werden in unerhörter Weise als Socialdemokraten geveinigt und beschimpft. Von dem Rechte der Beschwerde machen die Gequälten leinen Gebrauch, weil sie sicher sind, dann auf Festung zu kommen. Auch die Offiziere betreiben sportmäßig die Schuhriegelung der Leute, indem sie sich regelmäßig Ausdrücke leisten, wie: Sie soclaldemokra⸗ tischer Kerl! oder: Da marschiren die Kerle wieder, als wenn sie eine socialdemokratische Bande wären! Sie treiben damit die Leute zur Verzweiflung. Ich koffe, daß die Verwaltung sich diese Dinge näher ansehen wird, Offiziere und Unteroffiziere machen sich dadurch bei den Mannschaften aufs Aeußerste verhaßt. Vom Militarismus bekommen die Leute dadurch eine ganz andere Vorstellung, als man sie ihnen beibringen möchte.
Königlich preußischer KriegsMinister von Kaltenborn— Stachau:
Dem Herrn Vorredner, dessen Vortrag mir leidenschaftlicher als bestimmt erschien, kann ich nur antworten: In der Frage ist nur dann etwas zu machen, wenn bestimmte Persönlichkeiten bezeichnet werden, die sich dieser vorschriftswidrigen Behandlung ihrer Untergebenen schuldig gemacht haben. Ist der Herr Vorredner dazu erbötig, dann in ich gern bereit, die bezüglichen Nachforschungen anstellen zu lassen.
Abg. Freiherr v. Friesen (deons.): Die Armee hat die Aufgabe, das Vaterland zu vertheidigen, und die Armeeverwaltung hat die Aufgabe, diesem Zweck zur vollsten Durchführung zu verhelfen und jedes störende Element fern zu halten. Schreibt eine Partei auf ihre Fahne den Zukunftsstaat und den Umsturz des Bestehenden, so hat die Armee— verwaltung die Pflicht, solche Elemente erst recht von der Armee fern zu halten.
Abg. Ahlwardt (b. k. F.): Ich kann mich der Ueberzeugung nicht verschließen, daß die Armeeverwaltung betreffs der socialdemo⸗ kratischen Arbeiter schwere Fehler begeht. Die Socialdemokraten sind in ihren Hauptprineipien in schwere Irrthümer verfallen und ich werde mich bemühen, diesen Irrthümern nach Kräften entgegenzuarbeiten; aber es sollte innerhalb des Deutschen Reichs unmöglich sein, jemanden wegen sciner Zugehörigkeit zu irgend einer Partei brotlos zu machen oder ihn zu berfolgen. Der Kriegs-Minister will nach Kräften dazu beitragen, daß socialdemokratische Arbeiter in den Staatswerkflätten nicht beschäftigt werden; aber er hat nicht proclamirt, daß socialdemokratische Arbeiter nicht auch die Pflichten der übrigen Staatsbürger zu erfüllen hätten. Wie will, man denn seststellen, wer Socialdemokrat ist? Mit solchem Spioniersystem erzieht man nur Heuchler. Durch politische Verfolgung hat man
zuerst die katholische Partei, dann die Soeialdemokraten groß ge— macht; ich wünschte sie auch für uns, damit wir recht bald groß wurden. Wegen meiner Broschüre , Judenflinten? hat der Reichskanzler hier den Auedruck Verleumder gebraucht. (Präsident von Levetzow: Das steht nicht in Verbindung mit dem Militär-Etat.) Ich werde jetzt ven Beweis versuchen, daß meine Vorwürfe zutreffen und daß die Armeeverwaltung nicht mit der nöthigen Vorsicht verfahren ist. Vor Jahresfrist wurde mir die Thatsache bekannt, daß in einer hiesigen Fabrik Gewehre angefertigt würden, so schlecht und so ohne jede Controle, daß für den Fall eines Krieges die größte Gefahr ent stehe. Ueber hundert Arbeiter waren bereit, diese Dinge zu beeiden, In dem Prozeß haben die Vernommenen sie auch beeidet. Es ist sestgestellt, daß die Gewehre gemacht wurden in dieser Fabrik. als die Staatswerkstätten nicht voll beschäftigt waren, daß diese Fabrik höhere Preise erhalten hat, daß zahlreiche Fehler bei der Herstellung gemacht worden waren. Es sind 69 060 Läufe von einer Firma in Solingen geliefert worden, welche die italienische Regierung bereits als unbrauchbar zurückgewiesen hatte. Ferner ist that— sächlich nachgewiesen, daß die Läufe gedrückt worden sind, daß sie ge⸗ schmirgelt worden sind; daß dies geschehen ist mit Wissen des Directors Kühne und unter seinem wohlwollenden Schutz. Mancherlei andere Dinge sind noch außerdem vorgekommen, die die Brauchbarkeit der Läufe beeinträchtigen. Nach dem Prozeß ist noch Schlimmeres
festgestellt worden, fo z. B. daß die beiden Fabrikanten mit Besitzern eines englischen Etablissements gesprochen hatten über Lieferungen, über welche Unterhaltung Graf Hohenthal dem Kriegs-Ministerium Mit— theilung gemacht hat, ohne daß die Sache weitere Folgen gehabt hätte. Sicherlich ist sie nicht bis an die Allerhöchste Stelle weiter gegeben. Ich habe nunmehr vierzig eidesstattliche Aussagen von Arbeitern Und Meistern der Fabrik, daß das Metall, welches die Engländer lieferten, und aus welchem die Schlösser und Schloßtheile gemacht worden sind, sehr schlecht gewesen und doch verwendet worden ist. Die Controle hat also sehr viel zu wünschen übrig gelassen; die Ver⸗ waltung kann den ihr hieraus erwachsenden Vorwurf, nicht zurück— weisen. An eine Verleumdung habe ich gar nicht gedacht; hiergegen muß ich mich verwahren. Auf die haarsträubenden Einzelheiten meines Prozesses will ich mich nicht einlassen, dazu wird sich später vielleicht Gelegenheit finden, wenn es nothwendig ist.
