1893 / 47 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 23 Feb 1893 18:00:01 GMT) scan diff

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Abg. Goldschmidt. Aber den Hauptgrund, weshalb diesmal das Ver— bot der Surrogate in die Vorlage nicht aufgenommen ist, habe ich neulich bereits bezeichnet, und der Herr Abg. Rösicke hat ihn vollständig richtig wiedergegeben. Es war die Absicht, durch dieses rein aus finanziellen Gründen vorgelegte Gesetz in die bestehenden Verhältnisse nicht weiter einzugreifen, als es unbedingt nothwendig ist. Hat man nun bei der Berathung dieses Gesetzes hier im Reichstag die Meinung, daß es sich empfiehlt, bei dieser Gelegenheit die Frage des Surrogat— verbots wieder aufzunehmen, das Surrogatverbot in das Gesetz hineinzuschreiben, so werden die verbündeten Regierungen zu einem solchen Beschluß des Reichstags Stellung zu nehmen haben. Ob sie demselben jetzt zustimmen, vermag ich natürlich heute nicht zu sagen. Es ist aber immerhin zu beachten, daß in früheren Vorlagen der verbündeten Regierungen ein solches Surrogatverbot, allerdings verbunden mit einer Erhöhung der Einnahmen aus dem Bier in der norddeutschen Brausteuergemeinschaft, von den verbündeten Regierun— gen selbst vorgeschlagen wurde.

Ich kann also dem Herrn Abgeordneten nur anheimgeben, sich recht eingehend an der Berathung der Brausteuervorlage zu bethei— ligen und dort in der Commission die Wünsche zur Geltung zu bringen, welche er im Interesse seines Gewerbes hegt und heute aus— gesprochen hat. 1

ö Abg. Dr. Meyer⸗Berlin (dfr. ): Derjenige, welcher das Beste ge⸗

nießt, soll demjenigen, der sich das Beste nicht gönnen kann, wenigstens das Gute gönnen und ihn nicht auf das Schlechteste ver⸗ weisen. Warum soll der, der reinen Wein und reines Bier nicht be— zahlen kann, verurtheilt sein, Schnaps zu trinken? Ich spreche in keiner Weise beo domg; ich fühle aber als Abgeordneter die Ver⸗ pflichtung, mich gewisser Interessen anzunehmen, die hier im Hause keine Vertretung finden, aber eine solche verdienen. Ein Ver— hotsgesetz würde für eine Anzahl ven Brauereien, welche bisher ihren Erwerb ehrlich gemacht haben, ein Todesstoß sein. Ich bin vollständig mit dem Verbot derjenigen Surrogate einperstanden, welche einen gesundheitsgefährlichen Charakter haben. Die anderen unschädlichen werden schon mit Unrecht Surrogate genannt; es sind Rohstoffe, welche einer besonderen Bearbeitung unterworfen werden. Gewisse nord⸗ deutsche Brauereien stellen ein obergähriges Bier her, welches stark exportirt wird und dem untergährigen Bier gar keine Concurrenz macht. Zu diesem muß Zucker verwendet werden, nicht Kartoffel- nicht Staͤrkezucker, sondern der Regel nach Rohrzucker. Zucker aber kann doch unmöglich als der Gesundheit nachtheilig dargestellt werden. Ein Verbot der Surrogate müßte um der Gerechtigkeit willen für die obergährigen Brauereien die Verwendung von Zucker nach wie vor zulassen, Es ist aber nur das Minimum dessen, was ich verlange. Ich ziehe reines Bier vor. Nicht von allem Anfang an hat das Dogma gegolten, daß das Bier aus Malz und Hopfen gebraut werden soll; wohl aber hat sich herausgestellt, daß auf diesem Wege das beste Bier hergestellt werden kann. Die Technik wird aber fortschreiten. Man muß deshalb vermeiden, die Technik festzulegen. Das Verbot von Hopfensurrogaten ist mir recht, aber warum die Verwendung von Reis und Zucker verbieten? Was der Abg. Roesicke als das Mindeste fordert, will ich als das Höchste zugestehen.

Abg. Goldschmidt (dfr.): Der Abg. Roesicke hat schon ange⸗ deutet, daß es nicht in seiner Absicht liegt, die Surrogate für die obergährigen Exportbrauereien zu verbieten. Ich halte die Vorlage wegen der Brausteuer für gescheitert und lege also kein großes Ge— wicht darauf, ob das Verbot der Surrogate darin steht oder nicht. Vor einigen Jahren hat der Schatzseeretär aber noch mitge— theilt, daß man in Preußen und im Reich mit Erwägungen über den Erlaß des Verbots beschäftigt sei, und Aehnliches hatte schon 1881 Herr von Scholz erklärt. Was ein Verbot der Malzsurrogate überhaupt mit der Steuererhöhung zu thun hat, ist mir unfaßbar. Die großen Brauereien haben kein Interesse am Verbot, vielmehr die mittleren und kleinen Brauereien. Weil einmal die Surrogate in Norddeutschland quasi erlaubt, in Süddeutschland verboten sind, hat sich ein Mißtrauen gegen die norddeutschen Brauereien herausgebildet. Es ist doch ein unhaltbarer Zustand, daß die Surrogate ver⸗ steuert werden und gleichwohl der Staatsampalt auf Grund des Nahrungsmittelgesetzes Anklage erheben kann. Die Regierung sollte doch endlich ihr altes Versprechen einlösen.

Staatssecretär Freiherr von Maltzahn:

Es war nicht meine Absicht, in diese Debatte noch einmal ein— zugreifen; aber die letzten Worte des Herrn Vorredners zwingen mich doch dazu, denn aus ihnen klang heraus, als ob die verbündeten Re— gierungen, wenn sie ein Verbot der Surrogate in das -Steuergesetz nicht aufgenommen haben, ein besonderes Gesetz wegen des Verbots von Biersurrogaten aber nicht vorlegten, sich damit eines Wortbruchs schuldig machten. Der Herr Vorredner forderte die verbündeten Regierungen auf, endlich das so oft Versprochene zu thun und ein Verbot der Surrogate einzuführen.

