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daher, meine Herren, bin ich der Meinung, daß es nicht wohlgethan ist, diesen Antrag zu stellen. Er muß mit Nothwendigkeit abgelehnt werden, und ich zweifle nicht daran, daß das mit großer Majorität, und ich glaube, daß es von allen Seiten geschehen wird gerade in dem Sinne, den ich ausgesprochen habe. Es liegt dabei keine Feind⸗ schaft gegen die Polen zu Grunde. (Widerspruch bei den Polen und im Centrum.) Ja, wenn Ihnen das lächerlich vorkommt, dann bedauere ich das aufrichtig, es ist aber in der That so.
Und vor allen Dingen bin ich der Meinung, was nun die andere Seite der Sache, die Wirkungen des Gesetzes, anbetrifft, daß es doch unmöglich ist, nach dieser kurzen Zeit seines Bestehens zu erklären, das Gesetz habe fehlsam gewirkt, oder, wie mit großer Emphase der Herr Abg. Rickert sagte, die Regierung sei mit diesem Gesetz unterlegen. Ja, meine Herren, bei solchen Maßregeln, praktisch jetzt gesprochen, werden die Meinungen immer verschieden sein, und ich würde ebenso, wie Herr Rickert eine Anzahl Preßstimmen und Mittheilungen aus seiner Partei mitgetheilt hat, welche sich
'sehr unzufrieden über dieses Gesetz äußern, eine sehr viel größere An—
zahl von Stimmen anführen können, die sich sehr zufrieden über dieses Gesetz aussprechen. Auf dem Wege kommt man nicht weiter. Man
muß dieser Sache ihre Entwickelung lassen, und dann wird sich
zeigen, ob das Gesetz seinen Absichten entsprochen hat und ob seine Wirkung eine günstige gewesen ist.
Ich bedauere — ich nehme gar keinen Anstand, das auszusprechen —, daß das Gesetz unseren polnischen Mitbürgern unangenehm ist, und daß es sie in gewissem Maße verletzt. Aber, meine Herren, davon ist sehr weit entfernt diese Art und Weise der Betrachtung, auf die zu meinem Erstaunen auch der Herr Vorredner eingegangen ist: zu sagen, durch dieses Gesetz würden die Unterthanen polnischer Nationalität zu Staatsbürgern zweiter Klasse. (Sehr richtig! bei den Polen.) Ich muß sagen, in welchen Rechten sind sie denn durch dieses Gesetz beschränkt? In gar keinem. (Zuruf bei den Polen: in allen!) Es ist der ganze Punkt, um welchen es sich handelt, der, daß in einem gewissen beschränkten Territorium der Provinzen Westpreußen und Posen Grundstücke, welche seitens der Regierung angekauft werden, nicht an Polen verkauft werden. Ich muß gestehen, wo da die Degradation liegt, ist mir schwer erfindlich. (Zuruf) Meine Herren, diese Unterscheidung, wo das Geld, welches der Staat ausgegeben hat, herkommt, ist eine sehr unglückliche. Mit dem Augenblick, daß
die Mittel des Staats aufgebracht werden und in die Staatskasse
fließen, sind sie allgemein, und die Allgemeinheit, die Staats— regierung in Verbindung mit dem Landtag, hat darüber zu dispo⸗ niren, ohne daß es gerechtfertigt wäre, zu fragen, wo diese oder jene Mark herkäme; und wenn eine Maßregel im allgemeinen Staats— interesse für nothwendig erachtet und als solche auch von der Landesvertretung anerkannt wird, dann sind dergleichen Erörterungen durchaus nicht am Platze. (Sehr richtig! rechts.)
Also ich resümire mich dahin: das Gesetz hat den politischen Charakter, daß es dazu bestimmt sein soll, die Ausdehnung des polnischen Elements in den Landestheilen, um die es sich handelt, hintanzuhalten. Dieses Gesetz bedarf zur Beurtheilung seiner Wir— kungen einer geraumen Zeit, und die muß abgewartet werden, um wirthschaftlich seine Wirkungen beurtheilen zu können. Irr⸗ thümlich nach meiner festen Ueberzeugung ist aber die Meinung, daß, wenn wir dies Gesetz aufheben wollten, damit die Wünsche unserer polnischen Mitbürger befriedigt (sehr richtig! rechts) und die Agitationen desjenigen Theils unter ihnen, der sich denselben hingiebt, verringert oder auf ein anderes Gebiet übergeführt werden würden.
Aus allen diesen Gründen bitte ich Sie, die vorliegende Reso— lution abzulehnen und den Bericht der Ansiedelungscommission durch Kenntnißnahme zu erledigen. (Bravo! rechts, Zischen bei den Polen.)
Abg. Seer (nl,): Bei uns in Posen geht der Grundbesitz immer mehr in die Hände der Deutschen über. Ich möchte empfehlen, den Betrieb der Ansiedelungscommission so einzurichten, daß weniger Schreiberei nothwendig ist. . ⸗
Abg. von Brodnicki (Pole) bezeichnet das Gesetz von 1886 als ein eynisches (Vice-Präsident or, Freiherr von Heereman be— zeichnet diesen Ausdruck als nicht zulässig] und erklärt, daß es den christlichen Grundsätzen, der Moral und der Gerechtigkeit widerspreche.
Geheimer Ober-Regierungs-Rath Freiherr von Wilmowski bestreitet, daß die Ansiedelungteommission rücksichts los gegenüber den Gutsnachbarn verfahren sei; e habe nur die Rechte des Fiseus gegenüber deren unberechtigten Ansprüchen wahrgenommen.
