Recht anführen, daß seit mehr als einem Menschenalter die Bier⸗ steuer die einzige ist, welche in Preußen keine Erhöhung erfahren hat. Die WVörsensteuer wird vermuthlich in diesem Reichstag am ehesten eine Majorität finden; sie ist gewissermaßen zeitgemäß, denn Sie werden nicht leugnen, daß der Zeitgeist bis zu einem gewissen Grade wenigstens jede höhere Besteuerung des Kapitals, namentlich des mobilen, als einen Act der ausgleichenden Gerechtigkeit ansieht. Aber alles, was zur Rechtfertigung der , d, =, . den Brannt⸗ wein angeführt worden ist, kann man gerade gegen diese Steuer an—⸗ führen. War das Gesetz von 1887 ein Meisterstück der finanziellen und wirtbschaftspelitischen Staatskunst, dann sage ich Ihnen: rütteln Sie nicht daran! Ich erkenne aber die Fürsorge der verbün⸗ deten Regierungen für das Brennereigewerbe dankbar an, denn es ist ihnen bekannt, welchen Factor das Brennereigewerbe in der Staats⸗ wirthschaft dee. in unseren östlichen Provinzen bildet, und ich stehe in dieser Beziehung ganz auf dem Standpunkt des Abg. Holtz. Ich wei sehr wohl, daß das Brennereigewerbe ein für die östlichen Provinzen fast unersetzliches Futtermittel abgiebt. Das ist die Schlempe, und wenn einige große Tagesblätter der Landwirthschaft gerathen haben, überall anstatt Kartoffeln Rüben zu bauen, so beweist das einfach eine Ver⸗ kennung der Verhältnisse, denn auf manchem Boden wächst keine Rübe, sondern höchstens die Kartoffel. Ein großer Theil der Brenner hat gerade in der Verminderung der Contingentsmenge um 1½z eine ganz wesentliche Beeinträchtigung ihrer Rechte aus dem Gesetz von 1887 erblickt. Diese Rechte hat es ihnen gewährt, wie der bayerische . von Riedel sagte, als Correctionsmittel zur Ein⸗ chränkung der Fabrikation, oder wie der Abg. Dr. Barth sagt, zur Entschädigung für den durch die höhere Besteuerung thatsächlich eingetretenen Rückgang des Consums und das damit zusammenhängende Sinken des Preises, aber gleichzeitig 2 um der Landwirthschaft auch fernerhin noch einen lohnenden bsatz für die Kartoffeln zu ermöglichen. Wie hat nun dieses Gesetz von 1887 gewirkt? Ich bedaure mit dem Abg. Dr. Witte, daß in den Motiven darüber nicht der geringste Aufschluß gegeben worden ist. Ich gebe zu, daß dies Gesetz mit seiner Contingentirung für die Brennereien, namentlich die größeren, nützlich gewirkt hat. Einen unverhältnißmäßig größeren Nutzen hatten die gießen Brennereien im Gegensatz zu den ganz kleinen und zu den mittleren landwirth⸗ schaftlichen Brennereien. Diese großen gewerblichen Brennereien . gewissermaßen den Rahm oben ab und ließen den landwirth⸗ schaftlichen Brennereien lediglich die magere Milch zurück. Württem⸗ berg, wo die Contingentirung nach der Angabe des dortigen Bundes⸗ bevollmächtigten so besonders nöthig sein soll, hat die zweitgrößte Brennerei in Deutschland mit über 800 000 1 Contingent. Den land⸗ wirthschaftlichen Brennereien hat das Gesetz gar keinen Vortheil ge⸗ bracht: während sie früher vielfach die Schlempe an die um— liegenden Besitzer verkauften, ist dies jetzt verboten, während sie früher vielfach Kartoffeln von den umliegenden Be— sitzern zukauften, hat dieser Kartoffelzukauf mit verschwindenden Ausnahmen fast gänzlich aufgehört. Sie sind darauf beschränkt, lediglich selbstgebaute Kartoffeln abzubrennen. Im Jahre 1886.87 wurden noch 27 874 000 Doppelcentner Kartoffeln zu Spiritus ver⸗ arbeitet, im Jahre 1891 nur noch 14415 000 Doppelcentner. Dieser Umstand drückt nicht bloß auf die Kartoffelpreise, sondern auch auf die Getreidepreise. Und der Preis des Getreides steht in einem wechselseitigen Verhältniß zum Kartaffflpreis. Das hat gerade das vergangene Jahr klar bewiesen. Wir haben im vorigen Jahre einen leidlich hohen Preis gehabt bis zum Herbst 1892. Mit jedem Tage der fortschreitenden günstigen Kartoffelernte fiel der Getreide⸗ reis. Meines Erachtens muß das Gesetz von 1887, um es für die andwirthschaft günstiger zu gestalten, dahin abgeändert werden: 1) daß der Schlempeverkauf freigegeben wird, und 2) um den landwirthschaftlichen Brennereien die Concurrenz mit den Hohen gewerblichen Brennereien zu ermöglichen, daß keiner Brennerei gestattet wird, mit mehr als 100000 1 Con⸗ tingent zu arbeiten. Das letztere liegt ja auch in der Absicht der verbündeten Regierungen. In Zukunft soll keine neu ent⸗ standene Brennerei mehr als 80000 1 brennen dürfen. Den Vor⸗ schlag des Abg. Uhden, ad hoc ein Monopol einzuführen, halte ich für ziemlich aussichtslos. Es wäre aber ein anderer Weg möglich, um der Reichskasse größere Einnahmen zuzuführen und dem Brennerei gewerbe und der Landwirthschaft gleichzeitig Vortheil und Nutzen zu gewähren, nämlich die Einführung der Fabrikatsteuer. Schließlich ist die Fabrikatsteuer doch die einzige ehrliche und gerechte Art der Besteuerung, und ehrlich währt am längsten. Die Maischraumsteuer war früher nicht bloß nützlich, sondern auch nothwendig, sie war eine erziehliche Maßregel. Wenn Sie die Fabrikatsteuer ein⸗ führen, dann werden auch wieder kleinere Brennereien entstehen können, welche nicht einmal mit allen Hilfsmitteln der neueren Technik ausgerüstet zu sein brauchen. Dieselben würden haupt⸗ sächlich der Production der als Futtermittel überaus werth⸗ vollen Schlempe dienen können. Man sagt, das wäre der Tod für die östlichen Provinzen, für den Kartoffelbau. Das wäre nicht der Tod des Kartoffelbaus unter der Voraussetzung, daß verschiedene Steuersätze für die verschiedenen Rohmaterialien eingeführt würden. Ich würde vorschlagen eine Abgabe von etwa 