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erst 3 an den Berathungen sich betheiligen können; das Haus wisse ja wohl, warum. Er bedauere das um so mehr, als er bei der Debatte über den Jukunftsstagt dem Abg. Bebel gern entgegnet haben würde. (Vice⸗Präsident Graf Ballestrem verweist den Redner auf den Berathungẽgegenstand.) Unzweifelhaft müsse für die Invaliden mehr geschehen als bisher.
Abg. Dr. Osa nn (ll) bestreitet dem Abg. Richter das Recht, sich als den Urheber der vorgeschlagenen Verbesserungen hinzustellen; die Anregung dazu sei von dem ganzen Hause ausgegangen.
Abg. Richter (fr): Der Vorwurf des Selbstlobens ist ganz.
ungerechtfertigt; ich habe mich nur gegen Abg. von Liebermann zu vertheidigen gehabt. In dieser Abwehr habe ich nur hervorgehoben, daß ich den ersten praktischen Antrag in der Sache gestellt. Der Abg. Ahlwardt kennt die Einrichtung des Invalidenfonds nicht, denn dieser hört keineswegs mit dem Tode des letzten Invaliden auf. Er ist so hoch dotirt worden, wie die Regierung es verlangte. Die Ein- führung einer progressiwen Einkommensteuer ist nicht mehr nöthig, wir besitzen sie bereits in Preußen. Vielleicht steigern wir, wenn der Abg. Ablwardt bei seinen Gönnern im Herrenhause seinen Einfluß geltend macht, die Progression noch mehr.
Abg. Ablwardt (b. k. F.): Der Invalidenfonds ist so dotirt, daß er, wenn der letzte Invalide stirbt, nicht so hoch ist, als im Anfang. Es ist der reine Unsinn gewesen, das Gesetz so zu machen, wie es gemacht ist. Mit den Zinsen hätte das Kapital des Fonds jetzt fast 1 Milliarde betragen. Wenn der Invalidenfonds s. 3. um so und so viel Millionen Mark erhöht worden wäre, dann hätten die Zinsen ausgereicht, um den Invaliden zu gewähren, was sie zu bekommen hatten. Wenn nun die Invaliden ausstarben, so hätte
diesen Zinsen die Pensionen für andere erhöhen oder
als Staatskapital aufsparen und daraus die Aus—
die Soeialreformen bestreiten können, die nun einmal endig geworden sind. Statt dessen hat man das Kapital allmählich sich aufzehren lassen. Alles das geschah hinter den
Ceulissen nach Verhandlungen mit den großen Börsenjuden. Wenn Sie. erwägen, wie wir damals den Grund zu einem großen Nationalvermögen legen konnten (fortdauernde große Unruhe und Lachen links) .. . Das ist ein ganz widerwärtiges Lachen, das wird Ihnen aber vergehen. Hinter dem Lachen verbergen sich ernste Ge— sichter. Das sind nur die Vorgefühle der Beschneidungsschmerzen ... (Großer Lärm links; Rufe links: Gemeinheit! Der Redner spricht fort, obwohl ihn der Präsident wiederholt mit der Glocke unterbricht; Präsident von Levetzow: Wollen Sie schweigen oder nicht? Ich will Ihnen den eben von Ihnen gebrauchten Ausdruck als ungehörig verweisen und Sie zur Ordnung rufen!) Ich weiß, daß ich diesen Ordnungsruf verdient habe; aber ich war zu dieser Bemerkung gezwungen. Denn wenn man bei jedem Wort von jener Seite dort mit solchem widerwärtigen Lachen unterbrochen wird, so muß man sich zu sichern suchen. Das will ich zu meiner Ent— schuldigung sagen. Mein Ausdruck war gewiß nicht parlamentarisch; aber wenn man in ruhiger Weise spricht und nicht verletzend wird, so muß man einen solchen Ausdruck gebrauchen. Der Abg. Richter hat gesagt, daß meine hohen Gönner im Herrenhause sich ja nicht einmal zu 40½ Einkommensteuer hätten verstehen wollen. Ich bedauere, daß ich irgendwelche hohen Gönner weder im Herrenhause noch sonst wo habe. Ein Mann wie ich hat Gönner am wenigsten im Herrenhause. Ich habe auch nicht die Absicht, mir Gönner zu verschaffen. Es ist allerdings mein Bestreben, eine progressive Steuer anderer Art herbei⸗ zuführen, wie diejenige ist, die wir jetzt haben. (Präsident von Leve tzow: Ich muß Sie bitten, bei der Sache zu bleiben!) Ich habe nur auf eine Bemerkung des Abg. Richter geantwortet. (Präsident von Levetzow: Dazu habe ich Ihnen auch Gelegenheit geboten, aber jetzt darf ich Sie bitten, zur Sache zurückzukehren.! Dann verzichte ich jetzt aufs Wort.
Abg. Richter (dfr.): Es ist schwer, auf die krausen Worte des Abg. Ahlwardt etwas ju erwidern. Hätte man den Invassdenfonds aus der Kriegsentschädigung auf etwa 4 bis 500 Millionen höher be— messen, sodaß die Zinsen für alle Zeiten von Anfang an schon aus— gereicht hätten, um die Pensionen zu decken, dann würde man diefe 200 Millionen zu andeten Zwecken nicht haben verwenden können. Man hätte also mehr Steuern erheben oder mehr Anleihen aufnehmen müssen. In beiden Fällen hätte das Reich größere Lasten tragen müssen, und hätte man mehr Anleihen aufgenommen, würden größere Zinsausgaben des Reichs entstanden sein; während es nach der Dar— legung des Abg. Ahlwardt scheinen könnte, als ob man im Reich in der Lage gewesen wäre, aus der Luft Hunderte von Millionen zu greifen. Dies zur Probe für die wirthschaftlichen Kenntnisse des Abg. Ahlwardt. An das Lachen auf allen Seiten des Haufes wird er sich noch mehr gewöhnen müssen, als es bisher der Fall war.
Abg. Ahlwardt (b. k. F.): Das Lachen stammte bisher immer nur von der linken Seite, an das Lachen von der andern Seite würde ich mich allerdings erst noch gewöhnen müssen. Der Einwurf des Abg. Richter ist mehr wie kindlicher Art. Es wären nicht 4 bis 500 Millionen, sondern nur etwa 200 bis 250 Millionen mehr erforder— lich gewesen. Wäre diese Summe dazu gekommen, dann hätten wir das gesammte Kapital erhalten, während jetzt das Kapital im Auf— gehen begriffen ist und zum größten Theil aufgezehrt sein wird, wenn der letzte Invalide gestorben ist. Es war allein der Zweck, den Staat nicht in die Lage zu bringen, selbst einmal über ein großes Kapital zu verfügen, um große Unternehmungen ohne Einmischung der Börse ausführen zu können. Das war der Zweck, weshalb der Invaliden— fonds nicht so, sondern anders gegründet worden ist.
