1892 / 278 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 23 Nov 1892 18:00:01 GMT) scan diff

Aus den allgemeinen Bestimmungen sind die Festsetzungen über Transportpreise und Tarife hervorzuheben, die im An⸗ schluß an die in dem internationalen Uebereinkommen für den Güterverkehr er er, Anordnungen die obersten Tarif⸗ grundsätze für den Personen- und Güterverkehr gleichmäßig dahin zum Ausdruck bringen, daß die Berechnung der Trans—⸗ portpreise nach Maßgabe der zu Recht bestehenden, gehörig veröffentlichten Tarife zu erfolgen hat,. daß Tariferhöhungen oder sonstige Erschwerungen der Beförderungsbedingungen nicht vor Ablauf von 6 Wochen nach ihrer Veröffentlichung in Kraft treten dürfen, und daß, abgesehen von Transporten für milde und für öffentliche Zwecke, sowie von solchen im dienstlichen Interesse der Eisenbahnen, jede Preisermäßigung oder sonstige Begünstigung gegenüber den veröffentlichten Tarifen verboten und nichtig ö

Die Bestimmungen über den Personen verkehr haben, abgesehen von einer zweckmäßigeren Anordnung des Stoffes, nur unwesentliche Aenderungen erfahren. Unter anderem ist der Umtausch von Fahrkarten gegen solche einer anderen Wagenklasse oder nach einer anderen. Station er⸗ leichtert, die Befugniß zum Aufenthalt in den Warte⸗ räumen für die mit durchgehenden Fahrkarten ver⸗ sehenen Reisenden erweitert, der Verkauf von Fahr⸗ karten für bestimmte Plätze in Zügen mit beson— deren Einrichtungen oder in besonders ausgestatteten Wagen erlaubt, auch den Reisenden gestattet, beim Einsteigen für sich und mitreisende Angehörige je einen Platz zu belegen. In den Abtheilungen für Nichtraucher und für Frauen darf selbst mit Zustimmung der Mitreisenden nicht geraucht werden, auch ist es nicht gestattet, solche Abtheilungen mit brennenden Cigarren oder Pfeifen zu betreten. Die bisherige Bestim—⸗ muͤng über die Erhebung eines Zuschlags zum Fahrpreise für den Fall, daß ein Reisender dem Schaffner oder Zugführer unaufgefordert meldet, er habe wegen Verspätung keine ö. karte lösen können, ist gemildert worden. In Bezug auf das Oeffnen der Fenster in den Personenwagen ist angeordnet, daß die Fenster nur mit Zustimmung aller in derselben Abtheilung mitreisenden Personen auf beiden Seiten des Wagens gleichzeitig geöffnet sein dürfen und daß, soweit die Reisenden h über das Oeffnen und Schließen der Fenster nicht verständigen, der Schaffner zu entscheiden hat. Hegen stände, durch die Personen oder Sachen beschädigt werden können, aus dem Wagen zu werfen, ist untersagt.

Der Begriff des Reisegepäcks ist insofert erweitert, als außer anderen nicht zum Reisebedarf zu rechnenden Gegen⸗ ständen auch Fahrzeuge sowie kleine Thiere in Käfigen, Kisten, Säcken und dergleichen wie Reisegepäck zur Be⸗ förderung angenommen werden können. In Rücksicht hierauf sind die bisherigen besonderen Bestimmungen

für die Beförderung von Fahrzeugen in Wegfall gekommen,

sodaß diese demnächst je nach der Auflieferung entweder zu den Bestimmungen über Reisegepäck oder über Frachtgut zur Beförderung gelangen.

Für die Beförderung von Expreßgut ist im Anschluß an die blsherige Uebung ein besonderer Abschnitt hinzugefügt.

Unter den Bestimmungen über den Güterverkehr ist

des neuen Frachtbrief-Formulars schon früher an dieser Stelle gedacht worden. Vom 1. Januar k. Is. ab wird nunmehr für den inneren deutschen Verkehr das neue Frachtbrief⸗ Formular der Verkehrsordnung, dagegen für den Verkehr, der sich auf Grund des internationalen Uebereinkommens voll⸗ ieht, das in diesem festgesetzte Formular zur Anwendung ommen. Die Verwendung der bisherigen Fracht⸗ brief⸗Formulare ist vom 1. Januar k. Is. ab nicht mehr gestatt et. .

Die Eisenbahn ist wie bisher verpflichtet, auf Verlangen des Absenders den Empfang des Gutes zu bescheinigen, und zwar entweder auf einem Frachtbrief-Duplicat oder auch, ö es sich um Güter handelt, die nicht in ganzen Wagen⸗ ladungen aufgegeben werden, auf einem Aufnahmescheine. Beide Urkunden haben auch in Zukunft nicht die Bedeutung des Original⸗Frachtbriefs oder eines Ladescheins. Ihre Aus⸗ fertigung erfolgt auf einen im Frachtbriefe zu stellenden An⸗ trag; im internationalen Verkehr ist die Eisenbahn zur Aus— an eines Frachtbrief⸗Duplieats auch ohne Antrag ver⸗ pflichtet.

Das Verfügungsrecht des Absenders ist im wesentlichen in der im Handelsgesetzbuche sowie in dem bisherigen Betriebs⸗ Reglement vorgesehenen Weise geregelt, jedoch im Anschluß an die Festsetzungen des internationalen Uebereinkommens schärfer begrenzt. Die Ausühung dieses Rechts hat im Falle der Aus⸗ stellung eines Frachtbrief⸗Duplicats oder eines K ur Voraussetzung, daß diese Urkunden vorgelegt und auf ihnen die schriftlich abgegebenen Verfügungen wiederholt werden. Die Eisenbahn darf die Ausführung der dem Ab— ender gestatteten Anweisungen nur dann verweigern oder verzögern, oder solche Abweisungen in veränderter Weise ausführen, wenn durch deren Befolgung der regelmäßige Transportverkehr gestört werden würde. Durch diese Vorschrift sind die bisher üblich gewesenen, von den Betheiligten lästig empfundenen Bedingungen in Wegfall gekommen. Im inneren Verkehr können die Eisenbahn⸗ verwaltungen derartige Anweisungen in einem weiteren Um⸗ fang zulassen, als dies im internationalen Verkehr gestattet ist.

