den telegraphischen Nachrichten, die für Speculations⸗ und Termin- handel bestimmt sind. Ich darf darauf hinweisen, daß, glaube ich, im vorigen Jahre die österreichischungarische Regierung die brasilia— nische darum ersucht hat, monatlich zweimal, am 1. und 15, amtliche Berichte über die Productionsverhältnisse von Kaffee herauszugeben, ind die brasilianische Regierung dieses Ansinnen mit der Begründung abgelehnt hat, daß es für sie unmöglich sei, zuverlässige Informationen in dieser Beziehung zu erlangen. Trotzdem begreife ich, daß der reelle Kaffeehandel solche konsularischen Berichte wenigstens als das relativ zu⸗ verlässigste Informationsmittel betrachtet, das es überhaupt giebt, und von diesem Gesichtepunkte aus bin ich nicht abgeneigt, die Frage nochmals in Erwägung zu ziehen und eventuell versuchsweise der Ein⸗
richtung näherzutreten, die der Herr Vorredner befürwortet. Was nun die Angelegenheit mit Weidah betrifft, die der Herr Vorredner im Eingang seines Vortrages erwähnt hat, so sind der Hauptsache die jüngsten Vorgänge in Dahome be— zwischen Dahome und Frank
Der Friedensschluß
vom Oktober 1890 hat nicht lange vorgehalten. König Behanzin hat den Frieden nicht gehalten, und bereits im vorigen Frühjahre stand fest, daß ein neuer Kriegszug von französischer Seite nothwendig war. Die Blockade der Küste von Dahome ist am 15. Juni erklärt worden. Bald darauf haben die Feindseligkeiten be⸗ gonnen; unmittelbar nach der Erklärung der Blockade hat die fran— zösische Regierung die deutsche ersucht, Anordnungen zu treffen, daß
sofort den Commissar von Togo telegraphisch beauf— tragt, wie früher schon bei dem Kriege zwischen Frankreich und Dahome wiederum strenge Maßregeln zu ergreifen, damit ein Schmuggel von Waffen vom deutschen Gebiet nach Dahome ver⸗ hindert wird. Es sind diese Anordnungen auch getroffen worden, und es steht nach den inzwischen eingelaufenen Berichten aus Togo fest, daß von unserem Gebiet nach Dahome absolut weder Waffen noch Munition eingeschmuggelt worden sind. (Bravo!) Die bezüglichen Nachrichten, die wir sehr häufig in französischen Blättern gelesen haben, entspringen also absolut französischer Phan⸗ tasie. Dagegen ist es allerdings richtig, daß in nicht unerheblichem
Umfange Waffenlieferungen stattgehabt haben zur See nach dem Ge⸗ ef 1
biet von Dahome, und daß bei diesen Waffenlieferungen sich auch einige deutsche in Weidah ansässige Firmen betheiligt haben, ebenso aber auch ausländische und darunter auch französische Firmen (hört! hört!).
Nun habe ich am 13. Dejember des vorigen Jahres durch den Kommandanten des Kreuzers ‚Falke“ aus Lagos die telegraphische Nachricht erhalten, daß in Weidah zwei Deutsche und ein Schweizer verhaftet worden sind, angeblich wegen Waffenlieferungen an den König Behanzin. Ich habe sofort telegraphisch in Paris um Aufklärung über den Sachverhalt gebeten und der Vorsicht wegen veranlaßt, az Seiner Majestät Kreuzer „Falke“ in Lagos verblieb, um eventuell noch nach Weidah zurückzukehren. Die französische Regierung war zunächst ohne Information, versprach aber solche einzuholen. Ich habe deshalb weiter veranlaßt, daß wenige Tage später der Kreuzer Falke“ nach Weidah sich zurückbegab mit der Instruction, dort für
Schutz der Deutschen eventuell einzutreten. Am 24. Dezember am dann die Nachricht, sowohl von Paris wie von Lagos, daß die Verhafteten wieder freigelassen worden sind; die französische Regierung versprach, die Untersuchung zu beschleunigen.
Das Ergebniß der Untersuchung war, daß die französischen Militärbehörden im vorigen Monat drei Deutsche und einen schweizer Agenten der Handlungshäuser in Weidah autwiesen und die drei deutschen Factoreien schlossen mit der Begründung, daß die Lieferung von Waffen vor Beginn der Feindseligkeiten gegen die Be— stimmungen der Brüsseler Generalacte verstoße und die Lieferung von Waffen nach Beginn der Feindseligkeiten in Widerspruch stehe mit französischen Gesetzen.
Gegen die Ausweisung dieser Deutschen habe ich eine Vorstellung in Paris nicht erhoben, von der Ansicht ausgehend, daß die französische Regierung, wenn sie sich im Kriege eines feindlichen Territoriums bemächtigt, das Recht hat, diejenigen Personen zu entfernen, deren Anwesenheit ihr aus irgend einem Grunde unerwünscht ist. Es würde auch die deutsche Regierung in einem analogen Falle jede Einmischung eines dritten Staats entschieden zurückgewiesen haben.
Dagegen habe ich geltend gemacht, daß der Hinweis auf die Brüsseler Generalacte deshalb belanglos sei, weil der König Behanzin ven Dahome niemals der Brüsseler Generalacte beigetreten sei, diese Acte daher für Dahome keine Gültigkeit habe. Es ist dann auch durch Beschluß des französischen Ministerraths die Schließung der Factoreien für zwei derselben wieder aufgehoben worden, dagegen für eine, die von Wölber und Brohm von Homburg, aufrecht erhalten worden unter Hinweis darauf, es sei der Nachweis geliefert, daß diese Firma auch nach Beginn der Feindseligkeiten Präecisionswaffen und Geschütze, Mitrailleusen, Munition an den König von Dahome ge— liefert hat. Die Firma bestreitet dies, indem sie behauptet, sie sei vom König Behanzin gezwungen worden, diese Waffen und Munition noch zu liefern, und sie würde sich den schwersten Gefahren für Leben und Eigenthum ausgesetzt haben, wenn sie diese Lieferung nicht gemacht hätte.
Wer in dieser Beziehung Recht hat, kann ich nicht entscheiden; ich kann der betreffenden Firma nur anrathen, wenn sie es kann, den Beweis zu führen, daß sie hier nur der fore majeursé gewichen ist. Ich habe bezüglich dieser Firma mich darauf beschränken müssen, bei der französischen Regierung in dem Sinne einzutreten, daß ihr eine gewisse Frist für die Liquidation gegeben und bei der Liquidation mit der thunlichsten Schonung verfahren wird. Also, wir haben erreicht, daß zwei der Firmen, die durch die Militärbehörden ge⸗ schlossen waren, wieder eröffnet und frei gegeben worden sind.
