1892 / 146 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 23 Jun 1892 18:00:01 GMT) scan diff

lkereits seit einiger Zeit bei den Anträgen, die an mich gelangt sind

auf Genehmigung der Kleinbahnen, die mir unterstellten Behörden dahin instruirt wurden, es möge bei Beurtheilung der sachlichen und rechtlichen Verhältnisse des betreffenden Unternehmens von den Gesichtspunkten ausgegangen werden, die in dem Gesetzentwurf enthalten sind, so glaube ich, damit nur meine Pflicht erfüllt zu haben. Es sind das Vorbereitungsstadien für die Genehmigung von Kleinbahnen, die sich vermuthlich erst vollziehen wird nach der Verabschiednng des Gesetzes, und es müßte im Inter⸗ esse aller Betheiligten, nicht bloß in demjenigen der Behörden liegen, daß diese Verhandlungen in dem Sinne erfolgten, wie sie das künftige Gesetz vorgesehen hat. Es kann daher wohl aus diesen Vor⸗ schriften logisch nicht der Schluß gezogen werden, daß, wenn man das einfach machen könnte durch eine Verfügung des Ministers, daß man dann dazu nicht hätte den gesetzgeberischen Apparat in Bewegung zu setzen brauchen. Der Minister würde über⸗ haupt nicht eine derartige Verfügung haben erlassen können, wenn nicht die Verabschiedung des Gesetzes vor der Thür stände, er würde nicht in der Lage sein, auf Grund der gegenwärtigen gesetzlichen Be⸗ stimmungen die Regelung des Kleinbahnwesens eintreten zu lassen, die sich als nothwendig ergiebt.

Herr Graf von Mirbach hat ausgeführt, daß für ihn ein weiteres Bedenken bezüglich dieses Gesetzes darin liege, daß nach seiner Auf⸗ fassung es nicht ausbleiben könne, daß nach Verabschiedung dieses Gesetzes eine neue Aera des Gründungsfiebers und des Eisenbahn⸗ schwindels sich bilden würde. (Stimme: Sehr richtig)

Meine Herren, diese Befürchtung, die, wie ich höre, auch von anderer Seite als sehr richtig angesehen wird, hat sich ja natürlich auch die Staatsregierung nicht verhehlen können. Allein, meine Herren, wenn man das Licht will, so kann man nicht wohl gut den Schatten vermeiden; wenn man das Privatkapital heran⸗ ziehen will zu dem Bau der Kleinbahnen, so kann man nicht wohl ganz vermeiden, daß sich unter diesem Privatkapital auch Unternehmer einschleichen, die von rein egoistischen Erwerbsrücksichten sich leiten lassen, und es wird gewiß eine der schwierigsten, aber auch eine der ernstesten Aufgaben der Staatsreigerung sein, in dieser Beziehung thunlichst Schädlichkeiten abzuweisen. Herr Graf von Mirbach macht darauf aufmerksam, daß das große Schwierigkeiten haben wird. Ich verkenne das durchaus nicht, aber ich meine doch, daß mancherlei Mittel auch in der Beziehung der Staatsregierung wohl zur Hand sind.

Ohne das Priatkapital wird es allerdings nur unter günstigen Verhältnissen gelingen, aus der eigenen Macht der Betheiligten her—⸗ aus derartige Kleinbahnen zu stande zu bringen. Daß das auch möglich ist, dafür liegen allerdings mir jetzt bereits schon eine ganze Reihe von Beispielen vor, und gerade in den östlichen Provinzen, gerade in den Provinzen, die Herr Graf von Mirbach als die wirth⸗ schaftlich schwächeren bezeichnet, regt sich das Bestreben, derartige Kleinbahnen aus eigener Initiative zu bauen. In der Pro⸗ vinz Pommern beispielsweise sind verschiedenartige Projecte bereits so weit, daß man von ihnen sagen kann, sie werden nach Ver⸗ abschiedung des Gesetzes ins Leben treten können. Andererseits ist aber gerade auch das Zusammenwirken der Betheiligten, sei es der Privaten oder der betheiligten Corporationen, der Gemeinden, der Kreise und der Provinzen, mit dem Privatkapital in vielen Fällen gewiß die Bedingung des Zustandekommens derartiger Klein⸗ bahnen. Wenn das Privatkapital sich darauf beschränkt, subsidiär einzutreten und bei einer Gesellschaft, die schon am weitesten in ihrer Gründung vorgeschritten ist, die mir ihre Statuten bereits zur Kenntnißnahme mitgetheilt hat, wird dieser Zweck in erster Linie verfolgt, und zwar in Form der Gesellschaft mit beschränkter Haft— pflicht —, subsidiär einzutreten mit ihrem Kapital, mit ihren Er⸗ fahrungen, mit ihrem Apparat an Personen und an Material, um den Bau und auch, wenn gewünscht wird, den Betrieb derartiger Kleinbahnen zu fördern und zu erleichtern, so werden wir alle damit einverstanden sein, daß, wenn sich derartige Privatgesellschaften finden, dies im großen und ganzen als ein Segen für das ganze Verkehrs wesen des Landes zu betrachten sein wird.

Ich meine aber, wir sollten der Zukunft mit etwas weniger Be⸗ fürchtung entgegentreten, mit größerer Zuversicht, daß es uns gelingen wird, in der Beziehung das Richtige zu finden und die Schädlichkeiten abzuwenden, ebenso wie es anderen Ländern unter ähnlichen Ver⸗ hältnissen bereits gelungen ist. Was in Belgien und Holland, was in Italien unter zum Theil viel weniger günstigen Verhältnissen möglich ist, kann uns unmöglich schwer fallen. Denn ich glaube, daß der Zustand unserer Rechts- und Verwaltungseinrichtungen, die Auffassung unseres Volkes sowohl, als die Auffassung unserer Regierung in der Beziehung einen größeren Halt bieten wird, als

dies in irgend einem der anderen Staaten der Fall ist, in denen ähnliche Kleinbahnbauten mit Glück zum Segen des Landes erbaut und betrieben werden. Wer heute durch Oberitalien, durch Belgien und Holland fährt, kann sich davon überzeugen, in welchem Maße dieses Kleinbahnwesen dem Lande zum Segen gereicht hat. Es ist, als wenn Berieselungskanäle über die Länder gelegt werden, unter deren fruchtbringendem Naß alles sprießt und keimt. Der Segen, der von diesen Kleinbahnen ausgeht, tritt beispielsweise in Oberitalien so klar zu tage, daß selbst der Tourist sich davon über⸗ zeugen kann. Ich glaube deshalb, meine Herren, Sie dürfen die Be⸗ fürchtung, die in dieser Beziehung gehegt worden ist, nicht in dem Maße theilen, daß Sie sich abhalten lassen, mit Vertrauen in das Gesetz hineinzugehen. (Bravo!)

