es doch für nöthig, nochmals die Behauptungen zu beweisen, daß die Führer der Saarbrũckener Arbeiterbewegung Ende 1889 zweifellos auf dem Standpunkt eines neunstũndigen Arbeitstages inclusive Ein⸗ und Ausfahrt standen. Unter dem 2. Dezember 1889 ist seite ns dieser Führer eine öffentliche Erklärung an alle Bergleute und Bürger des Saar⸗Kohlenreviers erlassen worden, ein Schriftstück, welches damals einigermaßen Aufsehen erregte. Bezüglich der Schichtdauer ist hier gesagt:
Was die Schicht dauer betrifft, so sind in dieser Hinsicht unsere Wünsche größtentheils erfüllt. Auf vielen Gruben wird mit Ein⸗ und Ausfahrt neun Stunden gearbeitet.
Es heißt dann weiter:
Kameraden und Mitbürger des ganzen Kohlenreviers! verlangen nichts Unbilliges, wir stellen keine übertriebenen For—⸗ derungen. Ein mäßiger, für das Auskommen der Familie hin⸗ reichender Lohn, eine neunstündige Schichtdauer — wenn das uns zugesagt und in die Arbeitsordnung eingetragen wird — letzteres verweigert die Behörde bis jetzt — dann Kameraden und Mit⸗ bürger ist Ruhe und Frieden hergestellt, dann wird man keinen treueren, fleißigeren, gehorsameren Knappen finden, als den an der Saar.
Das ist dem Wortlaute nach so unzweifelhaft klar, daß daran nichts zu deuteln ist. Ferner fand am 13. September des Jahres 1889 die Besprechung einer Deputation der Bergleute aus Saar⸗ brücken, Wagner, Beerwanger und Thome mit mir als Ober— Prãsidenten der Rheinprovinz statt, über die ein Protocoll auf⸗ genommen ist. Ich geftatte mir den auf die Schichtdauer bezũglichen Passus vorzulesen:
Auf Befragen bezeichneten die genannten drei Bergleute über⸗ einstimmend:
a. als ihre Forderungen:
1) die Einführung der neunstundigen Schicht gleichmäßig auf allen Gruben — einschließlich Ein⸗ und Ausfahrt.
Meine Herren, ich muß danach meine Behauptung aufrecht er⸗ halten — und wenn in einer einzelnen Versammlung vorher die Forderung eines achtstündigen Arbeitstages vorgebracht ist, so will ich die Thatsache ja nicht bestreiten; ein Gewicht ist ihr nicht beizulegen. In der verlesenen Erklärung sowohl wie in der verlesenen Ver⸗ handlung, ist zweifellos als Forderung der Bergleute der neunstündige Arbeitstag verlangt worden.
Der Artikel wird bewilligt, ebenso der Rest des Gesetzes ohne Debatte. .
Die Abgg. Hitze, Dasbach und Gen. haben folgende Resolution beantragt:
Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen:
Die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, dem Landtag thunlichst bald einen Gesetzentwurf, ber efend die Abãnderung der Beftimmungen des Titels VII des Allgemeinen Berggesetzes vom 14. Juni 1865 („Ueber die Knappschaftevereine ), speciell nach der Richtung hin vorzulegen, daß
1) die Knaxppschaftsältesten und die von diesen zu wählenden Vorftandsmitglieder aus der Mitte der Arbeiter und Berginvaliden in geheimer Wahl gewählt werden;
gegen die Entscheidung des Vorstandes, betreffend die In⸗ validisirung, ein Recurs an ein Schiedsgericht zugelassen wird, welches je zu gleichen Theilen aus gewählten Vertretern der Werks besitzer bezw. Repräsentanten und der Knappschafts mitglieder unter dem Vorsitze eines obrigkeitlichen Commissars gebildet wird;
3) den Mitgliedern die bereits erworbenen Ansprüche für den Fall des Ausscheidens aus ihrer Beschäftigung gegen Zahlung einer
ecognitionsgebühr erhalten bleiben.
Abg. Letocha (Centr.) begründet diese Resolution mit dem Hin⸗ weis, daß das Bedürfniß zu der hier gewünschten Regelung schon lãngst hervorgetreten sei.
Abg. Dr. Ritter (freicons.): Die Materie, die in dieser Re— solution berührt werde, sei eine so umfangreiche und schwierige, daß die Antragsteller selbst sich hätten sagen müssen, daß sie bereits in der ersten Lesung hätte berathen werden müssen. Diese Resolution in die dritte Leung in das Haus zu werfen, halte er nicht für zweck⸗ mäßig. Deshalb gehe er auf die Materie überhaupt nicht ein, son⸗ dern erkläre formell, daß seine Freunde und er gegen die Resolution stimmen würden.
Abg. Hitze (Centr.): Seine Partei habe bereits in der Commission beantragt, die geheime Abstimmung für die Wahl der Knappschafts— ãltesten einzuführen. Die Majoritãt habe es aber nicht für angemessen gehalten, diese Frage gelegentlich dieses Gesetzes zu regeln. Daß diese Resolution den Herren nicht gerade angenehm sei, glaube er; sie enthalte aber in keinem einzigen Punkte weitergehende Forderungen, als sie bereits in anderen Gesetzen erfüllt seien. Geheimwahl be— stehe auch nach diesem Gesetze bei den Ausschüssen. Ferner sei sie vorgesehen für die Krankenkasfen, und es sei nur consequent ge—⸗ wesen, daß sie im Reichstag auch für die Knappschaftskassen verlangt worden sei. Da habe man aber auf das preußische Berggefetz ver⸗ tröstet. Nachdem nun in der Commission der Versuch mißlungen sei, die Sache im Gesetz selbst zu regeln, sei es nur natürlich, daß seine e. wenigstens in einer Resolutien ihre Wünsche festlege. Der Recurs an ein Schiedsgericht sei bereits im Unfallpersicherungs. und im Alters und Invalidengesetz vorgesehen, und die dritte For— derung sei im Saarbrücker Rexier realisirt. .
