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macht erhoben haben. Da wurde kein sensationeller Larm erhoben, um zur Gefügigkeit gegen die vorgeschlagenen umfassenden Maß nahmen zu jwingen, während jeder Deutsche fühlen muß, daß kein Verdacht der Leichtherzigkeit dem Kaiserlichen Appell zu Grunde liegt, wenn er die neuen Vorlagen zur Vergröße⸗ rung der Armee und zu weiteren Steuerauflagen empfieblt .... Kaiser Wilhelm II., ist in hervorragender Weise ein Mann des Friedens und ein fast leidenschaftlicher Fürsprecher der industriellen Entwickelung Deutschlands. Wenn er jetzt weitere Rüstungen befür— wortet, so geschieht das, um seinen Hauptgedanken zu unterstützen, und nicht aus dem Wunsche, die Triumphe des Friedens gegen die des Schlachtfeldes zu vertauschen.“
In der St. James Gazette heißt es. Die Thronrede des Kaisers war maßvoll, ruhig, angriffslos und fast leise in ihrem Ton. Der Versuchung, das Volk zu erschrecken und die Lage Europas als gefahrdrohend zu schildern, wurde widerstanden. Der Kaiser hat 3 Unterthanen nicht gesagt, daß sie zittern müßten und sich am Vorabend eines Krieges befänden. Er sagte nur, daß die Entwickelung der Armee und Marine der anderen europäischen Staaten es zu unserer ernsten, gebieterischen Pflicht machen, Gegenmaßregeln zu treffen und die Defensipkraft des Reiches zu, mehren.“ Mit anderen Worten: Frankreich hat be— schlossen, sein Volk bis zum letzten Mann zu bewaffnen, daher muß Deutschland dieselbe Anzahl Soldaten haben. Da die Bevölkerung Deutschlands größer ist, als die Frankreichs, so ist hoffentlich der Wettkampf jetzt zu Ende.“
Die österreichischen und ungarischen Blätter besprechen eingehend die von dem Reichskanzler Grafen Caprivi in der vorgestrigen Sitzung des Reichstags gehaltene Rede.
Das Wiener „Fremdenblatt“ schreibt: Die Rede müsse einen tiefen Eindruck nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa hervorrufen. Sie sei imponirend durch den weiten Gesichtskreis, der sich darin eröffne, wie durch die natürliche Offenheit und durch die patriotische Wärme, welche sie von Anfang bis zu Ende durchdringe und sich stellenweise zu fortreißendem Schwunge erhebe. Die große Rede des Reichskanzlers fahre wie ein Sturmwind in die Bedenken, die gegen den Ausgangspunkt der Militärvorlage seit Wochen . worden seien; es werde für die Gegner der Militär⸗ vorlage eine schwere Aufgabe sein, die durch die Rede ge⸗ schaffene Stimmung wieder zu verwischen. In seiner heutigen Morgennummer hebt das „Fremdenblatt“ die männliche Offenheit und den tiefen Ernst der Rede des Reichs⸗ kanzlers hervor. So spreche ein Staatsmann, der die Verhältnisse genau abschätze, ein Patriot, der über⸗ zeugt sei von der Nothwendigkeit der Steigerung des Heeresaufwandes, und der es als eine Gewissenspflicht empfinde, seine Ueberzeugung zur Geltung zu bringen, weil ö. das Schicksal der Nation mehr am Herzen liege als alles
ndere.
Die Wiener „Presse“ bemerkt: der Reichskanzler habe ohne diplomatische Beschönigung und mit seltener Rückhalt— losigkeit die Situation gekennzeichnet, er habe die Sprache des Patrioten und des redlichen Mannes gesprochen. Die deutschen Parteien würden jetzt nur mehr das „Wie“, nicht das „Was“ zu discutiren haben.
Die „Neue freie Presse“ bezeichnet die Rede des Reichs⸗ kanzlers nach Form, Inhalt und Gesinnung als eine bedeu— tende und bedeutsame und zollt dem Reichskanzler die rückhalt— loseste Anerkennung dafür, daß er nicht zu den sonst üblichen Schreckmitteln gegriffen habe. Durch diese mannhafte Auf— richtigkeit habe Graf Caprivi sich selbst seine Aufgabe erschwert, sich aber auch Dank dafür verdient, daß er nicht schwere Be⸗ unruhigung erweckte.
Die Wiener „Deutsche Zeitung“ lobt die ruhige Darstellung der Verhältnisse ohne alle Schwarzfärberei und ohne Uebertreibung. Wenn die Opposition die Vorlage ungerechtfertigt finde, weil unmittelbare Gefahren nicht drohten, so liege in den Aufschlüssen des Grafen Caprivi über die Vorgeschichte der Vorlage der stärkste Gegenbeweis gegen diese ziemlich leichtfertige Auffassung.
Der „Pester Lloyd“ hebt hervor, die Rede zeige, daß der neue Curs sich auch in Bezug auf die parlamentarische Taktik recht vortheilhaft von dem alten unterscheide. Die Rede mache durch ihre Schlichtheit und Ehrlichkeit wie durch das ungesuchte Pathos, womit sie an das deutsche Nationalgefühl appellire, einen imponirenden Eindruck. Ganz besonders wohlthuend berühre die Versicherung der fried⸗ lichen Absichten des Deutschen Reichs.
