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wir dann keine Vertragäbestimmung, so ist die Folge davon die, daß wir zunächst Monate, vielleicht Jahre lang mit dem betreffenden Staat verhandeln müssen, auf welcher Rechtsbasis überhaupt die Entschädigung aufgebaut werden soll. In der Lage sind wir heute beispielsweise mit Chile. Wir im Verein mit den Engländern, Spaniern und Italienern verhandeln seit nahezu zwei Jahren, um eine rechtliche Basis zu gewinnen, auf der die Entschädigung der deutschen, beziehungsweise englischen u. s. w. Unterthanen für Schäden aus dem letzten Bürgerkrieg erfolgen soll.
Hier — und das ist ein Vortheil, der auch für Deutschland aus dieser Vertragsschließung entspringt — ist, entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts, eine Rechtsbasis zu schaffen, sodaß die eolumbische Regierung sich im gegebenen Falle der Ver⸗ pflichtung nicht entziehen kann, die Entschädigungsfrage, wenn sie beschritten wird, mindestens vor ein Schiedsgericht zu bringen.
Ich will mich für heute auf diese Bemerkung beschränken, ich werde in der Lage sein, in der Commission auf Grund von ein⸗ gehendem Material noch nähere Darlegungen zu geben.
Gestatten Sie mir zum Schluß nur noch eine ganz allgemeine Bemerkung. Wenn ein Deutscher sich ins Ausland begiebt, weil er glaubt, dort besser fortzukommen, bessere Geschäfte machen zu können, so wird niemand ihn daran hindern; er hat Anspruch auf Schutz nach Maßgabe der Bestimmungen des Völkerrechts, des internatio⸗ nalen Privatrechts und der Verträge. Das Auswärtige Amt wird mit aller Energie diesen Schutz gewähren. Allein die Sache hat doch auch ihre Grenzen. Wenn sich jemand in ein Land begiebt, wo die Rechtsinstitutionen zu wünschen lassen, wo häufig Revolutionen vorkommen, wo Ordnung und Sicherheit häufig gestört werden, so hat der Betreffende die Gefahren, die aus diesem Zustand des Landes, das er sich freiwillig als Residenz erwählt, für sein Leben, für sein Eigenthum entspringen, in den Kreis seiner Berechnungen zu ziehen, und es ist unmöglich, daß der betreffende Deutsche nun das Risiko, das er freiwillig über— nimmt, auf seinen Heimathsstaat, bezw. auf die Steuerzahler zu Hause schiebt und nun verlangt, daß für jeden Schaden, der ihm dort entsteht infolge der besonderen Verhältnisse des Landes, infolge der besonderen Art seines Geschäfts, ihm nun Entschädigung gewährt wird. (Sehr richtig! links.) Wir sind jeden Augenblick bereit, alle gerechten Reclamationen der Deutschen im Auslande zu unterstützen; aber ungerechtfertigte Reclamationen, d. h. Reelamationen, für die im Völkerrecht sich ein Grund nicht findet, zu unterstützen, ist nicht Sache des Auswärtigen Amts. (Zustimmung links.)
Auf die zweite Rede des Abg. von Staudy antwortete der
Staatssecretär Freiherr von Marschall:
Ich bin einigermaßen erstaunt, meine Herren, über die lebhafte Polemik des Herrn Abg. von Staudy gegen mich, denn ich bin mir wirklich nicht bewußt, in diesem Augenblick irgend ein Wort gesagt oder auch nur gedacht zu haben, das der Herr Vorredner als eine Unfreundlichkeit gegen diese Seite des Hauses auslegen könnte, — eine Unfreundlichkeit, zu der ich irgend einen Anlaß bis jetzt nicht gehabt habe. Ich habe nur geglaubt, daß der Herr Abg. von Staudy den Charakter des vorliegenden Handelsvertrags als reinen Meistbegünstigungsvertrags übersehen habe, weil es nur auf diese Weise erklärlich war, wie er den logischen Zusammen— hang fand zwischen diesem Handelsvertrag und dem Handelsvertrag mit Oesterreich⸗Angarn, mit Belgien, mit der Schweiz und mit Rußland.
Was die Verhandlungen mit Rußland betrifft, so hat mich die Rede des Herrn Vorredners und die Vorgänge in den letzten Tagen in der Ueberzeugung bekräftigt, daß es eine außerordentlich mißliche und für die Interessen Deutschlands schädliche Sache ist, wenn der— artige Verhandlungen, solange sie im Gange sind, zum Gegen— stande einer öffentlichen Polemik gemacht werden. Wenn der Herr Vorredner mit der Bestimmtheit, wie er es heute gethan, erklärt, daß er und seine Freunde unter gar keinen Um— ständen irgend einen Handelsvertrag mit Rußland genehmigen würden (Zuruf rechts), so ruft das naturgemäß auf anderer Seite, wo man diesen Vertrag wünscht, hervor, daß von dort aus erklärt wird: wir wollen unter allen Umständen einen Handelsvertrag mit Rußland; und es liegt nahe, daß diese Polemik unmöglich die deutschen Interessen bei den Verhandlungen fördern kann.
Abg. Broemel (fr.: Es ist eine unfreundliche Behandlung des ganzen Hauses, wenn bei jeder Gelegenheit der russische Handels— vertrag zum Gegenstand der Debatte gemacht wird. Trotz der An⸗ regung des Abg. von Staudy gehe ich auf denselben nicht ein. Wir verlangen keineswegs unter allen Umständen den Handelsvertrag mit
Rußland; wir haben in dieser Frage denjenigen Standpunkt ein— genommen, welcher der Vertretung der deutschen Interessen bei den Vandelsvertragsverhandlungen mit Rußland nicht im entferntesten
Schaden zufügen kann. Wir meinen, daß es dem wirthschaftlichen Interesse beider großen Reiche am besten nütze, wenn sie aus dem gegenwärtigen unsicheren und einigermaßen kriegerischen Zustande hin— über geleitet werden zu friedlichen und gesicherten Handelsbeziehungen. Wenn ein Vertrag zwischen den beiden Reichen vereinbart wird, fo werden wir ohne jede Voreingenommenheit den Antrag prüfen und mit Rücksicht auf die allgemeinen Interessen des Landes unsere Ent— schließung fassen.
