auch zur Geltung gelangt. Die besten Eigenschaften müssen eben an einer Anzahl lebendiger Leiber zum Ausdruck kommen, und wenn die Anzahl der Menschen zu gering wird, so ist heute vielleicht in Afrika noch ein Erfolg möglich, aber in Europa nicht mehr.
Dann läßt man vollkommen außer Acht, daß wir in der Noth⸗ wendigkeit sind, anders wie andere Staaten, mit einem Kriege nach zwei Fronten zu rechnen, und wir Gott danken wollen, wenn wir in einem Zukunftskriege auf jeder Front so stark sind, wie wir es in dem französischen Kriege gewesen sind. Damit fällt der Einwand, daß wir schwerlich in der Lage sein würden, diese Massen zu ernähren, zu bewegen und zu gemeinsamem Schlagen zu bringen, fort. Das wollen wir auch nicht. Wir rechnen darauf, daß diese Massen auf zwei Schauplätzen gebraucht werden und daß wenigstens zur Aufsicht an einer Grenze so viele abgehen, daß die Zahl auf der anderen Seite uns nicht unbequem wird. Wenn wir in der Lage wären, beim Ausbruch eines Krieges die Menge unserer Streiter unbequem zu empfinden, so giebt es ein einfaches Mittel: man läßt die Alten zu Hause. Das haben wir ins Auge gefaßt, und dahin geht gerade unser Streben: wir wollen dahin kommen, nicht schon am ersten Mobilmachungstage, wie es jetzt der Fall ist, gleich Landwehr zweiten Aufgebots und Landsturm einzuberufen. (Hört, hört! rechts.)
Also, wenn wir höhere Zahlen wollen und bekommen, und wenn die uns zu viel werden sollten, giebt es nichts Einfacheres, als uns des Plus aus älteren Jahrgängen zu entledigen. Wir wollen nicht Zahlen schaffen, sondern Werthe. Das aber unterliegt keinem Zweifel, daß der jüngere Mann, der unmittelbar oder nach kurzer Pause aus dem Friedenspräsenzstand in das Kriegsheer eingestellt wird — bei aller Hochschätzung der Eigenschaften der Vaterlandsliebe und des Patriotismus der Landwehrleute — doch militärisch einen höheren Werth besitzt. Können wir uns nun solche höheren Werthe sichern, warum sollen wir dann auf ältere Leute, die mehr darunter leiden, deren Verwendung für das Land und das Heer nicht den⸗ selben Nutzeffekt gewährt, zurückgreifen?
Ich möchte mich eines Vergleichs bedienen. Wir haben, um unsere Wehrkraft zu erhöhen, auf einer schmalen Basis — und die Basis ist immer der Jahrgang, der eingestellt wird — nach und nach zu einer großen Zahl von Streitern kommen wollen, indem wir die Pyramide immer erhöhten und nun durch das Gesetz von 1888 immer oben noch ein paar Jahrgänge zusetzten.
Ich wiederhole noch einmal: es trifft niemanden dafür ein Vor— wurf. Es war damals nichts Anderes zu schaffen. Aber der Weg wäre ein falscher, wenn man eben, wie wir, Zeit vor sich zu haben glaubt und wenn man von der Nothwendigkeit durchgreifender Hilfe überzeugt ist. Die Basis der Pyramide, die Größe der jährlich eingestellten Jahrgänge muß größer werden.
Wir wollen weiter verjüngen. Es handelt sich bei der Frage, die die Presse jetzt auch vielfach bewegt hat über Landwehr und Linie, ja nicht darum: was hat die Landwehr geleistet? sondern es handelt sich darum: was kann man der Landwehr zumuthen? Es sind Artikel in einer militärischen Zeitschrift erschienen, denen die Regierung und die Militärverwaltung fern steht (hört! hört), Artikel, die eine gewisse Unzufriedenheit, einen Aerger, eine gewisse Aufregung hervor⸗ gebracht haben, indem man von der Ansicht ausging, es läge darin — es sind sehr harte Ausdrücke gebraucht worden — eine Be— schimpfung — es wurde dann abgemildert —, eine Verunglimpfung der Landwehr.
Ich weiß nicht, wer die Artikel geschrieben hat — prineipaliter nehme ich aber an: ein Offizier im Dienst oder außer Dienst. Ich nehme aber nicht an, kann es auch nicht annehmen, kann das auch aus dem Artikel nicht herauslesen, daß der Schreiber dieses Artikels die Absicht gehabt habe, die Landwehr herabzusetzen — das kann und wird kein deutscher Offizier thun. Aber es handelt sich, wie es sich im Jahre 1861 gehandelt hat, um die Frage: was kann denn die Landwehr überhaupt leisten?
Alle menschliche Leistungsfähigkeit hat ihre Grenzen. Der erste Napoleon hat den Ausspruch gethan, Menschen und Truppen wären im Kriege journaliers, also ihre Leistungen wären tagweise ver⸗ schieden. Das ist richtig. Und wenn ich als Kriegshistoriker die Leistungen eines Linien- oder Landwehrtruppentheils beurtheilen wollte, so würde ich — und ich glaube, das würden alle Militärschriftsteller thun — sehr schwer zu einem abfälligen Urtheil kommen. Denn es ist niemals einwandfrei festzustellen: welche Umstände haben auf das Mißgeschick, was der Truppentheil gehabt hat, zurückgewirkt? Es ist nicht möglich, sich später zu vergegenwärtigen oder klarzustellen, in welchem physischen Zustande die Truppe gewesen ist — war sie satt, war sie ausgeschlafen, was für moralische Eindrücke hatte sie vorher gehabt? Das sind Fragen, die beantwortet sein müssen, ehe man ein Urtheil über die Leistungen eines Truppentheils im Felde fällt.