Meine Herren, die Regierungen haben drei- oder viermal Ihnen Gesetze vorgelegt, in denen ein Verbot der Surrogate enthalten war; der Reichstag hat sie abgelehnt, und damit war nicht nur die ge— forderte Steuererhöhung, sondern auch der übrige Inhalt der Gesetz⸗ entwürfe einstweilen todt. Darauf ist wenn ich mich recht ent— sinne auf Wunsch der Herren eine Enquéte eingeleitet über die Frage der Biersurrogate und ihr etwaiges Verbot. Diese Unter— suchung, welche der Herr Vorredner erwähnte, ist eingehend geführt worden. Auf Grund ihrer Ergebnisse hat dann eine Correspondenz mit den verschiedenen deutschen Regierungen stattgefunden, es hat sich aber aus diesen Verhandlungen eine Uebereinstimmung der Meinungen nicht ergeben, welche es nothwendig gemacht hätte oder angezeigt hätte erscheinen lassen, ein Gesetz über das Verbot der Surrogate, losgelöst von einer sonstigen Reform oder Veränderung der Brausteuergesetzgebung, dem Bundesrath und Reichstag zu unter— breiten.

Die Herren sind ja in der Lage ich kann das nur wieder— holen —, ihre Wünsche in Bezug auf ein Verbot der Surrogate in der Commission, welche das Brausteuergesetz berathen wird, vorzu⸗ bringen, und wir werden gern bereit sein, sie dort zu discutiren.

Aus meinen früheren Ausführungen, aus den Hinweisen auf die früheren Vorlagen der verbündeten Regierungen ergiebt sich, daß eine principielle Abneigung bei den verbündeten Regierungen gegen das Verbot der Surrogate gar nicht vorhanden ist. Wie sie sich aber in diesem Augenblick dazu stellen, das zu sagen, bin ich natürlich außer stande. Auch das muß ich ebenso hervorheben, wie es von den beiden letzten Herren Rednern und vom Herrn Abg. Meyer erwähnt ist: es spricht keineswegs das Interesse aller Brauereien für ein Verbot der Surrogate, sondern gewisse Brauereien und gerade die Bremer haben sich in dieser Beziehung auch an uns gewendet haben das Interesse, daß man die Verwendung gewisser Malzsurrogate für die Herstellung namentlich obergähriger Biere, sowohl für den Export als für den localen Verbrauch, ihnen nicht verbiete. Hier steht also Interesse gegen Interesse, und man wird sie gegen einander abwägen müssen.

Am günstigsten würden ja bei dem Verbot der Surrogate die großen Brauereien wie Patzenhofer und Schultheiß fahren, die keine

Surrogate verwenden, von denen es aber auch kein Mensch glaubt. Um ihres Rufes willen bedürfen diese den Zwang eines Verbots nicht. Dagegen kann die Sache unter Umständen für einzelne kleine Brauereien unbequem werden. Es erfordert dies also die sorgfältigste Erwägung, zu der in der Commission die genügende Gelegenheit sein wird.

Unter den Stoffen, die in Frage kommen, nehmen Reis und Zucker immer noch eine andere Stellung ein, als andere Surrogate. Bei der Zuckerfrage nun interessiren auch die deutschen Landwirthe, es interessiren die Zuckerfabriken daran. Ebenso interessirt ist die Land—⸗ wirthschaft, allerdings in ziemlich geringem Maße, an der zur Zeit gestatteten Verwendung des Stärkezuckers. Diese Verwendung findet in sehr kleinem Umfang statt. Aber auf der anderen Seite ist zu beachten, daß derjenige landwirthschaftliche Distriet Deutschlands, aus dem diese Producte stammen, auch ein räumlich eng begrenzter ist.

Abg. Möller (nl. : Für die Mehrzahl der Brauereien besteht der Wunsch nach dem Verbot der Surrogate, und zwar berechtigter Weise. Die Kleinbrauereien obergähriger Biere sollten in der Steuer ermäßigt werden.

Staatssecretär Freiherr von Maltzahn:

Der Herr Vorredner hat sich dahin ausgesprochen, daß die kleinen Brauereien von obergährigen Bieren nicht nur von einem etwaigen Verbot der Malzsurrogate nicht getroffen werden sollten, sondern auch differentiell in der Steuer zu behandeln seien. Ich wollte nur darauf aufmerksam machen, daß diese letztere Absicht in dem neuen Brau— steuerentwurf der verbündeten Regierungen auch Ausdruck gefunden hat.

Abg. Roesicke (b. k. F.) ist verwundert über die Fürsorge

des Abg. r. Meyer für den Gebrauch von Surrogaten. Der Abg. Dr. Meyer sei der Urheber des geflügelten Wortes: „Das Bier, das nicht getrunken wird, hat seinen Beruf verfehlt!“ Wenn er durch Gesetz verurtheilt würde, Zeit seines Lebens Surrogatbier zu trinken, würde er wohl anders über seine Anregung denken. Jedenfalls dürfe nur dasjenige Bier so heißen, welches aus Malz und Hopfen erzeugt ist. Die deutschen Brauer würden also auch zufrieden sein, wenn alles das, was aus Surrogaten hergestellt ist, den Ntaamen Bier nicht mehr führen dürfte. . Abg. Fürst Hatzfeldt (Rp.) ist auch gegen ein Verbot der Surrogate; nur müsse man nach dem Vorgange bei der Kunstbutter auch dazu übergehen, die mit Hilfe von Surrogaten hergestellten Biere mit besonderen Unterscheidungsnamen zu versehen.

Staatssecretär Dr. von Boetticher:

Meine Herren! Ich nehme an, daß das Bedürfniß des Hauses zur Anhörung von Bierreden mit und ohne Surrogat (Heiterkeit)h nunmehr befriedigt ist, und ich deshalb dazu übergehen kann, auf die Frage, die der Herr Abg. Dr. Lingens vorher gestellt hat, eine Antwort zu ertheilen. Diese Frage bezog sich auf die Untersuchungen, die über die Lebensfähigkeit des Seuchengiftes in der Erde angestellt worden sind. Ich kann ihm sagen, daß, was die Cholera anlangt, in Hamburg eingehende Versuche darüber angestellt worden sind, wie lange sich der Cholerabacillus, der vermöge der Leichen, die den Kirchhöfen übergeben worden sind, in die Erde gelangt ist, dort hält. Diese Versuche sind allerdings noch nicht zum Abschluß gekommen; indeß steht schon jetzt nahezu mit Sicherheit fest, daß der Bacillus sich in der Erde nicht lange hält. Es ist bei den bisherigen For— schungen kein lebender Bacillus aufgefunden worden, und man hat auch anderweitig bei den Versuchen, die hier im Gesundheitsamt an— gestellt sind, die Wahrnehmung gemacht, daß der Bacillus in der Erde bald abstirbt. (Sehr gut! rechts Dieses Absterben hängt wohl auch damit zusammen, daß die Erde selbst als ein Filter auf den Baeillus, respective auf das Grundwasser, in welches der Bacillus etwa übergehen könnte, wirkt.