Ich hoffe, daß der Reichstag aus diesen Darlegungen entnehmen wird, daß das Auswärtige Amt im vorliegenden Falle zum Schutz der Deutschen in Weidah alles gethan hat, was nach Lage der Sache gethan werden konnte. Wir werden nach wie vor den Deutschen im Auslande kräftig denjenigen Schutz angedeihen lassen, auf den sie Anspruch haben nach unseren Verträgen oder nach den Grundsätzen de Völkerrechts. Aber das Auswärtige Amt ist außer stande, den Deutschen im Auslande für alle die Nachtheile Schadlosigkeit zu sichern, die entstehen, entweder aus den besonderen Verhältnissen des Landes, wo sie sich niedergelassen, oder, wie das hier der Fall ist, aus der besonderen Natur des Geschäfts, das sie betrieben haben.
Ueber die Rede des Abg. Dr. Bamberger, der darauf das Wort hat, haben wir gleichfalls schon in der Dienstags⸗
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Nummer berichtet. Nach dem Abg. Dr. Bamberger erhält das
Wort der
Abg. Lucius (Rp.): Sehr erwünscht wäre uns eine Auskunft über die Schritte, welche geschehen sind, um die Interessen der Gläu⸗ biger des portugiesischen Staats zu wahren. Nach den Zeitungs berichten ist ja nicht mehr viel an dem Unheil zu ändern, welches diese Anleihe gestiftet hat. Wie läßt sich aber solchen Vorkommnissen für die Zukunft vorbeugen? Man schätzt die Anleihen der letzten zehn Jahre für Griechen auf 200, für Portugiesen auf 249, für Argentinier auf 400 Millionen Mark, dazu noch Brasilianer, Mexikaner u. s. w. Neuerdings werden wieder Anleihen aufgelegt von Staaten, die man
eigentlich noch nicht Staaten nennen kann, sondern nur Staaten— bildungen. Ich frage, in welcher Weise unsere auswärtigen Vertreter bei den einleitenden Verhandlungen betheiligt sind, oder ob unsere Banken die Gesandtschaften umgehen. Unsere Gesandtschaft in Por⸗ tugal muß doch von den dortigen Verhältnissen und über die Aussicht der Anleihe unterrichtet sein. Es wäre auch zu fragen, ob es angemessen ist, am Sitz der Regierung eines Staats, der seine Verhindlichkeiten nicht erfüllt, einen Gesandten zu halten. Im bürgerlichen Leben pflegt man mit jemandem, der seinen Verbindlichkeiten nicht nachkommt, die Geschäftsverbindungen abzubrechen. —
Staatssecretär Freiherr von Marschall:
Die Betheiligung des Auswärtigen Amts bei der Emission von Anleihen fremder Länder beschräntt sich darauf, daß bezüglich einzelner Länder an uns die Anfrage gestellt wird, ob gegen die Auflegung der Anleihe politische Bedenken bestehen oder nicht. Diese Frage wird entweder bejaht oder verneint. Es ist aber nicht Sache des Aus⸗ wärtigen Amts, wenn diese Anleihe aufgelegt wird, das Publikum richtig zu informiren; das ist Sache anderer Leute, das wäre meiner Ansicht nach auch Sache der Banken und der Banquiers, die sich mit der Emission solcher Papiere beschäftigen.
Was nun die portugiesische Finanzkrise betrifft, so hat die deutsche Regierung consequent die Haltung eingenommen, die ich im vorigen Jahre gekennzeichnet habe, daß wir nämlich nicht selbst eine Initiative ergriffen, sondern es den deutschen Gläubigern überlassen haben, ihre Interessen zu wahren, Vorschläge zu machen, Gegenvorschläge anzu⸗ hören; und wir haben nach besten Kräften die Interessenten unter⸗ stützt und bei der portugiesischen Regierung stets den Grundsatz auf— gestellt, daß die Lösung der Krisis nicht erfolgen kann im Wege der Octroyirung, sondern nur im Wege einer gütlichen Verständigung mit den Gläubigern. Eine solche Ver⸗ ständigung war im vorigen Jahre erreicht, als über Nacht ein Ministerwechsel eintrat und das neue Ministerium alles über den Haufen warf und den Weg der Octroyirung ging, und zwar in der Weise, daß, ohne irgendwie eine Befragung der auswärtigen Gläubiger ein— treten zu lassen, eine Bevorzugung der inneren Schuld gegenüber der äußeren Schuld in der Art eingeführt wurde, daß die ausländischen Gläubiger sich mit einem Drittel der geschuldeten Zinsen in Gold begnügen mußten, die Inhaber der inneren Schuldtitres einen Steuer⸗ abzug von 30 ½ erhielten und 70 0½ der ihnen geschuldeten Zinsen in portugiesischer Valuta ausgezahlt erhielten. Es ergiebt das bei dem dermaligen Stand der portugiesischen Valuta eine Bevorzugung der inneren Schuld gegenüber der äußeren von etwa 2000.
Wir haben mit aller Entschiedenheit sowohl gegen diese Octroyirung, wie dagegen bei der portugiesischen Regierung protestirt daß im Gegensatz zu allen Regeln des Rechts und der Gerechtigkeit eine differentielle Behandlung zum Nachtheil der ausländischen Staatsgläubiger eintrat. Unsere Proteste sind nicht von Erfolg ge— wesen; das Ministerium hat in Form eines Gesetzentwurfs den Cortes Vorschläge gemacht, die im wesentlichen auf der Grundlage dieser provisorischen Regelung beruhten. Ueber diesen Entwurf, der vor kurzem in den Cortes eingebracht wurde, ist das Ministerium ge— fallen. Es ist ein neues an seine Stelle getreten. In welcher Weise dieses nun die Dinge zu ordnen gedenkt, das steht dahin. Wir werden fortfahren, die Sache unserer Gläubiger zu wahren; wir werden fortfahren, zu erklären, daß wir nur eine solche Regelung acceptiren können, für welche die Genehmigung der ausländischen Gläubiger vorliegt, und wir werden insbesondere nicht ablassen, gegen eine ungleichmäßige Behandlung der inneren und der äußeren Schuld zu protestiren; und wir hoffen von dem gerechten Sinn des portu⸗ giesischen Volkes, daß es einen Modus zurückweisen wird, der darauf hinausläuft, das Inland zu schonen und die ganze Last auf das Aus⸗ land zu schieben, welches im Vertrauen auf Portugal sein gutes Geld hergegeben hat.
