mobiliare Vermögen, auf das Netto und Reineinkommen, und daß dabei diese Maßregel nicht eine Maßregel des Tages ist, sondern der gesammten Entwickelung unseres Steuerwesens, der richtigen Vertheilung unserer Steuern zwischen Staat und Commune an sich in vollem Maße entspricht.
Nun, da haben Sie die Grundzüge der ganzen Steuerreform. Glauben Sie nun nicht, daß ich auf diese Uebereinstim⸗ mung irgendwie Werth lege, denn da ich nicht zu den⸗ jenigen Menschen gehöre, die stolz darauf sind, nichts zu vergessen und nichts zu lernen, gern jeden Augenblick bekennen würde, daß ich die Dinge als Minister mit all den Hilfsmitteln, die uns jetzt zu Gebote stehen, anders ansehe, wie hier und da als Abgeordneter, wo mir diese Hilfsmittel nicht zu Gebote stehen, so würde ich nicht das geringste Bedenken haben, einzugestehen, daß ich eine bestimmte Frage jetzt anders betrachte als früher (Sehr gut! rechts), und ich rühme mich daher dieser zufälligen Uebereinstimmung in keiner Weise.
Soviel über meine Person. Ich komme jetzt auf die Sache. Der Herr Abg. Rickert hat einen Ausspruch von mir im vorigen Jahre, der dahin ging:
Wir dürfen nicht immer auf eine Vermehrung der Einnahmen sehen, sondern wir müssen unser Augenmerk auch darauf richten, möglichst eine Ersparung in den Ausgaben eintreten zu lassen,
in Beziehung gebracht zu den heutigen Fragen des Reicht. Diese Beziehung muß ich ablehnen, und die eigenen Anschauungen, die der Herr Abg. Rickert uns hier dargelegt hat über die preußischen Finanzverhältnisse, werden hoffentlich auch ihn dahin bringen, sich klar zu machen, daß dieser Ausspruch für die im Reich zu entscheidenden Fragen in keiner Weise von Bedeutung ist. Denn, wenn im Reich 50, 60 Millionen Mehr⸗ ausgaben bewilligt werden, dann ist es allerdings an der Zeit, auch die Einnahmen dafür zu sichern, und es ist nicht zulässig, daß gerade gegenüber der gegenwärtigen Lage Preußens das Reich lediglich sich begnügt, Ausgaben zu bewilligen, aber um die Einnahmen sich nicht kümmert und die Ausgaben lediglich auf die Einzelstaaten überweist. Ich möchte also den Herrn Abg. Rickert dringend bitten, wenn auch wider seinen Wunsch und Willen eine Ausgabevermehrung im Reich eintritt, daß er im Interesse der preußischen Finanzen dafür mitwirken möchte, daß im Reich die entsprechenden Einnahmen auch bewilligt werden.
Meine Herren, dann hat der Herr Abgeordnete einen Ausspruch gethan, von dem ich fürchten müßte, er könnte mißverstanden werden. Ich gehe auf die Erörterung der Frage einer anderweiten Organisation der Reichsbehörden nicht ein; nach meiner Meinung gehören diese Fragen in den Reichstag (Sehr richtig! rechts und nicht in den Landtag. Ebensowenig gehe ich ein auf die Frage der Zollpolitik und der Handelsverträge; darüber können wir uns hier wohl unterhalten, wie man sich privatim unterhält; aber wirksam und praktisch sind solche Unterhaltungen hier im Abgeordnetenhause nicht, und ich wenigstens als Minister würde nicht in der Lage und auch nicht be⸗ rechtigt sein, hier darüber einseitige Erklärungen oder Bemerkungen zu machen. Nun hat aber der Herr Abg. Rickert gesagt: „Ich habe nichts dagegen, wenn es dem Finanz⸗Minister gelingt, das Reichs⸗ Schatzamt in seine Hände zu bringen.“ Das könnte so aussehen, als
wenn ich diesen Wunsch hätte, und ich möchte doch ganz bestimmt, sowohl aus persönlichen als sachlichen Gründen, einen solchen Wunsch meinerseits ablehnen, um Mißverständnisse in dieser Beziehung zu vermeiden.
Der Herr Abg.
Rickert hat gesagt: „Die Eisenbahnen dürfen nicht einseitig fiscalisch verwaltet werden; die Steuern dürfen aber nicht vermehrt werden, die Ausgaben dürfen nicht be⸗ schränkt werden, im Gegentheil, für die große Culturentwicklung müssen sie noch immer weiter steigen. (Heiterkeit, Ja, das ist eben die alte Politik, die diese Herren haben. (Sehr richtig! rechts) Daraus wird man aber nicht klüger. (Heiterkeit rechts) Wir wollen von den Herren Rath haben; sie sollen uns zeigen, wie sie es wünschen. Wenn die Eisenbahnen nicht mehr Einnahmen bringen sollen, wenn die Betriebsverwaltungen dazu keine Aussicht geben, wenn die Steuern nicht erhöht werden dürfen, die Ausgaben aber steigen sollen, so ist das ein Programm, welches zu erfüllen ich meinerseits mich unfähig erkläre. (Heiterkeit)
Ich möchte nun noch ein Wort sagen, nicht um meine Bitte an Sie, den Ernst der finanziellen Situation Preußens sich sehr scharf vorzuhalten, irgendwie abzuschwächen, wohl aber, um meine Auffassung, daß man doch nicht allzu pessimistisch die preußische Finanzlage an— sehen dürfe, gegenüber den Ausführungen des Herrn Abg. Kieschke noch einigermaßen weiter zu beleuchten. Der Herr Abgeordnete sagte: unsere Betriebsverwaltungen können überhaupt nichts mehr aufbringen, sie sind am Rande. Ich weiß nicht, warum denn gerade in diesem Augenblick dies Ende der Entwickelung der Ueberschüsse der Betriebs⸗ verwaltungen eingetreten sein sollte. Bisher haben wir immer das Gegentheil gesehen, und ich will Ihnen die Beweise dafür liefern. Er hat gesagt, die Forsten können keine neuen Mehreinnahmen mehr geben. Nun betrugen aber die Nettoeinnahmen der Forsten im Jahre 1880,81 22 Millionen und im Jahre 1891/92 31 Millionen. Warum sollen nun die Nettoüberschüsse der Forsten plötzlich stehen bleiben? Diese Vermehrung beruht auf den großen Verwendungen, die wir für die Forsten gemacht haben, auf den Ankäufen, auf der besseren und intensiveren Cultur und der Herstellung zweckmäßigerer Wegeverbindungen, Ablösung von Servituten u. s. w. u. s. w. Wir haben bei diesen Betriebsverwaltungen wirklich meliorirt aus den eigenen Einnahmen der Betriebsverwaltung. Die alten Betriebs⸗ verwaltungen, die der Staat von jeher gehabt hat, sind in dieser Be⸗ ziehung vorsichtiger verwaltet als die neuen Betriebsverwaltungen.
