1893 / 40 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 15 Feb 1893 18:00:01 GMT) scan diff

war. Der Mansfelder Bergbau hatte, wenn er nicht, wie es technisch heißt, ersaufen und damit den Betrieb unmöglich machen wollte, kein

anderes Mittel, als diese Wasser zu heben und durch ihren unter— irdischen Abzugskanal, den Schlüsselstollen, abzuführen. Es ist zu⸗

zugeben, daß das Quantum Salz, welches sich aus diesen Stollen er⸗ gießt, als ein ungeheuer großes anzusehen ist, und es unterliegt keinem

Zweifel, daß die Versalzung des Elbwasserz unter dieser Zuführung sehr erheblich zugenommen hat.

Nun, meine Herren, die Frage Magdeburgs ist ja von zwei Selten anzusehen. Sie ist erstens eine vorübergehende Calamität und zweitens eine dauernde. Vorübergehend ist sie vor allen Dingen des⸗ halb, weil Magdeburg, wie mir gesagt wird, seit hundert Jahren nicht einen so niedrigen Elbwasserstand gehabt hat, wie im vergangenen Jahre. Es liegt auf der Hand, daß alle Zuflüsse doppelt so stark wirken, als wenn ein reichliches Quantum in der Elbe vorbei— geführt wird. In normalen Zeiten b rägt pro Secunde der Cubikmeter Wasser in der Elbe 405 cbm in der letzten Zeit, im vergangenen Herbst und Winter, betrug derselbe nur 139 ebm also eine Verminderung auf etwa ein Drittel. Der Unterschied zwischen dem Salzgehalt bei normalem Wasserstande und bei dem niedrigen Wasserstande der letzten Zeit ergiebt sich ungefähr aus folgenden Ziffern: Der Mansfelder Schlüsselstollen liefert in jeder Secunde ein Quantum von 166 Eg Salz mit 70 kg Natron und 1,1 kg Magnesia; die sämmtlichen Kalifabriken führen der Elbe in jeder Secunde

ju nur 10 kg Salz mit nur O8 kg Natron, aber mit 2,8 Eg Magnesia. Ich will gleich erwähnen, daß Magnesia derjenige Stoff ist, der zwar nicht den Salzgehalt so vermehrt, aber den wider⸗ wärtigen Geschmack, den das Leitungswasser von Magdeburg hat, mit sich bringt. Ich möchte also nur eonstatiren, ohne den Mansfelder Bergbau von der Schuld an der Versalzung freisprechen zu wollen, daß nicht er die Magnesia, die Ursache des widerwärtigen Geschmacks, zuführt, sondern daß diese auf schon früher stattgefundene Zuflüsse zurückzuführen ist. Bei mittlerem Wasserstande, also bei dem Wasserstande, den ich vor— hin mir erlaubt habe anzugeben von 405 ebm pro Secunde, erhält jeder Cubikmeter Wasser in der Elbe aus dem Schlüsselstollen Gal kg Salze und aus den chemischen Fabriken Oo, 24 kg Salze, bei niedrigem Wasserstande dagegen aus dem Schlüsselstollen 1A kg und aus den chemischen Fabriken 0 O72 kg Salze. Zusammen bei mittlerem Wasserstande 0, 434, bei niedrigem Wasserstande 1,272 kg Salze.

Nun, meine Herren, habe ich mir gestattet zu erwähnen, daß es sich hier bezüglich des niedrigen Wassers um einen vorübergehenden Nothstand handelt, von dem wir hoffen dürfen, daß er in dem Maße, wie er jetzt ist, in Bälde nicht zurückkehrt und jedenfalls hoffen dürfen, daß er mit dem Einfluß höherer Wasserstände eine nicht unerhebliche Abschwächung erfahren wird. Schon heute ist diese Abschwächung theilweise ein—⸗ getreten.

Die Calamität, die durch den Mansfelder Schlüsselstollen herbei⸗ geführt wird, ist ebenfalls als dauernd zweifellos nicht anzusehen. Der Zustand, in dem die Mansfelder Bergwerke sich befinden, ist auf keinen Fall auf die Dauer haltbar, und es wird die Frage entstehen, ob der Mansfelder Bergbau dazu übergeht, den salzigen See zu expropriiren, und die Wassermassen dieses Sees, die an sich durchaus nicht so sehr gefährlich salzhaltig sind, wie sie werden, wenn sie durch die Schlottenzüge gehen, auszupumpen. Es wird sich darum handeln, ob der Mansfelder Bergbau im stande ist, die Kosten für die Expropriation, die sehr erheblich sind ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich sie auf sechs bis sieben Millionen annehme zu tragen. Ist er das, so wird er zur Expropriation und zur Auspumpung des Wassers übergehen können, sobald nämlich das Expropriations⸗ resolut erlassen ist, welches in erster Instanz vor der staatlichen Ent— scheidung steht, und wenn diese erstinstanzliche Entscheidung, wie ich hoffe, in wenigen Wochen ergangen ist, so wird noch die Frist zum Recurs an das landwirthschaftliche und Handels⸗Ministerium gewahrt bleiben müssen. Immerhin ist die Hoffnung auszusprechen, daß im Laufe von etwa zwei Monaten diese Frage ihre Erledigung findet. Die Mansfelder werden dann mit möglichster Geschwindigkeit zu einer Entwässerung des salzigen Sees übergehen. Ich will also nochmals wiederholen: Diese Calamität, so schwer wie sie gegenwärtig ist, wird zu einer dauern⸗ den Versalzung der Elbe nicht führen. Für die zweite Frage, die Be⸗ seitigung der dauernden Calamität, ist eine Lösung viel schwerer zu finden, wenn sich nicht die Stadt Magdeburg dazu entschließt, ihr Wasser aus anderen Quellen zu nehmen, als aus dem öffentlichen Flußlauf der Elbe. Wesentlich sind dabei, wie ich schon erwähnt habe, die Kalifabriken des Staßfurter Bezirks betheiligt. Es wird den Herren bekannt sein, welche hohe Bedeutung diese Kalifabrikation erlangt hat, und zwar nicht bloß für die Industrie, welche sich damit beschäftigt, sondern auch für die Landwirthschaft, und besonders auch für diejenige Landwirthschaft, welche un— mittelber um Magdeburg blüht, für die Zuckerindustrie, durch welche das kann man behaupten auch die Stadt Magdeburg einen großen Theil ihrer finanziellen und gewerb⸗ lichen Größe erlangt hat. Bis 1890 sind an Producten aus dem Staßfurter Industriebezirk für 230 Millionen gewonnen worden, im Jahre 1890 wurden abgesetzt 361 827 t Kainit, 13 315 t sonstige Kalisalze, erstere im Werthe von 5200 000 M, die letzteren im Werthe von 11 300 0090 ½½ dazu noch eine Reihe anderer Salze im ungefähren Werthe von 200 000 ½ς In Deutschland wurden für den landwirthschaftlichen Verbrauch von diesen Kaliproducten abgesetzt 1880: 24 000, 18900: 179 000 und im Jahre 1891 bereits 240 000 t. Sie wollen daraus ersehen, meine Herren, welche enorme Bedeutung dieser Industriezweig für unsere heimische Landwirthschaft hat. Es kommt dazu noch Chlor— kalium und Schwefelkalium, die ebenfalls für die Landwirthschaft zur Verwendung gelangen. Es ist kein Zweifel, daß die sächsische Zucker. industrie nicht Jahrzehnte lang hätte fortblühen können, wenn ihr nicht die Dungkraft der Kalisalze zu Hilfe gekommen wäre.

