1892 / 119 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 20 May 1892 18:00:01 GMT) scan diff

em d, n, , , m , d nm, mg e, e e e .

ere, ne, ,,, .

.

waltungswege zu bestimmen, sondern ein für alle Mal im

Wege der Gesetzgebung festzustellen sind;

2) daß bei dieser legislativen Feststellung der Wahlbezirke nicht unbedingt, sowie es für die administrative Einrichtung vor⸗ geschrieben war, die Bevölkerung maßgebend ist.

Und dann ist am Schluß beigefügt:

Endlich mag hier noch die Bemerkung eine Stelle finden, daß es in Bezug auf spätere, allerdings nicht ausbleibende Veränderungen und Wechsel in den Bevölkerungs., und Orteverhältnissen gleich⸗ wohl nur einer künftigen dem fortschreitenden Leben folgenden Gesetzgebung überlassen bleiben kann, die Wahlbezirke nebst der Zahl der in ihnen zu erwählenden Abgeordneten und die Wahl— orte, je nach dem späteren Bedürfniß, anderweit zu regeln. Gegen⸗ wärtig lag so wenig eine Veranlassung zu voraussichtlichen, der Zukunft vorgreifenden Bestimmungen etwa wegen periodischer Revision des Verzeichnisses nach Ablauf gewisser Zeiträume, als im Hinblick auf die Verfassung und das System ihres Art. 69, eine Berechtigung dazu vor.

Wenn ich nun zugeben will, daß allerdings auch in Bezug auf die Neueintheilung der Wahlbezirke die Gesetzgebung souverän ist und eine solche Abänderung stattfinden kann, so möchte ich nun doch auf die weiteren Verhandlungen über die Frage, die wiederholt in diesem Hause stattgefunden haben, hinweisen. Meine Herren, 13 Jahre nach dem Erlaß des Wahlgesetzes, Ende 1873, beantragte die Stadt Berlin die Vermehrung der Zahl ihrer Abgeordneten, indem sie den Nachweis führte, daß sie nach Maßgabe ihrer Seelenzahl nicht 9, sondern 15 Abgeordnete erhalten müßte. Die Commission dieses hohen Hauses und mit ihr das Plenum beschlossen, über diesen Antrag der Stadt Berlin zur Tagesordnung überzugehen.

Aehnliche Anträge auf Abänderung der bestehenden Eintheilung der Wahlkreise sind gestellt in den Jahren 1875, 1876 und 1880 aber alle sind gleichmäßig abgelehnt worden, und bei dem letzten Anlaß es handelte sich um den Wahlkreis Duisburg-Essen wurde sogar im Commissionsbericht Folgendes gesagt:

Es wurde beschlossen von der Commission: den ersten Theil der Petition für nicht geeignet zur Verhandlung im Hause zu erklären, da das Haus der Abgeordneten in einem früheren Falle (Session 1875, Petition der Berliner Stadtverordneten) beschlossen hat, auf eine anderweite Feststellung der Zahl der Abgeordneten beziehentlich deren Vertheilung auf die Wahlbezirke nicht ein⸗ zugehen.

Meine Herren, ich glaube also hiernach einem Widerspruch nicht zu begegnen, wenn ich sage, es hat das Haus der Abgeordneten in Uebereinstimmung mit der Regierung bisher auf eine Neueintheilung nicht eingehen wollen; und ich bin keineswegs sicher, daß sich nach der Richtung hin die Verhältnisse inzwischen geändert haben.

Meine Herren, wenn der Herr Abg. Richter, statt die Regierung aufzufordern, Auskunft darüber zu ertheilen, ob sie die Vorlegung eines solchen Gesetzes plant, seinerseits den Antrag gestellt hätte: das Haus der Abgeordneten wolle beschließen, die Königliche Staatsregierung aufzufordern, ein solches Gesetz vorzulegen, so ist es mir sehr zweifelhaft, ob dieser Antrag hier in diesem hohen Hause Annahme gefunden hätte (sehr richtig! rechts, und ob die König—⸗ liche Staatsregierung, wenn sie dieser Aufforderung Genüge leisten wollte, auf Annahme des Gesetzes würde rechnen können. Jedenfalls wiederhole ich, die Staatsregierung steht nicht im Widerspruch, son⸗ dern im Einklange mit ihren eigenen früheren Erklärungen und mit wiederholten Beschlüssen dieses hohen Hauses, wenn sie erklärt: bisher beabsichtigt die Staatsregierung nicht, eine gesetzliche Aenderung durch die Neueintheilung der Wahlkreise herbeizuführen, und sie hat nicht die Absicht, einen solchen Gesetzentwurf in der nächsten Session ein— zubringen. (Lebhafter Beifall rechts.)

Abg. Freiherr von Hu ene (Ctr.): Seine Partei sei mit der Aenderung des Wahlrechts aus Anlaß der Steuergesetze einverstanden, aber nicht mit der Aenderung der Wahlkreise. Der Abg. Richter sei die Erklärungen darüber schuldig geblieben, woher er die vermehrte Zahl von Abgeordneten nehmen wolle. Wenn er diese Jahl entsprechend der Vermehrung der Bevölkerung um 40/0 erhöhen wolle, dann werde man wohl ein recht großes Abgeordnetenhaus bauen müsfen, und es fei fraglich, ob es möglich sein werde, mit einem solchen gesetzgebenden Körper