Herr Graf von Mirbach hat ferner hervorgehoben und ich kann in der Beziehung wohl kurz sein seine Befürchtung, es möchten durch das Inslebentreten des Kleinbahngesetzes die Neben bahnen entweder ganz bei Seite gelassen oder doch in einem viel geringeren Maße gebaut werden, als bisher der Fall gewesen ist. Zu meiner großen Freude hat Herr Graf von Mirbach hinzugefügt, daß er durch die Erklärungen des Herrn Finanz⸗Ministers und durch meine Erklärungen in der Commission sowohl, wie im Plenum dieses hohen Hauses beruhigt sei. Ich kann noch weiter sagen, daß ich bereits heute in sehr lebhaften Unterhandlungen mit dem Herrn Finanz⸗Minister über die Vorlage stehe, die wir in der nächsten Tagung des Landtages vorlegen wollen. Also es besteht bei uns durchaus nicht die Absicht ich brauche das kaum zu wiederholen —, nunmehr von dem Bau der Nebenbahnen abzugehen. Wir stehen aber allerdings unter dem Druck der gegenwärtigen Verhältnisse und haben uns nach der Decke zu strecken. ;

Der Herr von Bethmann⸗Hollweg hat dem Gesetze zum Vor—

wurf gemacht, und daraus, wenn ich ihn recht verstanden habe, eigent⸗ lich seine Hauptbedenken gegen das Gesetz entnommen, daß durch den Instanzenzug, der in diesem Gesetze vorgesehen ist, durch das Con— cessionswesen, welches in diesem Gesetze vorgeschrieben worden ist, der bureaukratische Zug, der durch unser Land geht, noch vermehrt würde, die Schreiberei eine ganz erhebliche Vergrößerung er⸗ fahren würde. Meine Herren, daß mehr geschrieben wird, wenn das Kleinbahngesetz verabschiedet ist, ist auch mir klar, und das ist ja unvermeidlich: wo Holz gehauen wird, da fallen Späne, und ohne Schreiberei mit bloßer mündlicher Verhandlung können wir so wichtige Dinge, wie die Genehmigung von Kleinbahnen, nicht fertig bringen. Aber gegen die Auffassung möchte ich mich doch aus—⸗ sprechen, daß der Regierungs⸗Präsident heute nicht mehr im stande sei, die Verhältnisse in seinem Bezirke zu kennen, die Bedürfnisse in seinem Bezirke beurtheilen zu können. Dagegen möchte ich mich entschieden aussprechen. Ich glaube, daß das in dem Sinne und Umfange durch⸗ aus nicht richtig ist. Wenigstens aus meinen Erfahrungen kann ich nur das Gegentheil behaupten.

Es mag ja einzelne große Bezirke geben, und ich kenne solche großen Bezirke, bei denen es allerdings der ganzen Arbeitsfreudigkeit und Pflichttreue des Regierungs⸗Präsidenten bedarf, um über alle ein⸗ zelnen Dinge in seinem Bezirk unterrichtet zu sein und zu bleiben, und ich möchte daher auch meinerseits dringend wünschen, daß unsere Verhält⸗ nisse baldigst es erlauben, in der Beziehung eine Aenderung eintreten zu lassen. Aber ich glaube nicht, daß die Besorgniß, es werde die Ent⸗ scheidung in diesen Fragen lediglich vom grünen Tisch oder, wie Herr von Bethmann⸗Hollweg sich ausdrückte, von jungen Assessoren ge— troffen werden, begründet ist. Ich glaube, die ganze Entwickelung unserer allgemeinen Verwaltung bürgt dafür, daß die wirklichen Be⸗ dürfnisse des wirthschaftlichen Lebens auch in diesen Fragen zu ihrem Rechte gelangen.

Ich möchte daher nochmals zum Schluß dieses Gesetz Ihnen dringend ans Herz legen. Es regt sich überall im Lande, um, wenn dieses Gesetz verabschiedet ist, mit dem Bau von Kleinbahnen vorzu— gehen. Es regt sich in allen Provinzen und wird mit Ungeduld und Spannung erwartet, daß durch dieses Gesetz eine klare Grundlage für die rechtliche und verwaltungsseitige Behandlung der Kleinbahnen ge— schaffen und dadurch die Möglichkeit geboten wird, in Zukunft die Kleinbahnen gedeihlich zu entwickeln, den Bau und Betrieb derselben zum Segen des Landes zu fördern. Ich bitte dringend, daß das hohe Haus die Gesetzesvorlage annehme. (Bravo h

Graf Mirbach weist darauf hin, daß die Regierungs-Präsidenten des Ostens gar nicht die Möglichkeit hätten, ihre Bezirke so kennen zu lernen, wie es in diesem Falle nothwendig sei.

Damit schließt die Generaldiscussion.

Herr von Wedell⸗Piesdorf beantragt, daß Gesetz aus— schließlich der 58 21 und 30 en bloc .

Graf Mirbach widerspricht diesen Antrag, worauf Herr von Wedell seinen Antrag zurückzieht.

Beim 5 17, der sich auf die Planfestsetzung der Bahn— anlagen, welche die öffentlichen Wege mitbenutzen, bezieht, er— klärt auf eine Bemerkung des Gren Mirbach

