Ersatz geleistet werden, als der Nachlaß durch den vorzeitigen Tod eine Verminderung erfahren hat. ahr nd einerseits beantragt war, diese Bestimmung ersatzlos zu streichen, eventuell den Erben des Getödteten nur dann einen Ersatzanspruch zu geben, wenn der Schuldige selbst durch das Erlöschen eines dem Getödteten zustehenden Rechts einen Vermögensvortheil erlangt habe, wurde andererseits befürwortet, auch die Arbeitskraft des Getödteten bei Berechnung des Schadens zu Gunsten der Erben in Ansatz zu bringen. Die Commission entschied sich unter Ablehnung der übrigen Anträge für die ersatz— lose Streichung des 8 722 Abs. 2. Ein weiterer An—⸗ trag, den Schuldigen demjenigen gegenüber für ersatz⸗ pflichtig zu erklären, dem der Getödtete zu Lel— stungen, insbesondere zur Zahlung einer Rente, für die Dauer seines Lebens verpflichtet war, wurde ebenfalls abgelehnt. Dagegen beschloß man, in Uebereinstimmung mit 58 723 des Entwurfs, denjenigen Personen einen Anspruch auf Schadensersatz zu geben, denen der Ge— tödtete kraft des Gesetzes Unterhalt zu ge⸗ währen verpflichtet war. Auch die Bestimmungen des §8 724 über die Art und die Durchführung des nach 8723 zu leisten- den Schadensersatzes fanden mit unerheblichen Aenderungen und unter Verweisung der prozessualen Normen in die Civil— prozeßordnung die Zustimmung der Commission. Der 8 735, welcher Ersatzansprüche Dritter wegen sonstigen durch die Tödtung ihnen entstandenen Schadens betrifft, wurde in Ver— folg der zu 704. gefaßten Beschlüsse gestrichen. Die Vorschriften des S726 über die Schadensersatzpflicht wegen widerrechtlicher Körperverletzung blieben im wesentlichen unbeanstandet. Dagegen wurde die besondere Bestimmung des § 727, welche im Fall widerrechtlicher Entziehung der Freiheit unter gewissen Voraussetzungen den Schuldigen auch denjenigen gegenüber für ersatzpflichtig erklärt, denen der Verletzte Unterhalt zu gewähren, verpflichtet ist, gestrichen, weil für die Aufnahme einer solchen Vorschrift ein Bedürfniß nicht vorliege. An geeigneter Stelle soll jedoch mit Rücksicht auf die früher beschlossene Streichung des 701 Abs. ? Satz 2 zum Ausdruck gebracht werden, daß auch bei fahrlässiger widerrechtlicher Freiheitsentziehung dem Ver— letzten ein Anspruch auf. Schadensersatz zustehe.
Eine Ergänzung erfuhr der Entwurf durch die Aufnahme der Vorschrift, daß im Fall widerrechtlicher Tödtung oder widerrechtlicher Verletzung des Körpers oder der Gesündheit der Ersatzpflichtige, wenn der Verletzte kraft des Gesetzes einem Dritten zur Leistung von Diensten in dessen Hauswefen oder Gewerbe verpflichtet war, auch dem Dritten Schadens⸗ ersatz zu leisten habe. Dagegen wurden verschiedene Anträge, welche die Schadensersatzpflicht für solche Fälle besonders zu regeln bezweckten, in denen jemand einen anderen im Zweikampf oder mit defsen Einwilligung ge— tödtet oder verletzt habe, abgelehnt. Angenommen wurde der Vorschlag, besonders auszusprechen, daß bei einer . die Person des Verletzten gerichteten widerrechtlichen
andlung als Vermögensschaden auch die Nachtheile anzusehen sind, welche aus der Handlung für den Erwerb und das Fort— kommen des Verletzten entstehen. Im Hinblick auf die großen Schädigungen, welche jemand durch die Verbreitung unwahrer Nachrichten an seinem Credit, seinem Erwerb und Fortkommen erleiden kann, erachtete man ferner die Aufnahme der Be⸗ stimmung für nothwendig, daß die Verbreitung solcher unwahren Thatsachen auch dann zum Schadensersatz verpflichten soll, wenn derjenige, der sie behauptet oder verbreitet hat, ihre Unwahrheit infolge von Fahrlässigkeit nicht gekannt hat. Die Haftung soll jedoch nicht eintreten, wenn der Verbreiter oder der Empfänger der Nachricht ein be— rechtigtes Interesse an der Mittheilung hatte. Neu hinzu— eig, wurde weiter die Vorschrift, daß, wenn ein Verschulden des Verletzten bei der Entstehung des Schadens mitgewirkt habe, auch die etwaigen Ansprüche dritter Personen nach Maß⸗ gabe des 8 722 zu beschränken seien.
Die Bestimmung des § 728, nach welcher dem Verletzten in gewissen Fällen auch wegen eines anderen Schadens als eines Vermögensschadens eine billige Geldentschädigung zugesprochen werden kann, wurde sachlich gebilligt; ein Vorschlag, die Vorschrift auch auf Ehrverletzungen auszudehnen, fand keine Zustimmung. Die besonderen Vorschriften der S5 729 bis 733 über die Schadensersatzpflicht wegen Beschädigung durch Ausgießen und Auswerfen von Sachen aus einem Gebäude u. s. w. (actio de effusis et dejectis) wurden ge⸗ strichen. Zu 8734, der die Haftung für Schadensersatz wegen Beschädigung durch Thiere regelt, wurde abweichend von dem Entwurfe beschlossen, daß der Befitzer solcher Thiere, die nicht zu den Hausthieren gehören, für den durch sie an ge⸗ richteten Schaden unbedingt haften soll, er sich von der Ersatzpflicht also nicht durch den Nachweis soll befreien können, daß er es an gewissenhafter Beaufsichtigung der Thiere nicht habe fehlen lassen. Bei Hausthieren dagegen soll der Besitzer von der Haftung befreit sein, wenn er die im Verkehr erforder⸗ liche Sorgfalt beobachtet hat; doch soll den Besitzer in dieser Hinsicht die Beweislast treffen. Ein Antrag, die Bienen den Hausthieren gleichzustellen, wurde abgelehnt. Der Absatz 2 des 8 7314 über die Haftung desjenigen, der für den Besitzer des Thieres die Aufsicht über dasselbe übernommen hat, wurde sachlich gebilligt.
