1893 / 35 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 09 Feb 1893 18:00:01 GMT) scan diff

r ——

Finanz⸗Ministerium. t Der Regierungs⸗Rath Carthaus in Posen ist in die Stelle eines Mitgliedes der Provinzial-Steuerdirection zu Köln nersest und . em Regierungs⸗Assessor, Ober⸗Zollinspector Kocks in Eydtkuhnen die Stelle eines Mitgliedes der Provinzial-Steuer— direction zu Posen verliehen worden.

Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal⸗Angelegenheiten. Am Schullehrer⸗Seminar zu Kammin ist der bisherige Militärpfarrer Gründler zu Ännaburg als Seminar-OSber⸗? lehrer angestellt worden.

Aichtamtliches.

Deutsches Reich. Preußen. Berlin, 9. Februar. Beide Kaiserlichen Majestäten begaben Sich gestern

Abend zum Ball nach dem Königlichen Opernhause.

Heute nahmen Seine Majestät der Kaiser und König im Laufe des Vormittags die Vorträge des Kriegs-Ministers und des Chefs des Militärcabinets entgegen.

*

Gestern Abend fand im Königlichen Opernhause „Subscriptionsball“ statt, der durch die Anwesenheit des Allerhöchsten Hofes ausgezeichnet wurde. Die Ausfchmückung des Saals, zu welchem Parquet und Bühne vereinigt waren und zu welchem von der großen Königlichen Mittelloge eine , herabführte, war die herkömmliche, die Zahl der Theilnehmer, die sich aus allen Kreisen der Gesellschaft zu⸗ sammensetzten und sich theils im Saal selbst bewegten, theils die Logen des ersten und zweiten Ranges einnahmen, eine sehr große, das Gesammtbild ein glänzendes. Kurz nach 9 Uhr erschienen in den Königlichen Prosceniums— logen Seine Majestät der Kaiser und König in der Uniform Allerhöchstseines Leib Garde-Husaren-Regiments,

Ihre Majestät die Kaiserin und Königin, Ihre

Königliche Hoheit die Prinzessin Friedrich Carl, Seine Hoheit der Erbprinz und Ihre Königliche Hoheit die Erbprinzessin von Sachsen-Meiningen, Ihre Königlichen Hoheiten der Erbhgroß⸗ herzog und die Erhgroßherzogin von Baden, Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Friedrich Leopold, Seine Hoheit der Herzog Ernst Günther zu Schleswig-Holstein, Ihre Durchlauchten der Prinz und die Prinzessin Aribert von Anhalt fowie“ andere hier weilende Prinzen deutscher Fürstenhäͤuser. Um A/ Uhr begann unter den Klängen dest Orchesters und dem von dem Chorpersonal des Königlichen Dpernhauses ausgeführten Gesange einer Jubelhymne der Rundgang der Allerhöchsten und Höchsten Herrschaften, welchen der General-Intendant der Königlichen Schauspiele Graf Hochberg und die Hofdame Gräfin Keller voranschritten. Seine Majestaͤt der Kaiser und König führte Allerhöchstseine Gemahlin, Seine Königliche Hoheit ö. Erbgroßherzog von Baden Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin' Friedrich Carl, Höchstwelchen sich die übrigen Prinzen und Prinzessinnen pgarweise anschlossen. Ihre Majestäten wurden auf dem Rundgang, der die große Freitreppe hinab viermal durch den Saal führte, von den auf beiden Seiten Kopf an Kopf stehenden Gästen auf das ehrerbietigste und freudigste begrüßt und erwiderten huldvoll die Verbeugungen. Alsdann nahm der Allerhöchste Hof wieder in den Königlichen . des ersten Ranges Platz, um von hier aus dem Tanz“ zuzuschauen, zu welchem abwechselnd zwei DOrchester aufspielten. Um 10 ½ Uhr begaben Sich Seine Majestät unter dem Vortritt des ,. Grafen Hochberg in die gegenüber⸗ liegenden Seitenlogen, um die Botschafter und deren Gemahlinnen zu begrüßen. Kurz nach 11 Uhr zog sich der Allerhöchste Hof zurück; um 2 Uhr nahm der Ball fein Ende.

Heute Nachmittag trat der Bundesrath zu einer Plenarsitzung zusammen. Vorher tagten die vereinigten Aus⸗ schüsse für Justiʒzwesen, für Rechnungswesen und für Elsaß⸗

Lothringen, und dann die vereinigten Äusschüsse für Rechnungs⸗

wesen und für Elsaß-Lothringen für sich allein.

Der General Lieutenant Oesterley, Commandeur der

16. Division, hat Berlin wieder verlassen.

Der Flügel⸗Adjutant Seiner Majestät des. Sultans, Baron Bro , Oberst des Kaiserlich Ottomanischen 1. Garde⸗Ulanen⸗Regiments, ist nach Beendigung seines Ür— laubs nach Konstantinopel zurückgekehrt.

Münster, 8. . Der Provinzial-Landtag

estfalen, der seit dem 29. v. M. hier tagte, ist nach Beendigung der heutigen Plenarsitzung durch den Königlichen Landtags-Commissar, Ober⸗Präsidenten Studt in ,, . Weise mittels folgender Ansprache geschlossen worden:

für die Provinz

Hochgeehrte Herren!

In einer Tagung, welche reich an Arbeit, aber auch an Erfolgen war, sind an un fsslh⸗ dem Provinzial⸗-Landtage zugegangenen Norlagen erledigt worden. . . ö

Das von Ihnen beschlossene Reglement zu dem Gesetz über die sogenannte außerordentliche Armenlast gewährleistet die rechtzeitige Durchführung der in dem letzteren den Landarmenverbänden auferlegten erweiterten J,, .