Der Bundesrgth genehmigte in der am 24. d. M. unter dem Vorsitz des Vice⸗Präsidenten des Staats⸗Ministeriums, Staatssecretärs des Innern Dr. von Boetticher abgehaltenen Plenarsitzung das Ausscheiden der staatlichen Tiefbaubetriebe des Königreichs Bayern und der Fürstenthümer Schwarzburg— Rudolstadt und Reuß j. L. aus der Tiefbau⸗Berufsgenossen⸗ schaft und ertheilte dem Antrage Preußens wegen Einführung der Arbeiterversicherungsgesetze in Helgoland, sowie dem An⸗ trage des Reichskanzlers, betreffend die Einlagerung verschieden tarifirter Faßweine in Theilungslagern, die Zustimmung. Der Entwurf zum Besoldungs⸗- und Pensions⸗Etakt der Reichs⸗ bankbeamten mit Ausnahme der Mitglieder des Reichsbank— Directoriums für 1893, der Entwurf eines Gesetzes über die Begrün⸗ dung der Revision in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die Vorlagen wegen weiterer Ausprägung von Kronen und Einpfennig⸗ stücken und der Handelsvertrag mit Egypten wurden den zuständigen Ausschüssen zur Vorberathung übergeben. Mit der bereits erfolgten Ueberweisung der e iwie l betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Er⸗ hebung der Brausteuer vom 31. Mai 1872, wegen Ab⸗ änderung des Gesetzes über die Besteuerung des Branntweins sowie wegen Abänderung des Gesetzes über die Erhebung der Reichsstempelabgaben vom 1. Juli 1831/29. Mai 1885 an die Ausschüsse für Zoll⸗ und Steuerwesen, für Handel und Verkehr und für Rechnungswesen erklärte sich die Versammlung ein⸗ verstanden. Endlich wurde über mehrere Eingaben von Vor— ständen genossenschaftlicher Verbände wegen . der Verbandsstatuten und Gewährung des Rechts zur B. stellung des Revisors Beschluß gefaßt.
Vom Beginn des Etatsjahres bis zum Schluß des Monats Oktober haben die Einnahmen der Post- und Telegraphen⸗ Verwaltung 139 378 360 6 (gegen denselben . des Vorjahres 5 853 803 MS), die Einnahmen der Reichs⸗ , , . Verwaltung 35 845 000 S (4 1226000 06) ergeben.
Die Commission für die zweite Lesung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das . Reich setzte in den Sitzungen vom 21. bis 23. November die Berathung der Vorschriften über die Bereicherung G8 737 bis 748) fort. Zur Erörterun gelangte zunächst die in der letzten Sitzung nicht zum Abschlu gelangte Frage, in welcher Art das an die Spitze des Titels zu stellende allgemeine, die Condictionen beherrschende Princip zum Ausdruck gebracht werden solle. Nach längerer Discussion entschied sich die Mehrheit dahin, dem in der letzten Sitzung beschlossenen Satze, daß, wenn jemand durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt hat, er dem anderen zur Herausgabe des Erlangten verpflichtet ist, die weitere Vorschrift hinzuzufügen, daß ohne rechtlichen Grund insbesondere auch dann etwas erlangt ist, wenn der durch die Leistung bezweckte Erfolg nicht erreicht oder der Rechtsgrund, auf welchem die Leistung beruht, später weggefallen ist. Durch diese Bestimmungen sollen die Vor⸗ schriften des 8 748 Abs. 1, 2 (condictio sine causa), sowie die Vorschriften des S 742 (condictio ob causam datorum) und des § 745 Abs. 1 (condictio ob causam sinitam) ersetzt werden. Anlangend insbesondere den § 742, war man der Ansicht, daß es zu weit gehe und mit der Sicherheit des Verkehrs nicht vereinbar sei, wenn mit dem Entwurf die Rückforderung nicht nur in dem Fall zulässig sein solle, in welchem der durch die Leistung be⸗ zweckte Erfolg nicht erreicht, sondern in allen Fällen, in denen eine bei der Leistung ausdrücklich oder stillschweigend erklärte beliebige Vorauss 25 nicht eingetreten sei. Eine solche Voraussetzung könne nur dann in Betracht kommen, wenn sie sich nach dem Inhalt des Vertrags als ein Bestandtheil des Geschäftsabschlusses darstelle, und sei es der Beurtheilung des einzelnen Falls zu überlassen, welche recht— lichen Folgen nach der Absicht der Parteien an den Nichte ritt der Voraussetzungen geknüpft werden sollten, ob insbesondere in diesem Falle der Vertrag unwirk⸗ sam oder ein Rücktrittsrecht oder nur ein Rückforderungsrecht aus dem Geschäftspunkte der Condictionen begründet sein solle. An Stelle der besonderen von der Leistung einer Nicht⸗ schuld handelnden Vorschriften des S 737 wurde die Vor— schrift aufgenommen, daß eine Leistung, die zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit erfolgt ist, in gleicher Weise, wie wenn die Verbindlichkeit nicht bestanden hat, auch dann zurückgefordert werden kann, wenn dem Anspruch auf die Leistung eine die Geltendmachung desselben dauernd aus⸗ schließende Einrede entgegenstand, daß aber die Rück— forderung ausgeschlossen ist, wenn der Leistende das Nichtbestehen der Verbindlichkeit gewußt hat oder — wie abweichend von dem Entwurf zugefügt wurde — die Leistung einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprach. In Ueber— einstimmung mit dem Entwurf (85 738) soll ferner die Rück— forderung nicht stattfinden, wenn eine betagte Verbindlichkeit vor deren Fälligkeit erfüllt ist; auch sollen in diesem Fall Zwischenzinsen nicht verlangt werden können. Von verschiedenen Seiten war im Anschluß an die Vorschriften des 8 737 be⸗ antragt, an dieser Stelle als Ersatz für den früher ausgesetzten Ss. 681 besondere Vorschriften uber die Rückforderung eines Schuldversprechens oder eines Schuld⸗ anerkenntnisses zu geben. Die Mehrheit hielt jedoch die Aufnahme solcher Vorschriften für entbehr— lich; man war der Ansicht, daß für Fälle diefer Art die allgemeinen Grundsätze über die Rückforderung einer ohne rechtlichen Grund erfolgten Leistung ausreichten ünd ein Hinweis auf diese Grundsaͤtze genüge. Dagegen wurde in sachlicher Uebereinstimmung mit dem Entwurfe . 