Abg. Schmieding (ul): Auch er verstehe nicht, wie man in der dritten Lesung im letzten Augenblick eine Resolution von so eminenter Tragweite habe vorlegen können. Diese Frage erfordere ein eingehendes Studium, und niemand werde in der Lage sein, fich die Con— sequenzen dieser Resolution vollständig klar zu machen. Gerade die Räcksichtnahme auf das Haus hatte die Antragsteller bestimmen sollen. wenn sie es wirklich ernst meinten und nicht einen agitatorischen Jwech im Auge hätten, mit der Resolution jetzt nicht herworzutreten; deshalb lehnten seine Freunde aus rein formalen Gründen ein Eingehen auf die Resolution ab. Er persönlich erkläre, daß er mit der Resolution in manchen Punkten einverstanden sei. Aber er sei duichaus ein Gegner des geheimen Wahlrechts bei der Wahl der Aeltesten, wie er überbaupt ein abgesagter Feind alles Geheimen fei. Er wünsche die Einführung der Deffentlichkeit in allen unseren Staatsinstitutionen. In dem Verhaäͤltni5 zwischen Arbeitgeber und
rbeitnehmer werde die geheime Wahl nur eine Quelle des Miß⸗ trauens bilden. Heute drängten sich schon viel mehr Elemente zwischen Acbeitgeber und Arbeiter, als wünschenswerth sei, und die Ein führung der geheimen Wahl werde nur den Einfluß der Social⸗ demokraten verstãrken.
Abg. Stötzel (Centr.): Er möchte bloß wissen, wie seine Partei es mit ihrem Antrage hätte machen sollen. Sie babe doch be⸗ reits in der Cemmission den Antrag guf gebeime Abstimmung bei der Wahl der Knappschaftsältesten gestellt, dort fei man aber darüber hinweggegangen, es sei ihr also geschäftsordnun smäßig nur übrig 6 die Sache bei der dritten Lesung vorzubringen. Das habe
Wir
ie um so eher gedurft, als die Herren ja immer haupteten, sie eien in dieser Materie so sachverständig. Wie sollten sie alfo in dieser einfachen Frage, nachdem sie die Hel chin gelesen, nicht so⸗ fort ein absolutes Urtheil abgeben?! Seine Partei könne doch nicht immer vom Reichstag zum Landtag und vom Landtag wieder zum Reichstag mit dieser Sache laufen.
- von Bockelberg (cons.): Er erachte die Materie als viel zu schwierig, als daß sie bier am Schluß einer nehin schweren Verhandlung noch zur Erledigung gelangen könne. Sadut solle
aber das
aber nicht die Meinung hervorgerufen werden, als bekãmpften seine reunde alle in der Resolution enthaltenen Punkte, sie seien z. 3. ür die n n des Recurses an die Schiedsgerichte. Er wolle aber nicht auf diese Specialitãten hier näher eingehen, er sebe die — nicht für spruchreif an und bitte deshalb, die Resolution ab⸗ zulehnen.
Abg. Dr. Lieber (Cent): Die Behauptung des Abg. Schmieding, daß seine (des Redners) Freunde das Haus hier plõtzli mit der . überfallen hätten, weise er zurück. Das Haus müsse die schwierigsten Vorlagen in einer durch die Geschãfts ordnung bestimmten furzen 6 studiren, und hier handele es sich um eine Materie, die dem Abg. Schmieding wohl bekannt sein musse. Er gebe ja auch selbst zu, daß er über alle Punkte der Resolution sich ein abschließendes Urtheil gebildet habe, nur über die geheime Wahl nicht, und auch hierüber sei sein Urtheil thatsächlich fertig — er lehne eben das geheime Wahlrecht ab, weil es die Custur schädige, Deutsche Reich mit seinem geheimen Wahlrecht sei doch schließlich auch eine Culturerrungenschaft! In Bochum sei schen jetzt bei den Wahlen der Knappschaftsältesten durch Uebereinstimmung der Bergleute und , . das geheime Wahl⸗ recht eingeführt, der Abg. Schmieding, der Abgeordnete für Bochum, kenne nicht einmal die in seinem heimischen Revier herrschenden Verhältnisse! Seine Partei begnũge sich mit einer Resolution, um die Verhandlungen in dritter Lefung nicht unnũtz zu 3 aber die Sache sei schon in der zweiten Lesung ganz bekannt gewesen. Er erwarte, daß der größte Bergwerksbesitzer in Preußen auf seiner Seite stehen und die widerstrebenden Elemente mit sich fortreihßen werde; er erwarte eine dahin gehende Erklärung vom Minister umfo⸗ mehr, als in einer vom 21. Juli 1890 datirten Verfügung des Königlichen Ober. Bergamts Breslau für die Grube Luise die geheime Wahl für die Knappschaftsältesten angeordnet sei⸗
Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:
Meine Herren! Ich kann dem Herrn Vorredner nicht dahin folgen, im gegenwärtigen Augenblick die Stellungnahme der König— lichen Staatsregierung zu der gestellten Resolution zu kennzeichnen. Ich kann es nicht für richtig halten, in diesem Stadium der Ver⸗ handlungen eine bindende Erklärung abzugeben. Zunächst ist das Abgeordnetenhaus aufgefordert, einen Beschluß zu fassen, die König⸗ liche Staatsregierung um eine Gesetzes vorlage zu ersuchen. Ich werde abwarten, ob dieser Beschluß gefaßt wird, ohne daß ich damit aus⸗ drücken will, daß, wenn dieser Beschluß nicht gefaßt wird, daran die Folgerung zu knüpfen wäre, daß die Staatsregierung sich den in dieser Resolution gestellten Wünschen gegenüber durchaus ablehnend verhielte.
Abg. Meyer (oft): Die Angelegenheit sei keineswegs neu, aber wenn der Abg. Schmieding so für die Oeffentlichkeit fei. fo möge er dafür sorgen, daß auch die Preisringe und Kartelle ibre Verhand- lungen und Correspondenzen öffentlich fahrten. Das beste Mittel für den socialen Frieden sei die freiheitliche Ausbildung des Coalitions⸗ rechts und hierzu solle auch die Resolution dienen.
Abg. Hitze (Centr.): Die ganze Resolution sei zum theil formell, jum theil ihrem Inhalt nach schon lange bekannt; die bier ge⸗ stellten Forderungen seien oftmals, bei verschiedenen Gelegenheiten gestellt worden. Wenn das Haus die Resolution jetzt abkehne, so gebe es dem Verdacht Raum, daß es das geheime Wahlrecht kekampfe, und damit werde es das größte Mißtrauen bei den Arbeitern erregen.