Abg. von Tiedemann Labischin (freicons. : Mit ihren Ueber⸗ treibungen werden die Polen ihrer Sache keinen Dienst leisten. Es herrscht gar keine Unzufriedenheit in Posen. Woher kommt es denn, daß das Angebot an Gütern so groß ist, daß die Deutschen fast unzufrieden sind, weil sie ihre Güter nicht so theuer verkaufen können? Die polnischen Landwirthe besehen sich mit großem Interesse die deutschen Ansiedelungen. War denn der Zustand früher ein so idealer, daß er nicht hätte verbessert werden können? Ich bin jetzt 12 Jahre in Pasen thätig. Aber trotz der angeblichen Kampfesstimmung und der Polengesetze kann ich feststellen, daß das Verhältniß zwischen Polen und Deutschen. ein besseres geworden ist. Das liegt in der Einführung der neuen Kreisordnung, die ein Verdienst des früheren Ministers des Innern ist; die Polen haben sich durch die Mitarbeit in der Ver— waltung überzeugt, daß die Deutschen nicht so schlimm sind. Aber durch solche Anträge wie den heutigen wird die Beruhigung nicht hergestellt. Die Ansiedelung bezweckt hauptsächlich, die Abwanderung zu ersetzen. Das ist ein Zweck, der durchaus nicht beanstandet werden kann.
Abg. Dr. Bachem (Centr ; Das Gesetz ist von der Regierung vorgelegt worden; ein Abgeordneter hätte wohl niemals den Muth gehabt, ein solches vorzulegen. Deshalb muß die Staatsregierung die Abschaffung des Gesetzes beantragen, von dem der Minister-Präsident selbst anerkannt hat. daß es die Polen verletzen müsse, wie ich sage; ohne Noth! Die Ansiedelungscommission ist direct in rein volnische Districte eingedrungen, das ist nicht mehr Ah⸗ wehr, sondern Angriff. Die Gleichberechtigung der Polen wird durch das Gesetz in Frage gestellt. Da sollte die Staatsregierung nicht auf den wirthschaftlichen Erfolg des Gesetzes warten. Das Gesetz ist ein Hinderniß für die Versöhnüng der Nationalitäten. ;
Abg. Freiherr von Erffa (cons.): Die Empfindlichleit der Polen gegenüber dem Gesetz verstehe ich; aber ein Kampfgesetz ist es durchaus nicht; es führt nicht zur Ausrottung der Polen. Die Polen haben ihre Beschwerden maßvoll vorgebracht, der Abg. Rickert aber hat als Polenanwalt die Sache übertrieben, weil er wahrscheinlich durch starke Worte die Schwäche seiner Gründe verdecken wollte, Für das Bündniß des Abg. von Puttkamer mit den Polen kann die con⸗ servative Partei nicht verantwortlich gemacht werden. Was bei einer einzelnen Stichwahl passirt, kann man nicht controliren. Wenn der
ole gewählt, wird als das kleinere Uebel, vielleicht weil ein Frei- inniger der Gegencandidat ist, so begreife ich das. Es haben sich Sig evangelische und 89 katholische Bewerber gemeldet; dem entspricht nachher auch die en der evangelischen und katholischen Ansiedler. Die wirthschaftlichen Ergebnisse der Ansiedelungsgüter sind ganz ute; die Güter verzinsen sich um 29 0½ mehr als die Berliner Rieselgüter.
Abg. Neukirch (dfr) führt aus, daß die Einrichtung der Ansiedelungscommission nicht nur der Gleichberechtigung der Staats—⸗ bürger widerspreche, sondern auch wirthschaftlich nicht richtig sei. Er beruft sich auf die Schrift von Professor Sering, die vom Verein für Socialpolitik veröffentlicht ist. Derselbe verlangt eine vollständige Umgestaltung der Ansiedelungscommission und namentlich die Be— seitigung der Vorschrift, daß nur deutsche Ansiedler angesetzt werden sollen. Redner bestreitet dem Gesetz jeden politischen Erfolg; es habe nur Haß und Feindschaft geschürt. Der Fürst Bismarck, der Urheber des Gesetzes, ist ja nicht mehr im Amt; wir haben einen anderen Reichskanzler. Schon deshalb müßte die Regierung darnach trachten, das unselige Gesetz aus der Welt zu schaffen.
Abg. Knebel (nl. lehnt es ab, auf die Verfassungsmäßigkeit einzugehen. Sie sei festgestellt durch die maßgebenden Factoren der Gesetzgebung. Das Gesetz sei 1886 wesentlich aus politijchen Gründen angenommen, aber seine wirthschaftliche Bedeutung stehe hinter seiner politischen nicht zurück. Die Herren aus der Provinz Posen sollten sich über die Maßregel gar nicht beschweren, weil der Staat ihnen durch das Gesetz einen außerordentlichen Vortheil bringt, den sie ohne staatliche Hilfe nicht haben würden. Sie erlangen eine bessere Grundbesitzvertheilung. Wenn das Rentengutsgesetz die Wirkung hat, Ansiedler aus dem Westen nach dem Osten zu ziehen, dann lann man über die Aufhebung des Ansiedelungsgesetzes sprechen. Jetzt ist die Sache durchaus verfrüht. Redner spricht schließlich seine Befriedigung darüber aus, daß die Denkschrift in einigen Punkten ver— bessert und übersichtlicher gemacht worden sei.
Damit schließt die Discussion. Der Etat der Ansiedelungs—⸗ commission wird gegen die Stimmen der Polen, des Centrums und der Freisinnigen angenommen; der Antrag der Polen wird mit derselben Mehrheit abgelehnt. Die Denkschrift der Ansiedelungscommission wird durch Kenntnißnahme für erledigt erklärt.
Damit ist die zweite Lesung des Etats beendigt.
Zu dem Etats- und Er gänzungsgeseetz bemerkt Finanz— Minister Dr. Miquel:
Meine Herren! Es ist allerdings nicht besonders wahrscheinlich, daß wir im nächsten Etatsjahre von der Berechtigung, Schatzan— weisungen auszugeben, in erheblichem Maße Gebrauch machen werden. Das liegt aber nicht allein an der Thatsache, daß in unseren Kassen sich vorläufig die Beträge des Mehraufkommens von der Einkommen— steuer befinden, sondern hat auch einen allgemeinen Grund, der schon in dem letzten Jahre sich geltend gemacht hat. Es liegt mir daran, in dieser Beziehung die finanzielle Lage doch etwas näher zu erläutern.