Abg. Richter (dfr): Die Börse hatte absolut kein Interesse an der Gründung des Invalidenfonds weder auf die eine, noch auf die andere Art. Der Abg. Ahlwardt möge doch nachweisen, worin dies Interesse der Börse bestanden hat, wenn ihm überhaupt die Ent— stehung des Invalidenfonds bekannt ist, was ich bezweifle. Wenn mehr Gelder in den Invpalidenfonds gelegt wären, hätten die Einzelstaaten weniger Geld aus der Kriegsentschädigung bekommen und hätten weniger Schulden tilgen können, wie es z. B. in Preußen der Fall gewesen ist. Dann wäre allerdings auf der einen Seite ein größeres Kapital vorhanden gewesen, auf der anderen aber eine größere Schuld. Das ist in der Sache genau dasselbe.
Damit schließt die erste Lesung. Die Vorlage geht an die Budgetcommission.
Ohne Dehatte wird der Gesetzentwurf, betreffend die An— wendung der für die Einfuhr nach Deutschland vertragsmäßig bestehenden Zollbefretungen und Zöollermä ßigungen ,, Rumänien und Spanien, in erster und zweiter
erathung erledigt. Die Vorlage wird unverändert an— genommen.
Es folgt die Berathung von Petitionen.
. Die Petitionen, betreffend die Abänderung der Mi— litär⸗Strafprozeßordnung, werden dem Reichskanzler zur Kenntnißnahme überwiesen.
Die . , betreffend Abänderung des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz, werden der Commission überwiesen, welche gestern für die Novelle zu dem genannten Gesetz ein⸗ gesetzt worden ist.
Ueber die Petition, betreffend Herstellung einer Verbin— dungsbahn zwischen dem Bahnhof Bischweiler unb der Station Oberhofen, wird zur Tagesordnung übergegangen.
Die Petition, betreffend die Erhöhung des gels auf fertige
Korke und Korkwürfel, soll dem Reichskanzler Hr Kenntniß⸗
nahme überwiesen werden. Das Haus beschließt dem emäß nach kurzen Bemerkungen der Abgg. Broemel und on gen ß
Ueber die eingegangenen Petitionen, betreffend das Alterg⸗ und Invaliditätsversicherungsgesetz, soll zur Tagesordnung übergegangen werden, . *. auf Aufhebung des Gesetzes und Erhöhung des Reichsbeitrags sich beziehen; die gemachten Abänderungsvorschläge aber sollen dem Reichskanzler zur Er⸗ wägung überwiesen werden.
Abg. Hahn (deons) ist für den Commissionevorschlag, während der ö .
Abg. Dr. Barth (dfr) lieber gesehen hätte, daß die große Petition aus Nürnberg der Regierung zur Erwägung überwiesen worden wäre. . = 31 ö
Ueber die Petition des Gerichts⸗Secretärs Becker um Ver⸗
setzung der Stadt Wandsbeck in eine höhere Servisklasse wird zur Tagesordnung übergegangen. Schluß 51“ Uhr.
Preußischer Landtag. Herrenhaus.
4. Sitzung vom 18. März.
Ueber den Beginn der Sitzung ist in der Nummer vom Sonnabend berichtet worden. Im weiteren Verlaufe der Be⸗ rathung über den Gesetzentwurf über den Vorsitz im Kirchenvorstand der katholischen Kirchengemeinden im Geltungsbereich des rheinischen Rechts nahm nach dem Freiherrn von Schorlemer-Alst, dessen Rede bereits mitgetheilt worden ist, das Wort
Minister der geistlichen 2ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse:
Nach den eingehenden und lichtvollen Darlegungen Ihres Herrn Berichterstatters, meine hochverehrten Herren, und dem, was die beiden Herren Vorredner ausgeführt haben, wird es für mich kaum nöthig sein, auf die materielle Seite des Entwurfs hier noch einmal einzu— gehen. Die Sache ist hier so ausgiebig klargelegt, daß das, wie ich glaube, wohl erübrigt. Weshalb ich mir das Wort erbeten hatte, ist lediglich das Bedürfniß, mit zwei Worten hier die Stellung der Königlichen Staatsregierung zu dem ganzen Bestreben, aus dem der Gesetzentwurf hervorgegangen ist, darzulegen. Es ist vollkommen richtig, was der Herr Referent ausgeführt hat, daß ursprünglich der Gedanke, der jetzt in diesem Entwurf zum Ausdruck kommt, auch der der Königlichen Staatsregierung bei der Einbringung des Gesetzes von 1875 gewesen ist. Nichts destoweniger muß ich, nachdem später bei der Novelle diese Ausnahme für die Rheinprovinz beschlossen worden war, zugeben, daß die Staatsregierung ihrerseits kein erhebliches Interesse daran hatte, die Initiative dafür zu ergreifen, um conte que cofité uns im Sinne des jetzigen Entwurfs zu engagiren. Wir haben daher — und ich selbst habe nach der Ueber⸗ nahme meines jetzigen Amts dieser ganzen Frage ziemlich kühl gegen⸗ über gestanden. Nun ist aber diese Frage zunächst an uns nicht herangetreten durch eine einseitige Kundgebung des Centrums, sondern sie ist an uns in ganz formeller Weise herangebracht worden durch einen mit großer Majorität gefaßten Beschluß des Ab— geordnetenhauses, und damit waren wir vor die Frage gestellt, zu er⸗ wägen: Ist nun wirklich hier ein Anlaß vorhanden, irgend eine Schädigung eines staatlichen Interesses darin zu erblicken, wenn die für die Rheinprovinz auf Grund der französischen Gesetzgebung be⸗ stehende Ausnahme beseitigt wird? Und diese Frage haben wir aller⸗ dings nach gewissenhaftester Prüfung verneinen müssen, obwohl wir gewußt haben, daß auch in der Rheinprovinz eine Anzahl von Katholiken vorhanden sind, und zwar von correct kirchlichen Katholiken, denen auch dieser Ausnahmezustand ganz genehm gewesen ist und die auch darin einen gewissen Vorzug erblickt haben. Auf der anderen Seite muß ich allerdings anerkennen, daß das Gesetz wie es bisher bestanden hat — den katholischen Geistlichen der Rheinprovinz gegenüber ein Ausnahmegesetz war, und ich finde es ganz begreiflich, daß die katholischen Geistlichen und ein großer Theil der rheinischen Katholiken nach meiner Ueberzeugung bei weitem die Mehrheit — den Wunsch gehabt haben, auf diesem Gebiet nicht anders zu stehen, wie die Katholiken in den anderen Provinzen. Das ist der Grund gewesen, weshalb wir die Sache auf⸗ genommen haben, nicht gerade mit allzugroßer Eile.