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Ich erkenne gern an, daß die Frage, die Herr Graf von Mirbach eben angeregt hat, von großer Tragweite ist, und daß die Staatsregierung die Verpflichtung hat, ihrerseits dafür zu sorgen, daß eine Gefährdung, die aus dem Betriebe der Kleinbahnen, namentlich auf den Straßen, hervorgehen kann, thunlichst hintan— gehalten werde. Diese Frage wird in jedem einzelnen Fall genau zu untersuchen sein; es wird in der Polizeiverordnung, die über den Betrieb der betreffenden Bahnen zu erlassen ist, gerade diesem Punkt befondere Aufmerksamkeit zu schenken sein. Wie nun die Gefährdung des Landverkehrs, namentlich desjenigen, der sich mit Pferden vollzieht, am besten hintan zuhalten ist, das ist eine Frage, die ganz individuell zu beantworten und zu behandeln sein wird. Ob in dem betreffenden Fall beide Verkehre ganz unbedenklich nebeneinander gehen können, wie das ja sehr vielfach der Fall ist, namentlich auf großen Strecken im Westen, oder ob eine räumliche Trennung zwischen den beiden Verkehren stattfinden soll, entweder da— durch, daß eine Schranke zwischen der Bahn und dem Land⸗ verkehr errichtet wird, oder daß die Bahn auf ein höheres Banket zu legen sein wird, oder in irgend einer anderen Weise, das muß der jedesmaligen Entscheidung vorbehalten bleiben. Ich mache auch noch darauf aufmerksam, daß eine Gefahr eintritt nicht nur, wenn die betreffende Kleinbahn auf die Straße gelegt wird, sondern auch dann, wenn die Kleinbahn neben die Straße gelegt wird, also unmittelbar neben letzterer herfährt; das ist aber in Ge— birgsländern überhaupt nicht zu vermeiden; es würde sonst auf den Bau der Bahn ganz und gar verzichtet werden müssen, denn wir haben nur eine Thalsohle und innerhalb dieser Sohle muß sich sowohl die Eisenbahn bewegen als das Landfuhrwerk. In solchen Fällen müssen aber beide lernen, sich miteinander zu vertragen, und nach den Erfahrungen, die nicht bloß bei uns zu Lande, sondern in Italien, Belgien, Holland und den übrigen Ländern, die mehr Kleinbahnen haben als wir, gemacht worden sind, lernen auch diese beiderseitigen Verkehre miteinander auszukommen. Ich hoffe, daß dadurch die Befürchtungen, die Herr Graf von Mirbach angeregt hat, und deren Bedeutung ich durchaus nicht verkenne, sich durch die Erfahrung widerlegen oder doch erheblich abschwächen werden.

ü eldt weist darauf hin, daß die Gefahren, die für . . hee tene uf . Bahn , .

ätzt würden. 17 wird in der von dem Hause der Abgeordneten beschlossenen Fassung genehmigt.

Den §8 A beantragt Fürst aßtel t in der von dem Hause der Abgeordneten beschlo senen Fassung wieder⸗ herzustellen; Herr von Graß⸗Klanin beantragt außerdem . folgenden gusch⸗ Ermäßigungen der Beförderungspreise, welche nicht unter Erfüllung der gleichen Bedingungen jeder⸗ mann zu gute kommen, sind un elch e

Fürst r,. macht darauf aufmerksam, daß der Beschluß des Hauses der Abgeordneten von der Commissisn des , nur mit Stimmengleichheit abgelehnt sei. Es sei kein Zweifel, daß das Haus der Abgeordneten mit seiner Fassung nur die Ausnahmetarife beseitigen wolle. ;

Herr von Graß-⸗Klanin: Der Beschluß des auses der Ab- geordneten bezwecke, die Eisenbahnverwaltungen an ie einmal von ihnen festgestellten Tarife zu binden; es könne nicht verkannt werden, daß die absolute Freiheit der Eisenbahnverwal⸗ tungen, jeder Zeit. von den von ihnen selbst vVublieirten Tarifen abjuweichen, in wirthschaftlicher Hinsicht nachtheilig wirken

die über

könne. Es sei nicht , , dan einzelne bei der Verwaltung

betheiligte größere Kapitaliften oder Unternehmungen durch eine ein- seitige Ausnutzung der Bahn für die für sie zu transportirenden Waaren die mit ihnen concurrirenden kleineren Unternehmungen ge— fährden könnten. Und es sei nicht zu verkennen, daß die Berechtigung der Verwaltungen, nach ihrem Belieben jeder Zeit einzelne Waaren von den bestehenden Tarifen befreien zu können, i lich, dazu führen könnte, daß die wirthschaftli Schwächeren thatsächlich in ihrer Existen; besoht würden. Andererseitg aber seien Fässe denkbar, in denen eine Abweichung von den einmal festgesetzten Tarifen nicht allein zulässig, sondern sogar geboten sei. So koͤnne z. B. eine Eisenbahn⸗ berwaltung einer Fabrit den Kohlentrangport fehr viel billiger leisten, wenn sie sichere Aussicht habe, eine Rückfracht zu finden. Bei strikter Festhaltung des Beschlusses des . würde die Eisen⸗ bahnverwaltung gar nicht in der Lage sein, einen Ausnahmetarif zu bewilligen. m dies zu verhüten, habe er sein Amendement ge⸗ stellt. Das Haus der Abgeordneten werde zweifellos damit eln= verstanden sein.

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Ich möchte nur zunächst eine Erklärung darüber geben, warum der angefochtene Absatz ursprünglich in die Regierungs⸗ vorlage nicht aufgenommen worden ist. Das ist nicht etwa darum geschehen, weil die Regierung der Meinung gewesen ist, auf den Kleinbahnen könne reine Tarifwillkür eingeführt werden, könnten Re— factien und ein Handel mit Tarifen stattfinden, darum brauche sich die Staatsregierung nicht zu kümmern. Diese Ansicht hat durchaus nicht obgewaltet, sondern die Staatsregierung ist der Meinung gewesen, daß von einer öffentlichen Verkehrsanstalt, sei es eine Kleine, Neben- oder Vollbahn, die gleichmäßige Behandlung aller Interessenten durchaus unzertrennlich ist. Es würde den Charakter der öffentlichen Verkehrsanstalten meines Erachtens ver— nichten, wenn man zugeben wollte, daß eine derartige, mit allen Pri= vilegien des Staats ausgerüstete Anstalt nunmehr frei schalten und walten dürfe nach Willkür und ihre Tarife nach Gunst und Gabe jedem einzelnen zu gute kommen lassen dürfe. Diese Auffassung hat nicht obgewaltet. Die Regierung ist vielmehr der Ansicht gewesen, daß unter den Concessionsbedingungen, den allgemeinen Vorschriften für die Concession diese Bedingung die erste sein und daß in jeder Concessionsurkunde diese Clausel Aufnahme finden müsse.

Das Abgeordneten haus hat es für zweckmäßig befunden und die Staatsregierung hat dem Hause darin Recht geben müssen —, diesen Grundsatz in das Gesetz selbst aufzunehmen, und aus dieser Er= wägung heraus ist der Absatz 2 des 21 entstanden. Die Erörte⸗ rungen, die in der Commission stattgefunden haben, haben wesentlich den Zweck gehabt, den Sinn dieses zweiten Absatzes klar zu stellen, und diese Klarstellung ist meines Erachtens auch durch die Erklärungen, die meinerseits abgegeben worden sind, erreicht.

Ich kann daher nur erklären, daß die Staatsregierung an und für sich den Antrag auf Wiederherstellung dieses Absatzes als voll— ständig ausreichend erachtet, auch um diejenigen Bedenken zu beseitigen, die von Seiten Einzelner in der Commission aufgestellt worden sind, daß die Staatsregierung aber auch ihrerseits keine Bedenken dagegen hat, wenn das hohe Haus sich für den Antrag des Herrn von Graß entscheidet. Nach meiner ganz unmaßgeblichen Meinung würde es sich aber vielleicht doch empfehlen, die Fassung des Abgeordnetenhauses wiederherzustellen, da nach den Erklärungen, die in der Commission wie im Plenum abgegeben sind, ja über den Sinn dieses Absatzes durchaus kein Zweifel mehr obwalten kann.