Ihre Beschlüsse über die e der Hinterbliebenen der Lehrer an den nicht staatlichen Lehranstalten stellen eine wirksame Förderung dieser Angelegenheit in i . .

Ihr Gutachten über den die Thalsperren im Flußgebiete der Volme betreffenden Gesetzentwurf läßt erkennen, wie die Vortheile derartiger Anlagen in gewerblicher Hinsicht von Ihnen in vollem Maße gewürdigt werden. n .

Durch den von Ihnen festgestellten Etat der Provinzialverwaltung für das c ff een, Rechnungejahr sind für wichtige Zwecke der Landwirthschaft und der Industrie, wie auch für Wissenschaft und Kunst ausgiebige Mittel bewilligt.

Mit besonderer Freude begrüße ich die von Ihnen ausgegangene Anregung zu vorbereitenden Verhandlungen über die Errichtung einer Landegeultur⸗Rentenbank in der hiesigen Provinz.

Indem ich der zuversichtlichen Hoffnung Ausdruck gebe, daß Ihre Verhandlungen und Bes lüsse den Wohl und Gedeihen der Provin; förderlich sein werden, erkläre ich im Allerhöchsten Auftrage den 34. Provinzial-⸗LSandtag von Westfalen für geschlossen.

Nach dieser Ansprache ergriff der Vorsitzende des Pro⸗ vinzial⸗Landtags, Wirkliche Geheime Rath von Oheimb das Wort und brachte zum Schlusse ein dreifaches Hoch auf Seine Majestät den Kaiser und König aus, in das die Mitglieder des Provinzial-Landtags lebhaft einstimmten.

Sachsen. Der Königliche Haus⸗Marschall Graf zu Münster ist, wie „W. T. B.“ meldet, heute früh gestorben.

Hessen.

Die Zweite Kammer hat in ihrer gestrigen Sitzung die Berathung des Einkommensteuergesetzes in erster Lesung beendigt. Es wurde die Fortführung der . gression auch für die Einkommen über 20 (0600 „M hinaus dem Antrag des Ausschusses gemäß beschlossen.

Sachsen⸗Coburg Gotha.

Seine Hoheit der Herzog hat, wie die „Cob. Ztg.“ meldet, vorgestern in Gotha den neu ernannten großbritan⸗ nischen Gesandten Mr. Stephens in Antrittsaudienz empfangen. An den Empfang schloß sich eine Galatafel an.

Reuß ä. L.

Ihre Durchlaucht die Prinzessin Marie zu Ysen— burg, geborene Prinzessin Reuß ä. L., ist vorgestern Nach⸗ mittag nach längerem Aufenthalt am Fürstlichen Hofe von Greiz wieder abgereist.

*

Oesterreich Ungarn.

Die Regierung legte gestern dem Abgeordnetenhause den Freundschafts“,, Handels- und Schiffahrts⸗ vertrag zwischen Oesterreich⸗-Ungarn und Korea vor.

Am Schlusse der gestrigen Sitzung des Abgeordnetenhauses brachten dem „W. T. B.“ zufolge die Abgg. Prade und Genossen eine an den Minister des Innern gerichtete Ihte r pellation ein wegen unverweilter Einberufung des Stadt— verordneten⸗-Collegiums von Reichenberg und sofortiger Ab— berufung des Regierungscommissars.

Eine Deputation des Clubs der Conservativen über— reichte gestern dem Grafen Hohenwart anläßlich dessen 70. Geburtstages eine kunstvoll ausgestattete Adresse, worin die Verdienste des Grafen gefeiert werden. Abends fand ein Banket statt, woran die Minister Graf Taaffe, Graf Falkenhayn und Graf Schönborn sowie Mit glieder des Clubs theilnahmen. Graf Hohenwart brachte dahei den Toast auf den Kaiser, Graf Taaffe den Toast auf den Grafen Hohenwart aus. Die „Conservative Coxrespondenz“ bezeichnet die Ausstreuungen Über Zer— würfnisse des Elubs der Confervattven als völlig unbegründet, ingleichen die Meldungen der Blätter über den Verlauf der vertraulich behandelten Programmdebatte als tendenziös erfunden.

Im ungarischen Unterhause erwiderte gestern der Minister des Innern Hieronhmi auf die Interpellation wegen des Strikes in der . Waffenfabrik, er werde sich nur auf eine directe, bisher jedoch von keiner Seite er— folgte Aufforderung in die Sache einmischen. Auf die Inter⸗ pellation Visontai's über die Kaschau⸗Oderberger Bahn ant— wortete der Handels-Minister von Lukäcs' in der bereits gestern gemeldeten Weise, worauf der Minister⸗Präsident Lr, Wekerle ausführte: die ungarische Regierung habe die Valuta⸗Prozesse nie als gerechtfertigt anerkannt, weil sie die Landesinteressen gußerordentlich schädigten. Die im Verlaufe der Conversionsoperationen der Kaschau-Oder— berger Bahn gegen ein Mitglied des Consortiums er— hobenen Beschuldigungen seien der ungarischen Regierung gleichgültig; ein Einschreiten der Regierung wäre nur dann nothwendig gewesen, wenn eine Schädigung der Interessen der Bahngesellschaft vorgelegen hätte. 9 der Conversions⸗ operation sei lediglich die Wahrung der Würde des Staats und der Interessen des Landes maßgebend. Die Antworten der Minister wurden zur Kenntniß genommen.

Großbritannien und Irland.

