1893 / 70 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 22 Mar 1893 18:00:01 GMT) scan diff

31. Juni eintreten zu lassen, in der Erwartung, daß bis dahin der Vertrag mit Rumänien perfect wird.

Darauf wird die dritte Berathung des Etats (Militär— Etat) fortgesetzt.

Dazu nimmt das Wort der Königlich preußische Kriegs⸗ Minister von Kaltenborn-Stachau. Die gleichfalls schon in der Dienstags⸗Nummer kurz mitgetheilte Rede hat nach⸗ stehenden Wortlaut.

Königlich preußischer Kriegs⸗Minister von Kaltenborn— Stachau:

Meine Herren! In der Reichstagssitzung vom 10. d. M. bei Gelegenheit der zweiten Berathung des Militär⸗Etats brachte der Herr Abg. Richter den Tod eines Trainsoldaten Apmann aus Schles⸗ wig zur Sprache und las gleichzeitig einen Brief vor, den die Mutter des Trainsoldaten an ihn gerichtet hatte. Er hatte auf mein Ersuchen die Güte, mir den Brief zu übermitteln, und es ist über den Stand der Sache Bericht eingefordert worden. Das Ergebniß ist Folgendes:

I) die Vermuthung, daß Apmann infolge von Mißhandlungen gestorben sei, ist unbegründet, denn die Obduction hat nach dem Urtheil der medizinischen Sachverständigen ergeben,

daß der Tod allein durch Brustrose verursacht sei und Miß—

handlungen hierbei nicht mitgewirkt haben.

2) als ebenso unbegründet darf die Annahme angesehen werden, der bei Apmann vorhanden gewesene Blutfluß aus Ohr und Nase rühre vom „Schlagen“ her; denn es ist unmittelbar nach dem Dienst— eintritt des Apmann von seinem Stubenältesten und seinen Stubengenossen bemerkt worden, daß ihm Blut und Eiter aus den Ohren lief und er zuweilen Nasenbluten hatte.

Er soll einige Jahre vor seinem Dienstantritt aus einer Luke mit dem Kopf auf eine Wagendeichsel gefallen sein.

3) Festgestellt ist allerdings, daß Apmann am 15. Februar 1893 von einem Gefreiten einen leichten Schlag an die Backe erhalten hat, weil er in dem Verdacht stand, zwei Kinnketten entwendet zu haben. Auf die Aeußerung: von einem dämlichen Gefreiten ließe er sich nicht schlagen, hat Apmann von einem anderen Gefreiten noch zwei Ohrfeigen er— halten. Der letztere hat dann noch freiwillig ausgesagt, daß er 6 Wochen vorher ebenfalls dem Apmann ein paar Ohrfeigen gegeben habe.

Inwieweit es sich bei diesen QOhrfeigen um Mißhandlung Vor— gesetzter handelt, das habe ich noch nicht vollständig festzustellen ver⸗ mocht aus dem mir vorliegenden Material.

Die umfassendste Beweisaufnahme hat nicht ergeben, daß Apmann außer den erwähnten Ohrfeigen irgendwelche Mißhandlungen erlitten hat. Ebensowenig hat der genannte, so lange er noch Dienst that, beziehungsweise im Revier oder Lazareth lag, bis zu seinem Tode seinen Kameraden gegenüber davon gesprochen, daß er gemiß— handelt sei.

Dies ist das Ergebniß der bereits am 25. Februar, also noch vor der Rede des Herrn Richter eingeleiteten gerichtlichen Unter— suchung, und es bleibt nur noch festzustellen durch zeugeneidliche Ver⸗ nehmung der Mutter des Apmann, seit wie lange ihr Sohn an DOhren⸗ und Nasenbluten gelitten habe; ob ihr Sohn wirklich vor seinem Dienstantritt aus einer Bodenluke und mit dem Kopf auf eine Deichsel gefallen ist und wer zu ihr, als sie die Mißhandlungen ihres Sohnes in Rendsburg anzeigte, gesagt hat: „Ihr Sohn ist ja doch einmal todt“.