Ueber die Fragen, die bei der Untersuchung der Kirchhöfe auf ihre Gesundheitsschädlichkeit aufgetaucht sind, sollen nach der Absicht des Gesundheitsamts und der Königlich preußischen Regierung mit Thiercadavern umfassende Versuche angestellt werden, die schon für den vergangenen Herbst in Aussicht genommen waren, damals aber wegen der Cholera⸗Epidemie nicht zur Durchführung gelangten, und nun in diesem Frühjahr vorgenommen werden sollen.

Was nun weiter das Thierseuchengift anlangt, namentlich den Milzbrand, so ist allerdings festgestellt worden, daß das Milzbrand⸗ gift sich längere Zeit im Boden wirksam erhält. In dieser Beziehung sind aber zur Verhütung von Ansteckungen schon wichtige Be— stimmungen des Bundesraths über die Beerdigung von Thieren, welche am Milzbrand verendet sind, erlassen worden. Es ist namentlich vor— geschrieben, daß diese Leichen desinfieirt werden, und jetzt liegt ein Bericht des Gesundheitsamts vor, welcher noch weitere Vorschriften nach der angedeuteten Richtung enthält. Es wird also der Fürsorge der Verwaltung gelingen, in dieser Beziehung alle die Besorgnisse zu zerstreuen, die sich etwa an die Beerdigung von an ansteckenden Seuchen verendeten Thieren geknüpft haben.

Abg. Dr. Lingens (Centr.): Ich freue mich zwar dieser Aus⸗ kunft, bedaure aber um so mehr, daß Hamburg die Erlaubniß zur Feuer⸗ bestattung gegeben hat, ein Vorgang, der auf ein christliches Gemüth nur verletzend wirken kann.

Abg. Goldschmidt (dfr.): Ich bin persönlich kein Freund der Feuerbestattung, sondern würde vorziehen, dereinst in kühler Erde zu ruhen. Wie rd. ist aber eine sanitäre und hat mit Christen⸗ thum und christlichem Gefühl nichts zu thun. Die großen Städte hätten schon längst Crematorien bewilligt erhalten sollen, zumal es nur noch eine . der Zeit ist, daß sie die bisherigen Kirchhofseinrichtungen aufgeben, müssen, Ich bitte die Regierung, sich bei dieser Frage von nicht in der Sache liegenden Nebenrücksichten nicht leiten zu lassen.

Staatssecretär Dr. von Boetticher:

Der Herr Vorredner hat ausgesprochen, daß es der Reichs—⸗ regierung und der preußischen Regierung zum Vorwurf zu machen sei, daß sie so lange die Frage der Errichtung von Crematorien ver⸗ zögert haben. Ich habe darauf zu erwidern, daß die Errichtung von Crematorien die Reichsverwaltung absolut garnichts angeht. Die Errichtung von Crematorien ist nicht Reichssache. Das Reich be— gräbt niemanden, noch weniger verbrennt es ihn. (Große Heiterkeit.)

Abg. Schröder (dfr): In großen Städten, wie Berlin, muß zu den Kirchhöfen schon jetzt beinahe eine Neise angetreten werden, und es wird die ärmere Bepölkerung durch, Beerdigungskosten in einer Weise belastet, die geradezu den kirchlichen Interessen widerspricht. Eine Reihe von Kirchenkassen ist ausschließlich in ihrer Existenz auf Beerdigungsgebühren von einer Höhe angewiesen, die sich mit den christlichen Interessen nicht mehr verträgt. Diese thatsächlichen Ver⸗ hältnisse haben namentlich as, Bedürfniß nach der Feuerhestattung hervorgerufen. Das christliche Gefühl kann in dieser Beziehung sehr wohl gewahrt werden. Ich selbst habe einer solchen Ceremonie in Gotha beigewohnt und bezeuge, daß von der Feier dort ein ebenso würdiger und erhebender, Eindruck als von den Beerdigungsfeiern

urückbleibt. Man soll diese Frage nicht mit kirchlichen und religiösen ücksichten verquicken; es handelt sich um die Entwickelung einer

Sitte, die von dem historischen Gebrauch der Väter abweicht, aber

durch bestimmte hervorgetretene Bedürfnisse unabweislich geworden ist.

Der Präsident ermahnt die Redner, die Frage der Feuerbestattung nicht weiter zu verfolgen, da es sich dabei nicht um eine Reichssache handle.

Abg. Dr. Baum bach (dfr): Ich kann dieser Mahnung nicht folgen. Nach Artikel 4 Ziffer 15 der Reichsverfassung ist das Reich zuständig für Maßregeln der Medizinal⸗ und Veterinärpolizei. Die Seuche in Hamburg hat die Maßregel des Senats durchaus noth⸗ wendig gemacht. Ich bin kein Freund der kühlen Erde, fondern würde die Verbrennung durchaus vorziehen und entsprechende An— ordnungen treffen. Das religiöse Moment stellt der Abg. Dr. Lingens in den Vordergrund. Die Katholiken glauben, daß sie in diesem Leibe wieder auferstehen. In Danzig sind bei einem großen Brandunglück mehrere Feuerleute verunglückt, ihre Ueberreste sind noch jetzt nicht gefunden. Jann dieser Umstand irgendwie darauf von Einfluß sein, daß die Auferstehung dieser armen verunglückten Leute dadurch betroffen wird? Es wird uns ja demnächst das Reichs Seuchengesetz zugehen; ich muß dem Abg. Dr. Lingens den Schmerz bereiten, bei dieser Gelegenheit einen Antrag auf Einführung der facultativen Feuer— bestattung einzubringen und hoffe bestimmt auf seine Annahme.