Wir stehen also vor der Frage, da wir zur Zeit keine genügenden Mittel haben, um die Abwässer der Kalifabriken genügend zu klären, ob wir, wenn wir dem Zustand der Elbe dauernd abhelfen wollen, die Kaliindustrie untergraben müssen. Das werden Sie mir alle zugeben, daß eine solche Frage so schwerwiegend ist, daß man gut thut, wenn man nicht sofort zu den letzten gesetzlichen Mitteln greift, sondern versucht, ob es nicht einen anderen Weg giebt, um dieser dauernden Calamität der Stadt Magdeburg abzuhelfen.

Auf der einen Seite stehen das erkenne ich im vollsten Maße an die sehr bedeutenden Interessen der Stadt Magdeburg mit

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ihren über 200 000 Einwohnern; auf der anderen Seite steht eine Industrie, die auch gewiß an 100 0000 Menschen Nahrung giebt, und deren Fortfall nicht nur die betreffenden Industriellen und ihre Arbeiter treffen würde, sondern auch die vielen ländlichen Kreise, die von der Industrie leben, und nicht zum geringsten Theil unsere deutsche Landwirthschaft, die in immer weiterem Maße und in immer weiteren Gegenden ihren Bedarf an Kalidünger aus der Staßfurter Gegend bezieht. Wir haben auf der einen Seite eine Calamitãät, die allerdings als eine acute anzusehen war, von der wir aber hoffen dürfen, daß sie bei reichlichen Wasser⸗ zuflüssen aus der Elbe sich nicht als dauernd heraus stellen wird. Auf der anderen Seite würden wir aber zu Mitteln greifen, die eine große Industrie nicht bloß vorübergehend, sondern dauernd lahmlegen und erschöpfen würde. Daß in dieser außerordentlich schwierigen Situation nicht allein Rechtsfragen zu ent⸗ scheiden haben, werden Sie mir zugeben. Ich hoffe nochmals auf Ihre Zustimmung, daß es richtig ist, in solchen Fällen nicht mit einer gewissen Blindheit zu gesetzlichen Mitteln zu greifen, sich viel⸗ mehr zu überlegen, was für Schaden auf der anderen Seite dadurch entsteht.

Ich bin zu der Ueberzeugung gekommen, und das Staats— Ministerium mit mir, daß dauernd diesem Zustande nur dadurch ab— geholfen werden kann, daß die Stadt Magdeburg sich entschließt, ihre Wasserleitung nicht aus dem öffentlichen Flußlaufe zu speisen, son—⸗ dern in Zukunft aus Quellengebieten, wo sie dann nicht vor der Gefahr steht, bei niedrigen Wasserständen oder außergewöhnlichen Zuflüssen aus Industriewerken jedesmal vor die Frage gestellt zu werden, die Gesundheit ihrer Einwohner zu möchte die Meinung aussprechen, daß es wohl gerathen gewesen wäre, wenn die Stadt Magdeburg sich früher mit diesem Gedanken bertraut gemacht hätte, als erst jetzt, wo eine Abhilfe außerordentlich schwierig ist. Ich meine die Gutachten, die bereits im Jahre 1889 abgegeben worden sind, die dahin lauteten, daß zwar eine directe gesundheitsschädliche Gefahr durch das Elbwasser nicht zu fürchten sei, daß aber immerhin das Wasser von einer Beschaffenheit sei, die es zum Genuß höchst unangenehm, ja pielleicht unbrauchbar mache, in Verbindung mit dem Umstand, daß man darüber orientirt sein konnte, daß eine gründliche Abhilfe weder durch Anlage des Fluthkanals, noch durch eine genügende Reinigung der Kaliabwässer erfolgen könnte —, ich meine, diese Umstände hätten zu der Ueberlegung führen können, ob es nicht gerathen sei, schon früher die Frage aufzugreifen, ob man nicht den Wasserbedarf für Magdeburg von einer anderen Stelle holen sollte als aus der Elbe.

Der Herr Vorredner hat auch bemerkt, daß es ein starkes Stück sei, daß man dem zweifellosen Recht einer großen bevölkerten Stadt, ihren Wasserbedarf aus der Elbe zu entnehmen, nicht stattgebe, sondern gewissermaßen abwartend dem gegenüberstände. So liegt es doch nicht. Ein absolutes Recht irgend einer Stadt darauf, daß das Wasser eines öffentlichen Flußlaufes so rein gehalten wird, daß sie ihr Trinkwasser daraus bestreiten kann, ein solches Recht ist nach der Lage unserer Gesetzgebung nicht vorhanden, ein solches Recht kann auch nicht gegeben werden. Nach der vorliegenden Rechtsprechung existirt ein Anspruch auf das Wasser eines Flußlaufs bis zu der Grenze hin, daß es absolut reingehalten wird, nicht. Wohl aber liegt die Verpflichtung für die Staatsbehörden vor, das Wasser der öffentlichen Flußläufe, soweit wie irgend möglich, in einem Zustande zu erhalten, daß es auch zu gewerblichen Zwecken in gemein⸗ üblichem Maße von den Angrenzern der Flußufer zur Benutzung be— zogen werden kann.