hier noch zu arbeiten. Wenn aber der Abg. Richter den ländlichen

Kreisen und kleinen Städten Abgeordnete nehmen wolle, fo werde kein Abgeordnetenhaus dem zustimmen. Es würde sich ja ganz hübsch machen, wenn der Abg. Richter an der Spitze einer Fraction Berlin von 53 Abgeordneten hier erscheinen würde. Heiterkeit Die Herren wärden hier vollständig ein Majorat von Abgeordneten kilden. Seine Partei halte es für durchaus inopportun, wenn man in der nächsten Session neben den großen Aufgaben, die dem Haufe bevor— ständen, diesen Zankapfel hier ins Haus werfen wolle. Wer die Steuerreform wolle, der müsse auch die Reform des Wahlrechts wollen, weil die neuen Tarife eine erhebliche Verschiebung des Stimin⸗ rechts herbeigeführt hätten. Deshalb könne seine Partei auch dem ersten Punkt des Antrages Richter beistimmen. Aber man möge an die Grund⸗ und Gebäudesteuer denken! Solle sie den Charakter als Staatssteuer behalten? Wie stehe es mst der Gewerbesteuer? Alle diese Fragen müßten im nächsten Jahre entschieden werden. Auf dem Boden des Dreiklassensystems werde sich ein Ausweg finden müssen, daß keine weiteren Verschiebungen einträten; man müsse daran denken, daß die unteren Klassen, wenn sie auch von directen Steuern entlastet seien, doch durch die indirecten Steuern be— lastet seien. Man könne die Abtheilungen bilden durch die Drittelung der Steuern, und zugleich könne man festsetzen, daß ein bestimmter Procentsatz der Wähler in den oberen Klassen sein müffe. Die Einführung eines festen Zuschlags für jeden r aus Anlaß der indirecten Steuern werde eine Revolution in Der gan en Wahl, rechtsfrage hervorbringen. Wolle man Staatz. und Gemeindesteuern jusammen dem staatlichen und Gemeindewahlrecht zu Grunde legen, o werde man vielleicht über manche Schwierigkeiten hinwegkommen. Er freue sich, daß der Abg. Richter anerkannt habe, daß eine Er⸗ leichterung der unteren und zum theil auch der mittleren Klassen durch das neue Einkommensteuergesetz stattgefunden habe. Für die Neu⸗ eintheilung der Wahlkreise könne seine Partei sich nicht erwärmen. Sie wünsche aber, daß bezüglich des Wahlrechts die Regierung auf dem Boden des bestehenden Wahlsystems alles so vorbereite, daß die Steuerreform darunter nicht leide.

Abg. Graf zu Lim burg⸗Stirum (cons.): Der Abg. Richter scheine von dem Gedanken auszugehen, daß im Reich und in Preußen ein gleiches Wahlrecht gelten müsse. Wenn man das anerkenne, so könne man aus demselben Grunde, aus dem der Abg. Richter nicht einsehe, weshalb das Reichstagswahlrecht nicht in Preußen eingeführt werde, auch sagen: weshalb werde das preußische Wahlrecht nicht im Neich eingeführt? Alle Wahlgesetze hätten ihre Fehler. In 2 stehe seine Partei auf dem Standpunkt der Verfassung und alte an dem Dreiklassenwahlsystem t Wenn man streng nach der Verfassung gehen wollte, so würde mit einer Veränderung der Steuer auch eine Veränderung des Wahlrechts Hand in Hand gehen müssen. Aber seine Partei habe fich bereits bei Berathung der Einkommensteuervorsage gegen eine starre Ausführung dieser Bestimmung ausgesprochen. Man könne aber no gar

nicht ermessen, wie e. Veränderungen durch Lie Steuer⸗ reform im Werthe des Wahlrechts des Einzelnen entstehen würden. o lange das nicht der Fall sei, können man von der Regt nicht verlangen, daß sie entsprechende Gesetze vorlege, die das Wahlrecht des Einzelnen wieder in Einklang brächken mit den von ihm gezahlten Steuern. Eine zahlenmäßige Einteilung der Wahlkreise habe f. 3. weder die Regierung noch die damalige liberale Majorität des Haufes gewollt. Man habe einmal die Kreise nicht trennen lassen wollen, man abe , nicht einen Kreis allein wählen lassen wollen, damit nicht unberechtigte locale Interessen allein die Wahl beeinflu ten, und endlich habe man die größeren Städte zu einem Wahlkreise vereinigen wollen. Wenn der Abg. Richter jetzt wünsche, daß nach den Veränderungen durch das Einkommensteuergesetz die Wahlkreise wieder verändert würden, so durchbreche er die von den Liberalen s. 3. 2 Stabilität, und man müsse consequenter Weise dazu übergehen, nach so und so viel Jahren, nach dem die Bevölkerungsziffer sich verändert habe, die Eintheilung wieder anders zu reguliren. Das halte er aber für bedenklich. Der ,, daß bei der Eintheilung der Wahlkreise eine gleiche Anzahl Menschen eine ganz gleiche Vertretung finden solle, leide an einer . inneren Ungerechtigkeit. Man müsse . neben der Zahl der Menschen auch die Grundfläche in Betracht ziehen, auf der die Menschen wohnten. 100 00 Menschen auf einer großen Fläche hätten für den Staat eine andere Bedeutung als 1060 069 Menschen zusammengepfercht in der Stadt. Wenn einmal eine rückläufige Be⸗ wegung kommen sollte, die die Einwohnerzahl der Städte vermindere, solle dann wieder eine neue Eintheilung erfolgen? Daß ein wesentliches Mißverhältniß bestehe, könne feine Partei nicht an—⸗ erkennen; deshalb werde sie den Antrag angebrachtermaßen ablehnen. Abg. Rickert (of): Daß die Conservativen das Reichstags wahlrecht nicht in ihr neues Programm aufnehmen würden, glaube er. Der Abg. Graf Limburg. Stirum berufe sich auf feine Ver⸗ assungstreue. Herr von Puttkamer und auch Herr von Helldorff hätten öfter erklärt, man müsse an eine Aenderung des Reichstags⸗ wahlrechts denken. Im Reiche wollten alfo die ,, die Verfassung revidiren, hier seien sie verfassungstreu, wo das elendeste aller Wahlspysteme. ihnen eine Macht gebe, die ihnen weder kraft ihres Besitzes, noch kraft ihrer Intelligenz gebühre. Der Minifter habe sehr schroff ein Eingehen auf die Wunsche der deutschen Freisinnigen abgelehnt. Wenn die Regierung glaube, das Dreiklassenwahlsystem auf⸗ recht erhalten zu können, so . das ein verhängnißvoller Irrthum. Die Abschaffung oder eine wesentliche Modificatton des Reichswahl⸗ rechts sei nicht möglich. Auch die Nationalliberalen hätten vor Jahren schon das Dreiklassenwahlsystem als überlebt bezeichnet. Er nehme an, daß ihr principieller Standpunkt noch derselbe fei. Es habe ihm heute r . als sei der Abg. von Huene nicht so bestimmt für das allgemeine geheime Wahlrecht eingetreten, wie früher Herr Windt⸗ horst. Er wisse nicht, ob er darin irre. Im nächsten Jahre würden Wahlen vorzunehmen sein; er würde es für unverantwortlich halten, wenn sie nach dem jetzigen Wahlgesetz stattfinden sollten. In Bezug auf die Wahlkreise meine der Minister, die Regelung sei., definitiv, seine Partei meine das nicht. Der Ni nister sage, man müsse die Wahlkreise nicht nach Zahlen ab⸗ messen, sondern es müsse eine organische Gliederung erfolgen. Die Aufklärung aber sei er schuldig geblieben, was er daruuter verstehe. Die Behauptung des Abg. Grafen Limburg-Stirum, daß Hundert⸗ tausend, auf eine Quadratmeile vertheilt, eine größere Bedeutung haben sollten, wie dieselbe Zahl in der Stadt, zeige den Agrarier, wie er leibe und lebe. Worin liege die größere Bedeutung? Etwa in einer größeren Wehrfähigkeit für den Staat? Er habe immer ge— hört, daß die Berliner Jungen fich gut geschlagen hätten. Oder in der höheren Intelligenz? Er frage den Minister, was sein Princip einer organischen Gliederung sei. . die Dauer sei der Widerspruch nicht aufrecht zu erhalten, der in Bezug auf das Wahlrecht zwischen dem Deutschen Reich und dem führenden Staat Preußen bestehe. Die große Wirthschaftspolitik, die hier die breiteste Basts habe, fei im Reichstag schon etwas gelockert. Die Volksvertretung im Reichstag ba ain hen eine andere Färbung und werde wohl noch eine andere erhalten.