Der Herr Vorredner hat dann mit Recht die Frage angeregt: wie kann man derartigen üblen Erfahrungen vorbeugen? Ich habe schon im letzten Jahre, als ich über diese Frage sprach, darauf hin— gewiesen, daß, wenn diese traurigen Finanzkrisen und die schweren Schäden, die viele Deutsche treffen, eine gute Seite haben, es die ist, daß diese Vorgänge eine Warnung sein müssen für diejenigen, die Geld zum Anlegen haben, und die nun, statt in guten deutschen Fonds, ihr Geld in fremden Fonds anlegen (sehr richtig!), über deren finanzielle Situation sie keine guten Informationen besitzen und leider auch vielfach keine guten Informationen erhalten. Es ist in der That eine traurige Erscheinung, zu sehen, daß die Acten des Aus— wärtigen Amts über diese portugiesische Finanzkrisis angefüllt sind mit Eingaben, ja, ich kann sagen, mit Hilferufen ganz kleiner und mittlerer Leute (sehr richtig! rechts), die einen großen Theil, zu Hun⸗ derten und Tausenden ihr ganzes Vermögen, in portugiesischen Fonds angelegt haben, nun an das Auswärtige Amt sich wenden und in ihrer Noth die unglaublichsten Vorschläge machen, wie wir ihnen helfen sollen, damit sie wieder zu ihrem Gelde kommen. Ich hoffe dringend, das wird eine Warnung sein, und die Leute, die man verleitet, ihr Geld in ausländischen Fonds anzulegen, künftig etwas genauer zu⸗— sehen, wie die Lage des betreffenden Staats ist, bevor sie ihm Geld borgen.
Abg. Graf Mirbach (Rp.): Wenn der Reichskanzler am 17. Februar hier ausführte, daß, so lange die Verhandlungen mit zarsen in Betreff eines Handelsvertrages noch schwebten, die Frage hier nicht berührt werden dürfte, so möchte ich dem entgegenhalten, daß ein Differentialzoll, wie er unsererseits Rußland gegenüber besteht, durchaus kein Hinderniß sein würde für die Lösung dieser ie gr. Wir wünschen, daß der bestehende Zollsatz in voller Wirkung bestehen hleibt. Andererseits möchte ich den Staatsfecretär bitten, einmal die Frage der Baarzahlung zu prüfen. Es ist absolut nothwendig, daß die Re, gierung an eine systematische Behandlung der Agrarfrage herantritt und nicht bloß vorübergehend irgend welche Maßnahmen trifft; um die Landwirthschaft prästationsfähig zu erhalten, ist eine Reform nöthig. Wir wollen il elf , aus Staatsmitteln, keine solchen Sub⸗ ventionen und Privilegien, wie sie z. B. die Reichsbank besitzt. Wir wollen nur die Vorschläge, die in einer Brochüre des Amtsraths Zunger zu— sammengefaßt sind, verwirklichen, denn dieser Weg ist gangbar. Et bedarf einer allerdingsZs zwangsweisen Bildung corporativer Genossen— schaften, dadurch ist es leicht, die Schulden in eine einzige Renten 6. zu verwandeln und Mäh ich zu amortisiren. Wie wird sich
nun die Landwirthschaft gestalten unter dem System der bestehenden r, , . und gegenüber einem Handelsvertrag mit Rußland? er Staatssecretär behauptete wiederholt, in Deutschland sei nur ein System maßvoller Schutzzölle denkbar, das inaugurirt sei durch die Dandelsverträge, oder gar keins. In dem Wunsche eines maßvollen Schutz;zollsystems stehe ich vollkommen auf dem Boden des Staatzs⸗ secretaͤrs. Ich gehe aber noch weiter. Ich wünschte, unsere wirth—⸗ schaftliche Lage wäre derart, daß wir keine Schutzzölle nöthig hätten, sondern nur Finanzzölle erhöben, um das Ausland für unsere Finanzen dienstbar zu machen. Worauf es ankommt bei der Lösung der Frage der Handelsverträge, das ist die wirthschaftliche Lage des tr. Gewerbes, also hier der Landwirthschaft. Da möchte ich meine Stimme warnend erheben für die Zukunft. Sehr erstaunt war ich, als im Juni 1891 der Reichskanzler im Abgeordnetenhause ausführte, es ließe sich nicht in Abrede stellen, daß der Weltmarkt, der unsere Getreidepreise mit bedingt, im ganzen eine steigende Tendenz habe, und er neige sich der Alrficht zu, daß diese steigende Tendenz noch anhalten werde. Die Thatsachen haben das vollständig Unxichtige der Urtheile der Sachverständigen ergeben, auf die sich der Reichs⸗ lanzler damals gestützt hat. Wir haben eine Erweiterung unseres Productionsgebiets in ungemessener Weise, eine Verbilligung unserer Verkehrsmittel, über die wir uns noch kein klares Bild machen können, und eine Valutadifferenz von ganz entscheidender Wirkung für die Preisbildung unserer Production. Gegenüber solchen Thatsachen muß sich doch die Regierung die Frage stellen, was geschehen soll, wenn die Landwirthschaft eine Reihe von Jahren zu Preisen zu produciren versuchen wird, die hinter den Productiongkosten zurückbleiben. Alle Anzeichen gehen dahin, daß wir mit einem dauernden Preisdruck zu rechnen haben. Der springende Punkt bei allen Ver⸗ trägen ist das Festlegen auf die Dauer von 12 Jahren; das kann für unser zanzes Wirthschaftswesen verhäng⸗ 2 — * 9 — 4 . nißvoll werden. Schützen Sie uns vor dem Productions— gebiet Rußland, wenigstens nach dieser Richtung! Wir hatten früher ein Vorbeugemittel in den Zöllen und ein Zoll von 66 ist von ver— ständigen und vernünftigen Menschen empfohlen worden; ich würde es nicht für unvernünftig halten, wenn man, freie Bahnen“ voraus⸗ gesetzt, zu einem noch höheren Zollsatz käme. Dieser Weg ist uns jetzt verschlossen. Ich erkenne sehr wohl, daß niemals Einrichtungen vom Staat getroffen werden können, den wirthschaftlich Schwächeren über Wasser zu halten. Was soll aber geschehen, wenn der Preis— druck noch größer wird? Zunächst fallen alle die schwächsten Exi⸗ stenzen aus dem wirthschaftlichen Leben aus, und, dann kommen wir zu einer Entvölkerungn und Verödung ganzer Gebiete des Ostens und höher gelegener Distriete. Sollen gegenüber solchen Eventualitäten und so eminenten Gefahren die Regierungen einfach abwarten Das kann man als Staatsmann nicht verantworten. Die Landwirthe sehen ganz klar in dieser Sache, und darin liegt der Kern unserer heutigen landwirthschaftlichen Bewegung. Sie wünschen, da von 54 ) J 5 ß 8 h ö . J Zöllen nicht mehr die Rede sein kann, ein actives Vorgehen der Re— gierung in der Frage der Productionsbedingungen und der Valuta— differenzen, sie verlangen eine Lösung der Silherfrage. Dann werden Sie keine dankbarere Bevölkerung finden, als die Landwirthschaft.