Abg. von Staudy (deons.): Wie sehr wir auf dieser Seite gewohnt sind, ohne jede Voreingenommenheit zu handeln, geht daraus bervor, daß wir die Verweisung dieses, doch nicht sehr bedeutenden Vertrages an eine Commission billigen, während man 1891 den österreichischen Handelsvertrag nicht an eine Commission verweisen wollte. Nicht ich habe diese ganze Debatte hervorgerufen, sondern der Abg. Oechelhäuser. Seine Ausführungen gingen darauf hinaus, die Dandelsverträge im allgemeinen und den xussischen Handelsvertrag insbesondere zu empfehlen, und dagegen glaube ich, Front machen zu müssen. Der Staatssecretär wird wohl überzeugt sein, daß auf dieser Seite des Hauses die patriotischen Interessen ebenso gut gewahrt werden wie von seiner Person. Wir wünschen nur das Vaterland vor weiteren schweren Schäden zu bewahren. Ich habe mich nicht dahin ausgesprochen, den russischen Handelsvertrag unter allen Umständen abzulehnen. Der Staatssecretär hat bei der Etats— berathung gesagt, ohne Concession auf dem Gebiet der Getreidezölle gebe es keinen Handelsvertrag. Wir glaubten aus seinen Worten zu unserem Bedauern entnehmen zu müssen, daß wieder die Landwirth— schaft diejenige sein muß, welche für die Concessionen auf anderen Gebieten die Opfer bringen müßte. Die deutsche Landwirthschaft, namentlich die östliche, ist außer stande, solche Opfer noch weiter zu bringen, und in einem solchen Falle würden wir allerdings eine entschieden ablehnende Antwort erthellen müssen.
Staatssecretär Freiherr von Marschall:
Der Herr Vorredner polemisirte gegen Aeußerungen, die ich gar nicht gethan habe. Ich habe seiner Zeit gesagt, daß bei den Vertrags— verhandlungen mit Oesterreich⸗Ungarn ein Vertrag überhaupt nicht zu stande kemmen könnte ohne eine Ermäßigung der Getreidezölle.
Bezüglich der russischen Verhandlungen bin ich in irgend ein Detail nicht eingegangen. Im übrigen verwahre ich mich dagegen, als ob ich Herrn von Staudy oder einem andern der Herren von der rechten
Seite irgend welche anderen Motive untergeschoben als rein sachliche. Ich habe das niemals in diesem Hause gethan und werde es, nach meiner
ganzen Vergangenheit, am allerwenigsten einem Herrn von der Rechten gegenüber thun.
Abg. Oechelhäuser (nl): Einen guten Handelsvertrag mit Rußland wird niemand eifriger im . empfehlen als ich.
Abg. Broemel (dfr.: Der Reichstag hat sich feiner Zeit mit großer Mehrheit für die Plenarberathung der Handelsverträge ent⸗ schieden. Ganz anders liegt es mit dem columbischen Vertrage, da hier eine Reihe völkerrechtlicher Fragen geregelt werden, über welche sich im allgemeinen für die Zukunft mit der Regierung zu ver— ständigen, der Wunsch aller Betheiligten sein muß.
Abg. von Komierowski (Pole): Die Unruhe in landwirth— schaftlichen Kreisen ist allerdings eine große. Geftern ist von Posen eine Petition an den Reichskanzler abgegangen, welche für den Fall, daß eine Ermäßigung der Getreidezölle gegen Rußland eintreten sollte, die Ablehnung des Abschlusses des Handelspertrages fordert.
Damit schließt die Discussion. Der Handelsvertrag wird einer Commission von 14 Mitgliedern überwiesen.
Es folgt die erste Berathung der Novelle zum Gesetz, betreffend den Unterstützungswohnsitz.
Abg. Hahn (deons. . Durch die Vorlage ist unseren Wünschen in einiger Beziehung Rechnung getragen. Wir stehen unbedingt auf, dem Boden der socialpolitischen Gesetze und haben die Opfer, welche sie dem platten Lande zumuthen, gern auf uns genommen. Unsere Desiderien in Bezug auf Erleichterung in anderer Richtung gehen weiter als die Vorlage. Wir müssen uns vor— behalten, die Erfüllung dieser Desiderien an anderer Stelle weiter zu betreiben. Die vorgeschlagene Abänderung des Unterstützungs⸗ wohnsitzgesetzes beschränkt sich auf die Herabsetzung der Älters— grenze für Erwerb, und Verlust des Wohnsitzes von 24 auf 18. Jahre. Auch wir erkennen an, daß eine grundsätzliche Reform zur Zeit nicht möglich sein wird, jedenfalls wird sich die Aus⸗ dehnung des. Heimathsrechts als unthunlich erwelisen. Unter solchen Umständen sind wir mit der Herabsetzung der Altersgrenze einverstanden. Wir würden allerdings das 16. Lebensjahr noch mehr vorziehen und für das 18. nur stimmen, wenn das 16. nicht zu, erreichen ist. Wir müssen darauf sehen, daß die Jugend nicht zu früh aus dem Heimathsort wegzieht. Wir empfehlen“ diese Frage besonderer Erwägung in der niederzusetzenden Commission. Die Ver⸗ pflichtung des Armenverbandes des Dienstorts zur sechswöchigen Leistung von Kur und Verpflegung für erkrankte Dienstboten, Gesellen, Gewerbegehilfen und Lehrlinge soll auf die land- und forstwirthschaft⸗ lichen Arbeiter ausgedehnt und auf dreizehn Wochen verlängert werden. Wir werden auch für diese Bestimmung eintreten, wenn sie nicht noch weiter ausgedehnt werden kann. Auch der Abänderung des Straf⸗ gesezbuchs werden wir zustimmen, wonach nach § 161 des Straf⸗ gesetzbuchs bestraft werden soll, wer, obschon er in der Lage ist, die— senigen, zu deren Ernährung er verpflichtet ist, zu unterhalten, sich der Unterhaltpflicht trotz der Aufforderung der zuständigen Behörde derart entzieht, daß durch Vermittelung der Behörde fremde Hilfe in Anspruch genommen werden muß. Bedauerlich ist, daß die Schwierigkeit, welche das französische Armenrecht in Elsaß⸗Lothringen für das Deutsche Reich bietet, von der Novelle unberührt bleibt. Wenn wir also mit der Vorlage im allgemeinen einverstanden find, so gehen unsere Wünsche weiter; namentlich wollen wir eine Aenderung des Freizügigkeitsgesetzes dahin, daß zwar das Princip unangetastet bleibt, aber ein Einzugsgeld für zulässig erklärt wird. Eine solche Facultät kann nach meiner Meinung sehr wohl von Reichswegen für die Ge— meinden festgesetzt werden; ein solches Aequivalent muß für das platte Land wegen der Opfer, welche ihm das jetzige Gesetz auferlegt, ver⸗ langt werden. Das platte Land ist durch die socialpolitische Gesetz⸗ gebung nicht etwa in seinen Leistungen für die öffentliche Armen— pflege erleichtert, sondern stärker belastet worden. Im Jahre 1892 sind in der Propinz Brandenburg bei 2.4 Millionen Tinwohnern 12000, in Berlin bei 1,6 Millionen Einwohnern 1300 Altersrenten festgesetzt worden. Diese Zahlen beweisen schlagend die stärkere Belastung des platten Landes. Wir beantragen Commissionsberathung für die Vorlagen.