743 Nr. 2, 3) die Bestimmung aufgenommen, daß die Rückforderung einer zum Zwecke der Erreichung eines bestimmten Erfolges (ob rem) erfolgten Leistung ausgeschlossen ist, wenn der bezweckte Erfolg unmöglich und dies dem Leistenden bei der Leistung bekannt war oder wenn der Leistende die Erreichung des bezweckten Erfolges wider Treu und Glauben verhindert hat. Die Vorschriften des S 747 Abs. 1, 3 und des s 684 Abs. 3 über die Rückforderung wegen verwerf— lichen Empfanges sollen durch die Vorschriften ersetzt werden, daß, wenn die Zweckbestimmung bei einer Leistung gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten ver— stößt, die Rückforderung nur dann stattfindet, wenn dem Empfänger der Leistung ein solcher Verstoß zur Last fällt, daß sie aber ausgeschlossen ist, wenn dem Leistenben gleichfalls ein solcher Verstoß zur Last fällt, sofern nicht die Leistung in der Begründung (ines Schuldverhältnisses bestanden hat. Im Interesse der Deutlichkeit des Gesetzes wurde der Satz hinzu— gefügt, daß das zum Zwecke der Erfüllung einer in diefer Weise begründeten Verbindlichkeit Geleistete nicht zurück⸗ it, werden kann. Die Berathung wandte sich odann den den Inhalt des Rückforderungsanspruchs näher regelnden Vorschriften (35 739 bis 41, § 744, S 745 Abs. 2, 8 747 Abs. 2, S 748 AÄbs. 3) zu. Man war einver— standen, daß diese Vorschriften nicht mit dem Entwurfe zu— nächst nur auf den Fall der , einer Nichtschuld zu be— schränken und sodann auf die anderen Son b*n r fa! für entsprechend anwendbar zu erklären, sondern in einer alle Condictionsfälle umfassenden, allgemeinen Fassung zu geben seien. Gegen den sachlichen Inhalt des § 739 ö 1, nach welchem der Empfänger zur Herausgabe des ohne recht— lichen Grund Erlangten, für den Fall aber, daß dieses wegen seiner Beschaffenheit nicht herausgegeben werden kann oder der Empfänger nin eines vor dem Eintritt der Rechtshängigkeit des Rückforderungsanspruchs eingetretenen Umstandes außer Stand gesetzt ist, es herauszugeben, zur Vergütung des Werthes verpflichtet ist, er⸗ hob sich kein Widerspruch. Dagegen wurde die Vorschrift des s 739 Abs. 2. daß die Verbindlichkeit des Empfängers zur Herausgabe oder Werthvergütung ausgeschlossen sein i so⸗ weit er bei dem Eintritt der Rechtshängigkeit durch das Er— langte nicht mehr bereichert ist, von verschiedenen Seiten lebhaft bekämpft und statt derselben die Bestimmung vor—⸗ geschlagen, daß die Verpflichtung zur Werthvergütung nur ausgeschlossen sein solle, soweit der Empfänger das Erlangte in solcher Weise verloren habe, daß dessen Werth seinem Ver⸗ mögen nicht zu gute gekommen sei. Ein Antrag gin dahin, diese strengere Haftpflicht des Empfängers noch durch den Zusatz zu verschaͤrfen, daß der Empfänger von der Verpflichtung zur Werthvergütung nicht dadurch befreit werde, daß er das Erlangte unentgeltlich veräußert oder belastet habe. Nach eingehender Erörterung trat die Mehrheit dem Stand—⸗ punkte des Entwurfs bei, da dieser den Rücksichten der Billig⸗ keit in weiterem Umfange Rechnung trage. Der 8 740
Abs. 1, welcher den Grundsatz aufstellt, daß die Verbindlichkeit des Empfängers zur Herausgabe des Erlangten oder zur Werth⸗ vergütung sich auch auf dassenige erstreckt, was der Empfänger aus dem Erlangten erworben hat, wurde sachlich nach dem Ent⸗ wurfe, jedoch in einer anderen Fassung angenommen, die das Mißverständniß ausschließt, daß die e nf auch den rechtsge⸗ schäftlichen Erwerb umfasse. Dagegen wurde die im Abf' 2 bezüglich der Nutzungen bestimmte Ausnahme von dem im Abs. L aufgestellten Grundsatze und der damit in Verbindung stehende zweite Halbsatz des Abs. 3 gestrichen. Infolge dieser Streichung beschloß man, auch den auf die Vergütung der Verwendungen sich beziehenden ersten Halbsatz des Abs. 3 zu streichen, da dieser aus dem Princip des 8 739 Abs. 2, daß der Empfänger nur die Bereicherung herauszugeben habe, sich von selbst ergebe. Die Vorschriften des 8 741, welche den Inhalt des Rückforderungsanspruchs regeln, wenn der Empfänger in dem Zeitpunkte, wo ihm das ohne rechtlichen Grund Erlangte zugekommen ist, das Fehlen eines rechtlichen Grundes gewußt oder wenn er es später erfahren hat, fanden sachlich im wesentlichen Zustim—⸗ mung, ebenso die Vorschrift des 5 747 Abs. 2, nach welcher die im 5 741 Abs. 2 bestimmte strengere Haftpflicht den Empfänger, der durch die Annahme einer Leistung gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstoßen haf, schon von dem Zeitpunkt des Empfangs der Leistung an treffen soll. Abweichend von dem Entwurf wurde diese strengere Haftpflicht aber auch auf solche Fälle ausgedehnt, in denen die Leistung zu einem vorübergehenden Zweck oder zum Zweck der Er— ö eines ungewissen Erfolges bewirkt ist. Eine Ergänzung erfuhr der Entwurf durch die im § 684 Abs. 1, 2 nur für die, dort bezeichneten besonderen Fälle gegebene allge— meine Vorschrift, daß, wenn jemand durch eine des rechtlichen Grundes ermangelnde Leistung ein Forderungsrecht erlangt hat, er berechtigt sein soll, die Erfüllung seiner Verbindlichkeit auch nach der Vollendung der Verjährung des Anspruchs auf Wiederaufhebung der Forderung zu verweigern. Eine ent— sprechende Vorschrift soll auch in den Abschnitt über Schuld⸗ verhältnisse aus unerlaubten Handlungen aufgenommen werden.