Abg. Dr. Ham macher (nl): Ein namhafter Theil seiner Freunde erkläre sich für den Antrag. Der Abg. Schmieding habe namentlich gegen den ersten Theil desselben Einwendungen erhoben, der Abg. Lieber habe aber mit Recht darauf hingewiesen, daß jener sich im Widerspruch befinde mit den Grubenbesitzem vom Rieder— rhein, wo fast überall durch Uebereinstimmung zwischen Gruben⸗ besitzenn und Arheitern die geheime Wahl der Knappschaftsältesten 1 sei. Den zweiten und dritten Punkt erkläre der Abg. Schmieding eigentlich für zutreffend, denn sie enthielten nur die Uebertragung reichsgesetzlicher Bestimmungen auf die Verhältniffe der Bergarbeiter. Er bedaure, daß die Gefetzgebung es lange versãumt habe, in den Knappschaftskassen auf ein befriedigendes Ver⸗ hältniß zwischen Arbeitgebern und Arbeitern hinzuwirken, und leider habe. auch die socialpolitische Gesetzgebung des Reichs der Entwickelung der Knappschaftefassen entgegengewirkt. Werde eine Reform dieser Materie einmal in die Hand genommen werden, so sei ein wesentlich der Aenderung bedürftiger Punkt ihre zirthschaftliche Grundlage. Da die Leistungen der Knappschaftskassen erböbt seien, müßten naturgemäß auch die Beiträge erhöht werden, während jetzt eine solche , nur durch die Uebereinftimmung der Arbeiter und Arbeilgeber erreicht werden könne Er bitte die Regierung, auch diesen schwachen Punkt zu beseitigen.
Abg. Schmieding (nl): Er stimme gegen die Resolution nur aus formalen Gründen. Dem Abg. Lieber, der das Deutsche Reich für eine Errungenschaft des geheimen Wahlrechts anseke ¶Widerspruch), erwidere er, daß das Deutsche Reich, fobiel ibm be⸗ kannt, dem Erfolge der Waffen des deutschen Volfes unter Führung seines Kaisers seine Entstehung verdanke. f . Die Nummer 1 der Resolution wird darauf in nament— licher Abstimmung mit 147 gegen 125 Stimmen an genom⸗ men. Für dieselbe stimmen das Centrum, die Freisinnigen, die Polen und von den Nationalliberalen mit dem Abg. HDammacher die Abgg. Bartmer, Dürre, von Eynern, Fegter, Francke⸗Tondern, Friedberg, Grimm⸗Wiesbaden, vom Peede, Holtermann, Knauer, Krause, Ludowieg, Meyer⸗Heiligenloh, Rimpau, Sander, Sattler, Schaffner, Seyffardt⸗Magdeburg, Wallbrecht und Weber⸗Halberstadt; ferner die Abg. CTremer⸗ Teltow und Bork.
Der übrige Theil der Resolution wird gleichfalls an— genommen. .
Die zum Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen werden durch die Beschlüsse des Hauses für erledigt erklärt.
Es folgt die dritte Berathung des Gesetzentwurfs über die Erweiterüng, Vervollstän digung und bessere Aus⸗ rüstung des Staats⸗-Sisenbahnnetzes.
Eine Generaldebatte wird nicht beliebt. Beim S 1 bemerkt Abg. Knebel (nl). Im Interesse der Fortentwickelung der Stadt Köln und des Verkehrs sei es dringend wünschenswerth, daß der Umbau des Bahnhofs und der Geleifeanlagen etwas beschleunigt werde. Die Umbauarbeiten böten ein großes Sinderniß, und es en- spreche einem dringenden Bedürmniß, daß die dort bestehenden Ueber- gangsverhãltnisse nun bald endgültig geregelt wurden.
Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:
Meine Herren! Ich kann nur bestätigen, daß die Schmerzen, die der Herr Abg. Knebel vorgetragen hat, in Wirklichkeit vorhanden sind. Es sind das aber Schmerzen, die mit einer derartigen Uebergangs⸗ periode, wie sie sich augenblicklich in Köln vollzieht, unvermeidlich verbunden sind. Auch die Eisenbahnverwaltung hat das drin⸗ gendste Interesse, diese Uebergangẽveriode thunlichst abzukũrzen, und ich freue mich, von Herrn Knebel zu hören, daß in der Stadt Köln anerkannt wird, wie die Eisenbahnverwaltung hierzu das ihrige nach besten Kräften thut. Es ist zu hoffen, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen einzelne der seitherigen Geleis- verbindungen, die für den stãdtischen Verkehr sich als besonders störend erweisen, in kürzerer Zeit beseitigt werden kãõnnen. Wann der letzte Rest sich wird beseitigen lassen, läßt sich zur Zeit noch nicht
übersehen; aber das alles geschehen wird, um diese Periode thunlicht abzyukũrzen, davon, meine Herren, kõnnen Sie sich überzeugt Ludowieg (nl); Mit großer Freude habe seine Parte die . der Regierung begrüßt, die unkerelbische Eisen bahn mi einem zweiten Geleise auszustatten. Aber es scheine doch, al! nnn man dort in einem gar zu langsamen Tempo vorgehe. Jahre solle nur die Strecke Harburg Buxtehude in Angriff nommen werden, das sei nur der fünfte il der ganzen Str Danach werde ein Zeitraum von mindestens fechs Fahren verstrei bis die ganze Linie mit einem zweiten Geleise verfeben fein werde Harburg sei für die Reisenden der Hamburger Packet fahrtge el cha von und nach Amerika gewissermaßen ein Entrée, man solle daher dafür sorgen, daß die Amerikaner beim Eintritt in das deut ck Vaterland einen guten Eindruck von unserem Staatseisenbahn frsten bekämen. Zudem habe die Bahn den Fharakter einer Localbakn schon verloren, indem sie jetzt auch nach Bremerhaven verlan * sei. Außerdem werde die Bahn für den Perfonen⸗ und Huter. eine höhere Bedeutung erhalten, sohald der bereits in Angris ge⸗ nommene Umbau des Harburger Staatsbahnhofs vollendet sein werde; dann würden die Schnellzüge von Hannover refp. Bein nach Hamburg mehr über Harburg geleitet werden, um den Verkehr zwischen Curhaven und Hamburg zu erleichtern. Diese Punkte lieren es nothwendig erscheinen, die Bahn für den großen Verkehr, den sie dann zu bewältigen habe, so bald wie möglich auszurüsten. ;
Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:
Meine Herren! Ich brauche wohl nicht die Gründe hier weiter auseinanderzusetzen, welche die Veranlassung gewesen sind, daß nicht sofort das zweite Geleis in der ganzen Ausdehnung von Samburg nach Curhaven gebaut worden ist. Zunächst ist diejenige Strecke in Angriff genommen, welche sich als die dringendste herausgestellt hat, ven Sarburg nach Buxtehude und damit verbunden die Erweiterung des Bahn⸗ hofs Buxtehude, welche durchaus nothwendig ist für den vermehrten Verkehr und namentlich wegen der vielfachen industriellen Anlagen, die sich um den Bahnhof angesiedelt haben. Wenn der Herr Abg. Ludowieg hervor. gehoben hat, daß die Linie Marburg — Cuxhaven aus einer stillen Nebenbahn allmählich zu einem Gliede der großen trantatlantischen Route geworden ist, so ist das in gewissem Sinne richtig. Meine Herren, es geschieht von Seiten der Eisenbahnverwaltung alles, um den Amerikanern, die herüberkommen bezw. von Hamburg nach Amerika gehen, ein möglichst güänstiges Bild von der preußischen Eisenbahnverwaltung zu geben; sie werden in Schnellzügen, in gut ausgestatteten Wage von Hamburg bis Curhaven gefahren, und damit das mõglichst schnell ge⸗ schieht, sind — was der Herr Abg. Ludowieg wahrscheinlich nicht weiß — auch zwischen Buxtehude und Cuxhaven einzelne Kreuzungsstationen angelegt. Es ist beabsichtigt, das zweite Geleis bis dahin fertig zu stellen, daß der Hafen in Cuxhaven seitens der Samburger Regierung ausgebaut ist. Anzuerkennen ist, daß von diesem Moment an sowohl der Güter als Personenverkehr wachsen werden, und ich hoffe, dap unsere finanziellen Verhältnisse es gestatten werden, dieser Absicht nachzukommen.
Die Vorlage wird darauf im einzelnen und schließlich im ganzen unverändert angenommen.
Ohne Debatte genehmigt das Haus in dritter Lesung den Gesetzentwurf wegen Regulirung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse in Neu vorpommern und Rügen (Antrag Drawe und Gen.).
Es folgt die zweite Berathung des Gesetzentwurfs über die Aufhebung von Stolge bühren 57 Tau fen, Trauungen und kirchliche Aufgebote in der evan— gelischen Landeskirche der älteren Provinzen der Mongrchie, und des Gesetzentwurfs über die ö.. von Stolgebühren für Taufen und Trauungen in der evangelisch⸗lutherischen Kirche der Pro vinz Schles wig⸗Holstein.
Die Commission beantragt die unveränderte Genehmigun der Vorlage und schlägt außerdem folgende Resolution vor:
Bei Annahme der verstehenden Gesetzentwürfe wird die Er— wartung ausgesprochen, daß die Staatsregierung entfprechende
Gesetzentwürfe über die Ablösung der Stolgebähren für die übrigen ewangelischen Landeskirchen der Monarchie und für die fatholiscke Kirche vorlegen wird, sohald darüber die erforderliche Verständigung mit den zuständigen Kirchenorganen erzielt ist.“
Abg. Dr. Sangerhans sofr.): Der Finanz-Minister habe noch vor einigen Tagen geäußert, daß wir uns einer außerordentlichen Sxar— samkeit befleißigen müßten, und habe das Haus aufgefordert, Er⸗ sparungsvorschläge zu machen. Hier liege ein ganz prãciser Vorschlag vor. Man möge die 143 Millionen sparen, die zur Aufhebung der Stolgebühren jährlich gefordert würden. Das vom Finanz Min ister für das laufende Jahr auf 24 Millionen bezifferte Descit werde sich wahrscheinlich auf 49 Millionen steigern. Darum Fabe feine Partei bei Berathung des Eifenbahn-Etats auf die nothwendige Reform der Personen- und Gütertarife verzichtet, weil folche Refermen doch immer Mehrausgaben bedängen. Durchaus nicht in allen evangelischen Kreisen werde die Aufhebung der Stolgebühren gewüũnscht, und die katho⸗ lische Kirche habe in dieser Beziehung gar nicht gedrãngt. Den Haupt⸗ grund für das Gesetz, daß man dadurch eine größere Anhänglichkeit der ärmeren Leute an die Kirche erreiche, halte er nicht für richtig. Wenn er richtig wäre, würde er nur für die großen Städte zutreffen. In Berlin habe man übrigens die Stolgebüͤhren aufgehoben, ohne da der Staat etwas dazu gegeben habe. Wenn in Gemeinden im Dsten unseres Vaterlandes die Stolgebühren so außerordentlich hoch felen, 12 bis 16 4 für die einfachste irchliche Handlung, so seien im Etat der Kirche genug Mittel gewährt, um in solchen Fällen einzuschrerten. Auch das könne seine Partei nicht bestimmen, eine dauernde Ausgabe von 13 Millionen in den Etat einzufügen. Früher habe das Sans eine andere Stellung gegenüber dieser Frage eingenommen. Der Umschwung sei daher gekommen, daß nach Räckgabe der Sxerrgelder an die katholische Kirche aus evangelischen Kreisen viele Stimmen des Unwillens laut geworden seien, die gesagt hatten: Was, Ihr schenkt der latholischen Kirche 16 Millionen und uns Fergeßt Ihr anz?!“ Daraus sei dann die Meinung entstanden, daß die Kirche nur durch Aufhebung der Stolgebähren zu retten sei. und da erst habe die General⸗Synode beschlossen, dieses Gesetz zu machen. Die Prediger hätten allerdings durch das Fivilstandsgesetz Einbuße erlltten. Aber mit Ausnahme der Srund— steuerentschädigung und der Entschädigung für die Reichsunmittelbaren sei & nie üblich gewesen, Entschädigungen an solche zu zahlen, die durch ein Geseßz geschädigt worden seien' Abgesehen davon, habe man in den Etat . illionen mr Erhohung der Gehälter der Geiftlichen eingestellt. Das Interesse der Leute an der Kirche werke gerade dadurch geschädigt, daß man ihnen alles so bequem mache. Wem seine Kirche und seine Religion nicht so viel werth sei, daß er iht Opfer bringe, dem sei sie überhaupt wenig werth. Trog aller Ab- neigung gegen Doppelbesteuerung habe man der . gestattet,
Wozu wolle man jetzt noch eine Entschädigung.