Abg. Stolle (Soc.): Die Vorlage hat weiter keine Wirlung, als daß sie die Last von einem Theil der Bevölkerung auf den an— deren, von einem Theil der Provinz auf den anderen abwälzt. Der Hauptirrthum, in dem sich die Agrarier befinden, besteht in der An— nahme, daß der Zug nach dem Westen, das Auswandern aus den Ackerbaudistrieten des Ostens in den industriellen Westen freiwillig sei. Der Arbeiter wird aus dem Osten fortgetrieben; die Lohnperhältnisse des Ostens zwingen ihn, dahin zu gehen, wo er für feiner Hände Arbeit besser bezahlt wird. Vor kurzem hat erst Herr von Putt— kamer-Plauth ausgeführt, daß er, wenn er Arbeiter gewesen wäre, längst aus dem Osten ausgewandert wäre. Im Königreich Sachsen befinden sich aus Schlesien 27 009, aus der Provinz Sachsen 60 000 Personen mehr, als don der ortsangehörigen Bebölkerung des Königreichs Sachfen an jene Provinzen abgegeben waren. Die Verschiebung nach der Vorlage wird die landlichen Distriete entlasten und die industriellen Bezirke ganz er⸗ heblich belasten. Darunter befinden sich viele Bezirke, deren Armuth notorisch ist; ich erinnere nur an die Weberdistriete im Königreich Sachsen. Sollen sie also jetzt, wo ihre Armenlast schon so hoch ist, noch höhere, Lasten aufgebürdet erhalten, während eine Reihe länd- licher Gemeinden einen Armen-Etat überhaupt nicht aufzuweifen haben? Dennoch freuen wir uns des Zugeständnisses der Vorlage, daß die wirth⸗ schaftliche Selbständigkeit nicht erst mit dem 24. Jahre beginnt, sondern daß es eine feststehende Thatsache ist, daß sie beim Arbelterstande mit dem 18. Lebensjahre in der Regel erreicht ist. Wenn das hier zugestanden wird, warum will man dann dem Arbeiter keine Rechte gewähren? Nach dieser Begründung müßte doch das Wahlrecht der Arbeiter gleichzeitig erweitert werden. Darin haben die Herren von der Rechten durchaus Recht, daß die Gemeinde auch nicht um einen Pfennig durch die Alters, und Invaliditätsversicherung entlastet worden ist. Aber jene Herren haben doch diese Gesetzgebung so gepriesen, weil sie gerade diese Entlastung herbeiführen follte! ÄUuf den Städten 66 oftmals eine Armenlast, die 10, 12, 15 η der ge⸗ sammten Ausgaben beträgt. Daraus entstammt ein großer Theil der bestehenden Unzufriedenheit. Dieser Klage abzuhelfen, daran denkt die Regierung nicht; sie hört nur die Klagen der Agrarier des preußischen Sstens und denen giebt sie bereitwillig nach. Das Nichtigste wäre, die ganze Unterstützungspflicht zu centralisiren; wenn die Gesammtheit für die Unterstützungspflicht aufzukommen hat, kann es kein Hin- und Herschieben der einzelnen Unterstützungsbedürftigen von einer Gemeinde auf die andere mehr geben; dann würde auch die Unterstützung selbst nicht mehr so dürftig und elend beschaffen sein, wie sie es thatsächlich jetzt ist.
Abg. Gamp (Rp.) bedauert, daß das nicht erreicht sei, was man eigentlich erreichen wollte, nämlich ein einheitliches Armenrecht für Deutschland, welches weder in materieller, noch in formeller Be— ziehung vorhanden sei. Es besteht der Unterschied zwischen dem Princip des Heimathrechts und des Unterstützungswohnsitzes, und es ist der Landesgesetzgebung überlassen, das Verhältniß zwischen Orts⸗ und Landarmenverband zu regeln. Es wird sehr schwierig sein, eine einheitliche Regelung herbeizuführen; deshalb muß darnach ö et werden, den bestehenden Gesetzeszustand möglicht zu ver“
essern. Mit der Herabsetzung des Alters, mit welchem ein be— sonderer Unterstützungswohnsitz erworben werden kann, ist Redner einverstanden, aber nicht mit der weiteren Bestimmung, daß die Gemeinden auch 13 Wochen lang die Arbeiter unterstützen sollen ohne Entschädigungsanspruch. Denn es werden davon hauptsächlich die ländlichen Gemeinden betroffen, welche keine Krankenkassen haben, während in Stadtgemeinden die Arbeiter für ihre Krankenversicherung selbst bezahlen müssen. Redner weist darauf hin, daß die Beschäftigungs⸗ gemeinden oft Unterstützung gewähren und sich nachher ersetzen lassen,
welche die ersatzpflichtige unterstũtzungswohnsitzgemeinde nicht ge währen würde. Nicht nur die Kosten eines Arztes, on 9 mehrerer Aerzte werden liquidirt, sodaß die Kostenrechnungen für einen, Fall oft auf mehrere Hundert Mark steigen, während in
ländlichen Unterstützungswohnsitzgemeinden die Leute kaum dazu komme überhaupt einen Arzt hinzuzuziehen. Die Entschädigungen müßten .
solchen Fällen gewährt werden nicht nach den Sätzen der städtischen Bemeinden, sondern nach den Verhältniffen der ländtichen Gemeinden Das Gesetz biete dafür wohl einen Anhalt, 5 so verfahren werden könne; aber die Judicatur habe anders entschieden. Redner tritt schließlich der Behauptung entgegen, daß die Arbeiter nur der niedrigen Löhne wegen aus dem Osten nach dem Westen gehen. Den Verhaͤst⸗ nissen entsprechend, bei freier Wohnung und billigen Lebensmitteln, bei der Einstellung einer Kuh u. s. w. steht sich eine Arbeiterfamilie im Osten viel besser als ein Industriearbelter im Westen.