Meine Herren, als wir zur Verstaatlichung des Eisenbahnwesens übergingen und schließlich einen neuen Betrieb von Eisenbahnen in der Zahl von etwa 25 000 kin übernahmen, da war es ja an sich klar, daß die Bemessung des Betriebsfonds der Generalstaatskasse, wie sie bisher beßand, für eine so kolossale neue Betriebsverwaltung in keiner Weise ausreichte. Trotzdem hat man aber es nicht für nöthig gehalten, der Eisenbahnverwaltung einen besonderen Betriebsfonds zu geben, noch auch den Betriebsfonds der Generalstaatskasse, der be— kanntlich, wenn ich nicht irre, im Jahre 1868 auf 30 300 000 „ nach Einverleibung der neuen Provinzen festgesetzt wurde, zu erhöhen. Ein Bedürfniß dazu trat um deswillen nicht hervor, weil wir seit dieser Zeit jahraus jahrein neue Anleihen gemacht haben, und da nun die Verwendung dieser Anleihen nicht zusammenfällt mit dem Ein— fließen derselben in die Kasse, so blieb immer ein genügender Kassen— bestand vorhanden, um diesen sonst unentbehrlich gewesenen Betriebs— fonds für die Eisenbahnverwaltung, der ja eine hohe Summe beziffern würde, herbeizuschaffen. Infolge dessen hat man nicht nöthig gehabt, in den meisten Jahren von der Ermächtigung, Schatzanweisungen auszugeben, Gebrauch zu machen. Wenn nun es uns gelingt, wohin wenigstens die Finanzverwaltung entschieden streben muß, die jährlich auszu— gebenden Anleihen zu vermindern, so wird schließlich der Moment kommen, wo ein Betriebsfonds herbeigeschafft werden muß, wenn die Staatskasse nicht einen Fehlbetrag das ganze Jahr hindurch, oder wenigstens einen großen Theil des Jahres hindurch haben will, und wenn man nicht genöthigt sein will, fortlaufend Schatzanweisungen herauszugeben. Ein Zustand aber, der dazu führt, daß der ganze Be— trieb des Staats wesentlich auf schwebenden Schulden basirt, wäre im höchsten Grade unerwünscht, und wenn dieser Zeitpunkt gekommen sein sollte, wird man allerdings erwägen müssen, auf eine dauernde, aber extraordinäre Weise diese Mittel für die Erhöhung des Betriebsfonds für die Generalstaatskasse herbeizuschaffen. Gegenwärtig liegt das Bedürfniß nicht vor, weil wir noch eine sehr erhebliche Zahl von Eisenbahncrediten haben, und weil jetzt die Verwaltung das Verfahren beobachtet, die Anleihen nicht stückweise das ganze Jahr hindurch zu machen, sondern auf einen Zeitpunkt zu concentriren und nicht fort— während an der Börse preußische Consols zu verkaufen, was nur den Curs nachtheilig beeinflußt. Unter diesen Umständen wird es nicht nothwendig sein, jetzt schon zu dieser Maßregel überzugehen; es wird aber, wie gesagt, der Zeitpunkt kommen, wo dies unerläßlich sein wird. Bis dahin wird für vorkommende Fälle es sehr erwünscht sein, die Ermächtigung zu haben, zeitweilig Schatzanweisungen aus⸗ zugeben, um die fehlenden Betriebsfonds zu decken. Namentlich kommt dadurch die Finanzverwaltung in die angenehme Lage, viel freier dis— poniren zu können über den Zeitpunkt der Ausgabe einer Anleihe. Das ist ein sehr erheblicher Gesichtspunkt. Man kann die Anleihe auf diejenigen Monate verlegen, wo die ganzen Zeitverhältnisse am günstigsten sind, während man sich in der Zwischenzeit durch die Aus— gabe von Schatzanweisungen helfen kann. Ich möchte nicht rathen, daraus ein dauerndes System zu machen.
Nun ist in der Budgetcommission, wie ich aus dem Protokoll ersehen habe — ich habe leider nicht anwesend sein können — die Frage erwogen, ob es überhaupt nöthig sei, eine Anleihe zu machen zur Deckung des voraussichtlichen Deficits des Jahres 1893/94. Man hat gesagt, es könne der Finanz- Minister ermächtigt werden, zu diesem Behuf den Fonds, den er nach dem Einkommensteuergesetz ansammeln soll, auß dem Mehraufkommen der Einkommensteuer zu verwenden. Das würde aber aus mehreren Gründen nicht gehen; einmal nicht, weil nach aller Wahrscheinlichkeit dieser Fonds dazu kaum ausreichen würde, denn wir haben zwei Jahresdeficite zu decken; sodann aber, weil damit definitiv über den Fonds disponirt sein würde. Ist einmal durch das Gesetz die Verwendung des Fonds
zur Deckung des Deficits bestimmt, dann ist diese Bestimmung eine
definitive, und es würde dem Hause die Möglichkeit anderweitiger Bestimmung über diesen Fonds zur Durchführung der Steuerreform entzogen werden. Wir haben aber eine Ermächtigung, gerade sür die Deckung des Deficits eine Anleihe aufzunehmen, nöthig; denn wir müssen bei der Verausgabung von Anleihen diejenigen Gesetze an⸗ ziehen, auf Grund deren die Anleihe erhoben wird, und den Zweck nach Maßgabe dieser Gesetze ausdrücklich bezeichnen, da die Staats—⸗ schuldenverwaltung unsere Obligationen auf Grund der Zeich⸗ nungen nur ausfertigt unter Bezugnahme auf den Zweck der
betreffenden Gesetze und unter Namhaftmachung derselben; unsere / Consols werden nicht ausgegeben ohne nähere Bezeichnung als einfache preußische Staatsschuldantheile, sondern sie werden ausgegeben als Antheile an auf Grund bestimmter gesetzlicher Ermächtigung zu machenden einzelnen Anleihen. Wir würden also das Defieit in der Rechnung mit weiterschleppen müssen, wenn wir nicht eine gesetzliche Ermächtigung hätten, eine Anleihe gerade zur Deckung des betreffenden Deficits und zur Ergänzung des Staatshaushalts auszugeben. Daraus erklärt sich also, daß wir dieser Idee, die in der Budgeteommission aufgetaucht ist, die aber allerdings von derselben nicht weiter verfolgt ist, nicht haben beitreten können, sondern das Haus bitten müssen, das Gesetz so, wie es vorliegt, zu acceptiren.