Nun habe ich den Herren von Magdeburg, die vor einiger Zeit bei mir waren, meine Anschauung so dargestellt, wie ich sie heute dar⸗ gestellt habe, und ich muß das wohl bestätigen, daß ich eine Befrie⸗ digung bei den Herren durch diese meine Erklärung nicht hervor— gerufen habe. Das konnte ich nach Lage der Dinge auch nicht erwarten. Das kann man dann nicht erwarten, wenn so große sich gegenüberstehende Interessen vorliegen und man sich für das eine oder andere, wenn auch nicht ganz, so doch theilweise wird entscheiden müssen. Ich habe die Herren dringend gebeten, ihr Augenmerk darauf zu richten, zunächst festzustellen, von welcher Stelle sie in der Lage sind, Magdeburg besseres Grund⸗ oder Quellwasser zuzuführen, als es bis⸗ her der Fall ist. Das kann ich nur bestätigen, daß die Herren sich bereit erklärt haben, in dieser Beziehung alles das zu thun, wozu sie in der Lage sind. Ich bin ihnen nach Kräften behilflich gewesen zur Auffindung von geeigneten Sachverständigen, und ich hoffe, daß in nicht allzu langer Zeit sich Klarheit darüber ergeben wird, von welcher Stelle die Stadt Magdeburg in Zukunft ihr Wasser zum Trinken und ihr Wirthschaftswasser holen kann. Es ist ja dann zu hoffen, daß es uns möglich sein wird, die betheiligten Industriezweige zu einem Kostenbeitrage für diese Wasserleitung zu bestimmen. Zunächst glaube ich wohl darauf rechnen zu können, daß eine ganze Reihe von industriellen Unternehmungen bexeit sein werden, das freiwillig zu thun. Wenigstens sind mir in dieser Beziehung schon Andeutungen gemacht worden. Sollte das aber nicht der Fall sein, dann würde allerdings die Staatsregierung sich zu fragen haben, ob sie von den ihr zur Seite stehenden gesetzlichen Mitteln in der Richtung Gebrauch macht, daß sie denjenigen Industriestädten, die sich weigern, einen Beitrag zu den Kosten für die Wasserleitung von Magdeburg zu zahlen, androht, wenn sie ihre Wässer nicht reinigen, daß sie über⸗ haupt nicht mehr das Wasser in die Flußläufe dürfen gelangen lassen. Es liegt, wie Sie zugeben werden, darin ein wirksames Mittel, von dem man ja in vorsichtiger Weise wird Gebrauch machen können. Ich habe mitgetheilt, was ich über die Sache weiß und was zu thun sein wird.

Ich wiederhole, es ist eine außerordentliche Lage, in der wir uns befinden und die reifliche Ueberlegung fordert. Greifen wir einfach nur zu den gesetzlichen Mitteln, die uns zu Gebote stehen, so würden wir auf der einen Seite einen allerdings unleidlichen Zu⸗ stand beseitigen, dafür aber auf der anderen Seite einen Zustand schaffen, der für viele andere betheiligte Seiten dauernd ebenso unleidlich wäre, wie der augenblickliche Zustand von Magdeburg. Es bleibt auch hier nichts weiter übrig, als den ver— ständigen Mittelweg einzuschlagen. Ich kann die Versicherung geben, daß ich, daß die Staatsregierung nach Kräften bemüht sein werde, diesen Mittelweg in verständiger Weise und so rasch, wie es möglich ist, zur Ausführung zu bringen.

Auf die im Laufe der Debatte ausgesprochene Besorgniß, daß der jetzige Zustand des Elbwassers eine Gefahr für den

gefährden. Ich

Ausbruch einer Cholera⸗Epidemie bilde, offer der Minister

der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Pr. Boffe?

Meine Herren! Ich möchte nur um die Erlaubniß bitten, noch mit einigen Worten auf die Ausführungen des verehrten Herrn von Jagow berichtigend einzugehen und damit eine gewisse Beunruhigung hintanzuhalten, die möglicherweise aus der Annahme entstehen könnte, als wenn die Uebelstände, die sich auf das Elbwasser bei der Stadt Magdeburg beziehen, einen wesentlichen und zwar ungünstigen Ein fluß auf die Verbreitung der Cholera haben. Ich habe auf An— regung des Herrn Ober⸗Bürgermeisters von Magdeburg, der auch mir mit Rücksicht auf die gesundheitliche Seite der Sache von den großen Calamitäten, die dort zu Tage getreten sind, Mittheilung gemacht hatte, den Director des hiesigen hygienischen Instituts Professor Dr. Rubner gebeten, sich nach Magdeburg zu begeben und dort die hygienischen Verhältnisse einer Untersuchung zu unterziehen. Es ist ja begreiflich, daß wir von der Medizinalabtheilung ein sehr großes Interesse daran hatten, zu wissen, wie die Sachen stehen und wie weit wir in der Lage seien, dort Vorkehrungsmaßregeln zu treffen, namentlich der Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit gegenüber, daß wir weitere Cholerainfectionen haben werden. Dabei ist nun so viel außer allem Zweifel, daß das Wasser für die Ver— breitung der Cholera keine besondere Gefahr ist. (Hört, hörth Es ist möglich, wenigstens noch nicht widerlegt, daß der Cholera—⸗ baeillus sich in diesem versalzten Wasser kürzere Zeit am Leben erhält, als im gewöhnlichen. Es werden jetzt darüber Versuche gemacht, die⸗ selben sind noch nicht abgeschlossen; ich bin aber sehr gern bereit, die Ergebnisse jedem, der sich dafür interessirt, mitzutheilen. Aber das steht fest, daß bei guten Filtrationsanlagen es möglich ist, den Cholerakeim vom Trinkwasser überhaupt zurückzuhalten. Augenblicklich liegt die Sache, was die Verbreitung der Cholera anlangt, sehr günstig durch die ganze Calamität; denn das Elbewasser bei niedrigem Wasserstande wird nicht getrunken, und das Saalewasser unterhalb Wettin, wo der Schlüsselstollen von der Mansfelder Gewerkschaft hereinläuft, wird auch nicht getrunken. Und das ist ganz gewiß, daß die größte Gefahr für die Verbreitung der Cholera vorliegt, wo Fluß⸗ wasser getrunken wird. Da das nicht getrunken wird, kann man indirect sagen: die ganze Calamität hat für die Nichtverbreitung der Cholera einen gewissen Vortheil. Das wird uns nicht hindern, die Sache sehr ernst zu nehmen und ernst weiter zu verfolgen, und ich möchte auch glauben, daß die Stadt Magdeburg doch schließlich darauf beschränkt sein wird, sich an anderer Stelle ein anderes Trink⸗ wasser zu suchen. Ich habe auch nach den Nachrichten, die mir heute zugegangen sind, die Hoffnung, daß dies gelingen wird, und zwar in den fiscalischen Waldgebieten im Norden Magdeburgs; es schent in der That dort in ausreichender Menge ein gutes Trinkwasser vor⸗ handen zu sein, was dazu dienen kann, dem Bedürfnisse Magdeburgs zu genügen. Das ist, was ich nur vom sanitären und hygienischen Standpunkt aus hinzufügen wollte.