Hinsichtlich der Todtenschau ist festgestellt, daß vollständig nach den gesetzlichen Bestimmungen verfahren worden ist. Die Obduction ist durch zwei Militärärzte am 26. Februar, also einen Tag nach dem Tode vorgenommen worden. Die Leiche ist unter Zuziehung derselben, sowie eines militärischen Beisitzers vom Amtsgericht in Rendsburg be— sichtigt und erst beerdigt, nachdem letzteres die Genehmigung hierzu ertheilt hatte.

Bereits am 25. Februar, also am Tage nach dem Ableben des Apmann sind die beiden Gefreiten in Untersuchungshaft genommen und später wieder daraus entlassen worden. Ihre Bestrafung steht aus, bis der Abschluß des Verfahrens stattgefunden hat.

Dann hat bei derselben Gelegenheit der Herr Abg. Bebel eine Menge von Anklagen über Mißhandlungen zur Sprache gebracht. Ich bin natürlich noch nicht in der Lage, auf alle diese Anklagen erwidern zu können, wohl aber vermag ich schon jetzt, manche von den Anklagen richtig zu stellen.

Der Herr Abg. Bebel hat in der Sitzung vom 10. Mär; 1893 die Behauptung aufgestellt, daß der Beschwerdeführer bestraft wird, wenn er sich vorher bei einem Kameraden Rath erholt. Eine dahin zielende Strafbestimmung giebt es nicht.

Er sagt ferner, der Soldat müsse die Beschwerde oft gerade bei demjenigen Vorgesetzten anbringen, über welchen er Beschwerde führen wolle. Die S5 20 und 21 der Vorschriften über den Dienst⸗— weg und die Behandlung von Beschwerden (vom 6. 3. 1873) treffen Vorkehr, daß keine Beschwerde bei demjenigen anzubringen ist, gegen welchen sie sich richtet. Also ist das gerade Gegentheil dieser Behaup—⸗ tung des Abgeordneten richtig.

Ferner hat der Abg. Bebel eine Reihe von Mißhandlungen an— geführt, von welchen er einleitend behauptet, dieselben hätten sich alle seit der im vorigen Jahr stattgefundenen Verhandlung über Miß— handlungen zugetragen.

Der auch angeführte Vorfall beim Regiment der Gardes du Corps, bei welchem es sich nach der bisherigen Auffassung der Ge— richte übrigens nicht um Vorgesetzte handelt, hat sich am 9. Juni 1891 zugetragen.

Auch ist von dem Abg. Bebel der Sachverhalt unrichtig dar⸗ gestellt worden. Die beschuldigten zwei Gefreiten haben keinen Versuch gemacht, den geschädigten Gardes du Corps Körber von der Krank— meldung abzuhalten. Es ist, im Gegensatz zu der Darstellung des Abgeordneten, sof ort eine gerichtliche Untersuchung eingeleitet worden und es war die Entlassung der beiden beschuldigten Gefreiten vor Abschluß des gerichtlichen Verfahrens unvermeidlich, weil der Ge— schädigte zur Zeit des allgemeinen Entlassungstermins jenes Jahrgangs noch in ärztlicher Behandlung war, mithin die Folgen des Vorfalls noch nicht endgültig feststanden.

Dann hat der Abg. Bebel auch den Fall des Lieutenant von Salisch zur Sprache gebracht. Sie mögen nun erfahren aus dem actenmäßigen Thatbestande, den ich Ihnen vortragen werde, wie un— genau und unrichtig die Angaben dieses Herrn zuweilen sind. Der Vorsall trug sich folgendermaßen zu:

*

Lieutenant von Salisch ging am 20. März 1892, Abends gegen 105 Uhr, mit einem Kameraden aus einem Gasthause zu Ehren— breitenstein kommend, nach Koblenz.