65 S½V für Kartoffelbranntwein, und eine entsprechend höhere für Rübenmelasse und Getreidespiritus u. dergl. Ich gebe anheim, ob bei so ver—⸗ schiedenen Steuersätzen nicht wenigstens für den Kartoffelbranntwein der Rectificationszwang eingeführt werden kann. Für den Kornbrannt⸗ wein wäre es ohne Ungerechtigkeiten gar nicht möglich. Bei ver schiedenen Steuersätzen für die verschiedenen Rohmaterialien wäre auch die Gefahr vermieden, daß die Fabrikation sich bald in einigen wenigen großen Händen concentriren würde, denn der Großfabrikant könnte nicht billiger fabriziren, als der Selbstproducent, denn die Kartoffel hat wegen ihres großen Volumens hohe Frachtsätze zu tragen. Ein niedrigerer Satz für den Kartoffelspiritus ist nicht nur zum Schutze des Kartoffelbaues und der östlichen Provinzen nöthig, sondern auch, weil der Kartoffelbranntwein das minderwerthige Product ist. Bei der Fabrikatsteuer hört jede Einschränkung der Fabrikation auf. Gegenwärtig sind dem Brennereigewerbe Handschellen angelegt, das 8 von 1887 hat ihm die Flügel beschnitten und die Freiheit der Bewegung genommen. Nach Einführung der Fabrikatsteuer kann jeder brennen, was er will, wie er will und wann er will. Die landwirthschaftlichen Brenner sehen in dieser Regelung einen Segen für die Landwirthschaft. Eine Versammlung von Brennerei⸗ besitzern aus Rheinland, Westfalen und Hannover hat sich in dem⸗ selben Sinne , . Bei dieser Steuerregelung setze ich aber voraus, daß die Regierung eine gewisse Exportbonification für Leckage und 6 gewähren wird. Ich habe mit Absicht nur die landwirthschaftliche Seite der Branntweinsteuer berührt, die politische aber vollständig außer Acht gelassen. Entweder ist das Gesetz von 1887 ein Meisterstück, dann rütteln Sie überhaupt nicht daran, oder es ist kein Meisterstück, dann beschreiten Sie den anderen Weg, der der Reichskasse Geld zuführt und der Landwirthschaft zum Segen und Nutzen gereicht! Abg. Dr. Höffel (Elsässer, Ry.): Als Bewohner eines Landes mit 30 000 kleinen sogenannten Hausbrennereien sehe ich die Vorlage nur
mit Bedauern an. Kaum zwei Jahre sind seit der letzten Aenderung
vergangen und schon wieder liegt ein neuer Entwurf vor, der eine Beunruhigung des Branntweingewerbes mit sich bringt und die Existenzfähigkeit desselben in Frage stellt. Jede weitere Erhöhung für den Branntwein ist nicht wünschenswerth, we unsere Steuer auch noch nicht so hoch ist, wie in manchen Nachbärländern. Einer weiteren Einschränkung der Branntweinproduction stehen die größten Bedenken entgegen. Durch das rn, von 1887 haben gerade die kleinen Brennereien am meisten gelitten. Neue Lasten legt die Regierung allerdings nicht ohne triftige Gründe dem Volk auf. Man soll aber nur eine beschränkte Anzahl von Artikeln der Steuer unterwerfen. Ich bedauere, daß man nicht an den Taback denkt, Bier und Branntwein sind beide Genußmittel, aber zwischen beiden ist ein großer Unterschied. Der Nährwerth des Bieres, wegen dessen man dasselbe schonen will, ist eine Fiction. 1476 Gewichtstheile Bier enthalten so viel Extractivstoffe, wie ein e, , , tröckenes schwarzes Brot. man den Alkohol treffen, so befindet sich dieser auch im Bier. In
Will!
vier Seideln Bier trinkt man so viel Alkohol wie in einem halben Seidel Branntwein. Den Taback kann man um so mehr besteuern, als dadurch keine andere Industrie getroffen wird. Die Tabacksteuer in Form des Monopols ist jedenfalls von allen Steuern die am wenigsten drückende, die moralischste, einträglichste und am leichtesten zu veranlagende. Die Pfeife des armen Mannes würde dadurch nicht berührt, aber für den Luxus des Cigarrenrauchens kann man ordentlich bezahlen. Ferner müßte die Börsensteuer herangezogen und der Stempel für Lotterieloose erhöht werden; selbst für wohlthätige Zwecke entbehrt die Lotterie des sittlichen Momentes.
Abg. von Kardorff (Rp.): Von einer Liebesgabe darf man nicht sprechen. Das Gesetz von 1887 ist nur falsch gefaßt. Es sagt: der ,, beträgt 70 S und nur für ein gewisses Contingent sollen 0 M bezahlt werden. Es hätte umgekehrt sagen sollen: der Steuersatz beträgt 50 M und wer mehr brennt als ein fenises Contingent, zahlt 20 4 mehr. Wie man darin ein Geschenk finden kann, . mir unverständlich und auch jedem Mann im Lande. Die Theorie des Abg. Dr. Barth über die Preisbildung für die Kartoffel ist falsch. Der Preis für die Kartoffel und den Spiritus hängt nicht von der Kartoffelernte, sondern lediglich von dem Spirituspreis auf dem Weltmarkt ab. Dieser stellt unsern Spirituspreis her und dieser unsern Kartoffelpreis. Wer auf dem Lande lebt, weiß das ganz genau. Das Gesetz von 1887 machten wir, weil wir damals in derselben Lage wie jetzt waren; wir brauchten Geld für das Militär. Das Gesetz hat wenigstens einen einheitlichen Zustand für ganz Deutschland geschaffen. Ferner sind durch dasselbe die kleineren Brennereien erhalten worden, die sonst verloren gehen mußten zum Nachtheile der Landwirthschaft. Ferner ist der Consum vermindert, was im ethischen Sinne erfreulich ist, und zur Vermehrung des Bierconsums beiträgt. Endlich hat das Gesetz die Mittel für das Militär geschaffen und das ist doch auch ein Erfolg. Die Fabrikatsteuer ruinirt die Landwirthschaft und erwies sich schon früher als ganz ungangbar, weil dadurch die großen Be⸗ triebe noch größer gemacht, die kleinen vernichtet werden. Das ist auch das Resultat der Fabrikatsteuer in England gewesen. Der Rück= gang unseres Brennereigewerbes liegt nicht am Gesetz von 1887, sondern an den Weltmarktverhältnissen.