Abg. von Schalscha (Centr.): Die letzten Worte sind mir
aus der Seele gesprochen. Der Abg. Bebel hat hier selbst erzählt daß die industriellen Arbeiter nur 5 , ja nur 3,50 „S6 für die Woche Lohn erhalten. Bei uns im Osten haben die Arbeiter eine schöne Wohnung, eine Scheune u. s. w.; sie erhalten 1560 Pfund Ge— treide, was 15900 Pfund Brot gleichkommt, das macht 4 Pfund Brot pre Tag oder 45 ; sie schlachten sich ein oder zwei Schweine das macht 1 Pfund Fleisch auf den Tag oder 70 ; dazu kommt noch Milch u. s. w., und der Lohn bleibt übrig, sodaß die Familie leben kann, auch wenn der Mann das Geld für sich selbst verbraucht. Warum müssen die Landgemeinden fo oft für ihre Angehörigen in den Städten bezahlen? Weil die Leute mit ihrem „hohen / städtischen Lohn nicht ausgekommen sind. Der hohe Geldlohn lockt die Leute in die Stadt; sie denken aber nicht daran, daß dieser Lohn durch die Krisen der Industrie häufigen Depressionen unterworfen ist. Durch die Freizügigkeit leiden namentlich die Landgemeinden; deshalb wäre es mir lieber, wenn statt des 18. Jahres das 156. gewählt wäre. Wenn z. B. ein junges Mädchen mit 16 Jahren in die Stadt geht als Dienstmädchen oder als Fabrikarbeiterin, so ist das für die Landgemeinde oft gefährlich. Das junge Mädchen empfindet vielleicht die Neigung zu einem anderen Berufe, z. B. zur Amme und das hat seine Confequenzen; und die Landgemeinde hat dann das Kind 24 Jahre lang zu interhalten, bis es sich einen eigenen Unterstützungswohnsitz erwerben kann. Je leichter und je früher der Unterstützungswohnsitz erworben werden kann, desto mehr wird sich die Zahl der Landarmen vermehren, und es wird geprüft, werden müssen, ob man nicht die Landarmenverbände so construiren muß, daß ein Landarmenverband für die Städte und einer für die Landgemeinden gebildet wird. . Abg. Dr. Osann (nl.) wendet sich dagegen, daß die Conservatiren ein Einzugsgeld verlangen für den Aufenthalt an einem Orte. Wer Bürger, wird, der kann wohl eher ein solches Einzugsgeld bezahlen, aber nicht jemand, der, weil in seiner Heimath keine Arbeit ist, anderswo vorübergehend Arbeit sucht. Das wäre eine zu große Be— schränkung der Freizügigkeit, die doch ein Grundrecht des Deutschen Reichs sei. Mit der Frage, wie die Armenlast getragen werden poll, haben wir uns nicht zu beschäftigen; diefe gewaltige Aufgabe können wir bei dieser Gelegenheit gar nicht löfen. Die Vorlage beschränkt sich in ihrer Tendenz auf eine Verbesserung der bestehenden Verhält nisse. Daß erst mit dem 24. Lebenssahre ein Unterstützungs⸗ wohnsitz erworben wird, habe ich nie gebilligt; ob es aber richtig ist, auf das 18. oder gar auf das 16. Lebensjahr zurückzugreifen, erscheint mir doch zweifelhaft. In diesen Jahren können sich ja die jungen Leute noch nicht einmal selbständig vermiethen; ja nach der Gewerbeordnung können sogar die Löhne der jungen Leute den Eltern, statt diesen selbst ausgezahlt werden. Man wird also wohl etwas über 18 Jahre hinausgehen müssen. Die Einführung einer kurzen Verjährungsfrist ist durchaus angemessen, weil sonst leicht der Beweis für gewährte Leistungen fortfallen könnte. Bezüglich der Fürsorge für kranke Arbeiter ist die Ausdehnung von 6 auf 13 Wochen vielleicht nicht nöthig, da die 13 Wochen nur für folche Arbeiter fest⸗ gestellt sind, welche in den Krankenkassen versichert find. Aber sonst ist die Ausdehnung auf alle Arbeiter wohl richtig. Endlich ist es sehr erfreulich, daß das Unterstützungswohnsitzgesetz in vollständiger Redaction neu veröffentlicht werden soll; es ist für die Bevölkerung sehr erfreulich, daß sie nicht mehr durch alle Novellen und Ab— änderungsgesetze umhergehetzt wird, sondern ein einheitliches Gesetz porfindet. Redner empfiehlt die Ueberweisung der Vorlage an eine Commission.
Um 3 Uhr wird ein Vertagungsantrag abgelehnt.
Abg. Stolle (Soc.) weist darauf hin, daß die Armenlasten namentlich in den Landgemeinden des Ostens sehr große sind, weil die Gutsbezirke ihre Arbeiter meist in den benachbarten Gemeinden wohnen haben, nicht im Gutsbezirke selbst. Der vorgeschlagenen Verschärfung des Strafgesetzbuchs werden meine Freunde niemals zu— stimmen, weil die Bestimmungen schon scharf genug sind. Leute, die arbeiten wollen, finden vielfach keine Arbeit; das ist weder ihnen, noch manchmal dem Fabrikanten zuzuschreiben; das liegt an den wirthschaftlichen Verhältnissen. Um hier eine ungleiche Belastung der Gemeinden zu hindern, müßte die Armenlast vom Reiche oder von den Einzelstaaten getragen werden. ⸗ .
Darauf wird um 5 Uhr die weitere Berathung bis Freitag 1 Uhr vertagt.
Preusiischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
Ueber die gestrige Sitzung ist bereits in der Nummer vom Donnerstag berichtet worden. Wir tragen hier nur noch die von dem Präsidenten des Staats-Ministeriums, Minister des Innern Grafen zu Eulenburg bei der dritten Berathung des Gesetzentwurfs über die Abänderung des Wahl— verfahrens gehaltene Rede im Wortlaut nach.
Präsident des Staats-Ministeriums, Minister des Innern Graf zu Eulenburg:
Meine Herren! Eine Aeußerung des letzten Herrn Vorredners nöthigt mich, zur Aufklärung der Stellung der Regierung noch einige Worte zu sagen.