Ebenso ist es aber auch mit den Bergwerken. Die Bergwerke brachten einen Nettoüberschuß im Jahre 188081 von 14 Millionen, im Jahre 1891/9979) von 23 Millionen, und das sind keine extraordinären Jahre — solche habe ich garnicht ge⸗ nannt —, sondern wie bei den Forsten ist ein stetiges Steigen der Nettoüberschüsse, und das kommt auch daher, weil wir unser Bergwerkswesen unendlich verbessert haben, weil wir jahraus jahrein sehr bedeutende Verwendungen für die Bergwerke gemacht haben. Diese Verwendungen kommen uns in steigendem Maße zu gute, und das ist ganz naturgemäß. Hier haben wir ein Object, welches nicht bloß stets werthvoller geworden ist, sondern auch fort⸗ fahren wird, stets werthvoller zu werden, von Schwankungen in den Ueberschüssen abgesehen. .
Meine Herren, ich komme nun auf die Eisenbahnen, und da habe ich bisher immer vermißt, daß man bei Beurtheilung der Bedeutung
unserer Eisenbahnen nicht stets zwei Zahlen gegeneinander gehalten hat: die Ueberschüsse der Eisenbahnen und die Vermehrung der Aus⸗ gaben für die Schuldenverwaltung. Im Jahre 1880/81 hatten wir nach der Rechnung an Ueberschüssen der Eisenbahnen 102 Millioenen; im Jahre 1891/92 nach der Rechnung 313 Millionen, das macht eine Steigerung von 211 Millionen Nettoüberschuß. Das steckt keineswegs bloß in der Vermehrung der Bahnen, die Netto⸗ überschüsse bei vielen Kilometern brauchen an sich nicht höher zu sein als bei einer geringeren Kilometerzahl. Jetzt werde ich Ihnen die Verhältnisse der Ausgaben dagegen halten bei der öffentlichen Schuld. Da haben wir im Jahre 1880/81 eine Ausgabe von 79 Millionen, im Jahre 189394 — also ich nehme das bisher un⸗ günstigste Jahr — etatisirt 275 Millionen, macht eine Steigerung von 197 Millionen gegenüber 211 günstiger bei den Bahnen. Nun aber stecken in dieser Summe doch auch noch etwa 40 Millionen Schuldentilgungen, die hier mit berechnet sind, die müssen wir also uns noch weiter zu gute rechnen. Man sieht also, daß trotz alle⸗ dem doch noch die Eisenbahnen sich günstig entwickelt haben für unseren Etat im Verhältniß zu der wesentlich durch sie bedingten Erhöhung unserer Schuldenlast. Es wäre allerdings auch traurig, wenn es anders wäre, — wenn das gesammte Eisenbahnnetz theilweise unter so günstigen, theilweise allerdings, namentlich was die letzten Bahnen betrifft, unter weniger günstigen Bedingungen erworben, wo auch vieles nicht den Eisenbahnen zur Last gerechnet wird, was ihnen eigentlich zur Last fallen müßte — ich halte mich hier bloß an die Zahlen des Etats, die wirthschaftlich nicht ganz richtig sind — wenn, sage ich, ein solcher Complex in der Hand der Staatsverwaltung wirklich nicht mehr als 350,0 aufbrächte, genau so viel, wie Schulden dafür contrahirt sind.
Ich sage es deswegen so scharf, weil der Herr Abg. Hammacher dagegen protestirt, daß die Eisenbahnen überhaupt als Finanzquelle benutzt würden. Lassen Sie mich hierüber ein Wort sagen. Der Herr Abg. Hammacher setzte uns nach meiner Meinung mit vollem Recht auseinander, daß der Hauptfehler — und darin stimmen der Abg. Freiherr von Zedlitz und verschiedene andere Redner mit ihm überein —, den wir möglicherweise in der Ver⸗ gangenheit gemacht haben, darin liegt, daß wir zuviel dauernde Aus— gaben statt auf die Steuern, auf die Betriebsverwaltungen geworfen haben, und er sagt, das wäre verkehrt gewesen. „Sehr richtig!“ würde ich als Abgeordneter ihm zurufen. Aber es ist einmal ge⸗ schehen, und die Alternative bleibt nun: entweder müssen wir suchen, die Ueberschüsse unserer Betriebsverwaltungen zu erhöhen, oder wir müssen die Steuern erhöhen, oder aber wir müssen dauernd im Defieit stecken bleiben. So ist die Lage der Sache. Ist dies richtig, so kann mir heute weder die Eisenbahnverwaltung — denn auch sie hat mitgewirkt — noch das Abgeordnetenhaus sagen: es soll unter keinen Umständen die Eisenbahnverwaltung mehr bringen, als die Zinsen der Schulden betragen, die dafür contrahirt sind. Was machen denn die Communen? Haben sie nicht auch aus ihren Werken Ueberschüsse, aus den Gasanstalten, selbst aus den Wasserleitungsanstalten, aus den Trambahnen? Geniren sich denn die Communen, aus diesen Betriebsverwaltungen auch einige Ueberschüsse zu nehmen? Ich glaube nicht, und ich sehe nicht ein, daß der Staat in dieser Beziehung absolut enthaltsamer sein soll, als jeder andere. Könnte er es anders machen ohne zu starke Heranziehung der Steuerkräfte des Landes, so wäre das ja vielleicht ganz angenehm; wir sind aber augenblicklich dazu nicht in der Lage. Deswegen sage ich: wir müssen allerdings versuchen, ob wir nicht die Ueberschüsse der Be—⸗ triebsverwaltungen, auch selbst abgesehen von der heutigen, durch den Rückgang der Industrie herbeigeführten plötzlichen und hoffentlich vor⸗ übergehenden Verminderung, dadurch erhöhen können, daß wir alle Maßnahmen unterlassen, welche eine Verminderung der Nettoüber— schüsse bewirken könnten, und zweitens versuchen, die Nettoüberschüsse zu erhöhen, indem wir etwa mögliche Ersparungen bei Sachen, die nicht unbedingt nöthig sind, in den Ausgaben ins Werk setzen. Ich habe als Finanz⸗Minister gar kein Interesse daran, wenn die Eisen⸗ bahnverwaltung Ausgaben, die doch gemacht werden müssen, verschieben wollte von einem Jahr aufs andere; denn da kommt der hinkende Bote immer nach; das kann mir nichts nützen. Aber man wird — und ich hoffe, daß es den dahin gehenden Wünschen und Bestrebungen der Eisenbahnverwaltung gelingen wird, — doch ernstlich prüfen müssen, ob wir nicht auch dauernde Ersparungen nament⸗ lich durch Organisationsveränderungen und Veränderungen in den Verkehrsverhältnissen herbeiführen können. Ich wollte dies nur be— tonen, damit man nicht von vornherein diese Frage, wie dies der Herr Abg. Hammacher zu thun schien, einfach bei Seite schiebt. Dies ist doch eine Frage, bei der vielleicht doch für die Entlastung der all— gemeinen Landesfinanzen etwas herauskommt, ohne daß man den großen Culturaufgaben der Eisenbahnverwaltung irgend wie entgegenzutreten braucht. Im einzelnen kann ich ja diese Fragen nicht beurtheilen, das ist Sache meines Herrn Collegen, ich kann sie auch nicht durchführen, das ist Sache meines Herrn Collegen, höchstens kann ich Gesichtspunkte anregen und Wünsche aussprechen; ihre Prüfung und Entscheidung muß ich in dieser Be— ziehung dem Herrn Ressort-Minister in allen Beziehungen überlassen.