Abg. von Staudy (deons.): Der Standpunkt auf dieser Seite des Hauses der Vorlage gegenüber ist nicht vollständig gleichmäßig. Wir sind jedoch alle einig in den vom Abg. Uhden vorgetragenen Be⸗ denken, und darin, daß die Einführung eines Rohmonopols gerade jetzt wünschenswerth ware. Auch darin sind wir einig, daß wir von der Spannung der Steuer von 20 S nichts ablassen. Wenn aber der Abgeordnete erklärte, der Vorlage zeitweise folgen zu können, so , . ich mich darin mit einem Theil meiner Fractionsgenossen von ihm. Die Vorlage würde eine weitere Schädigung des landwirthschaft⸗ lichen Brennereigewerbes herbeiführen, welche wir nicht verantworten können. Gegenüber den Anfeindungen conservativer Politiker erkläre ich jedoch, daß es selbstverständlich auf dieser Seite des Hauses keinen giebt, der, falls die Militärvorlage ganz oder zum theil Gesetz werden sollte, nicht auch bereit sein würde, die Mittel zur Durchführung derselben zu bewilligen. Die finanziellen Bedenken bezüglich der Militärvorlage sind bei uns nicht maßgebend. Ich hätte jedoch ein Vorgehen auf dem Gebiet der Steuerpolitik in großen Zügen, gewünscht, selbstverständlich bei voller Berück⸗ sichtigung des wirthschaftlichen Effects. Ich bedauere lebhaft, daß ich diesen wirthschaftlichen Effect in der gegenwärtigen Vor— lage durchaus nicht berücksichtigt finde. Der Schatzsecretär er— klärt das Vorgehen auf diesem Gebiet im . für ein finanzpolitisches. Ein solches einseitiges Vorgehen entspricht nicht den Gepflogenheiten der verbündeten Regierungen. Trotz der hoch erscheinenden Spannung der Steuer von 20 6 ist unbestritten eine Verschlechterung in der Lage des Brennerei— gewerbes eingetreten. Eine Herabminderung der Spannung auf 15 S6 würde die Lage noch weiter verschlechtern. Eine Liebesgabe für die Brenner existirt nicht. Die Ueberproduetion hat das Gesetz von 1887 nicht hervorgerufen, und die Lage des Brennereigewerbes ist infolge desselben keineswegs so glänzend geworden. Darum darf die Exvortbonification nicht aufgehoben werden. Aufrichtigen Dank habe ich für die Darstellung der einschlägigen Verhältnisse seitens des bayerischen k Er kann versichert sein, daß ihm der Dank der Landwirthe des preußischen Ostens verbleiben wird. In der Verringerung der Spannung würde die Landwirthschaft eine wiederholte Verletzung ihrer Interessen gefunden haben. Der Schatzseeretär hat aus dem § 1 des Gel von 1887 das Recht für die Regierung hergeleitet, das Contingent und die Spannung zu revidiren. Dann aber hätten wir niemals für das Gesetz votirt. .
Damit schließt die Discussion. Militärcommission überwiesen.
Schluß 5i/ Uhr.
Preuszischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 16. Sitzung vom 17. Januar.
Erste Berathung des Staatshaushalts-Etats für 1893194. Ueber den Beginn der Debatte ist bereits in der Nummer vom Dienstag berichtet worden.
Abg. Dr. Lieber (Centr.): Die letzten Ausführungen des Abg. Freiherrn von Minnigerode gehören eigentlich in den Reichstag. Ich will darauf nur erwidern, daß die Handelsverträge eine Aus— gleichung der verschiedenartigen Interessen herbeigeführt haben, daß wir ihnen zugestimmt haben, weil sonst der Ansturm auf die landwirthschaftlichen Zölle ein viel stärkerer geworden wäre, während jetzt der Schutzzoll durch die Verträge auf zwölf Jahre gesichert ist. Die Einnahmeausfälle bei der Eisenbahnverwaltung sind sehr bedenklich für den preußischen Etat. Der Finanz⸗Minister hat wohl auch daran gedacht, daß die Choleragefahr im vorigen Jahr nur eine kleine war. Wenn sie größer auftritt, wo bleiben dann die Fisen— bahneinnahmen? Eine schnelle Besserung kann ich nicht erwarten, auch der Beweis, den der Staatssecretär von Boetticher im Reichstage für eine Besserung angetreten hat, scheint mir nicht gelungen. Ich hoffe mit der Regierung auf eine Besserung, fürchte aber, daß die Hoffnung nicht sehr schnell in Erfüllung gehen wird. Die Frage der Vermehrung der Lotterieloose ist oft und gründlich hier erörtert worden. Wenn die Regierung die Befriedigung des Spieltriebes innerhalb der preußischen Lotterie , will gegenüber dem unredlichen Wettbewerbe auswärtiger Lotterien, so wird das Haus dagegen kaum einen Einwand zu machen haben. Es ist dankbar anzuerkennen, daß trotz der schlechten Finanzlage die Regierung eine Vermehrung der etatsmäßigen Richterstellen vorgeschlagen hat. Aus dem Erlös von Domänen sollen Aufforstungen vorgenommen werden im Osten; warum nicht auch im Westen, wo doch auch Aufforstungen noth⸗ wendig sind? Einverstanden bin ich mit dem Minister darüber, daß wir die Wirkungen der Schwankungen der Eisenbahneinnahmen auf den Etat beseitigen müssen. Abgesehen von einem Betriebsreservefonds wird der beste Reservefonds die , sein, aber energischer als nach dem Eisenbahngarantiegesetz. ie Mahnung des , an uns zur Sparsamkeit war berechtigt, denn er hielt diese Mahnung auch seinen Collegen vor. Ich kann sagen: das Aussehen des Hauses an dem Tage, wo die sogenannte Secundär⸗ bahnvorlage berathen wird, ist mir immer als ein sehr erbarmungs—⸗ würdiges vorgekommen, allein an dem Grafen Kanitz scheinen die Ermah⸗ nungen des Ministers spurlos vorübergegangen zu sein, sonst hätte er wohl seinen Antrag nicht eingebracht. Als der Finanz Minister zur Sparsamkeit mahnte. kam der Zwischenruf von links: Militär! Der Finanz⸗Minister erwiderte darauf, daß nothwendige Ausgaben für die Landesvertheidigung geleistet werden müssen; darauf ertönte rechts ein „Bravo!“ Es wäre wohl verstummt, wenn der Vorschlag gemacht worden wäre, die Kosten der Militärvorlage auf die Matrikularbeiträge, d. h. auf die directen Steuern zu legen. Dann wird die Steuerschraube in Preußen angezogen werden; der Finanz! Minister will das leßt noch nicht, aber er hat erklärt, daß die G men anziehungsfähig ist, und das läßt tief blicken. Daß mit der Aufbesserung der Gehälter und
Die Vorlage wird der
der Einführung der Dienstaltersstufen von unten angefangen ist, ist sehr erwünscht. Daß die Regierung angesichts der Nothlage, für welche die Gemeinden allerdings in erster . eintreten müssen, Ar⸗ beiten ausführen lassen will, um zu helfen oder um die billigen Materialpreise auszunutzen, billige ich vollständig. Für so rosig wie der Finanz⸗Minister kann ich die Finanzlage nicht ansehen und kann deshalb nur die größte Vorsicht empfehlen.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Meine Herren! Ich kann ja den verschiedenen Herren Vorrednern für ihre Aeußerungen nur dankbar sein, indem sie im allgemeinen zu den Gesichtspunkten, den Auffassungen und den Anträgen der Staats⸗ regierung in Bezug auf den Etat durchaus zustimmend sich geäußert haben, und ich bin erfreut, das namentlich auch von dem Herrn Vor⸗ redner sagen zu können. Ich bin sicher, oder ich glaube wenigstens sicher zu sein, daß er in dieser Beziehung der Gesammtauffassung seiner näheren Freunde Ausdruck gegeben hat.