Reichskanzler Graf von Caprivi:
In dem von mir öfter ausgesprochenen Bestreben, den Wünschen und den Interessen der Landwirthschaft gerecht zu werden, bin ich den Worten des Herrn Vorredners mit Aufmerksamkeit gefolgt, und ich würde gern, um in Zukunft vernünftig handeln zu können (Heiterkeit), eine praktische Belehrung aus ihnen gezogen haben.
Ich gehe nicht auf die wiederholten, den Bimetallismus be⸗ treffenden Wünsche ein; sie sind zu oft erörtert worden, und ich kann immer nur sagen: Wenn einer der Herren Abgeordneten es dahin bringt, daß die englische Regierung die Bahnen einschlagen will, die die Vorauktsetzung für unser Handeln sind, so werden wir weiter in Erwägung ziehen, ob und wie wir ihr zu folgen haben.
Wenn der Herr Abgeordnete retrospectiv verneinend die Dauer der Verträge hier angreift, so darf ich ihn verweisen auf die Ver— handlungen des Landwirthschaftsraths, die im vorigen Jahre — oder war es vor zwei Jahren? stattgefunden haben, und in denen einer der abschließenden Berichte aͤngefähr mit den Worten anfängt: Für ein Gedeihen der Landwirthschaft ist das erste Interesse Stabilität der Verhältnisse. (Hört, hört! links.)
Dies Interesse theilt die Landwirthschaft mit der Industrie, und ich glaube, daß wir den Interessen der Landwirthschaft genügt haben, wenn wir Verträge auf eine längere Zeit abschlossen.
Nun frage ich mich pro futuro: was wünscht der Herr Abgeord⸗ nete in Bezug auf den Handelsvertrag mit Rußland? Es kann meine Sache hier nicht sein, auf Einzelheiten der zur Zeit schwebenden Ver— tragsverhandlungen einzugehen; aber es ist mir eine angenehme Pflicht, mir darüber klar zu werden, was der Herr Abg. Graf Mirbach in der Beziehung denkt.
Wenn ich ihn recht verstanden habe, hat er heute gesagt: er hofft, daß die Differentialzölle bestehen bleiben, und er hat sich gleichzeitig ausgesprochen für Aufhebung des Identitätsnachweises. Der Herr Abg. Graf Mirbach will also heute den jetzigen Zoll von 50 „ für Rußland bestehen lassen und gleichzeitig den Identitätsnachweis auf— heben. Am 16. v. M. hat derselbe Herr Abgeordnete hier geäußert:
Ich gebe auch Folgendes zu: wenn wir Rußland concedirten 35 statt 50 6 und gleichzeitig die Frage des Identitätsnachweises lösten, so würden wir im Osten, glaube ich, in einer besseren Situation sein, als bei dem gegenwärtigen Zustande. (Hört! hört! links.)
Also am 15. Januar ließ der Herr Abgeordnete den Zoll von 50 willig gegen den Identitätsnachweis fallen.
Mir liegt ferner vor eine an mich gerichtete Eingabe, unter⸗ schrieben: „Die ostpreußischen conservativen Mitglieder des Reichstags, des Herrenhauses und des Abgeordnetenhauses“, vom 28. Mai 1892. Unter dieser, von zahlreichen bedeutenden Namen unterzeichneten Ein—⸗ gabe finde ich auch den des Herrn Abg. Grafen von Mirbach. Diese Eingabe lautet:
„Da die Aufhebung des russischen Getreide⸗Ausfuhrverbots in Aussicht steht und theilweise bereits erfolgt ist, werden die gegen Ruß⸗ land gerichteten Differentialzölle demnächst in Wirksamkeit treten. Durch diese Differentialzölle werden die Ostseestädte und zugleich mit ihnen auch die Provinz Ostpreußen erheblich geschädigt werden. (Hört! hört) Wir sind uns dessen wohl bewußt, daß ein ein⸗ zelner Landestheil Opfer im Interesse des Ganzen bringen muß; wir richten aber an Eure Excellenz im Interesse der von uns ver— tretenen Provinz die Bitte, dahin wirken zu wollen, daß der Identitätsnachweis für transitirendes Getreide sodald als möglich aufgehoben werde, da in einer solchen Maßregel ein, wenn auch nur theilweiser Ersatz für die bevorstehende Beschädigung enthalten sein würde.“
Ich vermag das nicht anders zu verstehen, als daß in der Auf— rechterhaltung des Differentialzolles, über den im ersten Satze geklagt worden ist, eine Schädigung der Provinz Ostpreußen liegt, und ich muß mit der Bemerkung schließen, daß es mir zu meinem Bedauern nicht gelungen ist, aus den verschiedenen Aeußerungen des Herrn Vor—
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redners eine Richtschnur für das Verhalten der Regierung zu entnehmen.