Das Etatsgesetz und das Ergänzungsgesetz, werden vor⸗ behaltlich der Feststellung der Zahlen genehmigt.
In erster und zweiter Berathung wird darauf der Gesetz⸗ entwurf, betreffend die Aufhebung des § 124 Absatz? der Medizinal⸗-Ordnung für die freie Stadt Frank— furt und deren Gebiet vom 29. Juli 1841 genehmigt, und der Bericht über die Verwendung des Erlöses für verkaufte Berliner Stadtbahnparzellen durch Kenntnißnahme für erledigt erklärt.
Bei der Denkschrift, betreffend die in der Zeit vom 1. April 1891 bis 31. März 1892 erfolgte Bauausführung bei denjenigen Wasserstraßen, über deren Regelung dem Landtag besondere Vorlagen gemacht worden sind, beantragt
Abg. Schöller (freicons.), in der nächsten Denkschrift eine Zu— sammenstellung zu machen über die Aufwendungen, welche seit 1879 für die bezeichneten Zwecke für die einzelnen Stromgebiete gemacht worden sind und noch gemacht werden sollen.
Abg, von Eynern (nl): Den ersten Wunsch kann die Regie⸗— rung wohl erfüllen; der letztere Wunsch würde bedeuten, daß ein
Gesammtplan über die Regulirung der Ströme für ganz Preußen aufgestellt werden solle.
Abg. Schöller (freicons.): Ich habe nur gemeint, welche Auf—⸗ wendungen auf Grund bereits bewilligter Gelder noch zu machen sind.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Meine Herren! Ich glaube, es wird nicht zu schwierig sein, nach— dem der Herr Antragsteller in dem eben gehörten Sinne seinen An— trag eingeschränkt oder näher erläutert hat, seinem Wunsch nachzu— kommen, wenn das Haus sich demselben anschließt. Ich kann selbst nicht verhehlen, daß namentlich, wenn wir in einer planmäßigen und systematischeren Weise die Regelung des Gebührenwesens für die Benutzung der Wasserstraßen einrichten wollten — (große Heiterkeit. Sehr richtig! rechts) — ja, meine Herren, ich habe mich darüber schon oft ausgesprochen. Nach meiner Meinung könnten wir die großen Ausgaben, welche uns auf dem Gebiete der Wasserstraßen noch bevorstehen, ohne die Erhebung entsprechender Ge⸗ bühren nicht durchführen. (Sehr richtig Ich kann mich auch dabei auf diejenigen Männer berufen, die vorzugsweise sich für diese Frage interessiren, beispielsweise den Deutschen Schiffahrtsverein oder Kanal— verein, der auch seinerseits betont hat, daß das eine Nothwendigkeit wäre, nicht bloß finanziell, sondern daß auch eine Gerechtigkeit es erfordert, — wenn wir für die Benutzung der Eisenbahnen Gebühren erheben, kann und muß man auch für die kostspielige Regulirung der Wasserstraßen sangemessene Gebühren erheben. Das Haus wird durch eine klare Aufstellung der Kosten, die für diese Zwecke auf die einzelnen Wasserstraßen verwandt worden sind, eher in die Lage kommen, sich ein richtiges Bild von der Angemessenheit der zu er— hebenden Gebühren zu machen, und das kann der Staatsregierung nur angenehm sein.
Was die Frage der Aufsichtsführung über die Warthe betrifft, so bin ich nicht in der Lage, mich darüber zu äußern, weil sie das Ressort des Finanz⸗Ministeriums nicht unmittelbar berührt. Es wird wohl dem Hause bekannt sein, daß eingehende Erwägungen statt— finden nach dem Grundsatz, daß das Wasser eine Einheit ist, ob es Hochfluthen verursacht, ob es befruchtend wirkt, ob es Schiffe trägt, auch eine einheitliche Organisation zu schaffen, wenigstens in der Pro— vinzialinstanz. Diese Erwägungen sind noch nicht zum Abschlusse ge— kommen, und es wird daher vielleicht gerathen sein, bis wir das Er— gebniß dieser Berathungen haben, auch diese specielle Frage unentschieden zu lassen.
Abg. Dr. Meyer (dfr.) glaubt, daß man nach den Ausführun— gen des Finanz Ministers den Antrag Schöller nicht ohne weiteres annehmen könne; er beantragt, den Antrag und den Bericht über die Bauausführung an die Commission zurückzuverweisen.
Abg. von Eynern (nl,) schließt sich diesem Vorschlage an.
Abg. Francke (n.): Der Bericht ist in allen seinen Theilen erledigt; der Antrag Schöller verlangt nur eine calculatorische Zu— sammenstellung für die nächste Denkschrift. Welche Folgen spaͤter daraus gezogen werden, kann doch die Budgeteommission jetzt gar nicht übersehen. Deshalb hat die Verweisung des Antrages an die Commission keinen Zweck.