Auf der Schiffbrücke überholten sie zwei Civilpersonen, in deren einer von Salisch den Commis Weimann erkannte, welcher ihn seit zwei Jahren schon bei verschiedenen Gelegenheiten oh ne jede Veranlassung durch höhnische Redensarten gereizt hatte, Weimann war schon wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und groben Unfugs bestraft. Seine Sucht, mit Offizieren und Unteroffizieren Händel zu suchen, hatte er mehrfach, besonders auch an dem Tage des Zu⸗ sammenstoßes mit von Salisch an den Tag gelegt.

Ueber die Einzelheiten des Beginns des zwischen dem Lieute— nant von Salisch und dem Commis Weimann entstandenen Streits, der sich in der Dunkelheit abspielte, hat die gerichtliche Unterfuchung völlige Klarheit nicht geschaffen.

(Bewegung links.)

Jedenfalls hat Salisch, welcher von Weimann auf der Brücke durch anzügliche Redens— arten verletzt war, diesen auf dem Damm vor dem Hötel Bellevue darüber zur Rede gestellt. Im Verlaufe des Wort. wechsels ist Weimann dem Lieutenant von Salisch mit seinem 3 em starken mit Buckeln versehenen Stock unmittelbar nahe ge— kommen. Als Weimann der Aufforderung, den Stock herunter— zunehmen, nicht Folge leistete, za von Salisch den Degen und schluß dem Weimann zweimal nach dem Kopfe, verletzte ihn aber, vie bei der Leichenöffnung festgestellt, hierbei nicht. Weimann hat den Lieutenant von Salisch dann mit dem Stock ins Gesicht geschlagen und, ihm dabei eine bei der ersten Vernehmung vor dem Untersuchungsgericht noch wahrnehmbare Verletzung über dem rechten Auge zugefügt. Nunmehr hat Herr von Salisch nach seinem Angreifer gestochen und ihn in den linken Schenkel getroffen. Darauf ist ꝛc. Weimann fortgelaufen und erhielt von Lieutenant von Salisch noch einen Schlag auf den Rücken, der keine Verletzung zur Folge hatte.

Weimann lief, von dem anderen Offizier verfolgt, in eine nahe Restauration und starb dort alsbald.

Durch die Leichenöffnung ist festgestellt, daß die Stichwunde in einer Verletzung der linken Schenkelblutader bestand, welche bei dem Fehlen sachverständiger Hilfe den Tod durch Veibluten zur Folge hatte.

Im Gegensatz zu der Darstellung des Abg. Bebel ergiebt sich aus den gerichtlichen Alten:

1) Es ist unwahr, daß an jenem Abend von Salisch und Weimann in einer Wirthschaft zusammengetroffen seien: von Salisch

und sein Begleiter sind vielmehr im Gasthause „zum Kurfürsten“. die Civilpersonen im „schwarzen Bären“ gewesen.

2) Es ist unwahr, daß die Veranlassung zu jenem Streit in eifersüchtiger Erregung des Lieutenants wegen einer Kellnerin ge⸗ legen hat. Es hat sich vielmehr lediglich darum gehandelt, daß der Offizier die Provocation einer Persönlichteit, die wiederholt mit ihm Händel gesucht hatte, glaubte zurückweisen zu müssen,

3) Es ist un wahr, daß der Lieutenant von Salisch dem Commis Weimann vor Beginn der Thätlichkeiten mit gezogenem Degen gefolgt ist.

4) Es ist unwahr, daß von Salisch den fliehenden Weimann vor der Thür der Wirthschaft von hinterrücks in den Rücken ge— stochen hat. Der Offizier hat den verhängnißvollen Stich vielmehr während der gegenseitigen Thätlichkeiten zur Abwehr ge⸗ führt und zwar 1) nachdem er vom ꝛc. Weimann mit dem Stock ins Gesicht geschlagen war, und ?) wie die Leichenöffnung er⸗ geben hat, von vorn.