In der gestrigen Sitzung des Unterhauses kündigte, wie ‚„W. T. B.“ berichtet, der Premier⸗Minister Gladstone au, er werde heute und morgen die Suspendirung der Geschäftserdnung hinsichtlich der Vertagung der Debatte nach Mitternacht beantragen, falls die Adresse dann noch erörtert werden sollte. Jesse Collings beantragte hierauf ein Amendement zur Adresse, worin dem Bedauern Ausdruck gegeben wird, daß in der Thronrede keine Maßregeln zur Erleichterung der landwirthschaftlichen Arbeiter angekündigt würden; diese seien dringlicher als die irische Homerule⸗Vorlage und sollten den Vorrang vor dieser haben. Samuelfon be— kämpfte das Amendement Collings' und brachte einen Unterantrag ein, worin er den Dank dafür aus⸗ . daß die Thronrede die Aufmerksamkeit auf den Nothstand gelenkt habe, und versichert, das Parlament werde der Verbesserung des Zustandes der landwirthschaftlichen Be— völkerung seine Aufmerksamkeit widmen. Der Präsident der Locglverwaltung Fowler wies die , Collings zurück, daß die Regierung die landwirthschaftlichen Arbeiter zu hintergehen wünsche; sobald die Homerule⸗Vorlage erledigt sei, werde sie die Durchführung der übrigen Bills betreiben. Das Amendement Collings' wurde schließlich mit 312 gegen 228 Stimmen verworfen.

Lord Cranborne, der älteste Sohn des Marquis of Salisbury, ist ohne Gegenkandidaten zum Mitglied des Unterhguses für Rochester, Und der frühere Fenier Davitt . Mitglied des Unterhauses für Nordost- Cork gewählt worden.

Der Führer der irischen Nationalisten im Unterhause Justin MeCarthy hat in einem Wochenblatt einen Artikel über Homerule, veröffentlicht, der insofern von Interesse ist, als der Verfasser in klaren Worten das Ziel angiebt, dessen Verwirklichung seine Partei anstrebt. MeCarthy behauptet, daß alle. Rebellionen und Agitationen, die in diesem Jahrhundert in Irland stattgefunden, nur ein Protest gegen Pitt's unglückliches Unifications⸗

*

gesez gewesen seien. Eine wirkliche Einigung und Harmonie werde, so sagt er, erfolgen, wenn dieses Gesetz über Bord geworfen werde. „Was wir wollen, ist, daß man uns erlaubt, unsere nationalen und inneren Angelegenheiten selbst zu ordnen. Jeder vernünftige Engländer sollte uns in diesem Streben ermuthigen und uns beistehen, daß unser Wunsch erfüllt wird. Juslin MeCarthy kennt, wie er sagt, die Gladstone sche Homerule⸗Vorlage in allen ihren Einzel⸗ heiten noch nicht. Sollte diese Vorlage nicht dem irischen Volke die Verwaltung seiner eigenen Angelegenheiten zusprechen, so werde er gegen sie stimmen. Die Irländer wollten keine Controle über die nationalen Angelegenheiten Englands, Schottlands und Wales ausüben. Im Jahre 1886 seien sie damit einverstanden gewesen, daß sie aus dem britischen Parlament verschwänden, falls ein solcher Schritt die Annahme der Homerule⸗Vorlage erleichtern würbe. Die Nationalisten seien auch heute noch bereit, einen solchen Compromiß einzugehen. Viele von ihnen würden es vor— ziehen, ein eigenes Parlament zu haben, statt in Westminster mitzurathen. Was ihn selbst anbetreffe, so sei dies nicht seine Ansicht. Er sei abgeneigt, sich vom britischen Parlament zu trennen; denn er habe die glückliche Jeit im Auge, wo England, Irland, Schottland und Wales eine un⸗ abhängige Föderation bilden würden, wo jedes Mitglied dieses Bundes sich mit seinen eigenen Angelegenheiten be—

schäftigen und in gemeinsamer Versammlung über alles be—

rathen und beschließen werde, was allen gemein sei. Die

Frage des. Vet, könne ohne viele Shwierigkeiten gelöst

werden. Jeder Engländer, der für Homerule sei, wünsche, daß Mittel und Wege gefunden würden, daß das britische Parlament, wenn nöthig, ein Veto gegen die gesetzgebende Versammlung in Dublin ausüben könne. Die Constitution aller coloniglen Parlamente enthalte eine Bestimmung dar— über, aber bis jetzt sei dies Necht noch nie ausgeübt worden. Das Princip, daß das hritische Parlament eine derartige Con— trole über die irische Versammlung haben müsse, werde von den Irländern zugegeben und könne ohne Schwierigkeit aus— geführt werden. Frankreich.

Bei Beginn der gestrigen Sitzung der Deputtirten⸗ kammer herrschte, wie „W. T. B.“ berichtet, unter den Deputirten lebhafte Bewegung. Die Tribünen waren über— füllt. Der boulangistische Abgeordnete Goufsot interpellirte die Regierung bezüglich derjenigen Mitglieder des Parla⸗ ments, gegen die vorgestern das gerichtliche Verfahren ein—

gestellt worden ist. Inmitten einer lebhasten tüͤmultuarischen

Bewegung sagte Goussot, daß, da Rou vier eingeräumt habe, Pa— namagelder empfangen zu haben, die Regierung sich darüber aussprechen solle, ob sie auf ihn den Artlkel der Ver— fassung anwenden werde, der die Verantwortlichkeit der Minister zum Gegenstand habe. Der Justiz⸗Minister Bou rgeois erwiderte, man beschimpfe die . wenn man sie beschuldige, Drohungen nachgegeben zu haben, als sie die Ermächtigung zur gerichtlichen Verfolgung gegen Deputirte beantragt habe. (Beifall auf der Linken) Die Justiz handle in voller und unbedingter Unabhängigkeit. Seit länger als einem Monat verbreite man verleumderische Gerüchte; es sei Zeit, laut zu verkünden, daß alle Bürger sich vor den Entscheidungen der Justiz zu beugen hätten. (Beifall.) Die Regierung hahe allés gethan, was sie habe thun müssen; sie sehe in den gestellten Fragen offenbare Manöver. Sie werde es ablehnen, den Gegnern der Republik Waffen in die Hand zu geben. Die Regierung habe ihre Pflicht gethan, die Kammer werde die ihrige thun. Der Deputirte Cavaignac sagte, in der Panama-Angelegenheit seien Dinge vorgekommen, die sich wiederholen könnten. Er frage, was man gethan habe, um Mißbräuche, wie die Bestechung von Parlamentsmitgliebern, abzustellen. Die Lage sei nicht geklärt, die bisher erreichten Er— gebnisse der Untersuchung seien nicht genügend, um die öffent— liche Meinung zu befriedigen. Man habe erklärt, gewisse Praktiken seien für die Existenz der Regierung nothwendig. Dies sei ein Fehler, die Regierung bedürfe keiner Almosen oder Geschenke von den Finanzleuten, es sei nicht nothwendig, daß die Regierung die Vertheilung gewisser Summen über— wache. (Beifall) Cavaignac brachte schließlich nachstehende Tagesordnung ein:

Die Kammer, bereit, die Regierung in der Unterdrückung aller Bestechungshandlungen zu unterstützen, ist entschlossen, die Wiederkehr regierungeseitiger Machenschaften zu verhindern, die sie mißbilligt, und geht zur ga n mn über. (Lebhafter Beifall.) .

Der Minister-Präsident Ribot erklärte hierauf, die Regierung hahe ihre Pflicht gethan, so peinlich ihr diese auch gewesen sei. Die Justiz habe sich in ihrer Souveränität aus⸗ gesprochen. Die Regierung wünsche, wie Cavaignac, volles Licht, um die durch die Gegner der Rspublik verbreiteten Legenden zu zerstören, sie habe nichts verabsäumt, um Gerechtig⸗ keit zu üben und Licht zu schaffen; wenn Arton den Nach⸗ forschungen entgangen sei, so liege dies nicht an einem Versehen der Regierung. Wären die ausgesprengten Gerüchte nicht lediglich Manöver, so würde man eine förmliche Anklage von der Tribüne der Kammer aus erhoben haben. Wie der Deputirte Cavaignac halte auch er für nothwenbig, die finanzielle Macht bei allen Stagtshandlungen abzuschwächen. Die Re— gierung sei gern bereit, zu prüfen, welche Maßregeln zu er⸗

reifen seien; gegenwärtig handele es sich jedoch nur darum, die

hig nen Gesetze in Anwendung zu bringen und das unabhängige und souveräne Walten der erechtigkeit zu sichern. Lebhafter Beifall) Der Deputirte Jaur es führte aus, die socialistische Partei allein könne has Heilmittel für die gegen— wärtige Lage finden, und brachte eine in diesem Sinne ab⸗ efaßte Tagesordnung ein. Nachdem der Deputirte öh anel diese Tagesordnung bekämpft hatte, wurde sie mit 1420 gegen 87 Stimmen verworfen. Der Minister⸗Präsident Ribot gab hierauf die Erklärung ab, daß er die von Cavaignac beantragte Tagesordnung acceptire. Diese wurde sodann mit 446 gegen 3 Stimmen angenommen und schließlich der öffentliche Anschlag der Rede Cavaignge' s mit 367 gegen 102 Stimmen beschlossen. Im weiteren Ver— laufe der gien brachte der Deputirte Nichard den Antrag ein, die Regierung aufzufordern, an Reinach's Erben, die Summe zurückzuzahlen, die Reinach an Rouvler für die ge⸗ heimen Fonds bezahlt habe. Richard beantragte für seinen Antrag die Dringlichkeit, diese wurde mit 252 gegen 176 Stimmen angenommen, die sofortige Berathung jedoch ab⸗ elehnt. Die Kammer nahm . die Berathung des Eren. der Post⸗ und Telegraphen-Verwaltung wieder auf. ö

Wie „W. T. B.“ meldet, machte die Rede Cavaigngés großen Eindruck, der sich in wiederholtem allseitigen Beifall, wie in mehreren bezeichnenden Zwischenrufen kundgab. Ein

2. *

Deputirter der Linken rief: „Das ist die Sprache eines Ministers der Republik“, worauf Déroulsde hinzufügte: zeines PräsidentenJ Letztere Bemerkung veranlaßte (ine leb= hafte Bewegung in den Wandelgängen. Cavaignac's Ein⸗ greifen in die Debatte wird als ein bedeutsames Ereigniß ange⸗ sehen, In den Wandelgängen hieß es, Bourgeois habe infolge der Annahme der Tagesordnung Cavaignae die Absicht ge— äußert, seine Entlassung zu geben, sei jedoch auf Bitten seiner Freunde davon zurückgekommen. Dies Gerücht wird officiell dementirt. Es heißt jedoch, die Regierung denke daran, die erste Gelegenheit zu ergreifen, um von? der Kammer einen weniger unklaren Ausdruck ihrer Gesinnungen ihr gegenüber zu erhalten.

Alle Morgenblätter messen dem gestrigen Hervortreten Cavaignacg, der nach seinem Sturze als Marine— Minister politisch todtgesagt wurde, elne besondere Bedeutung bei. Die meisten Blätter erklären offen oder deuten wenigstens an, daß Cavaignae mit seiner gestrigen Rede in der Kammer seine Candidatur für die Präsidentschaft der Republik aufgestellt habe. Einige Blätter rathen Carnot, Cavaignac schleunigst zum Minister zu ernennen, da er ihm sonst im ElysJe werde Platz machen müssen. Die conservativen Organe sowie verschiedene Blatter anderer Parteirichtungen halten die Stellung des Tabinets für stark erschüttert. Der „Figaro“ sagt, falls die Minister die Haltung der Kammer begriffen, würden sie demissioniren und einem „Ministerium der Kammerauflösung“ Platz machen.