Finanz⸗-Minister Dr. Miquel:
Meine Herren! Ich habe nichts weiter gesagt, als daß die calcu— latorische Arbeit, wie die Herren sagen, von Interessen sein können, bei der Erwägung, welche angemessenen Gebühren man zu erheben hat; und insofern habe ich mich dem Antrag sympathisch gegenüber verhalten, weil ich meine, daß es für das Haus immer werthvoll ist, zahlenmäßiges Material zu bekommen. Herr Francke hat vollständig recht, wenn er sagt: Welche Schluß— folgerungen das Haus demnächst aus diesen Zahlen ziehen will, kann jetzt nicht entschieden werden; das steht dem Hause im nächsten Jahre vollständig frei. Wenn ich bei dieser Gelegenheit, durch die Unter brechung veranlaßt, meine Ueberzeugung dahin ausgesprochen habe, daß wir die Regulirung unserer Wasserstraßen ohne Erhebung von Ge— bühren in Preußen nicht durchführen können, so ist das nichts Neues. Das habe ich schon zu verschiedenen Zeiten und mehrfach hier genau in derselben Weise ausgesprochen.
Abg. Dr. Sattler (ul.) fragt, wann die einheitliche Regelung der Wasserbehörden erfolgen werde.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Ich bin nicht im stande, genau den Zeitpunkt des Abschlusses dieser im vollen Gange befindlichen Berathungen anzugeben. Aber wenn ich die Frage, wie sie gestellt ist, wörtlich beantworten soll: ob das Haus die Hoffnung haben kann, daß diese Verhandlungen bald zum Abschluß kommen, so möchte ich diese Frage bejahen. (Große Heiterkeit.) ;
Abg. Meyer zieht seinen Antrag zurück; der Antrag Schöller wird angenommen und der Bericht durch Kenntniß⸗ nahme für erledigt erklärt.
Schluß 4M Uhr.
M 58.
3weite Beilage zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗AUnzeiger.
Berlin, Mittwoch, den 8. März
1893.
Deutsches Reich. 1
c
der in den deutschen Münzstätten bis Ende Februar 1893 vorgenommenen Ausprägungen von Reichsmünzen.
. — . . 3. 6 2 69 1) Im Monat Februar Gol—d münzen 1893 sind geprägt
worden in:
Doppel⸗ Halbe Kronen
ll⸗ ll
Kronen kronen
16 Il.
Hiervon auf Privat⸗ rechnung
Silber m üßn en
Zwanzig⸗
Fünfzig⸗ Zwanzig pfennigstücke
pfennigstücke 6. 48
Fünf⸗ Zwei⸗ Ein⸗ markstücke markstücke markstücke l. s Il
Nickelmünzen Kupfer münzen
Zwanzig⸗ Zehn⸗ Fünf⸗ Zwei⸗ Ein⸗ pfennigstücke
pfennigstücke pfennigstücke pfennigstücke pfennigstücke . 469 ll. 49 Ib 3 Ill *
Berlin ö 10 044 000 1004400 . — 6 ö 6. Muldner Hütten. = . . w Jö, — *. . Karlsruhe ; . .
Hamburg 4691920
1048400 —
4691 920
97 608 — 67 09480 13 95659 ! ⸗ 20 90320 — . — — — — 19950
19000 30 000 28 000 1109310
Summe 1 14 755 936 Jö] 755
15 740320
0056 860 80 30 149 442 90 14826 993 95
TI ip JV 5d
Tess =
6 213 207 44 5773 378 66
2) Vorher waren geprägt) 2 099 293 520 507 033 930
3) Gesammt⸗Ausprägung 2 114 029 446 6508 G58 335
4) Hiervon sind wieder Eẽingezogen
5) Bleiben
2 5
1276100 1 889 270 10 275 2 112 753 340 506 149 060 27 959 656 2 646 862 050 0
7969 g25 1311901160777 610 905 108 463 556 181 972 560 7969 925 132 641486777 6169605 Gs JG 55s df 577 dss
8785 9918 9 615 13 003 852
I vid Vd d d Vr id J TN dvs ßᷓ
7 I J DV V F F
149230 500 75 3191 26 64
6M 12G os 535 d 55d J? dT 7 JG bös
d . ö d n T R d d T r , s
167 15 474,80 06
) Vergleiche den „Reichs-Anzeiger“ vom 10. Februar 1893 Nr. 36.
Berlin, den 7. März 1893.
Hauptbuchhalterei des Reichs⸗-Schatzamts. Biester.
50 273 926,50 Mu 12 000 484,11 6.
Statistik und Volkswirthschast.
Die Verwaltung der preußischen Sparkassen.
Der „Deutsche Oekonomist“ macht in seiner Nummer 529 vom 4. Februar d. J, auf Grund der jüngst in dem Doppel— heft 1 und II der „Zeitschrift des Königlich preußischen Sta—⸗ listischen Bureaus für 1892“ veröffentlichten Abrechnung der preußischen Sparkassen für das Rechnungs⸗— jahr 1890, die Verwaltung der preußischen Sparkassen zum Gegenstand einer scharfen Kritik, die sich vielfach auch gegen die Aufsichtsbehörde kehrt. Die Voraussetzungen dieser Kritik beruhen indeß zum theil auf Unaufmerksamkeit, zum theil auf willkürlichen Annahmen, die den Thatsachen nicht entsprechen.
Daß diejenigen Sparkassen, welche einen Einlagezins bis
zu 8, 9 und 12 Proc. gewähren, keine öffentlichen, sondern Privat-, insbesondere Fab riksparkassen sind, hätte der „Deutsche Oekonomist“, wenn es noch einer besonderen Aufklärung darüber bedurfte seiner eigenen Quelle, nämlich der „Zeitschrift des Königlich preußischen Statistischen Bureaus“ entnehmen können, ebenso, daß die städtische Sparkasse von Berlin im Jahre 189192 keineswegs ein „eigenes Vermögen“ im Betrage von 1 774 229 „6 verloren, sondern daß nur eine anderweitige Buchung dieser Summe, nämlich beim Reserve— fonds, stattgefunden hat. Das Blatt findet weiter eine Anlegung der Spargelder u 11 Proc. nach der einen, zu 6 Proc. nach der anderen hin verdächtig, während doch der erstere für „tägliches Held“ keineswegs auffällig, der letztere auch für gewisse Anlagen, z. B. in Wechseln in kapitalarmen, entl genen Gebieten leider noch durchaus landesüblich ist.