Hiernach handelt es sich entsprechend dem kriegsgerichtlichen Erkenntniß um eine gefährliche K örperverletzung mit tödtlichem Ausgange, während die von dem Abg. Bebel unter dem Schutze der Redefreiheit wiedergegebene Darstellung des Vor— gangs, insbesondere die Bezeichnung der Handlung als „ganz ge— meiner Meuchelmord“ eine verleumderische ist. Ich muß die⸗ selbe im Interesse des in schwerster unverantwortlicher Weise an⸗ gegriffenen Offiziers wie des gesammten Offiziercorps auf das ent— schiedenste zurückweisen.

(Bravo! rechts. Oho! Große Unruhe links. Wiederholtes Bravo! rechts) (Abg. Bebel bittet zur Geschäftsordnung ums Wort.)

In derselben Sitzung ist außerdem von dem Abg. Bebel be⸗ hauptet worden:

Endlich ist mir vor wenigen Tagen ein Fall mitgetheilt wor— den aus Frankfurt, der jedenfalls auch noch nicht das Militärgericht beschäftigt haben dürfte. Hier handelt es sich um Excesse eines Hauptmanns Prey vom Infanterie⸗Regiment Nr. 12. Derselbe hat seinen Burschen Füsilier Ihsmer dermaßen gemißhandelt, daß derselbe nach mehrwöchentlichem Krankenlager im Lazareth ver— storben ist und am 1. März d. J. beerdigt wurde. Es ist bis jetzt nicht bekannt geworden, daß gegen den Hauptmann Prey wegen dieser Mißhandlung Anklage erhoben ist.

Diese Aeußerung des Abg. Bebel erweist sich nach den vorgelegten Berichten der Instanzen als unwahr. Der Füsilier Ihsmer von der 9. Compagnie des Grenadier⸗Regiments Nr. 12, Bursche des Haupt— manns und Compagnie⸗Chefs Prey, ist nach diensteidlich abgegebenem Gutachten des betreffenden Stabsarztes am 29. Januar 1893 an schwerer, mit ständigem Fieber verbundener Grippe in das Lazareth aufgenommen worden, die zu linksseitiger eitriger Mittelohrentzün⸗ dung, eitrigem Bronchiallartarrh, rechts. und linksseitiger Brustfell— entzündung führte und am 25. Februar den Tod zur Folge hatte.

Weder aus der Leichenöffnung, noch aus irgend welchen anderen Umständen oder Mittheilungen ist auch nur der allergeringste Anhalt für eine stattgehabte Mißzandlung gegeben. Hauptmann Prey, welcher sich durch außerordentlich wohlwollende Behandlung der Mann— schaften auszeichnet, war mit ꝛc. Ihsmer sehr zufrieden, behandelte ihn mit dem größten Wohlwollen und hat demselben niemals auch nur das geringste Leid zugefügt. (Hört, hört! rechts.)

Nach seiner auf Ansteckung zurückzuführenden Erkrankung an Grippe hatte Ihsmer vor seiner Aufnahme in das Lazareth, in der Familie des Hauptmanns Prey eine ganz außerordentlich liebevolle Pflege genossen.

Hiernach charakterisirt sich auch diese Angabe des Abg. Bebel als eine unwahre und sie enthält eine öffentlich ausgesprochene schwere Verleumdung gegen einen vollständig vorwurfsfrei dastehenden Offizier. Auch diese muß ich mit aller Bestimmtheit zurückweisen. (Bravo!

rechts.)