Der Finanz-Minister Tirard hat, wie der „Köln. Ztg.“ berichtet wird, den von der Budgetcommission vorgeschlagenen neuen Entwurf eines Börsen steuergesetzes nicht an— genommen. Infolge dessen werde die Commission die Ab⸗ lehnung der Regierungsvorlage befürworten.

Rumänien.

Zu Ehren des Prinzen und der Prinzessin Fer⸗ dinand fand, wie bereits gemeldet, vorgestern ein Ball im Thegter statt. Der König und das Prinzliche Paar wurden hei ihrem Erscheinen lebhaft begrüßt und verblieben bis 2 Uhr früh. Gessern war bei dem Prinzen und der „Prinzessin Ferdinand Empfang der Gemeindevertretung sowie des katholischen und des protestantischen Klerus und mehrerer Deputationen.

Bei den letzten neun Ergänzungswahlen zur Depu⸗ tirtenkammer wurden, wie „W. T. B.“ berichtet, acht Conservative und ein Liberaler gewählt.

Bulgarien.

Der Finanz-Minister hat, wie die „Pol. Corresp.“ aus Sofia erfährt, den Entwurf eines autonomen Zoll⸗ tarifs ausgearbeitet, der nach Ablauf der im Jahre 1889 mit verschiedenen Staaten abgeschlossenen, kürzlich erneuerten Handelsconventionen in Kraft treten soll. Die Bekanntmachung des Entwurfs soll demnächst erfolgen. .

Amerika.

Nach einer Meldung des „Reuter 'schen Bureaus“ aus Buenos Aires vom 8. d. hat Escalante, der sich jüngst weigerte, das Portefeuille der Finanzen zu übernehmen, sich bereit erklärt, in das Cabinet einzutreten. In Paris eingetroffenen Nachrichten zufolge wäre Escalante zum Minister des Innern ernannt worden. Die Regierungstruppen haben 200 Ansiedler, die sich der aufständigen Bewegung in der Pro— vinz Santa Fo angeschlossen hatten, gefangen genommen. Sie wurden nach der Stadt Santa gebracht, wo der Gouverneur sie in Freiheit setzte. Sämmtliche Colonien in der Provinz haben sich gegen die neu eingeführte Steuer, welche die Unruhen veranlaßte, erklärt.

sAlsien.

Das „Reuter sche Bureau“ meldet aus Joko hama vom d. M.: der parlamentarische Conflict dauere fort. Bei dem Wiederzusammentritt des Landtags nach zweiwöchiger Ver— tagung habe eine lange und lebhafte Debatte über die Adresse der Opposition an den Mikado stattgefunden. Da eine Einigung nicht erzielt worden sei, seien die Sitzungen bis zum 25. d. M. weiter vertagt worden.

Parlamentarische Nachrichten.

Deutscher Reichstag.

Der, Bericht über die 39. Sitzung vom 8. Februar be⸗ findet sich in der Er sten Beilage. 40. Sitzung vom Donnerstag, 9. Februar, 1 Uhr. A.. Der Sitzung wohnen bei der Staatssecretär Dr. von Boettich er und der Königlich preußische Minister für Handel und Gewerbe, ö von Berlepsch. ; Die zweite Berathung des Etats des Reichsamts des Rnnern wird beim Titel: „Staatssecretär 50 006 M sortgesetzt. Abg. Möller (nl): Auch ich habe mit dem Abg. Dr. Hirsch den Wunsch, daß die Jahl der Gewerberäthe und Fabrikinspectoren möglichst bermehrt werde, und daß man immer mehr dazu übergehen möge wirklich sachperständige, mit dem Fabrikbetrieb vertraute Personen an Stelle von Philologen und fonstigen Theoretikern zu Gewerberäthen und Inspect ren zu berufen. Die Anregung des Abg. Wurm, auch Arbeiter zu Fahrikinspectoren zu ernennen, ist nicht neu; ich selbst habe schon vor 3 Jah ren diese Forderung hier ausgefprochen. Die Ver— n i des Fabrtkinspestorats mit der Hrn e fler, halte ich für pra tisch. Es wird aber gut sein, daneben die privaten Dampfkessel⸗ repisions vereine weiter bestehen zu lassen. Daß die Fabrikinspectoren mit i. Revisien überlastet seien, steht im Widerspruch init der dem Abg. Dr. Hirsch gleichzeitig erhobenen Forderung, daß diese Beamten auch noch mit allerlei statistischen Arbeiten befaßt Herden sollen. Die Frage des Verkehr der Inspectoren mit den Arbe lern kann ich nicht im Sinne des Abg. Pr. i. beantworten. Der Abg. Dr. Pirsch verlangt den Eigen gigen Verkehr der Gewerbe⸗ räthe mit den Arbeiterverein ungen; aber diese sind ja traurigerweise ö Deutschland meistens Parteivereine, in benen das zen n , gi, Element die Nebensache ist. Es ist das der Fall, mit allen Fach vereinen, ganz im Gegensaz zu den Organisgtionen in England. Es bleibt als unbedin ter Lehrsatz bestehen, däß die Arbester nie und nimmer zu ver tändigen. Organisationen kommen, wenn sie nicht abso ut, von arteipolitischen Bestrebungen sich befreien. . haben niemals fa vereinliche Organisationen enützt, um sie für nationalliberale Zwecke zu fruetifieiren. Das Verlangen nach einer Versicherung egen Arbeitslosigkeit will der Abg. Dr. Hirsch urch die Arbeiterorganisationen, der Abg. Hitze durch die Berufs genossenschaften erfüllt wissen. Ich kann * vor solchem