Abg., Frohme (Soc): Wissenschaftlich ist läugst durch die Bakteriologte festgestellt, daß die Verbrennung allein den Bacillus sicher tödtet; ihn der Erde übergeben, heißt seine Lebensfähigkeit ver— längern. Es ist allerdings Reichssache, die Frage der facultativen Feuerbestattung zu regeln. Auch der Magistrat von Berlin hat, wenn auch erfolglos, einen gleichen Versuch gemacht, wie er in Ham= burg jetzt Gesetz ist. Die Kirche macht ihren Lehrsatz von der Auf— erstehung des Fleisches geltend und protestirt von diesem Stand— punkte aus gegen die Feuerbestattung; in katholischen Blättern liest man sogar davon. daß die ganze Anregung von den Jüdisch⸗ Liberalen ausgehe. Mit solchen Leuten sich zu verständigen, daran muß man allerdings verzweifeln; sie sind auch den schlagendsten Argumenten nicht zugänglich. Würden die großen Kirchhoöͤfe mit gesunden Wohnungen bebaut, statt zur Beerdigung der Reichen benutzt zu werden, so wäre für die Gesundung der Zustände in den großen Städten viel gewonnen. Aber dazu ist man auf der Seite des Dogmas nicht geneigt. Ich hoffe, dieser Widerstand wird durch die Macht der Thatsachen gebrochen werden. Man tröste sich nicht mit der Hoffnung, daß eine solche Epidemie wie die vorjährige nicht wieder— kommen wird. Es kann noch viel schlimmer kommen, denn die Keime für den Wiederausbruch der Seuche sind überreich vorhanden, wie selbst die uns zugegangene Denkschrift zugiebt. Außer einem Erlaß, betreffend die Veranstaltung bakteriologischer Untersuchungen, hat das Kaiserliche Gesundheitsamt nichts gethan, was als ein entschledenes Ein— greifen desselben in die großen Schwierigkeiten des vorigen Sommerz zu bezeichnen wäre. Wenn das Amt den immer dringender werdenden Anforderungen der öffentlichen Hygiene entsprechen will, wenn es seinen hohen Aufgaben genügen will, braucht es eine gan; andere Organisation. Es muß ihm vor allem eine viel größere Machtbefugniß gegeben werden. Von Dezinficirung wollen in neuester Zeit eine Menge Autoritäten überhaupt nichts mehr wissen. In Hamburg sind eine ganze Anzahl von Personen dem Elend und der Krankheit erst durch die umfassende Desinfection nahe geführt oder zum Opfer gebracht worden. Viel noth— wendiger erscheint es, die Frage der Volksernährung durch das Kaiserliche Gesundheitsamt erörtern zu lassen; denn in der mangel— haften Ernährung der ärmeren Bevölkerung sitzt der eigentliche Keim des Uebels. Auch von der wichtigen Fragé der Wohnungẽs— hygiene schweigt man vollständig, obwohl es feststeht, daß gerade die jämmerlichen Wohnungeverhältnisse die ärmere Bevölkerung in solchen Massen der Cholera zum Opfer fallen ließen. Eine Wohnungsenquéte haben jetzt bloß Hamburg und Altona, und zwar durch unsere Parteigenossen: in Hamburg mit Unterstützung der X hörden, in Altong unter Widerspruch derselben. Es braucht ja eine einheitliche Bauordnung für das ganze Reich zu sein, a allgemeine gleiche Grundsätze hygienischer Art lassen sich geben. N aller Energie muß aber dieses Einschreiten durch die Reichsgefetz— gebung erfolgen; denn die Hausbesitzer, welche in der Ver— miethung schlechter Wohnungen ihre Rentenquelle haben, Find ohne Zwang zu einer Reform ganz sicher nicht zu bringen. Zahllos sind die Mahnungen an sie aus den Reihen der Wissen— schaft gewesen; aber sie haben nichts genützt, die Hausbesitzer über— hörten sie und auch die Behörden zeigten sich gleichgültig. Die Bekämpfung der Seuchen hat wesentlich in der Richtung der Hebung der Ernährungsverhältnisse zu geschehen, und da haben die herrschenden Klassen nichts gethan. Sie verweisen den Arbeiter auf das Sparen; er soll sich nach der Decke strecken, das heißt, sie überlassen ihn seinem Elend nach wie vor. Die Wissenschaft stellt diese meine Forderung, nicht ich; besiegen Sie das Elend, helfen Sie uns in der Bekämpfung desselben und Sie werden die Choleragefahr am sichersten beseitigen!

Abg. Dr. Endemann (ul.): Der Kommabaeillus fragt nach der Kompetenz des Reichs oder der Einzelstaaten nichts. Das Kaiserliche Gesundheitsamt hat schon recht viel geleistet und seine Maßregeln in der Choleraperiode sind nicht so ganz von der Hand zu weisen. Namentlich sind die Stationen an den deutschen Flüssen nicht ohne Erfolg gewesen. Sie glauben nicht an die Desinfection; ich erkläre, daß wir ohne sie überhaupt keiner Seuche Herr werden würden. Fest steht, daß die hohe Temperatur den Bacillus am schnellsten tödtet, und darum wünsche ich eine facultative oder noch lieber eine obligatorische Leichenperbrennung bei Seuchen. In dem neuen Gesetz ist ja ein Reichs-Gesundheitsrath vorgesehen, der nur besser aus— gestaltet zu werden braucht.

Abg. Dr. Lingens (Centr.): Nur die sanitäre Seite könnte der Frage der Feuerbestattung einige Berechtigung geben, aber in dieser Beziehung ist uns nichts nachgewiesen. In Berlin soll die Feuer— bestattung 300 Thaler kosten. Von einer Verbilligung der Beerdigung kann also keine Rede sein. In Preußen ist ja die Sache ent— schieden, indem die Minister auf Petitionen ablehnend geantwortet haben. Es wird sich fragen, ob der von dem Abg. Dr. Baumbach angekündigte Antrag durchkommt.

Abg. Dr. Langerhans (Sfr. : Der Abg. Dr. Lingens hat nicht das Recht, im Namen des Christenthums gegen die Leichenverbrennung zu sprechen. Der Magistrat von Berlin ist allerdings abschlägig be— schieden auf seine Bitte um Errichtung eines Crematoriums. Die Kosten betragen nicht 390 Thaler, auch lange nicht 00 M Die Verbrennung ist in Amerifa heute schon ganz besonders billig geworden, und wird es auch bei uns werden. Crematorien müssen bald gebaut werden. Tritt die Cholera wieder auf, dann ist es zu spät. Bei einer Epidemie kann die Beerdigung der Leichen einfach nicht gefordert, noch durchgeführt werden. Dann würden die Wohlthaten eines Cre⸗ matoriums um so deutlicher hervortreten. Es handelt sich ja vor— läufig nur um die facultative Verbrennung. Wir Hertel ett der, tragen absolut, keine Bevormundung in Bezug auf die religiösen Rücksichten, die hier geltend gemacht werden. Verboten ist es nirgends, die Leichen zu verbrennen, kein Staatsgesetz hält uns davon zurück; nur die Sitten, das Herkommen verbieten es, und hinter diesen steht die allerdings , große Polizeivollmacht. Der Staatssecretär Dr. von Boetticher sollte in Preußen ein gutes Wort für diese Forderung einlegen.

Staatssecretär Dr. von Boetticher:

Der Herr Vorredner hat meine Vermittelung in Anspruch ge— nommen, daß seinem Wunsch auf Errichtung von Crematorien Folge gegeben werden möge. Ich habe bisher keine Veranlassung gehabt. amtlich zu der Frage der Crematorien Stellung zu nehmen. Meine persönliche Stellung zur Sache dem hohen Hause mitzutheilen, kann aber keinen Zweck haben. .