Abg. Dr. Barth (df. : Der Abg. Graf Mirbach ist auf Zoll- und Währungsfragen eingegangen, von denen wir nach den Aeußerungen des Reichskanzlers wissen, daß sie auf einen fruchtbaren Boden nicht gefallen sind. Bei einer eingehenden Währungsdebatte beim Etat des Reichsschatzamts werden wir Gelegenheit haben, alle jene agrarischen Illusionen über die Bedeutung der Einführung der Doppelwährung für die Landwirthschaft zu erörtern. Wir erkennen in keiner Weise an, daß durch die Einführung der Doppelwährung, oder was dasselbe ist, der Silberwährung, wenn es sich nicht um eine internationale Regelung handelt, geholfen werden kann. Nun hat der Abg. Graf Mirbach hier Phantasiegemälde entrollt, wie es der Landwirthschaft gehen könnte, wenn der Preisdruck für landwirthschaftliche Producte sich immer weiter fortsetzen würde. Er hat dies für sicher gehalten, weil diese Production sich immer weitere Landstriche in der Welt er— obern und die Verkehrsbedingungen immer günstiger werden würden, sodaß die Zufuhr von ausländischen landwirthschaftlichen Pro— ducten nach Deutschland immer erleichterter und dadurch die Preise billiger würden. Solche Behauptungen sind aber schwer zu beweisen. Das Gegentheil ist sogar das Wahrscheinliche. In den Vereinigten Staaten ist bereits alles Gebiet, was sich mit großem Vortheil speciell für den Export landwirthschaftlicher Producte nach Europa eignen würde, in Cultur genommen; die großen Eisenbahnen sind alle gebaut. Die übrigen Districte können schon gar nicht mehr in eine für den Export günstige Cultur genommen werden. Außerdem steigt dort in rapider Weise die Cinwohnerzabl, sodaß wahrscheinlich der Höhepunkt dessen, was die Vereinigten Staaten als Exportland für Europa leisten können, entweder schon überschritten oder doch nahe erreicht ist. Ganz ähnlich liegt die Sache in Indien, wo noch hinzu⸗ kommt, daß sich dort ein allmählicher Uebergang vom Reis- zum Getreideconsum vollzieht. Jene Idee, als ob wir vor einer unab⸗ sehbaren Productionsmöglichkeit in Bezug auf Getreide stehen, ist also durchaus nicht richtig. Was würde es denn den Agrariern nützen, wenn der Abschluß des russischen Handelsvertrages vereitelt würde? Nur die Beibehaltung des Fünf⸗Markzolles für Roggen, nicht der Weizenzoll könnte für sie einen praktischen Werth haben. Der bedeu⸗ tende Import russischen Roggens ist natürlich von Einfluß auf die Preisbildung. Wahr cheinlicher würde allerdings eine andere Folge sein, daß nämlich der russische Roggen nicht mehr über die östliche Grenze, sondern über Holland, Belgien bezw. Oesterreich eingeführt würde. Der Abbruch der Verhandlungen hat also für unsere Agrarier keinen Werth. Ueber den Handelsvertrag selbst sprechen wir am zweck— mäßigsten, wenn er uns vorliegt. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit lieber auf die Einführung eines Schiedsgerichtsvertrages zwischen den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika und den europäischen Staaten lenken. Es handelt sich darum, daß in allen denjenigen Fällen inter— nationaler Streitigkeiten, bei denen es der Diplomatie nicht gelingt. eine Einigung herbeizuführen, die Streitigkeiten einem permanenten Schiedsgericht unterworfen werden. Die Anregung dazu ist ausge gangen von dem Senat der Vereinigten Staaten. 234 Mitglieder des englischen Unterhauses haben in einer Adresse an den Präsidenten GEleveland ihre Zustimmung zu dieser Idee ausgesprochen; 120 fran— zösische Deputirte und Senatoren haben sich ebenfalls mit derselben einperstanden erklärt. Das nordamerikanische Repräsentantenhaus hat dann 1890 den Beschluß des Senats acceptirt und den Präsidenten aufgefordert, mit den übrigen civilisirten Staaten in Verhandlungen einzutreten. Im englischen Unterhause wird in acht Tagen ein AÄn— trag von Lubbock vertreten werden, welcher die englische Regierung auffordert, mit Amerika in dieser Frage zu verhandeln. Da am 4. März der frühere Präsident Cleveland den Präsidentenstuhl wieder besteigt, so ist zu hoffen, daß diese civilisatorische Bewegung in Fluß bleiben wird. Ich möchte nun die verbündeten Regierungen bitten, dieser ganzen Bewegung aufmerksames und wohlwollendes Interesse entgegenzubringen, und falls sich Gelegenheit bietet, daß auch Deutsch⸗ land bei dieser Bewegung eine active Rolle spielen kann, nicht spröde zu sein, sondern ihr den nöthigen Rückhalt seitens des Deutschen Reichs zu geben. Sind erst einige große Staaten mit gutem Beispiel vorangegangen, so werden auch die übrigen zu einer Regelung ihrer internationalen Streitigkeiten im Wege des Schiedsgerichts ge— langen.
Staatssecretär Freiherr von Marschall:
Meine Herren! Die Vereinigten Staaten Amerikas haben uns vor einiger Zeit Mittheilung gemacht von dem Beschluß des pan— amerikanischen Congresses, mittelst dessen die Einsetzung allgemeiner Schiedsgerichte zur Lösung internationaler Fragen angeregt wird. Da mit der Mittheilung der Vereinigten Staaten irgend ein Antrag nicht verbunden war, so haben wir uns darauf beschränkt, eine Empfangs— bestätigung zu geben. Meines Wissens sind die europäischen Re⸗ gierungen dieser von Umerika angeregten Frage bis jetzt nicht näher getreten, und ich glaube auch nicht, daß dies in der nächsten Zeit geschehen wird.
Was speciell Deutschland betrifft, so sind wir bereits wiederholt bereit gewesen, Streitfälle einem Schiedsgericht zu unterwerfen, und wir werden das auch in Zukunft je nach der Gestaltung des einzelnen Falles thun. Aber eine allgemeine Verpflichtung im voraus zu über— nehmen, daß wir alle internationalen Streitfragen einem inter⸗ nationalen Schiedsgericht zur Lösung übertragen, das würde nach meiner persönlichen Ansicht, zumal nach der heutigen politischen Lage Europas, doch für Deutschland sehr schwerem Bedenlen unterliegen.
Abg. Scipio (ul.): Die Konsuln würden für ihre Kaffeeberichte
lediglich die Verantwortung zu tragen haben, welche sie für ihre sonstigen Berichte tragen: daß sie dieselben ehrlich und nach bestem Wissen und Gewissen abgefaßt haben. Bei den rasch aufeinander— folgenden Revolutionen in den südamerikanischen Staaten sind die dortigen Regierungen garnicht in der Lage, regelmäßige Berichte zu veröffentlichen. Man ist also auf die Berichte einzelner großer Firmen hinngewiesen, welche sich leicht über die Preise verständigen können. Auf den Identitätsnachweis und den russischen Handelsvertrag gehe ich hier nicht ein. Abg. hr. Bamberger (dfr.): Ich stehe nicht auf dem Stand— punkt des Abg. Lueius und auch nicht auf dem des Staatssecretärs des Auswärtigen Amts. Da aber der Staatssecretär erklärt hat, daß im Augenblick Schritte gethan werden, und da ich nicht hindern möchte, daß solche Schritte den gewünschten Zweck haben, so enthalte ich mich jeder Glosse in dieser Beziehung, behalte mir aber vor, ein andermal meine divergirende Ansicht klar zu machen, wie eine Re— gierung sich zu enthalten und zu verhalten hat, wenn aus privaten Interessen fremden Regierungen gegenüber Verletzungen von Ansprüchen entstehen, die mit dem gemeinsamen Recht des deutschen Volkes nichts gemein haben. 2. 33. .