Am Schlusse der vorigen Session, im Frühjahr des Jahres 1892, wurde mir wiederholt im Abgeorduetenhause entgegengehalten und ein Vorwurf daraus gemacht, daß wir das Gesetz noch nicht vorgelegt hatten. Wir hatten aus geschäftlichen Gründen das nicht gethan und die Sache einstweilen suspendirt. Ich habe aber damals dem Abge⸗ ordnetenhause gegenüber erklärt: Da das Haus eine Resolution auf Vorlegung eines Gesetzes angenommen hat, so werden wir in der nächsten Session einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Die Erfüllung dieses Versprechens ist dieser Entwurf. Meine Herren, ich glaube, daß weder ein staatliches noch irgend ein evangelisches Interesse nach der Nichtung hin in Frage kommen kann, daß es durch diesen Gesetzentwurf gefährdet werden würde. Man kann die Sache so machen und man kann sie auch anders machen. Da sie aber bei uns einmal auf Grund der Gesetzgebung im ganzen Staat mit der einzigen Ausnahme in Posen so gemacht worden ist, wie der Gesetzentwurf vorschlägt, so glaube ich, daß man der Staatsregierung keinen Vorwurf daraus machen kann, daß sie den Wünschen des Abgeordnetenhauses, die ihr in so deutlicher und präciser Form entgegengetreten sind, auch nachkommt. Ich bitte Sie daher, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. (Bravo )
Ober⸗Bürgermeister Struckmann-Hildesheim hält ein Be— dürfniß nicht für vorliegend und empfiehlt die Aufrechterhaltung der seit Anfang des Jahrhunderts bestehenden Vorschrift.
Graf von Klinckowstroem erklärt sich für die Vorlage, nicht aus Zuneigung zur Centrumsfraction, die ihm immer unsym⸗
.
Hathischer geworden sei, seitdem der linke Flügel immer mehr die Oberhand gewinne; das Centrum habe die GConservativen schon mehrfach in eine Zwangslage gebracht, so bei der Landgemeinde—
ordnung, beim Wildschadengesetz und jetzt bei dem Wahlgesetz, das
das erbärmlichste aller Wahlgesetze sein werde. Da er, Redner, aber liberglisirenden Tendenzen nicht entgegenkommen wolle, stimme er für die Vorlage.“ 9. ö von Solemacher-Antweiler erklärt sich für die Vorlage. pr. Freiherr von Schorlemer-Alst: Ich habe keine Ver⸗ pflichtung, die Partei im andern Hause, der ich nicht mehr angehöre, hier zu vertreten; aber ich möchte doch darauf aufmerksam machen, da die Angriffe des Grafen Klinckowström weniger die Centrumspartei, als die Regierungsvorlagen treffen. So wird es auch beim Wahlgesetz liegen, das auch in der Regierungsvorlage den Wünschen des Herrn Klinckewström kaum entsprechen dürfte.
Der Gesetzentwurf wird darauf mit großer M hrheit genehmigt. ; ̃
Es folgt die Berathung der Petition des Directoriums des landwirthschaftlichen Centralvereins der Pro⸗ vinz Sachsen mit dem Antrage: Das Herrenhaus wolle seinen Einfluß dahin geltend machen, daß die preußische Re⸗ een nn Bundegrath unter allen Umständen gegen den Ab— chluß eines Handelsvertrages mit Rußland Stellung nimmt.
Der Berichterstatter Graf von der Schulenburg⸗Beetzendorf beantragt im Namen der Agrarcommission, die vorgenannte a der Königlichen Staatsregierung zur Berücksichtigung zu überweisen.
5 . * *
Ober⸗Bürgermeister Baum bach ⸗Danzig beantragt, über die
Petition zur Tagesordnung überzugehen.
Graf von Klinckowstroem: Heute würde kaum ein conser⸗ vativer Reichstags⸗Abgeordneter für den österreichischen Handels vertrag stimmen, denn die Landwirthe seien infolge dessen unzufrieden, die Budgets der Kreise seien dadurch 66 Redner wendet sich gegen die Eingabe der Königsberger Kaufleute an den Reichskanzler, die 6 für den russischen Handelsvertrag ausspricht. Darin werde di Handelsvertragspolitik als eine patriotische That gefeiert und auf die Agrarier, ja auf die r, ,. im Abgeordnetenhause geschimpft; der Handel Königsbergs werde beinahe als das wichtigste Interesse Deutschlands dargestellt; der Goldwährung werde ein Loblied. gesungen. während doch die Herren in Königsberg ein Verständniß haben sollten fär die Bedeutung der Währungsfrage im Verkehr mit Rußland. Die Frei— sinnigen hätten an dem russischen Handelsvertrage nur ein Intereffe; das der Förderung des Freihandels. Man spreche von dem Mangei an Getreide, der zum Import zwinge. Wenn man nur etwas mehr Dünger anwenden könnte, dann würde mehr Getreide produeirt werden. Aber wer könne denn bei den schlechten Preisen noch Kosten auf seinen Acker verwenden? Der Bund der Landwirthe sei ein Ausfluß der mittleren Lage der Landwirthschaft, und wenn der Reichskanzler davon gesprochen habe, daß bei uns die idealen Ziele gegenüber den wirthschaftlichen zurückgedrängt würden, fo per— gesse er, daß die Landgemeindeordnung, das Wildschadengesetz und ähnliche Dinge auch keine idealen Dinge seien. Der Finanz⸗P inister habe in seiner Steuerreform die Bedeutung der Landwirthschaft an⸗ erkannt, weil er ein weitblickender Staatsmann sei. Er könne des— halb die Regierung nur bitten, auf ein Verlassen der gegenwärtigen Wirthschaftspolitik im Reiche hinzuwirken.