Ich würde also keine Veranlassung genommen haben, in diesem Augenblick das Wort zu ergreifen, wenn nicht der Herr Vorredner in der ihm eigenen geschickten dialektisch⸗parlamentarischen Art eine kleine Einschiebung in Bezug auf die Steuerreform gemacht hätte, welche doch möglicherweise den einen oder andern etwas graulich zu machen bezweckte. (Heiterkeit Herr Dr. Lieber legt eine Anschauung der Lage der Finanzen dar, welche ihn dahin führt, zu sagen: schließlich wird es doch nicht ohne eine Steuererhöhung abgehen. Meine Herren, ich will darüber gar nicht mit ihm streiten, daß das nicht in der Zukunft der Fall sein könnte, (Heiterkeit) wir wollen hoffen, es wird nicht nöthig sein. Aber wenn es noth— wendig wird, so frage ich: was drückt denn das Land mehr, die Er— höhung ungleicher und ungerechter Steuern oder die Erhöhung gleicher und gerechter Steuern? (Sehr richtig! rechts. Um diesen Gegensatz allein handelt es sich. Die Steuerreform selbst bringt nicht eine eventuelle Nothwendigkeit einer Steuererhöhung hervor, sondern sie wird, wenn sie richtig ist, falls diese Nothwendig⸗ keit aus anderen Gründen wider unseren Wunsch an uns herantreten sollte, sie für das Land nur erleichtern. (Sehr richtig! rechts.)
Ich glaube, auf dieser Grundlage wird vielleicht auch noch der Herr Vorredner ein Freund der Steuerreform werden.
Abg. Dr. Enneccerus (nl. ): Die Ueberschüsse aus der Ein⸗ kommensteuer sollen nicht ihrem Zweck entfremdet werden, sondern es soll zur Ersparung von Mühe und Arbeit das Kapital zur Deckung des Deficits verwendet, die Zinsen aber für die gesetzlich fest⸗ gelegten Zwecke verwendet werden. Der Abg. von Minnigerode hat gegen den noch gar nicht bekannten Handelsvertrag mit Rußland schon jetzt Stellung genommen. Gewiß verdient die Landwirthschaft Schutz; aber auch die Industrie muß gefördert werden, denn die Land⸗ wirthschaft ist nicht im stande, uns allein zu ernähren. Ob die Kosten der Militärvorlage durch diese oder jene Steuer bestritten werden, ist völlig gleichgültig; davon wird keine patriotische Partei ihre Zustim— mung abhängig machen. Redner führt aus, daß man zu einer richti⸗ en Beurtheilung des Etats erst komme, wenn man die . Summe von 1800 Millionen reducirt auf die Rein⸗ einnahmen. Dabei ergebe sich eine viel größere Creditwürdigkeit Preußens, als man vielfach annehme. Der jetzige Zustand sei gerade geeignet, eine klare Scheidung zwischen i. und dem Reiche herbei⸗ zuführen. Denn eine klare Finanzirung Preußens sei nicht möglich, wenn in jedem Augenblicke große Neuausgaben vom Reiche Alles über den Haufen werfen. Wenn wir dabei im Ziele einig sind, wird dem Willen der Weg nicht fehlen. Ebenso wird in Bezug auf die Eisenbahnen ver⸗ fahren werden müssen; die Schwankungen müssen für den Staats⸗ haushalt beseitigt werden. Das Maximum, welches der Staat aus deren Einnahmen für sich in Anspruch nehmen will, muß jetzt in schlechter Zeit festgestellt werden. Es kann aber nicht wohl eine bestimmte Summe dafür festgesetzt werden, sendern die Summe muß in Verhältniß gesetzt werden zum Gesammtbedürfniß des Staats. Die . der Eisenbahn rühren zum theil von Minderein— nahmen, zum theil von Mehrausgaben her. Unter den Mehrausgaben sind manche, die man eigentlich als nachträgliche Reparaturen früherer Verhältnisfse betrachten kann. Ist alles Versäumte nachgeholt, dann vermindern sich auch die Ausgaben wieder. Zu hoffen ist auch eine Mehreinnahme aus der neuen Einkommensteuer und der Ergänzungs⸗ steuer, welche steigen mit der Zunahme der Bevölkerung und des Wohlstands. Die Möglichkeit einer solchen Steigerung fehlte bei den Steuern, welche der Staat aufgiebt. Der vorgelegte Etat für 1893,94 ist sehr umsichtig und vorsichtig aufgestellt. Dafür war bezeichnend die Erklärung des Jin l che it, daß er geneigt sei, diejenigen Ausgaben zu streichen, die das Haus als entbehrlich er— kennen würde. Unsere Schulden werden sich bei Beginn des Etats— jahres auf 6243 Millionen Mark belaufen, während die Schulden— tilgung nur 37 Millionen Mark, also So o beträgt. Daß die Ueberweisung aus der ox Huene zurückgehen wird, glaube ich auch, aber das kann ich nicht zugeben, daß die lex Huene mit 24 Millionen Mark hoch genug bewerthet ist. Die Vermehrung des Richterpersonals ist erfreulich, aber das Bedürfniß ist damit noch lange nicht ge— deckt. Die Ausdehnung der Dienstaltersstufen auf weitere 20 009 Beamte ist von allen Seiten mit Freuden begrüßt worden; ob dabei Härten für Einzelne oder gewisse Kategorien entstehen, wird die Budgeteommission prüfen müssen. Wirthschaftlich fördernde Ausgaben dürfen auch in schlechten Zeiten nicht zurückgestellt werden. Aber ich meine, auch für den Bau von Secundärbahnen dürfen die Mittel nicht verweigert werden, wenn man auch die Rentabilität genauer als früher prüfen wird. Ein Stillstand würde einen großen wirth— schaftlichen Schaden mit sich bringen. Das Tertiärbahngesetz wird noch große Schwierigkeiten zu überwinden haben. Auch an die noch ausstehende Aufbesserung der Gehälter gewisser Beamtenklassen, die schon lange vertröstet sind, müssen wir bald denken. Ich hoffe auch, daß die ö thun wird, was sie auf diesem Gebiet thun kann. Redner empfiehlt schließlich die Ueberweisung des größten Theils des Etats an die Budgeteommission, aber auch die Annahme des Antrags Lieber wegen der Verstärkung der Budgeteommission für den Eisen⸗ bahn⸗Etat.