Steuern zu erheben. die durch allgemeine Steuern aufgebracht werde, zu denen auch die Angehörigen anderer Kirchengemeinschaften beitragen mũßten? Gs würde gerechter sein, den Kirchen allein die Besteuerung ibrer Mit⸗ glieder zu ũberlassen. .
Abg. Simon von Zastrow (cons): In Berlin bestehe die Ablösung der Stolgebähren, wie sie für das ganze Land angestrebt werde, bereits seit mehreren Jahren, und sie habe den erhofflen Er⸗ folg in vollem Maße gehabt. Berlin babe diefen Zustand durch eigene Anstrengung erreicht. Was aber einer Stadt wie Berlin leicht fei, werde den armen Gemeinden, namentlich in der Diaspoera, sehr
scwer. Die Rerren Len der Winken hätten sich damals gegen Lie Auf= bebung der Stolgebühren in Berlin gesträubt und stimmten in Ceon⸗ en dieses we mn, auch en das vorliegende Gesetz. Der i. müsse sie aber eines eren belehren; denn die Zahl der Taufen sei in Berlin von 65 auf S6 os gestiegen, die Zabl der kirch⸗ ichen Trauungen von 24 auf 64 üse. In jeßiger Zeit sei es ganz be= onder? wichtig, daß die ãärmeren Leute die Zugehörigkeit zu den beiden tfirchen aufrecht erhielten. Für den armen Mann sei die 8. eine so hohe, daß er sich beim Hinzutreten anderer Gründe, bei der allgemeinen Gleichgültigkeit von der Kirche fernhalte. Das Babren des finanziellen. Interesses sollte der Abg. Langerhans wirklich dem sparsamen Finanz⸗Minister überlassen. Die Geistlichen erhielten aus der Entschädigungesumme keinen Pfennig; den armen Kirchengemeinden werde dieser Juschuß gegeben. Die Geistlichen, die uber 6000 M Einkommen bejsgen, erhielten garkeine Entschädi⸗ ng. Ihm würde es viel lieber sein, wenn jede Kirchengemeinschaft == fich allein im stande sei. diese Entschädigung zu leisten, aber das sel nicht der Fall. Die Mitglieder der katholischen Kirche hätten kein Interesse an dem Gesetz; um so anerkennenswerther fei es von diesen en, daß sie dennoch für dasselbe stimmten. ür ihn sei es schmerzlich, daß die eigenen Confessionsgenossen Fiefe Entschãdigung verweigerten, während die Herren vom Centrum sie gewãhrten. . K .
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse:
Meine Herren! Im allgemeinen glaube ich, daß die Bedenken des Herrn Abg. Dr. Langerhans, die ich ja von seinem Standpunkte aus wohl verstehen kann, zutreffend widerlegt sind von dem Herrn Vorredner, dem ich dafür sehr dankbar bin. Ich bitte nur um die Erlaubniß, mit zwei Worten noch auf einige Punkte zurückkommen und die Ausführungen des Herrn Vorredners ergänzen zu dürfen.
Zunächst glaube ich nicht, daß der Herr Abg. Dr. Langerhans die finanzielle Wirkung des Gesetzes unter dem richtigen Gesichtspunkte angesehen hat. Die Vorlage ist in der That nichts Anderes, nach meiner Meinung und Ueberzeugung, als ein Eintreten des Staats zu Gunsten der kleinen Leute, und zwar gerade der kleinen Leute, die den beiden anerkannten christlichen Kirchen angehören und die keine Steuer⸗ kraft haben. Und für diese sollen diejenigen, die die Zuschlãge zur Einkommen⸗ steuer zu zahlen haben, soll also der Staat eintreten.
Auch über die Entstehung dieser Vorlage sind die Annahmen des Herrn Abg. Dr. Langerhans nicht ganz zutreffend. Sie ist nicht erst so kurzen Datums, wie er angenommen hat, sondern jede General⸗ synode hat bisher Anträge im Sinne dieser Vorlage angenommen; und ich darf mir vielleicht gestatten, auch noch daran zu erinnern, daß die Vorlage im gewissen Sinne die Erfüllung eines Vermächtnisses unseres Hochseligen Kaisers Wilhelm's L. ist, der vom Erlaß des Givilstandsgesetzes an es als eine dringende Pflicht des Staats empfunden und im Auge behalten hat, daß in der Weise, wie es; hier die Vorlage versucht, geholfen werde. Auch nach dieser Seite hin, glaube ich in der That, daß wir eine Art von Pietãt zu üben haben, um im Sinne der ausgleichenden Gerechtigkeit durch die Vorlage zu wirken. Ich kann daher dem hohen Hause nur die Annahme der Vorlage empfehlen.