Ober-Bürgermeister Bau mbach-Danzig empfiehlt den Ueber—
gang zur Tagesordnung, weil die Entscheidung nicht in diesem Hause getroffen wird, sondern im Reichstag, wo die Stimmung für den russischen Handelsvertrag günstiger ist als hier; was dem Reichskanzler an conservativen Stimmen entgehen sollte, wird ihm an liberalen Stimmen zuwgchsen. Die Opposition der Agrarier gegen einen Ver— trag, dessen Inhalt noch gar nicht bekannt ist, geht ja noch weiter als die Opposition der so übel berufenen Freisinnigen. Die Eingabe der Königsberger Kaufleute vertritt doch nicht bloß die paar Kaufleute, sondern alles, was mit dem Handel zusammen⸗ hängt. Alle diese Leute zahlen doch auch Steuern; es giebt doch im Osten nicht bloß Grundbesitzer und sonstige Landwirthe, das sollten doch die Herren von der agrarischen Sppofition be denken; und auch die Consumenten können eine Berücksichtigung verlangen; man sollte dabei auch an die große Masse der arbeitenden Klassen und an die Socialdemokratie denken. Es ist bedenklich, Preußen gegen das Reich mobil zu machen; hoffentlich läßt der Reichskanzler sich durch solche Kundgebungen nicht von seinem Wege abdrängen. Der Reichskanzler ist ein conservativer Mann; was wir an ihm hochachten, ist seine Absicht, mit der einseitigen agrarischen Politik zu brechen. Deshalb werden wir ihn unterstützen. Daß der Reichskanzler die Industrie der Landwirthschaft vorangeftällt hat, ist nicht richtig; er hat beide als gleichberechtigt hingestellt. Die Getreidezölle sind ein Opfer, das die Gesammtheit der Landwirthschaft bringt; es fragt sich nur, ob ein solches Opfer berechtigt ist. Daß es gebracht wird, kann nur derjenige leugnen, der auf dem einseitigen Interessen⸗ standpunkt steht, der unter dem vorigen Reichskanzler leider über—⸗ wuchert hat. Der Osten hat ein großes Interesse an der Herstellung guter Beziehungen zu Rußland, deshalb sollte man es sich zehnmal überlegen, wenn man im einseitigen Interesse des Großgrundbesitzes ein Werk stört, das bessere Beziehungen mit Rußland herbeiführt. Ein Handels vertrag mit Rußland ist eine Armee werth. In Frankreich wird die Annäherung in ihrer politischen Bedeutung wohl erkannt werden. Ich hoffe, daß die Entscheidung an anderer Stelle zu unseren Gunsten ausfällt, und daß ich mit der Zustimmung zu einem solchen Vertrage nicht nur für den Handel, sondern für dat gesammte Vaterland sorge.
Graf von Mirbach: Allerdings fällt die Entscheidung im Reichstag, aber da wir damit schlechte Erfahrungen gemacht haben, erheben wir jetzt unsere Stimmen bei Zeiten, um nicht wieder in eine Zwangslage gebracht zu werden. Die Bedeutung der großen Ex⸗ porthäuser ist nicht zu unterschätzen; aber wenn auch ein russischer Handelsvertrag den großen Firmen nützlich sein würde, so würden die kleinen Kaufleute und die Landwirthe geschädigt werden; und S0 Ü der Bevölkerung gehören der Landwirthschaft an. Nach dem Verfahren, das die Königsberger Kaufmannschaft bezüglich des Identi— tätsnachweises eingeschlagen hat, können wir auf diesen Punkt nicht mehr eingehen. Den Consumenten berücksichtigen wir auch. denn wir sind FGonsumenten und Producenten zugleich. Die Social⸗ demokraten sind eine Frucht der freisinnigen Agitation, auf agrari schem Boden haben sie keine Wurzel. Der Reichskanzler wird die Bedeutung unseres Beschlusses wohl anerkennen; die Freisinnigen unterstützen ihn, aber nur, soweit es ihnen gefällt; bei der Militärporlage lassen sie ihn im Stich. Das sollte den Reichskanzler bedenklich machen. Daß Rußland ein Interesse an einem Handels⸗ vertrag mit Deutschland hat, erkenne ich an; aber die politischen Gründe, die Oesterreich gegenüber maßgebend waren, sollten dem uns nicht verbündeten Rußland gegenüber nicht maßgebend sein. Rußlands Armeen stehen doch nicht zu unserem Schutze an den Grenzen! Aber politisch. Gründe sind nicht maßgebend; es handelt sich lediglich um das Wohl und Wehe der Land- und Forstwirthschaft: Die Roggen⸗ und Holzproduction Rußlands sucht unseren Markt auf und' be— stimmt bei uns die Preise. Die Verantwortung dafür dürfte doch unseren Staatsmännern zu schwer zu tragen seln; denn es würde aus der Begünstigung Rußlands ein Nachtheil für unferen Osten ent— stehen. Was kann uns Rußland concediren? Die Ermäßigung des Kohlenzolls gegenüber Oberschlesien könnte nur für die beste Kohle, nicht aber für das gewöhnliche oberschlesische Product eine Bedeutung haben. An Industrieproducten könnte Rußland fast die ganzen 200 Millionen Import ausschließen. Hier entfteht für die Industrie vielleicht ein Verlust von 20 Millionen Mark, der sich aber mit dem Verlust der Landwirthschaft nicht vergleichen läßt. Bei dem gestrigen Schlußdrama in der Militärcommission nahm Abg. von Bennigsen scharf Stellung gegenüber dem Reichskanzler, der dahin gekommen sei, daß keine Partei mehr hinter ihm stehe; denn auch die Conservativen machten auf wirthschaftlichem Gebiete Opposition. Wir sind die einzige Stütze der Regierung in der Militärvorlage; wenn wir in wirthschaftlichen Dingen Opposition machen, so liegt die Schuld nicht an uns. Wenn Rußland eine feste Valuta hat, dann wird der Zeitpunkt zu einem Vertragsabschlusse gekommen sein; bis dahin haben die russischen Concessionen keinen Werth. ö
Ober⸗Bürgermeister Becker⸗Köln: Ich begreife die Klagen der Landwirthschaft, ich begreife auch, daß die Regierung die Landwirth— schaft schützt; aber das muß ich bestrelten, daß das Herrenhaus die besondere Aufgabe hat, die Landwirthschaft allein zu schützen. Die Erwerbszweige sind alle gleich berechtigt. Das Herrenhaus foll sich in erster Linie innerhalb seiner Zuftändigkeit halten; diese über— schreitet es aber mit der Annahme des Antrages der Commission, nicht formell, sondern materiell. Der landwirthschaftliche Verein kann sich ja an den Reichstag direct wenden! Die Eommifsion hat diesen Gesichtspunkt wohl nicht vollständig gwürdigt. Deshalb kann ich für den Antrag der ,, nicht stimmen.
Graf zu Eulenburg-Prassen bezeichnet die Eingabe der Königsberger Kaufmannschaft als eine Parteischrift, als ein' vorzeitig erlassenes Wahlflugblatt, das sehr abweicht von dem Standpunkt, den die betreffenden Herren in Gegenwart der Minister 1891 ver— treten haben. Durch die Ueberwelsung der Petition zur Berück— sichtigung üben wir einen Druck auf die Regierung nicht aus; wir wollen . Stellung Rußland gegenüber nur kräftigen.
Präsident des Staats⸗-Ministeriums, Minister des Innern
Graf zu Eulenburg:
Meine Herren! Es ist Ihnen bekannt, daß zwischen Deutschland und Rußland Verhandlungen schweben auf handelspolitischem Gebiet. Vei dieser Sachlage bin ich zu meinem Bedauern nicht im stande,
*
auf die sehr interessanten Erörtungen der Chancen, welche der Ab⸗ schluß eines solchen Vertrages für oder gegen sich haben könnte, hier einzugehen, weil an den in der Sache begründeten Gebrauch, daß während solcher schwebenden Verhandlungen man auß den Gegenstand derselben öffentlich nicht eingeht, zum mindesten die Regierung unbe⸗ dingt gebunden ist. Ich muß mich deshalb auf wenige formelle Be— merkungen beschränken.