Minister des Innern Herrfurth:

Der Herr Abg. Rickert hat entweder die von mir abgegebenen Erklärungen nicht gehört oder er hat sie in merkwürdiger Weise miß⸗ verstanden. Meine Herren, er behauptet, ich hätte erklärt, in der nächsten Session werde ein Wahlgesetz nicht vorgelegt werden, und ich hätte gesagt, eine Neueintheilung der Wahlbezirke werde niemals vorgenommen werden, denn diese Wahlkreise wären definitiv und endgültig für alle Zeiten geregelt. Ich habe von Beidem das Gegentheil gesagt; ich habe ausdrücklich erklärt, daß in Betreff des Wahlgesetzes die Verhandlungen und Er— örterungen bereits seit dem vorigen Jahre schwebten; ich habe aber hingewiesen auf den Zusammenhang dieses Wahlgesetzes mit der Weiterführung der Steuerreform und habe erklärt, daß aus diesen Gründen sich zur Zeit noch nicht mit Sicherheit übersehen lasse, zu welchen Ergebnissen diese Erörterungen führen und zu welchem Zeit⸗ punkt sie zum Abschluß gelangen können. Mich würde es sehr freuen, wenn jene Erörterungen so bald zum Abschluß gelangen, daß der Entwurf eines Wahlgesetzes in der nächsten Session vorgelegt werden kann, und zwar aus dem Grunde, weil, wie Sie aus den Ausführungen des Herrn Abg. von Huene gesehen habe, die Durchführung der Steuer⸗ reform sehr wesentlich gefördert werden würde, wenn gleichzeitig ein Wahlgesetz vorgelegt wird, welches die durch diese neue Steuerreform bedingten Verschiebungen neutralisirt und ausgleicht.

In Betreff der Neueintheilung der Wahlkreise habe ich ausdrücklich hervorgehoben, daß zwar die Staatsregierung bei der Vorlage des Gesetzes vom Jahre 1860 eine definitive und endgültige Regelung unter Ausschließung künftiger Abänderungen in Aussicht genommen hat, daß aber bei den späteren Verhandlungen anerkannt worden sei, es könnte im Wege der Gesetzgebung, die nach dieser Richtung souverän sei, eine Aenderung der Wahlkreise stattfinden. Ich habe nur darauf hinge— wiesen, daß weder die Staatsregierung noch auch dieses Haus be⸗ absichtigt hat, bisher von dieser Befugniß Gebrauch zu machen.

Wenn im übrigen der Herr Abg. Rickert bei der scharfen Verurtheilung des Dreiklassenwahlsystemhs auf eine nähere Begründung dieser Kritik nicht eingegangen ist, sondern dasselbe immer nur mit einem Hinweis auf einen Ausspruch des Fürsten Bismarck als das elendeste aller Wahl⸗ syste me bezeichnet, so muß ich sagen, es nimmt sich in seinem Munde die Berufung auf diese Autorität doch etwas eigenthümlich aus. (Sehr richtig! rechts) Denn ich glaube kaum, daß er und seine politischen Freunde damit einverstanden sein würden, wenn man allen Aeußerungen des Fürsten Bismarck, insbesondere über den Charakter und die Tendenzen der freisinnigen Partei, eine solche autoritative Bedeutung beilegen wollte. (Sehr richtig! rechts. Heiterkeit.)

. Abg. von Czarlinski (Pole): Die Interessen der Städte seien von denen des flachen Landes so verschieden, daß seine . die vom 3, Richter vorgeschlagene Aenderung der Wahlkreise nicht mitmachen önnten, zumal damit eine Verminderung ihrer Mandate berbunden sein würde. Gegen die Veränderung des ahlrechts hätten sie nichts einzuwenden. s jetzige Landtagswahlrecht 35 allgemein als ein sehr schlechtes anerkannt, und nn . wünsche mit dem Abg. Richter auch hier das allgemeine, gleiche, directe Wahlrecht, dem ja auch der Minister nicht abgeneigt zu fein scheine. Wichtiger

r . 3 Ausführung und gerade um gute Ausführung des lgesetzes und um Vermeidung . künst . lichen Wahlgeometrie möchte er den Minister bitten. Abg. Freiherr von Zedlitz Greicons : Er widers Auffassung der freisinnigen Partei, als habe sich eine Ausdehnun ren z

die T⸗

ges corrigirt Wenn ch nicht

des Ministers seine Erledigung gefunden.