Abg. von Kardorff (Rp.): Wenn ich recht berichtet bin, haben solche auswärtigen Anleihen dem deutschen Volke in den letzten Jahren einen Verlust von 500 Millionen Mark gebracht; dagegen müssen Maßregeln ergriffen werden. Ich, rechne zu diesen lag regeln eine Börsensteuer auf auswärtige Anleihen, welche ven den betreffenden Kreifen sehr gut getragen werden könnte und sehr nützlich wirken wird; denn sie wird mehr dazu führen, daß das deutsche Kapital sich den inländischen Anleihen zuwendet. Ferner verdient; der Gedanke Beachtung, oöb nicht die emittirenden Häuser für den Erfolg solcher Anleihen haftbar gemacht werden sollen, die sie auf den Markt werfen. Solche exotischen Papiere sind auch in kleinbäuerliche Kreise einge— drungen, welche nur durch die Banquiertz dazu verführt werden, ihr Geld in fo zweifel hasten Werthen anzulegen. Wenn das Deutsche Reich dagegen irgendwelche Maßregeln trifft, wird n , w m. deut schen Valerlande' mit Freuden begrüßt werden. Die Aeußerungen des Reichtkanzlers zwingen mich, auch ein Wort zur agrarischen und zur Währungsfrage zu sagen. Ich bedaure, daß der Reichskanzler dem Abg Grafen Mirbach gegenüber den Wunsch aussprach, es möchte doch irgend ein Abgeordneter England dazu bringen, mit uns in. der Einfü Ag der internatignalen Dohhel währung gemeinschaftliche Schritte zu machen. Das ist nicht Sache
der einzelnen Abgeordneten, sondern der Regierung; denn sie jat selbst zugegehen, daß durch Einführung der Doppelwährung der Landwirthschaft geholfen werden würde. Wenn die Regierung sich ins Zeug legt, kann etwas Gutes daraus werden. Wir brauchen allerdings England zur Regelung der Doppelwährung. Daß die Frage national von uns allein gelöst werden soll, ist eine Erfindung des Abg. Dr. Barth. Kein Mensch hat jemals etwas dergleichen verlangt; ebenso ist es eine Erfindung, daß wir die Silberwã hrung haben wollen. Wir wollen die Doppelwährung. Frankreich hat die Doppelwährung in den siebziger Jahren zu seinem Gedeihen aufrecht erhalten; in England sind seit 1370 zwei Millionen Acres außer Cultur gesetzt worden. Solchem Zustande gehen auch wir entgegen. Ich bahe sehr bedauert, daß die geringen Zoͤlle, die noch bestehen, als ein Opfer für die Land wirthschaft von dem Reichskanzler bezeichnet wurden. Er will die Interessen der Consumenten und der Besitzlosen wahrnehmen. Wer immer den Consumenten, den Besitzlosen im Munde führt, ist ent— weder der Freund des internationalen Zwischenhandels, der Freisinn, oder derjenige, der immer die Unzufriedenheit im Lande rege erhalten will der Soeialdemokrat! Der Reichskanzler soll sich nicht bloß fragen, wie dies oder jenes Gesetz auf die Socialdemokratie wirkt, sondern auch wie es auf die Land— wirthschaft wirkt. Der Reichskanzler hat das Bild gebraucht, daß die Landwirthschaft die Wurzeln austreibe, auf denen der Baum der In⸗ dustrie wachsen könne, und daß um diese Wurzeln gute Erde gelegt werden müsse. Wo soll diese gute Erde hergenommen werden? Einfach aus dem unbehinderten Einströmen des Silbers in den Münz— verkehr. Ich erachte es für die erste Aufgabe jedes deutschen Staats— manns, die Landwirthschaft vor den Gefahren zu bewahren, welchen sie heute entgegengeht. Der Staatsmann, der es versäumt, Maß— regeln zu ergreifen, um sie zu schützen, trägt eine sehr schwere Ver⸗ antwortung.
Abg. Graf Mirbach (Rp.): Das Wort „vernünftig“, welches ich, gebrauchte, bezog sich auf kine Aeußerung eines preußischen Ministers im Abgeordnetenhause, der das Wort mir gegenüber als einen lapsus lingune bezeichnete. Der Reichskanzler hat mich nicht vollständig eitirt; ich habe in der Sitzung vom 15. Februar erklärt, daß ich um keinen Preis aus Rücksicht auf das allgemeine Interesse eine Concession an Rußland machen wolle. Für die Fassung der Ein gabe an die Regierung, einer Eingabe, welche den Handel betrifft, bin ich nicht verantwortlich, aber die T arlegungen dieser Eingabe sind vollkammen richtig. Wenn die Grundbesitzer sich auch des Handels annehmen, so ist das ganz correet. Die Aufhebung des Identitäts— nachweises ist auch durchführbar bei Zollsätzen von 35 oder 50 (M
Reichskanzler Graf von Caprivi:
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Der Herr Abg. Graf Mirbach hat mir den Vorwurf gemacht, ich hätte seine Aeußerung nicht vollständig eitirt. Es würde weit führen, wenn man seine Aeußerungen immer vollständig citirte. Aber selbst, wenn ich diesen Satz, den er selbst vorgelesen hat, meinem Citat noch hinzugefügt hätte, so würde für mich das Verständniß dessen, was er uns für den russischen Handelsvertrag an die Hand giebt, nicht zugenommen haben.
Der Herr Abg. von Kardorff hat den Wunsch ausgesprochen, daß sich doch jeder Staatsmann klar machen möge, wie die Maßregeln, die er trifft, auf die Landwirthschaft wirken, und daß ich das, was ich einmal über die Berücksichtigung der Interessen oder vielmehr unserer socialen Lage gesagt habe, daß ich mir jedes Gesetz daraufhin an— sehen würde, wie es in dieser Beziehung wirkte, daß ich das auf die Landwirthschaft ausdehnen möge. Ich kann den Herrn Abg. von Kardorff daran erinnern, daß ich das, so lange ich im Amt bin, getreulich gelhan habe und thun werde; nur folgt daraus nicht, daß ich die Auffassung des Herrn Abg. von Kardorff mir zu eigen machen müßte. Und wenn er heute wieder auf das Gleichniß von dem Baum zurückkommt, dem in jedem Jahre eine Schicht neuer Erde um die Wurzel gelegt wird, so bin ich der Meinung: der agrarische Baum hat schon manche Schicht frischer Erde bekommen (Heiterkeit. Sehr richtig! links), und wenn ich weitere frische Erde um ihn legen sollte, so würde ich in der That in Verlegenheit sein, woher sie nehmen.