Ich bitte Sie, sich zu vergegenwärtigen, daß der Antrag des sächsischen Vereins dahin geht, das Herrenhaus wolle seinen Einfluß dahin geltend machen, daß die preußische Regierung im Bundesrath unter allen Umständen gegen Abschluß eines Handelsvertrages mit Rußland Stellung nehme. Wenn man diesen Wortlaut an— sieht, so glaube ich keinen Widerspruch zu finden, wenn ich sage, daß er durchaus zu weit geht, zunächst auf dem Gebiet, auf dem er sich bewegt, auf dem handelspolitischen, weil, wie ja auch von anderer Seite angedeutet ist, unter allen Umständen den Abschluß eines Handelsvertrags mit Rußland abzulehnen, nicht ein Postulat ist, das man aufstellen kann. Es ist aber ferner nach meinem Dafürhalten auch politisch unklug, daß man dergleichen Sätze einem Nachbarstaat gegenüber ein⸗ für allemal aussprechen will. In diesem Sinne würde die Regierung nicht in der Lage sein, einer Resolution, welche von diesem hohen Hause angenommen würde, Folge zu ver⸗ sprechen. (Hört, hört!)
Indessen ich habe aus den Ausführungen des Herrn Grafen Mirbach entnehmen zu können geglaubt und hoffe, daß er mir dies bestätigen wird, daß es sich nicht um diesen Wortlaut handelt und daß der Antrag Ihrer Commission, die Sache der Staatsregierung zur Berücksichtigung zu überweisen, den Sinn hat, das hohe Haus wünsche, daß bei den schwebenden Verhandlungen die Interessen der Landwirthschaft gebührend berücksichtigt werden, und daß die preußische Staatsregierung ihre Stimme in dieser Richtung geltend mache. (Sehr richtig!)
In diesem Sinne hat das Abgeordnetenhaus ebenfalls bereits beschlossen, und ich bin in der Lage gewesen, zu erklären, daß die Staatsregierung einer Kundgebung in diesem Sinne zu widersprechen keine Ursache hat. Ich wiederhole dies hier. (Lebhaftes Bravo!)
Freiherr von Bemberg-Flamersheim weist darauf hin, daß der landwirthschaftliche Centralverein für Rheinpreußen, der namentlich aus insttleren und kleineren Grundbesitzern besteht, einstimmig be— schlossen hat, sich gegen einen Vertrag mit Rußland auszusprechen.
Graf von der Schulenburg-Beetzendorf glaubt, daß dem Reichskanzler mehr an der Erhaltung der Landwirthschaft als an der Unterstützung der Freisinnigen liegen werde. .
Der Antrag Baumbach wird gegen zehn bis fünfzehn Stimmen der Bürgermeister abgelehnt; der Antrag der Com— mission mit großer Mehrheit angenommen.
Schluß 4½ Uhr.
Statistik und Volkswirthschaft.
Generalversammlung des Vereins für Soeialpolitik.
Unter zahlreicher Betheiligung begannen heute Vormittag im großen Auditorium der Berliner Universität die Verhandlungen der Generalversammlung des Vereins für Soeialpolitik. Professor Dr. Schmoller (Berlin) eröffnete die Versammlung, indem er sein Bedauern aussprach, daß die Generalversammlung, die im September v. J. in Posen stattfinden sollte, der Cholera-⸗Epidemie wegen nicht stattfinden konnte. — Es wurden alsdann Professor Dr. Schmoller zum Ersten, Geheimer Ober⸗Regierungs-Rath Dr. Thiel; um Zweiten und Geheimer Regierungs-Rath, Professor Dr. Gierke zum Dritten Vorsitzenden und Professor Dr. Sering. Privatdocent Dr. Oltenberg (Berlin) und Privatgelehrter Dr. Losch (Stuttgart) zu Schriftführern ge— wählt. — Den Verhandlungen wohnte Staats- Minister von Heyden bei.
Professor Dr. Schmoller äußerte sich hierauf ungefähr folgender⸗ maßen: Ich will den Fragen, die uns heute und morgen beschäftigen
werden, nicht vorgreifen. Ich will bloß bemerken: Wie wir vor zwei
Jahren den Kern der gewerblichen Arbeiterfrage zu behandeln suchten, so wollte der Ausschuß diesmal die ebenso wichtige, ja viel leicht noch wichtigere ländliche Arbeiter⸗ bezw. Bauernfrage zur Debatte stellen. Meine Herren, das, was heute und morgen hier gesprochen wird, kann, je mehr es der Wahrheit und der Gerechtigkeit nahe kommt, desto weniger darauf rechnen, den Beifall der socialen Klassen in den Parteien zu finden, die natur— gemäß darauf ausgehen, einseitige Klasseninteressen zu verfolgen, die im Kampfe des Tages ohne Leidenschaften ihre Ziele nicht erreichen, die vielleicht nur dadurch die Massen sammeln und in Bewegung bringen können. Mag das für diese richtig oder unentbehrlich sein, un sere Aufgabe ist es, über diesen Gegensätzen, üb er den Parteien zu stehen. Werden wir darum von beiden entgegengesetzten Seiten angegriffen, so ist das in meinen Augen kein Fehler, sondern ein Vorzug. Unsere Aufgabe ist nicht, uns populär zu machen, einseitig dem einen oder anderen Klasseninteresse zu schmeicheln. Dadurch würde die Ver— ständigung nur erschwert werden. Sie wird ohnedies um so schwieriger, je complicirter die Gesellschaft sich ge⸗ staltet, je, verschiedener die Klassen mit entgegengesetzten Interessen einander gegenüber stehen, je mehr noch Mißverständniß, Kurzsichtigkeit, Uebertreibung und Leidenschaft im Kampfe des Tages mitspielen, je verschiedenere Ideale und Weltanschauungen der Parteien und Klassen das Bewußtsein geben, im Namen der höchsten Principien zu handeln. In einem freien constitutionellen Staate, giebt es für das einzelne Klasseninteresse, für die einzelne gefordert! Maßregel keine sichere Legitimation; sie muß nicht bloß von Interessenten ausgehen, sondern die Zustim— mung aller Unhetheiligten, der überwiegenden öffentlichen Meinung, der Wissenschaft, der unabhängigen Tagespresse, zuletzt der Regierung und des Parlaments gefunden haben. Wir suchen im Dienste der Wissenschaft die Wahrheit. Wir suchen nach der Wahrheit, die jedem Unbefangenen einleuchtet, die über den Parteien und Klassen steht, die nur eine einzige, jedein normalen Verstande evidente sein kann. Wir leben der Hoffnung, daß diese Art wissenschaftlicher, unbestreitbarer Erkenntniß einen zunehmenden Ein⸗ fluß auf alles Staats⸗ und Gesellschaftsleben gewinnen werde, daß derjenige Staat am höchsten steht, der hierin am weitesten geht, der eine öffentliche Meinung sich schafft, die nicht auf Interessen, Leiden— schaft und Mißverständni sondern auf wissenschastlicher Erkenntniß beruht. Der Verein für Soeialpolikik besteht nun über zwanzig Jahre. Er ist sich und seinem Programm stets treu geblieben, für die Hebung der unteren Klassen einzutreten. Dieses Ziel steht nicht im Widerspruch mit dem ebengeschilderten Kampfe für den Sieg wissen— schaftlicher Erkenntniß in der öffentlichen Meinung. Freilich konnten wir uns dementsprechend nicht ohne weiteres mit dem Klasseninteresse der Arbeiter, noch weniger mit ihren einseitigen Idealen und Theorien identifieiren, aber wir sind stets für ihre berechtigten Forderungen eingetreten; und das war, gegenüber den hergebrachten Vorstellungen der Gebildeten und Besitzenden von nichk geringer Bedeutung. Wir sehen wohl alle oder faͤst alle in der heutigen Arbeiterbewegung. auch in der Socialdemokratie, nicht wie so viele der Besitzenden bloß ein Unglück eine Unbequemlichkeit, etwas das man nur zu bekämpfen habe. Nein, diese Bewegung ist uns eine nothwendige historische Folge unferer geistigen und wirthschaftlichen Entwickelung. Die allgemeine Schulbildung, die Presse, die nothwendige bemorrgiische Firbung aller sonstigen Staats⸗ einrichtungen, die Wunder der heutigen Technik und des heutigen Verkehrs haben die unteren Klassen aus dem Schlummer gedanken—