Es kann im übrigen keinem Zweifel unterliegen, daß dieses ver⸗ salzte Wasser vom hygienischen Standpunkt aus in keiner Weise dem Bedürfniß genügt; denn ein gutes und einwandfreies Trinkwasser ist eins der ersten Lebensbedingungen für die Bevölkerung.

Das Haus setzt sodann die zweite Berathung des Staatshaushalts-Etats für 1893/94 bei dem Etat des Ministeriums der geistlichen zc— Angelegen⸗ heiten fort. Bei der weiteren Debatte über Titel 1) der Ausgaben (Gehalt des Ministers) spricht

Abg. Hr. Porsch (Centr.) den dringenden Wunsch aus, daß der⸗ selbe friedliche Geist, der im Ministerium herrsche, auch bei den unter⸗ geordneten Organen Platz greife, die allzu hbureaukratisch und nach dem Buchstaben des Gesetzes verführen. Manches sei von dem Cultur kampf weggeräumt worden, aber es sei nur ein aditus ad, bacem geschaffen, nicht reiner Tisch gemacht worden. Die Katholiken ver⸗ mißten die Garantie der aufgehobenen K die Garantie, die in dem Bestehen der katholischen Abtheilung ge⸗ legen habe und die dadurch ersetzt werden könnte, daß Katholiken im Verhältniß zu ihrer Zahl in die Staatsämter berufen würden. In anderen Staaten: in Sachsen, Bayern, Desterreich ꝛc. sei ein solcher Schutz der confessionellen Minderheiten gesetzlich eingeführt; alle Fe t liege in der Hand von Beamten der betreffenden Confession. In Preußen sei ein ähnlicher Schutz nöthig, besonders weil die Be— hörden immer noch von einem gewissen eulturkämpferischen Geiste beseelt seien und die Aufsicht über katholische Dinge in der Hand evangelischer Beamten liege. Der Staat habe Einfluß auf die Aus— bildung und Anstellung der Geistlichen; der Einspruch des Staats könne die Anstellung der Geistlichen hindern, wenn auch augen⸗ blicklich thatsächliche Beschwerden nicht vorlägen, Ebenso liege es bezüglich der Besetzung der Bischofsstühle, namentlich weil die Bis⸗ thumsverweser noch zur Leistung des Eides veranlaßt werden könnten. Alle diese Gesetze seien nicht gemacht mit Genehmigung der katholischen Kirche, sondern gegen den Willen der Katholiken von der Mehrheit, die einer anderen ,, angehöre. Ein Beschwerdeyunkt sei ferner, daß das Altkatholikengesetz noch bestehe, daß namentlich katho— lische Kirchen einer verschwindenden Minderheit von Altkatholiken zur Verfügung gestellt seien, wie z. B. die Corpus Christi⸗Kirche in Breslau, die für die katholische Seelsorge dringend noth⸗ wendig sei. Man möge die Altkatholiken als besondere Kirchen, gemeinschaft constituiren und aus Landesmitteln dotiren, nicht auf Kosten der katholischen Kirche. Daß, das Ordensgesetz, welches ein Reichsgesetz ist, von preußischen Behörden aufs empfindlichste aus⸗ geführt werde, möge der Erörterung im Reichstag vorbehalten bleiben. Es werde aufs schmerzlichste empfunden, wenn man die zügellose , . gerade den katholischen Ordensleuten vorenthalte. Jede

rdensniederlassung bedürfe der Genehmigung, die jeder Zeit wider⸗ ruflich sei, sie unterstehe der staatlichen Aussicht und im Fall der Auflösung der stagtlichen Verwaltung. Wollen die Freimaurerlogen sich ähnlichen Bestimmungen unterwerfen? Oder würde man es richtig finden, wenn man die Niederlassung von Juden ab— hängig machte von der Genehmigung von Behörden, zu deren Mitgliedern Antisemiten gehbren? Die Herren, die so viel . für die Juden übrig haben, sollten auch den Orden einiges Mitleid zuwenden. Schulschwestern würden zugelassen, aber man gestatte ihnen die, Einrichtung von Pensiongten nicht; krankenpflegende Schwestern hätten das Hecht, auch Waisen aufpu—¶ nehmen, aber man hindere sie daran durch alle möglichen me een, Höhere Töchterschulen könnten Ordenszschwestern leiten, aber sie dürften ihre Schülerinnen nicht zum Lehrerinnenexamen vorbereiten. Das Volksschulgesetz konnte uns nicht begeistern, aber es enthielt die confessionelle Schule und wir glaubten, daß man über diesen Punt über den die Gläubigen der evangelischen und der katholischen Kirche einig waren, zu einer Verständigung kommen werde. Das Fallenlassen des Gesetzes hat uns auf dat töefste verstimmt, wir haben nicht begriffen, weshalb man uns zu Gunsten einer anderen Richtung hat fallen lassen. Den Frieden . man dadurch nicht n r. Die Regierung sollte bestrebt sein, die Punkte, über die im ganzen und großen eine Einigung herrscht, in der Verwaltun du chiuf i be n vor allem sollte der eonfesstonelle Charakter der Schule gewahr werden, die Simultanschulen sollten abgeschafft werden, namentli in . Aberschlesien und in Westpreußen. Die Frage der Confession stehe der Sprachenfrage erheblich voran. Die Confessionalität der Schulen sollte man auch in der Schulaufsicht zum Ausdruck bringen.