Abg. Grillenberger (Soe.): Der Abg. Roesicke hat sich einseitig auf den Standpunkt des Unternehmers gestellt; für uns Socialdemokraten kommt hier aber das fundamentalste Recht des Staate bürgers, das Versammlungerecht, in Frage, und der Schaden des (inzelnen Gastwirths kann nicht entfernt demjenigen gleich kommen, den eine ganze Partei durch die Saalabtreibereien und durch die Un— möglichkeit sich zu versammeln, erleidet. Kein Gesetz im Deutschen Reich gestattet den Militärbehörden die Willkür, welche sie in dieser Beziehung ausüben. Der Kriegs⸗-Minister meint, in den Versamm— lungen könnten die jungen Leute nichts Nützliches lernen. Es ist doch zweifelhaft, ob Gemeine, wie sie Abg. Ulrich vorhin hier vor— führte, in unseren Versammlungen überhaupt vorkommen; aber die Rekruten kommen ja gar nicht in diese Versammlungen, sie dürfen sie ja gar nicht besuchen. Selbst bei Tage kommen ja die Soldaten kaum in diese Locale, sie bleiben da meistens in ihren Kan⸗ inen. Aber den Soldaten werden sogar die einfachsten Bierkneipen verboten, so in Nürnberg unter dem Ausnahmegesetz nicht weniger als 147 Locale. Wenn die Soldaten ausgingen, mußten sie immer diese Leporello-Listen mit sich führen, um nicht irre zu gehen. Heute ist diese Liste auf 23 Locale beschränkt; man hat eingesehen, daß damit nichts zu erreichen ist. Andererseits werden in Nürnberg Locale von der Militärbehörde schon boykottirt, wenn sie auch nur zu Vergnügungen eines socialdemokratischen Wahlvereins zur Verfügung gestellt waren. Wer die Geld und Blutsteuer in ganz gleichem Maße zu tragen hat wie jeder Andere, muß auch durchaus ebenso behandelt werden wie jeder andere Staate bürger. Wenn der Reichsarmee alle diese störenden Elemente ferngehalten würden, dann würde sie schon heute auf die Hälfte herabsinken. Der Kriegs⸗-Moinister stellt sich den Socialdemo— fraten gegenüber genau auf den. Standpunkt des Abg. Freiherrn von Stumm: auf den einer Umgehung des Gesetzes. Damit erziehen Sie in der That nur Heuchler, wie der Abg. Ahlwardt ganz richtig gesagt hat. Die Arbeiter sind zu zwei Dritteln in den Militär— werkstätten Socialdemokraten. Wenn die Arbeiter so vom Broterwerb autgeschlossen werden sollen, müssen sie sich auf irgend eine andere Weise ernähren; der Arbeiter soll seine Familie ernähren, soll Steuern zahlen. Man soll dech die Arbeiter versöhnen. Geschieht das dadurch, daß man ihnen das Versammlungsrecht nimmt, daß man sie schimpf⸗— lich auf dem Gxereierplatz behandelt, daß man sie brotlos macht? Die so behandelten Soldaten werden sich schließlich fragen, ob sie im Falle eines Krieges überhaupt zu marschiren verpflichtet sind.
Abg. Vollrath (dfr.: In Breslau sind die Civilmusiker durch die Concurrenz der Militärmusiker gänzlich heruntergekommen. Die Milltärkapellen unterbieten sie in jedem Falle, und alle Anstrengungen, Wandel zu schaffen, sind vergeblich geblieben. Der Kriegs. Minister hat in einem Bescheide die Berechtigung dieser Beschwerde in Ab— rede gestellt; es sind aber lediglich die Militärmusiker, nicht die Civilmusiker vernommen worden. Namentlich verlangen letztere, daß die Militärkapellen nicht ständig als Theaterkapellen benutzt werden. Den berechtigten Anforderungen der Civilmusiker muß Rechnung ge— tragen werden; die Verwaltung darf nicht unthätig zusehen, wie ein ganzer Stand durch den Militarismus ruinirt wird.
Abg. Ulrich (Soc.): Wenn ich der Ueberzeugung sein könnte, daß den Soldaten, die die gerügte Behandlung erfahren haben, nichts
vassirte, würde ich bereit sein, die Namen zu nennen; ich hoffe aber, daß der Kriegs⸗Minister wenigstens in Darmstadt recherchiren lassen wird, wie die Partie steht. .
Damit schließt die Discussion. Das Gehalt des Kriegs⸗ Ministers wird bewilligt, ebenso die Kapitel „Militärkassen⸗ wesen“, „Militär⸗Intendanturen“, „Militärgeistlichkeit“.
Beim Kapitel Militär⸗Justiz⸗Verwaltung“ fragt
Abg. Dr. von Marquardsen (nl) nach dem Stande der Re⸗ form der Militär⸗Strafprozeßordnung. Im vorigen Jahre seien durch Resolution die verbündeten Regierungen ersucht worden, im Interesse rößerer Sicherstellung einer angemessenen Behandlung der Soldaten ki der Reform der Militärjustiz die Ständigkeit und Selbständig⸗ leit der Gerichte, der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens einzuführen, wie sie sich in Bayern bewährt haben. Es sei nur erklärt worden, daß die Sache jetzt bei der preußischen Militär verwaltung schwebe. Der preußische Militär-Strafrozeß vertrage sich in keiner Weise mit den Grundlagen des Prozesses im bürgerlichen Verfahren der ganzen ecivilisirten Welt. Die Mißhandlung von Untergebenen sollte durch unsere Resolution möglichst verhindert werden; aber leider seien seitdem zahlreiche weitere noch erschreckendere Fälle von Miß⸗ handlungen bekannt geworden. In der Discussion über die Militär⸗ vorlage sei in der Oeffentlichkeit einhellig das Verlangen nach einer besseren Militärjustiz erhoben worden. Kein besserer Vorspann könnte der Vorlage geleistet werden als das Zugeständniß dieses Wunsches, für welches in Bayern seit 25 Jahren ein Vorbild vorhanden sei.
Königlich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, General⸗ Lieutenant von Spitz: Es ist der Verwaltung Ernst damit, eine Strafgerichtsordnung fertig zu stellen, welche nach Möglichkeit dem bürgerlichen Rechtsverfahren entspricht. Der Heffnung, daß es gelingen werde, im nächsten Jahre einen Entwurf vorzulegen, geben auch wir Ausdruck. Zu bedenken ist, daß auch die Cipilprozeßordnung sehr lauge in Arbeit gewesen und jetzt wieder in Fluß gekommen ist. Die Schwierigkeiten sind deshalb so groß und die Aufstellung einer militärischen Strafgerichtsordnung deshalb schwieriger, weil der mili— tärische Gehorsam etwas ganz Anderes ist als der bürgerliche Ge— horsam vor den Gesetzen. Auch muß die Rechtspflege im mili⸗ tärischen Leben rascher sein, als im bürgerlichen Leben, namentlich was die zu gewährenden Rechtsmittel betrifft. In einem Nachbarstaat ist man jetzt glücklich beim zehnten Entwurf angekommen; soweit sind wir allerdings noch nicht.