Abg. von Eynern (ul.): Die erste und zweite General⸗Spnode habe sich ausdrũcklich dafũr ausgesprochen, daß keine allgemeine landes⸗ 2 — e 2 ) . 5 h 6 1 6 r — . gesetzliche Regelung dieser Materie stattfinden solle. Die dritte General Synode habe dann einen anderen Standpunkt eingenommen und diese Gesetzesvorlage gemacht. Der größte Theil seiner politischen Freunde werde für die Vorlage stimmen, obwohl sie hinsichtlich einzelner Bestimmungen Bedenken hätten. Er für seine Person werde egen die Vorlage stimmen. Auch er möchte als Volksvertreter den inanz-Minister in den Summen, die er für bestimmte Zwecke jur Verfügung hahe, controliren können, und er finde, daß der Be⸗ ag von 14 Millionen für diesen Zweck die Summe überschreite, die für nothwendig gehalten worden sei, als man die Re—⸗ gierung aufgefordert habe, die Regelung der Stolgebühren in die Hand ju nehmen. Nach 1885 habe das Staats Ministerium den Beschluß gefaßt, daß es unthunlich sei, nach der damaligen Forderung des Qber⸗Kirchenraths 750 000 4 in den Etat für diesen Zweck einzustellen. Heute fordere man das Doppelte obwohl die Finanzlage des Staats nach dem Zeugniß des Finanz-Ministers sich berschlechtert habe. Er befürchte auch, daß es ei dieser Forderung nicht bleiben werde. Die General-⸗Synode habe resolpirt, daß es ebenso nothwendig sei, auch die Stolgebühren für geichenbegängnifse abzulssen, und si, babe überhaupt gegen den Landtag eine seltsam feindselige Stellung eingengmmen. Der General ⸗Superintendent Dr. Schule habe an jene Resolution ge wissermaßen die Drohung geknüpft, die evangelische Kirche lasse sich nicht in die Bande eines parlamentarischen Mitregiments schlagen. Aehnlich hätten sich die Synodalen Stöger und von Kleist · Retzow eäußert, während doch sämmtliche Parteien seit Jahrzehnten müht seien, der evangelischen Kirche gerecht zu werden. Ein anderer Grund, der ihn veranlasse, dieser Vorlage skeyptisch gegen⸗ äberzustehen, sei der VertheilungsZsmodus der 17 Millionen. Es beiße im Gesetz, daß diejenigen Gemeinden, die mehr als 40so Kirchensteuerzuschlãge zur Einkommen und Klassensteuer zahlten, berücksichtigt werden sollten. Danach erhalte die Seimathyrovinʒ de Herrn ven Kleist⸗Retzow, der sich am lebhaftesten für die Ab⸗ löfung interessirt habe, won den 14 Millionen * 496 , die Rhein⸗ probin; dagegen nur 16 009 44 Das könne seine Heimath sich nicht so ruhig gefallen lassen. Dort seien schon früher in einzelnen Ge— meinden die Stelgebühren aufgehoben worden. Dadurch seien die Kirchensteuern außerordentlich hoch gestiegen. Nun meine er, wenn man diese 11 Millionen nicht bloß als Ablösungsgebühr ansehen dürfe, sondern auch als Zuschüsse an arme Gemeinden, dann dürfe man die Rheinprovinz und Westfalen nicht schlechter behandeln als die östlichen Provinzen. Nach dem vorliegenden Vertheilungsmaßstabe zber würden das Tcheinland und Weftfalen gewiffermaßen dafür ge— straft, daß sie das Gute schon fruher gethan hätten als andere Pro⸗ pinien. Hätte dieses Gesetz einer Commission vorgelegen, so würde sicher ein besserer Verthei ungsmaßstab für den Westen durchgesetzt
worden sein.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Meine Herren! Der Herr Abg. von Eynern war einer der eifrigsten Förderer und Vertreter desjenigen Beschlusses, auf Grund dessen das fragliche Gesetz vorgelegt ist. (Hört, hört! rechts) In der Sitzung dom 6. Juni 1890 hat er eine lange, ausführliche Rede über die Sache gehalten, und er hat namentlich das Staats-Ministerium dazu aufgefordert, ja nur nicht mit dieser Sache zu zögern, vor allen Dingen nicht, wenn auch die Stolgebühren in der katholischen Kirche zur Ablösung kommen sollten, die vorab zu bewirkende Ablẽsung der Stolgebühren in der evangelischen Kirche mit Rücksicht auf die katholische Kirche hintanzustellen. Ich hätte daher von diesem seinem Standpunkte, den er anscheinend noch im wesentlichen bei⸗ behalten will, indem er sagt: im Princip bin ich noch für die Ab— lõfung, gewünscht, daß er nicht einfach coneludirt hãtte: dies Gesetz, so wie es vorliegt, gefällt mir nicht, folglich stimme ich gegen die Ab⸗ lõsung der Stolgebühren, sondern daß er die erforderlichen Amende⸗ ments zur Beseitigung der Mängel eingebracht hätte, welche er be— zeichnet; aber die Gründe, die er nun anführt, gehen viel weiter; sie keꝛiehen sich nicht auf einzelne Mängel, wenigstens nicht im wesentlichen, sondern er vlaidirt gegen die Ablösung
Stolgebühren überhaupt, indem er sagt: wie können
wir solche Summen hier bewilligen, während ja schon von gewisser Seite so erhebliche neue Forderungen seitens der Kirche gegen den Staat angekũndigt sind? Das ist ein Grund, der nicht gegen eine ein⸗ zelne Beftimmung des Gesetzes gerichtet ist, sondern das Gesetz selbst angreift. ..
Meine Herren, nun ist diese Gefahr aber doch nicht vorhanden; in der officiellen Motivirung des Kirchengesetzes, um dessen Ausfũhrung es sich hier handelt, wird zwar anerkannt, daß auch noch andere Stol⸗ gebũhren in der evangelischen Kirche erhoben werden, deren Beseitigung wünschenswerth sei, aber ausdrücklich erklãrt, das mõge man lediglich der provinzialkirchlichen Regelung vorbehalten, und es ist damit also jeder Anspruch auf Zuschüsse des Staats für diese Zwecke auch seitens der · Kirche abgelehnt worden. Es kommt aber auch hinzu, daß in der Staats regierung die Absicht, weitergehende Zuwendungen für den hier in Rede stehenden Zweck auf Grund der Resolution des Landtags für die Kirche auszuwerfen, durchaus nicht besteht. Es könnte also in dieser Beziehung der Herr Abgeordnete sich wohl beruhigen.