Dem Kaiserlichen Gesundheits-Amt vom 24. bis
25. November Mittags gemeldete Cholera⸗Erkrankungen: Regierungsbezirk Marienwerder: Aus Kiewo,
Kreis Kulm, ist eine neue Erkrankung an Cholera gemeldet.
Der Finanz⸗Minister hat mittels Rundschreibens vom 18. November d. J. die Provinzial⸗Steuer⸗Directoren davon in Kenntniß gesetzt, daß der ö in seiner Sitzung vom 27. Oktober beschlossen hat, dem 5 17 Absatz?2 des Regulativs, betreffend die Steuervergütung des Branntweins zu gewerblichen u. s. w. Zwecken, an Stelle der bisherigen die folgende Fassung zu geben: Das Hauptamt führt über die ertheilten besonderen Bewilligungen (5 5 ein Notizbuch und stellt vierteljährlich oder, sofern ein Bedürfniß hierzu vor— liegt, monatlich eine Liguidation über die zu zahlende Steuer— vergütung nach der Anlage RS auf.“ Die Provinzial⸗Steuer⸗ Directoren haben hiernach das Erforderliche anzuordnen und darauf zu achten, daß für die aufzustellenden Liquidationen auch fernerhin das durch Verfügung des Ministers vom . 3 1888 vorgeschriebene Formular zu verwenden ist.
Mittels weiteren Rundschreibens von demselben Datum macht der Finanz⸗Minister Mittheilung von dem ebenfalls am 27. v. M. gefaßten Bundesrathsbeschluß, wonach die Mindest⸗ menge, für welche bei der Ausfuhr alkoholhaltiger Essenzen in Gemäßheit des Bundesrathsbeschlusses vom 12. Juli 1888 Steuervergütung gewährt werden kann, auf zehn Liter herabgesetzt worden ist.
Der Bevollmächtig te zum Bundesrath, Fürstlich reußische Staats-Minister Dr. Vollert ist von hier abgereist.
Das Kreuzer-Geschwader, bestehend aus S. M. Schiffen „Leipzig“, mit dem Geschwader-Chef Contre— Admiral von Pawelsz an Bord, und „Alexandrine“, ist am 24. November in Singapore angekommen.
Altona, 23. November. In der Sache der Anarchisten fanden in den letzten Tagen seitens der Polizei wieder Ver— nehmungen verschiedener Personen statt. Die Verhaftungen haben bereits größere Dimensionen angenommen, als es an— fänglich den Anschein hatte.
Mecklenburg.
Der Gesundheitszustand Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin ist, wie den „Meckl. Nachr.“ aus Cannes gemeldet wird, dauernd ein zufriedenstellender.
Ihre Königlichen Hoheiten der Erbgroßherzog und die Erbgroßherzogin von Mecklenburg⸗Strelitz haben sich zu eiwa vierzehntägigem Aufenthalt nach Dessau egeben.
Dem Landtag ist eine Vorlage wegen Bewilligung von Landeshilfen zum Bau von Tertiär⸗ (Klein) Bahnen zu⸗ gegangen. Die Landeshilfe soll pro Kilometer a. bei einer Spurweite unter 75 em den Betrag von 3000 66, b. bei einer Spurweite von 75 em und darüber den Betrag von 6090 S nicht übersteigen. Unter i n welche eine außerordentliche Berücksichtigung verdienen, soll die Landes⸗ hilfe ad a-bis zu 4000 S6, ad b bis zu 9000 Ss pro Kilo—⸗ meter erhöht werden. Ferner ist dem Landtag der Entwurf einer Gesindeordnung für das platte Land zugegangen.
Reuß j. L.
Dem Landtage ist der „Magd. Ztg.“ zufolge ein Gesetzentwurf über die Besoldung der Vt schi jeh rer zugegangen. Diese soll vom 1. April 18935 ab außer freier Wohnung oder einem entsprechenden Wohnungsgelde 10090 6 betragen. In diese Mindestbesoldung sind die Bezüge aus einem mit einer Schulstelle verbundenen Kirchen— dienst nicht einzurechnen. Jeder Volksschullehrer erhält
ferner aus der Staatskasse bei pflichttreuer Führung und be— friedigender Leistung an Alterszulagen 150 46 nach 5, 300 nach 109, 450 S nach 15, 600 MS nach 20 und 750 M nach 25 jähriger Dienstzeit. Die Lehrer, denen die Leitung von Volks⸗ schulen mit 2 vier Lehrern und vier Klassen übertragen ist, erhalten außer dem gesetzlichen Mindesteinkommen und den Alterszulagen als pensionsberechtigte Besoldung aus Gemeinde⸗ mitteln: 4590 M in Schleiz, Lobenstein und Hirschberg und 250 S6 in den übrigen Orten. Soweit sich Volksschullehrer bisher im Genusse eines höheren Diensteinkommens befunden haben, soll ihnen dieses auf Grund des bisherigen Gesetzes nicht verkürzt, aber bei Gewährung der Alterszulagen mit in Anrechnung gebracht werden. Auf die Stadt Gera findet das gegenwärtige Gesetz keine Anwendung.