losen Eindämmerns erweckt; sie sind erwacht, sie fordern mit Recht ein gewisses Maß von Einfluß, eine Berücksichtigung ihrer Interessen, eine größere Theilnahme an den wirthschaftlichen und geistigen Gütern unserer Kultur. Sie wollen mit Recht in selbstbewußter Action als Gleichberechtigte theilnehmen am Staats, und Wirihschaftsleben. In alledem sehe ich wenigstens und wehl die meisten von uns kein Unglück, im Gegentheil, einen ungeheuren Fortschritt, in der That eine Weltwende, den Beginn einer neuen großen Epoche der Welt⸗ geschichte. Aber ebenso klar bin ich mir der Schwierigkeiten und Gefahren des Uebergangs bewußt. Es ist ein Feuer entzündet, das durch den Appell an die gemeinen Instinkte unsere Cultur ebenso vernichten, als, richtig geleitet, emporheben kann. Darum gilt es, ebenso schroff, ebenso sicher und kalt jeder Drohung mit Revolution entgegenzutreten und an den großen Traditionen unseres vaterländischen Staatslebens festzuhalten. Vor allem steht mir eins fest: im Kampfe der Nationen, der sich mäßigen, aber zunächst nicht beseitigen läßt, haben vor allem die unteren Klassen nur da Aussicht auf Besserung und Hebung, wo eine feste Staatsgewalt das Ansehen, die Macht, das polle wirthschaftliche Gedeihen, den Absatz nach außen sichert, vermehrt. vor jedem Rückschlag sichert. Jedes extteme Vor⸗ gehen hat bis jetzt stets den politischen und wirthschaftlichen Nieder— gang der betreffenden Staaten rasch herbeigeführt. Auch die sociale Demokratie würde dasselbe Resultat erzielen. Darum sind wir arbeiterfreundlich, aber nicht socialdemokratisch; darum sind wir für demokratische Einrichtungen, aber nur insoweit sie unsere guten bewährten vaterländischen und monarchischen Institutionen nicht vernichten. Möge rign uns darum von den entgegengesetzten Stand⸗ punkten aus schmähen. Wer heute nicht den Muth hat, sich schmähen und verlästern zu lassen, der wird nichts Großes erreichen. Mich wenigstens heseelt der felsenfeste Glaube an den künftigen Sieg unserer Sache, sonst würden Sie mich nicht an dieser Stelle sehen. (Leb— hafter Beifall.) .
Den ersten Vortrag zur Einleitung der Verhandlungen über . die ländliche Arbeiterfrage und die deutschen Binnen⸗ wanderun gen“ hielt Herr Professor Dr. Knapp aus Straß⸗ burg i. E. Der Vortragende faßte in lichtvoller Weife die Ergebnisse der im vorigen Sommer von dem Verein für Socialpolitik ver— anstglteten Enquéte über die Verhältnisse der Landarbeiter zu— sammen, indem er sich auf Norddeutschland beschränkte und diefes in Gemäßheit der vorwiegend darin zum Ausdruck kommenden Arbeits— verfassungen in drei Theile theilte: der erste westlich der Weser, der zweite zwischen Weser und Elbe, der dritte östlich der Elbe. Das in dem westlichen Theil vorwiegende Arbeitsperhältniß ist das Heuerlings⸗ verhältniß, welches in der Verpachtung eines Stücks Land von Seiten des Besitzers an die Arbeiter besteht. Dr. Kaerger hatte in seiner Bearbei— tung der Enquéte über die Verhältnisse in diesem Theil Deutschlands das Heuerlingsverhältniß als nach jeder Richtung günstig und für Besitzer wie Arbeiter vortheilhaft bezeichnet, sodaß man seine Verallgemeinerung wünschen könnte. Knapp zeigte aber, daß dieses Verhältniß und sein Gedeihen den westfälischen Bauernhof zur Voraussetzung hat, dessen Besitzer in Bildung und Sitten, wenn auch eben nicht im Besitz, mit dem Heuerling auf einer Stufe steht und mit ihm umgeht. In dem mittleren Theile Norddeutschlands überwiegen die in Dörfern wohnen— den frejen Arbeiter, die auf den nicht umfangreichen umliegenden Nittergütern Beschäftigung finden und im übrigen selbständig sind. Im östlichen Norddeuischland überwiegen die großen Rittergüter, auf denen die Hauptklasse der Arbeiter Instleute sind. Letztere befinden sich aber im Rückgang, weil an die Stelle der früheren Natuͤrallöhnung mehr Geldlöhnung, an Stelle der patriarchalischen eine kapitalistische Bewirth— schaftung getreten ist. Hierdurch werden zugleich die Wanderarbeiter aus Rußland und Polen angezogen, die sich mit niedrigem Lohn zufrieden geben, mit dem sich schließlich auch die Instleute begnügen müssen. Das und das Fehlen von Bauerndörfern bewirke die Abwanderung nach dem Westen. In Uebereinstimmung mit Professor Sering (in dessen Werk über die innere Colonisation) forderte Knapp die An— legung von Bauerndörfern im Osten und die Ansiedelung von Arbeitern in diesen Dörfern, indem er insbesondere die Errichtung selbständiger Arbeitercolonien als socialpolitisch nachtheilig verwarf. (Auf demselben Standpunkt steht das vorgestern an dieser Stelle ausführlicher be— sprochene Buch von Professor Freiherr von der Goltz „Die ländliche Arbeiterklasse und der Staat“. D. Red.). Knapp bezeichnet die Er— fahrungen, die man mit dem Ansiedelungsgesetz für Posen und West— preußen in Bezug auf Bauerneolonisation gemacht habe, als günstige und glaubt, daß mit den beiden Rentengütergesetzen von 1850 und 1891 noch viel erreicht werden könne. — Dem interessanten Vor— trage folgte eine Darlegung des Unter⸗Staatssecretärs a. D. Dr. von Mayr (Straßburg) über die Binnen wanderungen“, zu dessen Erläuterung die Resultate der vom preußischen Ministerium des Innern in den Jahren 1801 und 1892 veranstalteten Ermittelungen über Abe und Zuwanderung gedruckt vertheilt wurden. Der Vor— tragende beschäftigte sich vorzugsweise mit der Technik statistischer Er— hebungen über innere Wanderung. Nachdem noch die Statuten dahin abgeändert worden, daß fortan der Beitrag der Mitglieder von 10 auf 16 6 erhöht wird, trat eine Pause ein.