Ich wollte nur noch mit einigen Worten auf die Competenzfrage zurückkommen. Meine Herren, als wir die Discussion begannen, handelte es sich lediglich um die wirthschaftliche Seite und nicht um die hygienische, und da habe ich mit vollem Rechte gesagt: das Reich ist nicht in der Lage, irgend einen Staat oder irgend eine Commune

zu zwingen, Leichenverbrennungestätten einzurichten, und bei dieser Auffassung verbleibe ich auch gegenüber der Bemerkung des Herrn Abg. Dr. Baumbach, der mich auf Nr. 156 des Artikels 4 der Verfassung verwiesen hat. Die Nr. 15 des Artikels 4 der Verfassung spricht davon, daß Maßregeln der Medizinaspolizei der Competenz des Reichs unterliegen. Von diesem Gesichtspunkt aus wird auch die Errichtung von Crematorien zur Reichssache ge⸗ macht werden können (Zustimmung links), aber nur unter einer Vor— aussetzung, nämlich: nur dann, wenn das Reich zu der Ueberzeugung kommt, daß es im medizinalpolizeilichen Interesse nothwendig sei, Crematorien zu errichten. (Sehr richtig! links Erlauben Sie, meine Herren, es wird Gelegenheit geben, darauf näher einzugehen. (Heiterkeit.

Also die Voraussetzung der Initiative des Reichs auf diesem Gebiet ist die, daß es medizinalpolizeilich für nothwendig erachtet wird, Crematorien zu errichten, und das Eingreifen des Reichs würde immer nur dann sich rechtfertigen lassen, wenn man dazu übergehen wollte, die Leichenverbrennung obligatorisch zu machen. (Zuruf links.) Ich werde das sofort erläutern. Kommt man zu der Ueberzeugung, daß es medizinalpolizeilich, seuchenvolizeilich nothwendig ist, das ist ja ein Gedanke, den der Herr Abg. Dr. Baumbach und einer der Herren aus der soeialdemokratischen Partei ausgesprochen hat dann erreicht man den anzustrebenden Zweck nicht mit der facultativen Leichenverbrennung, dann muß die Leichenverbrennung obligatorisch eingeführt werden, wenigstens für die Zeit, in welcher Seuchen herrschen und in welcher diese Seuchen bekämpft werden müssen.

Ob, wie der Herr Abg. Dr. Baumbach in Auksicht genommen hat, bei Gelegenheit der Berathung des Seuchengesetzes es zweckmäßig sein wird, diese Frage zu erörtern, lasse ich dahingestellt. Ich glaube kaum, daß, wenn er sie hineinwirft, wir mit dem Seuchengesetz so schleunig, wie wir dies wünschen müssen, zu einem ersprießlichen und gedeihlichen Ende kommen werden. Denn, meine Herren, darüber täuschen Sie sich nicht, ich lasse, wie gesagt, mein eigenes Urtheil dahingestellt, daß Sie es in sehr weiten Kreisen der Be— völkerung mit einer recht energischen Gegnerschaft gegen die obliga— torische Leichenverbrennung zu thun haben werden.

Und weiter, wenn Sie die obligatorische Leichenverbrennung ein— führen, frage ich Sie, ist eine solche Maßregel überhaupt überall durchführbar? Betrachten Sie die Lage der Dinge auf dem platten Lande, da wird es außerordentlich schwer sein, die obligatorische Leichenberbrennung einzuführen. (Sehr richtig! im Centrum.)

Aber auch in den Städten werden, wenn eine solche Sterblichkeit sich zeigt, wie wir sie in Hamburg an einzelnen Tagen des vorigen Jahres gehabt haben, ganz andere Einrichtungen nöthig werden, als solche die Crematorien in der Regel bieten, um die Leichenverbrennung in größerer Zahl gleichzeitig vorzunehmen.

Also es liegen in der Sache außerordentliche Schwierigkeiten, und ich habe vorläufig noch nicht die Ueberzeugung, daß wir bald zu einer positiven Lösung der Frage kommen werden.

Dann möchte ich noch einige Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Abg. Frohme machen. Herr Abg. Frohme ist schnell fertig mit dem Wort. (Heiterkeit) Er sagt, hier liegt ein Uebelstand auf sanitätlichem Gebiet vor, folglich muß das Kaiserliche Gesundheits—⸗ amt eintreten, es muß helfen, und wenn das Kaiserliche Gesundheits— amt nicht die nöthigen Befugnisse hat, um helfen zu können, so müssen ihm diese Befugnisse beigelegt werden, es muß reorganisirt werden. Darauf habe ich dem Herrn Abg. Frohme Folgendes zu erwidern: daß im Deutschen Reich und in den Einzelstaaten die Organisation der Behörden eine solche ist, daß für jeden das öffentliche Interesse berührenden Uebelstand jemand vor— handen ist, der die Verantwortung zu übernehmen und eventuell für Abhilfe zu sorgen hat. So ist es auch mit den medizinalpolizeilichen Angelegenheiten, soweit sie das Reich angehen. Der Reichskanzler ist bekanntlich nach der Verfassung der für die Verwaltung verantwort— liche Minister. Unter ihm stehen die Reichsämter und unter ihm auf diesem Gebiet zunächst das Reichsamt des Innern, welchem in allen administrativen Fragen unter der Aufsicht des Reichs— kanzlers die Entscheidung auf dem Gebiet der Medizinal⸗ und Sanitäts⸗Polizei zusteht. Das Kaiserliche Gesundheitsamt ist garnicht ge⸗ dacht als eine Executivbehörde und ist auch thatsächlich keine Executiv— behörde. Es würde mir auch sehr fraglich erscheinen, ob es richtig ist, das Kaiserliche Gesundheiteamt zu einer Executivbehsrde auszugestalten. Denn ich würde mich der Besorgniß hingeben, daß, wenn es eine Executivbehörde wird, dann die vielfachen Interessen anderer Ressorts, anderer auf die öffentliche Fürsorge in gleichem Maße gerichteten Zweige der Verwaltung dabei zu kurz kommen könnten. Das Kaiserliche Gesundheitsamt ist eine dem Reichsamt des Innern untergeordnete, in der Hauptsache zu wissenschaftlichen Forschungen und zur Abgabe von Gutachten berufene Behörde. Wenn also in Bezug auf die Uebung der Medizinal⸗ und Sanitäts-Polizei, soweit dabei das Recht in Frage kommt, der Herr Abg. Frohme irgend welche Wünsche geltend zu machen hat, so ist ihm zwar unverwehrt, bei dem Etat des Gesundheitsamts diese Wünsche zu verlautbaren, allein die eigentliche Adresse ist das Reichsamt des Innern, das hat er für etwaige Mißstände verant— wortlich zu machen. Hiernach braucht also das Gesundheitsamt nicht zu einer anderen Behörde ausgestaltet zu werden.