Abg. Kieschke (b. k. F): Ueber die von dem Abg. von Minnigerode angereyte Frage der Stellung des Reichs⸗Schatzßseeretärs und des rar gf sr fern können wir hier nicht wohl entscheiden; sie ist so tief einschneidend, daß sie gründlicher geprüft werden muß. Auf eine sehr schnelle Besserung der Verhältnisse hoffe ich nicht, dafür sind keine Anzeichen da, denn die Verhältnisse sind überall so schlecht wie in Deutschland. Dazu kommt, daß wir bei der Be— schaffung unserer Einnahmen wesentlich auf die directen Steuern beschränkt sind, die stabil sind, während das Reich über die aus— dehnungsfähigen indirecten Steuern verfügt. Es wird sich nicht ver— meiden lasfen, zur Quotisirung der Einkommensteuer zu greifen, denn anders wird es nicht möglich sein, dem Einnahmebedarf Preußens zu folgen. Wie sollen denn sonst die Einnahmen vermehrt werden? Der Minister hat sich bereit erklärt, die Ausgaben zu streichen, die wir entbehrlich finden. Ich finde eine Ausgahe von 509 90). 4 für ein neues Regierungsgebäude in Osnabrück. Es wird sich über⸗ haupt fragen, ob inan nicht die Bezirksregierungen auf den Aussterbe⸗ Etat setzen könnte. Die Landrathtämter werden sich immer mehr ausbilden mit eigenen Bureaux u. s. w. Was soll denn noch die Zwischeninstanz zwischen dem Landrath und dem Ober-Präsidenten. Redner tritt dann der Autzeinandersetzung des Abg. Enneccerus ent— gegen, der die besondere Creditwürdigkeit Preußens nachzuweisen ver—= sucht hatte. Ich bitte Sie, den Ernst der Lage zu erkennen und die Budgeteommission zu veranlassen, ah sie einen allgemein er= schöpfenden Bericht über die gegenwärtige Finanzlage erstatte.
Darauf wird um 4 Uhr die weitere Debatte vertagt.
M 16.
Entscheidungen des Reichsgerichts.
Eintragungen in oder an der Invaliditätsversicherungs⸗ Quittungskarte, welche der zuständigen Behörde obliegen, bei spielsweise die Eintragung der Dauer der bescheinigten Krankheiten seitens einer Pfnivatperson, fallen, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, II. Strafsenats, vom 8. Oktober 1892, unter die Strafbestimmung des 5 151 des Invaliditäts« und Alters— versicherungsgesetzes.
— Der Bauunternehmer erwirbt, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, IV. Civilsenats, vom 17. Oktober 1892, in Preußen durch die Ertheilung der polizeilichen Bauerlaubniß kein unwiderrufliches und unentziehbares Recht auf die Ausführung des Baues nach Maßgabe der ertheilten Erlaubniß; treten nach der Er— theilung der Bauerlaubniß, aber noch vor der Ausführung des Baues, nachträglich Hindernisse des öffentlichen Rechts ein, so lann von der Polizeibehörde die Bauerlaubniß zurückgezogen werden.
Statistik und Volkswirthschaft.
Die deutsche überseeische Auswanderung über deutsche Häfen, Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam stellte sich nach den Ermittelungen des Kaiserlichen Statistischen Amts im Monat Dezember und im Jahre 1892 und in den gleichen Zeiträumen des Vorjahres folgendermaßen: Es wurden befördert: im Dezember im ganzen Jahre über: 1392 1891 1892 1891 Bremen 59 897 59 673 Hamburg 28 072 31581 andere deutsche Häfen (Stettin) 58 2214 1891 Deutsche Häfen zusammen 5759 * 790 183 73 145 Antwerpen 5 17 554 19069 Rotterdam ; . 3 5653 2392 Amsterdam ! 918 786 Ueberhaupt. 7 14115 3 683 113 308 115 392 Aus deut schen Häfen wurden im Dezember 1892 (im Jahre 1892) neben den vorgenannten 5759 (9g0 183) deutschen Auswanderern noch 4738 (151412) Angehörige fremder Staaten befördert. Davon gingen über Bremen 3509 (69 521), Hamburg 1211 (80 676), Stettin 18 (1215).
Zur Arbeiterbewegung.
Der Rückgang der Ausstandsbewegung im Saar— revier und in Westfalen dauerte auch gestern fort. Für das Saarrevier wird die Zahl der Ausständigen in der „Frkf. Itg.“ nur noch auf 1402 Mann beziffert und alle von dort vorliegenden Nachrichten lassen erkennen, daß die Arbeiter des Strikens überdrüssig sind, auch die Auf— regung der Ausständigen erlischt mehr und mehr, und die Versammlungen im Rechtsschutzvereinssaale waren in den letzten Tagen verhältnißmäßig sehr schwach be— sucht. Einer Mittheilung des „Vorwärts“ zufolge ist hier in Berlin eine Deputation der ausständigen Kohlenarbeiter ein⸗ getroffen, die aus den früheren Bergarbeitern Schillo und Thome besteht. An die Mitglieder des Reichstags hat ferner der Vorstand des Rechtsschutzuereins „im Namen aller Bergleute“ eine Kundgebung gerichtet, die sich mit den auf den Ausstand bezüglichen Verhandlungen des Reichstags beschäftigt. Aus Schwalbach berichtet man dem „Bergmannsfreund“, daß der abgelegte Bergmann André⸗ Schwalbach sein Amt als Vertrauensmann des Rechtsschutz⸗ vereins niedergelegt und sich gegen den Vorwurf, Social— demokrat zu sein, verwahrt habe. Ein neu gewählter Ver⸗ trauensmann lehnte dann die Annahme des Amts ab.
