man doch erst den Versuch machen soll, sich im geordneten Behördenwege Recht zu verschaffen, findet man da kein Gehör, bleibt man in dem Gefühle der Rechtsverletzung, dann mag man zu diesem äußersten Fall schreiten. Ganz uncontrollirbare einzelne Fälle hier gegen Personen, die sich nicht vertheidigen können, mitzutheilen, das kann ich doch nur als das äußerste Mittel betrachten, und ich glaube, das liegt auch selbst im Interesse des Landtags.
Abg. von Rauchhaupt (cons.): Alle Ziffern, die bis jetzt mühsam zusammengestellt worden seien, seien zu erheblichen Theilen anfechtbar, denn die Reelamationen häuften sich trotz der Declara⸗ tion auf das alleräußerste. Eine Menge Leute reclamirten fogar gegen ihre eigene Declaration! Es seien in Betreff einer richtigen Einschätzung noch unendlich viel Erfahrungen zu machen. Es würde nicht gut sein, aus den bisherigen Erfolgen schon Schlüsse ziehen zu wollen. Er bitte den Minister, die unteren Behörden nicht noch mehr mit Arbeiten zu überlasten, namentlich nicht die schwierige Aufgabe ihnen zu übertragen, Einzelangaben über das Einkommen aus, fundirtem und unfundirtem , den Listen zu machen. Fast bei jedem Censiten müsse eine besondere Rechnung aufgestellt werden. —
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Meine Herren! Ich möchte nicht, daß die Debattte dahin führte, den Behörden im Lande gewissermaßen die Meinung einzuflößen, als wenn es nicht ganz genau darauf ankäme, ob der Termin, der den Behörden behufs Einreichung der Zusammenstellung gestellt worden ist, einfach überschritten werden könnte auch ohne ganz besondere Gründe. Ich erkenne ja in vollem Maße an, daß eine Reihe von verschiedenen Umständen, die gleichzeitig zusammengetroffen sind, wozu in erster Linie die neue Veranlagung zur Einkommensteuer gehört, an die Thätigkeit der Behörden die allergrößten Anforderungen stellt; aber es liegt uns doch diesmal gerade mit Rücksicht auf die Noth⸗ wendigkeit der Fortführung der Steuerreform und auf die Noth⸗ wendigkeit, zeitig dem nächsten Landtag die erforderlichen Vorlagen zu machen, viel daran, daß die Behörden diese Zusammenstellungen, soweit nicht besondere Umstände entgegenstehen, genau zu dem ge—⸗ setzten Termine einliefern. Wir haben ja garnicht den Behörden die unmögliche Aufgabe gestellt, in den Zusammenstellungen zwischen fundirtem und nicht fundirtem Einkommen zu unterscheiden. Wenn wir diese Aufgabe gestellt hätten, so hätten wir eine Aufgabe gestellt, die das Finaͤnz⸗Ministerium selbst nicht lösen kann. Wir haben nichts weiter gefordert, als daß aus den vier verschiedenen Quellen, die in den Deelarationen enthalten sind: Handel, Gewerbe, Grund und Boden, persönliche Dienstleistung u. s. w., gesondert das Einkommen derjenigen Steuerpflichtigen uns mitgetheilt wird, welche ein Einkommen von mehr als 3000 S haben. Es handelt sich also nicht darum, daß solche schwierigen Fragen — von denen ich gerade wünschte, daß der erfahrene Herr Vorredner oder die Wissenschaft oder die öffentliche Meinung, in der Presse vertreten, uns zu Hilfe kämen, sie zu lösen —, bei dieser Gelegenheit von den Behörden gelöst werden sollen. Die Veröffentlichung im „Staats⸗Anzeiger' hatte unter anderem den Zweck, an die Wissenschaft und Praxis derjenigen Männer, die von diesen Dingen etwas ver⸗ stehen, die Frage zu richten: könnt ihr zweckmäßige Vorschläge machen, innerhalb der Einkommensteuer das fundirte vom nichtfundirten Ein⸗ kommen zu unterscheiden und danach einen Gesetzentwurf auszuarbeiten, der praktisch ausführbar ist? Ich habe mich vergeblich in der gesammten Presse umgesehen und ich habe hier⸗ über nicht ein Wort gefunden. Alle Welt will die in einer hochentwickelten Einkommensteuer die auf die Dauer un⸗ entbehrliche Unterscheidung zwischen fundirten und nichtfundirten Ein⸗— kommen. Jetzt werden mir dahin täglich in der Presse Rathschläge gegeben: was braucht der Finanz⸗Minister sich über diese Sache so viel den Kopf zu zerbrechen? er kann doch nur einfach die Leute, welche nur nichtfundirtes, reines Arbeitseinkommen, nicht vererbliches Einkommen haben, in der Steuer herabsetzen; dadurch ist die Sache erledigt. Aber die Herren bemühen sich nicht, zu zeigen: wo denn dieses nichtfundirte Einkommen beim Gewerbetreibenden ist? was ist von diesem Einkommen fundirt, und was nichtfundirt? welcher Theil dieser Einkommen der Steuerpflichtigen stirbt mit seiner persönlichen Thätig⸗ keit, welcher nicht. Bei dem Grundbesitz liegt es nicht anders; der eine Grundbesitzer wirthschaftet aus demselben Grundbesitz ganz anderes Einkommen heraus als der andere, und seine Kinder empfinden es sehr schmerzlich, wenn die Arbeitskraft, die weise Sparsamkeit, die Intelligenz, nicht mehr da sind. Das ist eben die Frage: wollen wir unsere Einkommensteuer so entwickeln, daß wir eine ver⸗ ständige und praktisch ausführbare Unterscheidung zwischen nicht- fundirtem und fundirtem Einkommen machen, so richte ich namentlich auch an den Landtag die Frage, mir zu sagen: wie ist das zu machen innerhalb der Form der Einkommensteuer? Und ich werde hoffen, daß der Herr Vorredner uns in dieser Beziehung einen anderen Weg angiebt, als eine Reihe von Staaten ihn eingeschlagen haben ganz zu demselben Zweck. Ich habe dies bei dieser Gelegenheit so offen be⸗ tont, um noch einmal die öffentliche Aufmerksamkeit hierauf zu richten; wir sind im Finanz . Ministerium noch keineswegs zu einem Abschluß gekommen, wir sind noch gegen jede Belehrung, gegen jede Anregung, gegen jeden Vorschlag, gegen jede Berücksichtigung der öffentlichen Meinung auf diesem Gebiet durchaus zugänglich, und ich