Vollkommen verfehlt ist die von dem „Deutschen Oeko— nomist“ bewirkte Gegenüberstellung der Activa und Passiva der Sparkassen, wobei eine „Unterbilan“ von über 60 Millionen Mark herausgerechnet und ohne Beweisversuch auf „nothleidenden Immobilienbesitz“ zurückgeführt wird. Der „Deutsche Oekonomist“ stellt nämlich die ganzen Zinsüberschüsse mit 30,52 Millionen Mark in die Passiva ein, während diese Summe thatsächlich zunächst zur Deckung der Verwaltungskosten (mit 6,3 Millionen) bestimmt ist, der Rest dagegen dem Reservefonds zufließt und diesem regel— mäßig am Jahresschlusse zugeschrieben wird; der Reservefonds, wie er im Jahresschlusse zu Buche stand, bildet aber seinerseits in der Rechnung des „Deutschen Ockonomisten“ schon einen Passivposten.
Ebenso unrichtig ist die Einstellung des ganzen „eigenen Vermögens“ der Sparkassen mit 4,8.7 Millionen Mark in die Passiva; denn zum theil bilden die hierunter begriffenen Summen, wie Garantiescheine bei Privatsparkassen, überhaupt kein Passinum, zum theil — wie bei den der Sparkasse über— wiesenen Gebäuden fehlt in der Nachweisung das ent⸗ sprechende Activum, wie dieselbe überhaupt in ihrer gegen— wärtigen Fassung keineswegs zur Darstellung einer kauf männischen Bilanz bestimmt 'ist.
Wenn endlich der „Deutsche Oekonomist“ es bemängelt, daß die Sparkassen in erheblichem Umfange nicht eigentliche Spargelder, sondern Kapitalien der vermögenden Klassen ver— we lten, so ist diese Thatsache richtig; aber die Sparkassen be⸗ 1
9
51
1
1 ürfen oft größerer Einlageposten, um aus deren Zinsüber⸗ schüssen die Mehrkosten der Verwaltung kleiner und kleinster Einlagen decken zu können. Sicherlich sind, wie alle mensch⸗ lichen Einrichtungen, so auch die Sparkassen von Mängeln nicht frei; aher letztere sind nicht von so grober Art, wie der „Deutsche Oekonomist“ es annimmt.
Generalversammlung des Centralvorstandes deutscher Arbeiter⸗Colonien.
Im weiteren Verlauf der gestrigen Sitzung, über deren Beginn wir bereits berichtet haben, berichtete Pastor Dr. von Bodel⸗ schwingh-⸗Bielefeld über die Frage: „Ist eine Aenderung des Titels des Correspondenzblatts „Die Arbeiter⸗Golonier nothwendig?“ Der Redner führte aus, daß der Titel den veränderten Verhältnissen nicht mehr entspreche, da der Schwerpunkt nicht in der Arheiter— Colonie, sondern in der Wanderverpflegung liege. Es gebe in Deutsch⸗ land 25 Arbeiter⸗Colonien mit insgesammt etwa 5060 Betten, da— gegen 409 Herbergen zur Heimath mit insgesammt 14000 Betten, die Verpflegungsstationen haben insgesammt 10 000 Betten. Es sei aber auch erforderlich, daß der deutsche Herbergsverband, der das Correspondenzblatt mit benutze, auch das Deficit, das sich jahrlich auf etwa 509 e belaufe, mittragen helfe. Es gelangte schließlich ein Antrag des Grafen von Zieten⸗Schwerin zur Annahme, wonach der Vorsitzende beauftragt wird, mit dem deutschen Herbergsverband über die Weiterführung des Correspondenzblatts in Verbindung zu treten.
Den folgenden Gegenstand bildete die Frage: „Ist es wünschens⸗
werth und ausführbar, mit den Arbeiter-Colonien besondere 3wangs⸗ abtheilungen zu verbinden, denen zwecklos Wandernde auch zwangs— weise zugeführt werden könnten, oder sollen hierfür ganz besondere An— stalten ins Leben gerufen werden?“ Pastor Dr. von Bodel⸗ schwingh: Er müsse diese Frage ganz entschieden verneinen. Einmal sei es ein arger Irrthum, wenn man behaupte, daß viele Wanderer keine Arbeit suchen. Er könne aus Erfahrung mittheilen, daß die große Mehrheit der Wanderer sogar mit Thränen Arbeit suchen, aber leider nicht immer erhalten. Selbst zur Erntezeit sei es den Wanderern nicht immer möglich, Arbeit zu finden. Wenn man den Colonien zwangsweise die Wanderer zuführen wollte, dann würde man die Grundlage der Colonien, die auf freier christlicher Liebesthätigkeit begründet seien, untergraben. Auch schon aus finanziellen Gründen sei eine zwangsweise Zuführung der Wandernden nicht ausführbar, da die Colonien die freiwillig kommenden nicht sämmtlich aufnehmen können. Nothwendig sei es, für die Winterszeit Nothherbergen zu schaffen. Oftmals tragen die Vor— stände der Arbeiter⸗CGolonien an dem zwecklosen Wandern insofern die Schuld, als sie die Leute weiter wandern lassen, obwohl sie sehen, daß die Wanderer augenblicklich keine Arbeit bekommen können. Der Reichstag bezw. die Negierung, könnte nichts Besseres thun, als wenn sie eine Million für die Ansiedelungscommission für arbeitslose Wanderer hergeben würde. QOber⸗Regierungs⸗Rath von Massow-Lüneburg: Er sei allerdings der Meinung, daß nicht jeder, der im Winter keine Arbeit habe, an dieser seiner Arbeitslosigkeit unschuldig sei. Allein trotzdem sei er gegen die zwangsweise Zuführung der Colonisten. In erster Linie müsse dafür gesorgt werden, daß kein Wanderer ohne Grund abgewiesen werden müsse. Es sei sehr bedauerlich, daß noch viele Wanderer wegen Mangels an Platz in den Colonien keine Aufnahme finden können. Es sei das ein sehr trauriger Zustand, dem in allererster Reihe abgeholfen werden müsse. Pastor Dr. von Bodelschwingh ersuchte im weiteren, Heimaths-Golonien, in denen die Wanderer eine dauernde Stätte finden können, zu gründen. Der Redner bean⸗ tragte: „) Erweiterung der Colonien durch Nothherbergen zur Winterszeit; 2) Anlage von Krüppelstationen, welche Unterstützungen von Provinzen, Kreisen und Landarmen-Verbhänden erhalten; 3) eine größere Anzahl Verpflegungsstationen für längere Beschäftigung Arbeitsloser einzurichten; 4) die Neichsregierung und den Reichstag um Bewilligung von Summen zur Ansiedelung von Arbeitslosen auf den z00 Quadratmeilen Oedland in Preußen zu ersuchen.“