Nach der im Reichs⸗Eisenbahnamt aufgestellten Nach⸗ weisung über die im Monat September d. J. auf deutschen Bahnen (ausschließlich der bayerischen ) bei den Zügen mit Per sonenbeför derung vorgekommenen Verspätungen haben auf 36 größeren? Bahnen bezw. Bahnnetzen mit einer Gesammtbetriebslänge von 36 816,60 Em. von den fahrplanmäßigen Zügen überhaupt sich ver⸗ spätet: Sog Schnellzüge, 1214 Personenzüge und 293 zur . sowie zur Güterbeförderung gleichzeitig dienende
ige, zusammen 2223. Von den fahrplanmäßigen Zügen mit Personenbeförderung wurden geleistet: 15 453 989 ug⸗ kilometer, ZH 548 729 Achskilometer gegen 16018960 Zug⸗ und 329 359 615 Achskilometer im Bormonat un gegen 15 016 632 Zug- und 311 871923 Achskilometer in, demselben Monat, des Vorjahres. Von den Ver— g wurden S66ß durch das Abwarten verspäteter An— chlußzüge veranlaßt, sodaß den aufgeführten Bahnen nur
1357 Verspätungen n Last fallen, . 2374 im Vormonat 8
und 3469 in demselben Monat des eigener Bahn vorgekommenen Verspätungen entfallen auf 1 Million Zugkilometer 88, 1 Million Achskilometer 4, mithin auf 1 Million Zugkilometer 143 — 67 v 8
orjahres. Von den auf
weniger als im Monat September des Vorjahres und 60 — 41 vw. f 2 als im Dermo! und auf 1 Million Achskilometer 7 — 64 v. H. weniger als im Monat September des Vorjahres und 3 = 43 v. 5. weniger als im Vormonat. Infolge der Verspätungen wurden 124. An—⸗ schlüsse versäumt (gegen 3559 in demselben Monat Des Vor—⸗ jahres und 1818 im Vormonat). Bei 7 Bahnen sind Zug⸗ verspätungen und bei 10 Bahnen Anschlußversäumniffe nicht vorgekommen. In der Nachweisung sind die Bahnen, auf denen Zugverspätungen vorkamen, nach der Verhältniß⸗ * geometrisches n wischen der Anzahl der von den E rplanmäßigen, der 4 eförderung dienenden Zügen auf 1. Million Zugkilometer und der auf 1 Million Achs—⸗ kilometer entfallenden eigenen Verspätungen geordnet. Danach nehmen die Bahnen im Bezirk der Königlichen Eisenbahn- Direction (linksrheinische) zu Köln, die Marienburg⸗Mlawkaer Bahn und die Hessische Ludwigsbahn die ungünstigsten Stellen ein. Wird die Reihenfolge der . statt nach der Anzahl der Verspätungen nach der Anzahl der Anschlußversäumniffe bestimmt, so treten die Neustrelitz Warnemünder Bahn, die Bahnen im Bezirke der Königlichen Eisenbahn-Direction (links— rheinische) zu Köln und die Hessische Ludwigsbahn an die ungünstigsten Stellen.
Aus Anlaß unrichtiger bezw. ungenauer Mit— theilungen in der hiesigen Tagesprefse über Vor— gänge im Bereiche der Staats⸗Lotterie-Verwaltung hatte die Königliche General⸗Lotterie-⸗Direction bereits früher wiederholt Gelegenheit genommen, einzelnen Zeitungs-Redac— tionen gegenüber den Wunsch . Nachrichten, welche die Staats⸗Lotterie betreffen, erst dann zu veröffentlichen, wenn ihre Richtigkeit an amtlicher Stelle constatirt ist. Da dieser Wunsch nicht überall genügende Beachtung ge— funden hat und infolge der dadurch hervorgerufenen Beunruhigung des betheiligten Publikums Unzuträg⸗ lichkeiten und Weiterungen für die Lotterie-Verwaltung ent—⸗ standen sind, erklärt der Vorgesetzte der General-Lotterie— Direction, Geheime Ober⸗Finanz-Rath Marcinowski in einer uns in Abschrift vorliegenden, unter dem 10. d. M. an mehrere hiesige Zeitungs- Redactionen gerichteten Zuschrift sich wiederholt bereit, dafür Sorge zu tragen, daß den Vertretern der 4 die amtlich zulässige Informatlon nicht vorenthalten werde.
Dem Kaiserlichen Gesundheitsamt vom 10. bis 11. November Mittags gemeldete Cholerafälle:
In Hamburg 1 Neuerkrankung.
Seine Königliche Hoheit der Erbgroßherzog von Baden, Commandeur der 4 Garde⸗Infanterie⸗Brigade, ist von Urlaub hier wieder eingetroffen.
Der Inspecteur der 2. Cavallerie-Inspection, General— Lieutenant von Rose nberg, à la suite des Husaren⸗Regiments von Zieten (Brandenburgisches) Nr. 3, hat sich mit Urlaub nach Schlesien begeben.