Der Herr Abg. Freiherr von Zedlitz hat im Eingange seiner Rede gemeint, ich hätte gesagt, daß die Beschlüsse, welche in Abänderung der Regierungsporlage gefaßt wurden, eine Verbesserung der Vorlage darstellten und wesentlich dazu beitrügen, das Dreiklassenwahlsystem zu festigen. Ich bitte um die Erlaubniß, einen kurzen Satz zu verlesen, der ihn darüber aufklären wird, daß ich das nicht gesagt habe. Der Schluß meiner Aeußerung vom 14. d. M, nachdem ich vorher gesagt hatte, daß man im allgemeinen auf dem Boden des geltenden Wahlrechts stehen bleiben wolle und es sich um Reparaturen handele, lautet folgendermaßen:
Es kommt nur darauf an, daß die Reparaturen so gemacht werden, daß das Gebäude nicht verunstaltet, sondern in seiner Stand festigkeit gestärkt wird. In diesem Sinne bitte ich Sie, meine Herren, Ihre Beschlüsse zu fassen.
Das schloß sich an die vorangegangene Erklärung an, daß ich bei weitem den Vorschriften der Regierungsvorlage den Vorzug geben müsse, und das ist auch heute noch so. Ich halte den zweiten Absatz des § 1, welcher die Herabsetzung gewisser Steuerbeträge auf den Maximalsatz von 2000 M anordnet, für keine Verbesserung und würde empfehlen, an dieser Bestimmung nicht festzuzalten (hört! links), vielmehr bei der Regierungsvorlage in dieser Beziehung stehen zu bleiben.
Ich weiche ab von dem Herrn Freiherrn von Zedlitz darin, daß ich es bestimmt für förderlich und nützlich halte, bei der Einsetzung von 3 M½ für die steuerfreien Wähler stehen zu bleiben, mit Rück⸗ sicht auf die historische Entwickelung, aus der diese Bestimmung hervorgegangen ist, und aus den vielfach entwickelten anderen Gründen. Dies, meine Herren, zur Wahrung meines Standpunktes, den ich weder in der Commission, noch hier im Hause verleugnet oder ver—
hehlt habe.
Nun hat der Herr Abg. Rickert die Frage an mich gerichtet, warum ich nicht gleichzeitig mit diesem Gesetz vorlegte ein Gesetz über die Abänderung der Wahlbezirke für das Haus der Abgeordneten. Ich will im Vorübergehen daran erinnern, daß der Gang unserer Ge⸗ setzgebung sich dahin gestaltet hat, daß wir diese beiden Fragen gesondert behandeln: einmal das Wahlrecht und das andere Mal die Frage der Wahlbezirke. Das würde natürlich kein absolut hindernder Grund sein, die Sache jetzt anders zu machen; aber, meine Herren, ich bitte Sie, sich daran zu erinnern, daß wir im vorigen Jahre hier eine eingehende Debatte über diese Frage gehabt haben, und daß dabei die Gründe ausführlich entwickelt worden sind, welche es nicht angezeigt er⸗ scheinen lassen, jetzt an eine Aenderung der Wahlbezirke heranzutreten. Und wenn der Herr Abgeordnete im Verlaufe seiner Rede neben anderen Autoritäten, auf die er sich berufen hat, immer wieder meinen Herrn Amtsvorgänger mir gegenüber ins Feld geführt hat, dann bitte ich ihn, auch in dieser Beziehung dessen Meinung gelten zu lassen, welcher damals, und wie ich glaube, mit überzeugenden Gründen nachgewiesen hat, warum es nicht angezeigt und rathsam wäre, jetzt eine Aenderung der Wahlbezirke in Angriff zu nehmen.
Unter den vielen Autoritäten, auf die der Herr Abgeordnete sich berufen hat, ist eine für mich von ganz besonderem Gewicht; es ist ein Ausspruch des hochseligen Königs Friedrich Wilhelm 1II. Ich bin nicht gewohnt und auch nicht geneigt, dergleichen Aussprüche von Allerhöchster Stelle zu kritisiren; nachdem sie aber hier angeführt worden sind, muß ich doch auf zweierlei aufmerksam machen: zunächst, daß diese Aeußerung zwei Menschenalter zurückliegt, und zweitens, daß sie gemacht war in Bezug auf Wahlen, welche mit den allgemeinen gleichen directen Wahlen nichts von Aehnlichkeit hatten, und daß all die Erfahrungen, die seitdem in dieser Beziehung gemacht worden sind, damals noch nicht vorlagen.
Meine Herren, die Regierung und, wie es sich ja gezeigt hat, die große Mehrheit dieses Hauses ist der Meinung, daß es ein Irrthum ist, in dem geheimen allgemeinen Wahlrecht einen Schutz der Stimmabgabe zu erblicken. (Hört, hört! rechts) Auf die Gründe werde ich mich nicht nochmals einlassen; aber unterschieben werde ich mir unter keinen Umständen lassen, daß wir das geheime Wahlrecht nicht wollen, weil wir nicht wollen den Schutz des Stimmrechts. Wir sind der Meinung, daß im Laufe der Zeit sich die freie Stimm— abgabe unter dem Schutze der Oeffentlichkeit besser und sicherer entwickeln wird, als bei der geheimen Abstimmung. (Bravo! rechts.)