2 ö. 2 6 4 Bei dem Polenfeldzug habe man Oberschlesien der Provinz Posen a, das fei ein Fehler gewesen; es herrsche jetzt in Ober⸗ ; lesien ehe großg-Verstimmung in Bezug auf die Sprache; ein Gegen saz der Nationalitäten herrsche in Sberf lesien nicht, aber die . Regierung in der Sprachenfrage könne ihn leicht schaffen.

er ,, sollte in der Muttersprache erfolgen und das gen, gen und Schreiben sollte einen Platz in der Schule finden

ie Entscheidung des Ministers bezüglich des Religionsunterrichts der Dissidentenkinder halten wir nicht für richtig; wir können ja aber bie ,, der Gerichte abwarten. Jedenfallt zeigt es sich, daß man die bestehenden Vorschriften in dieser Beziehung nicht mehr auf— rechterhalten kann; man wird auch ohne ein Unterrichtsgesetz diese Frage regeln müssen. In den oberen Klaffen mag der eine oder andere sich abseits vom Glauben halten; aber wie steht es in den unteren Klassen, wenn es nach Bebel's Wunsch geht, der Heine's Wort eitirte: „Den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen“. Da wird die Möglichkeit eines neuen Heidenthums geschaffen. Für den richtigen katholischen und evangelischen Religiont⸗ ünterricht kann der Stagt sorgen, aber welchen Religionsunterricht soll er Kindern geben lassen, die keine Religion haben? Soll etwa ein staatlicher k werden? Welchen Zweck hätte es, die Kinder glaubenslgser Eltern in einer Religion zu unterrichten, die nicht die ihrige ist; ein solcher Unterricht kann nicht auf das, Herz des Kindes. wirken. Wie man helfen kann, weiß ich nicht. Die biblische Geschichte ist auch ein Theil des Religions⸗ unterricht, sie kann nicht für ungetaufte Kinder ihres bekenntniß⸗ mäßigen Charakters entkleidet werden, ohne daß die getauften Kinder darunter leiden. Der Staat hat mit dem Religiongunterricht nichts weiter zu thun, als ihn zu beaufsichtigen; die Kirche leitet ihn, und was die Kirche nicht als Religionsunterricht anerkennt, kann keinem Ange⸗ hörigen der betreffenden Kirche aufgezwungen werden. Der Religionz⸗ unterricht ist ein Theil der Religionsühung, diese muß frei bleiben, so lange der Staat eine Religionsgemeinschaft in feinen Grenzen duldet. Wenn der Staat das Recht hat, einen religiösen Unterricht aufzu⸗ zwingen, dann kann er schließlich auch einen irreligiösen Unterricht aufzwingen. Es wird als eine Ironie des Schicksals bezeichnet, daß der Staat, die Polksschule confessionell gestalten will, daß er dagegen die höheren Lehranstalten simultan gestaltet, ja, daß man es alß, einen Vorzug der. Wissenschaft bezeichnet, daß sie von jedem Glauben losgelöst ist. Hier muß die Regierung überall Licht, und Schatten gleichmäßig vertheilen. Gegenüber den schweren Aufgaben, die die Gegenwart mit sich bringt, müssen alle diejenigen, die treu zu Thron und Altar stehen, zusammenhalten. Unsere Beschwerden hindern uns in diesem Zusammengehen, deshalb bitten wir nicht bloß die Regierung, sondern auch die Parteien, unseren Beschwerden abzuhelfen.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Ich kann ja dem Herrn Abg. Dr. Porsch nur sehr dankbar sein für die friedsame Weise, in der er gewisse Beschwerden, die hier schon früher vorgebracht sind und die jetzt von neuem vorgebracht werden, hier zusammengefaßt hat. Meine Herren, ich werde nicht auf alle Einzelheiten der eben gehörten Rede eingehen können und auch nicht einzugehen brauchen. Sie hat aber nach gewissen Seiten hin eine Art programmatischen Charakters, und soweit das der Fall ist, kann

ich mich der Verpflichtung nicht entziehen, darauf zu antworten. Ich enthalte mich zunächst eines nochmaligen Eingehens auf die Frage der religiösen Erziehung der Dissidentenkinder. Ich habe gestern meine Stellung in dieser Beziehung hier klar dargelegt, ich würde heute nur noch einige Notizen hinzufügen können, etwa über den Gang

der Entwickelung dieser Frage innerhalb des Ministeriums; aber ich

halte es nicht für wichtig genug, um das hohe Haus damit noch länger aufzuhalten. Es wird zunächst, wie die Dinge liegen, nichts übrig bleiben, als die gerichtlichen Entscheidungen abzuwarten, die ja im Gange sind. Ich möchte auch nicht näher eingehen auf die Frage des Religionsunterrichts im allgemeinen. Ich muß bestreiten, daß die Consequenzen, die der Herr Abg. Dr. Porsch aus meinen gestrigen Ausführungen geglaubt hat ziehen zu dürfen, richtig gezogen sind; diese Consequenzen gehen viel weiter als diejenigen, welche ich ziehe. Ich stehe dabei auf dem ganz sicheren Boden der Verfassung, und daß die Verfassung nicht die weitgreifenden Consequenzen gewollt hat, von denen der Herr Abg. Dr. Porsch gesprochen hat, das scheint mir außer Zweifel zu sein. In einem Punkte bin ich mit dem Herrn Dr. Porsch vollkommen einverstanden, nämlich darin, daß die Unterrichtsverwaltung allerdings die Pflicht hat, bei den Berufungen von Lehrern an höhere Schulen Licht und Schatten gleichmäßig zu vertheilen (Bravoh, darauf hinzuwirken, daß nicht einseitige Richtungen nach der einen oder anderen Seite überwuchern, sondern, daß unsere Jugend in die Lage kommt, auch von der positiven Seite zu hören, was an wissenschaft— lichen Erträgnissen von ihr beigebracht wird, sodaß sie selbst urtheilen und prüfen kann, auf welcher Seite sie den Grund für ihre wissen⸗ schaftliche Erkenntniß suchen will. (Bravoh Meine Herren, der substantielle Inhalt der Beschwerden, die wir aus dem beredten Munde des Herrn Vorredners gehört haben, geht, wenn ich das Ganze zusammenfasse, im großen und ganzen immer auf denselben Punkt. Ich glaube, sie kommen alle auf die Annahme oder