Abg. Rickert (dfr.): Der Minister meine, mit Rücksicht auf die Steuerreform müsse das Wahlgesetz geändert werden, aber man könne heut nicht übersehen, wann dies zu geschehen habe. Er (Redner) meine, unter allen Umständen müsse das in der nächsten Session geschehen. Der Minister meine, die von der Verfassung gestellte Forderung bezüglich des Wahlgesetzes sei schon erfüllt. Im Jahre 1860 aber sei die Regierung anderer Meinung gewesen, damals habe man der Stadt Berlin sogar zehn Abgeordnete zugestehen wollen. Auch er wolle den entvölkerten Osten durchaus nicht in Bezug auf seine Vertretung im Landtage beeinträchtigen. Der Minister wundere sich, daß er den so lange von ihm bekämpften Fürsten Bismarck heut als Autorität eitire er nehme eben, wie Herr von Caprivi thun zu wollen erklärt habe, das Gute, wo er es finde, und wenn er es lebhaft bedauere, den an der Gründung des Reichs so hervorragend betheiligten Reichskanzler wegen seiner inneren Politik fo energisch haben bekämpfen zu müssen, so freue er sich um so mehr, ihm in Bezug auf die Bekämpfung des elendesten aller Wahlfysteme bei—⸗ stimmen zu können. Autoritäten erkenne seine Partei nicht an, aber er wünsche sehnlichst, daß der Minister Herrfurth immer fo reden und hande . möge, daß seine (des Redners) Partei sich stets auf ihn be⸗ rufen könne.

Abg. Dr. Lieber (Centr.) : Die Frage, ob die Partei des Abg. von Huene in 36 auf das Reichstagswahlrecht auf ihrem alten Standpunkt stehe, beantworte er mit Ja, voll und ganz. Sie halte auch für den Landtag die Einführung der allgemeinen, gleichen, directen Wahl für wünschenswerth. Die durch die Aenderung der Stagtssteuer gebotene Aenderung des Wahlrechts aber müsse schon im nächsten Jahre, vor den nächsten Wahlen eintreten. Die Aeuße⸗ rungen der conservativen und nationalliberalen Redner bewiesen, da Abg. von Huene Recht gehabt habe, als er gefagt habe, ö ĩ heute eine Beschränkung in Bezug auf die Aenderung des Wahlrechts auferlegen müsse. Die Aenderung der Wahlkreise wünsche feine Partei darum nicht schon jetzt in Angriff genommen zu sehen, weil eine Cumulirung dieser Sache mit der im ersten Theile des Antrages an⸗ . fan Erledigung der ganzen Angelegenheit zu verzögern geeignet sei.

Abg. v. Kar dorff ffreicons.): Der praktische Zweck der ganzen De⸗

batte erscheine ihm höchst problematisch. Die Herren wollten wahr⸗ scheinlich nochmals nach außen betonen, daß fie die allgemeinen, gleichen, directen Wahlen für den Landtag wünschten, das fei wohl der Hauptzweck der Debgtte gewesen; denn über die Stellung der . und der Mehrheit des Saufes zu seinem Antrag habe sich der Abg. Richter von Hause aus klar fein können. Der Abg. Lieber habe das allgemeine, gleiche, directe Wahlrecht für den Landtag heute vroclamirt; das seien die Bundesgenoffen der Confervativen! Der Wunsch, dem Abg. Lieber Ausdruck gegeben habe, bedeute nichts Anderes, als die Einführung auch der . allgemeinen, directen Communalwahlen, und die el davon, daß man das ganze Staats⸗ leben auf allgemeine, gleiche, directe Wahlen stützen wolle, werde ein, daß man auch die Einsetzung der höchsten Spitze in unserer gl ne is mittels deren vornähme. (Unruhe.) Im Reiche könne man die allgemeinen, gleichen, directen Wahlen eben nur darum er⸗ tragen, weil in den Einzelstaaten das bei uns eingeführte Wahlsystem als Gegengewicht bestehe. Abg. Graf zu Lim burg⸗Stirum (cons): Die Conservativen seien darum noch nicht die Verbündeten des Centrums in Wahlfragen, wenn sie beim Volksschulgesetz mit ihm zusammengingen. Er habe vorhin übrigens nicht als Agrarier für eine Bevorzugung des platten Landes in der Landesvertretung gesprochen, fondern er wünsche die Bevölkerungszahl und die Ausdehnung des Wahlkreises zufammen für die Zahl der Mandate maßgebend zu machen. Der Abg. Rickert habe von der . Intelligenz seiner Partei gegenüber den Con⸗ servativen gesprochen. Nun, dies sei eine relative Sache, jeder sei befugt, sich selbst die größte Intelligenz zuzuschreiben; aber feit er denken könne, behaupteten die Freisinnigen, mehr Intelligenz zu be⸗ sitzen als die Conservativen; die ganze parlamentarische Vergangen- heit jedoch zeige, daß die Conservativen in Bezug auf eigene Ideen und auf Durchführung ihrer Intentionen an Intelligenz den Frei⸗ sinnigen wohl noch gleichkämen, in Bezug auf die Ausdehnung der Reden allerdings seien diefe den Conservatwen überlegen.

Abg. Dr. Lieber (Centr.): Der Abg. von Kardorff meine, er (Redner) habe heut das allgemeine, gleiche, directe Wahlrecht für den Landtag proclamirt, aber dies habe schon der Abg. von Mal⸗ linckrodt im Anfang der siebziger Jahre gethan. Uebrigens gebe er dem Grafen Limburg⸗Stirum Recht, daß die grundfaäͤtz lich ver⸗ schiedenen Anschauungen über das Wahlrecht seine (des Redners) Partei nicht hätten hindern dürfen, beim Volksschulgesetz Schulter an Schulter zu stehen. Der Abg. von Karderff glaube, auf die Folgen der Einführung allgemeiner, directer Landtagswahlen hinweisen zu sollen; aber politische und eommunale Wahlen feien doch ganz ver⸗ schiedenartige Dinge, wobei er freilich feine persönlichen Ansichten über Communalwahlen hier nicht ausführen wolle. Wenn aber der Abg. von Kardorff die Consequenzen gar bis an die Höhe des Thrones ziehe, so sei das eine so ungeheuerliche Behauptung, daß er nicht wisse, wie darauf noch in parlamentarisch zulässiger Weise geantwortet werden könne; der bloße Name des pon Mallinckrodt müsse genügen, um einen solchen Angriff von seiner Partei abzuwenden. An Königstreue werde weder der Abg. von Kardorff noch jemand im Haufe das Centrum übertreffen.