Zur Arbeiterbewegung.
Aus Viersen wird der ‚Köln. Itg.“ berichtet, daß sämmtliche Weber der dortigen mechanischen Sammtfabrik von Kreuels und Better am vorigen Montag in den Ausstand traten; die Arbeiter verlangen eine Lohnerhöhung von 20 060. Die Geschäfts— inhaber lehnten die Unterhandlungen mit den Ausständigen ab und erklärten ihren Vertretern, daß sie nicht abgeneigt seien, über eine Aufbesserung der Löhne mit den Arbeitern nach der Wiederaufnahme der, Arbeit zu verhandeln. Die Arbeiter lehnten einmüthig die Wiederaufnahme der Arbeit ab. Am Mittwoch traten sie zwar die Arbeit wieder an, reichten aber zu gleicher Zeit sämmtlich ihre Kün— digung ein. Die Ausständigen durchzogen mehrmals in geschlossenen Reihen die Straßen, bewahrten aber Ruhe in ihrem Auftreten.
Hier in Berlin haben, wie der ‚Vorwärts“ berichtet, die Arbeiter der mechanischen Werkstatt der Firma Groß und Graf die Arbeit niedergelegt: angeblich, weil die Arbeitgeber die Forderung stellten, die Ueberstundengrbeit künftig ohne den in der Branche üblichen 25 procentigen Lohnzuschlag auszuführen, der ein Ergebniß des letzten Mechanikerausstandes bildet. ö
In Prag beginnt heute, wie ein Telegramm des „H. T. B.“ meldet, ein allgemeiner Maurerausstand.
Aus Brüssel berichtet ein Wolff'sches Telegramm: Der Generalrath der Arbeiterpartei, der Delegirte eller Industrie⸗ centren, aller Arbeiterverbindungen und Grubenarbeitervereine um— faßt, beschloß gestern Nachmittag in einer Vollversammlung abermals, daß ein all gemeiner Strike sofort proelamirt werde, fobald die constituirende Versammlunz das allgemeine Stimmrecht verwerfen oder nur unter Beschränkungen zulassen sollte.
In Roubaix wurde gestern, wie ein „Wolff'sches“ Telegramm mittheilt, eine Privatversammlung der katholischen Ver einigung durch Soeialisten gestört, die sich des Vorstandstisches bemächtigten, an dem darauf drei Frauen als Vorsitzende Platz nahmen. Das auf einer Estrade aufgestellte Crucifix wurde von den Socialisten zur Erde geworfen. Bei dem hierauf entstandenen Gedränge warfen die Socialisten mit den im Versamnilungslocal befindlichen Stühlen und Tischen nach den Katholiken, sodaß sich diefe zurückziehen mußten. Mehrere Personen wurden verletzt; auch mehrere Verhaftungen sind vorgenommen. In der Stadt herrscht lebhafte Erregung.
Literatur.
Rechts- und Staatswissenschaft.
Kr. Das preußische Grundbuchrecht in seiner gegen wärtigen Geltung. Gesetzestext mit erläuternden Anmerkungen von Willen bücher, Ober⸗Landesgerichts Rath. Zweite umgearbeitete Auflage. Berlin, 1893. H. W. Müller. Die erste Auflage ist 1832 erschienen. Seitdem ist die Gesetzgebung, die Rechtsprechung und die schriftstellerische Thätigkeit rührig gewesen; Beachtenswerthes
ist gefördert worden, was zur Erklärung und Erläuterung der vor,
nehmlich im Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit wichtigeren Gesetze benutzt werden kann. Der Verfasser hat sich ein großes Verdienst dadurch erworben, daß er Maß zu halten verstand, . er nicht in die Breite gegangen ist, sondern mit mühevoller Auswahl in die Tiefe. Es kann nicht die Aufgabe eines Commentars sein, jeden einzelnen spitzen Fall, welcher fi einmal zugetragen hat, aber vielleicht nie wieder vorkommt, mitzutheilen. Für den Suchenden muß hier ein andeutendes Wort und ein Hinweis auf Band und Seite einer Entscheidungssammlung ge— nügen. Sache des Commentators, der seiner Aufgabe gewachsen ist, ist es, aus der Fülle der Einzelheiten die leitenden Grundsätze zu ent nehmen und klar und scharf hinzustellen. Findet der Leser und Lernende dies in einem Commentar, so kann er sicher darauf weiter⸗ bauen und wird nicht verleitet, kin ängstlicher Präjudiciensucher zu werden, womit sich eine Ertödtung selbständigen Denkens und erfrischender Denkfreude allzuleicht verbindet. Was nach solchen Anforderungen ein Commentar zu leisten hat, das ist in dem vorliegenden gewährt. Da⸗ mit ist ihm Anerkennung und Verbreitung erneut gesichert. Verschiedenes.