Unter den neuen Bestimmungen der n, n. ist von hervorragender Bedeutung der dem internationalen Uebereinkommen entlehnte Wegfall der bisherigen Beschränkung des Schadensersatzes bei Verlust oder Beschädigung von Ge⸗ päck, Expreßgut, lebenden Thieren und Gütern auf einen Normalsatz. In Zukunft hat die Eisenbahn, wenn nach den einschlägigen Bestimmungen für gänzlichen oder theilweisen Verlust Ersatz geleistet werden muß, den gemeinen Handele⸗ werth, in dessen Ermangelung den gemeinen Werth am Ort der Ablieferung zu ersetzen und im Falle der Beschädigung den ganzen Betrag des Minderwerths zu, bezahlen. Nur bei er— mäßigten Ausnahmetarifen ist der Eisenbahn noch gestattet, für den zu gewährenden Ersatz einen Höchstbetrag festzusetzen. Eine Werthversicherung durch Angabe des Werths im Fracht⸗ briefe findet nicht mehr statt. Dagegen ist aus dem inter—⸗ nationalen Ucbereinkommen die Einrichtung der „Declaration des Interesses an der Lieferung“ in die Verkehrs⸗ ordnung übernommen. Durch sie ist die Möglichkeit gegeben, Eich gegen Zahlung eines Frachtzuschlags nicht nur im Falle es Verlustes, der Minderung oder Beschädigung einen den Werth des Gutes übersteigenden Ersatz des nachgewiesenen weiteren Schadens, sondern auch, falls nur eine Versäumung der Lieferfrist vorliegt, den Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens in einem höheren Betrage zu sichern, als die Eisen⸗ bahn in Ermangelung der Declaration ihn zu gewähren ver⸗

pflichtet ist.

Für die Berechnung der Lieferfristen sind in Abweichung von dem internationalen Uebereinkommen in die Verkehrs⸗ ordnung die bisherigen, den Verkehrsinteressenten günstigeren Festsetzungen übernommen. Zuschlagsfristen sind den Eisenbahn⸗ verwaltungen mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde nur ge⸗ stattet für Güter, deren Beförberung von und nach abseits von der Bahn gelegenen Orten (Güternebenstellen) übernommen wurde, ferner für außergewöhnliche Verkehrsverhältnisse und für den Uebergang auf Bahnen mit anderer Spurweite.

Die Veränderungen, die sich mit dem 1 Januar 1893 in den Grundlagen des Eisenbahn⸗-Frachtrechts vollziehen, sind zum theil so erheblich, daß den Verkehrsinteressenten zu empfehlen ist, sich mit den neuen Bestimmungen eingehend bekannt zu machen. Von der Verkehrsordnung hat die Verlags⸗Buch⸗ handlung von Wilhelm Ernst und Sohn in Berlin W., Wilhelmstraße 90, auf Veranlassung des Reichs⸗Eisenbahnamts eine mit einem Inhaltsverzeichniß und einem alphabetischen Sachregister versehene Ausgabe in Octavformat veranstaltet, deren einzelne Exemplare den Vermerk „Durchgesehen im Reichs⸗Eisenbahnamt“ tragen.

Der Chef der Topographischen Abtheilung der Landes⸗ aufnahme, General-Lieulenant Steinhausen hat sich mit Urlaub nach Süddeutschland begeben.

Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Herzoglich sachsen⸗ altenburgische Staats-Minister von Helldorff ist von hier wieder abgereist.

Der Königlich serbische Geschäftsträger am hiesigen Aller— höchsten Hofe Paplowitsch ist nach Berlin zurückgekehrt und hat die Geschäfte der Gesandtschaft wieder übernommen.

Baden. Seine Königliche Hoheit der Großherzog hat gestern in Baden-Baden den russischen Gesandten Baron von Kotzebue in Antritisaudienz empfangen.

Sachsen⸗Weimar⸗Eisenach. Die Session der Landessynode ist gestern geschlossen worden. Oldenburg. (H) Ihre Königlichen Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin haben sich gestern zum Besuch des Herzog⸗ lichen Hofes nach Altenburg begeben.

Sach sen⸗Meiningen.

Der Landtag ist auf den T. d. M. zur Wahl des Directo⸗ riums, der Ausschüsse, der Berathung des Etats ꝛc. ein⸗ berufen worden. .

Unter den dem Landtag bereits zugegangenen Vorlagen ist nach der „Goth. Ztg.“ die Do mänen⸗ und Landes⸗ kassenrechnung auf das Jahr 1890 die beachtenswertheste. Der Abschluß dieses Jahres ist sehr befriedigend. Der Domänen⸗ kasse verbleibt bei einer Einnahme von 2 854000 6 und einer Ausgabe von 1707 000 S ein Ueberschuß von 1147 000 6, der zu gleichen Theilen zwischen Herzog und Land getheilt wird. Unter den Einnahmen ergaben die Forsten 1 935 000 M6, sonach ein Mehr von 510 000 6 gegen den Voranschlag. Unter den Ausgaben steht in erster Reihe die feste Civilliste des error mit 394 000 S6. Bei der Landeskasse betrugen die Finnahmen 4 821 000 M, die , Ausgaben aber 4017 600 MS, sodaß ein Jahresüberschuß von S864 000 (Me verblieb. Unter den Einnahmen stehen die Herauszahlungen aus der Reichskasse mit 1 869 000 M, die directen Steuern mit 1260 000 , die indirecten mit 368 000 Æ ; zu den Aus⸗ gaben gehören 1 269 000 6 Matrikularbeiträge und 513 9009 M6 für Verzinsung und Tilgung der Staatsschuld. Der Kassen⸗ bestand zu Ende 1890 stellte sich auf 3 568 000 M, sonach um 516 000 M6 höher als zu Ende des Jahres 1889.

Schwarzburg⸗Mudolstadt.