Im übrigen, meine Herren, ist viel gesprochen worden pon der Logik und Berechtigung dieses oder jenes Wahlrechts. Weit ent— fernt, auf eine weitläufige Erörterung über den größeren oder gerin⸗ geren Werth verschiedener Wahlsysteme eingehen zu wollen — jetzt in der dritten Lesung —, will ich doch das eine hervorheben: Die Logik unseres gegenwärtigen gesetzgeberischen Vorgehens liegt klar und deutlich vor Aller Augen; es ist das Festhalten an dem bei uns geltenden Wahlsystem mit dem Bestreben, gewisse Auswüchse, welche sich an demselben - gezeigt haben, zu verbessern und abzustellen und auf diese Weise, wie ich wiederhole, seine Standfestigkeit zu sichern. Nun halte ich es in der That nicht für opportun, wenn man über die eine oder die andere dieser Correcturen verschiedener Meinung ist, gleich mit dem schweren Geschütz in den Kampf einzutreten, das sei ganz unmöglich, das führe lediglich zu einem Parteigesetz, und dadurch die ganze Sache in Frage zu stellen. Meine Herren, das sind gegen⸗ über dem Ziel, das wir verfolgen, untergeordnete Zweckmäßigkeits⸗ fragen, und ich bedauere, wenn sie nach der einen oder anderen Richtung eine Gestaltung angenommen haben, welche sich mit dem Prineip des Gesetzes nur schwer vereinigen läßt. Aber das muß ich doch sagen und das habe ich auch schon früher hervorgehoben: im praktischen Erfolge sind die Wirkungen dieser Bestimmungen nicht bedeutend. Ich muß in dieser Beziehung gegenüber von dem, was der Herr Abg. von Zedlitz angeführt hat, noch auf Eins hin⸗ weisen, damit der Eindruck nicht ein unrichtiger wird. Er hat gesagt, die Vorschläge, die angenommen seien zur Abänderung der Regierungsvorlage, seien besonders ver⸗ derblich für die Gemeindewahlen. Ich muß darauf auf— merksam machen, daß das, was eigentlich seinen Hauptanstoß bildet, nämlich die Abtheilunge bildung, nicht nach der ganzen Gemeinde, sondern nach Urwahlbezirken, in der Gemeinde nicht zur Geltung kommt, ebenso wenig die Einsetzung von 3 S Steuern überall, wo der Census gilt. Also es bleibt lediglich übrig die Maximirung auf 2000 M Nun habe ich ja selbst gesagt, daß ich in dieser Beziehung Bedenken habe, und will ihm gar nicht verdenlen, wenn ihm jene Bestimmung nicht angenehm ist. Aber zu behaupten, daß dies in dem einen Theile des Staats eine ganz andere Wirkung habe, als in dem anderen, und im Interesse einer bestimmten Partei wirken werde, dafür fehlen die Beweise. Ich möchte nun noch, um nachher nicht noch einmal sprechen zu müssen, Herrn von Zedlitz auf einen Punkt aufmerksam machen. Wenn er das Bouquet seiner Anträge vervollständigen wollte, so hätte er noch eins thun müssen, er hätte nämlich beantragen müssen den Fortfall des früheren F 1b, welcher in der Zusammenstellung der Beschlüsse zweiter Lesung jetzt als 52 figurirt; denn von dessen Anwendung kann keine Rede sein, wenn die fingirten 3 beseitigt werden. Dem mag aber sein, wie ihm wolle, meine Herren, ich bitte Sie, wie ich schon bisher gethan habe, stellen Sie die Regierungsporlage wieder her, und können Sie sich dazu nicht einigen, dann verbittern Sie sich nicht über die einzelnen Bestimmungen, ob so oder so, — in der Hauptsache bleibt die Sache auf dem gleichen Wege: es handelt sich um Reparaturen unseres Wahlgesetzes, das wir beibehalten wollen. (Bravo! rechts.)
ö
Statistik und Volkswirthschaft.
; Die deutsche überseeische Auswanderung
über deutsche Häfen, Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam stellte
ich nach den 9 des Kaiserlichen Statistischen Amts im
. 1893 und im gleichen Zeitraum des Vorjahres folgender⸗ n:
Es wurden befördert im Februar über 1892 De 2622 k 1336 andere deutsche Häfen (Stettin) 80 deutsche Häfen zusammen .. 2 4038 Hun e nn,, 883 , 172 win m,, 57 Ueberhaupt . . 2655 5150 Aus deutschen Häfen wurden im Februar d. J. neben den vorgenannten 26546 deutschen Auswanderern noch 2435 An gehörige fremder Stagten befördert. Davon gingen über Bremen 1457, Hamburg 978, Stettin —.
Zur Arbeiterbewegung.
Wie der ‚Köln. Ztg. aus Saarlouis gemeldet wird ist der Vorsitzende des bergmännischen Rechtsschutzbereins im Saar⸗ repier Warten gestern wegen Aufreizung wieder verhaftet worden. .
Aus Elberfeld wird der Berliner „Volksztg. geschrieben, daß die dortigen Weber eine Lohnbewegung vorbereiten. Zum 15. d. M. ist eine beschließende Versammlung der Textil-Arbeiter und Arbeiterinnen einberufen worden.
In Leipzig wählte am Mittwoch eine Versammlung der Tischlergehilfen einen Vertreter für den Holzarbeiter⸗ congreß, der im April in Cassel tagen und sich vornehmlich mit der Organisationsftage beschäftigen wird. Der Vertreter Leipzigs wurde, wie die „Lpz. Itg.“ mittheilt, angewiesen, der Bildung von Fartellverbänden zuzustimmen. Der Strikefonds ist nach der vorge— legten Abrechnung auf 55 6 zusammengeschmolzen. — Eine Ver— sammlung der Zimmerer beschloß an demselben Tage die Gründung eines Unterstützungsfonds.
Hier in Berlin erklären die Berliner Kistenmacher im „Vor⸗ wärts“ den Ausstand in der Kistenfabrik von Werner und Jacobi als zu Ungunsten der Arbeiter beendet, da sich für die Aus— ständigen Ersatz gefunden hat. (Vergl. Nr. 62 d. Bl.)
Aus London berichtet ein Wolff'sches Telegramm zur Lohn— bewegung unter den! Baumwollindustriearbeitern in Lancashire: Die Spinnerei⸗Arbeiter in Lancashire willigten in eine Herabsetzung der Löhne um 23 0½ ͤ unter der Voraussetzung, daß Nichtunionisten nicht beschäftigt würden.
Aus Namur wird der „Köln. Ztg.“ telegraphirt: Auf der Zeche Hasard in Tamines verweigerten 156 Bergleute wegen Lohnherabsetzung die Einfahrt; 300 weitere Arbeiter sind dadurch ge— zwungen, zu feiern, 200 sind noch beschäftigt.
Kunst und Wissenschaft.