Der Chef der Marinestation der Nordsee, Vice⸗Admiral Valois ist zur Abstattung persönlicher Meldungen hier ein⸗ getroffen.
Der General⸗Stabsarzt der Armee Dr. von Coler, Wirklicher Geheimer Ober⸗Medizinal⸗Rath, Chef des Sanitäts⸗Corps und der Medizinal⸗-Abtheilung des Kriegs— Ministeriums, ist von Urlaub hierher zurückgekehrt.
Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Fürstlich schwarz— burg⸗sondershausensche Staats-Minister Petersen ist von hier abgereist.
Der Regierungs⸗Rath Dr. Schmidt-Schwarzenberg zu Minden ist an die Königliche Regierung zu Cassel versetzt worden. ;
Der Regierungs-⸗Assessor Fink ist mit der Vertretung des Landraths von Hellmann zu Tissa, Regierungsbezirk Posen, . der bevorstehenden Reichstagssession beauftragt worden.
Altona, 10. November. Der Ober⸗Bürgermeister Dr. Giese hat, wie der „Hamb. Corresp.“ berichtet, folgende Bekanntmachung erlassen:
Seine Majestät der Kaiser und König haben mir befohlen, der Bevölkerung der Stadt Altona kundzugeben, daß Seine Majestãt für das barte Geschick, welches infolge der Cholera die Stadt Altona betroffen, lebhafte Theilnahme hegen und der Hebung der wirthschaftlichen Lage der Stadt befondere Fürsorge zuwenden. daß aber Allerhöchstderselbe auch von der Bevölkerung erwartet., daß sie ihrerseits mit Energie die Erwerbsthätigkeit zu fördern bestrebt sein werde.“
Sachsen.
Dresden, 19. November. Seine Majestät der König und Seine Koͤnigliche Hoheit der Prinz Georg haben sich heute Nachmittag von Schloß Thall witz, wo sie seit Dienstag Abend als Gäste Seiner Durchlaucht des Fürsten Reuß j. C. weilten, über Berlin nach K önigs-Wusterhausen begeben, um, einer Einladung Seiner Majestät des Kaisers folgend, an den morgen dort stattfindenden Hofjagden theil⸗ zunehmen.
Oesterreich⸗Ungarn.
Eine Löͤsung der ungarischen Ministerkrisis ist bis jetzt noch nicht erfolgt. Der Kaiser empfing gestern Mittag den Grafen Szapary, sodann Koloman Tisza in einer drei viertelstündigen und Koloman Szell in einer fünfviertel⸗ stündigen Audienz Schließlich wurde auch noch der Präsident des ungarischen Abgeordnetenhauses Bauf fy empfangen. Die Audienz fur den ungarischen Finanz⸗Minister Dr. Wekerle ist auf heute anberaumt. Nach einer Meldung des, D. B. S. wäre auch der Fürst-Primas von Ungarn, Erzbischof Vas zary telegraphisch zum Kaiser berufen worden. Die „Budapester Correspondenz“ glaubt annehmen zu sollen, daß nach der Lage der Verhältinisse das ungarische Minister⸗Präsidium zu⸗ nächst dem bisherigen Unterrichts-Minister Grafen Csaky oder dem Finanz⸗Minister Dr. We kerle und, falls letzterer
nicht als
die Cumulirung der umfangreichen, schwerwiegenden Geschãfte des Finanz⸗Ministeriums mit der aufreibenden Thätigkeit des Minsster⸗Präsidenten unvereinbar finden sollte, dem vormaligen Minister Szell angeboten werden könnte. Im allgemeinen gilt Dr. Wekerle als die geeignetste Persõnlichkeit für die Uebernahme des Minister⸗Präsidiums, und vielseitig wird angenommen, daß er sich noch bewegen lassen werde, den Posten zu übernehmen.
Die Verhandlungen mit Italien über die Durch— führung der Weinzoll-Elausel sind dem „W. T. B. zufolge nunmehr in einer beide Theile befriedigenden Weise zum Abschluß gelangt. Der italienische Vertreter General—= Director Miraglia wird in den nächsten Tagen nach Rom zurückkehren.
Großbritannien und Irland.
Aus Anlaß der Dynamit-Explosion in Paris weist die Times“ in einem längeren Artikel darauf hin, daß der Vorfall gerade zu einer Zeit sich ereignet habe, wo man glaube, daß Gladst one und seine Collegen die Zweckmãßig⸗ eit der Freilassung einiger irischen und irisch⸗ amerikanischen Dyna mitarden erwögen. Der Artikel schließt mit der Erklärung: „Es sei schwer zu glauben, daß irgend ein aus englischen Staagtszmännern bestehender Körper, welchem polilischen Drucke er auch ausgesetzt würde, einen solchen Augenblick wählen sollte, um die Wirkung heilsamer Bestrafung der Urheber solcher Gewaltthätigkeiten abzuschwächen. Es würde ein der gemeinsamen Civilisation versetzter Schlag sein, eine Amnestie auf Verbrecher auszudehnen, die Verbrechen gleichen Cha⸗ rakters wie das, welches Paris in Bestürzung versetzt habe, in England geplant und ausgeführt hätten.“
Frankreich.