Im übrigen werden wir uns ja bei der Berathung eines Seuchen gesetzes darüber unterhalten können und müssen, ob die gegenwärtige Organisation ausreicht, oder was in dieser Beziehung noch noth— wendig ist. Den Vorwurf, daß das Kaiserliche Geesundheitsamt während der Cholera Epidemie nicht das seinige gethan hätte, muß ich aber schließlich in aller Schärfe zurückweisen. Meine Herren, vom ersten Moment ab, wo die Cholera⸗Epidemie in Deutschland auf— trat und schon lange vorher, von dem Moment ab, in welchem die Besorgniß entstand, daß wir die Cholera unter Umständen aus dem Osten importirt erhalten könnten, hat das Gesundheitsamt und alle seine Glieder mit einer seltenen Pflichttreue, mit einem Eifer, der den vollen Dank der Nation verdient, sich den ihm obliegenden Aufgaben unterzogen, und ich finde es nicht billig, daß man in diese Thätigkeit des Kaiserlichen Gesund⸗ heitsamts auch nur den leisesten Zweifel setzt.

Meine Herren, die Cholera⸗Epidemie des verflossenen Jahres ist uns in der Weise, wie sie gekommen ist, überraschend gekommen; es ist aber der vereinten Thätigkeit aller berufenen Organe ge⸗— lungen, ihrer Ausbreitung möglichst enge Grenzen zu ziehen. Ich glaube, wir können uns und dem ganzen Reich dazu gratuliren, daß die Thätigkeit der berufenen Beamten und Organe uns vor einer weiteren Ausbreitung der Epidemie geschützt hat. (Brado))

Abg. Metzger Cech. Die Hamburger Wasserverhãltnisse lehren uns daß in, ein Seuchengesetz nicht bloß Vorschriften Über die Wohnungshygiene, sondern auch über, die Trinkwasserversorgung aufgenommen werden müssen. Die Berliner Wohnungserhältnisse in der ärmeren Bevölkerung sind in neuerer Zeit Gegenstand der Er— örterung in Berliner Zeitungen, auch im Vorwärts“, gewesen. Diese werden in ihrer Traurigkeit dur die Hamburger. Wohnungsberhältnisse weit übertroffen. Das grauenhafte Umsichgreifen der Seuche ist in Hamburg mit durch die jammervolle Wasserversorgung verschuldet worden. Das Hamburger Trinkwasser war als gesundheitsschädlich den Behörden schon seit Jahrzehnten bekannt; aber alles Hinarbeiten auf eine Aenderung hat nichts geaützt. Die Seuche mußte also einen ungeheuren Umfang, annehmen. Auf die Gefährlichkeit des Elb⸗ wassers wurde erst sehr spät durch öffentliche Anschläge hingewiesen. In dem Elhwasser, wie wir es in Hamburg zu trinken bekommen, würde Mancher von Ihnen, Bedenken tragen, sich zu waschen. In den Reservoiren schlagen sich nicht bloß Schmußz und Staub, sondern auch zahlreiche Thier⸗ und Pflanzenleichen, Aale, Krabben, Neunaugen u. s. w. nieder. Der Hauswirth ist nicht verpflichtet, diese Wasserkasten reinigen zu lassen; ja, es besteht sogar vielfach ein contractliches Verbot der Reinigungen, weil dem Hauswirth durch die Benutzun der Kasten Kosten erwachsen könnten. Die Behörde hat auch . dem Ausbruch der Cholera die Hauswirthe nicht zur Reinigung auf⸗ gefordert. Erst als Professor Koch zum zweiten Male in Hamburg war, wurde diese Reinigung angeordnet. Zunächst fügte sich die Mehr⸗ zahl der Grundeigenthümer dieser kategorischen Bestimmung; bei der Aufforderung zur Wiederholung murrte man bereits, und jetzt hat der Senat diese Verpflichtung wieder aufgehoben. Infolge Unterbrechung durch den Präsidenten verzichtet der Redner an dieser Stelle auf weitere Auslassungen, wird aber beim Reichs-Seuchengesetz darauf zurück— kommen.

Auf eine Anfrage des Abg. Buhl erklärt Staatssecretär Freiherr von Maltzahn:

Die Frage, welche der Herr Abgeordnete soeben angeregt hat, ob nämlich zum Verschnitte mit italienischem Wein nur solcher Wein in Deutschland zugelassen werden dürfe, welcher nach den Vorschriften des Gesetzes vom 20. April 1892 als Wein mit Recht bezeichnet werden kann, diese Frage hat auch die Reichsverwaltung bereits beschäftigt. Zur Zeit wird bei der Controle des Weinverschnitts auf Grund der Bestimmungen verfahren, die im April v. J. erlassen sind sofort bei Inkrafttreten der Handelsverträge und zu einer Zeit, als das Weingesetz vom 20. April 1892 noch nicht existirte.

Von vornherein ist man davon ausgegangen, daß diese Bestim⸗ mungen noch nicht endgültige sein könnten, sondern, daß man erst Er— fahrungen aus der Praxis sammeln müßte; es sind daher diese Be— stimmungen ausdrücklich als vorläufige bezeichnet worden. Es besteht die Absicht, an ihre Stelle endgültige definitive Bestimmungen in ge— gebener Zeit zu setzen.

Nun ist im vorigen Sommer Anlaß genommen worden, Um⸗ fragen zu halten bei den verschiedenen Regierungen, wie diese Frage aufgefaßt werde: ob als Wein, welcher mit importirtem Wein verschnitten werden darf, nur solcher Naturwein angesehen werden könne, der den Bestimmungen des Gesetzes vom 20. April 1892 entspricht, oder ob in der Praxis auch sogenannte Tresterweine oder Kunstweine zum Ver⸗ schneiden zugelassen werden können. Die Auskunft, die uns geworden ist, ging dahin, daß fast ausnahmslos von sämmtlichen Zolldirectiv— behörden die Zulassung des Verschnitts anderer Weine als derjenigen, welche nach den Bestimmungen des Gesetzes vom 20. April 1892 mit Recht als Wein bezeichnet werden, für unzulässig erklärt wurde. Wir haben aber bisher daraus nicht den Anlaß nehmen können, nun etwa mit der Regelung dieser Einzelfrage gesondert vorzugehen; es besteht aber in meinem Amt die Absicht, zu gegebener Zeit bei der Abfassung end— gültiger Bestimmungen an Stelle der jetzt geltenden vorläufigen Be— stimmungen über den Weinverschnitt die Entscheidung der Frage in dem Sinne vorzuschlagen, wie der Herr Vorredner es angeregt hat.