S8. Seine Durchlaucht der Fürst und Ihre Durchlaucht die Fürstin sind am 21. d. M. von Schwarzburg zum Wintkeraufenthalt nach Rudolstadt zurückgekehrt. Zum Empfang hatte die Stadt reichen Flaggenschmuck angelegt, um der Freude über die Genesung Ihrer Durchlaucht der Fürstin von langer schwerer Krankheit Ausdruck zu geben. In der gestrigen Sitzung des Landtags wurden die Kosten für den Neubau eines Gymnasiums in Rudolstadt bewilligt und dem von der Regierung . Entwurf eines Gewerbe⸗ steuergesetzes mit geringen Abänderungen die Zustimmung ertheilt.

Elsaß⸗Lothringen.

Der Kaiserliche Statthalter Fürst Hohenlohe ist vor⸗

gestern, von Wien kommend, wieder in Straßburg eingetroffen.

Oesterreich⸗Ungarn.

Das österreichische Abgeordnetenha us hat gestern mit 155 gegen 104 Stimmen seine Mißbilligung über die Aeußerungen des Abg. Menger in der Sitzung vom 18. d. M. (siehe Nr. 75 des „R⸗ u. StA.“ ausgedrückt. Dem Abgeordnetenhause ist gestern das Gesetz über die Festsetzung des Rekruten-Contingents für das Jahr 1893 vorgelegt worden. Es wird darin auf Grund der Volks⸗ zählung von 1890 das Contingent des Heeres und der Kriegs⸗ marine mit 59211 Mann, das der Landwehr mit 10000 Mann festgesetzt. Für die im Reichsrathe vertretenen König⸗ reiche und Länder ergiebt sich eine Verminderung des Contin⸗ gents um 1178 Mann.

Als Einleitung zu der in den Delegationen angekündigten Umwandlung der beiden Genie⸗Regimenter und des einen Pionier-Regiments in 15 selbständige Pionier⸗ Feldbataillone veröffentlicht das gestern erschienene Militär⸗Verordnungsblatt vorläufige organisatorische Aende⸗ rungen. Der General⸗Major Berk von Nordenagu ist . Geschäften eines General⸗Genie⸗Inspectors betraut worden.

Sämmtliche Wiener Blätter besprechen heute die gestern bei Eröffnung des Deutschen Reichstags gehaltene 4. rede und heben besonders die Stelle hervor, die sich auf die Einmüthigkeit der verbündeten Regierungen über die Noth⸗ wendigkeit der Militärvorlage bezieht. as „Fremdenblatt“ schreibt: „Da man sich daran gewöhnt hat, daß das Vor⸗

handensein der sich kreuzenden Strömungen in Europa in den wachsenden Rüstungen seinen Ausdruck findet, ohne daß da⸗ durch der Friede erschüttert würde, wird auch die neue Kräfti⸗ gung der deutschen Kriegsmacht nirgends Besorgnisse hervor⸗ rufen können.“

Großbritannien und Irland.

In einem vorgestern abgehaltenen Ministerrath ist der „A. C.“ zufolge das Programm für die nächste . en ee . zur Sprache gekommen. Neben der Vorlage über Homerule foll auch eine Bill zur Abschaffung des mehrfachen Wahlrechts eingebracht werden, Dagegen will die Regierung von einer Neueintheilung der Wald f und der Erweiterung des Stimmrechts vorläufig absehen. . . Angesichts der feindseligen Stimmung in Lissabon lsiehe (Nr. N6 des „R.⸗ u. St.⸗A.“ hat die Regierung beschlossen, daß das britische Geschwader nicht in den Tajo einlaufen soll. Wie das „Reuter sche Bureau“ erfährt, wäre die Nach⸗ richt, daß die englisch-russischen Verhandlungen in der Pamir-Angelegenheit ihrer Lösung entgegengingen, unrichtig; indessen hätten die Cabinette beider Länder den Wunsch und den Willen, zu einem friedlichen und beide Theile zufriedenstellenden Einvernehmen zu kommen.

Frankreich.

Die Deputirtenkammer hat in ihrer gestrigen Sitzung mit der Wahl der Untersuchungscommission in der Panama-Angelegenheit begonnen. Bei, dem ersten Wahlgange würden 23 Republikaner und drei Conserpative gewählt. Unter den Gewählten befinden sich Brisson, Sarrien und Pelletan, die den verschiedenen Gruppen der Linken angehören. Villebois⸗Mareuil, erklärte im Namen der Rechten, die Conservativen hätten kein Interesse an der Ernennung der Untersuchungscommission, weil nur drei ihrer Mitglieder gewählt seien. Hierauf traten diese drei Conservativen . sechs Mitglieder, die der Linken angehören, zurück. Der zweite Wahlgang wurde auf heute verschoben. Am Sonnabend wird die Kammer einen Antra des Deputirten Pourquery⸗Boissevin berathen., wong den Mitgliedern der Untersuchungscommission ein Theil der Befugniffe des Untersuchungsrichters zugestanden werden soll.

Trotz der ihr drohenden Prozesse setzt die Zeitung „Libre Parole“, wie der Magd. Ztg.“ telegraphirt wird, die Ent⸗ hüllungen über die Panama⸗Angelegenheit fort. Dar⸗ nach haͤtte der jetzige Kriegs-Minister de Freycinet zweimal je 200 000 Fr. durch den Verwaltungs- Rath Fontane erhalten, ferner Freycinet's Blatt ‚Télsgraphe“ 100 000 Fr, Clèmenceau's Blatt „Justice“ sei von der Panama⸗Gesellschaft in, aus⸗ gehalten worden. Die „Libre Parole“ fordert Freycinet auf, sie vor dem Schwurgericht zu belangen. Der Senator Hebrard er⸗ klärte, er habe allerdings am Panama⸗Kanal viel Geld ver— dient, aber infolge glücklicher Speculationen. Der Abgeord⸗ nete Delahaye theilte dem Redacteur des „Gaulois“ mit, er werde im parlamentarischen Untersuchungsausschuß die Namen von 192 Abgeordneten und 35 Senatoren mittheilen, die Be⸗ stechungsgelder erhalten hätten.