Abg. Freiherr von Huene (Centr.) . Statt dem Fentrum solche Vorwürfe zu machen, wie es der Abg. von Kardorff gethan habe, solle man lieber auf das blicken, was es in der ,. Ge⸗ setzgebung geleistet habe. Wo seien denn die Freunbe des Abg.

in . des Volkeschulgesetzßs? Das sei die

Seite ? gewe sen! ; 3 = nregsßg. von Rardorff . Er habe das Centrum nicht

in Bezug auf seine monagrchische innung verdächtigt; er ha nur gezeigt, wohin die Wünsche des Centrums s lleỹ lich die Be⸗ völkerung führen müßten. Im Volksschulgesez habe eh sich um all= emeine, gleiche, directe Communalwahlen in Schulsachen gehandelt, en 563 er das Necht gehabt, die Conservativen auf die Ansichten ihrer Bundetgenossen aufmerksam zu machen. In der Sache selbst handele es * nur um eine Doctorfrage, der Abg. Richter wolle nur nach außen hin betonen, daß er allgemeine, gleiche, directe Land⸗

wahlen onstrebt. . ö. Damit schließt die Discussion. Im Schlußwort bemerkt

Abg. Richter (fr): Es sei ihm von vornherein bekannt gewesen, daß die Mehrheit des Hauses und die Regierung nicht das Reichstags. wahlrecht für den Landtag einführen wolle. Aber die große Mehrheit erachte es doch nicht für möglich, das Dreiklassen⸗Wahlsystem an⸗ gesichts der Wirkungen der neuen Steuergesetze unverändert beizu— behalten. Auch der Minister habe ähnliche Erklärungen abgegeben, aus denen man schließen müsse, daß in der nächsten Session, jeden⸗ falls gleichzeitig mit 963 neuen Steuergesetzen, ein Wahlgesetz vor⸗ gelegt werden werde; die Nationalliberalen und das Centrum wollten ja auch eine Aenderung des Wahlrechts, selbst wenn keine neuen Skeuergesetz' kämen. Er schließe daraus, daß auch, wenn neue Steuergesetze nicht zu Stande kommen sollten, eine Aenderung des Wahlgesetzes Platz greifen müsse vor der neuen Wahl, um die schäd⸗ sichen Wirkungen des neuen k zu varalysiren. Der Minister habe es fast so dargestellt als ob die jetzige Wahlkreis⸗ eintheilung durch das Gesetz von 1860 stabilisirt, sei. Dagegen müsfe er bemerken, daß die Ausdrücke stabil, endgültig u. s. w. in den damaligen Bestimmungen eine ganz besondere Bedeutung gegen⸗ über dem Rechtszustand, wie er vor 1860 bestanden habe, gehabt hätten. Dieses Gesetz habe eine endgültige Regelung nur infofern gebracht, als vorher bei jeder neuen Volks— zäblung eine neue Wahlkreiseintheilung, habe stattfinden müssen. Jetzt müßte statt der damals als Maßstab gebrauchten Zahl von Z0 do0 Ginwohnern die Zahl von 79 000 angewendet werden. Eine periodische Revision verlange er nicht, er verlange nur, daß jetzt nach 30 oder 32 Jahren, d. h. nach einem vollen Menschenalter, angesichts der veränderten Bevölkerungsverhältnisse eine Aenderung des Gesetzes eintreten solle. Das wolle er nicht leugnen, daß die Neueintheilung der Wahlkreise nach Maßgabe der Bevölkerung die Anzahl der conservativen Mandate zu Gunsten der liberalen Richtung vermindern werde. Die Centrums⸗ partei aber werde von einer Veränderung eher Nutzen als Schaden haben. Aus dem Nein, welches sein Antrag auf allen Seiten des Hauses gefunden habe, habe doch überall . daß man eine Aenderung des bestehenden Zustandes, wenn auch gegen“ wärtig, so doch fuͤr fernere Zeit nicht für ausgeschlossen erachte. Er habe für den Anfang nichts anderes erwartet. Sein Antrag habe seinen Zweck, die Stimmung des Hauses aufzuklären, erfüllt; er ziehe ihn daher zurück. Der materielle Inhalt werde in anderer Form Parlamentarisch wiederkehren.

Es folgt die Berathung des Antrags des Abg. von Schalscha, welcher die Regierung auffordert, einen Gesetz⸗ entwurf einzubringen des Inhalts, daß in dem § 69 des kee, e, als Absatz 2 eingeschaltet werde: .

„Dieselbe Strafe trifft den Vorsitzenden und die Mitglieder der Commission, welche einen Censiten im Widerspruch mit dessen auf Pflicht und Gewissen abgegebener Steuererklärung einge schãtzt haben, bevor alle in dem 8 38 Abs. 2 angegebenen Beweis⸗ mittel zur Feststellung der Wahrheit und Vollstãndigkeit der von dem Censiten gemachten Angaben von diesem oder von der Commission erschöpft sind. . .

Abg, von Schalscha (Centr.): Es sei nöthig, daß die Stellen des Cinkommensteuergesetzes, die eine Verunglimpfung ehrlicher Leute zur Folge haben könnten, eine Abänderung erfü ren. Die Delaration werde auf Pflicht und Gewissen abgegeben; für einen Ehrenmann sei zwischen dieser Form und der eidesstattlichen Versiche⸗ rung kein Unterschied. Es sei daher dringend nothwendig, daß hier das Idealgut der Ehre geschützt werde, Es herrsche über das neue Einkommensteuergesetz eine gewisse Erregung im Lande und diese werde noch vermehrt durch einzelne Mißgriffe der mit der Ein⸗ schäthung betrauten Personen. Die Verfügung, welche der Finanz. Minister am 10. Mai erlassen habe, werde nicht ausreichen, weil darin keine Strafbestimmungen getroffen seien. Er bitte den Finanz⸗ Minister, ihm zu sagen, in welcher Form er die Mitglieder der Ein⸗ schäͤtzungscommission, die den Bestimmungen des Gesetzes zuwider— handelten, zur Verantwortung ziehe. In einem Briefe aus Goslar werde ihm mitgetheilt, daß der Landrath des Goslarer Kreises Herr Thon, von dem wegen seiner Thätigkeit als Einschätzungscommissar in wenig n men, Weise die Rede gewesen sei, vor 14 Tagen als Polizei⸗Präsident nach Stettin versetzt sei. Die Beförderung dieses Herrn sei eine sehr bedenkliche . Habe etwa der Minister des Innern dem Finanz⸗-Minister dadurch seinen Dank abstatten wollen? Der Briefschreiber meine, daß diese Beförderung des Herrn Thon mit seinem schneidigen Vorgehen in Steuerfachen im Zusammen⸗ hang stehe. Trotz aller Vorschriften des Finanz⸗Ministers würden, wenn dies der Fall sei, die Veranlagungscommissare sagen: „Macht, was ihr wollt, wir werden die Steuerschraube nach Kräften anziehen; wir werden vielleicht zur Verantwortung gezogen, aber dann gehen wir zum Minister des Innern und erhalten vielleicht irgendwo des Pöstchen eines Polizei⸗-Präsidenten; dann sind wir schön heraus.“ Er empfehle seinen Antrag zur wohlwollenden Erwägung.