Nach langer Debatte wurde nur der Antrag sub 3 von Bodel schwingh angenommen, und im weiteren beschlossen: „I) Zwangsweise Zuführung von Wanderern in die Colonien ist in jeder Form abzu weisen, 2) eine Besserung der Verhältnisse ist nur durch Erweiterung des Werks der Heimaäths⸗Golonien und durch den Anschluß der Ver— pflegungsstationen an die Organisation des zu begründenden centrali⸗ sirten Arbeitsnachweises zu erwarten.“
Eine sehr lange Debatte veranlaßte die Frage: ob die Golonisten versicherungspflichtig seien. Die Ansichten darüber gingen derartig auseinander, daß auf Vorschlag des Vor⸗ sitzenden beschlossen wurde: die Entscheidung über diese Frage bis zur nächstjährigen Generalversammlung zu vertagen. .
Einen weiteren Gegenstand bildete der Arbeit snachweis für die entlassenen Colonisten. Der Redner empfahl, außer der Ver⸗ mittelung von Arbeitsgelegenheit, die Anstellung persönlicher Pfleger für die Colonisten. Zur Ermittelung von Pflegern sei an die Kirche und an die Vereinsthätigkeit beider Confessionen aufs dringendste zu appelliren. Sache jeder Arbeiter⸗-Colonie sei es, in der ihrem Bezirk entsprechenden Weise die Thätigkeit der Pfleger zu organisiren und bei Berufsreisen der Colonialleiter auf die statistische Festftellung der Er— gebnisse Bedacht zu nehmen. Als Hilfestationen für den Arbeitsnachweis in den Colonien seien die auf gemeinnütziger Grundlage beruhenden Arbeitsnachweise⸗Bureaus, die mit localem Arbeitsnachweis ausge— statteten Wander-Arbeitsstätten und Herbergen auch in der Art heran— zuziehen, daß ihnen Colonisten mit ihren Sparfonds behufs Unter⸗ bringung in eine Arbeitsstelle zur Verpflegung überwiesen werden können. Nach kurzer Debatte gelangte eine vom Referenten bean⸗ tragte, seinen Ausführungen entsprechende Resolution zur Annahme.
Nachdem hierauf noch einige geschäftliche Angelegenheiten erledigt
worden waren, wurde die Generalversammlung geschlossen.
Versammlung des Gesammtverbandes deutscher Verpflegungsstationen.
In einem Fractionszimmer des Herrenhauses fand heute die Ver— sammlung des Gesammtvperbandes deutscher Veipflegungsstationen statt. Der ständige Vorsitzende des Gesammtverbandes, Minister⸗Präsident und Minister des Innern Graf zu Eulenburg eröffnete die Versamm⸗— lung mit einer kurzen, Ansprache, in der er hervorhob, daß unter den gegenwärtigen Zeitverhältnissen die Erhaltung der Verpflegungsstationen immer schwieriger werde. Die traurigen Zeitverhältnisse erheischten indeß die Erhaltung der Stationen, es sei daher erforderlich, mit allen Kräften für die Erhaltung und Vermehrung der Verpflegungsstationen zu wirken. Er gebe sich der Hoffnung hin, daß die heutige Ver⸗ sammlung zur Förderung des schönen Werkes beitragen werde. — Der zweite Vorsitzende Ober⸗Regierungs⸗Rath von Massow Güneburg) theilte alsdann mit, daß folgende deutsche Central-Regierungen ihre Vertreter zu der Versammlung entsandt haben: Großherzogthum Baden den Geheimen Ober-Regierungs⸗Rath Engelhorn, Braun schweig den Regierungs⸗Rath Radken, Mecklenburg⸗Strelitz den Landgerichts⸗-Director, Kammerherrn v. d. Decken, Weimar den
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Geheimen Regierungs-Rath Stier, Sondershausen den Regierungs— Rath Bauer und Württemberg den Ober⸗-Regierungs⸗Rath Nestle. Aus den preußischen Provinzen sind zu der Versammlung ent⸗ sendet: Landesrath Clausener (Düsseldorf, Graf Zieten⸗Schwerin (Wustrau bei Neu⸗Ruppin) für Pommern, Regierungs⸗Rath von Meusel (Potsdam). Der Ober⸗Präsident Dr. von Achen— bach hat angezeigt, daß er am Erscheinen verhindertsei. Als Gäste sind u. a. anwesend der Reichstags⸗-Präsident, Landes⸗Director von Levetzow. Abg. Landrath Freiherr von Manteuffel (Krossen), Regierungs-Rath g. D. von Wätjen (Düsseldorf), Landrath von Bodenhausen (Sachsen). Als Delegirte sind u. A. anwesend: Ober⸗ Bürgermeister Weber (Konstanz), Landrath von Tzschoppe (Olden⸗ stadt, Hannover), Provinzial-Director Geheimer Regierungs-Rath von Marquardt (Hessen⸗Nassau), Superintendent Müller (Wollershausen, Herzogthum Gotha), Regierungs-Präsident von Diest (Merseburg), Landes⸗Aeltester von Itzenplitz (Breslau), Pastor D. von Bodelschwingh (Bielefeld), Regierungs⸗Math Bredow (Arnsberg). Im Auftrage des Central⸗Ausschusses für innere Mission sind Pastor Oldenberg und Pastor Fritzsch (Berlin) erschienen.