Unternehmen nur. warnen! Die. Gefahr der Simulation würde hier noch schlimmer sein als auf irgend einem anderen Gebiete der Arbeiterversicherungen. Von der Linken wird das Lob des Herrn Wörrishofer in Baden gesungen. Jedenfalls hat es dieser Herr nicht verstanden, sich allseitiges Vertrauen zu erwerben; bei den Arbeitgebern hat er es vielfach verscherzt, weil er in un praktischer Weise seine soeiglpolitischen Pläne verfolgt. Ich bin mit dem Abg. Dr. Hirsch der Meinung, daß es nicht wünschenswerth ist, wenn die Arbeiter sich nur anonym an den Gewerberath wenden, daß die Gewerberäthe sich bielmehr eine Vertrauensstellung bei den Arbeitern erwerben sollten. Es kommt aber auf die Jorm an. Der Abg. Wurm hat den Fall in Köln erwähnt; es ist unrichtig, et der betreffende Verein der Industriellen in Köln eine Vers entlichung seiner Be—⸗ schwerde egen den Gewerbe⸗Inspector vorgenommen Fat. Nur durch eine Inditeretion ist das betreffende Privat⸗ rundschreiben in die Kölnische Volkszeitung“ gelangt. Die Beschwerde richtet sich auch da egen, daß der Gewerbe⸗In⸗ speetor ein socialdemokratisches Blatt zu einer für die Arbester bestimmten Mittheilung gewählt hatte. Es liegt darin eine Anerkennung der socialdemokratischen Presse uf Organ der Arbeiter. welche wohl nicht in der Absicht der Regierung gelegen hat. Diese Presse ist die Vertreterin einer Partei, die unsere Gesellschaftsordnung umstoßen will, und diese darf nicht das alleinige Publicationgorgan eines Königlich preußischen Beamten sein. . Den Induftriellenperein Gtriftt alfo ' kein Vorwurf weder für seine Beschwerde noch dafür, daß die Sache in die Oeffentlichkeit gelangt ist. Bei dem Verkehr der Fabrikaufsichts⸗ begmten mit der Arbeiterschaft ist weiter zu berücksichtigen, daß die ersteren es nur mit Arbeitern, nicht mit Parteimännern, zu thun haben. Der charakteristische Fall aus Mannheim ist ja wohl noch in aller Erinnerung. Herr Wörrishofer kam mit dem socialdemo⸗ kratischen Redacteur, der öffentlich Klage über die Zustände in einer Fabrik geführt hatte, in die letztere, um auf Grund jener Beschwerden die Fabrik zu repidiren. Das wurde vom Fabrikbefitzer abgelehnt; der Begleiter aber, der einen Mantel der Autorltät umhaͤngen wollte, war derselbe Herr Häusler, der die eigene Arbeiterschaft um 20000 be⸗ stohlen hat, der jetzt seiner Verurtheilung harrt und schon früher wegen Untreue zu pier Monaten Gefängniß verurtheilt worden war. Der Vorwurf ere den Gewerbe⸗Rath von Rüdiger wegen der von ihm verfaßten Arbeitsordnung ist ganz hinfällig. In der e nnn, der Einführung der Sonntagsruhe vermuthet 'der Abg. Wurm und noch deutlicher der, „Vorwärts“ eine absichtliche Verschleppung. Wer den Dingen näher steht und die unendlichen Schwierigkeiten der Feststellung der Ausführungsbestimmungen kennt, wird diese Auffassung für unzutreffend erklären. Ich warne dringend davor, mit Ausführungsbestimmungen vorzugehen, ehe man ihre Ausführbarkeit geprüft hat. Vielleicht könnte man gruppenweise vorgehen; die Ausführungen. sollten sich dann aber nicht allzu lange hinziehen. Die Industrie soll geschützk werden in ihrer Betriebsfähig⸗ keit und ihrer Concurrenzfähigkeit, das heißt nichts anderes, als die Arbeiter schij en in ihrer Existenz. Das soll man nicht vergessen. (Schluß des Blattes.) ,

Preuszischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

28. Sitzung vom g. Februar. Der Sitzung wohnt der Justiz-⸗Minister Dr. von Schelling bei.

Das Haus erklärt zunächst eine Reihe von Petitionen auf Antrag der betreffenden Commission als zur Berathung im Plenum nicht geeignet. .

Die Interpellation des Abg. Grafen zu Limburg⸗ Stirum lautet:

Am 17. Januar er. hat der Vorsitzende der Strafkammer J

beim Königlichen Landgericht J zu Berlin gegen ein Mitglied des Hauset der Abgeordneten in einem gegen dasselbe wegen Vergehens gegen das Reichsgesetz über die Preffe vom 7. Mai 1874 an⸗ hängigen Strafverfahren einen Vorführungsbefehl zu dem am 10. Februar er. anberaumten Termin erlassen.

Tilt die Königliche Staatsregierung ein solches Vorgehen mit den Bestimmungen des Art. S4 der Preußischen Verfassung für vereinbar?“

Die betreffende Bestimmung des Art. 84 der Verfassung lautet:

„„Kein Mitglied einer Kammer kann ohne deren Genehmigung

während der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, außer wenn es bei Aueübung der That oder im Laufe des nächstfolgenden Tages nach derselben ergriffen wird.

Gleiche Genehmigung ist bei einer Verhaftung wegen Schulden nothwendig. 1

Jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied der Kammer und eine jede Untersuchungs- oder Civilhaft wird für de Dauer der Sitzungsperiode aufgehoben, wenn die betreffende Kammer es verlangt.“

Der Justiz⸗Minister r. von Schellin g erklärt sich zur so— fortigen Beantwortung der Interpellation bereit.