Aber immerhin sind wir genöthigt — und aus Anlaß dieser Vorlage genöthigt —, uns vor die Frage zu stellen: Ist es richtig, die Landwehr in erster Linie zu verwenden, oder thun wir klüger, zu— erst diejenigen Menschen, die wir im jugendlichen und kräftigen Alter noch in Deutschland haben, an den Feind zu bringen, ehe wir auf die älteren zurückgreifen? Darüber, glaube ich, kann nur ein Urtheil sein; und das, was wir hier bezwecken, indem wir mit unserer Vorlage die Armee verjüngen wollen, geht dahin, die älteren Jahrgänge zu schonen, sei es, daß man sie ganz zu Hause läßt, oder sei es, daß man mindestens, bis es nothwendig ist, sie nicht an den Feind schickt. Ich will, um einem möglichen Streit zwischen Linie und Landwehr, der ja bei der Reorganisation von 1862 eine so große Rolle gespielt hat, keine Nahrung zu geben, denselben Menschen mit einander vergleichen und will annehmen: das eine Mal ist er 22 Jahre alt und steht in einer Linientruppe, wenn die Mobilmachung kommt, das zweite Mal aber ist er in der Landwehr und 32 Jahre alt, wenn die Mobilmachung eintritt und ihn von Hause ruft. Es müßte ein sehr schlechter Truppentheil sein, bei welchem der Mobilmachungsbefehl nicht unter allen Umständen einen gewissen Grad von Freude, von fortreißender Freude hervorruft. Das ist auch natürlich. Der Mann wird das Kasernenleben endlich los, kommt heraus, stellt sich die Sache vielleicht auch noch poetischer vor, als sie ist, und gerne tritt jede Truppe an mit Gewehr,
wenn die Mobilmachungsordre kommt. Nun zieht der Mann fort, jung ist er, des Lebens Aengsten, er wirft sie weg, hat nichts zu fürchten, zu sorgen“; so zieht er in den Krieg. :
Wenn der Mohbilmachungsbefehl diesen selben Mann aber erst mit 32 Jahren trifft, — so hat er geheirathet, hat Kinder, hat ein Geschäft gegründet. Jetzt bekommt er den Befehl: innerhalb
24 Stunden stellst Du Dich ein. Er kommt, er ist patriotisch, er hat vielleicht von Vaterlandsliebe mehr, als er in seiner Jugend hatte, er ist an Pflichtgefühl, an Opferfreudigkeit vielleicht gewachsen. Was wird ihm zugemuthet? Jetzt wird er zum Truppen⸗ theil abgegeben, er wird auf die Kammer geführt, es werden ihm die Sachen angepaßt, die Stiefel drücken ihn, der Tornister ist ihm nicht bequem, der Kragen ist ihm unge⸗ wohnt; er ist zu Hause an Weißbrot gewöhnt, jetzt bekommt er Kom mißbrot, seine Gesundheit fängt an zu leiden; aber der Mann ist patriotisch, er hält das alles aus. Jetzt wird er auf die Eisenbahn gesetzt und ins Feld gefahren. Da lädt man ihn aus. Es kommen die mühseligen Märsche, Tagesmärsche, Nachtmärsche; je näher dem Feinde, um so mehr drängt sich alles zusammen, die Verpflegung wird schlechter, zuletzt ist er auf die knappe eiserne Portion angewiesen. Nun kommt der Schlachttag. Inzwischen hat er Briefe, Karten von Hause bekommen. Die Frau klagt, und mit dem Bleigewicht der Sorge schleppt er sich durch; trotzdem hält der Mann aus. Am Tage der Schlacht soll nun die Landwehr unmittelbar neben Infanterie der Linie gebraucht werden. Früh verlassen die Truppen die Hauptstraßen des weiten Feuers des Feindes wegen um die Gefahr zu ermäßigen, es geht über Sturzacker, er giebt sein Letztes her für Deutschland. Nun fängt das Feuer an; auch er kommt ins Feuer; er denkt: gut, daß er endlich zum Schuß kommt, er kann endlich activ werden. Jetzt wird sprungweise vorgegangen; da soll er mit dem Tornister auf dem Rücken abwechselnd laufen, sich hinwerfen und schießen, und wenn das bis zum Abend gegangen ist, dann soll die Truppe noch etwa 400 m mit Hurrah avanciren und den Feind aus seiner Stellung drängen. Derselbe Mensch, der das mit 22 Jahren leistet, kann es und wird es auch mit 32 Jahren leisten, aber der Aufwand an Kraft und Opferwilligkeit ist sehr erheblich größer bei den 32 jährigen als bei den 22 jährigen. Ich achte die Opfer, die unser Beurlaubten⸗ stand, Offiziere wie Mannschaften, im Kriege bringen, sehr hoch, — es ist viel mehr, was diese Männer leisten, als was wir Berufssoldaten leisten, und die Kriegsdenkmünze auf der Brust eines alten beurlaubten Soldaten ist in meinen Augen eines der höchsten Ehrenzeichen, die ein Mensch tragen kann. Vor allem müssen wir aber nach der Wahrheit suchen, und man wird das auch unseren Offizieren nicht verdenken können, wenn sie nach dem, was die Wahrheit in diesen Dingen ist, forschen. Ich darf daran erinnern, daß die Franzosen sich dadurch einen großen Schaden gethan haben, daß sie auf die Berichte des Obersten Stoffel nach dem Jahre 1866 keinen Werth legten, die Berichte, die ihnen die Wahrheit sagten. Und wenn ich also auch wünsche, daß nun und nimmermehr ein deutscher Landwehrmann in seinem Ansehen, in seinem Selbstgefühl geschädigt werden möge, so kann ich immer nicht finden, daß in dem, was geschehen ist, ein Grund liegen könne zu der Entrüstung, die nun durch die Zeitungen gegangen ist. Ich bin der Ueberzeugung, und ich glaube, Sie alle werden sie mit mir theilen, daß der Name eines deutschen Landwehrmannes auf alle Zeiten ein Ehrenname bleiben wird. (Bravo rechts.)