Abg. Kunert (Soc.): Die dilatorische Antwort des Commissars giebt keine Hoffnung, daß die Sache aus dem Stadium der Er— wägungen bereits herausgetreten ist. Ich muß mich völlig dem Wunsche des Abg. Dr. von Marquardsen anschließen. Um aber die Sache in Fluß zu bringen, beantragen wir bis zur Vorlegung eines Entwurfs, die Kosten von 85 600 ½ für das Generalauditoriat zu streichen. Es giebt kein reactionäreres Gebiet, als das der Militär— justizpflege. Schon vor einigen Jahren hat der Abg. Bebel diese Gerichtepflege mit einer geheimen Vehme verglichen. Innerhalb der arbeitenden Volkeklasse steht man ihr mit dem größten Mißtrauen gegenüber, und mit Recht; denn die Strafen werden mit außer— ordentlicher Härte, namentlich gegen gemeine Soldaten, verhängt. Ich kann dafür Beispiele anführen und Namen nennen. Nicht Zeitungsausschnitte, sondern Abschriften kriegsgerichtlicher Acten liegen mir vor. Ein Soldat vom 34. Regiment ist wegen wiederholter Achtungsverletzung zu dreijährigem Gefängniß ver⸗ urtheilt worden. Drei Leute vom 43. Regiment in Königs— berg wurden auf Grund eines von einem Sergeanten belauschten Ge— sprächs, in welchem das Wort „Strike“ vorkam und von „rothen Federn an dem Hut“ die Rede war, verurtheilt, und zwar Einer von ihnen zu 5 Jahren, die beiden Anderen zu 6 Monaten! Wegen Abwehr eines Angriffs wurde ein Soldat vom 21. Regiment zu 5 Jahren Gefängniß verurtheilt, er hatte sich gegen einen Angriff des Unteroffiziers gewehrt. Beim 38. Regiment wurde ein Soldat wegen Ungehorsams oder Gehorsamperweigerung mit Ent— fernung aus dem Heere und 6 Jahren Gefängniß bestraft. Zu der⸗ selben hohen Strafe wurde ein Soldat rerurtheilt, der vorher angeblich wegen Widerstandes gegen seinen vorgesetzten Unteroffizier mit 8 Monaten bestraft worden war. Der Fall lag so, daß der betreffende Mann nach Ueberstehung einer Krankheit von jenem Unteroffizier entgegen dem Verbot des Arztes zu einem schweren Stalldienst commandirt wurde. Der Mann konnte den Dienst nicht leisten, und nun wurde er von einem anderen Manne auf einen Wink des Unteroffiziers bis zur Bewußtlosigkeit geschlagen. Der Geschlagene erholte sich wieder und machte den Versuch, sich ein Messer in die Brust zu stoßen. Nun wurde be⸗ hauptet, er habe den Ünteroffizier damit stoßen wollen. Der Soldat kam wieder ins Lazareth und wurde später einem Unteroffizier unter— stellt, der ihn bis zur Verzweiflung chieanirte. Daß nicht nur die Vorgesetzten gegen den Gemeinen, sondern auch die Gemeinen gegen die Gemeinen sich derartige Drangsalirungen zu Schulden kommen lassen, dafür kann ich verschiedene Beispiele anführen. (Redner wird vom Präsidenten verhindert, diesen Vorsatz auszuführen.) Ich muß mich fügen, da ich doch den Kürzeren ziehen würde. Geradez: barbarisch ist die Behandlung der Strafgefangenen. Es ist vor⸗ gekommen, daß ein Mann bis zu 30 Jahren Gefängniß verurtheilt worden ist. Vergleichen Sie damit, welche Strafen Chargirte zu treffen pflegen. Die gemeinen Soldaten werden so chikanirt, daß sie nicht selten zu Selbstmord schreiten. Dazu führen nicht bloß körperliche, sondern auch geistige Mißhandlungen. Das Volk ver⸗ langt Oeffentlichkeit und Mündlichkeit der Militärgerichtsverhand⸗ lungen, damit dergleichen Fälle sich verringern.
Königlich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, General— Lieutenant von Spitz: Kein gewissenhafter und gerechter Mann wird sich auf Grund des Materials, welches der Vorredner hier angeführt hat, ein Urtheil bilden können, daß gegen die Gesetze von den betreffenden Richtern geurtheilt wurde. Die Militärverwaltung ist natürlich nicht in der Lage, auf einen oder den anderen dieser Fälle jetzt einzugehen. Da aber der Vorredner Namen genannt hat, so werden wir die Fälle untersuchen lassen. Ganz entschieden muß ich aber dagegen Verwahrung einlegen, daß gegen den gemeinen Mann härter geurfheilt wird, als gegen seinen Vorgesetzten. Das ist durchaus unwahr. Der Vorredner scheint nicht zu wissen, daß beim Militär Insubordination schärfer bestraft wird, als im bürgerlichen Leben. Endlich muß ich auch dagegen protestiren, daß die Strafgefangenen in den Strafanstalten gesetzwidrig behandelt und bestraft werden. Es herrscht in diesen Anstalten die peinlichste Reinlichkeit und Ordnung. Das erziehliche Moment wird dabei besonders im Auge behalten, und wir haben sehr schöne Resultate erzielt. Daß darunter auch unverbesserliche Taugenichtse sind, welche vom bürger lichen Leben aus alle möglichen schlechten Eigenschaften mitgebracht haben, liegt auf der Hand. Ich reise alle Jahre im Reich, umher und sehe genau zu, daß nichts vorkommt, was gegen die Militärgesetze verstößt. .
Hierauf wird um 5 Uhr die weitere Berathung bis Freitag 1 Uhr vertagt.
Preußischer Landtag.
Haus der Abgeordneten. 49. Sitzung vom 9. März.
Die dritte Berathung des Staatshaushalts— Etats für 1893/94 wird fortgesetzt.