Meine Gesammtanschauung über die preußische Finanzlage habe ich ganz offen in der ersten Etatsrede dargelegt. Ich bleibe auch heute auf demselben Standpunkt stehen; ich wünsche, daß nicht bloß der Landtag den vollen Ernst der Sache sich klar macht, sondern auch das ganze Land. Ich halte es überhaupt für gut, wenn die Ueber⸗ zeugung nicht bloß in der Staatsverwaltung, sondern auch in den Communalverwaltungen aller Art, vielleicht auch bei den Privaten um sich greift, immer mehr herrschend wird, daß wir im großen und ganzen wohl in der Steigerung der Ausgaben aller Art in den letzten Jahren zu weit gegangen sind. (Be—⸗ wegung) Das ist vielfach von oben nach unten gegangen, und es ist ganz nützlich, wenn man auf allen Gebieten, nicht bloß auf dem Gebiete der Eisenbahnen anfängt, jeden Luxus und jede ver⸗ meidliche Ausgabe wenigstens einzuschränken. Ich stehe ganz auf dem Standpunkt, daß der Staat noch eher in der Lage ist, schwierige Zeiten zu überdauern, als der Einzelne, und daß es nicht richtig sein würde, Verwendungen und Ausgaben, die der Staat in den nächsten Jahren doch machen muß, gerade in so bedrängter augenblicklicher Lage nicht zu machen; aber daß wir im großen und ganzen etwas ge⸗ ringer in unsern Ausgaben und Verwendungen werden auf allen Ge— bieten und bei allen Klassen, das kann in keinem Falle schaden.
Wenn wir aber das thun, und wenn wir uns auch nicht scheuen,
diejenigen Einnahmevermehrungen zu machen, die wir erreichen können,
ohne das Land zu schädigen, die aber nothwendig sind, um den dauernden Stand unserer Finanzen zu erhalten, auf welchem von jeher die Blüthe Preußens beruht hat, dann sehe ich mit Vertrauen trotz allem in die Zukunft. Aber wir bedürfen eines planmäßigen und con sequenten Vorgehens, wir dürfen uns nicht verleiten lassen zu dauernden Ausgaben bei plötzlich uns zuströmenden großen, aber nicht dauernden Einnahmen; wir müssen nach einem festen, klaren Plan handeln, und sofern wir uns selbst nicht zutrauen in der Verwaltung und in der Berathung hier im Hause, daß wir in jedem Jahre voll—⸗ ständig uns dieser Anschauung bewußt sind, dann müssen wir uns selbst durch Gesetze die erforderlichen Schranken stellen, und ich glaube auch, eine solche gesetzliche Ordnung wird schließlich herauskommen, wenn auch damit kein augenblicklicher Erfolg zu erreichen ist. (Bravo!)
Abg. von Eynern (al.): Der doppelte Steuersatz bei der Branntweinsteuer war nothwendig im Interesse der kleinen Brenne⸗ reien; darüber schweigt aber der fortschrittliche Agitator. Daß das Eisenbahngarantiegesetz gegen unsern Willen verändert worden ist, ist uns doch nicht zum Vorwurf zu machen. Die Unzufriedenheit, die im Lande herrscht, ist nicht in Folge der Einkommensteuer ent⸗ standen, sondern wendet sich mehr gegen die Folgen der Vermögenssteuer. Die Schilderung der preußischen Finanz⸗ verhältnisse durch den Abg. Kieschke war doch etwas zu schwarz. Wir sind stolz darauf, daß unsere Eisenbahnen unsere Schulden decken, daß Domänen, Forsten und Bergwerke schuldenfrei sind. Der Abg. Kieschke meint nun, unsere Eisenbahnen seien garnichts werth, weil der Feind sie zerstören könne. Dann wären die Forsten auch nichts werth, weil ja die Franzosen 1870 den Schwarzwald mit Petroleum begießen und niederbrennen wollten. Dann ist das Geld, welches der Abg. Kieschke in der Tasche trägt, auch nichts werth, denn ein Taschendieb kann es ihm auf einem Spaziergang Unter den Linden stehlen. Wenn wir uns so einschränken wollten, wie der Abg. Kieschke es will, woher sollte denn noch Verdienst im Lande kommen? Das würde ja zur allgemeinen Ver— armung führen. Die Finanzen sind doch noch nicht so schlecht, wenn wir 19 Millionen Mark für den Dom und 14 Millionen Mark für die Ablösung der Stolgebühren bewilligen konnten; diese Ausgaben hätten doch wohl sonst noch ein paar Jahre warten können. Der preußische Staat ist ein Großunternehmer, ein Großkaufmann, wie es sonst in der Welt keinen giebt. Wenn der mit seinen großen Be⸗ triebsverwaltungen sich nach einzelnen schlechten Jahren einrichten wollte, so wäre das sehr unrichtig. Er muß wie jeder große Unter— nehmer immer nach größeren sich ausgleichenden Perioden rechnen. An die Erhöhung der Personentarife zur Vermehrung der Einnahmen könnte man denken, wenn man wirklich zu billig fährt, sodaß die Kosten nicht gedeckt werden. Auch an eine Erhöhung der Gütertarife könnte man denken, obgleich dadurch leicht der Verkehr beeinträchtigt wird. Eine solche Vermehrung der Staatseinnahmen wäre besser, als eine Vermehrung der Lotterieloose. Die Arbeiterschutzgesetzgebung ist bei uns zu weit vorgeschritten. Fürst Bismarck hat immer erklärt, daß sie nur bei internationalen Abmachungen durchgeführt werden könnte. Dank hat die Regierung für die große Milde gegenüber den Arbeitern nicht geerntet, das beweisen die Vorgänge in Saar— brücken. Die fremden Regierungen haben ihre Vertreter hierher geschickt; die Vertreter waren sehr höflich, aber die anderen Staaten haben unser Beispiel nicht nachgeahmt. Welche unendliche Belastung legt die Invalidenversicherung nicht der Industrie auf, so daß fast kein Gewinn mehr erzielt wird, sondern nur die Arbeiter beschäftigt werden! Wenigstens sollten die deutschen Eisenbahnverwaltungen dann auch ihren Bedarf in Deutschland decken lassen, aber die Eisenbahn⸗ Directionen haben mehrfach aus dem Auslande Schienen bezogen. England und Belgien beziehen ihr Eisenbahnmaterial ausschließlich aus