Abg. Dr. Buhl (nl) ist von dieser Auskunft nur theilweise befriedigt, die Sache sei sehr dringlich und erfordere schleunigste Er— ledigung.

Staatssecretär Freiherr von Maltzahn:

Die beiden Bestimmungen, sowohl die des Schlußprotokolls zum Handelsvertrage als die des Gesetzes vom 20. April 1892, binden heute bereits die sämmtlichen Behörden in Deutschland. Auf Grund dieser Bestimmungen haben die Behörden nichts Anderes zur Ver— schneidung zuzulassen als Wein, und was für die Zukunft vor— behalten ist, ist nur die Ertheilung einer generellen Anweisung durch den Bundesrath, bei der Bestimmmung des Begriffs Wein sich auf die Vorschriften des Gesetzes vom April v. J. zu stützen.

Um 5i/ Uhr wird die Fortsetzung der Berathung auf Donnerstag 1 Uhr vertagt.

Preusischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

36. Sitzung vom 22. Februar.

e fe ung der zweiten Berathung des Staats— haushalts-Etats für 1893,94, und zwar des Etats des Ministeriums der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten bei dem Kapitel „Höhere Lehranstalten“.

Ueber den Beginn der Sitzung ist bereits in der Nummer vom Mittwoch berichtet worden.

Bei Titel 4. „Zuschüsse für die von anderen zu unter— haltenden, vom Staat zu unterstützenden Anstalten“ bittet

Abg. Dr. Co tichius (b. k. F.) den Minister, den Zuschuß für das Real⸗Progymnasium in Geisenheim auch in Zukunft aufrecht zu erhalten. Es habe verlautet, daß dieser Zuschuß im nächsten Jahre nicht mehr gewährt werden solle. Geisenheim habe die einzige höhere Lehranstalt im Rheingau; deswegen gehe das Interesse an dieser Anstalt weit über die Stadt hinaus.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Die Unterrichtsverwaltung hat zunächst der Frage der Forterhaltung des Realgymnasiums in Geisenheim recht zweifelhaft gegenübergestanden. Ganz beseitigt sind diese Zweifel noch nicht; es sind aber neuerdings Thatsachen an uns heran— getreten, welche ein größeres Aufblühen und eine größere Frequenz der Anstalt für die nächste Zeit wahrscheinlich machen. In⸗ folgedessen werden wir zunächst abwarten, wie sich die Verhältnisse gestalten. Die Verhandlungen über das Fortbestehen und die Sub⸗ vention der Anstalt schweben noch, und ich werde mit allem Wohl— wollen die Entscheidung über ihre Erhaltung treffen. Ich erkenne an, daß in Geisenheim für gewisse Kreise der Bevölkerung die Erhaltung der Anstalt sehr wünschenswerth wäre.

Abg. Jerusalem (Centr.) bittet, den Zuschuß für die höhere Lehranstalt in Malmedy zu erhöhen; die Einwohner der Stadt zahlten schon jetzt 10 G ihres Einkommens als Steuern und seien nicht im stande, mehr zu zahlen. Sie würden gern auf einen höheren Staatszuschuß verzichten, wenn sie die Anstalt nach ihrem eigenen Ermessen einrichten, d. h. Ordensgeistliche einstellen könnten.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bofse: Meine Herren! Ich bin mit dem Herrn Vorredner in der Auf⸗ fassung der Verhältnisse im Lande vollkommen einverstanden. Wir sind uns darüber klar, daß die Wünsche der Stadt die vollste Berück⸗ sichtigung verdienen. Ich kann daher auch zusagen, daß, wenn die Anträge an uns gelangen bis jetzt ist er auch für Malmedy noch nicht eingegangen auf Erhöhung des Zuschusses behufs Ausführung des Normal⸗Etats an diesen nichtstaatlichen Anstalten, ich voraus- sichtlich in der Lage sein werde, die Erhöhung des Zuschusses für diese Anstalt bei dem Herrn Finanz⸗Minister aufs wärmste zu befürworten. Ich kann nur eine weitere Zusicherung jetzt noch nicht machen, weil mir thatsächlich eine ziffernmäßige Unterlage dafür fehlt. (Bravo Abg. van Vleuten (Centr.) empfiehlt die Gewährung eines Zuschusses für die höhere Lehranstalt in Rheinbach. . Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Bohtz: Der Stadt Rheinbach ist von vornherein eröffnet worden, daß sie die Anstalt allein unter⸗ halten müsse. Für die Durchführung des Normal⸗Etatz könnte ihr viel⸗ leicht, wenn ihre Leistungsfähigkeit nicht mehr ausreicht, ein Zuschuß

gewährt werden. ; ; Abg. Ludowieg (nl): Ein Redner hat gestern die Ungleich⸗ mäßigkelt der Zuschüsse bemängelt. Es müßten dafür bestimmte Normen aufgestellt werden, was von der Regierung als unmöglich hingestellt werde, es müsse dafür das Vermögen der Communen maß— gebend sein. Das kann ich nicht als richtig anerkennen. In erster Linie muß das Bedürfniß, in dem betreffenden Orte eine höhere Schule zu haben, für den Staat entscheidend sein; dann erst kann die Leistungsfähigkeit der Commune in Betracht gezogen werden, sonst kann man von ausgleichender Gerechtigkeit garnicht reden.

Es zeigen sich Symptome im Lande, daß die Reglerung beabsich⸗

tigt, die Zuschüsse zu reduciren oder ganz und gar einzustellen. Man hat Anfragen an die Städte gestellt, wie sich ihre Verhält⸗ nisse durch die neue Steuerreform verbessern würden. Dadurch würden also die Wohlthaten escamotirt werden, die den Gemeinden aus der Steuerreform zufallen. Darauf deuteten auch die Auslassungen des Regierungsvertreters in der Commission hin, daß von einer ꝛr⸗ höhung dieses Titels keine Rede sein könne, bis man die Ergebnisse der Steuerreform übersehen könne. Möglicherweise hat die Regierung nicht die Absicht, die man vermuthet. Jedenfalls ist eine große Miß⸗ stimmung in den Städten eingetreten. Im Le e eich zu den Mitteln des Staats wird nur wenig gewonnen für die Staats⸗ kasse; aber den betreffenden Städten wird für ihre Verhältnisse vieles genommen. Der Finanz⸗Minister sollte hier nicht das fiscalische Interesse in den Vordergrund stellen, sondern das Zunm cuique gelten lassen, daß jedem das bleibe, was er hat.