Ueber den Beginn der Sitzung ist bereits in der Nummer vom Donnerstztag berichtet worden. Wir tragen daraus hier nur die Erwiderung des Präsidenten des Staats⸗-Ministeriums, Ministers des Innern Grafen zu Eulenburg auf die Aeußerungen des Abg. Papendieck (df) über die Nicht⸗ bestätigung des Gutsbesitzers Maul als Kreisdeputirten im Wortlaute nach:
Präsident des Staats⸗Ministeriums, Minister des Innern Graf zu Eulenburg:
Meine Herren! Ich habe dem, was ich in dieser Beziehung in der zweiten Lesung grundsätzlich gesagt habe, nichts hinzuzufügen. Ich muß nur in der Beziehung die Aeußerung des Herrn Vorredners be— richtigen, als ob ich gerade in Bezug auf den Herrn, von dem er ge—⸗ sprochen hat, von besonderen Eigenschaften des Temperaments gesprochen jätte. Ich habe damals geäußert und habe meine Ansicht in der Sache dahin begründet, es käme vor, daß aus Gründen des Tempara— ments oder aus anderen Gründen sich jemand in die Parteileidenschaft so hineinarbeite, daß man nicht mehr annehmen könne, er werde öffentliche Angelegenheiten unbefangen beurtheilen. Also eine speeielle Beziehung auf den Herrn Maul hat das nicht gehabt. Ich will auch sagen, warum es die nicht haben kennte. Ich habe die Sache vertheidigt aus principiellen Gründen, bin aber, was, wie ich glaube, dem Herrn Vorredner sehr wohl bekannt ist, in der Angelegenheit des Herrn, den er erwähnte, nicht selbst in Action getreten, vielmehr war die Zurückweisung der Beschwerde darüber, daß er von dem Herrn Ober-Präsidenten, der in dieser Beziehung zuständig ist, nicht bestätigt worden war, bereits erfolgt, ehe ich in das Amt eintrat. Ich habe also mit der Sache persönlich nichts zu thun, und habe es nur für nöthig gehalten, den grundsätzlichen Standpunkt anzugeben. Endlich muß ich noch sagen: wenn der Herr Abgeordnete meint, daß, wenn der Ober-Präsident oder der Regierungs-Präsident sich viel im Bezirk bewegen, sie um so weniger geeignet sind, ein Urtheil in diesen Dingen zu haben, — dann ist meine Meinung eine entgegengesetzte: auf diesem Wege gewinnen jene Beamten vielleicht am besten ein Urtheil über Personen und Verhältnisse. (Bravo! rechts.)
Ihm weiteren Verlauf der Berathung des Etats des Ministeriums des Innern nimmt nach dem Abg. Rickert (dfr., dessen Rede bereits mitgetheilt worden ist, das Wort:
Präsident des Staats⸗Ministeriums, Minister des Innern
Graf zu Eulenburg:
Meine Herren! Wie der Herr Abg. Rickert richtig gesagt hat,
unterliegen die Kriegervereine einer gewissen ortspolizeilichen Geneh— migung, deshalb, weil sie bei der Beerdigung ihrer Mitglieder das Necht haben, Waffen zu tragen und Leichenfeiern zu veranstalten. Abgesehen hiervon sind es Privatvereine, die dem Vereinsgesetz, wie Herr Rickert selbst gesagt hat, nicht unterliegen. Bei der Genehmi— gung wird mit aller Entschiedenheit darauf gehalten, daß die Be—
stimmung in die Statuten aufgenommen wird, daß bei den Verhandlun⸗
gen der Kriegervereine Religion und Politik vollständig ausgeschlossen sind; und die Bestrebungen sowohl der Centralorgane, wie der Pro⸗ vinzialorgane der Kriegervereine, soweit die Behörden, soweit sie ihren Einfluß in dieser Richtung hin geltend machen können, gehen übereinstimmend dahin, daß diese Bestimmung der Statuten be⸗ folgt wird.
Nun fragt es sich: was hat zu geschehen, wenn Statutenbestimmung abgewichen wird? Dann wird die daß, wenn nicht ein ganz vereinzelter Fall vorliegt, über den hinwegsehen kann, und wo man es nicht für nöthig hält, das Ein⸗— greifen der Polizei oder des Strafrichters herbeizuführen — also wenn es sich zeigt, daß die Kriegervereine die Bestimmung, daß Politik und Religion aus ihren Verhandlungen fern bleiben sollen, nicht befolgen, dann wird man sie eben dem Vereinsgesetz unterstellen, (hört! hört!) und dann werden für sie die Vorschriften, die in der Verordnung vom 11. März 1850 vorgesehen sind, eintreten. Ich denke, dies, meine Herren, ist eine vollkommen genügende Antwort. Wenn nun der Herr Abg. Rickert von einem Vereine spricht — ich glaube, von einem Ver— eine im Kreise Waldbröl —, der eine Petition an den Reichstag ge⸗ richtet hat, dann kann ich nur sagen, ist es zunächst die Aufgabe der dort vorhandenen Behörden, sich zu überzeugen, ob der Verein nun so weit aus seinem Rahmen herausgetreten ist, um ihn ein für allemal dem Vereinegesetz zu unterwerfen, oder ob sie ihm sagen: wenn Du das wieder thust, wirst Du dem Vereinsgesetz unter— worfen. Es kann da in verschiedener Weise verfahren werden. Ich lege kein sehr großes Gewicht auf die Sache, aber ich kann sagen, von einem großen Agitations« und Petitionssturm der Kriegervereine ist mir bisher nichts bekannt geworden.
Vielleicht würde ein solches Vorgehen der Kriegervereine, ganz abgesehen von dem vorliegenden Fall, eine etwas mildere Beurtheilung verdienen, da es sich um eine Angelegenheit handelt, die gerade auf dem Gebiete liegt, auf dem die Kriegervereine sich bewegen, inso— fern es sich um die Frage der Organisation der Armee handelt. (Zurufe.) Ich will dabei aber nochmals sagen, es fällt mir nicht ein, es in irgend einer Weise zu vertheidigen, daß die Vereine auf das Gebiet der Politik übergreifen. Ich kann dem Herrn Abg. Rickert sagen, daß sobald ich wahrnehme, daß in dieser Beziehung bedenkliche Erscheinungen hervortreten, ich keinen Anstand nehmen werde, nochmals darauf hinzuweisen, daß die Politik in diesen Vereinen unzulässig ist, und daß, wenn die Kriegervereine den eigentlichen Boden ihrer Thätigkeit verlassen, sie einfach unter das Vereingesetz fallen.
Ich kann, da ich einmal das Wort genommen habe, nicht umhin, auf die übrigen Aeußerungen des Herrn Abg. Rickert nech einiges zu erwidern. (Nufe: Lauter) Er hat zwei Dinge gesagt, welche meines Erachtens so unhaltbar sind, daß sie nicht unwider— sprochen bleiben können. Er hat zunächst gesagt, daß, wenn die Regierung einem Manne, der von den Selbstverwaltungsorganen
gewählt ist, die Bestätigung versage, so untergrabe das die Bedeutung.
und die Wirksamkeit der Selbstverwaltung. Ich muß sazen, wenn in den Gesetzen, die sich darüber auslassen, ausdrücklich ausgesprochen ist, daß der Regierung ein Bestätigungsrecht zusteht, und sie von diesem ihrem Recht Gebrauch macht, schon darum gar keine Rede davon sein kann, daß sie sich mit dem Gesetz in Widerspruch setzt. Ich gebe zu, und das habe ich neulich auch schon gesagt: es ist möglich, von diesem Rechte einen Gebrauch zu machen, welcher seinem Sinne widerspricht (Zuruf des Abg. Rickert) — gewiß, das ist möglich. Aber was hat der Herr Abg. Rickert angeführt, um der Regierung vorzuwerfen, daß sie einen solchen Mißbrauch gemacht hat? Einen ganz vereinzelten Fall, dem aber eine große Anzahl von Fällen in neuerer Zeit — ich spreche nicht von der ganjen Vergangenheit, das würde zu weit führen
wie der Herr Abg. Rickert weiß, von größerer und geringerer Be⸗
deutung gegenüberstehen, welche den unwiderleglichen Beweis liefern, daß die Regierunz von diesem Rechte nicht in tendenziöser Weise Ge⸗ brauch macht. (Sehr richtig!)