dem Inlande. Die Eisenbahnen verlieren dadurch die Fracht für die Rohmaterialien und für die Schienen, die deutschen Arbeiter den Arbeitslohn. Redner führt einige Berechnungen über einzelne Fälle aus Magdeburg und Bromberg an. Die deutsche Marine fährt jetzt mit englischen Kohlen; durch diesen Abschluß gehen der deutschen Arbeit 600 000 Me Löhne verloren. Der Abschluß ist nicht aus drin— genden Ursachen erfolgt, sondern lediglich, weil das Angebot vom Kohlenausfuhrverein ausgegangen war, während die Verwaltung nur aus erster Hand und nicht vom Händler kaufen wollte. Der Kohlen ausfuhrverein ist kein Händler. Die Verwaltung hat nachher aus dritter Hand von Hamburger Händlern gekauft. Ich glaube nicht, daß es besonders mit Stolz erfüllen kann, wenn die deutsche Flotte von englischer Kohle bewegt wird. Ferner wird ein großes Quantum hölzerner Schwellen verbraucht, viermal mehr als eiserne Schwellen, trotzdem der eiserne Oberbau sich immer mehr bewährt hat. Diese hölzernen Schwellen werden fast ausschließlich von Rußland bezogen. Auch hier könnte für die deutsche Arbeit etwas geschehen. Wenn der Eisenbahn-Minister jetzt die ihm gegebenen Credite benutzte, um der Industrie Verdienst zuzuwenden, so würde das nicht ohne Einfluß auf die wirthschaftlichen Verhält= nisse bleiben. Gerade jetzt sollte der preußische Staat die Vor— bestellungen machen für spätere Zeit. Sonst drängen sich nachher di Anforderungen der staatlichen Verwaltung wieder plötzlich hervor und rufen den großen Börsenschwindel hervor, den wir schoön einmal erlebt haben. Wenn hier herzhaft und frisch angefaßt wird, dann wird die trübe Stimmung im Volke verschwinden und die Sonne eines besseren Tages aufgehen.
Der Etat wird mit Ausnahme einiger Posten der Budgeteommission überwiesen, die nach dem Antrag Lieber zum Zwecke der Vorberathung des Etats der Eisen— bahnverwaltung um sieben Mitglieder verstärkt werden soll.
Schluß 4 Uhr.
Statiftik und Volkswirthschaft.
Die Kohlenvorräthe der europäischen Staaten, insbesondere Deutschlands, und deren Erschöpfung, von R. Nasse, Geheimem Bergrath und vortragendem Rath im Ministerium für Handel und Gewerbe.
Berlin 1893. Puttkammer u. Mühlbrecht. Die Frage nach dem Zeitpunkt der Erschöpfung der Kohlen—
vorräthe läßt sich nicht erörtern, ohne daß die Menge der vor—⸗
handenen Kohlenvorräthe zuvor festgestellt worden ist. Hinsichtlich derjenigen Kohlenschätze, welche am frühesten industrielle Bedeutung er⸗ langt haben, nämlich der englischen, hat man bekanntlich vor etwas länger als zwanzig Jahren eine solche Feststellung durch eine aus Sach verständigen gebildete parlamentarische Commission vornehmen lassen. In Deutschland fehlte es bisher an einer folchen einheitlichen Ermittelung. Es gab wohl Schätzungen der Kohlenvorräthe der einzelnen Becken, sie waren jedoch meist privater Natur und beruhten daher auf sehr ungleichartigen, vielfach sogar unrichtigen Vor, aussetzungen. Zu einem Vergleich mit anderen Ländern war das Material durchaus ungeeignet. . Diesem Mangel ist, wie wir gus der vorliegenden Abhandlung erfahren, jetzt dadurch abgeholfen, . Jahre 1599 die preußischen Ober. Bergamter von dem Ressort-Minister beauftragt worden sind, die Kohlenvorräthe ihrer Bezirke zu ermitteln. Aehnliche Unter⸗ suchungen wurden zu gleicher Zeit im Königreich Sachsen vorgenommen. Der Verfasser der nicht bloß für den Fachmann. interessanten Abhandlung hat die Voraussetzungen und Ergebnisse dieser Ermitte⸗ lungen in lichtvoller Form näher besprochen und benutzt, einmal, um sowohl den Reichthum der deutschen Kohlenbecken unte einander wie auch die deutschen Vorräthe mit denen der übrigen europäischen Staaten zu vergleichen, sodann aber auch, um Betrachtungen über die Daner der Erschöpfung der Kohlenschätze der einzelnen Lander anzustellen. ö. Nach diesen Betrachtungen würde die Erschöpfung der he, ö porräthe in Europa, von Rußland wird dabei abgesehen, zuers⸗
gde , hagen, Frankreich und Belgien, und zwar spätestens nach 500 Jahren, dann in Großbritannien und zuletzt in Deutsch⸗
land eintreten. . .
Daß die nordamerikanischen Kohlenlager für eine längere Zeit aushalten werden, als die europäischen, erscheint dem Verfasser übrigens nicht wahrscheinlich.
Dieses nicht nur für die Zukunft der Industrie wichtige Ergebniß verdient die größte Beachtung; es widerlegt wirksam die schon viel⸗ fach ausgesprochene Befürchtung, daß der Kohlenvorrath Europas und insbesondere auch Deutschlands in nicht zu ferner Zeit zu Ende gehen und damit eine in ihren i gar nicht zu übersehende Ver⸗ schiebung in den Cultur⸗ und Machtverhältnissen der bewohnten Erde eintreten werde.
Zur Arbeiterbewegung.
Der Bergarbeiterausstand im Saarrevier gilt als beendet, da gestern, von den Abgelegten abgesehen, die Belegschaft vollzählig angefahren ist; 200 am Mittwoch noch ausständige Püttlinger (1. Infpection Louisenthal), die gestern zur Anfahrt erschienen, sind bis zum 1. Februar zurück⸗ gewiesen worden. — Der Ausstand im Ober⸗Bergamtsbezirk 6 nd ist nunmehr auf ein ganz unbedeutendes Maß zurückgegangen. Gestern herrschten noch Theilausstände auf 26 Zechen, aber die Gesammtzahl der Ausstän⸗ digen wurde nur noch auf 7654 angegeben, unter denen sich nach der „Köln. Ztg.“ mindestens 4000 Bergleute befinden, die anfahren wollen, aber für einige Tage abgelegt sind. Vollständig beendet wurde der Ausstand gestern wieder auf vier Zechen, während auf keiner neuen Stelle Ausstände eintraten.