Professor Dernburg: Es könne doch nach den Ausführungen des Ministers nicht in der Absicht des Hauses liegen, an die Stelle der von dem Hause der Abgeordneten beschlossenen Fassung den gleich⸗ werthigen Antrag Graß zu setzen, da das nur zu Weiterungen Anlaß

eben würde. Er bitte, die vom Hause der Abgeordneten beschlossene ,, anzunehmen.

Der Antrag Graß wird angenommen.

2 S 30 befürwortet Berichterstatter Graf Frankenberg den Commissionsantrag, . .

Fürst Hatzfeldt: Da der Minister seinen Widerspruch gegen die SGi ih des Abgeordnetenhauses zurückgezogen habe, so habe das Herrenhaus keine Veranlassung, hier fiscalischer zu fein als der Fiscus. Er möchte bitten, um das Zustandekommen des Gesetzes zu , die von der Commission gestrichenen Worte wiederherzustellen.

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Herr Fürst von Hatzfeldt hat mich doch wohl mißverstanden. Ich habe in der Generaldiseussion gesagt, daß das Bedenken, welches die Staatsregierung im Abgeordnetenhause in sehr lebhafter Weise geltend gemacht hat, auch heute noch bei ihr bestehe, und daß sie nur dann, wenn etwa das hohe Haus sich entschließen könnte und bereit sein würde, das Gesetz in der Fassung des Abgeordnetenhauses pure zu acceptiren, auch ihrerseits bereit wäre, von einer Aenderung des § 30 im Sinne der Wiederherstellung der ursprünglichen Vorlage Abstand zu nehmen. Da diese Voraussetzung aber nicht zutrifft, so möchte ich doch großen Werth darauf legen, daß die Beschlußfassung der Commission auch von dem hohen Hause zu der seinigen gemacht wird. Die Gründe, die dafür sprechen, sind in der Commission dieses Hauses, wie auch im Abgeordnetenhause in sehr eingehender Weise von mir ausgeführt worden, und bestehen im wesent⸗ lichen darin, daß die Staatsregierung meines Erachtens un⸗ bedingt das Recht haben muß, Bahnen, deren Erwerb für das allgemeine Staatswohl nothwendig ist, aus diesem oder aus jenem Grunde es werden im wesentlichen immer entweder Betriebs⸗ rücksichten des Staatseisenbahnnetzes oder strategische Rücksichten sein, und, wie ich voraussetze, wohl kaum jemals rein fiscalische Gründe ö. gegen die im Gesetze vorgesehenen sehr reichlichen Entschädigungen in das Eigenthum und den Betrieb des Staats über— zuführen. Der Erwerb der Bahn ist aber durch den Zusatz, den das Abgeordnetenhaus dem § 30 gegeben hat, in die Hand des Unternehmers gelegt worden. Der Unter— nehmer hat danach die Wahl, ob er das Angebot des Er—⸗ werbes des Unternehmens durch den Staat annehmen will, oder ob er sich dem Gesetz vom 3. November 1838 unterwerfen will. Wenn auch nichts Anderes, so würde doch diese Bestimmung jedenfalls den Erfolg haben, daß die Verhandlungen darüber sich in ungemessene Zeiten hinziehen. Ich bitte daher dringend, daß das hohe Haus an den Beschlüssen seiner Commission festhält. K .

ĩ : Er freue sich, daß der Minister seine Stellun mit ger g e r hanf, f . ne . Fürst Hatzfeldt seinen Antrag auf. Wiederherstellung der Beschlüsse des Abgeordneten, hauses aufrecht erhalten, dann müßke er eine namentliche Abstimmung beantragen und würde eventuell gegen das Gesetz stimmen.

Fürst Hatz 3 zieht scinen Antrag zurück, um nicht unter den obwaltenden Umständen (es sind nämlich nur 55 Mit— glieder anwesend, während 60 zur . keit gehören) die Gefahr einer namentlichen Abstimmung heraufzubeschwören.

20 wird nach dem Ankrage der Commission angenommen, die übrigen Paragraphen werden ohne Besprechung en blos angenommen.

Die Verlage muß wegen der Aenderungen in S8 21 und 30 an das Abgeordnetenhaus zurückgehen. ;

Ueber die Petition des Stabsarztes a. D. Dr. Stern—⸗ berg und dessen Ehefrau, wegen der Beschwerde über Ein⸗ leitung des Entmündigungsverfahrens unter einer großen Zahl von Rechtsnerletzungen beantragt die Petitionscommission „in Erwägung 1) daß die Prüfung des Entmündi ungs⸗ verfahrens über den Br. Sternberg zur Zeit im geordneten Rechtswege noch schwebt, 2 daß das Entmůndigungs verfahren über die Frau Sternberg auf den Antrag . Vertheidigers stattfindet und das Strafverfahren gegen dieselbe noch schwebt, zur Tagesordnung überzugehen.“

Berichterstatter Freiherr von Durant: Er sei in der schwierigen Lage, daß er als Berichterstatter verpflichtet sei, einen Beschluß der Petitionscommission vor dem hohen 9 zu vertreten, der seiner innersten Ueberzeugung nach nicht den Thatsachen gerecht werde. Der Ursprung der Petition und des darin erwähnten Entmündigungs⸗ verfahrens stamme von einer Beleidigungsklage eines Rechtsanwalts en Dr. Sternberg, die vor mehr als Jahresfrist angestrengt worden