Die Nachforschungen der olizei nach den Urhebern des Dynagmit-⸗Attentats sind bis jetzt ohne Erfolg geblieben. Der Deutsche, dessen Verhaftung gemeldet wurde, ist gestern dem Untersuchungsrichter vorgeführt, jedoch durch die Zeugen . diejenige Person recognoscirt worden. die am Tage der Explosion in dem Geschäftsgebäude der Bergwer sgesellschaft von Carmaux Nachfrage gehalten hatte und dabei von jenen Zeugen beobachtet worden war. Nach einem der „Schles. Ztg'“ zugegangenen Telegramm ist übrigens bei ihm eine ausgebreitete Correspondenz mit fran⸗ zösischen und ausländischen Anarchisten zu Tage gefördert worden; außerdem wurden Broschüren, Hach? und Sprengstoff⸗Recepte zur Herstellung von Bomben, die nach Aussage der amtlichen Fachleute höchst gefährlich sind, ge⸗ funden. Er bleibt in Gefangenschaft, obgleich seine Unschuld an dem Attentat erwiefen ist. Was die Polizei in ihren Nachforschungen hauptsächlich behindert, ist, wie der. Köln. Ztg.“ geschrieben wird, der Um— stand, daß seit der Abschaffung des Staatsstreichgesetzes von 1852 die Kaffee⸗ Bier⸗ und Weinwirthe und Gasthaushalter der Ueberwachung der Polizei entzogen sind. Es fei aber be— kannt daß ein Theil dieser Leute allen Verbrechern Unterkunft gewähre. So wisse man auf der Präfectur mit Bestimmtheit, daß einige Anarchisten, auf die man gefahndet habe, nur mit Hilfe der Wirthe hätten entwischen können. Unter diesen Umständen sei es sehr möglich, daß die Regierung den Kammern vorschlagen werde, zu der Kaiserlichen Gefe gebung zurück⸗ zukehren; freilich sei die Aussicht, daß ein solches Gesetz die Einwilligung der Kammer finde, sehr gering, da die Wirthe, besonders in der Provinz, zu den Hauptmachern der Wahlen gehörten. Baron Reille soll dem genannten Blatte zufolge der Ansicht sein, daß die italienischen Anarchisten die Hand im Spiele gehabt hätten, da viele der Drohbriefe, die er erhalten habe, in Städten an der italienischen Grenze auf— gegeben worden seien.
In dem gestern abgehaltenen Ministerrath erstattete der Minister⸗Präsident Loubet ausführlichen Bericht über die letzten Zwischenfälle in Carmauxr. Es habe sich ergeben, daß die Regierung das Herausstecken rother Fahnen nicht gestattet habe; eine einzige rothe Fahne, die sichtbar gewesen, sei von dem Polizei⸗Commissar entfernt worden. Die Arbeiter hätten die dreifarbigen Fahnen zusammengerollt getragen, in der Art, daß abwechselnd die rothe oder die anderen Farben sichtbar geworden seien. Die von den Bergarbeitern beim Beginn des Strikes organisirten Patrouillen hätten sich nach dem bezüg⸗ lichen Erlaß des Präfecten nicht wieder sehen lassen.
„In der gestrigen Sitzung der Deputirten kammer stellte der Minister⸗Präsident Lo ubet, nachdem zuvor die Berathung der verschiedenen Interpellationen über die Panama⸗ Angelegenheit auf den 17. d. M. anberaumt worden war, den Antrag, den Bericht über den Gesetz entwurf, der die Strafen für Preßvergehen, welche sich auf Auf⸗ reizung zum Mord und zur Plünderung be— ziehen, erhöht und verschärft, auf nächsten Mittwoch festzusetzen. Bernis (Rechte) erwiderte, die bestehen— den Gesetze seien vollständig ausreichend, sie hätten nur in Carmaux angewendet werden sollen. (Lärm auf der Linken, Beifallsäußerungen auf der Rechten.) Der Minister⸗Präsident Lou bet entgegnete, die Freiheit der Arbeit sei in Carmaux . gewesen, aber kein Arbeiter habe arbeiten wollen. Jugleich forderte er die Kammer auf, der Regierung Waffen zu geben gegen die Verbreitung der anarchistischen Theorien. Vilfeu (Rechte) machte der Regierung zum Vor⸗ wurf, daß sie den Socialisten Culine vorgestern in Freiheit gesekt habe, (Lärm auf der äußersten Linken). Der Justiz⸗ Ninister Ricard erwiderte, Culine habe eine zahlreiche Familie und habe daher um Entlasffung aus der Haft nachgesucht; übrigens sei seine Entlassung nur bedin⸗ gungsweise erfolgt. Cassagnac erklärte, die Regierung sei unfähig, die öffentliche Megnung zu beruhigen; denn sie hätte sich unter dem Druck der Abgeordneten von der äußersten Linken nsöthigen lassen, die Verurtheilten von Carmaux zu begnadigen. Clém en ceau protestirte gegen diese Aeußerung. Der Minister-Präsident Lo'ubet erklärte darauf, daß er sein Verlangen, die Berathung der Vorlage guf Mittwoch festzusetzen, aufrechterhalte, und stellte die Vertrauensfrage. (Lebhafte Bewegung) Der Antrag Loubet's wurde sodann mit 298 gegen 1873 Summen angenommen. Im weiteren Verlaufe der Sitzung wurde der. Gesetzentwurf über die Reform der Ge— tränkesteuer berathen. Der Deputirte Daumer brachte einen Abänderungsantrag ein, wonach sämmt⸗ liche zu Gunsten des Staats erhobenen Steuern auf Wein, Bier und Apfelwein aufgehoben werden sollen. Der Finanz-Minister Rouvier bekämpfte den Antrag; gleich⸗
wohl wurde die Inbetrachtnahme des Antrags mit 315 gegen
von 88 Millionen im Budget zur Folge
195 Stimmen beschlossen. Der Generalberichterffatter für das
Budget erklärte, der Antrag Daumer werde einen Fehlbetrag haben. Die Fort⸗ setzung der Berathung wurde darauf vertagt.
Rußland und Polen.