Die Pariser Polizei hat, wie man der „Köln. Ztg.“ be⸗ richtet, erklärt, die Mittheilung der Blätter, daß auf den

Anarchisten Louvet wegen des letzten Dynamitanschlags

gefahndet werde, sei falsch. Es handle sich um zwei Brüder; der eine sei gestern verhaftet worden, weil er sich seiner Wehrpflicht entzogen habe. Der Soeialist Culine ist in Charleville verhaftet worden, weil ihm der Aufenthalt in den Ardennen untersagt ist. Culine ist der socialistische Agitator, der wegen seiner Hetzereien in Fourmies verurtheilt, aber vom Cabinet Loubet begnadigt worden war. Da er unter Polizeiaufsicht steht, waren ihm die Orte, wo er sich aufhalten durfte, vorgeschrieben.

Italien.

Der italienische Botschafter in Wien Graf Nigra ist, wie W. T. B.“ meldet, in Rom eingetroffen und von dem König in Audienz empfangen worden. Später stattete der Bot⸗ schafter dem Minister des Auswärtigen Brin einen Besuch ab.

Das amtliche Blatt veröffentlicht sechs, später in Gesetze umzuwandelnde Königliche Decrete; eines davon betrifft die Einrichtung einer Depositenkasse, die dazu bestimmt ist, dem Staatsschatz die Mittel zur Bezahlung der Pensionen zu

beschaffen.

Spanien. —ͤ

Aus Madrid in Paris eingetroffene Depeschen melden, daß, als gestern die Königin-Regentin die historische Aus⸗ stellung befucht und bei dieser Gelegenheit ein vor dem Ge⸗ bäude aufgestelltes Granat⸗Geschoß besichtigt habe, etwas Fulminat explodirt sei, wodurch ein seit kurzem als Adjutant der Königin fungirender Genie⸗General leicht verletzt worden sei.

Belgien.

Die internationale Münzconferenz ist gestern Nachmittag 2 Uhr im Akademie⸗Palast zu Bruͤssel durch den . Beernaert mit einer längeren Rede er⸗ öffnet worden, worin er die Münzfrage als eine sehr schwierige bezeichnete, die alle wirthschaftlichen Interessen berühre und ihren Einfluß auf den Welthandel übe. Der Redner erinnerte sodann an die wichtige Rolle des Metallgeldes und die werth⸗ vollen Vortheile der lateinischen Münz-Union, die als Vor⸗ bild für zukünftige Abkommen gelten könne. Zur Regelung der Frage sei ein internationales Uebereinkommen noth⸗ wendig. Das Aufhören der lateinischen Münz-Union würde eine außerordentliche Erschütterung herbeiführen. Zum Schluß wünschte der Minister den Arbeiten der Conferenz besten Erfolg. 2

Rumänien.

Das Parlament ist auf den 27. 8. M. einberufen worden, In unterrichteten Bukarester Kreisen wird dem W. T. B. zufolge versichert, Alexander Catargi, der Vice⸗Präsident der Kammer in der letzlen Session, sei zum Gesandten in St. Petersburg ernannt worden. . ie „Agence Roumaine“ erklärt die Meldung auswärtiger Blätter, die russische Regierung habe sich über die Beh and⸗ ung des ul fh, Schiffes „Olga“ seitens der rumänischen Quarantänebehörden beschwert, für durchaus un⸗ begründet. Vielmehr habe die ru e fg, Regierung die ruffische ersucht, der „Gagarin 'schen Schiffahrtsgesellschaft“ zu empfehlen, eine Uebertretung der Quarantaͤnevorschriften in Zukunft zu vermeiden.

Bulgarien.

Das ,. Blatt hat gestern das Gesetz veröffentlicht, durch das die Aufnahme einer Anleihe genehmigt wird.

Schweden und Norwegen.

Der Reichstag hat gestern die Armee⸗Reorgani⸗ sationsvorlage genehmigt. In einer gestern abgehaltenen Abendsitzung wurde von der Ersten Kamm er auch das Ge⸗ setz über die Wehrpflicht angenommen. Die Zweite

Kammer genehmigte die neunzigtägige Uebungszeit für die vertagte sodann die weitere Berathung

Wehrpflichtigen un auf heute. Dänemark.

Die Verhandlungen des Folkethings über die Militär⸗ vorlagen der Regierung haben nach dem „Hamb. Corresp.“ vorgestern ihr Ende erreicht. Es wurde in namentlicher Abstimmung mit 52 gegen 25 Stimmen (dreiundzwanzig Ab⸗ geordnete fehlten) der Armeeorganisationsplan zur zweiten Lesung und an einen Ausschuß von fünfzehn Mitgliedern ver⸗ wiesen; auch die kleineren zugehörigen Gesetzentwürfe wurden mit ähnlicher Mehrheit in erster Lesung angenommen und dem Armeeausschuß zugewiesen.

Amerika.

In Nr. 268 d. „R- u. St⸗A.“ war unter den nach Schluß der Redaction eingetroffenen Depeschen mitgetheilt worden, daß die mit der Ueberwachung der Einwanderung betrauten Beamten belLgische Glasarbeiter angehalten hätten. Wie „W. T. B.“ berichtet, stattete gestern der belgische Gesandte in Washington dem Schatzsecretär einen Besuch ab und ver⸗ langte von ihm die Freilassung jener nach seiner Meinung widerrechtlich verhafteten Arbeiter.

Afrika. Wie dem „Reuter'schen Bureau“ aus Kairo gemeldet

wird, weist das egyptische Budget an Einnahmen 10 010 000, an Ausgaben 9550 009 egyptische Pfund auf.

Es ergiebt sich also ein Ueberschuß von 460 009 Pfund.

Davon sind 334 000 Pfund durch die Conversion der Staatsschuld gewonnen und infolge der Weigerung der Mächte, eine Verwendung des Geldes zur Herbeiführung von Reformen oder zur Herabsetzung von Steuern zu gestatten, für die Regierung nicht disponibel; 106 000 Pfund sollen der Schuldentilgungskasse überwiesen werden. Der Ertrag der Grundsteuer wird um weitere 123 0090 Pfund vermindert.