ei. Das Verfahren, das ein Jahr lang gedauert habe, sei schließlich

als ungesetzlich und unzulässig eingestellt worden. Hieran hätten sich zwei Klagen des Dr. Sternberg gegen zwei Richter des Amts⸗ richts Charlottenburg und den erwähnten Rechtsanwalt ge— chlossen. Diese Klagen seien indessen erfolglos geblieben, und schließlich ei das Entmündigungsverfahren gegen den Dr. Sternberg eingeleitet worden. In der Petition werde nun ausgeführt, daß bei diesem Entmündigungsverfahren eine Reihe schwerster Rechtsverletzungen stattgefunden . Nach der Ansicht Sternberg's habe einen aupt⸗ rund, dafür abgegeben eine delicate Angelegenheit, die den Justiz⸗ Inn steꝛ betroffen habe. Der Sachverständige, Kreisphysikus Pr. Falk, habe Dr. Sternberg zu einem Sonntag Vormittag zu sich bestellt und als er für diesen Tag behindert gewesen sei, auf den ersten 1 Vormittags 10 Uhr. Dr. Sternberg habe gegen diese, Vorladung in einem Schreiben, das seiner Meinung nach vollständig sachgemäß abgefaßt gewesen fei, Einspruch erhoben. Aus diesem Schreiben habe aber Dr. Falk sein Gutachten über den Geisteszustand des Dr. Sternberg abgeleitet und eine Untersuchung nunmehr für überflüssig erklärt. Ein weiteres Gutachten des Herrn Dr. Gutfleisch sei ebenfalls oberflächlich abgefaßt. Die Folge sei ge⸗ wesen, daß das Entmündigungeverfahren eingelestet worden f. Frau Dr. Sternberg habe ihre Kenntniß von der eingangs erwähnten delicaten Geschichte benutzt und sich unter Hinweis hierauf in einem Brief an die Gemahlin des Justiz⸗Ministers gewandt; deswegen sei sie wegen Be⸗ leidigung in erster Instanz zu zwei Monaten Gefängniß verurthelilt. Im weiteren Verlaufe der Angelegenheit hätten sich, wenn die in der Petition angeführten Thatsachen wahr feien, Vorfälle wieder⸗ holt, wie sie bei Verhandlungen des Falles Paasch zur Sprache ge⸗ kommen seien. Schließlich sei auch gegen Frau Hr. Sternberg das Ent— mündigungsverfahren eingeleitet. Der Vormund des Pr. Sternberg, Rittergutsbesitzer und Premier ⸗Lieutenant Herr von Oertzen habe in einem . an den Polizei⸗Director von Charlottenburg den Geistes⸗ zustand seines Mündels für normal erklärt. Er kenne den Herrn von Dertzen persönlich als einen einwandsfreien Zeugen. Er habe ferner Gelegenheit genommen, Herrn. Dr. Sternberg zu sehen, und habe bei mehreren Unterredungen mit ihm nicht die Spur einer Geistesgestört⸗ heit an ihm wahrnehmen können. Er könne es von seinem Standpunkt aus nicht begreifen, wie ein Mann von derartiger geistiger Frische und Klarheit für geisteskrank habe erklärt werden können. Auf Grund der Thatsachen habe er beantragen zu sollen geglaubt, die Petition der Regierung zur Berücksichtigung dahin zu überweisen, daß das Entmündigungsverfahren gegen den Hr. Sternberg aufgehoben oder unter Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften vorgenommen werde; zweitens, daß wegen der Frau Dr. Sternberg alle Maßregeln unterlassen würden, die ihrer Gesundheit zu schaden geeignet seien, und alle gesetzlichen Bestimmungen beobachtet würden, und drittens, daß eine Untersuchung darüber vorgenommen werde, wie weit etwa in diesem Verfahren gesetzliche Vorschriften verletzt worden seien. Der Regierungsvertreter habe aber erklärt, daß dieser Antrag weit über die Befugnisse des Herrenhauses hinausgehe und in ein schwebendes Verfahren eingreife. Rechtsverletzungen seien durchaus nicht vorgekommen. Gegen Dr. Sternberg sei Querulanten⸗ wahnsinn angenommen, und sehr häufig sei in ähnlichen Fällen das Entmündigungsverfahren eingeschlagen worden. Wenn man nun bedenke, wie groß die Trauer in einer Familie sei, in der sich ein wirklicher Fall von Irrsinn ereigne, so könne man sich vorstellen, wie groß die Trauer hier sein möge, wo wegen gehäufter Beschwerden über eine Behörde ein Mensch seiner bürgerlichen Existenz und Selbstbestimmung beraubt werde, ohne daß er in der That geisteskrank sei. Der Berichterstatter habe unter diefen Umständen geglaubt, seinen Antrag aufrecht erhalten zu sollen, aber die Kommission sei schließlich zu einem anderen Beschluß gekommen, nämlich zu dem vorliegenden ntrag. Geheimer Justiz⸗Kath Vierhaus: In dem Vortrage des Bericht⸗ erstatters seien eine ganze Reihe von schweren Anklagen gegen die mit dem Fall befaßte Justizbehörde enthalten. Der Berichterstatter habe mehrmals erklart, daß er nur reiata referire, andererseits habe er aber Schlüsse daraus gezogen, so daß man annehmen miüsse, er habe sich die angeführten Thatsachen zu eigen gemacht. Gehe er von der letzteren Voraussetzung aus, so müsse er (Redner) bedauern, daß der Vorredner sein Vertrauen schwer habe täuschen lassen. Denn die Darstellung entspreche durchaus nicht den Thatsachen. Das Verfahren gegen Dr. Sternberg sei unter strenger Beachtung aller Varsch if geführt worden, und dasselbe gelte von dem Verfahren gegen Frau Ir. Sternberg. Ueber ein schwe⸗ bendes He mn könne er keine Kritik üben, auch das hohe Haus werde datz nicht thun. Hr. Sternberg sei ent⸗ dig und habe das zuständige Rechtsmittel dagegen ergriffen; hier über chwebten noch Verhandlungen. Die Frau Dr. Sternberg sei wegen Nöthigung zu einer gesetzwidrigen Handlung gegenüber dem Justiz. Minister angeklagt, und auch higrüber schwebten Verhandlungen. Zwei Urtheile, die fie schüldig gefprochen hätten, selen aus rein for⸗ mellen Gründen aufgehoben und jetzt schwebe ein neues Verfahren, auch hier sei in keiner Weise eine Gesetzesverletzun vorgekommen. Daß das Verfahren sich so lange hingezogen, beruhe lediglich auf einer Verschleppungstaktik des Herrn Dr. Sternberg und seiner Frau, wie sie wohl noch niemals vorgekommen sei. Der Justiz . Minister habe sich unter Verzichtleistung auf sein Recht, in semner Wohnung vernommen zu werden, bereit erklärt, vor Gericht die Unrichtigkeit der Behauptungen der Frau Dr. Sternberg eidlich zu erhärten. Graf Klinckowström: In der Commission sei ein prin— eibieller Punkt zur Erörterung gekommen, durch den er und die ganze Commission sehr erschreckt worden seien. Das sei die Frage wegen des Querulantenwahnfinns. Es sei . allgemein üblich, daß, wenn jemand Behörden fortwährend mit Eingaben und Be— chwerden belästige, gegen ihn das Entmündigungsverfahren wegen uerulantenwahnsinnd eröffnet werde, und das habe das Be— Jueme, daß die Behörden alle von ihm eingehenden Beschwerden ad acta legen könnten. Das sel ja sehr bequem, aber er würde ich do hundertmal besinnen, ehe er ein solches Verfahren eintreten asse. „Er müsse deshalb drei Fragen stellen: 1) Von wem wird der il e n enhten gestellt, etwa von der durch die Eingaben be— helligten ehoͤrde? 3) Wird diefer Antrag gestesst, weil man über · ug ist, der Betreffende sei geifleskrauk, oder nur, weil man pant daß er hat? und 3) Ist der Queru- antenwahnsinn eine von ärztlichen Autoritäten anerkannte Species es Wahnsinns? wa Geheimer Justi-Rath Vierhaus: Der Reglerungs⸗ Commissar, . der Commission beigewohnt habe, sei durch andere Dienst⸗ 6. chafte verhindert, hier zu erschelnen; er edner) wisfe nicht, was er ihk Commisston erklart habe, glaube aber, daß es sich um ein ißverständniß handele, das ain besten durch Beantwortung der ge⸗