St. Petersburger Zeitungen hatten vor einiger Zeit ge— meldet, der frühere Finanz⸗Minister Wyschnegradski werde nach seiner Rückkehr nach St. Petersburg an verschie⸗ denen Berathungen über finanzielle Fragen theilnehmen. Dem gegenüber hört die deutsche St. Petersburger Zeitung“, daß der Gesundheitszustand Wyschnegradski's zwar ein sehr guter sei, seine Betheiligung an Commissionssitzungen jedoch von ärztlicher Seite wie von Seiten der Familienangehörigen nicht gewünscht werde. ;
Der Commandeur des II. Armee ⸗Corps, General⸗ Lieutenant und General-Adjutant des Kaisers, Baron Driesen, der sich in Mariampol (Gouvernement Suwalki) zur Truppenbesichtigung aufhielt, ist nach einer Meldung des W. T. B.“ daselbst vorgestern plötzlich am Herzschlage ver⸗ storben.
Italien.
Der Großfürst⸗Thronfolger von Rußland ist gestern aus Athen in Bari eingetroffen und bei der Ankunft von dem Divisions⸗Commandeur empfangen worden. Im Laufe des Nachmittags besuchte er die Basilika von St. Nikolas, wo ihn der gesammte Clerus erwartete. Heute gedenkt der Großfürst die Reise nach Wien fortzusetzen.
Spanien. Der König und die Königin von Portugal sind, wie telegraphisch gemeldet wird, gestern in Madrid ein— getroffen und von der Berxölkerung lebhaft begrüßt worden. Die Straßen waren mit Fahnen geschmückt. In dem König— lichen Palais fand zu Ehren der hohen Gäste ein Diner zu 120 Gedecken statt. . . Wie der „Imparcial“ wissen will, wären die zwischen Spanien und der Schweiz, sowie zwischen Spanien und Schweden geführten Handelsvertrags-Verhandlungen nunmehr zum Abschluß gelangt.
Portugal.
Bei der gestrigen Ahreise des Königs und der Königin nach Madrid fand dem ‚W. T. B. zufolge in Lissabon eine Kundgebung statt, bei der wiederholt die Rufe: „Hoch das Vaterland! Nieder mit dem englischen Bündniß!“ gehört wurden. Neun Personen wurden verhaftet; unter die en befanden sich der republikanische Abgeordnete Abreu, drei republikanische Journalisten und ein Sergeant. In maß⸗ gebenden Kreisen wird der Demonstration übrigens keine weitergehende Bedeutung beigemessen.
Schweden und Norwegen.
Die erste Abtheilung des schwedischen Reichstags ausschusses zur Vorberathung der Armeereorgani tions vorlage stimmte nach einer Meldung des, W. T. B.“ den wichtigsten Bestimmungen der Vorlage zu, wünschte jedoch verschiedene Ersparnisse und lehnte die Bildung eines Festungs— Artillerie⸗Corps in Karlsborg ab. Als tägliche Löhnung für jeden zum Heeresdienst Einberufenen wurden 50 Oere vor⸗ geschlagen.
Amerika.
Die gestern in New⸗-York eingegangenen Nachrichten machen es wahrscheinlich, daß der bisher republikanische Staat Ohio zu den Demokraten übergegangen ist. Den neuesten Schätzungen zufolge würden im Wahlcollegium abge— geben werden für Cleveland 290, für Harrison 128 und für Weaver 26 Stimmen.
Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ Maßregeln.
Cholera. .
Hamburg, 109. November. Die Beiträge, welche für die in⸗ folge der Cholera⸗Epidemie Nothleidenden eingegangen sind, Haben die Höhe von drei Millionen Mark erreicht.
St. Petersburg, 10. Nobember Das heute ausgegebene Cholera Bulletin für die letzte Woche meldet das fast gänjliche Erlöschen der Epidemie in den Städten. In den Gouverne⸗ ments Jekaterinoslaw, Kursk, Lublin, Ssaratow, Ufa und Tschernigow kamen in der abgelaufenen Woche mehr als je 1099, in Tam bow und Cherson mehr als 3090, in Bessarabien 453, in Podolien ößl, im Ba kugebiet 691 und in Kiew 1020 Cholera⸗Erkrankungen vor. Etwa die Hälfte der Erkrankten ist der Krankheit erlegen.
Dänemark. .
Durch Bekanntmachung des Königlich dänischen Justiz⸗Ministeriums vom gestrigen Tage ist die unter dem 1. September 1892 (vergl. RA. Nr. 216 v. 13.9. 92) angeordnete Absperrung der dänischen Landesgrenze aufgehoben worden. . ö
Dech dürfen Personen, die ungewaschene Leibwäsche, Wollenzeug oder gebrauchte Bettwäsche mit sich führen, keine anderen Wege als die Eisenbabnlinien über Vamdrup und Vedsted sowie die Landstraßen über Obbefjaer, Foldingbro und Taps benutzen.
Die mit den Eisenbahnen über Vamdrup und Vedsted kommen— den Reisenden haben sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Personen, welche an asiatischer Cholera, Cholerine oder Diarrhöe leiden, werden zurückgehalten und in den dazu eingerichteten Räumlich—⸗ keiten beobachtet oder behandelt. .
Die zur Zeit bestebenden Verbote gegen die Einfuhr ven Waaren, sowie die angeordnete Desinfection verbleiben auch fernerhin
in Kraft. Colum bien. . .
Die atlantischen Häfen Columbiens, welche bisher für saämmt⸗ liche Provenienzen Europas geschlossen waren, sind nunmehr für An⸗ künfte aus England wieder geöffnet worden. .