Der „Times“ wird aus Kairo gemeldet, Osman Digma habe die Telegraphenleitung zwischen Suakim und Tokar zerstört.

Nach einem in Brüssel eingetroffenen Telegramm aus Sansibar ist die nach Katanga entsandte Expedition Delcommune's, von der man bereits seit 1 Jahren keine Nachricht hatte, am 20. August in Mpala eingetroffen. Del⸗ commune hofft, im Dezember in Lusambo zu sein.

Parlamentarische Nachrichten.

Deutscher Reichstag. 2. Sitzung vom 23. November, 1 Uhr.

Der Sitzung wohnen bei der Reichskanzler Graf von Caprivi, die Staatssecretäre Dr. von Boetticher, Freiherr von Maltzahn, Freiherr von Marschall und Hollmann, sowie der Königlich en g Kriegs-Minister von Kalten⸗ 3 ö. der Königlich preußische Justiz-Minister Dr. von Schelling.

Auf der Tagesordnung steht die Wahl der Präsi— denten und der Ginga er.

Abg. Dr. von Marquardsen beantragt die Wahl durch Zuruf und schlägt vor den Abg. von Lepetzow zum Ersten Präsidenten, den Abg. Grafen Ballestrem zum Ersten und den Abg. Br. Baum⸗ bach zum Zweiten Vice-Präsidenten zu wählen.

Ein Widerspruch dagegen wird nicht erhoben; die drei genannten Abgeordneten werden gewählt und nehmen die Wahl dankend an.

Zu Schriftführern werden ebenfalls durch Zuruf auf Vorschlag des Abg. Dr. von Marquardsen gewählt die Abgg. Graf Klei st⸗ Schmenzin, Wichmann, Merxbach, Hermes⸗-Jauer, Schneider Hamm, Schmidt-Elberfeld, Porsch und von Buol.

Der Präsident ernennt zu Quästoren die Abgg. Böttcher und Rintelen.

. Damit ist der Reichstag constituirt; Seiner Majestät dem Kaiser wird die vorgeschriebene Anzeige erstattet werden.

Der Pröäsident gedenkt darauf der seit der letzten Session ver⸗ storbenen Mitglieder des Reichstags: von Kleist-Retzow, von Forckenbeck, Friedländer, Kirchammer, von Meyer-Arnswalde, von Kossowski. Das Haus ehrt das Andenken der Verstorbenen in der ö Weile.

ingegangen ist eine Interpellation des Abg. Dr. Petri wegen

der Straßburger Schießangelegenheit, die auf die Tagesordnung einer der nächsten Sitzungen gestellt werden soll.

Darauf nimmt das Wort;

Reichskanzler Graf von Caprivi: Ich habe dem Reichstage zwei Vorlagen vorzulegen, welche untereinander im Zusammenhang stehen. Ich bin mir bewußt, daß es ungewöhnlich ist, wenn in diesem Hause Vorlagen redend eingeführt werden. Ich habe es aber nichts— destoweniger für meine Pflicht gehalten, um das Wort zu bitten, einmal um der Bedeutung der Sache willen, und dann weil die Militärvorlage die, öffentliche Meinung hehe ig hat, und weil die öffentliche Meinung sich in falschen Bahnen bewegt hat, weil sie die Vorlage und ihre Motive nicht kannte. Ich will versuchen, die öffentliche Meinung davon zu überzeugen, daß es sich nicht um einzelne Fragen, um etwas Unbedeutendes handelt, sondern um Fragen, die nicht vom Parteistandpunkt zu erledigen sind, von denen die, Zukunft Deutschlands; abhängen wird. Der Regierung ist es nicht leicht geworden, der Nation neue Opfer zuzumuthen. rei Jahre sind vergangen seit der letzten Aenderung unserer Militärverhältnisse. Die Regierungen sind zu der Ueber— zeugung gekommen, daß der bestehende Zustand nicht fortdauern kann. Sie haben die Vorlage gemacht trotz der Unruhe, welche daraus hervorgehen wird und trotz der ernsten Gefahr, welche durch eine Ablehnung der Vorlage für Deutschland entstehen kann.

ch brauche diese Gefahr nicht näher zu erörtern. Die ver⸗ bündeten Regierungen glauben diese Vorlage nicht hinausschieben zu önnen. Der 1. Oktober 1893 wird der früheste Termin sein, an welchem mit der Durchführung angefangen werden kann; erst im Jahre 1854 wird die Wirkung der . Ersatzeinstellungen ein⸗ treten. Die volle Wirkung wird aber erst nach 20 Jahren eintreten. Man hat eingewendet, und mit Recht; Kann man denn die ginbringung nicht verschieben? Wir leben in einer Zeit, in welcher erhebliche Zweige der Volkswirthschaft mehr oder weniger zu leiden haben, wir stehen vor vermehrten Ausgaben Helge der socialen Gesetzgebung und wir befinden uns in einem ien, wo der größte 6. Deutschlands im Begriff ist, seine 3 ju reformiren. Die verbündeten Regierungen haben 26 g eutung dieser Umstände nicht verkannt, aber trotzdem . är, die. Aufschiebung der Vorlage sich erklären können. ö. Jahr, das wir verlieren, ist unwiederbringlich verloren jedes . in welchem wir Anstand nehmen, die Rekruteneinstellung zu ver— ren, ist nicht wiederzubringen. Es würde unverantwortlich gewesen

Concurrenz

sein, die Vorlage jetzt nicht einzubringen, wenn sie überhaupt eingebracht werden soll. m Vorlage von 5 Natur kann nicht .