Oesterreich⸗ Ungarn.
Im Budgeta usschuß des österreichischen Abgeord— netenhauses erklärte der Minister⸗Präsident Graf Taaffe hinsichtlich des Vorgehens des Reichenberger Regierungs— commissars, es sei vollkommen correct, wenn von dem Com⸗ missar in dem ihm übertragenen Wirkungskreise böhmische Eingaben böhmisch erledigt würden.
Großbritannien und Irland.
Wie es heißt, soll die Regierung die Absicht haben, vor der Homerule⸗Bill noch einige andere Vorlagen im Parlament einzubringen, durch die zunächst eine Ver— waltungsreform in Irland eingeführt werden würde.
Dem „Liverpool Courier“ zufolge hat das Ministerium dem Schatzkanzler Sir William Harcourt zu verstehen gegeben, daß er in seinem nächsten Budget eine Summe zur Wiedereinsetzung der ihrer Stellen verlustig gegangenen irischen Pächter einzustellen haben werde. Wahrscheinlich würden etwa 75 000 Pfd. Sterl. dazu erforderlich sein. Mit diesem Betrag sollen auch die gegenwärtigen Inhaber der Stellen entschädigt werden.
Frankreich.
Der Senat hat, wie „W. T. B.“ berichtet, gestern gleich⸗ falls einstimmig beschlossen, dem Expeditions⸗Corps in 6 seine Glückwünsche darzubringen.
In der Deputirtenkammer theilte gestern der Marine⸗-Minister die Nachricht von der Einnahme Abo mey's mit und bezeichnete sie als einen entscheidenden Schlag, der das grausame Königreich öffne, das auf der Sklaverei; und auf Menschenopfern begründet sei. (Leb— hafter Beifall) Der Minister legte sodann einen Gesetz— entwurf vor wegen Ausprägung einer Erinnerungs-Medaille an die Expedition nach Dahomey. Die Vorlage wurde ein⸗ stimmig angenommen. Die Kammer begann hierauf die Be— rathung des Gesetzentwurfs über die Getränkesteuer.
Nach einer weiteren Meldung aus Portonovo soll man daselbst der Ansicht sein, daß der König von Dahomey mit einer geringen Mannschaft in bisher unerforschte Gegenden geflohen sei und versuchen werde, sich auf das Gebiet einer europäischen Colonie zu flüchten. Die Einnahme von Abomey werde als das Ende der Feindseligkeiten angesehen. kö
In dem gestern abgehaltenen Mininisterrath bestätigte der Minister des Auswärtigen Ribot, daß der nachgesuchte Aufschub zur Ausführung der Arbeiten am Pa⸗— namakanal dem Columbischen Parlament unterbreitet worden sei. ;
Die Panama⸗Commission hat gestern Brisson zum Präsidenten gewählt; man glaubt, daß die Commission ihre Arbeiten in Wirklichkeit nicht beginnen werde, bevor die Kammer die Frage über den Umfang der Vollmachten der Com—⸗ mission berathen habe. Déroulede hat seine Entlassung als Mitglied der Panama⸗-Commission genommen; ein Nachfolger soll am Montag ernannt werden. Der Deputirte Proust hat an den Präsidenten der Commission ein Schreiben gerichtet, worin er die Anschuldigung des Journals „Libre Parole“, daß er in der Panama⸗Angelegenheit 590 000 Fr. erhalten habe, als eine Verleumdung zurückweist und um die sofortige Einleitung einer Untersuchung bittet.
Heute sollen die Verhandlungen gegen die Gründer des Panamakanals vor dem Appellationsgerichts—
hoße beginnen. Da es aber feststeht, daß der körperliche und geistige Zustand des Grafen Ferdinand de Lesseps ein derartiger ist, daß an sein Erscheinen vor Gericht nicht gedacht werden kann, so dürfte, wie der Nationaäl-Zeitung“ geschrieben wird, aller Wahrscheinlich— keit nach der Präsident des Gerichtshofs die Ver— handlung gegen ihn von der gegen die übrigen An— geklagten trennen. Es werde aber sodann die Frage erörtert werden müssen, ob unter solchen Umständen Charles de Lesseps, Fontane, Cottu und Eiffel, die kein persönliches Anrecht auf den besonderen Gerichtsstand hätten, nicht einfach der Competenz des Zuchtpolizeigerichts unterlägen. Es sei daher möglich, daß sich in Anbetracht der Abwesenhesit des Grafen ,, de Lesseps, Großkreuzes der Ehrenlegion, der Gerichtshof zur Aburtheilung der anderen Angeklagten für incompetent erklären werde.
Dem Marine-Minister Burdeau ist ein Telegramm zu⸗ gegangen, wonach der Commandant des Schiffes „Labour— donngye“ die französische Flagge auf den Inseln St. Paul . sterd am zwischen Madagaskar und Australien gehißt habe.
Der Oberst Liechtenstein, ehemaliger Offizier des Militärstaates des Präsidenten der Republik, ist gestorben.
Rußland und Polen.