auch vielleicht auf die Besorgniß hinaus, daß seitens der Unterrichts-

und Cultusverwaltung und ihrer Organe zwar im ganzen und großen eine gerechte und paritätische Behandlung der katholischen Kirche und der Katholiken proelamirt und bis zu einem gewissen Grade auch gehandhabt werde, daß aber in einer Reihe von Einzelfällen dennoch eine gewisse Neigung der Behörden bestehe, allerhand oft recht klein⸗ liche Schwierigkeiten zu machen und den Katholiken das zu versagen, was ihnen rechtlich gewährt werden kann und nach der Verfassung gewährt werden muß. Meine Herren, ich will es ganz dahingestellt sein lassen, ob bei den unter der Unterrichtsverwaltung stehenden Be⸗ hörden hier und da derartige Neigungen hervorgetreten sind; daß sie innerhalb der Unterrichtsverwaltung selbst nicht bestehen, das habe ich gestern versichert, und ich wiederhole das nicht nur für meine Person, sondern auch für meine Herren Mitarbeiter auf Grund der persön⸗ lichsten Kenntniß der Verhältnisse und der Personen. Ungünstigsten Falles kann es sich daher in dieser Beziehung nur um ganz vereinzelte Fälle handeln. Wo einmal Thatsachen an mich herangetreten sind, die auch nur entfernt den Eindruck zu machen geeignet waren, daß man von einer derartigen ungerechten, eculturkämpferischen Auffassung gegenüber den Pflichten, die wir auch gegen unsere katholischen Mit— bürger haben, ausgegangen wäre, da bin ich diesen Versuchen mit aller Entschiedenheit entgegengetreten, und ich habe jeden Zweifel darüber beseitigt, daß ich das nicht will.

Meine Herren, wir leben in großen Gegensätzen, und ich verkenne den großen Gegensatz, der zwischen der katholischen und evangelischen Kirche besteht, auch keineswegs. Soweit diese Gegensätze vorhanden sind, will ich sie offen, klar und prineipiell ausgesprochen wissen. Müßte wirklich gekämpft werden, so will ich meinerseits wenigstens den Kampf offen und ehrlich führen. Ich fürchte den Kampf nicht, wenn er wirklich nöthig ist. Aber wenn er nöthig sein sohte, so soll er wenigstens von Seiten des Staats mit ehrlichen, blanken und un⸗ befleckten Waffen geführt werden, nicht mit kleinlichen Praktiken und

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hinterrücks mit Nadelstichen, wie ich gestern schon gesagt habe; die können nur reizen und verbittern, uns aber sachlich nicht weiter führen. Aber, meine Herren, ich sehe zur Zeit gar keinen Anlaß zu einem derartigen Kriege. Der Culturkampf ist beigelegt. (Lebhafter Wider⸗ spruch im Centrum) Die Staatsregierung hat keinen Anlaß, ihn zu erneuern. Ja wohl, der Culturkampf i st beigelegt (lebhafte Rufe im Centrum: Nein h, über den Culturkampf ist Friede geschlossen. (Nein! im Centrum) Dann ändern Sie, meine Herren, die Gesetz⸗ gebung! Das können Sie doch nicht anders sagen, das müssen Sie mir zugeben: die Gesetzgebung des Jahres 1856 und 1857 hat den Zweck gehabt, Frieden zu schaffen. (Rufe im Centrum: anzubahnen ) Meine Herren, unsere Bestrebungen auf Seiten der Regierung gehen jedenfalls nicht dahin, durch eulturkämpferische Velleitäten der katho⸗ lischen Kirche und auch uns selber das Leben schwer zu machen; im Gegentheil, wir wollen Frieden halten, und zwar mit allen ehrlichen Mitteln wollen wir auch den confessionellen Frieden in der Bevölkerung stärken und befestigen. Ich sehe es viel mehr, ja, ausschließlich als meine Aufgabe an, auf diesem Gebiete auszugleichen und zu ver⸗ söhnen, nicht aber zu hetzen und zu verbittern.

Aber, meine Herren, das beruht allerdings auf der Voraussetzung, von der ich ausgehe, daß ich auch auf anderen Seiten das Vertrauen, das Entgegenkommen und die Unterstützung finde, deren ich nothwendig bedarf, wenn dies Ziel erreicht werden soll. Also kein Culturkampf weder im großen noch, wie der Herr Abg. Dr. Porsch sich neulich an einer anderen Stelle ausgedrückt hat, auf den Schleichwegen des stillen Kampfes. Die Staatsregierung hat den ernsten Willen, den ge⸗ schlossenen Frieden rechtschaffen zu halten und ihn rechtschaffen aus— zuführen; sie hat den redlichen Willen, der katholischen Kirche das zu gewähren, was ihr nach Gesetz und Recht und Verfassung in unserem Vaterlande zukommt, nicht. weniger, aber zunächst, soweit die Gesetz⸗ gebung geht, auch nicht mehr.

Jeder hiernach berechtigte Anspruch der Katholiken aber muß zunächst in jedem einzelnen Falle geprüft werden. Nur dadurch kann festgestellt werden, ob er berechtigt ist. Nun ist es richtig, daß diese Prüfung in letzter Instanz von einem evangelischen Cultus⸗ und Unterrichts⸗Minister erfolgt. Daraus ergiebt sich als selbstverständlich auch: zunächst vom Standpunkt des evangelischen Gewissens. Allein, meine Herren, darüber kann doch auch bei den Kotholiken kein Zweifel bestehen, daß ein ebangelisches Gewissen an die ewigen Grundlagen des Rechts, der Gerechtigkeit, der Wahrheit und aller sittlichen Forderungen gebunden ist.

Ueberall, wo die besonderen Verhältnisse der katholischen Kirche in Betracht kommen, ist auch Vorsorge getroffen, daß die Cultus, und Unterrichts verwaltung des ausgiebigsten, berechtigten katholischen Rathes nicht entbehrt. Wenn der Herr Abg. Dr. Porsch nach dieser Richtung hinFauf zwei Forderungen zurückgekommen ist: einmal, daß nach Maßgabe der Bevölkerungsziffer auch die Anzahl der katholischen Räthe im Cultus-Ministerium bemessen werden müsse, und zweitens, daß die katholische Abtheilung im Cultus⸗Ministerium wiederherzustellen sei, so muß ich sagen, ich halte beide Forderungen auch vom Standpunkt der Gerechtigkeit nicht für begründet. Ich lehne sie aus folgendem Grunde ab.