Und was hat der Herr Abg. Nickert weiter gesagt? Ich will hoffen, daß er es nicht so gemeint hat, wie es klang; er hat in diesen
Haus und in das Land hinausgerufen: glauben Sie denn. daß wir — also er und seine Partei — dem Ober und dem Regierungk⸗ Präsidenten zutrauen, daß sie ihr Amt mit Gerechtigkeit und Un— befangenheit verwalten? Meine Herren, das ist eine unerhörte Anschuldigung. (Sehr richtig) Ich weise sie auf das bestimmteste zurück. Ich habe das feste Zutrauen, daß diese hohen Beamten nach bestem Gewissen ihre Schuldigkeit thun, unbefangen und mit Gerechtig⸗ keit. Das kann ich Sie versichern: in dem Augenblick, wo mir ein Zweifel entstehen sollte, daß einer dieser verdienten Männer nach jener Richtung hin fehlen sollte, ich keinen Augenblick zögern würde, die Maßregeln zu ergreifen, welche dann geboten sind. (Lebhaftes Bravo! rechts.)
Abg. Freiherr von Minnigerode⸗Rossitten (cons): Der Minister hat die angegriffenen Beamten zur Genüge in Schuß ge— nommen. Die Freisinnigen greifen immer das gesetzlich festgestellte Bestätigungs recht an. Sie scheinen dadurch ihren Einfluß wieder stärken zu wollen in den ländlichen Kreisen, in denen er im Weichen ist. Das Bestätigungsrecht kann doch nicht bloß ein ideales sein, welches niemals angewendet wird. Die Kriegerpereine sind keine poli⸗ tischen Vereine, aber wenn sie zur Militärvorlage Stellung nehmen, so ist das begreiflich. Aber ich wünsche nicht, daß die Vereine als solche sich mit der Sache befassen. Die einzelnen Mitglieder können solche Petitionen an den Reichstag richten. ; .
Abg. Rickert (dfr. : Ich habe das nicht gesagt, was mir der Minister Präsident untergelegt hat. Ich habe nur gefragt: wie kommt es, daß die Regierung niemals bei einem conservativen Mann diese Tempe⸗ ramentsfehler ertdeckt? Das ist doch ganz etwas Anderes. Warum wird nur bei den Freisinnigen alles so genau untersucht? Es handelt sich nicht um einen einzelnen Fall. Die Dinge sind in letzter Zeit besser geworden; aber räumen Sie doch endlich einmal mit diesen Dingen auf. Im Parteiinteresse würde es liegen, wenn der Minister möglichst viele Bestätigungen versagte; das würde uns die Leute zu⸗ führen. Es handelt sich nur um das Vertrauen zur Unparteilichkeit der Beamten. Für einen llberalen Mann habe ich den früheren Minister Herrfurth nig gehalten. Wir haben ihn bei der Land— gemeindeordnung unterstützt, im Interesse des Landes. Wir werden das auch bei dem Grafen Eulenburg thun, wenn seine Gesetze gut sind. Die Erklärung des Ministers bezüglich der Kriegervereine, war zu. An⸗ jang sehr richtig; dann sagte er aber, die Frage müsse etwat milder beurtheilt werden. Dieser Meinung bin ich nicht. Die Sache muß schärfer behandelt werden, weil, die Herren von den Kriegervereinen sachverständig zu sein glauben, während sie es nicht sind. Der Abg. von Minnigerode hat sich vollständig auf, den richtigen Stand— punkt gestellt. Ich nehme an, daß der Minister sich über die That jache unterrichten wird. Wenn er es wünscht, will. ich ihm die Petitionen officiell übersenden. Ich glaube, daß Gefahr im Verzuge ist; denn es handelt sich offenbar um eine systematische Agitation.
Abg. Szmula (Centr;) beschwert sich darüber, daß man in Oberschlesien nicht ehrenamtliche Amtsporsteher ernennt, sondern größere Bezirke bildet und besoldete Amts vorsteher anstellt. Wo wegen der fluctuirenden Bevölkerung ein besoldeter Amtsvorsteher noth⸗ wendig erscheint, sollte die Staatskasse die Kosten tragen und nicht die Last den Gemeinden aufgebürdet werden. Redner empfiehlt dann die Berücksichtigung der ländlichen Verhältnisse in Bezug auf die Arbeiter⸗ frage. Wenn die Militärvorlage angenommen wird, werden 60 bis 80 900, junge Leute mehr zur Fahne berufen werden; das werden meist ländliche Arbeiter sein. Die östlichen Provinzen müssen Arbeiter aus Polen und Galizien kommen lassen, was aber sehr erschwert ist. Namentlich müssen die Leute wieder zum J. Nopemher entlassen werden, ehe noch die landwirthschaftlichen Arbeiten vorüber sind. Redner macht dann, die Regierung aufmerksam auf die in Berlin erscheinende, in volnischen Landestheilen verbreitete socialdemokratische Zeitung; Gazeta Robotnicza“, deren Sprache wohl die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich ziehen sollte. Kürzlich sei der Papst in der unerhörtesten Weise in dieset Zeitung bekämpft worden, ohne daß die Polizei eingeschritten ware.
Präsident des Staats-Ministeriums, Minister des Innern Graf zu Eulenburg:
Dem Herrn Vorredner kann ich zunächst erwidern, daß ich seinen Wunsch theile, daß die Ausschreitungen der Presse, wofür er einige Beispiele angeführt hat, ihre Verfolgung und Strafe finden. Ich zweifle nicht, daß der Staatsanwaltschaft jenes Blatt bekannt ist und daß sie, wenn sie es für möglich hält, dagegen einschreiten wird. Ueber den Fall selbst kann ich natürlich keine Auskunft geben und auch im Augenblick nach der einmaligen Verlesung nicht beurtheilen, ob der Fall so liegt, daß er zur gerichtlichen Verurtheilung führen kann.