Aus Anlaß der Nachricht, daß der bisherige deutsche Botschafter von Schweinitz im Begriff stehe, St. Petersburg zu verlassen, und daß man als seinen Nachfolger den General von Werder bezeichnet habe, spricht sich das „Journal de St. Péters⸗ bourg“ äußerst anerkennend über den scheidenden Bot⸗ schafter aus. Hinsichtlich des Generals von Werder hebt das Journal de St. Pétersbourg“ hervor, daß der General lange Jahre in St. Petersburg zugebracht und das beste Andenken in officiellen wie in gesellschaftlichen Kreisen zurückgelassen habe. „Die herzlichsten Willkommensgrüße“, so hlt der Artikel, mit denen man den General von Werder bei
uns . wird, werden ebenso aufrichtig und
einstimmig sein, wie das Bedauern, mit welchem den General von Schweinitz scheiden sieht.“ „St. Petersburger Börsen⸗gtge⸗ be⸗ daß der General von Werder beim St. Peters⸗ burger Hofe stets persona gratissima gewesen und daß er
dies auch geblieben sei. General von Werder sei daher, wie selten Jemand, geeignet, zwischen Rußland und Deutschland freundliche Beziehungen zu erhalten und dadurch zur Wahrung des Friedens beizutragen, was ihm den Dank der beiderseitigen Völker sichern würde. . .
Der Ertrag der im nächsten Jahre einzuführenden Militär⸗ steuer für die vom activen Heeresdienst Befreiten wird, dem „H. T. B.“ zufolge, auf zwei bis drei Millionen angegeben.
; Italien.
Die Deputirtenkammer nahm gestern die Wahl des Präsidiums vor. Zum Präsidenten wurde, wie „W. T. B.“ berichtet, Zanardelli gewählt. Die Mitglieder der Opposition hatten unbeschriebene Stimmzettel abgegeben. Vom Centrum und der Linken wurde die Wahl sehr beifällig aufgenommen. Hi Vice⸗Präsidenten wurden die ministexiellen Candidaten Villa, Baccelli und Mussi gewählt. Für die Stelle des vierten Vice⸗Präsidenten ist eine engere Wahl zwischen den der Opposition angehörenden Candidaten Gaetani und Cappelli erforderlich. . .
Der Marine-Minister Saint Bon ist an einer Lungen⸗ entzündung bedenklich erkrankt.
Spanien
Der König, der nunmehr wieder vollständig genesen ist, hat gestern eine Spazierfahrt unternommen.
Die in Nr. A8 d. „R. u. St-A.“ auf Grund in Paris eingetroffener Depeschen gebrachte Nachricht von einer Explosion von Fulminaten bei Gelegenheit des Besuchs der Königin⸗ Regentin in der historischen Ausstellung war vielfach als ein Attentat bezeichnet worden. Diese Auffassung entbehrt, wie dem „W. T. B.“ von dem spanischen Konsul in Berlin mit— getheilt wird, jeder Begründung.
In dem gestern abgehaltenen Ministerrath theilte der Minister⸗Präsident Can ovas dem „W. T. B.“ zufolge mit, daß er einen Entwurf wegen , einer zr. zur Bezahlung der schwebenden Schuld einbringen werde. Der Ministerrath beschloß, 70 000 Gewehre und 50090 Karabiner nach dem System Mauser in spanischen Fabriken herstellen zu lassen. ö Der Minister des Auswärtigen Herzog von Tetuan ist leicht erkrankt.
Griechenland.
Die Kammer hat gestern den Candidaten der Regierung Bondouri mit 117 gegen 11 Stimmen, die auf Ralli ent— fielen, zum Präsidenten gewählt. Die Anhänger von Delyannis enthielten sich der Abstimmung.
Parlamentarische Nachrichten.
Preußischer Landtag. Haus der Abgesrdneten. 9. Sitzung vom 25. November, 11 Uhr.
Der Sitzung wohnen bei der Präsident des Staats— Ministeriums, Minister des Innern Graf zu Eulenburg und der Finanz-Minister Dr. Miguel mit Commissarien.
Auf der Tagesordnung steht die erste Berathung des Communalabgabengesetzes.
Abg. Hobrecht (nl. ): Wenn Staat und Gemeinde ihre Steuer⸗ gebiete gegeneinander abgrenzten, so würden dadurch die Lasten an sich nicht vermindert, aber es werde für beide Theile die Möglichkeit ge⸗ schaffen werden, die Steuern nach ihren Verhältnissen einzurichten und in gerechter Weise zu veranlagen. Dadurch werde auch die Verschiebung der Steuerlast, welche durch die Einkommensteuer eingetreten sei, etwas ausgeglichen. Dabei müsse den Ge⸗ meinden jedoch eine gewisse Bewegungsfreiheit gelassen werden, und es wolle ihm (Redner) scheinen, als wenn dieses Ziel in der Vorlage nicht erreicht sei. Die Grund⸗ und Gebäude⸗ steuer sei den Gemeinden zur Verfügung gestellt, aber er glaube nicht, daß diese Steuern so bestehen bleiben könnten, wie sie bestehen, wenn überhaupt der beabsichtigte Zweck erreicht werden solle. Die Städte hätten allerdings das Recht, diese Steuern umzuformen, aber es würde wohl nicht angemessen sein, auf diesem Gebiete dem Erfindungs⸗ geist zu viel Spielraum zu lassen; besser wäre es, bestimmte Normen im Gesetz aufzustellen. Bei der Gewerbesteuer würde er dagegen jede Aenderung der staatlich veranlagten Steuer verbieten. Ein weiteres Bedenken sei darin zu finden, daß die Gemeinden das Recht behalten sollten, nachdem schon der Realbesitz vorbelastet sei, noch eine weitere Vorbelastung einzuführen für gewisse Anlagen. Allerdings kämen viele Gemeindeeinrichtungen den Grund- und Haus— hesitzern zu gute; die Werthe der Grundstücke und Gebäude würden gesteigert, aber nicht in allen Fällen. Man könne z. B. in Berlin sehen, daß die Grundstückspreise im Osten sich nicht in dem Maße steigerten wie im Westen, trotzdem dort beinahe mehr für Straßen—⸗ anlagen u. s. w. gethan werde als im Westen. Die Klagen über die Prägravation des Grundbesitzes seien durchaus berechtigt, und zwar werde er belastet nicht bloß durch Ausgaben, die ihm wieder zu gute kämen, sondern noch vielmehr durch die Armen⸗ und Schullasten, die in armen wie in reichen Gemeinden aufgebracht werden müßten. Aber eine Entlastung könne schließlich in den Grenzen der Steuer⸗ reform nicht geschaffen werden; es sei nur möglich, die Steuerlast
erechter zu vertheilen. Wenn der Staat für die Erreichung dieses ieles seine Realsteuern opfere, so müsse er dafür vollen Ersatz be⸗ kommen. Deshalb sei die Ergänzungssteuer, möge sie nun in dieser oder in jener Form geschaffen werden, dringend nothwendig.