Abg. Graf zu Limburg-⸗Stirum (cons.): Es hat in der Sache bereits am 11. November Termin angestanden. Der Ver⸗ theidiger des Angeklagten hat mit Rücksicht auf die Eigenschaft des— selben als Abgeordneter die Aufhebung des Termins nachgesucht; es ist keine Antwort ertheilt worden, vielmehr ist eine neue. Vorladung erfolgt mit Androhung der zwangsweisen Vorführung, Wir wünschen die Frage klargestellt zu sehen, ob ein Vorführungsbefehl gegen einen Abgeordneten zulässig ist, oder ob nicht ein Haftbefehl darin liegt. Die Mehrzahl meiner Freunde ist der Meinung, daß der Verfaffungsartfkel so zu interpretiren ist, daß ein Abgeordneter e nnen unterworfen werden kann. Die zwangsweise Vorführung zum Termin schließt wenigstens eine zeitweise Äufhebung der persönlichen Freiheit in sich. Der betreffende Beamte, ann den Abgeordneten vielleicht dann von hier abholen. Wir wünschen Klarheit Über die Sache zu schaffen.

Justiz⸗-Minister Dr. von Schelling:

Die Grundlinien, innerhalb deren sich meine Beantwortung der Interpellation bewegen wird, sind ja im wesentlichen von dem Abg. Grafen zu Limburg-Stirum angedeutet. Es handelt sich um ein Strafverfahren, welches bereits ingeleitet war, als der Landfa zu ,, Auf ein solches Strafverfahren bezieht sich der Schluß⸗ atz des Art. 84 der Verfassungsurkunde, wonach ein jedes der beiden Häuser des Landtags 1a . derlangen, daß ein gegen ein Mitglied desselben schwebendes Verfahren für die Dauer der Session aufgehoben werde. Daraus folgt ohne weiteres, daß bis zu einer solchen Beschlußnahme das schwebenbe Verfahren seinen ash hat. Das Landgericht mußte daher un, eachtet der Berufung, det Herrn Freiherrn? von Hammerstein auf . Abgeordneteneigenschaft (Heiterkeit) in dem Verfahren weiter⸗ chreiten. Denn wenn die bloße Berufung eines Abgeordneten auf diese Eigenschaft die Wirkung hätte, das Verfahren zu hemmen, dann würde ja das dem Hause verfassungsds mäßig eingeräumte Recht ein werthloses sein. In diesem Vorwärtsschreiten war das Gericht nur an eine Beschränkung gebunden. Es durfte nicht zu einer Ver⸗ haftung schreiten, ohne dazu die vorgängige Genehmigung des Haufes erhalten zu haben.

Ab die Vorführung im Sinne der Strafprozeßordnung unter den Begriff der 3 fun im Sinne der He ne mn, fällt, ist eine Frage der Auslegung. Ueber diese Frage zu entscheiden, war, diejenige Instanz berufen, die , die Juris diction in dieser Sache hat, alfo das Gericht. Wenn bas hohe Haus

mit der verneinenden Ents eidung jener Frage seitens des Landgerichts nicht einverstanden ist, so ö das Haus befugt, noch heute der 8 gn.

*

zietion des Gerichts für die Dauer der Session ein Ziel zu setzen. Die Staatsregierung ihrerseits ist, wie der Herr Interpellant bereits die Güte hatte zu bemerken, nicht in der Lage, in Tas gerichtliche Verfahren einzugreifen; sie mußte den Vorführungsbefehl als einen Act der richterlichen Gewalt ansehen, der zwar eh gr einer Anfechtung im Instanzenzuge unterliegen konnte, an dem aber die Staatsregierung selbst weder irgend etwas zu ändern, noch eine Kritik zu üben befugt ist. Unter diesen Umständen würde es eine 56 theoretische Bedeutung haben, wenn von diesem Tisch aus eine? einungsäußerung über diese Frage erfolgte. ch muß es daher ablehnen, namens der Staats regierung eine Stellung zu der vorliegenden Streitfrage zu nehmen, um so mehr, als die von dem Herrn Abgeordneten 2. Klar⸗ stellung in der Sache bereits anderweit erreicht ist. Denn, meine Herren, gegen den Vorführungsbefehl des Land erichts hat der. Staatsanwalt im Interesse des Ang feen das Rechtsmittel der Beschwerde eingelegt. Der Staatsanwalt war nämlich der Ansicht, daß keine Veranlassung vorgelegen habe, sogleich zur Vorführung des Angeschuldigten zu schreiten, daß vielmehr das Ausbleiben des Angeschuldigten init Rücksicht darauf. daß der Termin zwei Tage nach Eröffnung des Landtags stattfand, für ent— schuldigt anzusehen sei. (Sehr richtig!) Nachdem er nun mit dieser Ansicht nicht durchgedrungen ist, hat er den Weg der Be⸗ schwerde beim Kammergericht beschritten. Nach einer mir eben zugegangenen Mittheilung ist. die Beschwerde vom Kammergericht als unzulässig zurückgewiesen. Diese Zurückweisung ist erfolgt auf Grund des § 547 der Strafprozeßordnung, welcher be⸗ stimmt, daß Entscheidungen des erkennenden Gerichts, welche der Urtheilsspre ung vorausgehen, der Beschwerde nicht unterliegen. Die gesetzliché Bestimmung macht nun zwar eine Ausnahme don dieser Bestimmung in Betreff der Entscheidungen über Ver— haftungen. Das Kammergericht hat aber 'in seinem Beschluß ausgeführt, daß diese Ausnahme hier nicht zuträfe, da es sich bei dem Verfahren gegen den Freiherrn von Hammerstein nicht um eine Verhaftung, sondern um eine Vorführung handelte. (Heiterkeit. ) Damit hat also auch das Kammergericht, wennscholl es über die Aus⸗ legung des Art. S4 der Verfassungsurkunde keine sachliche Entscheidung gefällt hat, doch die vom Landgericht gemachte Unterscheidung zwischen Vorführung und Verhaftung als begründet anerkannt.

Damit ist die Interpellation erledigt.