Die Gesammtzahl der Ausständigen im Ober⸗Berg⸗ amtsbezirk Dortmund wird für den Tag vom 16. zum 17. d. M in der „Rh.⸗Westf. Ztg.“ mit N75 Mann oder 1180 Ausständigen weniger als am Vortage an⸗ gegeben; ein Telegramm des D. B. H. berech⸗ net die Zahl auf N40 Mann eeinschließlich der inzwischen abgelegten Bergleute. Die wirkliche Zahl der Strikenden stellt sich also noch geringer, da der Berechnung die frühere Sollziffer der Belegschaften zu Grunde gelegt ist, die durch die Abkehr sehr vermindertist. Die Zechenverwaltungen fahren fort, den Ausständigen nach Maßgabe der Arbeitsordnung den Abkehrschein zuzustellen. In der „Frkf. Ztg.“ wird die Gesammt⸗ zahl der Entlassenen für Montag bereits auf gegen 4000 an⸗ gegeben. Gestern ist die Belegschaft der Zeche Shamrock, die im Herner Revier liegt, in den Ausstand eingetreten. Hiermit wird es zusammenhängen, daß der „Frkf. Ztg.“ gestern aus Bochum telegraphirt wurde, das Herner Revier sei seit gestern Morgen unruhig. Im übrigen wird dem Blatt be— richtet, daß letztere Strikenden langsam zur Arbeit zurück— kehren, soweit sie noch angenommen werden. Am hartnäckigsten seien das Borbecker Revier und einige Essener Zechen. — Wir knüpfen hieran folgende, aus dem westfälischen Ausstands⸗ gebiet vorliegenden einzelnen Meldungen:
Aus Essen wird der „Köln. Ztg.“ unter dem 16. d. M. be⸗ richtet: Die Ausstands-⸗-Commisfion hat dem Bergbauverein durch eingeschriebenen Brief ihre Forderungen überreicht: Achtstündige Schicht einschließlich der Ein- und Ausfahrt, 25 9, Lohnerhöhung für alle Bergarbeiter, Anlegung der früher Gemaßregelten und Unter⸗ lassung fernerer Maßregelung, Zurücknahme der ganzen Arbeitsordnung, Selbstperwaltung der Knappschaft, Anerkennung der Arbeiterausschüsse,
freie Wahl der Ausschüsse, aber auf, jederseitigen sofortigen e der — In einer gestern Nachmittag in Essen abgehaltenen Bergarbeiterversammlung stimmte, wie die, Rh. Westf. Ztg.“ berichtet, die Mehrzahl der etwa 560 Anwesenden für Fortsetzung des Ausflandes im Essener Revier. Nur ein Redner, Bergmann Baier Essen, erklärte, heute wieder zur Schicht gehen zu wollen.
Einer Kölner Meldung des „Wolff'schen Bureaus, zufolge wurde am Montag in Wanne unter dem Vorsitz des Ober⸗Präsidenten Studt eine Berathung mit den r n,, von Arns⸗ berg, Düsseldorf und Münster, sowie den Landräthen und den Ober— Bürgermeistern aus den betheiligten Kreisen über die Ausstands« bewegung abgehalten. Die Lage wird nach der „Köln. Ztg.“ immer 1 für ernst angesehen, die erforderlichen Maßregeln werden an— geordnet. .
Vom heutigen Tage liegen aus dem Gebiet des Berg⸗ arbeiterausstandes folgende telegraphische Nachrichten vor.
Essen, 18. Januar. Wie die „Rheinisch⸗Westfälische Zeitung“
Zweite Beilage zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.
Berlin, Mittwoch, den 18. Januar
w ,
1893.
Gustav', „Pluto“, Prosper II.“, „Neu⸗Iserlohn“, „Lothringen“, Graf Schwerin“, . Bruchstraße“, „Dahlhauser Tiefbau“. Auf „Neu⸗ Shamrock“ sind 374 Mann angefahren.
Saarbrücken, 18. Januar. Der Ausstand ist als be⸗— endet anzusehen, da heute alles angefahren ist. Eine gestern nach Bildstock einberufene Versammlung unterblieb wegen Mangels an Theilnehmern. -
Im Inlande und Auslande nehmen fortgesetzt die be— schäftigungslosen Arbeiter durch von ihnen veranstaltete Versammlungen und das Verhalten der Behörden den Arbeits⸗ losen gegenüber die Aufmerksamkeit in Anspruch. Heute liegen in dieser Richtung folgende Mittheilungen vor:
In Dortmund fand am Montag eine von etwa 300 Personen besuchte Versammlung der Arbeitslosen statt, die der „Köln. Ztg.“ zufolge mit der polizeilichen Auflösung endete.
In Charlottenburg hatte am Sonnabend eine Versammlung von Arbeitslosen eine Abordnung an den Ober⸗Bürgermeister Fritsche beschlossen, um ihm drei Wünsche der Arbeiter: Ein⸗ sührung des Achtstundenarbeitstages, Lohnaufbesserung und sofortige Einstellung von Arbeitslosen bel der Straßenreinigung vorzutragen. Der Ober⸗Bürgermeister erwiderte der Abordnung, die er der „Charl. Ztg.“ zufolge am Montag empfing, u. a. Folgendes: Es sei der Grundirrthum, der sich durch die Arbeiterverhandlungen der Neuzeit hindurchziehe, daß den Arbeitern dem Staat und den Gemeinden gegenüber ein Recht auf Arbeit zustehe. Niemand habe ein „Recht“ auf Arbeit, vielmehr sei ein jeder seines Glückes Schmied; der Arbeiter nehme im Kampfe mit des Lebens Mühen und Sorgen keine andere Stellung ein wie der Handwerker, der Gewerbe⸗ treibende u. s. w. Eine andere Frage sei es, ob nicht die gegenwärtig anhaltende Unbill der Witterung geeignet sei und ob es nicht das öffent⸗ liche Interesse in Verbindung mit dem Gesetz der Nächstenliebe an⸗ gezeigt erscheinen lasse, daß sich die Gemeindeverwaltung eines Theils der bedrängten Arbeiter annehme. Von diesem . aus, aber auch nur von diesem, würde er in den einzelnen Ressorts Umfrage halten und je nach dem Resultat in den Grenzen der Mög— lichkeit auf Zuweisung von Arbeit bedacht sein — mit welchem Erfolg, vermöge er freilich nicht abzusehen. Seweit es sich dagegen um acht⸗ stündige Arbeitszeit und Lohnerhöhung handele, würden sie einen Be— scheid überhaupt nicht erhalten. .