stellten drei Fragen zu beseitigen sei. Auf die erste Frage erwidere er, daß der Antrag entweder von Verwandten oder vom Staats- anwalt gestellt werde; entstehe bei einer Behörde der Verdacht, daß der , wich geisteskrank sei, so sei sie verpflichtet, der Staats anwaltschaft Anzeige zu machen. Die zweite Frage beantworte er damit, daß der Verdacht des Querulirens allein niemalß das Ent⸗ mündigungsverfahren veranlassen könne. Die dritte rage könne er als Furist nicht beantworten. Er wiffe nur aus dem Bukachten, daß der Kreisphysikus Mittenzweig und auch andere Vlerzte von Queru? , als von einer speciellen Form des Verfolgungswahn⸗ inns sprächen.

Darauf wird die Discussion geschlossen.

Berichterstatter Freiherr von Du rant: Der Regierungs⸗Commissar habe die Frage nicht beantwortet, wie das Gutachten des Kreis⸗ physikus enktstanden sei. Die körperliche Untersuchung des Pr. Stern- berg durch den Kreisphysikus sei eine so ungenügende gewesen, daß letzterer nicht einmal erkannt habe, daß der Br. Sternberg nur ein. Auge habe. Der Regierungs⸗Commissar habe gesagt, der Justiz⸗ Minister habe sich bereit erklärt, eidlich zu erhärten, daß die von der Frau Dr. Sternberg seiner, des Minifters, Gemahlin gemachten Angaben, auf Unrichtig eiten beruhten. Nichts anderes wünsche die

rau Dr. Sternberg. Sie wünsche die eidliche Vernehmung des nisters. Das sei aber bisher vermieden worden. Schließlich stelle er fest, daß Frau Dr. Sternberg elf Tage in Untersuchungshaft sich befunden habe, während der Gerichtsbeschluß nicht darauf ge⸗ lautet habe, sie in Untersuchungshaft zu bringen, sondern auf ekrne Beobachtungsstation. Also diese elf. Tage habe sie seiner Auffassung nach zu Unrecht im Untersuchungsgefängniß zugebracht. Seiner per⸗ sönlichen h fn nach erscheine es ni öt gerechtfertigt, dem Be⸗ schluß der Commission beizutreten. Indessen müsse er als Bericht⸗ erstatter anheimstellen, zu beschließen, was dem Hause gut dünke.

6 Herzog von Ratibor: Er könne nur den Antrag der eschäftsordnungẽ⸗ Commission zur Abstimmung bringen, da ein anderer Antrag nicht vorliege.

Der Antrag der Commission, auf Uebergang zur Tages— ordnung, wird angenommen.

Schluß 51 Ühr.

Statistik und Volkswirthschaft.

Wohnungsverhältnisse der Arbeiter.

In den soehen erschienenen, schon in Nr. 142 des R.⸗ u. St.⸗A.“ an dieser Stelle erwähnten Jahresberichten der Königlich preußischen Regierungs- und Gewerberaͤthe und Bergbehörden für . . den Wohnungsverhältnissen der. Arbeiter ein breiter Raum gewidmet. .

Der Regierungs- und Gewerbe⸗Rath Sack in Königsberg hebt hervor, daß die verheiratheten Arbeiter in den größeren Städten der Propinzen Ost⸗ und Westpreußen im Durchschnitt an Mieths⸗ zins noch immer über 20 0 ihres Einkommens Fezahlen. Der Mangel kleinerer und gefunder Wohnungen von einer Stube und Küche macht sich besonders in Königsberg fühlbar. Bei den hohen Preisen des Grund und Bodens innerhalb der Stadt sind Unternehmungen zum Bau von zweckmäßigen Arbeiterhäusern nur sehr schwierig ein⸗ zuleiten, und außerhalb der Festungswerke erschweren die ungünstigen Bodenverhältnisse und die Bestimmungen des Rayongesetzes die Ent⸗ wicklung einer etwa nach dieser Richtung hin rege werdenden Baulust. Einige größere Fabriken wären schon längst mit der Einrichtung von kleinen Wohnungen vorgegangen, wenn sich die Kosten aus diesen Gründen nicht gar zu unverhältnißmäßig hoch stellten. Die Schlafstellen der Ziegelarbeiter, denen die große Entfernung ihres Wohnstzes eine allabendliche Rückkehr nach dem⸗ selben von der Arbeitsstelle nicht gestattet, bieten ein wenig erfreuliches Bild; nur, in wenigen Fällen werden den Arbeitern von? den Arbeit. gebern wollene, Decken zur Verfügung gestellt; Waschgelegenheiten seien in den Ziegeleien nirgends vorhanden.

Auch in den Regierungsbezirken Frankfurt und Potsdam entsprechen die Arbeikerwohnungsverhältniffe nach dem UÜrtheil des Regierungs⸗ und Gewerbe⸗Raths Dr. von Rüdiger in den zum Fabrik⸗ betriebe gehörigen Arbeiterkafernen einige wenige ausgenommen) nicht den Anforderungen, welche auf Grund bestehender Kreis⸗Polizei⸗ verordnungen oder, vom rein menschsichen Standpunkt aus gestellt werden können. Die Räume in den meisten Ar⸗ beiterkasernen waren (bei der Besichtigung) sehr schmutzig, schlecht gelüftet und mit Ungeziefer behaftet. In vielen Kasernen befanden sich Eß⸗ und Schlafräume vereinigt. Der Regie— rungs- Präsident von Potsdam hat hieraus und aus anderen Ver— hältnissen Veranlassung genommen, eine . über die Einrichtung und Benutzung von Arbeiterwobnungen zu erlaffen, welche geeignet erscheint, auf, diesem Gebiete gründlich Wandel zu schaffen. Die fr zweier Glashütten haben im Jahr 18951 neue und gute Wohnhäufer gebaut, deren einzekne Wohnungen aus zwei Zimmern, Küche, Kammer und Stallung bestehen. Auf den Zschspkauer Werken im Kreise Kalau sind bis jetzt 45 derartige Arbelterwohnungen ein— gerichtet worden.