Dingen motivirt werden. Man wird sagen; warum wartet die Re⸗

ierung nicht bis zu einer bequemeren Hie * nn, Die Vorlage

ann nur mit der vollen Wahrheit motivirt werden, und sie muß die

Zustimmung der Nation finden. Es muß der seit langer Zeit be⸗

stehende Zustand der Nation offen dargelegt werden. 39 kann nicht

mit Krieg in Sicht antreten, ich werde nicht mit dem Säbel rasseln,

sondern nur die reine Wahrheit vor Ihnen entrollen. (Beifall

rechts; Die deutsche Regierung lebt in normalen und

freundschaftlichen Verhältnissen mit allen anderen Regierungen; es ist uns von keiner Seite schwer gemacht worden, die Würde

Deutschlands und seine Ehre zu repräsentiren. Es ist, schon

früher gesagt worden; Die deutsche Natign ist satt, sie hat

nichts zu verlangen. Es ist ein treffendes Wort Seiner Majestät des Kaisers, das er bei der Besitznahme Helgolands aussprach, daß

dies das letzte Stück Land sei, wonach er r Verlangen trage.

Es ist in verschiedenen Zeitungen, auch von patriotischen Männern

gesagt worden: Die schweren Rüstungen könnten nicht mehr getragen

werden; man müßte losschlagen, um die Rüstungen los zu werden.

Die deutsche Regierung und das deutsche Volk wurde niemals selbst

zum Schwert greifen und aggressiv vorgehen. Was würde das Ziel, der

Siegespreis des Präventivkrieges sein, z. B. Frankreich gegenüber? Wir

haben nicht den Wunsch, von Frankreich auch nur einen Quadrat⸗

kilometer uns anzueignen. Wir würden in Verlegenheit gerathen,

wenn wir uns undeutsche Völker angliedern sollten. Wir haben

doch in den Milliarden auch ein Haar gefunden, und wenn man sagt:

Nehmt französische Colonieen, so sage ich; Wir haben an unseren Colonieen genug. (Sehr richtig! links) Wenn die Ansicht, daß der jetzige Zustand

nicht erträglich ist, welche Ansicht die verbündeten Regietungen nicht theilen, durchbrechen sollte, was würde die Folge sein? Als 1870 der Krieg ausbrach, standen uns acht Armee⸗Corps gegenüber, welchen wir siebzehn Armee⸗Corps gegenüberstellen konnten. Heute würden wir uns gegenüber eine gleiche Anzahl von Armee-Corps finden und

dahinter eine große Reserve⸗Armee. Wir würden von der russischen Regierung nicht ein freundliches Entgegenkommen erwarten dürfen, sondern müßten an der Grenze etwas von Truppen stehen lassen. Wir haben ferner die großen Sperrforts Frankreichs zu überwinden an der Mosel und Maas und dann die großen Festungen Frankreichs, von denen alle stärker armirt sind als Metz und Straßburg. Vor diesen Festungen müßten wir einen Theil unserer Truppen stehen lassen. Schlagen wir auch die Reserve⸗Armee und mar chiren wir auf Paris, so finden wir eine Festung, wie sie die Welt nicht so leicht gesehen hat, mit einer Kette von Forts in einer Ausdehnung von 130 km. Diese Festung auszuhungern würde schwer sein. Wenn wir Herren von Paris sind, würden wir eine Ruhe von 20 oder 30 Jahren genießen. Würden wir nicht, wenn wir nach Hause kämen, von neuem rüsten müssen und zwar eifriger als früher? Würden nicht andere Leute da . welche von unserer Lage Gebrauch machen wollen? Der Zustand wäre nach einem prophylaktischen Kriege noch unhalibarer als heute. Ich wiederhole also: Von Deutschland wird niemals ein solcher Präventivkrieg geführt werden. Ich komme auf eine Bewegung, welche die Gemüther vielfach erregt hat. Man hat die Behauptung aufgestellt, Deutschland und in erster Linie Fürst Bismarck habe durch gewisse Manipulationen, ja Fälschungen, welche an Depeschen vorgenommen sein sollen, ö in Verdacht gebracht, zum Kriege provocirt zu haben, während im Gegentheil wir zum Kriege reizten.

Bei Schluß des Blattes sprach der Reichskanzler weiter wir werden die Rede morgen im Wortlaut vollständig bringen.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 7. Sitzung vom 23. November, 11 Uhr.

Der Sitzung wohnen bei der Präsident des Staats⸗ Ministeriums, Minister des Innern Graf zu Eulenburg und der Finanz⸗Minister Dr. Miquel mit Regierungs— Commissarien.

Die erste Berathung des Gesetzentwurfs wegen Aufhebung directer Staatssteuern und der Denk— schrift über die Steuerreform wird fortgesetzt.