Aus Brüssel meldet ein „Wolff'sches“ Telegramm: Etwa 20 beschäftigungslose Arbeiter, die am Montag von Gent aus zu Fuß nach Brü 4 gekommen waren und während der Nacht in der „Maison du peupie“ beherbergt wurden, durchzogen gestern früh gruppenweise unter Gesang die Straßen. Acht elch tt von ihnen wurden von dem Minister des Innern empfangen, der ihnen versprach, Schritte zu thun, um die Inangriffnahme öffentlicher Arbeiten zu beschleunigen. Als die feiere. sich dann, zu einem Zuge vereinigt, in der Richtung auf das Kammergebäude bewegten, verhinderte die Polizei das weitere Vordringen, da Kundgebungen innerhalb einer gewissen, die Regierungsgebäude um⸗ ebenden Zone nicht stattfinden dürfen. Nach Unterhandlung mit dem Führer der Arbeiterpartei Volders gestattete der Polizeicommissar einer Abordnung von fünf Arbeitslosen sich in das Kammer⸗ gebäude zu begeben, wo sie von dem Secretär und zwei Mit— gliedern der Kaminer empfangen wurden. Die Deputation überreichte eine Petition, in der um Arbeit und Einführung des allgemeinen Stimmrechts gebeten wird. Hierauf wurden die Delegirten von den progressistischen Deputirten empfangen, die die Forderungen der Be— schäftigungslosen zu unterstützen versprachen. Die Delegation zog sich alsdann zurück; zu irgend welchem Zwischenfall kam es nicht.
Der für den heutigen Tag angesetzte Ausstand der Gas- arbeiter im Isergebirge ist, wie ein Telegramm des „H. T. B.“ aus Reichenberg mittheilt, auf drei Wochen verschoben worden. Die Arbeiter hoffen, bis dahin die Erfüllung ihrer Wünsche durch⸗ zusetzen. . .
Aus Rive de Gier meldet ein Wolff sche⸗ Telegramm: Die Arbeiter sämmtlicher Etablissements zur Aufbereitung der Metalle, 1800 an der Zahl, sind ausständig gemenden, weil die Arbeitgeber die Bildung eines schiedsgerichtlichen Ausschusses, der alle entstehenden Zwistigkeiten regeln sollte, abgelehnt haben.
Kunst und Wissenschaft.
Der Verein für deutsches Kunstgewerbe hielt am Mittwoch voriger Woche seine Generalversammlung ab. Die Berichte des Schatz‚ meisters Herrn L. P. Mitterdorfer und des Schriftführers Herrn Dr. P. Jessen gaben das Bild einer sehr lebhaften und erfolgreichen Ver— einsthätigkeit. In Jahre 1899 wurden 330 neue Mitglieder auf— genommen, sodaß die Mitgliederzahl jetzt 1050 beträgt. Die Versammlungen, welche meist zu lehrreichen Fachabenden ausgebildet waren, sind durchschnittlich von 309 Personen besucht worden. Besonders populär geworden sind die allmonatlichen, kunstgewerblichen Concurrenzen. Die Rechnung schließt ab mit 13 247 9 Dem Verein sind mehrere schätzbare Beihilfen seitens des Handels⸗-Ministeriums und der Stiftung der Berliner Gewerbe⸗ Ausstellung zu theil geworden. In den Vorstand wurden gewählt als Vorsitzende Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath C. Busse, Otto Schulz, Geheimer Hofrath Schröer, als Schatzmeister L. P. Mitterdorfer, als Schriftführer Dr. P. Jessen, Albert Hofmann, Paul Parey, als . Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Lüders, Ed. Puls, P. Schley, L. Schluttig, A. Müller, G. Wenkel. .
— Aus der Coneurrenz des Vereins für deutsches Kunst gewerbe für einen Hochzeitsteller als Wandschmuck, zu welcher 24 Arbeiten eingegangen waren, sind als Sieger hervorgegangen: Otto Gußmann, Berlin (1. Preis 89 6M. Hedwig Blankenburg, Char— lottenburg (2. Preis 60 ), Richard Waller, Berlin (3. Preis 40 0). Mit ehrenvoller Erwähnung wurden bedacht: A. Unger, Berlin, Albert Klingner, Friedenau, Gustav Kämpfer, Charlottenburg, Ludwig Sütterlin, Berlin, Fr. Blankenberger, Pforzheim.
— Zum Rector der Universität zu Königsberg i. Pr. für das Studienjahr 1893/94 ist, wie ‚W. T. B.“ meldet, Professor Gareis gewählt worden. ; .. .
— Ein werthpoller prähistorischer Fund ist, wie der Voss. 3.“ aus Wohlau (Schlesien) berichtet wird, in Buschen ge— macht worden. Beim Ausschachten von Feldsteinen förderte man gegen hundert uralte ziemlich große Gegenstände, Urnen und allerhand Schmuckgegenstände, zumeist gut erhalten, zu Tage. Die Stücke wurden dem Königlichen Museum in Berlin überwiesen. Die Gegen⸗ staͤnde stammen aus altgermanischer Zeit des sechsten bis dritten vor⸗ christlichen Jahrhunderts.
— Dem Goethe-National⸗Museum sind in der letzten Zeit zahlreiche werthvolle Gaben zugegangen, durch die sein 83 t stand in bedeutender Weise vermehrt worden ist. Eine größere Zahl hervorragender Zeichnungen und Aquarelle Goethe's sind ihm aus dem Nachlaß der Frau von Stein durch Mitglieder ihrer , . überwiesen worden. Weitere Blätter stiftete Frau von Boxberg in Dresden aus dem Nachlaß des ,. Rochlitz. Alle diese Blätter bezeichnet der Director des Museums, Geheime, Hofrath Dr. Roland als zu dem besten gehörig, was wir von Goethe in dieser Beziehung be— sitzen. Auch an Porträts ist der Besitz des Museums erheblich vermehrt worden. Eine Miniatur Goethe's von dem Maler von Bosse ward
läßlich des goldenen Ehejubiläums verehrt und von diesem dem Museum überwiesen, ebenso in gleicher Veranlassung von der Großherzogin eine Gabe des Geheimen Regierungs⸗Raths, Professors Dr. Sauppe in Göttingen, nämlich eine Zeichnung, die Goethe in Hut und Frack, wie er 1 in Weimar zu tragen pflegte, darstellt. Maler Werner in Leipzig chenkte ein Miniaturbild Corona Schröter's, Meyer ⸗Cohn in Berlin das einzige vorhandene Porträt des jungen Jerusalem, die Goethe⸗ Gesellschaft drei Original⸗Silhouetten Goethe's, Herder's, Wieland's aus den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts.