Im Regierungsbezirk Oppeln . vielfach eine größere Fürsorge für die Einrichtung von Arbeiterwohnungen zu erkennen. Es sind dort theilweis Einrichtungen geschaffen worden, die weit über das . was man im allgemeinen für die Lebenshaltung des oberschlesischen Arbeiters als Bedürfniß bezeichnet. In den von

itzner, Königshütte, Donnersmarckhütte u. a. errichteten Häusern esteht die Wohnung aus drei Räumen mit den zugehörigen Neben⸗ räumen, während früher nur zwei Räume üblich waren. Die Ein— richtung und Ordnung in diefen Arbeiterwohnungen zeigt deut⸗ lich, „daß die Arbeiter die Vorzüge einer befferen Wohnung zu schãtzen , Die Einrichtung und Ausstattung der Schlafhãuser trägt jetzt mehr als früher den in gefundhestlicher ünd sittlicher Hin= sicht zu stellenden Forderungen Rechnung. Ferner sind vielfach Wasch⸗, Ankleide und Badeanstalten errichtet.

In Altona haben sich ungünstige Wohnun Sberhältnisse, hohe Miethen und übervölkerte Wohnungen ergeben. er commissarische Gewerbe⸗Inspector Scheibel hat darüber einen Bericht an den Re⸗ gierungs-Präsidenten von Schleswig⸗Holstein erstattet und dieser hat die erforderlichen Maßnahmen getroffen, um die Lösung der Frage der Neuerrichtung don billigen und gesunden Arbeiterwohnhäusern in Altona in dringlschsier Wa anzuregen.

In der Zuckerfabrik Mühlberg (Provinz Sachsen) war vor Jahr und Tag ein Theil der Arbeiter-Schlafraͤume polizeilicherseits geschlossen worden; jetzt ist dort eine mufterhafte Arbeiterkaserne für weibliche und männlich Arbeiter errichtet worden.

Die Ilseder Hütte . Hannover) hat zahlreiche Arbeiterwohnhäuser errichtet. ede ir nn liegt in einem etwa 90 am großen Grundstück, welches für den Bau von Kartoffeln und Gartenfruͤchten für eine Familie genügt. Je zwei bilden ein durch eine and getrenntes Gebäude, wobei zwei Systeme berücksichtigt wurden: Wohnungen nur für eine amilie, und n Wohnungen mit der Einrichtung, underheirathete Ke tgänger aufzunehmen. Die Herstellungskosten' einer Wohnung der ersten * betragen 2100 6 und der zweiten 3206 „M, der jährliche Mieths⸗ preis 90 bezw. 129 16. An Familienwohnungen waren Ende 1891 27I vorhanden. Mit einer größeren Anlage von Arbeiterwohnhäusern ist die Oderfelder Möbelfabrik in Barbis am Harz beschäftigt. Die in . belegene Hamburger Wollkämmerei hat 140 Wohn⸗ häuser für ihre Arbeiter errichtet; der Miethzins beträgt für ein 2 monatlich 18 1M. Jedes dieser Wohnhäuser enthält im Erdge 3. die Küche und ein großes Zimmer und im ersten und zweiten Sto je? Zimmer, von denen das eine zwei, das andere ein Fenster hat; auch ert zu jedem Haus ein Garten von etwa 75 4m.

Im ,, Arnsberg hat ein Arbeitgeber eine Wohnungsrevisions⸗ ommission errichtet, welche die Wohnungen von Arbeitern auf ihre Güte und Gefundheit zu revidiren hat. Es

Wohnungen

werden überhaupt solche Wohnungen revidirt, welche von Arbeitern

die Heimathgemeinde ni

Kelch etwa 4090 Personen am

der Firma gemiethet sind. Dabei stellte sich heraus, daß von 123 untersuchten Wohnungen in der Stadt Altena ne m Urtheil des . 84 ö zu klein, 12 mangelhaft, 2 unwürdig, 4 ungesund, durchaus unzulãssig waren.

Im Regierungsbezirk Kassel hat sich die Sorge für Beschaffun gesunder und billiger Wohnungen für Arbeiter auch im Jahre . erfreulich bethätigt. Die Heynssche Glasfabrik hat jetzt 50 Arbeiter⸗ wohnhãuser. 6 Tuchfabrik in Hersfeld ist mit der Anlage einer Arbeiter⸗Colonie beschäftigt. Die Firma Wegmann in Rothenditmold bei Kassel hat eine ausgedehnte Baufläche erworben, 1 in diesem Jahr mit dem Bau von Arbeiterwohnungen vorzu⸗ gehen. ö

Im Regierungsbezirk Wiesbaden sind die Wohlfahrtseinrich⸗ tungen der Firma Farbwerke vormals Meister, Lucius und Brünin in . 2 sie hat jetzt 180 Familiendoppelwohnungen mi Stallung und Gärtchen; sie erhebt dafür eine Miethe, welche einer Verzinsung von ungefähr 3 , des Baukapitals ent⸗ pricht. Zur Beschaffung von gesunden und billigen Wohnungen für

rbeiter ist in Höchst eine Actiengesellschaft zusammengetreten. Swei Wohnhãuser e,. fertiggestellt. . In den Regierungsbezirken Köln und Koblenz war die Bau⸗

thätigkeit für Arbeiterwohnungen eine geringere als im Vorjahr, was

auf die ungünstigere Geschäftslage zurückgeführt wird. Friedrich Krupp. hat auf der Hermannshütte ein Logirhaus für 120 Arbeiter in musterguͤltiger Weife errichtet. In Köln hat sich die Stadtverwaltung durch Zeichnung eines Theils des auf 600 000 bemessenen Aetienkapitals an der dort in Bildung be— 6 gemeinnützigen Baugesellschaft betheiligt. Im Regierungs⸗ ezirk Düsseldorf sind auch im Jahre sis9gi gemeln⸗ nützige Bauvereine, Werksperwaltungen und Private mit dem Bau von Arbeiterwohnungen weiter vorgegangen. Im Regierungsbezirk Sigmarin gen bestehen Arbeiterwohnungen nür in einem ö werk; ein dringendes Bedürfniß zur Errichtung solcher ist bei den dortigen Verhältnissen auch nichk vorhanden.

V Trinkerheilanstalt.