Meine Herren, mit einem mechanischen Rechenexempel nach Maß⸗ gabe der Bevölkerung können Sie die für die Räthe des Cultus— Ministeriums und seiner katholischen Mitarbeiter zu bemessende Zahl nicht richtig ermitteln. Es kommt nicht darauf an, wie viel Katholiken wir haben, sondern darauf, welche katholischen Angelegenheiten kommen an das Cultus⸗Ministerium und in welcher Zahl. Das ist aber nicht dasselbe Verhältniß, wie die Bevölkerungsziffer. Das ergiebt sich schon daraus, daß ja die katholische Kirche in ihren oberen Organen, in ihrer Leitung vom Staat unabhängig ist, und daß nach dieser Seite hin an uns sehr viel weniger katholische Angelegenheiten herantreten, als es bei der evangelischen Kirche der Fall ist. Also diesen mechanischen Maßstab bitte ich nicht anzulegen, wenn es sich darum handelt, wie viel katholische Räthe im Cultus⸗Ministerium beschäftigt werden müssen. Ich kann Ihnen versichern, daß wir zur Zeit vollkommen auskommen; ich glaube auch, daß die Herren des Cultus-Ministeriums überzengt sind, daß ich in dieser Beziehung in der That durchaus mit guten und correcten katholischen Räthen versehen und von ihnen katholisch correct berathen bin.

Was die katholische Abtheilung anlangt, meine Herren, das ist ein reines Internum der Organisation der Staatsverwaltung. Ich muß den Katholiken jedes Recht absprechen, sich hier einzumischen. Das ist Sache des Cultus-Ministers, ob er die Herren zu einer Ab⸗ theilung vereinigen will oder nicht. Ich werde sie nicht zu einer Ab⸗ theilung vereinigen; ich halte es für viel richtiger, daß wir die Sache so machen, wie es jetzt der Fall ist. Wir stehen in einem friedsamen und gedeihlichen Berathungsverhältniß, und ich kann nur sagen, die Sache geht durchaus nach Wunsch, und die katholischen Interessen dafür werden die katholischen Räthe und der Minister sorgen kommen dabei nicht schlecht weg (Beifall).

Meine Herren, ich kann hiernach der Besorgniß auf katholischer Seite, von der ich ausgegangen bin, die Berechtigung, die der Abg. Dr. Porsch für sich in Anspruch genommen hat, nicht zugeben. Ich werde der katholischen Kirche gegenüber mich ebenso wie der evan— gelischen Kirche gegenüber nur von der gewissenhaften Anwendung der Grundsätze leiten lassen, die Recht und Gerechtigkeit gebieten. Aber freilich, meine Herren, da Sie einmal diese prineipielle Aussprache herbeigeführt haben, so muß ich auch antworten: von den Rechten des Staats und von den Rechten der Krone, die meiner Obhut auf diesem Gebiete anvertraut sind, da werde ich auch niemals ein Titelchen preisgeben. Meine Herren, in diesem Punkte und das können Sie mir nicht übel nehmen werden sie mich stets un erbittlich und unerschütterlich finden. Das ist einfach meine Pflicht und Schuldig⸗ keit. Wollte ich diesen Boden verlassen, meine Herren, so wäre ich nicht nur in meinen eigenen Augen, sondern auch in Ihren Augen ein verlorener Mann. (Sehr richtig! rechts) Aber meine Herren, auch Sie würden dabei ganz schlecht fahren, Sie würden den mühsam ge⸗ wonnenen Boden, den Rechtsboden, auf dem Sie jetzt stehen, und von dem aus Sie Ihre Angelegenheiten vertreten, Sie würden ihn verlassen und würden damit auf einen höchst schwankenden Untergrund kommen. Meine Herren, es mag ja richtig sein, daß in dem, was von der Gesetzgebung der siebziger Jahre stehen geblieben ist, manches unbequem ist; von manchem mag es sich auch mit der Zeit noch herausstellen, daß es entbehrlich ist; aber, meine Herren, das ist doch ganz gewiß, daß diese stehengebliebenen Bestimmungen im Jahre 1886 und 1887, als man sich gegenseitig die Hand reichte, nicht in dem Sinne aufgefaßt worden sind, daß damit den Katholiken eine Schlinge

. 1 . um den Hals geworfen werden sollte, die man bei jeder beliebigen Gelegenheit ohne Weiteres wieder zuziehen könnte. Nein, meine Herren, daran denkt überhaupt kein evangelischer Mann, und daran hat auch die Regierung niemals gedacht.

Meine Herren, wenn dieser Standpunkt des geltenden verfassungs⸗ mäßigen Rechts von beiden Seiten mit ernstem und gutem Willen festgehalten wird, dann muß sich ganz naturgemäß immer mehr ein gedeihlicher, friedlicher modilus vivendi, herausbilden. Die großen Gegensätze ich verkenne das gar nicht werden nach wie vor be⸗ stehen bleiben; aber nur auf dem Wege, den ich angegeben habe, kann sich das mit so vielen Opfern und so viel Selbstverleugnung, mit so viel gutem Willen von beiden Seiten erstrebte große Ziel, das fried⸗ liche Nebeneinanderleben der beiden Confessionen mit Gottes Hilfe erreichen lassen Ich gehe deshalb auf die Einzelheiten, welche der Abg. Dr. Porsch vorgebracht hat, nicht ein, auch nicht auf die Auslegung der Gesetze. Es bestehen da gewiß Zweifel über einzelne Punkte. Ich stehe auf dem Boden, daß ich die Gesetze auf das gewissenhafteste auch nach ihrer Herkunft, auch nach den Verhand⸗ lungen, die geführt sind, als man sie geändert hat, prüfe, und daß ich nach dem Ergebniß dieser Prüfung unbeirrt von der Parteien Haß und Gunst meine Entscheidung treffe und mich bei meinem guten evangelischen Gewissen beruhige. (Beifall.)