Auch Schiffe, welche aus den Vereinigten Staaten von Amerika kommen, werden in jenen Häfen neuerdings zugelassen.
Marokko. ; .
Der Gesundheitsrath zu Tanger hat in Ergãnzung seines Be schlusses vom 14. Oftober 1892 — vergleiche Reichs⸗Anzeiger' Nr. 254 vom 26. Oktober 1892 — verfügt, daß Schiffe aus der⸗ seuchten Häfen, welche die in Gibraltar vorgeschriebene Beobachtungs- Jugrantäne (21 Tage einichließlich der Reise) bereits durchgemacht haben, fortan in den marokkanischen Häfen zugelassen werden, nachdem sie zunächst Tanger selbst angelaufen haben. . .
Die. Zulassung erfolgt unter denselben Beschränkungen für Passagiere und Ladung wie in Gibraltar. (Die Einfuhr von Gütern in Säcken und Ballen sowie von Wollenwaaren ist in Gibraltar un⸗ bedingt verboten.) .
glad marokkanischen Häfen bestimmte Schiffe aus Hamburg thun gut, zunächst in einem spanischen Hafen — am besten Vigo — die⸗ jenige Quarantäne zu absolviren, welche erforderlich ift, um in
Spanien zugelassen zu werden. 7 Tage) Dieselben dürfen alsdann nach der bisherigen Praxis auch auf Zulaffung in Marokko rechnen.
Handel und Gewerbe:
In letzter Zeit ist in der französischen Presse öfters von einer künstlichen Seide, der sogenannten sois de Chardonnet die Rede gewesen, welche angeblich eine Umwälzung in der französischen Seidenindustrie bervorzubringen bestimmt ist. Es handelt sich um einen von dem Ingenieur de Chardennet erfundenen, aus Cellulose, befonders Cellulose vom Fichten holz hergestellten Stoff, der dem wirklichen Seiden. stoff ähnlich ist und denfelben angeblich überall ersetzen kann, wo nicht die Anwendung von ganz besonders haltbaren Stoffen norhwendig erscheint. Bereits auf der 1889 er Pariser Ausstellung sind Proben dieser Erfindung vorgezeigt worden und haben das Interesse der Sachverständigen erregt. Seitdem hat der Erfinder das Verfahren weiter zu vervollkommnen gesucht und es scheint, daß ihm in der That Verbesserungen feiner Erfindung gelungen sind. In Besangon ist eine Fabrik für die Herstellung des Fabrikat eingerichtet worden, und zur weiteren Ausdehnung dieses Betrlebes soll sich vor kurzem unter dem Titel: Société Bniversesse pour ja fabrication de la Soi de Chardonnet‘ eine Actiengesellschaft mit einem Kapital von 25 Millionen Franes gebildet haben. Auch in der Schweiz soll das Patent, welches auf die Erfindung genommen jft, ausgebeutet werden.
Die Ansichten der Sachverständigen über den Werth der Ersindung sind getheilt. Während einzelne Geschaftsleute erwarten, daß die Tellulofe⸗ Seide dem jetzigen Fabrikate starke Concurrenz machen und namentlich die billigeren Sorten allmählich verdrängen wird, sagen andere dem Chardonnet'schen Stoff eine nur beschränkte Verwendung voraus und behaupten, daß derselbe höchstens dazu dienen könne, einfachere Seiden gewebe herzustellen, oder in Verbindung mit echter Seide verwandt zu werden. Aber selbst, wenn die Chardonnet'sche Seide nur in be⸗ schränktem Maße verwendbar sein sollte, dürfte die Erfindung doch die volle Aufmerksamkeit der an der Seidenindustrie betheiligten Kreife verdienen.
Antwerpener Getreidehandel. (Vergl. . R.⸗Anz. Nr. 245 vom 17. Oktober.) Die Vor räthe an Getreide in Antwerpen zu Ende Oktober betrugen nach angestellten Schätzungen in: ö ö. 1 Mill. Kg. Weizen. ; Gerste Hafer Mais Kd . Der Import nach Antwerpen auf dem Fluß- und Seewege stellte sich in dem Monat Ende September bis Ende Oktober in Roggen auf 1 Mill. Kg., davon aus den Vereinigten Staaten von Amerika .. w /- Weizen: 885 Mill. Kg., davon aus Rumänien FJ den Vereinigten Staaten von Amerika.. Ostindien Egypten. Deutschland Canada Niederlande Argentinien Brasilien Bulgarien. Rußland JJ Gerste: 17 Mill. Kg., davon aus: Rumänien. JJ Rußland. Deutschland Türkei Niederlande Desterreich] Bulgarien . Hafer, Mais und Buchweizen: 153 Mill. Kg. (Darunter etwa 8 Mill. Kg. Mais), davon aus: . t Mill. Kg.
er ,.
— — — — — Q M Q,. C- t, -
R den Vereinigten Staaten von Amerika.. Brasilien Argentinien Canada Rumänien. Deutschland Schweden Niederlande England Italien Kartoffeln: 396 448 kg aus den Niederlanden. Exportirt wurden von Antwerpen auf dem Fluß und Seewege in demselben Zeitraum : Roggen: 37 Mill. Kg., davon nach — den Niederlanden J Mill. Kg. J ö ö. 2 . . Weizen: 234 Mill. Kg., davon nach . Deutschland . Mill. Kg. den Niederlanden k = = Gerste: 1 Mill. Kg., davon nach . Deutschland w Mill. Kg. den Niederlanden kN ö ö Hafer, Mais und Buchweizen: 84 Mill. Kg., davon nach Deutschland JJ den Niederlanden J 31 Kartoffeln: 77 780 kg, davon nach Brasilien. K ö,, 2 14 . ; . In obigen Inga ben für den Import und Export find die auf der Eisenbahn beförderten Getreidemengen nicht einbegriffen, wobei zu bemerken ist, daß letztere insbesondere für den Export nicht unbe⸗ trächtlich sind.