Den ersten Gegenstand der Tagesordnung bildeten die Berichte der Delegirten über die verschiedenen Verpflegungsstationen. Aus diesen Berichten geht hervor, daß die Zahl der Wanderer, die die Verpflegungsstationen in Anspruch nehmen, immer größer werden, sodaß die Kosten ganz unendlich anwachsen. Dem Verband gehören z. 3. an vier badische Kreise, die Stationen in Braunschweig, Lippe— Schaumburg, die im Großherzogthum Hessen, in Weimar, Sachsen⸗ Altenburg, Reuß⸗Gera, Sachsen⸗Coburg⸗Gotha, Lippe Detmold und Anhalt, sowie die Stationen in Brandenburg, Niedersachsen, Han⸗ nober, Hessen⸗Nassau, Sachsen, Schlesien und Westfalen. In der Bildung von neuen Verbänden sind keine Fortschritte gemacht, doch erwartet man für die nächste Zeit noch den Anschluß der Stationen im Königreich Sachsen und in Mecklenburg-Strelitz. In Branden⸗ burg ist die Zahl der Stationsgäste von 365 000 in 1891 auf 475 000 in 1892 gestiegen, die Kosten stiegen von 95 000 „S in 1889/90 auf 133 000 Mä in 1890/91 und 228 000 M! in 1891/92 und werden im laufenden Wanderjahre 300 000 M erreichen. In einzelnen Gegenden des Vaterlandes hat sich das Netz der Stationen ge⸗ lockert, der Bestand anderer Stationen ist stark gefährdet, und mehrfach machte sich der Wunsch nach gesetzlicher Regelung der Angelegenheit geltend, da man zur Ueberzeugung gekommen ist, daß sich in manchen Gegenden die freiwillige Thätigkeit nicht ausreichend erweist. Im allgemeinen waren die Erfahrungen aus allen Theilen des Reichs gleich ernst und waren überall die Ansprüche gestiegen. Nach einer Pause trat die Versammlung in die Frage der gesetzlichen
Regelung des Station swesens ein.
Zum Waarenverkehr.
In Stettin sind nach den von dem dortigen Hauptsteueramt J. angestellten Ermittelungen im Jahre 1892 zur See eingegangen Waaren ven insgesammt 1 355 937st gegen 14068 813 t im Vorjahre. Dagegen sind ausgegangen zur See 562988 t gegen 567 607 t im Vorjahre. Einfuhr und Ausfuhr haben sich also verringert. Die Einfuhr von Weizen ging von 41 746 auf 12889 t, die von Roggen von S8 805 auf 21 118t, die von Hafer von 25 766 auf 2087 t zurück, die von Mais und Dari nahm von 8989 auf 52 507 t zu. Eine Zunahme der Einfuhr ist ferner hervorzuheben bei Roheisen (von 94 856 auf 104 843 t), Eisenerzen (von 87 854 auf 108 395 t). Bau⸗ und Nutz holz (von 10167 auf 29 406 t), Häringen (von 75 947 auf 88 517 t), Mehl (von 5718 auf 14 598 t), Petroleum (von 47 784 auf 99410 t). Die Ausfuhr hat sich vermehrt bei Cement, Weizen, Roggen, B holz, Petroleum, Bier, die Ausfuhr hat sich vermindert insbeson bei Zucker und Spiritus.
or .
Zur Arbeiterbewegung.
Aus dem Saarrevier wird der „Köln. Itg.“ geschrieben, daß die Gährung, die sich schon vor dem Ausbruch des Januar⸗Ausstandes im Schoße des Rechtsschutzvereins gezeigt, sich in den letzten Wochen bedeutend vertieft habe. Von allen Seiten, heißt es in der Zuschrift, kommen Aus trittserklärungen der einfachen Mitglieder wie der Vertrauens⸗ männer und damit ein bedeutender Ausfall in den Einnahmen, während gegenwärtig an die Kasse des Vereins größere An⸗ sprüche gestellt werden. Neuerdings sind N Bergleute in Merschweiler ausgetreten. In Bildstock gehen täglich viele Abmeldungen ein. Dazu kommt die Unfähigkeit des gegenwärtigen engern Vorstandes. Es macht sich eine starke Bewegung geltend Warken aus dem Vorstande zu entfernen. Die auf nächsten Sonntag anberaumte Hauptversammlung der Vertrauensmänner wird darüber entscheiden. Von verschiedenen Seiten wird die Wahl von For-Eppelborn befürwortet, der unter den Führern des Vereins sich im allgemeinen als einer der gemäßigtern erwiesen hat. ⸗
In Leipzig verhandelte am letzten Sonntag eine ven etwa 40 Personen besuchte Versammlung der Brauergehilfen über Lohnstreitigkeiten, die zwischen den Arbeitgebern und den Gehilfen ein getreten waren. Der Fachverein der Gehilfen hatte, wie wir einem Bericht der Lpz. Itg.“ entnehmen, an Stelle des bisherigen monatlich gezahlten Lohnes von 80 — 100 M einen Wochenlohn von wenigstens 5