4h Die Gesellschaft deutscher Aquarellisten, bestehend aus N. Bantzer, Hans von Bartels, Ludwig Dettmann, Nax Fritz, Hans Herrmann, Arthur Kampf, Franz Skar bing und Friedrich Stahl, hat am 6. März im Kunst— salon von Amsler und Ruthardt ihre zweite Ausstelkun 9 eröffnet. Sehr vortheilhaft ist Hans Herrmann hier vertreten, dessen Eigenart die Wasserfarbentechnik zweifellos besser zusagt als die DOelmalerei. Von köstlicher Frische ist z. B. die kleine holländische Dorfstraßenscene: zwei Bauernkinder in der kleidsam sauberen Nationaltracht im Schatten alter Laubbäume einhertrippelnd, in deren Geäst warmes Sonnenlicht spielt, ein Meisterstück feiner Farben— wahl und klarer Haltung. Die übrigen holländischen Veduten zeichnen sich ebenfalls durch kraftvolle Farbengebung aus, während in der An— sicht des neuen Reichstagsgebäudes die Wirkung blendenden Sonnen— lichts mit großem Geschick wiedergegeben ist. Das „Regenwetter“ ge⸗ nannte Bildchen fesselt durch die schalkhafte Anmuth des Motivs — Kücken flüchten vor den ersten Tropfen des Gewitterregens unter die zum Trocknen aufgestellten Milchgefäße — und durch die Sauber keit der Durchführung. Daß Hermann aber auch in breiter kecker Pinselführung unter Ümständen das geeignete Ausdrucksmittel sucht und findet, beweist die farbige Lagunenansicht von Chioggia. Franz Skarbina, der unermüdlich schaffende, hat auch hier 'eine stattliche Anzahl neuer Arbeiten ausgestellt, zum theil hervorragende Leistungen, wie die fein abgestimmte enge Straße Alt Hamburgs mit ihrer luftigen Tiefe, zwischen deren hohen Häusermassen nur ein schmaler Streifen Sonnenlicht hinabdringt, oder die daͤmmerige Ansicht der Potsdamerbrücke im, Abendschein, voll Stimmung und treffsicherer Beob— achtung, und schließlich die Hamburger, Matrosenschenke“ mit ihren finster dreinblickenden Gästen. Auch Arthur Kampf, der Düsseldorfer Ge— schichtsmaler, verschmäht das Studium der alltäglichen Umgebung nicht; wie bei Schulte finden wir auch in dieser Ausstellung eine Reihe sehr lebendiger moderner Augenblickebilder, mit derber aber fester Vinsel⸗ führung und sicherem Blick für das Charakteristische hingemalt: Eine Gesellschaft, die aus der geöffneten Balcoathür des hellerleuchteten Salons in die laue Sommernacht hinausblickt, eine Balleteufe, die an der Rampe des Podiums ihre Benefizgaben in Empfang nimmt, eine alte Wärterin, die mit stummer Ergriffenheit an der Thür den, Worten lauscht, die der Pfarrer am Sarge ihres Schützlings spricht, und Passanten, die vom Uferquai mit Theilnahme und Besorgniß auf eine vom Schleppdampfer aus dem Hafen gezogene Schaluppe blicken, von deren Mast die unheil— verkündende gelbe Choleraflagge weht, durchweg fesselnde Bilder, deren coloristische Haltung nur ein wenig durch die gar zu harte und unvermittelte Farhenstellung beeinträchtigt wird. Im Gegensatz zu dieser Bestimmtheit im Vortrag zieht Friedrich Stahl in selnen Parkansichten aus Schwetzingen mit Empirestaffage alleö ins Ver— Aassene, Verschwommene, sodaß seine Bilder den Stempel fader Eleganz ohne Eharakter tragen. Daß Feinheit der Lichtführung sich mit klarer Haltung sehr wohl vereinigen läßt, beweist das sehr stimmungsvolle holländische Küchenintericur von Ma x Fritz. Auch Hans von Bartels zeichnet sicher und bestimmt; sein Bestes giebt er in dem holländischen Küstenbild, in dessen Vordergrund wir eine Frau mit ihrem Fischkorb erblicken, während der Hintergrund Bartels Meisterschaft in der Wiedergabe von Meer und Wolken be— kundet. Ehrliches Streben nach schlichter Natürlichkeit zeigt Noah Bantzer in dem Bildniß seiner Mutter. Louis Dettmann schließlich excellirt in der Lösung schwieriger Farbprobleme, wie in dem duftigen Bilde der Baumblüthe in Werder und einer breitgemalten Viehweide bei Sonnenuntergang.
„ Für die diesjährige Berliner Kunstausstellung war eine Plakateongurrenz ausgeschrieben, an der ich 23 Künstler mit 26 Entwürfen betheiligt haben. Am Mittwoch Abend hat die Aus— stellungscommission unter Vorsitz von Professor Karl Becker die Ent⸗ scheidung getroffen. Der erste Preis in Höhe von 1000 ½ wurde, wie die „N. A. Itg.“ erfährt, dem Maler Professor Ernst Hilde brand zuerkannt. Der Entwurf, den der Künstler infolge einer Er—⸗ krankung an Influenza nicht völlig durchführen konnte, soll von ihm noch einer Umarbeitung unterworfen werden und ist für den ertheilten Preis zur Reproduction fertig zu stellen. Der Entwurf zeigt eine Ideal⸗ sigur der Kunst, die in der hochgestreckten Rechten den verheißenden Lorbeer trägt; daneben hat ein schwebender Adler das entrollte Banner der Ausstellung in den Krallen; in der Tiefe schimmern die“ Thürme und Kuppeln von Berlin, insbesondere Schloßkapelle und Nathhausthurm hervor. Als zweiter Sieger ist der Maler und Zeichner Rudi Rother aus dem Wettbewerb hervorgegangen; er erhält einen Preiß von 200 ,
— Ein Bauergutsbesitzer in Giersdorf, Kreis Haynau, fand nach , der „Schl. 3.“ beim Abbruch einer alten Scheune eine Anzahl Silbermünz (n aus dem I6. und 17. Jahr⸗ hundert, darunter gegen zwanzig Speciesthaler aus Braunschweig, Nymwegen u. a. O. Unter den kleineren Münzen, deren etwa achtzig vorhanden waren, befinden sich sogenannte Weißgroschen aus Prag von Wallenstein und verschiedene Landesmünzen.
=, Die Deutsche Shakesfpeare-Gefellschaft wird, wie alljährlich, am 23. April, die Goethe- Gesellfchaßft in der Woche nach Pfingsten ihre Jahre versammlung in Weimar abhallen.
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. und Forstwirthschaft. .
Aus Malmö, 16. März, wird gemeldet: Vom 5. April d. J. ab werden hier am ersten Mittwoch eines jeden Monats Vieh⸗ märkte stattfinden. Eine besondere Mittheilung hierüber foll an die interessirten ausländischen Viehhändler ergehen. Zum Transport des Viehs nach Deutschland werden zweckmäßig eingerichtete Dampfer bereit gehalten; ferner ist die Direction der Staatsbahn um Fracht⸗ ermäßigung und um die Einrichtung durchgehender Züge erfucht worden.
Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungẽ⸗ Maßregeln.
Cholera. Paris, 16. März. Aus L' Orient wird gemeldet, daß da⸗ selbst in den letzten acht Tagen fechs verdächtige Todesfälle vorgekom— men seien. Heute seien vier Erkrankungen bekannt geworden.
Norwegen.
Die Königlich norweglsche Regierung hat die Einfuhr von Lumpen und Lappen aus Deutschland erlaubt, wenn dieselben von einem Konsulats⸗Attest begleitet werden, welches bescheinigt, daß sie aus cholerafreien Orten stammen oder vor der Verschiffung desinficirt sind, oder wenn dieselben sofort nach der Ankunft in Norwegen unter amtlicher Controle desinficirt werden.