. Königreich Sachsen ist jetzt die erste Trinkerheilanstalt eröffnet worden; sie bietet bereits einigen Patienten ein friedliches

eim, in dem sie ihrer Gesundung entgegengehen. Vorsteher der Anstalt ist der frühere Rettungshaus⸗Inspector, jetzige Gutsbesitzer L. Kretzschmar in Stenz bei Königsbrück. Ein Comlts zur Ueber— wachung und n. des Unternehmens hat sich unter dem Vorsitz des Ge eimen Regierungs⸗Raths Dr. Böhmert in Dresden gebildet, und die Mitglieder diefes Comitès sind gern zur Auskunfts— ertheilung an Alkoholkranke und deren Angehörige bereit. Es sind außer dem genannten Vorsitzenden die Herren Hr. Bode⸗Herms⸗ dorf bei Dresden, von Graisowsky⸗ Dresden, Bürgermeister Heinze und Dr. med. Hottenroth in Königsbrück, Oberforster Lehmann⸗ Laußnitz, Dr. med. Meinert⸗Dres den und Pastor Weinart in Krakatz. Die Anstalt steht im Zusammenhang mit dem Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, der in Dresden, Wasserstraße 7, . Sitz hat, und der Vorstand dieses Vereins hat kürzlich auch be⸗ schlossen, einigen von der Trunksucht betroffenen Familien dadurch bei⸗ zustehen, daß die Kosten des Aufenthalts in Stenz zum theil von der Vereinskasse übernommen werden. Selbstverständlich wird diese Vergünstigung nur dann gewährt werden, wenn die Angehörigen oder 4 in der Lage sind, die ganze Summe zu zahlen, und wenn der Fall von einein Vereinsmitgliede empfohlen wird. Der Pensionspreis beträgt 400 6 im Jahr, kann aber auch ermäßigt werden, wenn der Pflegling zu voller Arbeitsleistung fähig und willig ist. Ein Aufenthalt bon weniger als einem Jahr ist nicht zu, empfehlen. An die Vorstände von Armenverbänden, Wohl⸗ thätigkeitsbereinen und Krankenkassen ergeht die Bitte, die Unter⸗ bringung von Trunkfüchtigen in diefer Anstalt in Erwägung zu ziehen, wo m dauernder Noth odes dauernder Krankheit vorgebeugt werden kann.

Trunksucht als Todesursache.

Nach den aus 15 größeren Städten der Schweiz vorliegenden amtlichen Sterbekarten ist im Jahre 1891 bei 435 Personen im Alter von 290 Jahren und darüber Trunkfucht als mittelbare oder unmittel⸗ bare Ursache des Todes angegeben, und zwar bei 366 (von insgesammt 3409) verstorbenen Männern und bei 59 svon insgesammt 3456) ver— storbenen Frauen dieses Alters. Auf je 106 gestorbene männliche Personen kamen im Alter von 20 bis 39 Jahren 11,6, im Alter von 40 bis 59 Jahren 14,8 Todesfälle an Trunksucht und deren Folgen. Von den einzelnen Berufsarten waren am häufigsten die Handwerker

und Fabrikarbeiter (139 Mah, demnächst die Wirthe (46 Mah unter jenen 366 Gestorbenen vertreten.

Zur Arbeiterbewegung.

Opposition gegen die socialdemokratische Parteileitung und das Centralorgan „Vorwärts“ macht sich in Arbeiterver— sammlungen periodisch immer wieder bemerklich. Der „Vorwärts“ pflegt dann die Widerstrebenden einfach den sogenannten „Unabhängigen“ zuzuzählen. Das geschieht auch mit den Berliner Klempnergehilfen, die in einer Ver— sammlung des Fachvereins der Klempner und Berufsgenossen am n sich sehr heftig über den „Vorwärts“ und ein Mitglied der socialdemokratis en Parteileitung aussprachen. Die Berliner „Volksztg.“ berichtet über diese Versammlung:

Klempner Elend theilte der Versammlung mit, daß der BVerwärts sich weigere, Berichte von den Klempnern aufzunehmen. Diese Mittheilung rief große Entrüstung hervor und gab zu einer heftigen Polemik gegen das soeialdem okratische Centralorgan Veranlassung. Die Klempner hätten sich von dem Metallarbeiter⸗Verband los esagt und eine selbständige Vereinigung begründet, um ihre . besser wahren zu können. Dies sei nicht nach dem Willen des Verbands⸗ vorsitenden Herrn Gerisch, der gleichzeitig Vorstandsmitglied der socia demokratischen Parteileitung ist, gewesen, und nun suche dieser augenscheinlich die Veröffentlichung der Berichte über die Klempner— bewegung zu hintertreiben. Der, Vorwärts“ sei ein reines Bourgeois⸗ blatt; das Geld der Arbeiter sei den Herren dort angenehm. Klempner Bräuer trat den Ausführungen einiger Vorredner, soweit diese sich gegen den Metallarbeiter ⸗Verband richteten, entgegen, wurde aber durch Zwischen⸗ rufe und Lachen unterbrochen. Klempner Selchow empfahl die An⸗ nahme einer Resolution gegen den „Vorwärts“. Hiergegen machte Klempner Köhler geltend, daß man das Blatt einfach nicht mehr halten möge; dies zu befolgen, sei besser als eine Refolutisn. Da diese Ansicht keinen Widerspruch fand, wurde von der Annahme einer

Resolution Abstand genommen. dem Lande bildete den Gegen—

Die Agitation auf stand der Verhandlung in einer socigldemokratischen u der sich der „Lpz. Zig.“

Versammlung in Leipzig, ienstag eingefunden hatten.

as Blatt berichtet:

Die auf die . der ö Bezirke von der Social⸗ ei

demokratie gerichtete Thätigkeit der conservativen Partei schien un⸗ angenehm empfunden worden zu sein; wenigstens unternahm Herr

Geyer als Referent mehrere scharfe Angriffe auf diese Thätigkeit. Er kündigte das Erscheinen zweier epochemachenden Broschüren über die bn chen . und das Parteiprogramm an und empfahl bis dahin seiner Partei bei ihren Agitationsausflügen aufs Land das unausgesetzte Betonen der Getreidezoͤlle und der . als vorzüglich geeignet für den „Gimpelfang'. Der Rath eines anderen ing dahin, die in den Städten herangebildeten Agitatoren nach ihren Cina fh rf ein zum Zwecke der Agitation zu entsenden.

In Breslau fand am letzten Sonntag die Haupt⸗ versammlung des Deutschen Buchdruckervereins statt, in der die Tarifang elegenheit zu einer langen Debatte Veranlassung gab. in ursprünglich vom Vereinsvorstand

zur Beschlußfassung vorgelegter Antrag wurde von ver—