Ich muß nun auf den Theil der Landwehr noch zurückkommen, der, wenn man einen Vergleich mit der Linie anstellt, der meist⸗ betheiligte ist: die Landwehr ersten Aufgebots. Ich wiederhole noch einmal, das sind die Mannschaften, die durch die Reorganisation des hochseligen Königs Wilhelm in ein Verhältniß gebracht werden sollten, was sie davon befreite, schon bei Ausbruch der Mobil⸗ machung in engem Verband mit der Linie an den Feind gebracht zu werden. Diese Landwehrleute befinden sich in Truppentheilen, die man heutzutage Reserve-Divisionen nennt, die aber ihren Namen weder davon haben, daß sie aus Reservisten zusammengesetzt sind — denn sie setzen sich aus Landwehrleuten zusammen — noch davon, daß sie in Reserve gehalten werden sollen. Denn die Reserve— Divisionen, die wir aufstellen, werden fast ausnahmslos mit der Linie mobil gemacht und mit der Linie ins Feld gestellt. Wir haben nicht die Mittel, diese Reserve⸗Divisionen in den Festungen zu lassen, wir müssen sie brauchen wie Feldtruppen, wir haben nicht die Zeit, sie erst nach und nach an das militärische Leben sich gewöhnen zu lassen. Vom ersten Tage an müssen sie neben den Linientruppen stehen; wenn man sie auch nicht, wie zur Zeit vor der Armee⸗Reorganisation, in Brigaden mit der Linie einreiht, so wird man sie doch immer wieder in gewisse Verbände mit der Linie bringen müssen. Es wird dann für den Feldherrn die Frage entstehen: soll das Tempo des Ganzen sich nach dem langsameren Tempo der Landwehr richten oder nach dem rascheren Tempo der Linien-Dipisionen, was Letzteres für die Reserve⸗Divisionen baldige Auflösung durch Erkrankungen voraussichtlich zur Folge haben müßte. Unsere Reserve⸗Dipisionen sind älter als die französischen und russischen, und sie entbehren der Cadres. Sie sind sehr stark verheirathet. Die Statistik des Jahres 1885 ergiebt, daß im Alter von 20 bis 25 Jahren 74 Männer verheirathet sind, von 25 bis 30 Jahren 47,8 und von 30 bis 35 Jahren 76 Hö. Das letztere ist das Alter unserer Reserve-Divisionen. Mir ist erinnerlich aus dem letzten Kriege, daß das erste Garde⸗Landwehr Regiment bei einem Etat von 3000 Köpfen 4000 Kinder hatte. Sie werden mir zugeben, daß eine auf solche Weise — ich möchte sagen — moralisch belastete Truppe immerhin mehr Schwierigkeiten zu überwinden hat, wie eine andere, und daß es Pflicht der Armeeverwaltung ist, danach zu suchen: wie können wir diesem Uebelstand abhelfen, wie können wir jüngere Leute schaffen? Daß wir das können, wird Ihnen nachgewiesen werden; wir haben die nöthigen Mengen waffenfähiger Menschen dazu.
Die Landwehr zweiten Aufgebots hatten wir schon ganz ab— geschafft; sie war beseitigt; wir haben sie wieder eingeführt, und selbst diese Landwehr zweiten Aufgebots — ich scheue mich nicht, es öffentlich auszusprechen, weil ich der Ueberzeugung bin, daß, wenn auch etwas gesagt wird, was das Ausland gern hört, es für unsere Nation nothwendig ist, über diese Dinge klar zu sein, wenn sie darüber urtheilen soll, — die Landwehr zweiten Aufgebots wird auch zu zwei Dritteln bei einem Kriege auf zwei Fronten im Feld, an der Küste oder auf Etappen verwendet werden, und das, was wir zur Besatzung unserer Festungen übrig behalten, das ist der Land— sturm und der Rest der Landwehr zweiten Aufgebots. Das sind Ver⸗ hältnisse, die wir seit dem Jahre 1813, und auch selbst im Jahre 1813 nicht gehabt haben; denn wo im Jahre 1813 der Landsturm aufgeboten worden ist — es sind nur wenig Fälle gewesen — ist er nicht ernstlich gebraucht worden.