Minister des Innern Herrfurth:

Meine Herren! Nur zwei Worte in Betreff der Persönlichkeit, die der Herr Abg. von Schalscha geglaubt hat, seinerseits in seiner Rede in schärfster Weise angreifen zu sollen. Ich bin zweifelhaft, ob ich darauf überhaupt eingehen soll, denn meines Erachtens gehören der⸗ artige Bemerkungen über die Gründe einer Beförderung von Be⸗ amten nicht vor dieses Haus. (Sehr richtig! rechts) Ich bemerke übrigens ganz ausdrücklich, ich habe bei der Beförderung des betreffenden Landraths, die wegen seiner besonderen geschäftlichen Tüchtigkeit längst in Aussicht genommen war, bevor die Einkommensteuerveranlagung stattfand, überhaupt nichts davon gewußt, daß er sich bei der letzteren etwas habe zu Schulden kommen lassen, und in diesem Augenblick höre ich von dem Herrn Finanz-Minister, daß auch die Annahme, er habe sich dabei etwas zu Schulden kommen lassen, thatsächlich falsch ist. Es ist auch über das Verfahren dieses Beamten überhaupt niemals Beschwerde geführt worden, außer von anonymen Persönlich⸗ keiten in Privatbriefen an Herrn von Schalscha auf welche irgend ein Gewicht zu legen ich mich nicht veranlaßt finden kann. (Bravo h

Finanz⸗Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Ich ersuche das hohe Haus, den Antrag des Derrn von Schalscha abzulehnen, und bemerke jedenfalls, daß die Staatsregierung diesem Antrage keine Folge geben könnte. Es wäre doch ein ganz außergewöhnliches Vorgehen, wenn wir Verstöße gegen Vorschriften, betreffend ein amtliches Verfahren, hier mit einer solchen Strafe belegen wollten. Dann würde es schwerlich viele Richter in der ganzen Monarchie geben, die nicht einmal einer solchen Strafe sich autzusetzen in der Lage wären. Es würde aber noch viel weniger

Verwaltungbẽamte geben, welche nicht einmal gegen eine solche Vor⸗

schrift aus irgend welchen besondern Gründen einen Verstoß gemacht hãtten. Ich glaube, das wird vollständig genügen, um eine derartige Gesetzgebung, wie sie hier uns vorgeschlagen ist, zurückzuweisen.

Der Antrag ist aber auch aus vielen andern Gründen nicht

annehmbar. Einmal soll hier nicht bloß der Vorsitzende, sondern es sollen auch die Mitglieder der Commission bestraft werden. Welche Mitglieder denn? Soll die Minorität auch bestraft werden, wenn sie vielleicht überstimmt ist? Soll sie mitverantwortlich sein für die Handlungen der Majorität, oder sollen bei jeder Abstimmung in der Commission festgestellt werden die Namen derjenigen. Personen, die für den betreffenden Beschluß gestimmt haben oder für die be— treffende Unterlassung? Nun aber noch weiter: Es soll die Strafbar⸗ keit dadurch begründet sein, daß die von dem Steuererklärer angege⸗ benen Beweismittel nicht aufgenommen sind! Die Commission ist aber garnicht verpflichtet, alle Beweismittel, einerlei, ob sie relevant sind oder nicht, die etwa ein Steuererklärer anbietet, anzunehmen, sondern nur solche Beweismittel, die die Commission selbst für be⸗ deutungsvoll hält. Darüber steht der Commission die Entscheidung zu; es kann also nach allen Richtungen hin diesem Antrage in keiner Weise Folge gegeben werden. Diejenigen Mitglieder der Commis⸗ sionen, welche ich kann wohl sagen im ganzen Lande mit der größten Gewissenhaftigkeit, mit dem größten Eifer, mit Aufopferung an Zeit und selbst häufig an Geld ihre Schuldigkeit als Ehrenbeamte gethan haben, kann man nicht in der Weise behandeln, wie das hier vorgeschlagen ist.

Aber auch die ganze Auffassung des Herrn Abg. von Schalscha über die hier gerügte, allerdings mit dem Gesetze, wie ich ausdrücklich anerkenne, nicht in vollem Einklang stehende Unterlassung der An⸗ hörung derjenigen Personen, deren Steuererklärungen beanstandet sind, ist doch durchaus nicht zutreffend. Er faßt die Sache so auf, daß jedesmal, wenn eine Steuererklärung beanstandet ist, wenn das nicht beachtet ist, was der Censit als sein steuerpflichtiges Einkommen be⸗ zeichnet hat, darin eine Ehrverletzung liege. Das trifft durchaus nicht zu; denn sehr viele Steuererklärungen sind nicht deswegen unrichtig, weil der Mann eine unrichtige Steuererklärung hat abgeben wollen, sondern die Unrichtigkeit beruht vielfach und meistens ich kann wohl sagen fast ausnahmslos auf thatsächlichen und rechtlichen Irrthümern der Cen⸗ siten, welche die Steuererklärung abgeben. Wenn also die Commis⸗ sion eine solche Steuererklärung nicht in vollem Maße beachtet, so liegt darin keineswegs die Behauptung gegenüber dem Censiten, daß er seine Pflicht, auf Ehre und Gewissen, nach bestem Wissen und Ge⸗ wissen sein steuerpflichtiges Einkommen anzugeben, absichtlich nicht er⸗ füllt habe. Also, glaube ich, ist auch von diesem Standpunkte aus diese ganze Auffassung doch in keiner Weise zutreffend. Herr von Schalscha sagt, die Commissionen hätten vielfach in der ganzen Mon⸗ archie ihre Schuldigkeit nicht gethan. Nach dem Material, welches uns im Finanz⸗Ministerium zugegangen ist, kann ich gerade die ent— gegengesetzte Behauptung aussprechen. Es ist gewiß un⸗ zulässigerweise und ich werde die Gründe nachher noch etwas näher darlegen die Bestimmung in dem 8 38 des Einkommensteuergesetztes und die correspondirende Be⸗ stimmung in der Ausführungsordnung hier und da außer Acht ge⸗ lassen worden, nach welcher bei Beanstandung von Steuererklärungen unter Mittheilung der Gründe an den Steuerpflichtigen derselbe angehört werden soll; das gebe ich durchaus zu. Im großen und ganzen aber wird jeder, der mit den Verhältnissen vertraut ist, allen Behörden, die bei der Veranlagung betheiligt gewesen sind, dem Vor⸗ sitzenden sowohl als den Mitgliedern der Commissionen, das Zeugniß treuer Pflichterfüllung nach allen Richtungen hin ausstellen müssen.