Abg. Seer (nl. verlangt, daß die Kreiseingesessenen nach gleichem Maße herangezogen werden 89
Präsident des Staats-Ministeriums Graf zu Eulenburg: Dieser Grundsatz stehe im Gesetz; was der Vorredner vielleicht meine, beruhe auf privatrechtlichen Abmachungen der Domãanenpãchter mit dem Fiscus oder der Privatpächter mit ihrem Verpächter; daran könne man durch Gesetz nichts ändern. Er (der Minister) sei erfreut, daß der Abg. Hobrecht die Nothwendigkeit der Ergänzungssteuer an— erkannt habe. Die Reform der Steuergesetzgebung könne nur eine bessere und gerechtere Vertheilung der Lasten er eren keine Erleich⸗ terung der Steuer. Er hoffe, die Mehrheit des Hauses werde anerkennen, daß die Vorlage in dieser Beziehung alles, was möglich sei, erreiche. Die Bemängelung des Herrn Hobrecht bezüglich der Vorbelastung der Grundbesitzer sei nicht begründet; denn diese Vorbelastung solle, soweit nicht Gebühren erhoben werden, nur dann erfolgen, wenn die Grund⸗ besitzer wirklich eiten besonderen Vortheil davon haben. Es gebe doch nur zwei Wege, um die Gemeindefinanzen zu ordnen; entweder man müßte den Gemeinden jede Einzelheit vorschreiben, dann würde jede freie Bewegung fortfallen; oder man müßte allgemeine Grundsätze aufstellen, deren Anwendung den Gemeinden überlassen bleibe, wobei die Sicherheit gegen falsche Anwendung in dem Aufsichtsrecht des Staats liege. Es werde allerdings gefagt: der Entwurf enthalte so viele Vor⸗ schriften über die . wo das der Fall sei, sei die EGe⸗ nehmigung nur vorgeschrieben, wie in den bestehenden Gesetzen. Neu sei nur die zweite Hälfte des 3 62, welche der Abg. Herrfurth ange—
in, Kraft sei, könnte der Fall eintreten — er hoffe, es werde sehr selten sein — daß man ein Steuersystem vorfinde, welches
führt habe. Und worum handele es sich dabei? Wenn das Gefetz
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überhaupt entspreche. Solle da die Verwaltungsbehörde die Hände in den Schoß legen? Müsse da nicht ein Eingreifen der Regierung gestattet sein, zumal dieselbe unter der Rechtscontrole des Qber-⸗Ver⸗ waltungsgerichts stehe? Bisher habe die Regierung allen Beschwerden von Gemeindemitgliedern über solche schlechten Steuerverfassungen mit verschränkten Armen gegenüberstehen müssen und habe den Klagenden nur anheimgeben können, für eine andere Gemeindevertretung zu
sorgen.
Abg. Fritz en⸗Borken (Centr.): Er sei zwar gegen die Vorlage
zum Wort gemeldet, aber er wolle doch gleich betonen, daß er im gehn und ganzen mit ihr einverstanden sei. Namentlich freue er ö
ch, daß indirecte Steuern wieder zugelassen seien. In Düsseldorf
habe eine Biersteuer 150 000 Mn. mit Leichtigkeit aufgebracht,
ohne daß das Bier schlechter oder theurer geworden wäre. Unbedingt zwingende Vorschriften könnten in dem Gesetz nicht gegeben werden, denn die Verhältyisse der Gemeinden seien zu *egchiedenartig. Daß dabei ein Correctiv vorhanden sein müsse in Jer Staats⸗ aufsicht, sei selbstverständlich. Ein Vorzug des Gesetzes sei die Möglichkeit, Präcipualbeiträge zu erheben von denjenigen, welche von gewissen Gemeindeanlagen besonderen Vortheil haben. Er (Redner) wünschte, daß von diesem Recht ein ausgedehnter Gebrauch gemacht würde. Der Schwerpunkt des Gesetzes liege in 8 45, der einen Wider⸗ spruch enthalte, weil danach die Gemeinden Realsteuern allein bis zu 1500 o erheben könnten; sobald sie aber Einkommensteuerzuschläge erheben, dürften sie nur den 19 fachen Betrag derselben an Grundsteuer einziehen. Wenn eine Gemeinde 150 ½ Realsteuern erbebe und nur 10 Oo Einkommensteuern erheben wolle, so dürfe sie nur 15 0ꝭ Grund⸗ und Gebäudesteuer einziehen. Eine wichtige Frage sei die Regelung des Gemeindewahlrechts, die durchaus nothwendig sei; damit hänge auch das Wahlrecht zusammen. Für den Reichstag habe man das allgemeine directe Wahlrecht; ob sich dieses aber für die Wahlen zum Abgeordnetenhause empfehle, lasse er dahingestellt; er habe jedoch erhebliche Zweifel dagegen. Auch seine Partei sei dafür, daß dem Grund⸗ besitze sein Einfluß im Staatsleben bewahrt werde. Die Steuerreform werde dazu führen, daß das Wahlrecht auf einen ganz anderen Boden gestellt werde. Wenn das Abgeordnetenhaus seine Stellung der Regierung gegenüber bewahren solle, dann müsse sein Wahlrecht auf eine breitere Basis gestellt werden, dann dürften nicht zwei oder drei Personen die Wahlmänner der ganzen ersten Klasse ernennen; es müßten die Männer, welche weiter nichts besitzen als ihre Faust, um den vaterländischen Boden zu vertheidigen, das Gefühl haben, daß sie hier auch ausreichend vertreten seien.