Abg. Dr. Friedberg erklärt sich im großen und ganzen mit der Regierung einverstanden. Er sei für die Beseitigung der Doppel⸗ besteuerung, wenn auch dadurch einer großen Anzahl von Grundbesitzern ein Vermögenszuwachs zugewendet werde, denn vielleicht werde sich dafür sorgen lassen, daß die Gutsbezirke die Grundsteuer, die ihnen zufalle, fuͤr eommunale Zwecke verwenden. Aber in einem Punkte sei er ein Gegner der Vorlage: er wolle nicht, daß ein Theil entlastet, während, der andere belastet werde, und zwar . im jetzigen Augenblick, wo die schärfere Einschätzung der Ein⸗ ommensteuer die Bevölkerung erst sehr hart angefaßt habe. Außer⸗ dem sei es ungünstig für eine so, große Maßregel, daß sie sich in befinde mit wichtigen Steuervorlagen im Reiche. Reichs⸗Steuervorlagen finde sich eine Verdoppe⸗ lung der Börsensteuer, welche gerade die Leute belaste, welche von der Vermögenssteuer betroffen werden sollten. Be, üglich der Communalsteuergesetzgebung hätte er erwartet, daß die Regierung beim Reiche eine Aenderung der Zollvereinsverträge ver⸗ fucht hätte, um den Gemeinden, namentlich den großen Städten in—⸗ directe Steuerquellen zu eröffnen. In Bezug auf die Vermögens⸗ steuer wünscht Redner mindestens Beseitigung der Steuererhöhung bis auf 4060 bei Einkommen über 100 000 1M. Mißlich sei das tiefe Eindringen in die einzelnen Verhältnisse, auch seien die Veranla⸗ gungsgrundsätze für einfache Leute schwer verständlich. Ein weiterer Fehler fei, daß alle Vermögensobjecte gleich behandelt würden, ob sie nun ein Einkommen direct ergeben, oder erst dann, wenn sie verkauft werden. Wenn große Vermögensobjecte keinen Ertrag geben, so sollten sie auch keine Steuer bezahlen, das entspreche dem Princip der Ein⸗ kommensteuer; aber wenn man solche Objecte treffen wolle, so sollte man dafür eine Aufwandssteuer einführen, die im vorigen Jahre ab⸗ gelehnt sei, oder man könnte eine erhebliche Besitzwechsel steuer einführen. Empfehlenswerth erscheine ihm eine Erb⸗ schaftssteuer, die z. B. in Dänemarck bei Steuersätzen von 17 vom Hundert 15 Millionen Mark ergebe, was für 6 der Bevölke⸗ rungszahl nach einen Ertrag von 23 Millionen Mark bedeuten würde. Am beffen sei aber die Heranziehung des fundirten Einkommens innerhalb der Einkommensteuer, wie dies in Italien geschehe. Er würde das Arbeitseinkommen mit dem jetzigen Satze besteuern, das gemischte Einkommen aus Landwirthschaft und Gewerbe mit einem höheren Satze und das reine Kapitaleinkommen mit dem höchsten Satze. Dadurch würde man auch die Garantie erhalteu, daß zu den hohen Steuersätzen der Einkommensteuer keine Zuschläge mehr erhoben würden, während bei der Vermögenssteuer diese Garantie nicht vorliege. Dem Reform⸗ lan könne er nicht zustimmen, wenn nicht eine Reform des Wahl⸗ vstems durchgeführt werde. Gegen ein Wahlsystem, welches sich ründe auf fingirte oder erlassene Steuer, müsse er, protestiren. s fehle noch ein Verwendungsgesetz für die 120 Millionen, welche aus den Ueberschüssen der Einkommensteuer angesammelt worden. Man wäre für eine Andeutung über die Verwendung dankbar gewesen, denn es sei eine eigenthümliche fing daß eine Ergänzungs⸗ steuer verlangt werde in einem Momente wo noch 120 Millionen Mark, für diesen Zweck gesetzlich festgelegt, vorhanden seien. Den Vorschlag des Herrn von Huene, die Gewerbesteuer und die Berg- werksteuer aus dem Rahmen der Vorlage wegzulassen, bezeichnet der Redner als einen agrarischen; seine Annahme würde gleichbedeutend sein mit der Ablehnung der ganzen Vorlage, dern die Gewerbetreibenden würden dadurch la gg dr werden zu Gunsten der Grund⸗ und Ge⸗ bäudebesitzer. Er hoffe, daß es gelingen werde, durch Ausscheidung der Vermögenssteuer den Plan zur Durchführung zu bringen und ein

Unter den

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. zu vollenden, das dem Ideal der Gerechtigkeit möglichst haen omme.

Finanz⸗Minister Dr. Miquel: In Bezug auf den Widerspruch gegen den Vorschlag des Herrn von Huene, die Gewerbe⸗ und Berg⸗ werkssteuer aus dem Rahmen der Ueberweisung auszuschließen, könne er sich dem Vorredner nur anschließen, denn 6 würde der ganze Plan über den Haufen geworfen werden. Die Aufhebung der Realsteuern könne nicht für einzelne. Besitzformen ein. geführt werden, sondern müsse allgemein sein, wenn das Gefühl gerechter und gleichmäßiger Behandlung aller Steuer⸗ pflichtigen hervorgerufen werden solle. Man würde dabei ge⸗ zwungen sein, die Unterscheidung von fundirtem und nichtfundirtem Einkommen fallen zu lassen. Besonders ungerecht sei die Brutto⸗ besteuerung der Bergwerke, die sämmtlich . besteuert witrden, während ihre Productionskosten ganz verschieden seien. Soweit sei er mit. dem Vorredner einverstan dn, aber nicht in Bezug auf seine übrigen Ausführungen. Die Vertheidi⸗ gung des Kapitals wäre unnöthig gewesen, denn die Regie⸗ rung n, gar nicht, das Kapital einseitig zu belasten, sie wolle vielmehr das Kapttalvermögen und das gewerbliche und landwirth⸗ schaftliche Vermögen vollständig gleichmäßig besteuern. Der Vorredner behaupte, daß die Regierung keine Erwägungen über die Fröffnun indirecter Steuerquellen angestellt habe, diese seien aber ,, seit einem Jahre im Gange. Was sie ergeben, wisse er jedo nicht, denn hier entscheide nicht Preußen, sondern das Reich. Das Verbot der Weinbesteuerung außerhalb der Weinländer schädige die Gemeinden sehr erheblich, weil dadurch auch eine Heranziehung des Bieres und Branntweins verhindert werde. Die Gemeinden zur Ein⸗ führung indirecter Steuern zu zwingen, würde er nicht für recht halten; das müsse vollständig der Selbstverwaltung der Gemeinden und der. Prüfung aller Verhältnisse überlassen, bleiben. Die Unterscheidung zwischen fundirtem und unfundirtem Ein⸗ kommen sei ein Gebot der Gerechtigkeit und könne des⸗ halb nicht umgangen werden, namentlich nicht in dem Augen⸗ blick, wo die höchst mangelhafte Lösung dieser Frage mit den Real⸗ steuern preisgegeben werde. Den Satz: die directen Steuern dem Reich, die Personalsteuern dem Staat und die Realsteuern den Ge⸗ meinden, habe er niemals durchführen wollen, denn die Gemeinden hätten eine Doppelnatur. Sie hätten auch staatliche Aufgaben zu erfüllen und deshalb müßten ihnen auch die Personalsteuern theilweise zugänglich sein. Der Vorredner sehe ferner in der Vermögenssteuer eine besondere Benachtheiligung des Kapitals; würden denn aber nicht der Grundbesitz und das Gewerbevermögen ebenso behandelt? Der Grundbesitz stehe im Kataster, ob aber das Kapital so leicht zu ermitteln sein werde, sei schon zweifelhaft. Wenn der Plan scheitere, dann werde die Einführung einer Kapitalrentenstéuer nicht zu umgehen sein, und ob dabei das Kapital hesonders gut weg⸗ kommen werde, das müsse er dahingestellt sein lassen. Wenn das fundirte Einkommen innerhalb der Einkommensteuer be⸗ steuert werde, wie solle es dann mit den Zuschlägen bestellt sein? Das fundirte Einkommen sei in den Gemeinden realiter besteuert; solle es durch die Einkommensteuerzuschläge nochmals belastet werden? Die Versuche anderer Staaten, namentlich Italiens, seien sehr un⸗ vollkommen, weil sie zwischen den verschiedenen Besitzarten unter⸗ schieden. Die schließe eine solche Ünterscheidung vollständig aus. Ein Wahlgesetz solle noch in dieser Session, so⸗ bald als thunlich vorgelegt werden. Die Regierung' habe eine Entscheidung darüber noch nicht treffen können, denn wenn das Wahlrecht nach der ersten Zahlung bemessen werden solle, müsse die Regierung erst wissen, wie die Steuern vertheilt werden. Das Haus habe es immer in der Hand, das Wahlgesetz mit der Reform zu verknüpfen. Der Vorredner vermisse sodann ein Verwendungs⸗ gesetz. Wenn die Steuerreform durchgeführt werde, so würden manche Härten entstehen, wenigstens in der ersten Zeit. Der Vorredner werde daher wohl nichts dagegen einzuwenden haben, wenn die 120 Millionen dazu verwendet würden, um den hilflosesten Gemeinden, . besonders durch die Schulkosten belastet werden, zu Hilfe zu ommen.