Nun wird man zugeben: die Kraft der Armee liegt im Friedens
stande, und es hängt wesentlich die Leistung der Kriegsarmee von der Stärke und Güte des Friedensstandes ab. Aber was geht denn von dem Friedensstand in den Kriegsstand über, wie stellt sich das Verhältniß beider zu einander? Nun ergiebt schon die Denkschrift, die Ihnen hier vorgelegt wird: man denkt die deutschen Truppen auf 4 400 000 Mann zu bringen, während unser stehendes Heer auf rund 500 000 Mann kommen wird. Daraus folgt: sieben Achtel aller Truppen, die beim nächsten Kriege aufgestellt werden, sind Neu⸗ formationen, für sieben Achtel existiren gar keine Friedensstämme. Das, was sie an Halt und Stamm brauchen, muß ihnen von den im Frieden bestehenden Regimentern von der Präsenzstärke abgegeben werden. Das führt zu Verhältnissen, die auf die Friedens präsenzstärke, auf unsere sogenannten Feldtruppen, auf das Ver⸗ derblichste einwirken. Es wird so viel aus der Truppe heraus⸗ gezogen am ersten Mobilmachungstage, daß sie nicht wiederzuerkennen ist. Vielleicht geht der Hauptmann ab, die Offiziere gehen ab; vielleicht bleibt ein einziger Offizier übrig, die anderen bekommen Verwendung bei anderen Truppentheilen. Es wird von jedem Infanterie⸗ Regiment ein viertes Bataillon, ein Ersatzbataillon, ein Rekrutendepot aufgestellt; es kommen zwei Reservebataillone dazu, es muß eine Anzahl von Leuten für andere militärische Zwecke abgegeben werden. Ich habe in meiner dienstlichen Praxis den Fall gehabt — ich gebe zu, daß es ein ausnahmsweise schroffer war; aber so sehr ver⸗ schieden werden bei Truppentheilen mit kleinem Etat die Ver⸗ hältnisse sich nicht stellen — ich habe einen Fall gehabt, wo von einer Friedens'ompagnie auf die Kriegscompagnie 1 Unteroffizier und 19 Mann übergingen. Das ist ein Verhältniß, das nicht länger dauern kann. Wir müssen also, wenn wir diese starken Kriegs—⸗ formationen beibehalten wollen, unsere Friedensformationen ver⸗ mehren. Wir zersetzen unsere Friedenstruppentheile beim Ausbruch eines Krieges, und wir haben bei der Geschwindigkeit, mit der die Entscheidungen heutzutage eintreten, bei dem Werthe, den die ersten Entscheidungen haben, allen Anlaß, dafür zu sorgen, daß die Truppen⸗ theile von Hause aus gut werden, auch die Neuformationen so gut werden wie möglich, weil wir eben nicht die Zeit haben, sie militärisch einzuschulen. Dazu bedürfen wir unumgänglich vermehrter Cadres, und auch diese Cadres zu schaffen, ist Zweck des Gesetzes.
Nun, welche Mittel wollen wir dazu verwenden? Ich streife nur die finanziellen Mittel. Sie haben im „Staats-Anzeiger“ vor⸗ aussichtlich gelesen, daß wir auf Bier, Branntwein und Börse zurückgreifen wollen und daß wir den Taback haben fallen lassen. Ich kann in Bezug auf den Taback bemerken, daß es damit folgender— maßen zugegangen ist. Die militärischen Anforderungen waren anfangs höher, sind dann allmählich heruntergegangen und noch in der In— stanz der Reichsbehörden um eine letzte Summe von Millionen er— mäßigt worden, was uns die Möglichkeit gab, auf den Taback als Steuerobject zu verzichten. Man hat gesagt, wir hätten überhaupt lieber eine Steuer nehmen sollen, sie würde weniger Opposition gefunden haben. Das ist richtig; wir würden weniger Interessen ge⸗ schädigt haben. Wir waren aber von Hause aus der Meinung, daß es räthlicher sei, die Last auf mehrere Schultern zu vertheilen. Wenn wir aber auf eine Gesammtsumme kamen, die durch Bier, Brannt⸗ wein und Börse allein gedeckt werden konnte, hatten wir keinen Grund, an dem Plan einer Erhöhung der Tabacksteuer festzuhalten.
Ich sehe es nun kommen, daß die Biersteuer einer lebhaften Opposition begegnen wird, und ich möchte mir deshalb in Bezug auf die Besteuerung des Bieres einige wenige Worte erlauben. Im ganzen kommt durch die neuen Steuern auf den Kopf der deutschen Bevölkerung jährlich 1,1 bis 1A M mehr. Die Annahme der Vor⸗ lage würde bewirken, daß in Norddeutschland — Süddeutschland wird ja von dem Gesetz gar nicht direct berührt — von dem Liter s/ io also von dem Seidel noch nicht 4 mehr Steuer erhoben wird, als bisher — eine Versteuerung, die im Ausschank wahrscheinlich nicht zur Geltung kommen wird, und die schließlich doch gering erscheint, wenn man bedenkt, daß in Deutschland jährlich für Bier und Trink— branntwein an 2 Milliarden ausgegeben werden. Wir sind bisher — und ich berufe mich da auf die statistischen Arbeiten des Professors Kauffmann — der Staat gewesen, ausgenommen Oesterreich- Ungarn, der am wenigsten für seine Wehrkraft ausgegeben hat. Wir werden auch nach dieser Vorlage, wenn sie angenommen wird, in derselben Lage bleiben, vielleicht, daß dann auch Italien hinter uns zurücktritt. Es ist also auch aus dem Vergleich mit anderen Staaten die Behaup⸗ tung einer anormalen, unerträglichen Belastung nicht herzuleiten.
Militärisch wollen wir die Mittel dadurch aufbringen, daß wir zur allgemeinen Wehrpflicht zurückgreifen. Wir wollen nicht soweit auf sie zurückgreifen, daß wir alles das, was nach den Listen über die Resultate des Ersatzgeschäftes allenfalls brauchbar wäre, nehmen, und wir wollen die bestehenden Reclamationsgründe in nichts beschränken. Wir wollen sorgsam in der Auswahl sein und den Begriff Tauglichkeit! nicht ausdehnen, sondern wollen uns mit den Leuten begnügen, die wir mit gutem Gewissen nach ärztlicher Prüfung für tauglich halten. Es wird also immerhin in Bezug auf die allgemeine Wehrpflicht, wenn sie auch durchgeführt wird, eine Beschränkung in sofern gegen den Begriff der allgemeinen Wehrpflicht eintreten, als wir nicht bis zum Aeußersten gehen, sondern einen Spielraum übrig lassen. Das Gesetz über die Ersatzvertheilung, das ich die Ehre habe, Ihnen vor— zulegen, ist, wie gesagt, die Voraussetzung des Gesetzes über die Friedenspräsenzstärke. Es haben sich im Laufe der Jahre auch in Bezug auf die Ersatzvertheilung Uebelstände herausgestellt, die nicht länger fortdauern können. (Sehr richtig! rechts.)