Tägliche Wagengestellung für Kohl ) an 6 und in Oberschl An der Ruhr sind am 10. d. M. gestellt 11 31. gestellt keine Wagen. . ö In Oberschlesien sind am 9. d. M. gestellt 5043, nicht rechtzeitig gestellt 23 Wagen.
Verkehr s⸗Anftalten. ö
Bremen, 11. November. (W. T. B) Norddeutscher TEloyd. Der Schnelldampfer Havel hat am 9. November Nach⸗ mittags die Reise von Southampton nach New⸗Jork fortgesetzt. Der Reichs ⸗Postdampfer Stettin“ ist am 10. November Morgens mit der für Australien bestimmten Post von Brindisi nach Port Said abgegangen. Der Postdampfer Berlin vom La Plata kommend, hat am 10. No—⸗ vember Mergens Las Palmas passirt. Der Reichs Post⸗ dampfer Bayern“, nach Ostasien bestimmt, ist am 19. No— vember Nachmittags in Antwerpen angekommen. Der Reichs⸗ Postdampfer Hohenzollern ist am 10. November Morgens in Port Said angekommen und hat nach Uebergabe der austra— lischen Post an den nach Brindisi bestimmten ,, Danzig die Reise nach Genua fortgesetzt. Der Reichs⸗Post⸗ dampfer Danzig ist am 10. November Morgens mit der austra⸗
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lischen Pocst vom Reichs - Postdampfer Hohenzollern“ von Port
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Said nach Brindisi abgegangen. Der Schnelldampfer Lahn‘, von New⸗Jork kommend, 9 am 10. November Morgens auf der Weser angekommen. .
Hamburg, 16. November. (W. T. B.) Hamburg⸗Ameri-⸗ kan ische Packetfahrt⸗Actien⸗Gesellschaft Der Postdampfer Croatia ist gestern in St. Thomas eingetroffen. = London, 10. November. (W. T. B.) Der Un ion dampfer Scot ' ist auf der Heimreise gestern von Capetown abgegangen. — 11. Nevember (WV. T. B.) Der Union⸗Dampfer „Athenian“ ist am Mittwoch auf der Heimreise von Madeira abgegangen.
Theater und Musik.
Königliches Schauspielhaus.
Die Wiederkehr von Sch il ler's Geburtstag wurde gestern auf der Königlichen Bühne, durch die Aufführung des T 3c o festlich begangen. Nach sechsjãhriger Pause gelangte das Tauerspiel neu einstudirt und zum theil in neuer Inscenirung, die einen starken Ein⸗ fluß der Meiningen 'schen Methode erkennen ließ, zur Darstellung. Die Sceenenführung hielt sich in ihrer ganzen Ausführlichkeit eng an die erste und ursprũngliche Arbeit Schillers: nur der dritte Act hatte einige bemerkenswerthe Kürzungen erfahren. Man konnte also die Wirkung des beinabe unverkürzten Fiesco“ erproben. Der jugendliche Feuer⸗ geist des Dichters flammt hier noch in einer Menge dramatischer Scenen auf, seine reiche Phantasie schwelgt in üppigster, überschwäng⸗ licher Bildersprache; aber der große Vorwrrf, das Herz mit dem staatsklugen Kopf in Widerspruch zu setzen, einen Mann durch die eigene anwachsende Größe und Macht tragisch zu verstricken und zu Falle zu bringen, gewinnt unter dem Beiwerk politischer Intrigue nicht so un⸗ mittelbare Gewalt über die Seele der Zuschauer, wie der Kampf rein menschlicher Einpfindungen, der in den Räubern und in der Millerin., tobt. Die vollendete Ausführung des großen Plans und die wirkliche Lösung eines ganz ähnlichen pfychischen Räthsels gelingt dem Dichter erst in einem späteren Werke, als er Wallenstein wie hier Fiesco die Hand nach einer Krone ausftrecken läßt. Der Fiesco erscheint daher den Nachgebornen an einzelnen Stellen fast wie eine geniale, aber noch roh umrissene Skizze des Wallenstein'; man ver⸗ gleiche nur den Monolog Fiesco's, als seine Entschließung zwischen dem Republikaner Fiesco und dem Herzog Fiesco schwankt, mit dem großen Monologe Wallenstein's vor dem Empfange des schwedischen Obersten.