Lieutenant von

[

Darauf erhält nach der gestern mitgetheilten Aeußerung des Präsidenten von Levetzow das Wort der

Abg. Bebel (Soc): Nach dieser Aeußerung des Präsidenten werde ich auf die Art und Weise, wie der Kriegs-Minister hier auf tritt, nicht weiter eingehen. Man wird im Volke draußen sehr wohl derstehen, was man von dieser Art der Vertheidigung zu halten hat. Die Mittheilung aus Frankfurt war mir, aus der Mitte der be— treffenden Compagnie zugegangen. Wenn ich geirrt habe, habe ich ohne Wissen geirrt. (Zuruf des Abg. Menzer.) Ich blicke auf ein langes parlamentarisches Leben zurück und es wird nicht dem Abg. Menzer und niemandem gelingen, mir nachzuweisen, daß ich eine wissentliche Unwahrheit gesagt habe. Liegt denn nach den Mit⸗ theilungen des preußischen Kriegs-Ministers der Fall des Herrn bon Salisch wesentlich anders, als ich angegeben habe? Und dieser Herr wird begnadigt! Auf wessen Zeugniß beruhen denn die Angaben des preußischen Kriegs- Ministers? Der Hauptbethei⸗ ligte ist todt und kann nichts mehr aussagen. Was die Offiziere zu sagen vermögen. wenn es sich darum handelt, ihren Kame⸗= raden aus der Patsche zu helfen, haben wir 6fter erlebt. Auch, aus den Acten ergiebt sich, daß über den Ursprung des Streits nichts Sicheres ich habe, feststellen lassen. Anläßlich meiner Darstellung dieses Falles Salisch habe ich aus allen Theilen Deutschlands Zuschriften erhalten, auch die, Mutter des Getödteten hat mir gedankt. Die Familie von Salisch ist so unanständig gewesen, der Frau 100 ½ anzubieten! Mit 100 S6 wollte man der Frau ihren Sohn ersetzen! Die Frau war stolz genug, dieses Geld zurückzuweisen. Daß der Herr begnadigt und befördert wird, stempelt den Fall zu einem besonders schweren. ( Präsident von Levetzow; Das Allerhöchste Begnadigungsrecht irgendwie zu kritisiren, ist nicht Sache der Abgeordneten,. Wie soll der. Getödtete, der erst achtzehn Jahre alt war, schon Jahre lang den Offizier verfolgt haben? Nach der. Dar⸗ stellung des preußischen Kriegs ⸗Ministers müßte es ein ganz besonderer Raufbold gewesen sein. Ich erwarte, daß der preußische Kriegs⸗Minister auch über die anderen von mir vorgebrachten Fälle drientirt sein wird. Der Fall in Potsdam mit dem Gardes du Corps ist noch garnicht erledigt; er schwebt noch vor dem Gerichte. Daß der preußische Kriegs⸗Minister erst nach 12 Tagen darüber unterrichtet ist, wie es sich mit der Beschwerdeinstruction berhält, muß uns doch in das höchste Erstaunen fetzen. Wenn der Rendsburger Soldat schon infolge eines früheren Unfalls kopfleidend war, wie konnte er dann in die Truppe eingestellt werden! Außerdem sind von dem preußischen Kriegs Minister sechz Ohrfeigen zugestanden worden, und von den beim Militär üblichen Ohrfeigen genügt schon eine, um das Trommelfell zu sprengen. Redner macht. Mittheilung von neuen Mißhandlungsfällen, die ihm seit der zweiten Lesung bekannt ge⸗ worden seien. Die Zahl der Mißhandlungen sei unzweifelhaft ganz außerordentlich groß, und was hier vorgetragen werde, sei nur ein winziger Bruchtheil davon.

Königlich preußischer Kriegs-Minister von Kaltenborn— Stachau:

Der Herr Abg. Bebel hat seine Ausführungen damit begonnen, daß er ohne Wissen geirrt habe in seinen Angaben. Ich bin der letzte, der ihm daraus einem Vorwurf machen würde, wenn er aut Irrthum hier eine falsche Thatsache vorbringt; ich habe bloß treffen müssen mit meiner Entgegnung die Schlußfolgerung, die er aus diesen falschen Thatsachen gezogen hat. Wenn er hier vor öffentlichem Hause und vor der ganzen Welt einen Offizier in unbegründeter Weise des Meuchelmordes zeiht, so hat er ihn schwer beleidigt und beschimpft. (Sehr richtig! rechts.)