Weiter nahmen bis zum Schluß des Blattes noch das Wort die Abgg. Graf Limburg-Stirum (cons), Hansen freicons.), Krau se (nl und Meyer-Berlin (ofr.), über deren Reden wir morgen berichten werden.

Theater und Musik.

Neues Theater.

Nach dem glücklichen Verlauf der „Iphigenie“⸗Aufführungen, mit denen das Neue Theater eröffnet wurde, war die erste Novität nicht von einem ebenso erfreulichen Schicksal begünstigt. Man gab gestern Abend Die Liebeshändlerin“, ein japanisches Bühnenspiel, dessen Verfasserin die Französin Zudith Gautier ist, die von ihrem Vater die poetische Anlage und Neigung geerbt hat. Den Werth ihres Schauspiels „La marchande de sourire“ vermag man nach der gestern gehörten, von Sigmar Mehxing be⸗ sorgten Bearbeitung, die sich erst wieder auf die Saar'sche Ueber setzung stützt, nicht abzuschätzen. Der geringe Erfolg, den die Vor⸗ stellung fand, kann auf Mangel an Handlung nicht zurückgeführt werden, denn in dem Stück sind die Erlebnisse zweier Generationen abgehandelt; in den beiden ersten Acten werden die Geschicke der Eltern, in den drei letzten die Schicksale ihrer Kinder in Wort und Bild dargestellt. Was die Langeweile und den Unmuth gestern er⸗ zeugte, war die auseinanderziehende, weitschweifige Art, mit der ganz äberflüssige Nebendinge eingeführt wurden. Die Verfasserin verlegt den Ort der Handlung nach dem fernsten Osten; Frauen und Männer erscheinen in den farbenprächtigen Gewändern Japans auf der Bühne; ihre Denk⸗ und Handlungsweise ist aber mehr abendländisch⸗französisch als morgenländisch⸗japanisch. Ein reicher Kaufmann führt eine leicht fertige Liebeshändlerin als zweite Gattin in sein Haus und vertreibt dadurch seine erste edle Gemahlin mit ihrem dreijährigen Söhnlein. Die neue Gattin, die ihren Mann natürlich nicht liebt, raubt ihm alle Kostbarkeiten, zündet dem Bethörten das Haus überm Kopf an und flüchtet mit einem jungen Schiffsknecht; der reiche Kaufmann muß nun bettelnd durch das Land ziehen; seine erfte Gattin ftirbt am Wege und der zufällig diese Straße ziehende Fürst nimmt sich des verwaisten Knaben an. Als dieser erwachsen ift, entbrennt er in Liebe zur Tochter der unwürdigen Nebenbuhlerin seiner todten Mutter; die . des Conflicts wird durch den frei⸗ willigen Tod der Liebeshändlerin herbeigeführt. Das Ganze ist eine romantische Geschichte, in der manch zarte Empfindung und au vereinzelt ein humoristischer Einfall auftaucht. Die duftige Liebesscene des dritten Actes fand mit ihrem finnigen poetischen. Zauber, der von einem sehr hübschen Lied getragen wird, am meisten Beifall; leider zeigte der vierte Act wieder sodiel Zerfahrenheit, daß hier der Unmuth des Publikumz bei Gelegenheit einer lärmenden weiblichen Straßenbersammlung auf der Bühne sich hörbar machte. Japanische Eigenart trat nur in ein. zelnen nebenfächlichen Dingen hervor; so erhält der Liebende sein Brieflein durch eine schwimmende Schilfblüthe, und die diebeshändlerin giebt sich den Tod durch den Saft einer japanischen Giftblume Im übrigen hat auch das japanische Gewand einzelne Kraßheiten des Stücks erheblich; gemildert. Im Publikum fand, die romantssche Märchengeschichte wenig Anklang und auch der äußere fremdländische Zuschnitt konnte über die Schwächen des Stücks nicht hinwegtäuschen; zudem scheint es dem Uebersetzer und dem Bearbeiter an dem nöthigen Geschick gemangelt zu haben. Für ein Volkstheater, das ein naiveres und anspruchsloseres Publikum in seinen Räumen versammelt, als das prunkvolle Neue Theater, wäre das Stück in feiner jetzigen Gestalt vielleicht passender gewesen. .

Die Darstellung konnte genügen. 8 der Rolle eines jungen Liebenden erwarb sich Herr n eld verdiente , er

richt mit warmer, angenehmer Stimme überzeugend und besitzt

P ö. ; . Ünbeholfenheiten, die noch manchmal stören, wird er