— Die Schwedische medizinische Gesellschaft hat von ar Gelehrten den Wirklichen Geheimen Rath Dr. von Helmholtz, die Geheimen Medizinal⸗Räthe Professoren Dr. Virchow und Dr. du Bois⸗Reymond, sowie die Professoren von Kölliker und Ludwig, ferner die Franzosen Charcot und Pasteur und den Eng⸗ länder Lister zu Ehrenmitgliedern ernannt.
Land⸗ und Forstwirthschaft.
Uebersicht der Studirenden an den landwirthschaftlichen Akademien während des Winter-Semesters 1892/93.
früheren Semestern
Bezeichnung der Akademien
tudirende
Studirende zusammen
S
— 3 8
S
aus Hospitanten
eingetretene
— — —
Landwirthschaftliche Hochschule zu U,, Landwirthschaftliche Akademie zu Poppelsdorf. kö
zusammen 5 ! 49
Von den 638 Studirenden sind:
aus der Provinz Ostpreußen Westpreußen ... Brandenburg (Berlin) Pommern . Posen. Schlesien . Sachsen K Schleswig⸗Holstein Hannover. . Westfalen Hessen⸗Nassau Rheinland Hohenzollern . aus Preußen zusammen ... aus den übrigen deutschen Staaten zusammen ⸗ J aus Deutschland zusammen. rende, aus dem Auslande zusammen. . 2 J zusammen wie oben. 638 Studirende.
) Außerdem nehmen an den Vorlesungen und Uebungen der Landwirthschaftlichen Hochschule zu Berlin theil: 9 Studirende der Universität und 109 Studirende der Thierärztlichen Hochschule inel. Militär⸗Roßarztschule zu Berlin, zusammen 118 Studirende. Die Trequenz von Berlin beträgt mithin überhaupt (447 4 118) — 565 Studirende, und von beiden Instituten (665 4 191) — 756 Studirende.
Studirende,
. . 2 9629 d dẽẽ SeCOcos 8 —
— —
Stand der Wintersaaten in Frankreich.
Der in dem „Journal officiel! vom 14. d. M. veröffentlichten Uebersicht über die Anbauflächen und den Stand der Wintersaaten in Frankreich zum 15. v. M entnehmen wir folgende Angaben:
Weizen. In 14 Departements ist die mit Weizen bestellte Fläche um 5 bis 20 0,ο, in 11 um 1 bis 4 dGο größer als im Vor⸗ jahr, in 34 gleich der vorjährigen, in 2 um 1 bis HM kleiner und in 5 um 8 bis 20 0½ kleiner als im Vorjahre.
Der Stand der Saaten ist in 28 Departements sehr gut, in 50 gut, in 7 ziemlich gut und in 2 genügend.
Roggen: Die mit Roggen bebaute Fläche ist in 11 Departe⸗ ments um 5 bis 15½, in 6 um U bis 3 do größer als im 8. 1892, in hl gleich der vorjährigen, in 13 um 2 bis 5 o und in 4 um 10 bis 400. kleiner als im Vorjahre.
Der Stand der Saaten war in 40 Departements sehr gut, in 39 gut, in 5h. ziemlich gut und in einem genügend.
Anmerkung. Zur Feststellung des Saatenstandes dienten folgende Zahlen: 100 — sehr gut, 80 — gut, 60 ziemlich gut, 50 — genügend, 30 — mittelmäßig und 20 S schlecht.
Maisernte in Egypten. Abngestellten Schätzungen zufolge stellt sich das Ergebniß der dies« jährigen Maisernte in Egypten 4 75 o einer Mittelernte.
Die Zeitschrist Das Pferd‘ (Verlag: Friese u. von Putt kamer, Dresden) wird seit dem neuen Jahre von dem hippologischen Schriftsteller und Pferdemaler Major a. D. Richard Schoenbeck, Berlin⸗Friedenau, geleitet und erscheint jetzt wöchentlich textlich be⸗ deutend , . und illustrirt. — Die ersten beiden Nummern zeigen Reichhaltigkeit des Stoffs, 3, Zusammenstellung und vornehme Ausstattung. Aus dem Inhalt heben wir hervor: Der Trabrennsport in Deutschland. — Zum Distanzritt Wien — Berlin. Von Rich. Schoenbeck. — „ Naney Hanks“ die nordamerikanische Traber ˖ königin. Mit Abb.) — Zur . der Vollblutzucht von Hippophilus, London. — Für die Praxis. (Mit Abbildung. — Hippischer Humor. . Abbildung.) — Vollblutpferde als Gebrauchspferde. Von
berst LZieutenant a. D. von Sanden. — Ueber die Berathungen der technischen Commission für Trabrennen. — Zu unserer Abbildung. Mr. James Fillis auf „Markier“ in der Pag auf 2 Hufschlägen von links nach rechts. — Vollblutzucht und Rennsport. — Trabrenn« sport. — Veterinärwesen. — Umschau. — Literatur und Kunst.
Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ Maßregeln.
Cholera.
Halle a. S, 18. Januar. Der „Halleschen Zeitung“ zufolge war in der benachbarten Provinzial Irrenanstalt zu Nietleben in den letzten beiden Tagen eine epidemieartige Krankheit aufgetreten, an der bis gestern acht Personen verstorben waren. Obwohl während der letzten Nacht sieben weitere Todesfälle in der Irrenanstalt vor⸗ gekominen sind, hat die bakteriologische , doch ergeben. daß es sich nur um Cholera nostras und Brechdurch fall handelt. Die große Zahl der Todesfälle und der schnelle Verlauf
meldet, sind heute früh auf 13 Zechen im ganzen 3600 Mann aus. ständig. Vollzählig angefahren find die Belegschaften von „Heinrich
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von der Besitzerin, Frau Hillebrand in Florenz, dem Großherzog an⸗
erklären sich wohl daraus, daß die Kranken die Nahrung sehr hastig