Der dramatische Gehalt des republikanischen Trauerspiels war durch die Regie in möglichster Vollendung herausgearbeitet und wiedergegeben. Einen blendenden Eindruck rief gleich beim Emporgehen des Vorhanges der prächtige Ballsaal mit seinen offenen Hallen nach den im Hier en Mond⸗ licht schimmernden Gärten hin hervor. Der hohe Treppenbau, die geschmückte Galerie der Halle gaben den Rahmen her für abgefonderte Scenen, die sich von dem bunten Gewirr, dem schwärmenden Tosen des Ballsaals bedeutungsvoll abhoben. Im letzten Act entwickelte sich der Straßenkampf, der unter naͤchtlichem Himmel um das Thomasthor tobt, zu packender scenischer Wirkung; die gäbrenden Leidenschaften stoßen heftiger aufeinander, Schüsse blitzen und knattern durch die Nachtluft und eine mächtige Bombe sprengt flammend und qualmend das Thomasthor. Unter den neuen scenischen Bildern verdient aus dem vierten Act der Schloßhof noch besonderer Erwähnung, dem die imposante Einfachheit des großen und schönen Hallenbaues einen vornehmen Reiz verlieh. ; J
In der Darstellung, die sehr viele ausgereifte Künstlerkräfte er⸗ fordert, vermißte man etwas von der harmonischen Abrundung. die sonst auf der Königlichen Bübne die widerstrebendsten Theile zu einem schönen Ganzen zu vereinen pflegt. Herr Matkow sky war als Fiesco voll fürstlichen Anstandes, aber es fehlte ihm die gleißnerische, einschmeichelnde Form der Rede, die dem Fiesco alle Herzen gewinnen soll; seine Natürlichkeit wurde mehr Oberflächlichkeit, sodaß die Gestalt der festen Umrisse ermangelte und mehr schatten⸗ haft als plastisch hervortrat. Die schlaue Staatsintrigue steht dem Festaltungstalente dieses Darstellers eben ferner, als der Herzton der Empfindung, der die letzte Scene mit der Gattin zu einer so tief ergreifenden machte durch den Sturm wilder Leidenschaft, die den letzten Aufzug überhaupt beherrscht. — Mit überraschender Innerlich⸗ keit und mit heißem Temperament spielte Herr Purschian den jungen Bourgognino. Den rauhen, wollüstigen Gianettino gab Herr Keßler mit trotziger Geberde und derbem Ton. Herr Klein war ein Ehrfurcht einflößender Verrina, voll düsteren Grolles und von eiserner Willenskraft; er dämpfte auch etwas den durchdringenden, ge= tragenen, hohlen Klang seiner Stimme, der sonst leicht feinen Ge⸗ stalten den Stempel der Eintönigkeit aufdrückt. Voll milder Hoheit führte Herr Nesper die Rolle des Andreas Doria durch, in dem das
monarchische Princip inmitten der wild aufschäumenden Volksleiden⸗ schaften einen Triumph feiert; in stiller Größe steht er über dem Wechsel der Erscheinungen und sein edler Gerechtigkeitssinn, seine fürstliche Seelengröße unterjochen schwertlos selbst den stablharten Republikaner Verrina. Den Mohren, dieses seltsame Gemisch ven Bosheit und Humor, gab Herr Vellmer zum theil mit vorzug⸗ lichem Gelingen; er arbeitete sich aber erst in seine Rolle hinein und war am natürlichsten., plastisch in der Bewegung und im Mienenspiel, als er sich in frecher Selbstgefälligkeit als Herr der Situatien und als ein selbständiger geistiger Hebel der Verschwörung fühlt; die erste Scene mit Fiesco, der Erdolchungsversuch, gelangte nicht recht zur Wirkung. Frau von Hochenburger war eimpfindsam und fast zu thränenreich für die weichherzige Leonore. Fräulein Poppe gab ein prächtiges Bild der gefallsüchtigen, schönen Julia, dem sie in der letzten Scene, in dem Augenblick der tiefsten Demüthigung. ihrer Weiblichkeit, mit Recht Hobeit und Würde bei⸗ mischte. Uneingeschränktes Lob verdient Fräulein? Lazar, deren Bertha durch rührende Einfachheit und natürliche Wärme des Aus⸗ drucks fesselte. Sing⸗Akademie.
In dem gestrigen Concert des Violinvirtuosen Herrn Waldemar Meyer kam ein seltener gehörtes Violinconcert von Goldmark zur Aufführung. Das Werk zeugt durchweg von Originalität der thema— tischen Erfindung, die mit geschickter und geistvoller Art der Durch⸗ führung vereinigt ist. Das Andante ist eine Gesangscene von tief ergreifender Wirkung. Derr Mever trug das Concert mit wahrhaft entzückender Feinheit der Schattirungsweise und mit spielender Leichtigkeit in Ueberwindung der großen technischen Schwierigkeiten vor. Seiner Lei⸗ stung folgte rauschen der Beifall der auch dem Phantasiestũck von Gernsheim, der Ballade von Moszkowskti und einer Phantasie von Naprawnik zu tbeil wurde Fräulein Leopoldine von Spira aus München, welche sich hier zum ersten Mal hören ließ, besitzt eine umfangreiche und in der Höhe sehr wohlklingende Stimme, die jedoch noch nicht vollständig ausgebildet erscheint. Hoffentlich wird sie den gedrückten Kehlten beim Gebrauch der tiefen Töne, sowie das Detoniren noch durch fortgesetzte Studien zu beseitigen im stande sein. Aus ihren Gesangs⸗ nummern heben wir eine Arie aus Wilhelm von Oranien‘ von Eckert und Beethoven's Lied Ich liebe dich‘, die der Künstlerin im Ausdruck am besten gelangen, ganz besonders hervor. Sowohl der Concert- geber als auch die Sängerin spendeten noch einige Zugaben, die das zahlreich versammelte Publikum dankbar entgegennahin. Das ven Herrn Herfurth geleitete philharmonifche Orchester fowie die sehr eracte Klavierbegleitung der Frau Bielen berg verdienen lobend erwähnt zu werden.
Im Friedrich⸗Wilhelmstädtischen Theater gelongt Offenbachs Pariser Leben nur noch heute und morgen zur Auf⸗ führung. Am Sonntag geht als 6. Abend des Offenbach⸗Cyelus Orpheus in der Unterwelt zum ersten Male in Scene.
Im Residenz⸗-Theater spielte in letzter Zeit einige Male Herr Yaack für den an einem leichten Unwohlsein erkrankten Herrn Dans Pagay die Rolle des Montesson in dem Blum⸗Toché schen Schwank . Im Pavillon“ (Le Parfum). Seit den letzten Tagen hat
Herr Pagay die von ihm geschaffene Nolle wieder übernommen.