Was die Angelegenheit der Arbeiter betrifft, so würden wir alle dem Herrn Abgeordneten und dem hohen Hause außerordentlich dankbar sein, wenn man uns durchgreifende Maßregeln angeben könnte, die diesen Uebelständen, die im Osten bestehen, abhelfen können, und wir würden gern bereit sein, auf eine Prüfung und Ausführung derselben einzugehen. Ich gestehe ganz offen, daß mir Maßregeln, die dem Zuge der Arbeiter nach dem Westen und ihrer Verminderung im Osten wirksam entgegentreten, nicht zu Gebote stehen. Was aber die Zulassung von Arbeitern von jenseits der Grenze anbetrifft, so wird der Herr Vorredner selbst nicht leugnen, daß die Maßregeln, die in dieser Beziehung getroffen sind, einigermaßen Abhilfe geschaffen haben. (Abg. von Gzarlinski: Einigermaßen) Mehr als einigermaßen, liegt leider nicht in unserer Macht, Herr Abg. von Czarlinski! sonst würden wir es sehr gern thun, und ich war eben im Begriff zu sagen, daß, wenn es möglich ist, den ausgesprochenen Wünschen zu folgen, namentlich in der Richtung, daß man die Arbeiter über den November hinaus im Lande beläßt, das sehr gern nochmals erwogen werden wird.
Was die Beschwerde des Herrn Vorredners über einige Amte— bezirke im Regierungsbezirk Oppeln betrifft, so sind mir die Einzel— heiten dieser Sachen nicht bekannt; sie sind bisher nicht hierher ge— langt; aber ich bin gern bereit, mich über die obwaltenden Verhält— nisse zu erkundigen und demgemäß das zu verfügen, was etwa nöthig ist.
Abg. Hansen sfreicons.) bittet das Anfangs- und Schlußgehalt der Kreissecrctäre, dieser stark beschäftigten und wichtigen Beamten, möglichst bald zu erhöhen. .
Der Etat des Ministeriums des Innern wird genehmigt.
Es folgt der Etat der landwirthschaftlichen Ver— waltung.
Abg. Dr. Lotichius (b. F. F.) bittet, das bisherige Unter— suchungẽ und, Vernichtungsverfahren in den Reblausheerden in der bisherigen Weise fortzusetzen. ö
Abg. Lamprecht (eons.) wünscht eine mehr selbständige Stellung und eine Vermehrung der Zahl der Landmesser in den Gencral-Commissionen gegenüber den juristisch vorgebildeten Beamten.
Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden:
Ich kann dem Heirn Vorredner erwidern, daß ich die von ihm zur Sprache gebrachten Verhältnisse prüfen werde, weil ich anerkenne, daß eine ausreichende Vertretung des landwirthschaftlich sachverständigen Elements in den General-Commissionen am Platze ist. Die Aufgaben der General⸗Commissionen wechseln, und es sind jetzt neue Aufgaben hinzugekommen, die früher nicht gewesen sind. Für die Ansiedelungs— angelegenheiten kann eine vermehrte Mitarbest von Männern, die den
Beruf als praktische Landwirthe ausgeübt haben, am Platz sein. Im übrigen läßt sich dies nicht kurzer Hand umgestalten. Die General⸗ Commissionen sind Beamtencollegien mit fest angestellten Beamten, und der Herr Vorredner wird wohl damit einverstanden sein, daß es sich nur darum handelt, den von ihm bezeichneten Punkt im Auge zu behalten. Dabei möchte ich allerdings noch hervorheben: im großen und ganzen ist die Thätigkeit der General Commission mehr eine solche, welche juristische Vorkenntnisse erfordert, während der vorzugsweise Wirkungs⸗ kreis für den landwirthschaftlichen Sachverständigen die Special⸗ commission ist. Was die Stellung der Landmesser betrifft, so ist ja die Thatsache vollkommen feststehend, daß augenblicklich keine aus⸗ reichende Anzahl von Landmessern zur Verfügung steht. Aber die Verhältnisse werden sich in nicht zu ferner Frist ändern. Die Frage der Stellung der Landmesser zu den Specialeommissaren hat mich bereits beschäftigt, und bis zu einem gewissen Grade ist eine etwas selbständigere Stellung einzelnen älteren Landmessern bei den Speeial⸗ commissionen da zugewiesen, wo mehrere Landmesser in einem Bureau vereinigt sind. Wenn im übrigen der Specialcommissar mit dem Landmesser zusammen nutzbringend arbeiten soll, dann muß einer schließlich die entscheidende Stimme haben, und nach Lage der Verhältnisse kann das nnr der Specialcommissar sein. Daß im übrigen bei denjenigen Arbeiten, wo vorzugsweise technische Angelegenheiten in Frage stehen, der Thätigkeit des Landmessers seitens des Specialcommissars keine hemmenden Schranken angelegt werden, brauche ich nicht weiter aus— zuführen.
Abg. Stephan lfreicons) empfiehlt die Unterstützung der Gemeinden bei der Wiederherstellung von Deichen, welche 1800 vom Hochwasser zerstört worden sind.
Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden:
Ich bin bemüht geweser, die von dem Herrn Vorredner be—
sprochene Angelegenheit so zu fördern, wie es mir möglich war. Ich erkenne an, daß zu dem von dem Herrn Vorredner bezeichneten Zeit— punkt eine ziemlich weitgehende Erklärung seitens des damaligen Ver⸗ treters der Königlichen Staatsregierung abgegeben ist, und ich bedauere nur, daß diese Erklärung damals nicht von dem Herrn Finanz-Minister ausgegangen ist. Wenn ich dies bedauere, so ist doch zu beachten, daß in der Erklärung des damaligen Herrn Ministers des Innern zwei Fälle genau unterschieden würden: einmal die Wiederherstellung der zerstörten Deiche und sodann die Verbesserung der gesammten Deiche — für die zerstörten Deiche, wurde gesagt, werden Mittel be— willigt werden können; die selbstverständliche Voraussetzung war aber natürlich die, daß die Deichverbände ihrerseits nicht im stande sind, diese Arbeiten ausführen zu können. Die zerstörten Deiche sind nun damals gleich geschlossen worden, und damit war diese Frage insofern vorläufig erledigt, als ein zwingender Grund, für auf diesem Gebiet noch ausstehende Arbeiten etwas zu geben, nicht vorlag. Ich kann nun zwar nicht genau behaupten, aber ich glaube, mich nicht zu irren — ich vermuthete nicht, daß diese Frage hier zur Sprache kommen würde — wenn ich sage, es ist bei den weiteren an mich gelangten Anträgen eine Trennung derjenigen Ausgaben, welche für die Wiederherstellung der zerstörten Deiche verwendet waren, nicht eingetreten von denjenigen Summen, welche zur Verbesserung der wiederhergestellten und sonst vorhandenen Deiche gefordert wurden. In ungetheilten Summen wurden vielmehr von der Königlichen Staatéregierung sehr erhebliche Beträge gefordert, theils um die Kosten zu decken, die durch Wieder⸗ herstellung der Deiche heroorgerufen waren, theils um erhebliche Verbessexungen an den Deichen vorzunehmen. Es lagen damals keine Kostenanschläge vor, sondern nur Generalüberschläge. Soweit diese einer Prüfung unterzogen werden konnten, stellte sich heraus, und zwar nach übereinstimmendem Urtheil aller Factoren, daß die Absichten der Interessenten hinsichtlich der Verbesserungsdeiche weit über das nothwendige Maß hinausgingen. Es ist daher die betreffende Angelegenheit zurückgegeben und gesagt: Zunächst müssen brauchbare Projecte vorgelegt werden, die sich in mäßigen Grenzen halten, bevor die Staatsregierung in eine Prüfung der Frag: eintreteten kann, ob und inwieweit diese Deichmeliorationen mit Staatsmitteln unterstützt werden können. Wird bei dieser Prüfung die Zweckmäßigkeit der Pro⸗ jecte anerkannt, dann ist ferner die Leistungsfähigkeit des Deich verbandes zu prüfen und zum Schluß zu erwägen, ob andere Körper⸗ schaften bei Herstellung dieser Deichverbesserungsarbeiten mitbetheiligt seien. Nach Ansicht der Staatsregierung trifft letzteres zu und muß eine Betheiligung des Provinzialverbandes in diesem Fall, wo es sich um Meliorationen der Deiche handelt, stattfinden. Dies ist der Be— zirkinstanz mitgetheilt und ihr anheimgegeben, nunmehr Anschläge, welche den berechtigten Anforderungen entsprechen, vorzulegen. Die Aufstellung der Projecte ist, da Deichverbände in Frage stehen, nicht Sache der Staatsregierung, sondern der berufenen Organe der Deich⸗ verbände. Seitens derselben sind seitdem keine Anträge an mich ge⸗ kommen. Ich habe aber, da mich der Herr Vorredner vor einiger Zeit nach dieser Angelegenheit fragte, Veranlassung genommen, mich mit der betreffenden Bezirksinstan; in Verbindung zu setzen zum Zweck einer beschleunigten Abwicklung der Angelegenheit. Da von den Hoffnungen die Rede gewesen ist, welche sich die betheiligten Deichverbände auf Staatsunterstützung machen können, so will ich in dieser Hinsicht mit meiner Ansicht nicht zurückhalten. Die Deich⸗ verbände, um die es sich hier handelt, sind, soweit meine Kenntniß reicht, an sich leistungsunfähig. Der Herr Vorredner schüttelt mit dem Kopf; ich glaube aber, meine Ansicht wird auch von anderer Seite getheilt werden. Deshalb wird eine nachträgliche Hergabe von Staatsmitteln für die bereits wiederhergestellten Deiche meines Er⸗ achtens nicht wohl in Aussicht genommen werden können. Ob für die noch ausstehenden etwa als nothwendig anzuerkennenden Verbesserungs⸗ und Verstärkungsarbeiten an den Deichen staatliche Mittel werden flüssig gemacht werden können, wird abhängen von dem Grade der Leistungsfähigkeit der Betheiligten und von der Bereitwilligkeit des Provinzialverbandes, sich an den Kosten zu betheiligen. Erst wenn diese Vorfragen in einem den Betheiligten günstigen Sinne erledigt sind, kann die Staatsregierung der Entscheidung der Frage näher treten, ob und was ihrerseits im Interesse der Betheiligten ge⸗ schehen kann.
Abg. von Treskow (cons.) empfiehlt bei der Bedeutung der Branntweinbrennerei und zum Schutz des Kartoffelbaues, der schon erheblich zurückgegangen sei, die Einführung einer Exportvergütung für Spiritus, wie Rußland sie gewährt.
Minister für Landwirthschaft 2c. von Heyden:
Ich habe nicht erwartet, daß bei diesem Etat, der die Einnahmen aus der Spiritussteuer nicht enthält, diese Angelegenheit zur Sprache kommen würde. Da die angeregte Frage der Einführung von Spiritus exportprämien nicht hier, sondern nur im Reichstage zur Entscheidung
kommen kann, so wird der Herr Vorredner auch von mir eine be⸗ stimmte Erklärung über diese ganze Angelegenheit in diesem Augen—⸗ blick nicht erwarten können und auch nicht erwartet haben. Ich nehme vielmehr an, daß er mit seinen Ausführungen der Staatsregierung nur hat eine Directive geben wollen bezüglich der Richtung, in welcher
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er die Interessen des landwirthschaftlichen Brennereigewerbes bei passender Gelegenheit gefördert zu sehen wünscht. Ohne in dieser Beziehung meinerseits irgend eine bindende Erklärung abgeben zu wollen, werden Sie meine Grundanschauung daraus entnehmen können, wenn ich erkläre: Ich erkenne vollständig an, daß das Brennereigewerbe, und zwar vorzugsweise die kleineren und mittleren ländlichen Brennereien, auf den leichten Böden unseres Ostens, da, wo es einmal eingeführt ist, nicht entbehrt werden kann; daß es ferner, wenn der Kartoffelbau infolge Nichtrentirens der Brennereien eingeschränkt werden muß, nach dem jetzigen Stand unserer Kenntnisse keine andere Frucht giebt, welche mit demselben Erfolg und demselben Nutzen dort als Zwischen⸗ frucht eingeschaltet werden kann, daß also mit einem starken Rückgang des Kartoffelbaues im Osten ein starker Räckschritt in der wirthschaft⸗ lichen Entwickelung dieses Landestheils verbunden sein würde. Ich erkenne ferner an: daß, wenn bisher unser Bestreben sowohl beim Spiritus wie beim Zucker im Reich dahin gerichtet gewesen ist, und auch in meinen Augen es entschieden der wünschenswertheste Zustand ist, daß überhaupt Exporsprämien — mögen sie nun gewährt werden in Gestalt von Leckagevergütigung oder als directe Exportprämien — Con⸗ eurrenten in eine schwierige L daß auch diese von der Exportprämiengewährung Abstand nehmen, nicht eintrifft; daß dann Verhältnisse sich entwickeln können, welche auch uns dazu nöthigen, andere Entschließungen zu fassen, als fie bis—⸗ her gefaßt worden sind. (Bravo!)
Abg. Knebel (ul.) empfiehlt, das Abiturientenexamen als i n für die Zulassung zum thierärztlichen Studium aufzu⸗ stellen.
Abg. Herold (Centr.) bespricht die Nothlage der Landwirthschaft und die zunehmende Verschuldung derselben. Er meint, daß die Aufhebung des Identitätsnachweises keinen Vortheil, sondern eher Nachtheil bringen würde; die Staffeltarife hätten dem Osten nichts genützt, und dem Westen nur geschadet. Redner erklärt die Solidarität des großen und kleinen Grundbesitzes; der letztere habe, wenn er auch manchmal Brot zukaufen müsse, doch einen indirecten Nutzen von den Schutzzöllen.