Einen Rathschlag, den der Herr Abg. von Kardorff giebt: den Bimetallismus einzuführen, halte ich eben zur Zeit nicht für gangbar. Ich will dahingestellt sein lassen, ob der Rath überhaupt wirksam sein würde; aber ich bin nun nochmals in der Lage, dem Herrn Abg. von Kardorff wiederholen zu müssen: Wenn er mir kein Mittel an die Hand giebt, die englische Regierung zu bewegen, ein anderes System anzunehmen, so sind wir nicht in der Lage, den ersten Schritt dazu zu thun. Der Herr Abgeordnete hat der Regierung einen Vorwurf gemacht, indem er sagte, es wäre ihre Sache, solche Schritte zu thun. Dann möge er uns aber doch einmal an die Hand geben, wie wir das thun sollen! Soweit ich aus der Brüsseler Conferenz habe ersehen können, ist die englische Regierung in sich noch garnicht einmal schlüssig über das, was sie will; es sind verschiedene Ansichten darüber geäußert worden. Wenn wir also das energischste Schreiben nach England richteten, so würde die Sache heute auch noch nicht um einen Deut geändert werden. Ich bin allerdings der Ansicht, daß unsere wiederholten bimetallistischen Debatten praktisch nichts an der Lage ändern. (Bravo! links.
Abg. Graf Kanitz (deons.): Ich bin ebenso wie der . bon Kar⸗ dorff der Meinung, daß die Währungsfrage nur im Wege inter⸗ nationaler Verständigung geregelt werden kann. Wenn ich in einer Druckschrift gesagt habe, daß wir auf das Vorgehen Englands nicht zu warten brauchen, so bitte ich auch den Nachsatz zu beachten, in welchem steht, daß wir, wenn wir den richtigen Weg einschlagen, nicht ohne Nachfolger bleiben werden. Einer muß vorangehen, und ich bin nach wie bor überzeugt, wenn wir einen energischen Schritt vorwärts thun, wird England nicht anders können, als uns nachfolgen. Die Frage der exotischen Anleihen bitte ich hier nicht weiter zu diseutiren, da dies uns schon in der Börsenenquétecommission sehr eingehend beschäftigt hat. Ich bin der lebhaften Zuversicht, daß wir in nicht allzu ferner Zeit positive Vorschläge zur Abstellung der heillosen Miß— stände machen können. Ich wünsche, daß bei der Genehmigung der Emissionen ausländischer Anleihen von den verbündeten Regierungen nicht bloß die, politischen Fragen erwogen, sondern, daß dabei auch die wirthschaftlichen Verhältnisse des Landes einigermaßen in den Kreis der Betrachtung gezogen werden. Einige Mitglieder der Börsen⸗ enquötecommission sind der Meinung, daß in Lieser Hinsicht noch weitergehende Cautelen geschaffen werden müssen, als hier vorgeschlagen werden. Gerade bei der portugiesischen Anleihe liegt ein eclatanter Fall vor. Portugal hatte vor derselben bereits eine Staatéschuld von 2549 Millionen Mark, das macht auf den Kopf eine Schulden: last von 542 S, für ein nicht wohlhabendes Land wie Portugal eine ganz ungeheure Schuldenlast. Es ist hedauerlich, daß, das Publikum hierüber völlig im unklaren gelassen ist. In der Wörsen⸗ enquötecommission sind die Vorschläge erzrtert worden, die Emissions⸗ häuser verantwortlich zu machen, den Prospectenzwang einzuführen, den Emittenten zur Pflicht zu machen, ein Merkmal einzuführen und dergl. Ich hoffe, daß Ihnen die Commission Vorschläge unterbreiten wird, welche zu einer durchgreifenden Aenderung auf diesem Gebiet führen werden. 7 .
Abg. Lucius (Rỹy.): Wenn ich den Staatsseeretär richtig ver · standen habe, beschränken sich die Auskünfte von Seiten der Gesandt⸗ schaften auf die politische Zweckmäßigkeit einer Anleihe. Ich bin
jedoch mit dem Abg. Grafen Kanitz der r . daß es wünschentz⸗ werth sei, daß die Gesandtschaften sich vor allen Dingen über die
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Creditfähigkeit eines solchen Staats aussprechen. Wenn eine Gesandt⸗ schaft das ablehnt, so würde das vollständig in Widerspruch mit der sonstigen Praxis des Auswärtigen Amts stehen. Es werden den Dandelskammern vom Auswärtigen Amt große Verzeichnisse von Schwindelfirmen im Auslande mitgetheilt. Wenn das dem Aus— wärtigen Amt nicht zu gering ist, darf ihm auch die Erfüllung dieses Wunsches nicht zu gering sein.
Abg. Dr. Barth (dfr.): Der Abg. von Kardorff hat mir eine Erfindung“ vorgeworfen. Wie wenig im gegenwärtigen Augenblick Abg. von Kardorff dazu berechtigt war, werde ich sofort nachweisen. Der Abg. Graf Kanitz hat in der That die Meinung in der Literatur vertreten, daß wir die Währungsfrage nicht im internationalen Wege, sondern selbständig auf nationalem Wege regeln müssen. Er schrieb in einem Artikel des orientirenden Correspondenzblattes Der Kampf um die Währung“ vom 15. Februar 1893: „Wenn es im Interesse aller Culturstaaten liegen muß, die Währungsfrage im Wege inter⸗ nationaler Verständigung geregelt zu sehen, so ist Deutschland doch mächtig genug, um auch eine selbständige Münzpolitik treiben zu können, und es wird, wenn es den richtigen Weg einschlägt, nicht ohne Nachfolger bleiben. Wenn die deutsche⸗Sprache überhaupt noch einen Sinn hat, oder wenn überhaupt die Bimetallisten dieselbe Sprache sprechen wie andere Menschen in Deutschland, so kann dieser Passus nur so ausgelegt werden, wie ich ihn vorhin interpretirt habe. Der letzte Satz des Passus widerstreitet nicht meiner Behauptung. Wenn Sie keinen Nachfolger bei Ihrem Sprung ins Dunkle finden, wie stehen Sie dann da? Mit diesem Nachsatz ist erst recht zum Aus⸗ druck gekommen, daß einige Bimetallisten das halsbrecherische Manöver auf eigene Hand vorgenommen wissen wollen.
Staatssecretär Freiherr von Marschall:
Ich möchte nur mit Rücksicht auf eine Bemerkung des Herrn Lucius hervorheben, daß das Auswärtige Amt durch die Berichte der Gesandtschaften und der Konsulate stets im Besitz eines ganz ein⸗ gehenden Materials über die finanzielle Situation der einzelnen Länder sich befindet, und daß wir dieses Material sowohl den Ressorts wie auch den Gremien und Corporationen mittheilen, die es zu haben wünschen. Der Mißstand bei solchen Emissionen liegt darin, daß in dem Augenblick, wo sie geschehen sollen, weder die Banken noch die Subseribenten sich um das Material kümmern. (Hört! hört) Die Zahlen, die der Herr Abg. Graf von Kanitz heute verlesen hat, stehen meines Wissens im Gothaer Hofkalender, und der einfache Ankauf dieses Kalenders konnte jedem Subseribenten der portugiesischen Anleihe ein genaues Bild der finanziellen Lage des portugiesischen Staats geben, und ich behaupte: Sie war damals wohl anders, als sie heute ist.