Geheimer Ober⸗Finanz-Rath Germar: Nur wenn ein öffent⸗ liches Interesse für eine Anstalt überhaupt vorhanden ist, wird ein Staatszuschuß gegeben. Eine allgemeine Verfügung, wie sie der Vorredner angeführt hat, ist weder dem Cultus⸗Minister, noch dem Finanz- Minister bekannt. Es ist nur bezüglich der Durchführung des Normal⸗Etats verfügt worden, daß die Propinzial⸗Schulcollegien die Leistungsfähigkeit der Gemeinden auf Grund der neuen Veran— lagung der Einkommensteuer prüfen sollen.

Abg. Sperlich (Centr.): An die westfälischen Städte, die bei der Einführung des Normal⸗-Etats die Dienstaltersstufen einführen wollten, ist die Verfügung ergangen, daß ein Staatszuschuß dazu erst bewilligt werden könne, wenn das Schulgeld erhöht worden ist. Ist der Regierung davon etwas bekannt?

Geheimer Ober Fiuanz⸗Rath Germar: Die Verfügung beruht auf dem Normal⸗Etat, nach welchem nur soweit Stäatszuschüsse gewährt werden sollen, als nicht die Mehrausgaben durch eine Er⸗ höhung des Schulgeldes gedeckt sind.

Der Titel wird genehmigt.

Zur Durchführung des Normal⸗Etats sind 1 279 286 6 ausgeworfen.

Abg. Tschocke (nl) bemängelt, daß die bessere remuneratorische Entschädigung der Hilfslehrer in Schlesien noch nicht in allen staatlichen Anstalten durchgeführt worden sei. Mindestens müßten die Lehrer, wenn die Frage geregelt wird, die Remuneration nach gezahlt erhalten. . .

Geheimer Ober⸗Regierungs-Rath Bohtz erklärt, daß die Nach⸗ zahlung erfolgen werde; die Verfügung uͤber die sh g der Kemuneration sei erlassen und werde auch wohl von den Provinzial⸗ Schulcollegien ausgeführt.

Abg. Sperlich (Centr,) fragt, ob nicht die Dienstalterszulage von 909 M nach der Zeit gewährt werden kann, in welcher der Lehrer sein Oberlehrer⸗Examen gemacht hat, ohne daß ihre Gewährung vom Dienstalter abhängig gemacht werde.

Geheimer Ober -Regierungs⸗Rath Bohtz: Die Vertheilung der Oberlehrerzulagen von 900 M nicht nach dem Dienstalter seit der Anstellung, sondern seit der Ablegung des Probejahres ist von der Regierung bisher nicht ins Auge gefaßt; es ist zweifelhaft, ob dieser . dan, g ö.

Abg. Knörcke (dfr.) empfiehlt namentlich eine Berücksichtigun der wissenschaftlichen Hilfslehrer. ö sichtigung

i fich Geheimer Ober⸗Regierungs Rath Dr.: Stauder: In den Etat sind 30 09 M für die Umwandlung von Hilfslehrer⸗ stellen in Oberlehrerstellen eingestellt; ,, aber werden jetzt, wo sich ein Bedürsniß für eine dauernde Stelle ergebe, neue Stellen ge⸗ schaffen. Für die Hilfslehrer ist ein neues System der AUnciennekät eingerichtet worden, damit ein ordnungsmäßiges Nachrücken in die Oberlehrerstellen stattfinden kann.

Abg. Bro em el (dfr) tadelt, daß der Normal Etat beim Marien⸗

stifts⸗Gymnasium in Stettin noch nicht durchgeführt ist, obgleich die Anstalt eine Königliche ist. . Geheimer Ober⸗Regierungs-Rath Boh tz: Es bestanden Zweifel über die Leistungsfähigkeit des Marienstiftsfonds, die jetzt behoben zu sein scheinen. Ber Normal⸗Etat wird für das genannte Gymnasium nunmehr zur. Durchführung kommen.

Abg. Rickert (dfr) bittet ebenfalls um Beschleunigung der Durchführung des Normal⸗Ftats, verzichtet aber bei der gegenwartigen Geschäftslage darauf, auf Einzelheiten einzugehen.

Abg. Pr. Sattler (nl,) verweist auf die verschiedenartige Be⸗ handlung der Lehrer in Bezug auf gewisse Zulagen für Turnstunden, Verwaltung der Bibliothek u. s. w.

Abg. Bödiker (Centr.) bittet um Beschleunigung der Verhand⸗ lungen über die Einführung des Normal⸗Ctats, damit sie noch vor dem 1. April 1893 ahgeschlossen werden, weil sonst budget⸗ rechtliche Schwierigkeiten entstehen; denn die Ausgaben würden nach dem 1. April 1893 nicht mehr aus dem Etat für 1892/93 gemacht werden können.

Keheimer Ober ⸗Finanz⸗Rath Germar: Die Regierung theilt den Wunsch, die Verhandlungen wegen der Einführung des Rormal- Etats bis zum 1. April zum Alff zu bringen. Bezüglich der Verwaltung von Bibliotheken handelt es sich nicht um Principien · fragen, sondern lediglich um die rng ob mit der Verwaltung von Bibliotheken eine große Mühewaltung verbunden ist oder nicht, und ob das Gehalt der Beamten sonst ein ausreichendes ist.

. ö ö. bewilligt.

ur Umwandlung von Hilfslehrerstellen in etatsmäßige Oberlehrerstellen sind 30 000 Ig ausgesetzt. z

Abg, Tschocke (nl): Von diesen 39 C00 M sollen 30 Stellen neu . werden, das wären etwa zwei Stellen für jede Provinz. Was bedeutet das aber gegenüber der überaus roßen Zahl von Dilfslehrern? Es sind 5617 wissenschaftliche Lehrer definitid an- gestellt, daneben 1058 Hilfslehrer, darunter 2ig an e 261 an nichtstaatlichen, zusammen 4860 Hilfstehrer dauernd vo schãftigt in. Ordinarigtsstellen. Wenn der WMinister äußerte, er könne darln lein Absonderlichkeit finden, daß Hilfslehrer Ordindriate verwalten, so kann ich ihm nur zustimmen; aber das Absonderliche liegt darin. daß eine so große Zahl von fie feen, solche Stellen versiebl und so lange Jahre verwalten muß. Als vor drei Jahren die Regierung