Meine Herren, ich habe und der Herr Abg. von Schalscha hat das anerkannt sowohl in dem Entwurf des Einkommensteuer—⸗ gesetzes, als demnächst in der Ausführungsanweisung, als später durch eine Reihe von Reseripten an einzelne Vorsitzende der Veranlagungs— commissionen schließlich noch durch eine Cirkularverfügung mit aller Kraft dahin gewirkt, daß die betreffende Bestimmung des Einkommensteuergesetzes in allen Fällen zur vollen Ausführung gelangt, und ich stehe noch heute auf dem Standpunkt, daß das durchaus nothwendig ist und auch im Inter⸗ esse der Steuerveranlagung und der Richtigkeit der Steuerveranlagung in vollem Maße festgehalten werden muß.

Aber Sie wollen doch nicht verkennen, welche besonderen Um⸗ stände es diesmal thatsächlich vielfach sehr entschuldbar erscheinen lassen, wenn diese auf das Verfahren bezügliche Vorschrift nicht überall zur vollen Anwendung gekommen ist. Der erste Grund ist der, daß wir mit einem ganz neuen Verfahren zu thun hatten, mit einem Verfahren, welches vielfach durchaus nicht auf die Sympathien der an ein ganz anderes Verfahren gewöhnten Bevölkerung stieß, mit einer Steuerveranlagung, deren Zeit sehr kurz bemessen war, wo auf einige Monate sich die gesammte Thätigkeit zusammendrängte, mit Steuererklärungen, welche vielfach so mangelhaft waren, daß in einer großen Stadt sogar von 3000 Steuererklärungen 1800 und in einer anderen auch erheblich großen Ortschaft von 900 Steuererklä— rungen beispielsweise 600 beanstandet werden mußten, wobei sich nachher zeigte, daß diese Beanstandungen fast ausnahmslos be⸗ gründet waren, ja von den Steuererklärern selbst als richtig anerkannt wurden. Wenn solche massenhaften Beanstandungen nothwendig waren bei der ersten Veranlagung, wenn nun den Behörden kurze Fristen in Bezug auf die Durchführung der ganzen Veranlagung vor⸗ geschrieben waren, wenn diese kurzen Fristen vorgeschrieben werden mußten, weil wir am 1. April ein neues Etatsjahr beginnen, so ist es doch wohl sehr entschuldbar, wenn man hier und da eine solche Bestimmung nicht berücksichtigt.

Nun kommt aber weiter hinzu, daß die Gründe der Beanstandung sehr verschiedener Art sind. In manchen Fällen ist die Steuer⸗ erklärung so beschaffen, daß man Thatsachen nicht weiter aufzuklären braucht, sondern daß die Commission lediglich eine Rechtsbeurtheilung abzugeben hat, daß sie sofort aus der Steuererklärung sieht: Hier sind Abzüge in der Steuererklärung enthalten, die gesetzlich nicht zulässig sind, oder hier ist der ganze Lebensunterhalt unter den Abzügen auf— geführt, sodaß man also sich sagen kann: eine Rückfrage ist garnicht erforderlich, sie hat gar keinen directen Zweck, man wird neue That⸗ sachen garnicht erfahren und die Entscheidung der Commission wird dieselbe bleiben.

Nun unterscheidet das Gesetz leider zwischen solchen Fällen nicht, und es wäre auch in solchen Fällen allerdings die Anhörung nach der Beanstandung erforderlich gewesen. Es ist aber sehr entschuldbar, wenn die Commissionen oder die Vorsitzenden in solchen Fällen, wo sie von der Anhörung sich absolut keinen Erfolg versprechen konnten, in dem Drange der Geschäfte davon absehen.

Nun lege ich mit dem Herrn Abgeordneten ein sehr erhebliches Gewicht darauf, daß doch diese Vorschrift, so schwierig sie auch in der Ausführung sich gestaltet hat, um so mehr, als diese Schwierigkeiten

ö.

bei der weiteren Veranlagung mehr und mehr wegfallen werden ich sage, ich lege mit ihm das größte Gewicht darauf, daß mit der größten Entschiedenheit auf die allmähliche volle Durchführung dieser Bestimmung hingewirkt werde. Ich möchte aber noch eins bemerken. Meine Herren, unser Gesetz geht in dieser Beziehung weiter, als andere deutsche Gesetze. Beispielsweise Sachsen hat eine solche Be⸗ stimmung garnicht, daß, wenn die Commission das Einkommen an⸗ ders veranlagt, als es sich aus der Steuererklärung ergiebt, irgend eine Anhörung stattzufinden braucht. Bei den Erkundigungen, die wir bei Aufstellung des Entwurfs über eine solche Bestimmung im König—⸗ reich Sachsen einzogen, wutde uns dort erklärt, daß man sie für völlig unausfũhrbar hielte.

Es geht alfo daraus hervor, daß wir es wirklich hier mit einer Bestimmung zu thun haben, die in der Ausführung höchst schwierig sein kann. Und darum ist es um so natürlicher, daß sie auch das erste Mal nicht in vollem Maße überall und allenthalben zur Ausführung gelangen konnte. . **

Ich kann unter allen diesen Umständen das hohe Haus nur bitten,

dem Antrage von Schalscha nicht stattzugeben, indem ich die Ver⸗

sicherung wiederhole, daß ich mehr und mehr und mit der größten Consequenz und Bestimmtheit auf die volle Durchführung der frag—⸗ lichen Bestimmung bedacht sein werde. ;