Abg Dr. Freiherr von Heereman (Centr): Wenn auch augenblick⸗

lich die Regierung kein Mißtrauen verdient, so kann doch wieder ein⸗ mal ein culturkämpferischer Wind wehen, und ein solches Mißtrauen wirkt geradezu bergiftend auf das Volk, zumal wenn die eon— fessionellen Gegensätze sich zuspitzen. Ein bedenklicher Punkt ist die veränderte Stellung der Beamten, die sonst über den Parteien standen, die aber zur Ausführung der Culturkampfgesetze gezwungen wurden, die später durch die Schuld der Minister des Innern zu Hauptagitatoren gemacht und in das Parteitreiben hinabgezogen wurden. Oe urch entstand ein Mißtrauen gegen die Ün⸗ parteilichkeit und Unbefangenheit der Beamten, und das wurde dadurch verstärkt, daß diejenigen, die sich übereifrig, aber ungeschickt hervorgethan hatten, befördert wurden. Die Katholiken namentlich mußten das Gefühl der Gleichberechtigung verlieren, wenn die Zahl der katholischen Beamten sich stetig ver⸗ minderte. Wenn Sie (nach rechts gewendet) mit uns zusammen arbeiten wollen, dann werden Sie manche Meinung, die Sie von ung haben, abstreifen müssen, dann müffen Sie uns Vertrauen schenken. Vom Minister werden wir niemals verlangen, daß er ein Recht des Staats aufgeben soll; aber man kann manchmal fragen, welches ist ein Recht des Staats, welches ein Recht der Kirche; die Begriffe vom Recht des Staats haben in der Theorie und in der Praxis gewechselt. Sind nicht noch eine Menge Uebelstände aus dem Culturkampf rückständig, wie der Abg. Porsch ausgeführt hat? Ob eine katholische Abtheilung besteht, oder ob katholische Räthe dem Minister zur Seite stehen, ist ziemlich gleichgültig, wenn man nur das Vertrauen hat, daß katholische Männer den Minister berathen. Aber das kann ich Ihnen sagen, über katholische Dinge sind Sie (nach rechts gewendet) weniger unterrichtet, als wir über evangelische Dinge. Principiell treten wir dem Staat nicht entgegen; wenn man unser Recht anerkennt, dann wird auch die Schroffheit der Gegensätze gemildert; Sie (rechts) haben sich ja sehr viel gebessert. Der Abg. Rickert hat sich auch gebessert; sonst war er mit seinen n ,,,. Freunden unser schlimmster Gegner. Da er jetzt für die jüdischen Schulen fo warm eingetreten ist, wird er hoffentlich auch uns Gerechtigkeit widerfahren lassen. Die Be⸗ handlung, die den Orden zu theil wird, ist unerhört, sie muß aufhören im Interesse der Würde des Staats selbst. Jede andere Vereinigung zum Vergnügen und zum Erwerb ist gestattet, aber wenn ein Orden Wohlthun und Krankenpslegen fich zur Aufgabe macht, da treten die schärfsten Polizeivorschriften ein. Welche Felt⸗ same Auslegung wird da den Gesetzen gegeben! Die diseretionären Gewalten, die bei einem wohlwollenden Minister keine Gefahr bilden, werden bedenklich bei einem Üübelwollenden Minister, und an solchen diseretionären Vollmachten wimmelt es im Cultus ⸗Ministerium. Die meisten Menschen haben keine Ahnung von den Opfern, die die Ordensleute bringen aus reiner Liebe zu Gott; deshalb sollte der Staat diese Opfer anerkennen, fie nicht mißachten durch seine gesetzgeberischen Maßregeln. Es ist eine Forderung aller Katholiken, auf diesem Gebiet endlich Abhilfe zu schaffen, und ich bitte alle Par⸗ teien, uns zu unterstützen.

Abg. Dashbach(Centr): Der Abg. Rickert hat behauptet, Dr. Ecker, der als Gutachter in dem Judenspiegelprozeß fungirt habe, hahe sein Gutachten von dem bestraften Aron Briemäann anfertigen lassen. Redner geht auf den Prozeß etwas näher ein. Der Judenspiegel von Justus, d. i. Briemann, ist veröffentlicht und bom Westfälischen Merkur“ gelobt worden; der letztere

wurde darauf hin angeklagt wegen Aufreizung der Christen gegen die

Juden. Dr. Ecker erstattete ein Gutachten. Sollte er sich wirk⸗ lich von dem Werfasser des „Judenspiegel! das Material dazu haben geben lassen? Nachträglich hat Dr. Ecker eine Schrift „Der Judenspiegel im Lichte der Wahrheit“ geschrieben, in welcher er dem Justus, d. i. Briemann, nicht in allen Punkten beitrat. Er hat dabei Briemann befragt und mit ihm den Talmud studirt, aber schließlich seine eigene, zum theil bon Briemann abweichende Meinung kund egeben. Selbst wenn Briemann ein schlechter Mensch sein sollte, können seine wissenschaft⸗ lichen Kenntnisse große sein. Redner beruft sich auf die telegraphische Auskunft des Br. Ecker und untersucht dann die Frage, ob der Schulchan Aruch maßgebend sei für die Juden; das scheint ihm daraus herborzugehen, daß die Rabbiner sich bei ihren Entscheidungen immer darauf berufen. Im Gegensatz zu der Erklärung der Rabbiner stellt er fest, daß das Wort Akum auch auf Christen angewendet werde. Daß Dr. Ecker sich seinen Professorentitel durch eine fremde Arbeit erschlichen habe, soll in einem Wiener Prozeß festgestellt sein. Ich habe nichts weiter ermitteln können, als daß Professor Rohling diesen Prozeß en Block in Wien auf Befehl der Regierung aufgeben mußte. Die lcten dieses Prozesses sind aber veröffentlicht, das Buch war mir nicht

zugänglich, aber Sebastian Brunner, ein bekannter Antisemit, wußte

bon dieser erwiesenen Erschleichung des n,. nichts. In den Schriften der jüdischen Schutztruppe zeißt es, daß der Ritualmord lein Märchen sei; denn es würden Menschen geopfert, freilich nicht Christen von Juden, sondern Juden von E hristen. Redner erklärte, daß er an den Herausgeber . um den Beweis der Wahrheit ue, erlangen,, Der Minister sollte der Commission, der die jüdischen Religionsbücher übergeben sind, auch das Buch des Dr. Ecker übergeben, um zu unterfuchen, ob der Schulchan Aruch hae nn für die Juden ist bei ihrem Vorgehen gegen die Akum, d. h. die Christen. Daß jeder 3 alles thut, was ihm danach erlaubt ist, ist nicht gesagt. Die Juden wissen ja, daß es auch ein Strafgesetzbuch giebt, das fie mehr zu fürchten haben als den Schuschan Aruch. .

Darauf wird um 4 Uhr die weitere Debatte abgebrochen.

Statistik und Volkswirthschaft.

Wohl thätigkeit. .

In Dortmund sind aus Mitteln des Wohlthätigkeits vereins in diesem Winter 1094 evangelische und 166 katholische Schulkinder zur Empfgngnahme eines warmen Frühstücks vor Beginn des Unterrichts zugelassen worden. Der Commerzien Rath Vohwinkel in Geffen= kirchen hat aus eigenen Mitteln auch in diesem Winter eine Volke küche eingerichtet, in welcher unbemtttelten Personen unentgeltlich Essen verabreicht wird.