Abg. Rickert (fr.): Wie jemand, der die industriellen Schutzzoͤlle und, wenn er Brot braucht, auch die landwirthschaftlichen Zölle tragen muß, einen indirceten Nutzen hat, das kann ich gar⸗ nicht begreifen. Allerdings, die Großgrundbesitzer werden ihn mit großem Wohlwollen betrachten, wenn er sich vor ihren Wagen spannen läßt. Daß die Landwirthe sich heute besser stehen als vor 50 Jahren, weiß jedermann. Die Preise der Landgüter sind sehr erheblich ge⸗ stiegen; aber das wird immer verschwiegen. Die Herren aus West⸗ falen sind jetzt die Gegner der Aufhebung des Identitätsnachweises, nachdem sie für ihre Mühlenindustrie die Aufhebung erreicht haben. Es ist bedauerlich, daß die Gonservativen die Wichtigkeit der Aufhebung des Identitätsnachweises so spät erkannt haben. Jetzt wird im Reichstag nicht viel zu machen sein. Die Interessen des großen und kleinen Grundbesitzes sind nicht die⸗ selben. Bei der Kreisordnung vertritt der Großgrundbesitz seine eigenen Interessen. Wollen wir nicht einmal das Stimmrecht nach der Steuerleistung regeln, damit die Bauern mehr Einfluß gewinnen? Wollen Sie den Bauern das Jagdrecht geben? Die Bauern ver⸗ stehen ihre Interessen nicht, welche sich jetzt zu Schleppträgern der Großgrundbesitzer machen.
Abg. Schmitz⸗Erkelenz (Centr.): Die Klagen über die Staffel⸗ tarife stammen nicht bloß aus Westfalen, sondern auch aus dem Rheinland. Der kleine Mann, der Brot kaufen muß, ist auf seiner Hände Arbeit angewiesen; die Arbeit findet er beim größeren Besitzer, daher hat er Interesse an der Erhaltung desselben. Die Verschuldung der Landwirthe ist entstanden infolge einer Reihe von schlechten Ernten, infolge der schlechten Behandlung, namentlich der Steuerüberbürdung der Landwirthe. Die Bauern selbst erkennen keinen Gegensatz zum Großgrundbesitz an; das beweisen der Bauernverein und der land⸗ wirthschaftliche Verein im Rheinland, welche am Schutzzoll fest⸗ halten. Wird der Schutzzoll aufgehoben, dann wird die Landwirth⸗ schaft vernichtet, und das wollen wir nicht.
Abg. Gerlich (freicons.) führt aus, daß der Abg. Rickert doch endlich einsehen könnte, daß die Landwirthe die Schulden nicht zum Vergnügen machen. Ehe eine Hypothekenschuld eingetragen wird, gehen gewöhnlich Privatschulden vorher, die gemacht sind in der Hoff⸗ nung, daß das nächste Jahr besser sein würde. Wenn die Güter⸗ preise erst heruntergehen, dann fallen Hypotheken aus und dabei sind nicht die Landwirthe betheiligt, sondern die Leute in den Städten. Und wie sehen denn solche versteigerten Güter aus?! Und wie sehen die Nachfolger der alten Besitzer aus?! Das sind keine Land⸗ wirthe, sondern die großen Banken, die wieder neue Leute mit den an⸗ gekauften Gütern unglücklich machen. Die Staffeltarife sind für den Abg. Rickert der Keil zwischen der Landwirthschaft des Ostens und des Westens. Er wird sich vielleicht noch überzeugen, daß die Staffeltarife etwas Vernünftiges sind. Die Bedeu⸗ tung der Aufhebung des Identitätsnachweises haben ein⸗ zelne Agrarier schon früher eingesehen; ich hoffe, daß die Schlacht im Reichstage nicht verloren gehen wird. Die Solidarität der Groß⸗ und Kleingrundbesitzer wird der Abg. Rickert durch alle seine Reden nicht aus der Welt bringen. Die letzteren fühlen, daß sie durch die ersteren ganz gut vertreten werden; deshalb entsenden sie in den Kreistag und in den Landtag Großgrundbesitzer.
Abg. Lamprecht (cons.) stimmt diesen letzteren Ausführungen durchaus zu und hebt hervor, daß durch die Belastung der Brannt— weinbrennerei die kleinen Landwirthe ebenfalls hart getroffen worden seien. Von einem Vierzigmillionen⸗Geschenk an die Brenner sei gar keine Rede. Die Schutzzollpolitik habe für alle einen Vortheil gehabt. Die Aufhebung der Viehsperre habe hauptsächlich die kleinen Leute des Ostens, die Schweinezüchter, benachtheiligt.
Abg. Rickert (of.: Die Herren Landwirthe sprachen vor 15 Jahren ebenso wie wir heute. Daß nach einander folgende ungünstige Ernten den Landwirth ruiniren, ist richtig, aber die Zölle helfen dagegen Jauch nicht. Welche Mittel haben Sie denn? Der Osten will die Staffeltarife behalten und den Identitätsnachweis aufheben. Der Westen will das Gegentheil. Sie sind nur einig, so lange Sie klagen; sobald es aber an die Einzelheiten geht, dann liegen Sie sich in den Haaren. Wenn Sie mit Ihren Klagen so weiter fortfahren, dann wird dadurch nur der Credit des Grundbesitzes gefährdet werden und schließlich wird Herr Bebel Recht behalten, daß der Staat den Grundbesitz verstaatlichen muß, um eine bessere Wirthschaft herbeizuführen. Gehen Sie in sich! Sagen Sie den Landwirthen, wie sie es besser machen sollen! ;
Abg. Graf zu Limburg Stirum Cons.): Selche Reden können uns nur nützen. Denn einem Manne, der nichts mebr heraus- wirthschaften kann, zu sagen: Mach's besser oder gehe von deiner Scholle, d. h. ihm Steine statt Brot geben. Alle Wünsche des Abg. Rickert, eine Spaltung unter die Landwirthe zu bringen, werden sich nicht erfüllen. Ich sehe aus seinen Werten nur, daß er die Be⸗ sorgniß hat, daß die Landwirthe fest zusammenhalten. Wenn er von einer gemachten Bewegung spricht, so ist das entweder volitische Unkenntniß oder, was ich vielmehr annebme, der Wunsch. Dinge zu ignoriren, die ihm unbequem sind. Wenn wir gefragt werden, wad wir wollen, so sage ich: Wir wollen, daß nur Leute in die Parlamente kommen, die etwas von der Landwirthschaft verstehen und