Vom heutigen ö. liegen aus Ausstandsgebiet folgende Meldungen vor:
Im Saarrevier wurden, wie die „Saarbr. Ztg.“ mittheilt, während des Ausstandes 242 209 Schichten versäumt, was einem Lohne von 925 000 S entspricht. — Der nach Unterschlagung von 2245 M6. Vereinsgelder flüchtig gewordene ehemalige Bergmann Berwanger ist verhaftet worden.
Im Essener Revier sind nach der Rhein. Westf. Ztg.“ heute insgesammt gegen 2000 Mann nicht angefahren. Vollzählig ge⸗ arbeitet wird auf den Zechen ‚Borussia“, „Wiendahlsbank“, „Louise Tiefbau“ und „Prosper 15.
Daß der Bergarbeiterausstand im Saarrevier und in Westfalen in Schlesien keine Nachfolge findet, erhellt . aus folgender Nachricht der „Köln. Ztg.“ aus Walden⸗
urg:
gi einer großen Bergarbeiter⸗Versammlung in Herms⸗ dorf wurde vor Nachahmung der Ausstände der Bergleute im Westen gewarnt. Gleiches geschah dieser Tage von den Vorständen der Knappenvereine.
Hier in Berlin fanden gestern vier von den Soeial— demokraten berufene Versammlungen von Arbeitslosen statt, die nach dem Bericht des „Vorwärts“ sehr zahlreich be⸗ sucht waren. Es sprachen die socialdemokratischen Reichstags⸗
bgeordneten Bebel, Dreesbach, Liebknecht und Singer, die eine gleichlautende Resolution in allen Versammlungen empfahlen. Nach der in den üblichen Wendungen abgefaßten Einleitung richtet die Resolution, die überall zur Annahme ng an die Behörden in Reich, Staat und Gemeinden das Verlangen, der Arbeitslosigkeit zu steuern durch Inangriff— nahme von Arbeiten im allgemeinen Interesse und durch Ver— kürzung der Arbeitszeit.
In Breslau haben nach dem „Vorwärts“ 28 Arbeiter der Flügelpumpenfabrik von Albert Knauth die Arbeit wegen ,, eingestellt.
Der Ausstand der Weber bei der Firma Wiehagen u. Co. in Hückeswagen wird von der Strikecommission als erledigt bezeichnet. Die Weber sind theils wieder bei dieser Firma, die von einem Theil der Lohnkürzungen absieht, theils an anderen Stellen beschäftigt. (Vgl. Nr. 295 d. Bl.)
Hier in Berlin ist die von der socialdemokratischen Organisation über die Mauff'sche Schuhfabrik verhängte Sperre aufgehoben worden. (Vgl. Nr. 277 u. flgd. d. Bl.)
In Roubaix ist, wie ein Telegramm des ‚H. T. B.“ mittheilt, in mehreren Tuchfabriken ein großer Strike ausgebrochen. Ganz besonders thun sich bei diesem Strike die Arbeiterinnen hervor, die ö. ihre nicht strikenden Colleginnen Nachmittags am Eingange der Fabriken thätlich angriffen.
dem Bergarbeiter⸗
Literatur. Geschichte.
Von den Publikationen aus den Königlich preußischen Staats-Archiven ist soeben (bei S. Hirzel in Leipzig) der 51. Band erschienen (Preis 18 „S ), welcher das hessische Urkunden⸗ buch, zweite Abtheilung, und das Urkundenbuch zur Geschichte der Herren von Hanau und der ehemaligen Propinz Hanau, von
Reimer, zweiter Band, enthält. Von den Urkunden sind manche nur im Auszug gebracht und als Anmerkung oder als Anhang gleich⸗ artiger Urkunden beigefügt worden. R., Der Große Kurfürst und Moxitz von Nassau der Brasilianer. Studien zur brandenburgischen und holländischen Kunstgeschichte von Dr. Georg Galland. Frankfurt a. M., Heinrich Keller, 1393. Pr. 4 6 — Dieses Buch schildert die Pflege der Kunst unter der Regierung des Großen Kurfürsten. Obgleich Friedrich Wilhelm unsägliche Mühe hatte, die materielle Lage seiner durch den 30 jährigen Krieg schwer betroffenen Unterthanen zu heben, so verlor er doch dabei nie die Sorge für die höchsten geistigen Ster des Lebens, für Kunst und Wissenschaft aus den Augen. Da sein eigenes Land vor der Hand unfähig war, be⸗ deutende Künstler hervorzubringen, so bemühte er sich, tüchtige Kräfte aus dem Auslande nach Brandenburg zu ziehen. Dabei wiesen ihn Bande der Verwandtschaft und der Politik vornehmlich auf Holland hin, von wo er zahlreiche Künstler nach feiner Heimath führke. Ju statten kam ihm dabei, daß ein vornehmer holländischer kunstverstän⸗ diger Beamter, Moritz von Nassau, in seine Dienste trat, und ihn mit seinen auf weiten Reisen erworbenen Kenntnissen in diesen Be— strebungen unterstützte. Galland schildert eingehend die Thätigkeit des reichen Grafen, der namentlich Clebe durch Bauwerke und Garten⸗ anlagen verschönerte, daneben allerlei Sammlungen anlegte und den Kurfürsten mit zahlreichen niederländischen Bildhauern und Malern be⸗ lannt machte, denen die Mark manches Kunftwerk verdankt. Ferner belehrt unt der Verfasser Über die Pflege der Kunst am Kurfürstlichen Hofe selbst, über den Ünterricht der Prinzen im Zeichnen und Malen, und endlich beschreibt er zahlreiche Kunstwerke des 17. Jahrhunderts, die er uf ihren Urheber hin i, , — Der Inhalt des Buchs ist somit fehr mannigfach und reichhaltig, nur läßt die Disposition zu wünschen übrig.