Das Gesetz schreibt vor, daß der Ersatz nach der Bevölkerungszahl vertheilt wird. Die Folge davon ist, daß in denjenigen großen Städten, Handelsplätzen, wo viel Zuzug männlicher Jugend ist, eine große Anzahl von jungen Leuten zur Musterung gehen, eine größere An— zahl, als sie der Bevölkerungsziffer entspricht. Das ist soweit ge⸗ gangen, daß das Vorkommen der Militärpflichtigen auf 1000 Seelen der Bevölkerung geschwankt hat zwischen 7,73 im Fürstenthum Schwarzburg⸗Sondershausen und 13,, in Hamburg, und innerhalb der Antheile der unter preußischer Verwaltung stehenden Bezirke zwischen 771“ und 10,5. Die Militärpflichtigen — also die, die
neu ausgehoben wurden — variiren, wie die Motive zur Vorlage
angeben, in ähnlichen Zahlen. In der freien und Hansastadt Bremen sind in einem Jahre 175 Rekruten für den activen Dienst gestellt, in Sondershausen 487; innerhalb der preußischen Antheile hat die Zahl geschwankt zwischen 503 und 320, immer auf das Tausend gerechnet.
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
zum Deutschen Reichs⸗-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗ Anzeiger.
M 279.
Zweite Beilage
Berlin, Donnerstag, den 24. November
1892.
(Schluß der Rede des Reichskanzlers aus der Ersten Beilage.)
Ein anderer Mißstand, der ausgeglichen werden muß, beruht auf der Anrechnung der Freiwilligen. Nach der Bestimmung des Hesetzes werden die Freiwilligen da angerechnet, wo sie sich stellen, was zur Folge gehabt hat, daß in der Universitätsstadt Göttingen im Jahre 1886 so viel Freiwillige vom Vorjahre abzurechnen waren, daß kein Rekrut ausgehoben worden ist. Diese⸗Mißstände zu heben ist der Zweck des einen Gesetzes.
Also einmal, wir wollen die allgemeine Wehrpflicht durchführen, zweitens, wir wollen zu der zweijährigen Dienstzeit bei den Fußtruppen übergehen, und verstehen die verbündeten Regierungen unter Fußtruppen alle Truppen, ausgenommen Cavallerie und reitende Artillerie.
Wir würden die dreijährige Dienstzeit lieber behalten haben als die zweijährige; aber wir müssen uns sagen, einmal haben wir die dreijährige Dienstzeit nie gehabt, wir haben jetzt einen verstümmelten, einen Zwitterzustand zwischen zwei⸗ und dreijähriger Dienstzeit gehabt, der mit sehr ernsten Mißständen verbunden war. Die verbündeten Regierungen haben sodann den wirthschaftlichen Interessen der Nation Rechnung tragen wollen und haben sich deshalb entschlossen, die zweijährige Dienstzeit anzunehmen, in der auf militairische Autori⸗ täten gestützten Ansicht, daß wir die zweijährige Dienstzeit ohne Schaden werden durchführen können, in der Voraussetzung, die⸗ jenigen Compensationen zu bekommen, die wir für nöthig halten. Wir wollen nicht die Reichsverfassung ändern (sehr richtig! rechts), die Reichsverfassung sagt in Artikel 57:
Jeder Deutsche ist wehrpflichtig,
und in Artikel 59:
Jeder wehrpflichtige Deutsche u. s. w. den und den Kategorien an.
Wir sind der Meinung, diese Artikel der Reichsverfassung be⸗ grenzen die Rechte und Pflichten (sehr richtig) und haben das schon bisher gethan; denn es haben eben bisher auch nicht Alle drei Jahre gedient. Die Unterschiede sind da, der eine hat nur zehn Wochen gedient, obwohl die Reichsverfassung sagte: er dient drei Jahre. Wir wollen auch bei der Gelegenheit nicht die Reichs— verfassung ändern, sondern wir wollen auf ihr bestehen bleiben. (Bravo! rechts) Wir wollen aber die zweijährige Dienstzeit that—⸗ sächlich dauernd ohne Hintergedanken und ohne Einschränkung geben. Der Gesetzentwurf sagt darüber, nachdem er die Durchschnittsstärke genannt hat:
Dieser Durchschnittsstärke liegt die Voraussetzung zu Grunde, daß die Mannschaften der Fußtruppen im allgemeinen zu einem zweijährigen activen Dienst bei der Fahne herangezogen werden.
Die Militärverwaltung wird in der Lage sein, Ihnen zu er— örtern, welche Verhältnisse mit dem Ausdrucke „im allgemeinen“ gemeint sind. Vom Nachdienenlassen der Bestraften ist nur in so weit die Rede, als das Militärstrafgesetzbuch das vorschreibt.
In den Motiven zum Gesetzentwurf heißt es weiter:
Hiernach sollen unter gewöhnlichen Verhältnissen sämmtliche Mannschaften der Fußtruppen nach Ablauf einer zweijährigen Dienstzeit zur Disposition beurlaubt und während des dritten Jahres zum Dienst nicht wieder herangezogen werden.