— Die Berliner Thierärztliche Wochenschrift“, die von Dr. W. Dieckerhoff, Dr. R. Schmaltz und Dr. R. Lothes Verlag von Richard Schoetz, Berlin QW.) herausgegeben wird, hat in der Nr. 11 vom 16. März d. J. folgenden Inhalt: Dieckerhoff: Gutachten über die durch Fahrlässigkeit des Thierarztes beim Eingeben einer Pille verschuldete tödtliche Verletzung eines Pferdes. — Koch: Milzhypertrophie bei einer Kub. — Berlcht über die Sitzung der Centralvertretung der thierärztlichen Vereine Preußens (Fortsetzung). — Referate: Hohenleitner: Heilung einer Fesselbeinfraetur beim Pferde. — Pilz: Futterschädlichkeiten bei Plserden. — Herbst: Dumm⸗ koller mit tödtlichem Ausgang. — Rotter: Angeborene Cloake beim Schwein. — Alt: Die Taubenzecke als Parasit des Menschen. — Krabbe: Einige Bemerkungen über die mechanischen Verhältnisse der Kauwerkzeuge. — Oeffentliches Veterinärwesen: Seuchenstatistik und Veterinärpolizei. — Verfügungen des preußischen Ministeriums für Landwirthschaft bezüglich des Inkrafttretens des Viehseuchenüberein— kommens mit Oesterreich⸗- Ungarn. — Personalien, Vacanzen.
— Die „Wochenschrift für Actienrecht und Bank⸗ wesen“ (Berlin, Carl Heymann's Verlag) enthält in der vorliegenden Nummer 5 vom 25. Februar d. J. eine Darlegung der Stempel⸗ pflicht des Besitzwechsels von Immobilien in Bezug auf die offene Handelsgesellschaft, Actiengesellschaft und Gesellschaft mit beschränkter Haftung in verschiedenen deutschen Staaten von Hr. Holdheim. Ferner heben wir aus dem Inhalt folgende Artikel herbor: Zur Frage der Oeffentlichkeit des Handeleregisters vom Gerichts⸗AUssessor Birkenlist. — Neugründungen von AÄctiengesellschaften in Ungarn im Jahre 189. Das Heft bringt ferner noch folgende Abschnitte: Rechtssprüche (Reichsgericht, Kammergericht); Stempelwesen; Kleine Mittheilungen.
Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ Maßregeln.
In der von deutschen Schiffen vielfach besuchten Stadt Patras in Griechenland treten die Blattern neuerdings epidemisch auf. Seit Mitte Januar sind den dortigen Behörden 38 Erkrankungsfälle gemeldet worden. Die Gesammtzahl der Erkrankungen ist jedoch wahrscheinlich eine noch größere.
Handel und Gemerbe.
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Tägliche Wagengestellung für Kohlen und Koks an der Ruhr und in Oberschlesien. An der Ruhr sind am 18. d. M. gestellt 11 023, nicht rechtzeitig gestellt keine Wagen. In Oberschlesien sind am 17. . M. gestellt 3716, nicht recht⸗ gestellt keine Wagen.
Zwangs ⸗Verstei gerungen.
Beim Königlichen Amtsgericht 1 Berlin stand am 18. März das in der Auguststraße 50a belegene, dem Gastwirth Ludwig Brämer gehörige Grundstück zur Versteigerung. Nutzungs— werth 6950 S; Mindestgebot 700 M é; für das Meistgebot von 105 000 S wurde der Kaufmann Paul Oettinger zu Marien⸗ verder Ersteher. — t Wolliner⸗ gehörig. —
2 I,nu roi stor- 511 9 8 * 591 dem Baumeister Eugen Kornfeld
Beim Königlichen Amtsgericht I Berlin wurde das Verfahren der Zwangtversteigerung wegen der nachbezeichneten Grund⸗ stücke aufgehoben: Grundbuch ven Pankow Band 18, B Nr. 647, auf den Namen des Zimmermeisters Ernst eingetragen. Die Termine am 21. und 24. April d. J. f — Grundbuch von Steglitz Band 13, Blatt 432, auf den Namen des Kaufmanns Richard Bruck zu X getragen. Die Termine am 3. und 6. April d. J. fallen fort.
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Berlin, 18. März. (Wochenbericht fü ztärkefabrikate und Hülsen früchte von Max Sa
Kartoffelmehl 20—– 205 S, Ia. Kartoffelstärke 260 Ia. Kartoffelstärke und ⸗Mehl 18 —193 6, feuchte Ka Frachtparität Berlin 19,70 (66, Frankfurter Syrupfabriken nach Werkmeister's Bericht franco Fabrik 106.50 zelbe 24— 246 66, Cap. Syrup 25 — 255 , 265 S Kartoffelzucker gelber 24 — 247 , Rum⸗Couleur 36 C. Bier⸗Couleur gelb 271 . secund 23 — 26 * ö irk Ü ß 66. H Reisstãrke (Strahlen) 48 biz 19 4106, Stüc 47 46, Maisstärke 32 hab stärke 30 M nom., Victoria⸗Erbsen 19 — 2X. 6, grüne Erbsen 17— 20 1, Futtererbsen 14—15 25 — 26 0, Linsen, große, neue 0 — 54 6, do. mittel 34 — 40 . kleine 20 32 n, gelber Senf 40— 48 66, Kümmel 42 — 46 A. Mais loco 14-12 6, Pferdebohnen 144 — 16 6, Buchweizen 18 bis 159 „6, inländische weiße Bohnen 16—18 6, weiße Flachboebnen 20-22 , ungarische Bohnen 15 —16 6, galizische und russische Bohnen 125 — 135 , Wicken 137 — 144 MÆ, Hanfkörner 19— 20 A, Leinkuchen iz — 15 0, Weizenschale ; Rapskuchen 13—146 6, Mohn, 16, S6 — 95 G nom., Hirse, weiße, 17—19 66 Alles per 100 Berlin bei Partien von mindestens 10000 Eg.
— Wie die Kölnische Zeitung mel waltungsrath der Bergbau⸗Gesellschaft. dende von 1190, vor.
— Wie die Hamb. Börsenb.“ erfährt, Amerikanische Packetfahrt⸗Aetiengese . der Kohlenangebote der westfälischen Zes contract acceptirt; wegen eines weiteren Quantums Verhandlungen. Der Köln. Itg. zufolge zablt die Packetfabrt Gesellschaft für doppelt gesiebte Fett⸗Stückkoblen 7.40 bis 750 ab Zeche.
Die Betriebs -Einnahmen der Schweizerischen Nerdost«
bahn betrugen im Februar 1893 für den Personenderkebr 407 M— (im Februar 1892 389 103) Fr., für den Güterverkebr 773 00 (1882 78 971) Fr., verschiedene Einnahmen im Februar 1893 67 7539 1892 69 172) Fr., Gesammteinnahme im Februar 1893 1217 769 (18M 1237 246) Fr. Die Betrieb. Ausgaden betrugen im Februar 1803 792 315 (1892 786 486) Ir. Demnach Ueberschuß im Februar 1893 455 444 (1892 400 760) Fr.
Wag deburg, 18. März. (B. T. B) 3 richt.
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