Abg. Wes sel ffreicons.): Er sei erstaunt, wie der Abg. von Schalscha so schnell mit einem solchen Antrag an das Haus habe kommen können, beyor er von der Wirkung des neuen Gesetzes eine rechte Ahnung habe. Das Gesetz sei noch gar nicht durchgeführt, trotzdem sei der Abg, von Schalscha schon mit sich einig, daß es große Läcken enthalte. Er habe bisher schwerlich etwas mehr als seine eigene Steuererklärung gesehen und sei gar nicht in der Lage, darüber zu ur⸗ theilen, inwieweit die Vorfitzenden der Veranlagungscommisfionen ihre Pflicht thäten oder nicht. Er würde den Antrag nicht tragisch nehmen, wenn dieser und eine frühere Rede des Abg. von Schalscha nicht in der Presse dahin ausgenutzt worden wären, daß die Vorfitzenden der Veranlagungscommissionen im großen und ganzen gesetzwidrig gehandelt hätten. Das sei aber nicht die Anschauung des Ministers. Es liege kein Anlaß zu dieser Befürchtung vor. Er (Redner) halte das Gesetz fuͤr vorzüglich gearbeitet. Noch vorzüglicher seien die Ausführungsbestim—⸗ mungen; aber diese verursachten sehr großes Schreibwerk. Der Antrag habe im Lande eine gewisse Aufregung hervorgerufen, er sei absolut verfrüht und er bitte, ihn abzulehnen.

Finanz⸗Minister Dr. Miquel:

Wie vorsichtig man mit solchen Anträgen sein muß in einer Zeit, wo bei vielen Censiten, wenn sie mehr Steuer bezahlen sollen, die Stimmung ja nicht gerade eine sehr freundliche ist, und wie leicht man dann ihnen einreden kann, daß sie moralisch entrüstet und erbittert sein müßten, das habe ich in diesen Tagen, nachdem die ersten Reden des Herrn Abg. von Schalscha hier gehalten worden sind, persönlich allerdings auch genug erfahren, und es sind dabei die wunderbarsten Irrthümer vorgekommen. Beispielsweise ist eine. Deputation bei mir erschienen, aus einem Kreise, die sich auf das lebhafteste und unter Beziehung auf Herrn von Schalscha beschwert und ihrer Entrüstung und ihrem verletzten sittlichen Bewußtsein den allerentschiedensten Ausdruck gegeben hat, und wie⸗ ich nun näher nachfrug, stellte es sich heraus, daß der betreffende Landrath sämmtliche Beanstandungen mit sämmtlichen Beschwerde⸗ führern auf das gründlichste durchgesprochen hatte, also in dieser Be⸗ ziehung ihn garkein Vorwurf tröfft. Nun sagte ich: Liebe Leute, was wollt Ihr denn? Es ist ja alles geschehen, worüber Herr von Schalscha sich beklagt hat, daß es anderwärts nicht geschehen sei. Darauf erwiderten sie, sie fühlten sich gerade deswegen so beschwert, daß sie trotzdem so hoch veranlagt seien. (Heiterkeit; Man sieht also, diese Mißstimmung kommt häufig daher, daß die Leute auf Grund dieses neuen Verfahrens jetzt mehr zahlen müssen, als sie früher gezahlt haben, während Veränderungen in ihren Verhältnissen garnicht vorgegangen sind.

Ich bin überzeugt, daß diese Mißstimmung nicht wesentlich von der Verletzung von Vorschriften im Verfahren kommt, sondern andere Gründe hat, daß sie aber gern den Vorwand ergreift, sich hinter solchen Formverletzungen zu verstecken und dadurch sehr beschwert zu zeigen.

Ich habe vorher ausgesprochen, daß über jede Steuererklärung, welche, einerlei aus welchem Grunde, beanstandet wird, eine Rücksprache mit den Betheiligten im Gesetz vorgeschrieben ist. Ich habe schon angedeutet, daß ich glaube, es geht dies zu weit. Da, wo die Commission lediglich als Richter über Rechtsfragen zu entscheiden hat und Thatsachen garnicht streitig sind, da ist eine solche Rücksprache eigentlich nicht erforderlich; sie ist aber einmal vorgeschrieben, und wir werden sehen, wie sich dies in der Praxis bewährt, ob man in dieser Beziehung genöthigt sein wird, in Zukunft zu Modificationen zu schreiten. Gegenwärtig unterscheidet das Gesetz nicht.

Ich will noch darauf aufmerksam machen, daß die große Schwierigkeit, die in dem hier vorgeschriebenen Verfahren liegt, durch eine Bestimmung, welche das Abgeordnetenhaus in den Gesetzentwurf hineingebracht hat, erhöht worden ist. Früher sollte nach dem Ent⸗ wurf der Steuerpflichtige über die Beanstandung sich innerhalb - einer Woche äußern, das hat man in zwei Wochen verlängert, und in ge⸗ wissen Fällen kann diese Frist auf vier Wochen verlängert werden. Das erschwert den rechtzeitigen Abschluß des ganzen Verfahrens in hohem Grade, während nach meiner Meinung der Zeitraum einer Woche vollständig genügend gewesen wäre, wenn man daneben die Befugniß gehabt hätte, daß der Vorsitzende in besonderen geeigneten Fällen die Frist verlängern darf. Wir werden die Erfahrung erst abwarten müssen, ob man hier oder da eine kleine Correctur in das Gesetz hineinbringt, welche das Wesen allerdings nicht ändern darf. Wir hatten zwei Wege: entweder mußte das Gesetz so construirt werden, daß die ganze Steuererklärung weiter nichts bedeutete als lediglich Material für die Commission, sodaß die einzelnen Steuerpflichtigen dazu selbst mitwirken sollten, über die Ein⸗ kommensverhältnisse Klarheit zu geben, wie alle anderen Beweis⸗ mittel die richtige Steuerbemessung bewirken sollten. Oder aber wir mußten der Steuererklärung eine größere Bedeutung geben, wir mußten sie so gestalten, daß sie allerdings als Grundlage für die Veranlagung dienen sollte und nur aus besonderen Gründen davon abzuweichen sei. In diesem Falle aber war es ganz nothwendig, daß man nicht eher abweicht, bis man demjenigen, der die Erklärung ausgestellt hatte, Gelegenheit gegeben hatte, über Beanstandungen und Bedenken der Commission sich zu äußern. Dieser letztere Weg ist gewählt, und ich halte ihn noch heute für einen durchaus zutreffenden und richtigen; wir müssen allerdings sehen, daß wir das Gesetz so gestalten, daß diese Rücksicht, die ich bezeichnet habe, auch wirklich zur vollen Geltung kommen kann.

Abg. Lud ow ieg (nl): Auch er meine daß die Steuereinschätzungs⸗ en , nicht ohne weiteres über die Steuererkfãrung ,,