Im weiteren Verlauf der Berathung nehmen bis Schluß des Blattes noch das Wort die Abgg. von Tzschoppe Gfrei— cons.), Knebel (nat⸗lib), Vopelius (frei⸗cons. und Meyer⸗ Berlin (dfr., über deren Reden wir morgen berichten werden.
. Reichstage sind folgende Anträge aus dem Hause eingebracht worden: .
von den Abgg. Ackermann und Genossen ein Antrag auf Ein— führung des Befähigungsnachweises - für das Handwerk, ferner über Abzahlungsgeschäfte, Hausirhandel und Vorxechte der Innungen;
von den Abgg. Dr. Barth und Rickert ein Antrag auf Aenderung des Wahlgesetzes;
von den Abgg. Munckel u. Gen. Anträge wegen Abänderung der für das Vorverfahren und für das Verfahren erster Instanz geltenden Bestimmungen der Strasprozeßordnung, ferner betreffend die Entschädigungspflicht des. Staats für Entziehung oder Beschräukung der persönlichen Freiheit sowie für unrechtmäßig voll⸗ ö . und wegen der im Strafverfahren zulässigen Rechts⸗ mittel;
von dem Abg. Reichensperger ein Antrag wegen Errichtung von Strafberufungskam mern bei den Landgerichten.
Kunft und Wissenschaft.
Ihre Majestät die Kaiserin Friedrich beehrte gestern in Begleitung Ihrer Königlichen Hoheiten der Prinzessinnen Victoria und Margarethe, sowie der Prinzen zu Schaumburg-⸗Lippe und Friedrich Carl von Hessen die Ausstellung der DOriginal⸗ Aquarellen Karlsruher Künstler in den Räumen der Kunsthandlung von Amsler u. Ruthardt mit Ihrem Besuch.
— Im Verein für deutsches Kunstgewerbe hatte am Mittwoch Abend der bekannte Radirer Herr Bernhard Mann feld eine lehrreiche Auswahl seiner neueren Radirungen aus— gestellt, an denen sich die technischen und künstlerischen Eigenschaften seiner stimmungsvollen Landschafts- und Architekturdarstellungen vor⸗ trefflich aussprachen. Neben den großen Einzelblättern fesselten be⸗ sonders die im Staatsauftrage hergestellten Radirungen nach Werken von Carl Gräb, welche demnächst in einem Bande vereint erscheinen werden. Der Künstler knüpfte hieran einen anregenden Vortrag über Kunst und Technik der Radirung“, führte aus, welche Vorzüge die Originalradirung als selbständige Kunst besitze, besprach die Art und Weise der Entstehung eines künstlerischen Motivs und gab schließlich eine anschauliche Erläuterung der Technik der Radirung und des Druckverfahrens. Vorher esprach Herr Professor E. Doepler d. J. die ausgestellten Arbeiten der November⸗ Concurrenz um ein Titelbild zu einem Handbuch der Landwirth⸗ schaft, ausgeschrieben von Herrn Paul Parey. Es haben erhalten: den 1. Preis Maler Albert Klingner, den 2. Preis Maler Otto Gussmann, den 3. Preis Maler Willie Ballies; lobende Erwäh⸗ nungen: Maler Richard Guhr, Maler E. Härring und Maler Richard Böhland.
— In der am 19. und 20. November d. J. zu Berlin ab⸗ gehaltenen Sitzung des Gesammtvorstands der Comenius— Gesellschaft ist beschlossen worden, den nächstjährigen Congreß im Oktober 1893 in Lissa abzuhalten. Die Sitzung war stark besucht und außer dem größeren Theil der in Berlin wohnenden Vorstands⸗ mitglieder nahmen Herren aus Pommern, Sachsen, Schlesien, West⸗ falen, Holland und Oesterreich an den Verhandlungen theil. Die Gesell⸗ schaft, die sich zugleich wissenschaftliche und gemeinnützige Aufgaben gestellt hat, hat ihren Sitz in Berlin und zählt gegenwärtig 220 Mit⸗ glieder; Anmeldungen und Beiträge nimmt das Bankhaus Molenaar und Co., Berlin G., Burgstraße, entgegen.
Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrung S⸗ Maßregeln.
Cholera.
Pest, 24. November. In den letzten 24 Stunden kamen hier drei Cholera-⸗Erkrankungen und ein Todesfall vor.
St. Petersburg, 24. November. Das heute ausgegebene Cholera⸗Bulletin für die letzte Woche meldet eine starke Abnahme der Epidemie in den Städten und in den Gouvernements; nur das Gouvernement Podolien und das Kiewer Gouvernement machen hiervon eins Ausnahme. In dem ersteren erkrankten in der Zeit vom J. bis 18. Nopember 1033 und starben 375 Personen; in dem letzteren erkrankten in der Zeit vom 14. bis 20. November 599 und starben 168 Personen an der Cholera. n
Am sterdam, 24. No tember. Im Haag ist ein neuer Cholera⸗ Todesfall vorgekommen. . ;
Belgrad, 21. November. Hier ist 6. acht Tagen kein ,,. mehr vorgekommen. Das Barackenhospital steht zur Zeit völlig leer. ĩ
weder den Gesetzen noch einer rationellen Besteuerung