Das Haus beschließt darauf ,, dem Antrag der Geschäftsordnungscommission, die Mandate der Landgerichts⸗ Präsidenten Günther, Korsch und K rah, die zu Geheimen Ober⸗Justiz-Räthen ernannt sind, und des Polizei⸗Directors von Balan, der zum Polizei-Präsidenten ernannt ist, für nicht erloschen zu erachten.

Der Nachweis über die Verwendung des Dispositions—

Mittheilung über die Ausführung der Eisenbahnver— staatlichungsgesetze werden durch Kenntnißnahme für er⸗ ledigt erklärt.

Darauf werden Petitionen berathen.

Die Petitign der Gemeindevorstände von Bardowiek, Wittorf und Handorf (Regierungsbezirk Lüneburg) wegen Errichtung einer Apotheke in Bardowiek wird der Regierung zur Erwägung überwiesen.

Die Petition der Einwohner Peter Böärsch und Genossen in Obergaul, worin beantragt wird, zu veranlassen, daß die Schul⸗ behörden in Gemäßheit der Cabinetzordre vom 14. Mai 1825 den Schulbesuch der die Volksschule besuchenden Kinder der ländlichen Be⸗ völkerung in der Rheinprovinz nur so lange erzwingen, bis sich das in Frage kommende Kind nach dem Befund des Loeal⸗Schulinspectors die einem jeden vernünftigen Menschen seines Standes nothwendigen Kenntnisse erworben hat“, soll nach dem Antrag der Unterrichtscommission durch Uebergang zur Tagesordnung erledigt werden.

Die Abgg. Freiherr von Tos (Centr.) und Dauzenberg (Centr.) wallen die . der Regierung zur Berücksichtigung über⸗ weisen, wogegen sich Abg. von Kölichen“ (cons.) ausspricht, weil dann von allen Seiten eine frühzeitigere Entlassung der Kinder verlangt werden würde. :

Abg. Seryffardt⸗Magdeburg (ul.) wendet sich gegen den An⸗ trag auf Berücksichtigung; die Frage fei während des Kulturkampfes mehrfach erörtert worden, aber man habe sich immer dafür entschieden, für die Schulpflicht eine feste Altersgrenze anzunehmen und nicht das Belieben irgend einer Person.

Abg. Br. Lieber (Centr.) hält es für seltsam, daß ein Liberaler die Beamtenwillkür in Schutz nehme gegenüber einer Vorschrift, die gesetzliche Kraft habe, und deren loyale Ausführung man jetzt vermisse. ö .

Abg. Dr. Sattler (nl) spricht seine Verwunderung darüber aus, daß kein Vertreter der Regierung anwesend sei, um Pen in den Worten des Vorredners liegenden schweren Vorwurf, daß die Gesetze nicht loyal ausgeführt würden, zurückzuweisen. J ö

Abg. Freiherr von Minnigerode⸗Rossitten (cons.): Um den Charakter der Volksschule handelt es sich nicht, sondern um die praktische Trage, ob die Entlassung aus der Schule von dem Willen des Local⸗Schulinspectors oder von den Vorschriften der Regierung abhängen soll. Wir entscheiden uns für das letztere, denn es ist uns nicht nachgewiesen.⸗ daß diese Vorschriften ungesetzlich sind.

Gegen die Stimmen des Centrums, der Polen und des Abg. Sack (eon) wird der Uebergang zur Tagesordnung beschlossen.

Dig Petition des Gärtnereibefitzers Bon der Schmissen in Steglitz wegen Gestattung des Handels mit Erzeugnissen der Gärtnerei an Sonntagen innerhalb der Stunden, die nicht dem öffentlichen Gottesdienste vorbehalten sind, wird der Regierung als Material überwiesen. (Schluß des Blattes.)

Der Gutsbesitzer Tannen, Mitglied des Sauses der. Abgeordneten für den 2. Wahlbezirk des Reglerungs— bezirks Aurich (Aurich⸗Wittmund), ist in der Naͤcht zum 8. d. M. nach kurzer Krankheit in Aurich gestorben.

Die Steuerreformeemmisfion des Hauses der Ab— geordneten erledigte gestern die drei letzten Titel des Communal.« abgabengesetzes, welche die Strafen, Nachforderung und Ver— jährung, Kosten und Zwangsvollstreckung. betreffen. Bei 8 75 Kreis- und Provinzialstenern) wurde folgender vom Abg. Schla bit sfreicons.) beantragter Zusatz beschlossen: „Die Kresse sind befugt. das Halten von Hunden zu besteuern. Die Steuer pro Jahr und Hund darf den Höchstbetrag von 5 M nicht übersteigen. Die Steuer wird durch Steuerordnung geregelt. Dieselbe bebarf der Geneh ; migung.“ Die Schluß, . und Uebergangsbestimmungen (S§ 76—- 79) wurden nur unwesentlich verändert. Damit war die erste Lesung der Vorlage beendet.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Ab syerrung⸗ Maßregeln.

Großbritannien. Durch Verordnung des Board ot Supervision in Gdenbarn.

vom 24. Januar 15h sind die Bestimmungen der englischen Ver.

ordnung vom 21. dess. M., betreffend die vorlänßge. Dad de. , , Jula 2 der Einfuhr von Lumpen nah Gngland und Wales (R. A. Nr. 26 vom Jo. Jan nar os in der erben Jasung auch für Schottland in Kraft gesetzt und die alteren,

BVertüttung ber Einschleppung von Cbolerd wah Scetttand ., in Uebereinstimmung mit den früberen, englischen o er

geaͤndert worden. Vergl. . HR. . Nr i enn , . iss

fonds der Eisenbahn verwaltung für 189192 und die

ö / / / 7

lassenen Verordnungen des Board of Suher vision ent hrechend at-