Nun ist aber der Hauptgrund seiner Abneigung gegen das G in der vorliegenden Fassung wohl allerdings die Rücksicht auf seine Heimathsprovinz. Er beklagte es, daß die Rheinprovinz zu schlecht bei der Sache wegkãme, daß die Hauptvortheile den östlichen Pro⸗ vinzen zufielen. Meine Herren, in dem vorliegenden Gesetzentwurf ist ein Vertheilungsmodus auf die einzelnen Provinzen gar nicht handen. Wenn die eine oder die andere Gemeinde, oder eine oder die andere Provinz thatsächlich mehr bekommt diesen 11 Millionen, so geht das daraus hervor, daß dort das? dürfniß größer ist. Wenn Herr von Eynern sich darüber beklagt, am Rhein die Stolgebühren schon jetzt abgelöst seien, und nun die⸗ jenigen Gemeinden, welche diese Gebühren abgelsst haben, nichts be⸗ kommen, so ist diese Stolgebührenablõsung auf dem linken Rheinufer schon in der französischen Zeit durchgeführt worden, und man kann doch darauf nicht mehr zurückkommen. Solche Fälle kommen in den anderen Provinzen auch vor, wo die Gemeinden in keiner Weise von diesen Zuwendungen Vortheil haben. Es sollen ja nur diejenigen Gemeinden, welche behufs Ablösung der Stolgebühren mehr als 40 Steuern aufzubringen haben, eine Unterstützung erhalten. Natur⸗ gemäß trifft das gerade bei wenigen bemittelten Gemeinden, die schwach dotirte Plhrren haben, die sehr wenig Einkommen aus eigenem Vermögen besitzen, die den größten Theil bisher aus Stolgebühren haben aufbringen müssen, am stãrksten zu, und das ist gerade vom Standpunkte des Staats das richtige. Wenn der Staat solche Zuwendungen machen will, so muß er sie da machen, wo das dringendste Bedürfniß und die geringste Möglichkeit ist, sich selbst zu helfen. Das ist überhaurt die ganze Bedeutung des Gesetzes, wie der Herr Cultus⸗Minister schon im wesentlichen erschöpfend dargestellt hat, daß, nicht bloß wenn man die Provinzen vergleicht, sondern auch die einzelnen Gemeinden, denen diese Zuwendungen zu gute kommen, ja die einzelnen Personen in diesen Gemeinden, gerade die unbemitteltsten hier vorzugsweise ent⸗ lastet werden. Ich glaube daher, die Bedenken mögen ja thatsächlich richtig sein, daß die Rheinprovinz verhältnißmäßig nach der Ein⸗ wohnerzahl weniger bekommt, als die übrigen Provinzen. Das wird aber bei vielen Gesetzen stattfinden. In der Weise kann man die Stellung des Staats nicht auffassen, daß man alle Zuwendungen des Staats nach der Kopfjahl ohne Rücksicht auf das vorhandene Bedürfniß vertheilt.
Ich möchte daher das Haus bitten, sich durch diese Beden nicht abhalten zu lassen, das Gesetz, dem eigenen Beschluß des hohen Hauses entsprechend, zur Annahme zu bringen.
Abg. Dr. Lieber (Centr): Seine Partei stimme einhellig für die Vorlage (Beifall rechts, ohne auf die finanziellen und innerkirchlichen Fragen näher einzugehen. Das ordnungsmäßige Zu⸗ standekommen der Kirchengesetze genüge ihr vollkommen. Daß die katholische Kirche nicht gleichzeitig berücksichtigt werden könne, darüber sehe sie hinweg, weil sie sich überzeugt habe, daß das jetzt nicht möglich sei und weil sie die berechtigte Forderung der evan⸗ gelischen Kirche nicht unerfüllt lassen wolle. Sie nehme an, daß, wenn eine Vereinbarung mit den Bischöfen über die Ablösung der Stolgebühren nicht zu stande komme, der Staat der Kirche ein anderes Aequivalent bieten werde.
Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr.? Meine Herren! Ich kann namens der Königlichen c regierung die Erklärung abgeben, die mein Herr Commissarius bereits in der Commission abgegeben hat, daß die Resolution, soweit es sich um die Ablösung der Stolgebühren auch in der katholischen Kirche handelt, den Absichten der Königlichen Staatsregierung entspricht und daß demgemäß die Absicht besteht, sobald die Verstãndigung mit den Kirchenbehörden eingetreten sein wird, auch eine entsprechende Vor—⸗
lage bezüglich der katholischen Kirche zu machen. (Bravo!)
Ein Vertagungsantrag wird abgelehnt.
Abg. von Benda (nl): Die Staatsregierung sei seit dem Jahre 1888 schon mit diesem Gegenstand beschäftigk, aber seiner Erledigung hätten viele, namentlich finanzielle Widerstände im Wege gestanden. Als Mitglied der Generalsvnode könne er bestätigen, daß diese womöglich noch weiter gehende Wünsche in Bezug auf Ablösung der Stolgebühren ausgesprochen habe, und so bitte er das Haus, der Vorlage zuzustimmen.
Abg. von Eynern (ul); Dieser Wunsch des Abg. von Benda werde ja voraussichtlich in Erfüllung gehen; aber wenn er (Redner) für eine Vorlage zum Zwecke einer Ablösung eingetreten sei, so brauche er doch diese Vorlage darum nicht zu unterstützen. Er freue sich über die Ausführungen des Ministers, wonach durch diese Vorlage die Resolution, soweit sie die evangelische Kirche anlange, als erfüllt anzusehen sei, und daß keine weiteren Geldforderungen hierfür an das Haus gestellt werden sollten, wenn auch die General⸗ spnode in einer Resolution, im Anschluß an eine längere Rede des HVerrn von Kleist⸗Retzow, weit erheblichere Anforderungen an den Staatssãckel gestellt habe.
Finanz Minister Dr. Miquel:
Meine Herren! Ich kann doch den Schluß der Debatte nicht ein⸗ treten lassen, bevor ich ein dem Herrn Abg. von Eynern unter⸗ gelaufenes völliges Mißverstãndniß aufgeklãrt habe. Die Aeußerungen, welche in der Generalsynode gefallen sein sollen, nämentlich diejeni⸗ gen Aeußerungen, welche der Herr Abg. von Eynern vorgelesen hat, fielen nach meiner Kenntniß lediglich in der Debatte über die größere Selbständigkeit der evangelischen Kirche und hatte mit einer Geld⸗ forderung der Kirche an den Staat auch nicht den geringsten Zu⸗ sammenhang. (Hört! hört) Damit fällt also diese Seite der Sache völlig weg. Aber zweitens, in der allerdings von der General⸗ synode angenommenen Resolution, in welcher die Nothwendigkeit oder die ¶ Zweckmãßigkeit ausgesprochen wird, auch andere Stolgebühren, namentlich die Beerdigungsgebühren und die Beichtgebühren, aufzuheben, ist von einer Mitwirkung des Staats bei dieser Thätigkeit der Kirche nicht die Rede auch, soweit ich mich
erinnere, nicht einmal von irgend einem Redner in der Diskussion auẽgesprochen worden. Man kann sogar das Gegentheil ersehen, weil die Generalspynode ausdrũcklich in dieser Beziehung eine provinzielle Regelung fordert. Es wäre aber auch, wie ich garnicht anstehe zu sagen, wohl nicht die Aufgabe des Staates, eine Mitwirkung ein⸗ treten zu lassen bei der Ablösung der bezeichneten Stolgebühren. Bei den Taufen, Trauungen und Aufgeboten war ein Zusammenhang mit der staatlichen Gesetzgebung festzustellen, bei den übrigen kirchlichen Gebühren nicht; da muß sich die Kirche selbst helfen, wie ich über⸗ haupt der Meinung bin, daß soweit es irgend möglich ist, die Kirche auf ihre eigenen Füße sich stellen muß auch in diesen finanziellen Fragen.