Wir glauben, daß wir hiermit die Sicherheit gegeben haben, die erforderlich war, wenn die Leute, nach zweijähriger Dienstzeit nach Hause zurückkehrend, schon vorher dessen sicher sein können, daß sie nicht länger bei der Fahne behalten werden. Das ist das, worauf es für die Bevölkerung ankommt, das ist das, was gegeben wird, und es ist im Text des Gesetzes ausgesprochen, daß das die Voraussetzung ist, unter der die verbündeten Regierungen Ihnen das Gesetz vor— legen; ich wiederhole aber noch einmal: ohne Compensation ist die zwei⸗ jährige Dienstzeit für die verbündeten Regierungen unannehmbar. Für diejenigen nun, die an der Annahme der zweijährigen Dienstzeit Bedenken haben, die glauben, daß damit ein Bruch mit einer altbe⸗ währten Tradition hervorgerufen werde, möchte ich nicht auf die lange Zeit hinweisen, wo in Preußen bis in die fünfziger Jahre die Infanterie die zweijährige Dienstzeit gehabt hat, sondern ich möchte auf die Konfliktszeit zurückgehen und auf die Ansichten, die damals von kompetenter Stelle geäußert worden sind. Ich beziehe mich zuerst auf eine Rede des Kriegs-Ministers von Roon vom 17. Sep— tember 1862. Da sagt er:
Ich glaube, daß so mancherlei technische Erwägungen in medio sind, daß selbst für diesen Fall sehr gründlich und ernstlich an Compensationen gedacht werden müsse.
Dieser Fall war eben die zweijährige Dienstzeit, wie sie vorher der Kriegsminister von Roon zur Sprache gebracht hatte —
eine Compensation, die unerläßlich sein wird, wenn die Re—
gierung mit Rücksicht auf die öffentliche Stimmung und auf die
Stimmung in diesem Hause selbst zu einem solchen Schritte sich
entschlösse. General von Roon giebt also hier zu, daß die zweijährige Dienst— zeit unter gewissen Compensationen nicht unannehmbar wäre. Er hat dasselbe drei Jahre darauf, am 28. April 1865, wiederholt, indem er sagte: ;
Relativ war und ist die zweijährige Dienstzeit zulässig, es kommt nur auf die Modalitäten an, und diese sind in unserer bis—⸗ herigen Kriegsverwaltung nicht derartig, daß man die Berechtigung der dreijährigen Dienstzeit zum Fenster hinauswirft.
Auch wir beabsichtigen nicht, die dreijährige Dienstzeit zum Fenster hinaus zu werfen. Daß das aber nicht allein die Ansicht des Ministers von Roon gewesen ist, geht aus den Motiven zum Militär- gesetze vom Jahre 1865 hervor, wo es im Schlußsatz heißt, nachdem vorher gesagt ist, man will an der dreijährigen Dienstzeit festhalten:
Die Regierung muß deshalb an dem gesetzlich Bestehenden so⸗ lange festhalten, bis sie durch neue Erfahrungen neue Ueber— zeugungen hinsichtlich einer möglichen Verkürzung der Dienstzeit und derjenigen Bedingungen gewonnen hat, unter denen eine solche
Verkürzung überhaupt ausführbar erscheint.
gehört sieben Jahre lang
Die Regierung ist der Meinung, daß die Bedingungen jetzt ge⸗ funden worden sind, und daß, wenn sie Berücksichtigung finden, die zweijäbrige Dienstzeit ohne allen Schaden angenommen werden kann.
Wir wollen weiter statt der Maximal⸗Ziffer der Etatsstärken, die bisher gegeben worden war, eine Durchschnittsziffer geben. Die Gründe dafür werden ebenfalls von der Militärverwaltung gegeben werden. Ich habe dem nur politisch hinzuzufügen, daß, wenn wir eine Durchschnittsziffer bekommen, die die Militärverwaltung zu variiren die Mittel hat, unsere Organisation auch an solchen Stellen, wo uns in die Karten sehen zu lassen, wir weniger Neigung haben, weniger durchsichtig werden wird. Unsere Nachbarn sind in der
still, ohne daß wir davon etwas bemerken. Bei unserer bisherigen Organisation ist das nicht möglich. Bekommen wir diese Durchschnitts⸗ stärken, so sind wir auch in der Lage, dem momentanen Bedürf— niß an der einen oder anderen Stelle geräuschlos genügen zu können. Wir werden ganz absehen von den Uebungen der Ersatzreserve, ausgenommen solche Leute, die für Verwaltungszweige eingezogen werden sollen; also Uebungen mit der Waffe für die Ersatz— reserve würden unter der Voraussetzung, daß die Vorlage im übrigen angenommen wird, nicht mehr stattfinden.
Wir wollen für das Gesetz ein Quinquennat uns er— bitten. Die Gründe, die gegen die einjährige Bewilligung sprechen, sind allgemein bekannt und will ich Ihre Geduld nicht mit deren Wiederherzählung ermüden. Das nur will ich hinzufügen, daß wir für diesmal einer längeren Frist auch aus rein militärischen Gründen bedürfen, um die Reform durchzuführen. Wir können sie nicht in große, von einander getrennte Perioden theilen, wie das bei der Reform von 1889 geplant ⸗ und im Werke war, weil wir nicht ebenso viel fordern. Wir können, was wir machen, hintereinander durchführen. Indessen wird immer eine Reihe kleiner Maßregeln übrig bleiben, die auf Jahre noch zu erfüllen sein werden.
Ich möchte mich nun noch einmal den Windthorst'schen Resolu— tionen zuwenden, die im Jahre 1890 gefaßt worden sind. Ich bin der Meinung, daß die verbündeten Regierungen diesen Resolu— tionen soweit nachgekommen sind, als es irgend in ihrer Macht lag.
Die erste Resolution war:
Die Erwartung auszusprechen, daß die verbündeten Regie⸗ rungen Abstand nehmen werden von der Verfolgung von Plänen, durch welche die Heranziehung aller wehrfähigen Mannschaften zum activen Dienst durchgeführt werden soll, indem dadurch dem Deutschen Reich unerschwingliche Kosten erwachsen würden.