tk. Allgemeine Geschichte des Alterthum. Von He nt ig Welzhofer. Dritter Band. Geschichte des Orients und Höriechenlands im 6. Jahrhundert v. Chr. Berlin, Oswald Seeha en. h R. Pr. 4 66 — Die in dem vorliegenden Bande behandelte eit bereit den großen Kampf zwischen Eurspa und Asien vor, der in en 2 der Perser und Griechen von Miltiades bis Alexander ie er en wurde,. In Asien ging um die Wende des 7. Jahr= hundertg das assyrische Reich in Trümmer: Ninive wurde zerstört, 6 aus den unterworfenen Völkerschaften bildeten sich zwei ib ee, eiche, Babylon und Medien. Kaum ein halbes Jahrhundert später geriethen digse aber unter die Herrfchaft der Perser, die unter Kyros ußerdem Kleinasien und ünter feinem Nachfolger Kambhses sogar . eroberten. Rag Kambyses“ Tode folgte eine Zeit innerer Wirren, bs Darius Hystazpis die
Ordnung wiederherstellte. Er machte die persische Oberherrschaft auch gegen die kleinasiatischen Hellenenstädte nachdrücklich geltend und kam hierdurch in Conflict mit den europäischen Griechen, die ihren Stammesgenossen zu Hilfe eilten, woraus die jahrhundertelangen . entstanden. Während so der Orient vom Indus bis zum
lil einem Herrn gehorchte, war Griechenland in jahlreiche kleine Kantone zersplittert, die nur ein loses Band gemeinsamer saeraler Einrichtungen zusammenhielt. Bürgerkriege und Verfassungskämpfe füllten das sechste Jahrhundert an; die Regierungsgewalt ging fast überall von der Aristokratie durch das Zwischenglied der Tyrannis immer mehr auf die Volksgemeinde über. Das Hauptinteresse bean⸗ spruchen naturgemäß die beiden Staaten, deren Emporkommen und Riva⸗ lität die Geschichte Griechenlands in der n, vorwiegend bestimmt: Athen und Sparta. Während Sparta seine alte, streng aristokratische Verfassung beibehielt, vollzog sich in Athen der Uebergang von der Aristokratie zur Demokratie Schritt für Schritt: auf ein strenges Adelsregiment folgen die Solonischen Reformen zur politischen und materiellen Hebung der , , n, aus den hierauf folgenden Parteikämpfen ersteht die Tyrannis der Pisistratiden, denen das niedere Volk so manches verdankt, und nach ihrer Vertreibung erhält der Demos durch die Reform des Kleisthenes wiederum neuen Antheil an der Regierung, wenn man auch noch weit entfernt war von der Volks— herrschaft der Perikleischen Zeit. Die äußere Geschichte der griechischen Staaten ist in dieser Periode von geringerem Interesse als die innere: bei den noch wenig entwickelten ö ist für große politische Kämpfe kein Raum, diese beginnen erst in der folgenden Epoche mit den Perserkriegen. — Welzhofer geht in der Schilderung dieser Ereignisse nicht auf Einzelheiten ein; seine Darstellung enthält nur die Hauptmomente, ohne wesentliche neue Gedanken zu äußern oder unsere Kenntnisse zu bereichern. Manchem seiner Urtheile, in denen er eine eigene Ansicht ausspricht, z. B. der Behauptung, daß die Tyrannis fast nirgends eine historische Berechtigung gehabt habe, vermögen wir nicht zuzustimmen.
ff. Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen. Herausgegeben von Dr. Rodgero Prüm ers. E. Jahrgang. 2. und 3. Heft. April bis September 1892. Posen, J. Jolowicz, 1892. — Im ersten Aufsatz unterrichtet uns Ernst Luck⸗ fiel über die Geschichte des Socinianismus in Großpolen. Die Religionsgemeinschaft der Soeinianer war um die Mitte des 16. Jahrhunderts in Ober⸗Italien entstanden, dann von dort ver— trieben und nach der Schweiz und Polen geflohen. Ursprünglich dem reformirten Bekenntniß angehörig, unterschieden sie sich von diesem durch die Bekämpfung des Dogmas der Dreieinigkeit und der Kindertaufe. In Polen gelang es dem Stifter der Secte Lälius Soein, mit Hilfe polnischer Magnaten trotz mancher Fehden mit den übrigen Proötestanten, die jene Abweichungen als ketzerisch verdammten, weite Kreise zu gewinnen, und sein Neffe Faustus verstand die extremste Richtung unter seinen Anhängern zu unterdrücken und der Gemeinde eine feste Verfassung zu geben. Aber nicht lange konnte sich die Secte halten: bereits in der ersten Hälfte des 17. Jahr—⸗ hunderts fielen sie einer katholischen Reaction, der auch die übrigen Protestanten Beistand leisteten, zum Opfer. Beigefügt ist der inter⸗ essanten Arbeit eine, Untersuchung der Quellen zur Ge— schichte des Soeinianismus. — In eine ganz andere Zeit führt uns die Studie von Max Beheim-Schwarzbach: sie schildert den Netzedistriet zur Zeit Friedrich's des Großen. Diese Landschaft, bei der ersten Theilung Polens (1772) mit Preußen ver— einigt, war damals ein in jeder Beziehung heruntergekommenes Land. Stadt und Land waren in gleichem Maße durch die kraftlose polnische Regierung verdorben; der hohe reich begüterte Adel verstand seine Besitzungen nicht zu bewirthschaften, sodaß ein großer Theil wüst blieb und der Rest schlecht bestellt wurde; der niedere Adel saß arm und verkommen auf seiner — oft recht gering , — Scholle; die Städte waren entvölkert, ihre meisten Bewohner waren Acker— bürger, die Handwerke, namentlich die höheren, waren äußerst schwach vertreten. Schulmeister und Geistliche gab es wenig, die Kunst des Lesens und Schreibens war ziemlich selten, selbst Magistrate und andere Behörden waren nicht im stande, ihren Namen zu schreiben. Daß dabei Verwaltung und Rechtepflege aufs schlechteste bestellt sein mußten, leuchtet ein. Unermüdlich ließ Friedrich der Große das Land durchforschen, um es genau kennen zu lernen und den Schäden abhelfen zu können; unermeßlich müssen die Schwierigkeiten gewesen sein, die die preußischen Beamten zu über⸗ winden hatten, um von den widerwilligen und unwissenden Bewohnern über den Zustand des Landes, , Rechte und Pflichten der Bevölkerungsklassen genaueres zu erfahren und sie zu regelmäßiger Arbeit anzuleiten. Aus den Tabellen, die der Verfasser mittheilt, kann man leicht erkennen, was dieses vor 100 Jahren so zerrüttete Land der . Verwaltung verdankt. — Ferner bringt das Heft noch einen Aufsatz über die Gerichtsverfassung des Netze⸗ distriets unter Friedrich IJ. von Meisner, sodann Mittheilungen und Fundberichte, endlich einen reichhaltigen Literaturbericht der Posener Provinzialgeschichte aus der Feder von A. Warschauer.