Wenn er dann weiter sagt, in dieser Beziehung dürfe sich das Auswärtige Amt nicht darauf beschränken, auf eine Anfrage zu er⸗ klären, ob ein politisches Bedenken gegen eine Emission vorläge, es müsse auch auf das Materielle eingehen und eventuell warnen vor der Subseription auf solche Papiere, so erwidere ich darauf: Das ist nicht Sache des Auswärtigen Amts. Das Auswärtige Amt kann unmöglich eine Verantwortung dafür übernehmen, wie und an welcher Stelle die deutschen Kapitalisten ihr Geld anlegen. Wir können nichts Anderes sagen auf eine Anfrage als: Hier liegen politische Bedenken vor, hier liegen keine vor!
Abg. von Kardorff (Rp.): Meine Meinung ist die, daß wir im Reichstage ein Gesetz annehmen, betr. die Einführung der Doppelwährung, und dem Bundesrath anheimgeben, dieses Gesetz in Kraft zu setzen, wenn sich so und so viele Staaten gefunden haben, welche mit uns gehen wollen. Die künftige Nachfolge anderer Nationen ist immer vorbehalten. Wir würden in diesem Falle nicht dazu kommen, selbständig mit Einführung der Silberwährung vorgehen zu können. Keiner von uns hat ohne Rücksicht auf andere Nationen vorgehen wollen.
Abg. Dr. Barth (dfr.): Es wäre mir sehr lieb, wenn der Abg. von Kardorff überhaupt ausspräche, was er denkt. Wenn das selbst⸗ ständige Münzpolitik treiben heißt, was der Abg. Graf Kanitz in dem eitirten Artikel vorschlägt, dann verstehe ich überhaupt nicht mehr, was unter selbständiger Münzpolitik gedacht werden kann.
Abg. Graf Kanitz (deons.): Ich wiederhole, daß ich stets nur an eine internationale Regelung gedacht habe. Wenn der Abg. Dr. Barth das anders auffaßt, irrt er sich. So wie wir vorgehen, folgt England und folgen die anderen Staaten. In allen Ländern mit Goldwährung ist ein so tiefes Mißvergnügen über die Geldperhält⸗ nisse vorhanden, daß man nur auf den Anstoß wartet, zur Doppel⸗ währung überzugehen.
Abg. Bebel (Soc.): Bei der Frage: wie kommen wir zur Doppelwährung? haben sich der Abg. Graf Kanitz und andere Herren sehr deutlich dahin ausgesprochen, daß Deutschland zum mindesten den Anfang machen müsse. Was das bedeutet, haben sich die Herren wohl kaum klar gemacht. Wenn Deutschland allein ernsthaft auf dem Wege der Gesetzgebung mit der Lösung einer solchen Frage sich be⸗ schäftigt, ohne andere Nationen hinter sich zu haben, so würde sofort eine große Unruhe und Verwirrung im Geschäftsleben die Folge sein. Glauben Sie, daß die anderen Nationen nicht bereits ebenfalls längst auf diesem Wege vorausgegangen wären, wenn die Sache so leicht wäre? Nicht einmal die Vereinigten Staaten mit ihrer un⸗ geheuren Silberproduction gehen voran, weil sie ganz genau wissen, daß sie mit einem Antrag auf Einführung der Doppelwährung keine Gegenliebe finden. Der Abg. von Kardorff sagt, er wolle nicht die Silberwährung, sondern die Doppelwährung; aber in dem Augen⸗ blick, wo diese bei uns eingeführt wird, würden sofort sämmtliche Preise des Inlands in der Silberwährung zum Ausdruck kommen und dadurch einen Weg für die ungeheuerlichsten Speculationen er⸗ öffnen, während alle internationalen Preise sich in der Gold⸗ währung ausdrücken würden. Man behauptet, daß die Land⸗ wirthschaft durch einen russischen Handelspvertrag geradezu vernichtet sein würde. Man muß sich die Frage vorlegen, ob wir nach der Periode der Ueberproduction im Getreide nicht auch eine Periode des Mangels bekommen. Die russische Landwirthschaft leidet durch die ausländische Concurrenz und ist im Niedergang begriffen, zumal jetzt in Folge der Mißernte. Auch die verkehrten Maßnahmen bei der Befreiung des Bauernstandes haben dazu beigetragen. Was es bedeutet, wenn Rußland als Roggenproducent uns im Stich läßt, haben wir bei der Mißernte vor zwei Jahren gesehen. Ich habe die ernsthafteste Ueberzeugung, daß wir angesichts der russischen land⸗ wirthschaftlichen Verhältnisse in Deutschland allmählich vom Gebrauch det Roggens zum Gebrauch des Weizens übergehen müssen. Unsere Landwirthschaft hat die fünf Jahre, wo sie einen Zoll von 5 M6 genoß, nicht dazu benutzt, um die Roggenproduction auf eine solche Höhe zu bringen, daß Deutschland seinen Roggenbedarf deckt. Die Statistik ergiebt, daß in den letzten Jahren in Bezug auf die Production der Hauptnahrungsmittel keine oder nur geringe Veränderungen eingetreten sind, während wir seit 1875 acht Millionen Menschen mehr in Deutschland haben. Als die ersten Resultate der Volkszählung von 1300 bekannt wurden, war es die „Kreuzzeitung“, welche 4 daß bei dieser so bedeutenden Vermehrung der Bevölkerung die Land- wirthschaft um den Absatz ihrer i, . nicht besorgt zu sein brauchte. In den letzten Jahrzehnten haben sich die besten Ländereien dem Zuckerrübenbau zugewendet, und nur der schlechtere Boden wird zur Getreideproduction verwendet. In- folge dieser eigenthümlichen Entwickelung würde Deutschland, wenn heute ein euroy ischer Krieg ausbräche, Hungersnoth zu leiden baben. Darum hat die Regierung alle Ursache, dahin zu wirken, daß die Landwirthschaft die Bepbfterung ernähren könnte. Wenn die Herren trotz der Getreidezölle und sonstiger Begünstigungen sich immer noch in einer Nothlage befinden, dann machen Sie doch der Geschichte ein für allemal ein Ende durch eine allgeineine Expropriation des Grund und Bodens. Wir werden bexeit r Sie auf diesem Wege aufg
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