Wenn man die stenographischen Berichte nachsieht, so liegt der Accent in dieser ersten Resolution nicht auf der ‚Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht“, sondern liegt auf den „unerschwinglichen Kosten“. Eine Resolution gegen die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht würde sicherlich leicht die Zustimmung gefunden haben, da ja die Reichsverfassung schon die allgemeine Wehrpflicht statuirt; sie würde auch nicht von den Parteien, wie es geschehen ist, unterstützt worden sein, die seit langen Jahren die allgemeine Wehr⸗ pflicht auf ihr Panier geschrieben haben. Der Accent dieser Nummer 1 der Windthorst'schen Resolutionen, wie sie von der überwiegenden Mehrheit dieses Hauses angenommen wurde, liegt auf den „un— erschwinglichen Kosten“. Nun glaube ich, daß, wenn wir von 117 Millionen auf 57 Millionen zurückgegangen sind, dann der Ausdruck „Unerschwinglichkeitꝛ nicht mehr zutreffend ist. Man hat die damaligen Forderungen „uferlose Projecte“ genannt. Ich möchte glauben: das, was wir Ihnen jetzt vorlegen, ist ein eingedämmtes Project.
Nr. 2 der Windthorst'schen Resolutionen richtete sich gegen das Septennat. Ich habe mir anzuführen erlaubt, daß wir bis zu einem Quinquennat gehen zu können glauben und gehen wollen. Die Be⸗ deutung des Septennats wird vielleicht für die Herren, die sonst geneigter waren, an der einjährigen Bewilligung festzuhalten, einiger⸗ maßen dadurch verloren haben, daß wir nicht, wie früher, allein die Offiziere, sondern aus militärischen Gründen auch die Unteroffiziere aus der Zahl herausnehmen wollen, die auf eine Reihe von Jahren bewilligt wird. Wenn also einmal im Reichstag bei einer Oppo⸗ sition die Neigung sein sollte, es auf einen Kampf auf Grund der Etatsstärke ankommen zu lassen, so würde sie in dem Theil, der jährlich zu bewilligen ist, immer noch Spielraum genug finden.
Die dritte der Resolutionen des Herrn Windthorst ging dahin, „die Dispositionsurlauber zu vermehren“, die vierte, „womöglich die Einführung der gesetzlichen zweijährigen Dienstzeit für die Fuß⸗ truppen in ernstliche Erwägung zu nehmen“. Diesen beiden Resolu— tionen sind wir, glaube ich, so weit nachgekommen, als überhaupt möglich war.
Die Vorlage ist natürlich unwillkommen. Auch wir haben sie nicht gern gebracht. Aber, meine Herren, der Krieg ist noch un⸗ willkommener, und eine Niederlage wäre das Unwillkommenste. Mein Herr Amtsvorgänger hat im Jahre 1887 hier eine Rede ge⸗ halten, die mit großen packenden Zügen von den Folgen einer Niederlage sprach. Das hat im Augenblick Eindruck in Deutschland gemacht. Ich habe aber das Gefühl, wie wenn dieser Eindruck nicht tief gegangen wäre. Man ließ sich allenfalls eine Gänsehaut über⸗ laufen, aber man drehte sich um und ruhte weiter. Ich wünschte, daß die ganze Nation, jeder Einzelne sich darüber klar. würde, was eine Niederlage für ihn zu bedeuten hätte. Die ältesten von uns werden sich noch der Erzählungen ihrer Mütter aus der Franzosenzeit erinnern, jener Zeit der Demüthigungen und Schädigungen, denen damals keine Familie entging. Wir haben den Krieg, als wir selber Sieger waren, von einer milderen Seite kennen gelernt, und ich glaube wir halten zu sehr an der Vorstellung fest, daß auch ein künftiger Krieg so mild verlaufen würde, wenn wir die Geschlagenen wären. Das wäre ein schwerer Irrthum. Wir würden dann mit Milliarden bezahlen müssen, was wir heute an Millionen auẽgeben. .
Ein Blatt, was der äußersten Linken angehört, gefällt sich darin, fast täglich von dem Moloch des Militarismus zu sprechen, der uns
nachgerade aufzehrt. Ja, wer ist denn der Moloch? Weshalb
Lage, in Naney und in Warschau ihre Etats zu vermehren,
werden denn diese Ausgaben gemacht, weshalb werden Millionen ver—⸗ schlungen? Doch nur, um jeden einzelnen Deutschen in seiner Existenz zu sichern. Jeder, auch der ärmste, kann noch geschröpft werden, und auch der ärmste würde von einem siegreichen Feinde zu Diensten herangezogen werden können, die ihm nicht angenehm sind; ich glaube, daß jeder Deutsche ein Interesse daran hat, eine Niederlage von Deutsch⸗ land fern zu halten. Auch die Herren, die in Bezug „ef das Ver⸗ lassen bisheriger Gewohnheiten und Einrichtungen in der Armee Be⸗ denken haben, möchte ich doch darauf aufmerksam machen, daß, wenn wir eine Niederlage erleiden, dann auch wahrscheinlich von zwei⸗ j⸗ähriger Dienstzeit nicht mehr die Rede sein wird, sondern daß wir dann krümpern müssen, wie unsere Väter vor 1813. Es würden sich die Folgen einer Niederlage auf alle Gebiete unseres Lebens ausdehnen. Unser Handel und Wandel ist national geworden und hat
nationalen Aufschwung genommen. Wöchentlich, fast täglich kommen
Gesuche und Wünsche von Deutschen aus dem Auslande, die hier und da geschützt sein wollen, die Ansprüche machen. Ja, wir müssen uns doch darüber klar sein, daß, wenn wir eine Niederlage im nächsten Kriege erleiden, von dem Schutze unseres überseeischen Handels und unseres Exports, wenn wir dann überhaupt noch in der Lage sein sollten, zu exportiren, gar keine Rede sein würde. Wir müssen auch darüber klar sein, daß wir zu national geworden sind, um auch heutzutage noch, wenn wir eine Niederlage erlitten, von deutscher Kunst, von deutscher Wissenschaft viel erwarten zu können; die Zeiten sind vorüber, wo, während die Kanonen bei Jena und Auerstädt donnerten, deutsche Gelehrte und Dichter zu Hause sitzen konnten und ruhig weiter arbeiten, wie wenn nichts geschehen wäre. Uns würde das Herz brechen, wenn wir das erlebten, und ich behaupte: deutsche Wissenschaft und deutsche Kunst geht ihrem Verfall entgegen, wenn wir geschlagen werden. Das muß fern von uns gehalten werden. Wir müssen uns klar darüber werden, daß wir einen Kampf ums Dasein zu führen haben — einen Kampf ums Dasein, politisch, materiell und culturell. Wir müssen uns klar darüber werden, daß es unsere Pflicht ist, alles zu thun, was wir zu thun im stande sind, diesen Kampf zu bestehen.