fl. Das Herzogthum Nassau in den Jahren 1813 bis 1820. Von Dr. W. Sauer. Wiesbaden, Kreidel, 1893. Preis 5 6. = Wie der Verfasser im Vorwort mittheilt, war es nicht seine Absicht, eine erschöpfende Geschichte des Landes Nassau, sondern nur eine Vorarbeit dazu, einen Beitrag zur Geschichte der politischen Bewegungen zu liefern. Daher beschränkt er sich in der Hauptsache darauf, die Einführung der Ver fassung und die damit verbundenen 6 zu schildern. Das Herzogthum Nassau, eine Schöpfung Napoleon's, richtete im Jahre 1814 eine ständische Verfassung ein, die auch den Beifall des Frei⸗ herrn vom Stein, der in Nassau angesessen war, fand. Kurze Zeit nach der Einberufung der ersten ständischen Versammlung gerieth die Regierung mit den Ständen in heftigen Conflict: sie wollte die Do⸗ manialkasse von der Staatskasse trennen und verlangte, daß der Do⸗ manner? aus Staatsmitteln eine Entschädigung für die in früheren Jahren verlorenen Leibeigenschaftsgefälle gewährt werde, eine Forde⸗ rung, die im Lande großen Hi erstchn erfuhr und von beiden Kam⸗ mern, der Herrenbank wie der Deputirtenkammer, verworfen wurde. Auch Stein zerfiel mit der Regierung und stand ihr in heftigster Opposition gegenüber. Die Regierung beharrte trotzdem auf ihrem Vorhaben; es kam zu energischen Protesten in Flug⸗ und Denk- schriften, die Sauer auf Tendenz und Inhalt genau untersucht, wobei er nicht selten von Treitschke's Ansichten abweicht. Ein besonderes Kapitel ist der Untersuchung des Mordanfalls auf den Präsidenten Ibell, den bedeutendsten nassauischen Beamten, den ein verkommener Apotheker Löning unternahm, gewidmet. Sauer ist der Meinung, daß Löning's That im Zusammenhang mit der Ermordung Kotzebue;s ge⸗ standen habe und wie diese auf eine weitverzweigte politische Verschwö⸗ rung zurückzuführen sei, freilich ohne unbedingt zwingende Beweise für diese Anschauung beibringen zu können. Die Folge dieses Attentats war, daß Nassau in den Karlsbader Conferenzen der deutschen Bundesstaaten energische Maßregeln gegen die Presse und politische Gesellschaften forderte und Ibell, der solche weitgehende Prohibitivmaßregeln nicht billigte, aus der Regierung ausschied. Im allgemeinen e elt der Verfasser die nassauische Regierung und den leitenden Minister Marschall günstiger als Treitschke, doch wird erst eine umfassende Geschichte Nassaus entscheiden können, ob Treitschke's Urtheil ungerechtfertigt war.
— Der selige Markgraf Bernhard von Baden in seinem Leben und seiner Verehrung. Ven E. Odile Ringhelj . 8. B. Mit drei Farbentafeln und achtzehn Abbildungen im Text. Freiburg im Breisgau 1892, Herder'sche Verlagshandlung. Gr. 80. S. 1X u. 200. Pr. 4 S h0 5. — Markgraf Bernhard 1II. von Baden war ein Sohn des Markgrafen J. und Katharina's von Lothringen, geboren im Jahre 1428 auf der Stammburg seines Geschlechts, dem soge— nannten alten Schloß oberhalb der alten Stadt Baden. Nach vier⸗ ähriger Erfüllung der Regentenpflicht entschloß er sich, auf die degierung der ererbten Lande zu verzichten und als Vertheidiger der Kirche in Reinheit und Barmherzigkeit nur seinem Seelenheil zu dienen. Wegen der Eroberung von Konstantinopel durch die Türken im Jahre 1453 berief ihn jedoch der Kaiser Friedrich 11. zu einer Reise an die Höfe Karli VII. von Frankreich und Ludwig 's von Savoyen, um diese Fürsten für einen Kreuzzug gegen die Türken zu
wohlbedacht verlassen ist.
gewinnen. Während des Heimwegtz von der letzten Gesandtschafts⸗ reise nach Genua erkrankte er in Moncalieri südöstlich von Tirol und starb dort am 15. Juli 1458 in dem noch jugendlichen Alter vJn ungefähr 39 Jahren; in der dortigen Collegiatstiftskirche Santa Maria della Scala vor dem Hochaltare fand er die letzte Ruhestätte. Am 15. September 1769 ertheilte Papst Clemens XIV. die oberste kirchliche Genehmigung der ne fe, Verehrung Bern⸗ hard's und wurde dieser a von der Kirche als Seliger anerkannt. Im Jahre 17709 wurde seine Erwählung zum Schutzpatron vom Lande Baden feierlich verkündet. Die vorstehend genannte Darstellung des Lebens und die Verehrung des Markgrafen Bernhard ist die erste, welche auf Grund aller erreichbaren Quellen und unter Benutzung der besten Hilfsquellen verfaßt wurde. Der Verfasser, geboren in Baden-Baden und jetzt Benedictiner im Stift Einsiedeln in der Schweiz, hat für seine Arbeit das Glück vielseitiger Förderung er⸗ fahren. Seine Königliche Hoheit der Großherzog Friedrich von Baden hat nicht nur gestattet, daß von einigen in seinem Besitz befindlichen Bildern für das Buch Copien genommen werden durften, sondern hat auch die Widmung der Schrift angenommen; seitens geistlicher und gelehrter Herrn wurde überdies eine nachhaltige Beihilfe gewährt. Der Inhalt des Werkes ist in drei Theile zu⸗ sammengefaßt: äußeres und inneres Leben, die Verehrung und die Wunder, die Seligsprechung Bernhard's und dessen weitere Verehrung (S. I bis 111). Es folgen Quellen und Anmerkungen und als Beilage (S. 1H5 bis 184) das zum ersten Male aus einer Copie im Großherzoglich badischen Haus⸗ und Staats⸗Archlh zu Karlsruhe veröffentlichte Protokol des , , vom Jahre 1480. Nach dem Urtheil des Verfassers (S. 27) liegt Bernhards Bedeutung nicht in dem, was er während der kurzen Zeit seines Lebens leisten konnte, sondern weit mehr in dem, was er durch Gottes Gnade und seine eigene treue Mitwirkung geworden ist. Obwohl er als Fürst die Waffen führte, fügte er doch niemand ein Unrecht zu, sondern förderte überall Gerechtigkeit und Frieden und schlichtete nach Möglichkeit jeden Streit (S. 28). Weltliche Vergnügungen ver⸗ schmähte er, und während sich andere solchen Lustbarkeiten hingaben, zog er sich in die Einsamkeit zurück. Die Nachfolger der ausgestorbenen Markgrafen von Baden⸗Baden, die Großherzoge von Baden, hielten das Andenken an ihren seligen Vorfahren in Ehren; so ließ sich z. B. eine markgräfliche Aebtissin des Cister⸗ eienserinnen⸗Klosters Lichtenthäl bei Baden⸗Baden eine Holzstatue ihres Oheims anfertigen, die im Chore der Fürsten⸗Kapelle daselbst in der Nische über dem Grabmale des Markgrafen Rudolf IV. auf⸗ gestellt ist (S. 68). Der jetzt regierende Großherzog von Baden pflegt ganz besonders das Andenken an seinen erlauchten Vorgänger . Schenkung beziehungsweise namhafte Beiträge zur a enn, von Bildern und Statuetten des sel. Bernhard. In⸗ folge der im Jahre 1858 begangenen Feier des Tages, an dem dor vierhundert Jahren der Fürstliche Sprosse des markgräflichen Hauses Baden zu Monealieri sein Leben geendet hatte, drang Bernhards Ver⸗ ehrung tiefer in das badische Volk ein, und manche Kirchen erhielten Altäre wie Bilder zu seiner Ehre (S. 108); Militär⸗ und Veteranenvereine wählten ihn zu ihrem Schützer (S. 1098). Glocken mit dem Bildniß des Markgrafen Bernhard und Inschriften be⸗ finden sich in der Pfarrkirche zu Rastatt, zu Karlruhe⸗Mühlburg. Otten höfen, Hierbach und in der Liebfrauenkirche zu Karlsruhe. Eine Bernhards⸗ fahne nimmt bei den Processionen in Baden-Baden einen Ehrenplatz ein. Der Verfasser konnte jeden Satz urkundlich aus Quellen mit Beweisen unterstützen; demgemäß sind manche irrthümliche Ansichten berichtigt, viele bisher unbekannte Thatsachen über die Lebensverhältnisse Bern⸗ hard's neu gewonnen worden. Als Quellen sind fünfzehn Bibliotheken und Archive Badens, Italiens, der Schweiz, wie auch der National⸗ Bibliothek zu Paris angeführt, aus denen der Verfasser ebenso müh⸗ sam als umsichtig den Stoff gesammelt hat. Das angeführte Ver⸗ zeichniß der benutzten gedruckten Literatur wird schwerlich einen ergän⸗ zenden Nachtrag erfordern. Eine besondere Anerkennung verdient die äußere Ausstattung des Werkes. Den Text schmücken und erläutern 21 musterhaft ausgeführte Illustrationen, unter ihnen drei Vollbilder des Markgrafen Bernhard in Farbendruck nach den im Besitz Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs Friedrich von Baden befindlichen Originalen. Ganz besonders bemerkenswerth sind die drei vor jedem Abschnitte befindlichen Initialen, z. B. steht in dem großen Anfangsbuchstaben D Seite 1 Bernhard in halber Figur; die Rüstung ist golden, die Rechte stützt sich auf das badische Wappen, die Linke hält die badische Fahne. Die Ausführung ist fein und zart. Der Buchstabe ist dem Gebetbuch des Markgrafen Christoph J. vom Jahre 1480 in der Hof⸗ und Landesbibliothek zu Karlsruhe entnommen. Die wissenschaftliche, gediegene, mit vietäts-= voller Hingebung und diplomatischer Gründlichkeit ausgearbeitete Schrift darf als ein beachtenswerther Beitrag zur Fürsten⸗, Kirchen⸗ und Landesgeschichte des Großherzogthums Baden bezeichnet werden. Rechts ⸗ und Staatswissenschaft.
Kr. Die Praxis des Reichsgerichts in Civilsa
bearbeitet von A. Bolze, Reichsgerichts Rath. Leipzig,
F. A. Brockhaus. 8. S. 462. Geh. 6 M, geb. 7 66 —
liegende Band enthält 754 Auszugsstellen aus Urtheilen der Civi senate des Reichsgerichts in der aus den früheren Bänden bekannten Anordnung. Das Reichsgericht eitirt Bolzen, und deshalb stützen sich auch die Rechtsanwälte gern auf die Auszüge, wie sie don einer . Hand hergestellt sind. Die praktische Verwendung der Sammlung ist hiermit anerkannt, ohne daß damit ein wissen⸗ schaftlicher Werth nothwendig begründet ist, wiewohl eine Verwerthung für die Wissenschaft gewiß in der Absicht liegt. Zweckmäßig würden solche Bücher, welche sofort in Benutzung genommen werden, nach englischem Brauch nur gebunden versendet werden.
— Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs fü Deutsche Reich. Zweite Lesung. Nach den Beschlüßsen dactionscommission. Berlin 1892/1893, Franz Vahlen. —
Heften szusammen 2 MS 20 9) liegt der Entwurf zweiter Lesung
F 374 (J. Entwurf § 339) vor und gewährt damit einen sicheren Einblick in unser zukünftiges deutsches gemeinsames Reichsrecht. In den ersten Wochen des neuen Jahres wird Heft 3 erscheinen und den Abschluß des Obligationenrechts bringen. ;
Kr. In letzter Stunde. Ein eriminalpolitisches Mahnwort. Von O. Anton, Königlich preußischem Geheimen Ober⸗Justiz Rath und Landgerichts-Präsidenten a. D. Berlin 1893, 8. W. Müller. Kl. 8. 44 S. — Dem Verfasser steht eine langbewährte Laufbahn als Richter grundlegend für seine Betrachtungen zur Seite, und hierauf sich stützend, spricht er seine Ansichten über die wieder einzuführende Berufung und die Entschädigung unschuldig Verurtheilter aus. Da die jetzige Rechtslage mit Angabe der Gesetze zuerst festgestellt ist, so darf die kleine Schrift einem weiteren Leserkreis empfohlen werden. Ein Jeder möge dann sich selbst seine Ansicht bilden. Die Richtung der Schrift ist erkennbar, wenn der Verfasser (S. 41) die ren nn, des Präsidiums aus dem Gerichts-= verfassungsgesetz verlangt, dergestalt, daß es in der Hand des Gerichte Präsidenten liegt. Die weitere Entwickelung dürfte nicht nach dieser Richtung hin zu befürworten sein, auch nicht diesen Weg nehmen, der
Kr. Die Rechtsanwaltsordnung für das Deutsche Reich vom 1. Juli 1878. Erläutert von lr. Fr. Meyer, weiland Kaiserlicher Geheimer Ober -Regierungs⸗Rath und vortragender Rath im Reichs,. Justizamt. Zweite sehr vermehrte Auflage. Derausgegeben von G. Meyer, Regierungs⸗Rath und Justitiar an der Königlichen Regierung in Nersehnrg! Berlin, Carl Veymann's Verlag. 8. S. 164. 4 6 — Die vom Vater besorgte 6 Auflage (1878) ist vom Sohne durch sorgfältige Einverleibung all dessen, was in zwischen in der Praxis, Mechtsprechung und Literatur zur si Erläuterung verö entlicht worden ist, zu einem zeitgemäßen Com⸗ mentar entwickelt. Der Fortschritt giebt sich a in der äu Ausstattung zu erkennen, welche die überaus thätige Verlagsbuach- handlung 66 ihrem Verlage gewährt.
Kr. Die Entscheidungen des Reichsgerichts und des baperischen Obersten Landesgerichts zur Eivilprozeß⸗— ordnung. Nach der Reihenfolge der Paragraphen geordnet von