Das Journal „Sydsvenska Dagbladet Snällpostenꝰ in Malmö hebt hervor, daß seit dem 19. Januar kein Fall von aphthöser Krank⸗ heit unter dem Vieh in Schweden vorgekommen sei und fordert die Behörden auf, schleunig Maßregeln zu ergreifen, um einer Ein⸗ schleypung der Viehseuche vorzubeugen. Geschehe dies nicht, so bestehe die Gefahr, daß sich der deutsche Markt für Vieh aus Schweden schließen könnte.
Handel und Gewerbe.
Tägliche Wagengestellung für Kohlen und Koks an der Ruhr und in Oberschlesien. An der Ruhr sind am 16. d. M. gestellt 10 851, nicht rechtzeitig gestellt keine Wagen. In Qberschlesien sind am 15. d. M. gestellt 2730, nicht recht⸗ zeitig gestellt keine Wagen.
— Infolge lebhafter Nachfrage und umfangreicher Aufträge im Feinblechgeschäft sind, wie die „Rhein. westf. Itg.“ berichtet, die Preise für Feinbleche bon 114—115 auf 120 6 und höher die Tonne heraufgesetzt.
— In der Generalversammlung der Actionäre der R heinischen Hypothekenbank in Mannheim vom 15. d. M. wurde nach dem Vorschlage der Verwaltung die Vertheilung einer sofort zahl⸗ baren Dividende von 8 (o — 37,20 S für die Actie beschlossen.
— Die Generalversammlung der Pfälzischen Hypotheken- bank genehmigte die Vorschläge des Aufsichtsraths einstimmig. Es kommt somit für das Jahr 1892 eine Dioidende vor 66 00 mit 3, 92 M für jede Actie zur Auszahlung. Gleichzeitig wurde beschlossen, das Aetien kapital der Bank um 1 600 069 „½ durch die Begebung von 1000 Stück zum 1. Mai d. J. voll einzuzahlender Actlen zu 10090 „ zu erhöhen. Die neuen Actien nehmen an dem Geschäffs— gewinn des Jahres 1893 für acht Monate theil. Der Begebungs⸗ urs der neuen Actien ist auf 1221 , 4 270,09 für Reichsstempel, bayerische Staatsgebühr, Actienanfertigungskoften ze. festgesetzt worden. Den Inhabern von Actien der Bank ist für die Zeit vom 196. März bis 1. April d. J. ein Bezugsrecht auf die neuen Actien gewährt.
Magdeburg, 16. März. (W. T. B. Zuckerbericht. Kornzucker excl., von 92 ½υ 15, 90, Kornzucker exel., 88 0 / Rendement 15,10, Nachproducte exel.,, 750 / Rendement 1235. Ruhig. Brod⸗ raffinade J. 28, 009). Brodraffinade 1. — —. Gem. Raffinade mit Faß 28,26. Gem. Melis J. mit Faß 26.75. Stetig. Rohzucker J. Produet Transito f. a. B. pr. März 14,40 bez., 14,45 Br., pr. pr. Mai 14,60 bez., I ö Stetig.
t irz. ö Kammzug⸗Te handel. La Plata Grundmuster B. per März 3,821 April 3,826 M, per Mai 3, 8.5 S, per Juni 390 S, 3,92 „6, per August 3, 925 S, per September 3.55 46, 3, 977 MS, per November 4,06 A, per Dezember 4. 00 , pe per Februar —. Umsatz 65 006 Kg.
Wien, 16. März. (W. T. B.) Die Unionbank me kannt, daß 90 ½ sämmtlicher galizischen Grundentlastun Obligationen zur Convertirung in 109 galizische Kro Anleihe angemeldet seien. Baarzeichnungen seien in folcher Söhe ar gemeldet, daß kaum eine zweiprocentige uth ig auf Baar⸗ subseriptionen erfolgen könne.
London, 16. März. (W. T. B.) In der heutigen Wochen⸗ versammlung des Verwaltungsraths der Bank von En gland theilte der Gouverneur mit, daß die große Majorität der Liguidations Garanten der Baring. Masse der Verlängerung der Garanti auf ein Jahr für ein Viertel der ursprünglich festgesetzten Summe zr gestimmt habe und daß die Garanten eventuell der Garantie Verlãnge rung auf ein weiteres Jahr zustimmen würden.
London, 16. März. (W. T. B.) An der Küste J Weizen⸗ ladung angeboten.
96 90 Javazucker
do. good middling 5i iz, do. middling do. good fair e, Ceara fair S3 i brown fair 5e. do. do. good fair 53 rough good fair 6è / is, do. do. goo rough fair 5H, do. do. good fair 5 smooth fair 5E, do. do. good fair do. fine 55, Dhollerah good 476, Oomra good 4, do. fully goo good 49, Bengal fully good 43, do. fine
Bradford, 16. März. (W. T. B.) Markt belebt.
Tendenz zu Gunsten der Abgeber. Garne anziehend, Mohgirgarne. Stoffe geschäftslos.
Madrid, 16. März. Die heutige Generalversammlung der Madrider Allgemeinen Elektriꝑeitätsgefeltfchaft beschloß die Vertheilung einer Jahresdividende von 656. Der Betriebs- gewinn beträgt 509 891 Pesetas, gleich 1232 0 des Actienkapitals; die Zahl der installirten Lampen ist während des Jahres 1892 von 13 000 auf 35 000 gewachsen.
Lissabon, 17. März. (W. T. B) Na popular‘ verlautet, daß man beabsichtigt, die Coupons de und äußeren Schuld gleichmäßig zu behandeln und mit 50 Nominalwerths in Papier zur Auszahlung zu bringen.
Antwerpen, 16. März. (W. T. B) Wollaue tion. Angeboten waren 16,2 Ballen La Plata, 1072 Bassen Äustralische. Verkauft wurden 884 Ballen La Plata, 809 Ballen Australische. Tendenz fit.
Amsterdam 16. März. (W. T. B) Java · Kaffee goed ordingry baz. — Baneazinn 5373.
Konstantinopel, 16. März. (W. T. B) Die Betriebe einnahmen der Anatolischen Eisen bahn betrugen im Januar d. J. 3365 220 65 Fr. oder 580 82 Fr. per Rilemeter; die Wtriebg. ausgaben stellten sich für denselben Monat auf 135 377 26 Fr. oder 234,56 Fr. per Kilometer.
New⸗Pork, 16. März. (W. T. B) Die Börse eröffnete mit niedrigeren Cursen, erholte sich Mwäter und schloß stetig. Der Umsatz der Actien betrug B37 000 Stück. Der Silberderrath wird auf 490 000 Unzen geschätzt. Die Silberver käufe betrugen 15 000 Unzen.