Darnach wird die Debatte geschlossen, beide Vorlagen und die Resolution werden genehmigt. .
Ohne Debatte erledigt das Haus darauf noch in zweiter Berathung den Gesetzentwurf über die , einer Staatsrente für Stolgebührenentschäbigungen in der evangelisch-lutherischen Kirche der Provinz Hannover.
Schluß nach / Uhr.
Statistik und Volkswirthschaft.
J ;
Die Landwirthschaftliche Berufegenossenschaft Ober— elsaß hat ihren Geschäfts⸗ und Verwaltungsbericht für 1891 ver⸗ öffentlicht. Es ergiebt sich daraus, daß im Laufe des fälle angemeldet wurden, gegen sich somit fast verdoppelt. Die nahme wie der Bericht bemerkt,
des
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12 als
Mied⸗
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erfahrens b. bei Todes allen: Wittwen Getödteter 1100 70 1466. 85 6, Renten an Ascendenten S305 M, e. bei Unterbringung im Krankenhaus: Renten an Kinder im Krankenhaus untergebrachter Verletzten 66,65 6. pflegungskosten an Krankenhäuser 102595 0 — Die Zah iedsgericht eingegangenen Berufungen hat Vorjahren bedeutend erhöht; im Jahre 1890. Hierzu kommen noch ö 1899 als unerledigt übernommen worden ieser Fälle sind während des Jahres zur Erledigung gel ngt, so 5 am Schluß desselben sich fünf derselben noch in der Schwebe befanden. In neun Fällen ist der Recurs an das Reichs⸗Versicherungsamt ein⸗ gelegt worden, und zwar in acht Fällen seitens des Vorstandes. Die Verwaltungs kosten der Gen sich auf 22 404 4, um 7915 MÆ höher als 1890. Für das J 189 echnet sich die Summe, welche im Jahre 1892 durch die Umlage zu erheben ist, auf rund 36 858 S6, nämlich: Unfallentschãdigungen 45 628 56 6, Ver⸗ waltungskosten 22 40427 16, Ausgabe⸗Ueberschuß aus 1890 3893321 , Ausfälle der Umlagebeiträge pro 1590 47,75 , an die Gemeinden zu erstattende Portoauslagen für Einsendung der ᷣ ing der Heberollen ca. 240 6, 4 G ige
21 3
die Einziehung
Beitrãge 2 lbzug zu 1691 mit 6 Der
Durch die sse wird sich die Za 50 oo, von PB 479, die ungefähr 73 000,
* an er 1 in Summa 71 9 S; hiervon sind
bringen die Einnahmen des Beitra ascosffizient hat sich pro 1000 ½ Arbeitslöhne auf Revision der Unternehmer⸗Verz sicherten Betriebe um mindestens Genossenschaftskataster Ende 1890 aufwies, auf
Re rn nem
mit um etwa 25 0090 Betriebe erhöhen.
Zur Arbeiterbewegung.
Auf dem internationalen Metallarbeiter-Congreß, der in Brüssel im August 1891 stattfand, war zwischen den Abge⸗ sandten die Solidarität der Corporationen in allen Ländern vereinbart worden. Auf Grund dieses Uebereinkommens hat der Secretãr der Nationalen Vereinigung der Metall⸗ arbeiter Belgiens an den Vertrauensmann der deutschen Metallarbeiter Segitz die Mittheilung ge⸗ langen lassen. daß die belgischen Arbeiter, wenn das allgemeine Stimmrecht (bei den politischen Wahlen) nicht bewilligt werde, entschlossen seien, den allgemeinen Ausstand zu proclamiren. Der belgische Secretär fragt nun, wie wir einer Nürnberger Correspondenz der Berliner „Volksztg. entnehmen, bei dem deutschen Vertzauensmann an, ob er im Falle des allgemeinen Strikes auf finanzielle Unter— stütung rechnen könne. Ueber die ungünstige Antwort des deutschen Vertrauensmanns Segitz theilt die „Volksztg.“ Folgendes mit: . z . .
Der Vertrauensmann erklärt dem belgischen Collegen, daß die Arbeitslosigkeit in der Metallindustrie eine große sei; in Berlin allein seien 19 009 Metallarbeiter arbeitslos und in Hamburg, Leipzig, Chemnitz, Frankfurt am Main, Dresden, München, Nürnberg und der Rheinprovinz stehe es nicht viel besser. Alles, was unter solchen Umständen aufgebracht werde, gehe drauf für Unter⸗ stũtzungen Arbeitsloser und Gemaßregelter, für Prozejỹkosten und kleinere Strikes. Eine bedeutende Unterstützungsumme werde deshalb Deutschland nicht aufbringen. In Deutsch⸗ land, so äußerte Herr Segitz ferner, sei die Idee eines Generalstrikes unpopulär und imndurchführhar Die beschäftigungslosen hungernden Arbeiter würden nicht einen Augenblick zögern, die Strikenden zu er—= setzen und die opferwilligen Genossen würden auf der Landstraße liegen. Die belgischen Verhältnisse könne er nicht sicher beurtheilen, doch erwarte er sorgsame Erwägung aller Umstände. Was in der deutschen Arbeiter Kräften stehe, würden sie eventuell thun, viel ver⸗ sprechen könnten sie nicht. .
Der rheinisch⸗westfälische Bergarbeiterverband wird, wie der „Köln. Ztg.“ aus Dortmund telegraphirt wird, als Abgesandte zum interngtionalen Bergarbeiter⸗Con⸗ greß nach London die Verbandsmitglieder Schröder und Bunte und den früheren 2, . Moͤller schicken.
Ueber Ausstände und Arbeitseinstellungen liegen heute folgende Mittheilungen vor:
In Düsseldorf befinden sich die Damenschneider der Firma Heinrich Scheuer nach einer Veröffentlichung im Vorwärts wegen einer Werkstattordnung in Streitigkeiten und haben sämmtlich am letzten Sonnabend gekündigt. =
In Barmen haben in der Fabrik von Püttmann u. Co. 8 Präger wegen Lohnkürzung die Arbeit niedergelegt.
Aus Hamburg wird dem „Vorwärts ferner berichtet, daß