Unsere Pflicht zuerst gegen Gott. Jede Nation hat in der Cultur der Welt ihre Stelle einzunehmen. Der Ausfall der Deutschen würde durch keine andere Natibn ersetzt werden können. Staaten haben nicht, wie Menschen, die Pflicht, sich in Nächsten⸗ liebe für Andere zu opfern; ihre nächste Pflicht ist, sich zu er⸗ halten. (Bravo! rechts.) .
Nur wenn ein Staat sich erhält, kann Gottes bleiben. (Bravos rechts.)
Wir haben weiter die Pflicht, Deutschland zu erhalten, im Andenken an die Männer und an die Generation, die Deutschland geschaffen hat (Bravo! rechts), nicht am wenigsten an die vielen Tausende, die für die Schaffung Deutschlands geblutet haben! (Bravo! rechts.)
Soll man dermaleinst sagen können: jene haben ihr Blut für Deutschland gegeben, und diese hier wollen nicht ihr Geld geben? (Sehr gut! rechts, Widerspruch links.)
Bitte, hören Sie mich erst aus! — Wir haben die Pflicht, Deutschland zu erhalten auch für die kommende Generation; wir müssen der kommenden Generation das Werkzeug zurechtstellen, mit dem sie das, was sie ererbt hat, noch einmal wird gewinnen können und gewinnen müssen, um es zu besitzen; wir würden bittere und berechtigte Vorwürfe des kommenden Geschlechts auf uns laden, wenn wir etwas versäumten, was im stande wäre, das Glück zu erhalten, das wir zum ersten Male empfunden und kennen gelernt haben, das Glück: Bürger eines einigen Deutschlands zu sein.
Vereinigen Sie sich, meine Herren, mit den verbündeten Re⸗ gierungen, um die Vorlage ohne Voreingenommenheit zu prüfen, um der Nation das zu geben, dessen sie bedarf, damit sie, wenn sie wieder einmal zu den Waffen gerufen wird, mit demselben ruhigen Vertrauen kommen kann, das das Volk im Jahre 1870 auszeichnete, — mit dem Vertrauen, daß ihm wahrscheinlich ernste Kämpfe nicht werden erspart werden, mit dem Vertrauen aber, das am endlichen Sieg niemals zweifelte, und das in der Heimath wie im Felde in den Gedanken ausklang: „Lieb Vaterland, kannst ruhig sein!“
(Bravo! rechts.) ;
er noch das Werkzeug.
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
7. Sitzung vom 23. November, 11 Uhr.
Der Sitzung wohnen bei der Präsident des Staats⸗ Minifteriums, Minister des Innern Graf zu. Eulenburg und der Finanz-Minister Dr. Miquel nebst Regierungs— Commissarien. . ö
Die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Aufhebung directer Staatssteuern, und der Denk— chrift über die Steuerreform wird fortgesetzt. .
Abg. Dr. Friedberg (ul.): Der vorgelegten Steuerreform liege die Tendenz zu Grunde, in Preußen zu Einem rationellen Steuersystem zu gelangen und dem System der Doppelbesteuerung ein Ende zu machen. In dieser Beziehung stehe er (Redner) voll⸗ ständig auf dem Boden der Staatsregierung. Nehme man einmal diesen Standpunkt ein, so sei auch begreiflich, daß man nicht altB größen Werth lege auf bie Vortheil Einzelner, welche sich aus dieser Steuerreform ergäben. Er halte es für zutreffend, wenn der Abg. Herrfurth auf die besonderen Vortheile hingewiesen habe, welche die selbständigen Gutsbezirke von der Reform haben würden, wenn diese Vortheile auch übertrieben worden seien. Aber er stehe auf demselben Standpunkt wie der. Abg. von Duene und sage: minima non curat praetor. Auf der anderen Seite mache es ihn zu einem partiellen Gegner der Vorlage, wenn sie mur? dadurch erwachsen könne, daß auf Der anderen Seite andere Personen belastet würden. Er glaube nicht, daß der ge n g . gan besonders geeignet sei für die Durchführung . Reform. Anders wäre es, wenn der Staat in Ueberfluß 6. gte, daß er auf die Ertragssteuer verzichten könnte, ohne dt hig zu sein, die Steuerzahler in entsprechender Weise zu belasten. Als Trost werde
in Ker Staatzregierung Hervorgehoben, daß die Reform zur Folge