Daß die Mittheilungen in die Oeffentlichkeit vielfach anders kommen als sie den Thatsachen entsprechen, das gebe ich sehr gern zu. Die Schuld der Militärverwaltung ist das aber nicht. (Zuruf.)

Der Herr Abgeordnete hat erwähnt und er hat auf einen Artikel der „Kreuzzeitung“ verwiesen —, daß die Richtigstellung von Thatsachen meinerseits so spät erfolge. Ja, meine Herren, die An⸗ griffe und Behauptungen über Mißhandlungen oder mangelhafte Gerichtspflege treten so urplötzlich und überraschend hier im Hause auf, ohne irgendwelche vorherige Mittheilung, ohne Möglichkeit für mich, mich über den einzelnen Fall zu orientiren, daß es un— möglich ist, auf jeden Fall eine Erwiderung zu geben.

Dann hat der Abg. Bebel über den Ehrenstandpunkt der Offiziere gesprochen. Ich kann dem Herrn Abg. Bebel hierzu ein Recht nicht zugestehen und ihn auch nicht als Autorität anerkennen in Bezug auf den Ehrenstandpunkt der deutschen Offiziere. (Sehr gut! rechts.)

Der Abg. Bebel hat ferner mehrere Male das Recht der Begnadigung zur Besprechung gebracht. So viel ich gehört habe, ist er darüber von dem Herrn Präsidenten rectificirt worden. Ich glaube, es ist abfolut unberechtigt, hier über das Recht der Gnade Seiner Majestät des Königs zu sprechen. (Oho! links. Sehr richtig! rechts.)

Außerdem ist die Frage aufgeworfen, auf welches Zeugniß denn der Gerichtsspruch gegen den Lieutenant von Salisch gefällt worden sei. Ich hoffe, daß in den Einzelheiten der Herr General-Auditeur in der Lage sein wird, den Herren Auskunft zu geben. Jedenfalls liegt es auf der Hand, daß der Hauptzeuge in der Sache der Be— gleiter des getödteten Weimann gewesen ist.

Dann hat mir der Herr Abg. Bebel das späte Antworten auf seine Beschwerdefälle vorgeworfen. Ja, meine Herren, die Thatsachen und Behauptungen, die der Herr Abg. Bebel vorbringt, kommen in einer solchen Massenhaftigkeit und so schnell zum Ausdruck, er ist außerdem hier nicht immer zu verstehen, daß ich mit Sicherheit meistentheils erst erfahre, was er gesacgt hat, wenn ich mich im stenographischen Bericht habe orientiren können. In Bezug auf den Fall mit dem Gardes du Corps bemerke ich noch, wie ich absolut nicht behauptet habe, der Mann wäre nicht mißhandelt worden, und das Verfahren wäre be— endet; ich habe mich nur gegen die Behauptung gewendet und die als unrichtig bezeichnet werden muß, daß die betreffenden Gefreiten den Mann hätten abhalten wollen, sich krank zu melden.

Was dann noch schließlich die Folgerung betrifft, die in Bezug auf meine Aeußerung dem Abg. Richter gegenüber gezogen worden ist, so kann ich nur bemerken: ich habe objectiv das thatsächliche Re— sultat der Verhandlungen und Untersuchungen hier mitgetheilt. Es wird nicht in Abrede gestellt, daß der Mann geschlagen worden ist; nein, im Gegentheil: es ist dieses zugegeben, aber andererseits ist auch bewiesen, daß gerichtlich gegen die Leute eingeschritten worden ist.

Königlich preußischer General Auditeur Ittenbach: Der Abg. Bebel wird sich aus der heutigen Verhandlung überzeugt haben, daß es sehr bedenklich ist, so ganz allgemeine Anschuldigungen zu erheben auf. Grund der Angaben seiner Gewährsmänner, und daß es jwech— mäßiger wäre, sich etwas genauer zu informiren, ehe man nicht, bloß einzelne Offiziere, sondern schließlich die ganze Militãärjustiʒ beschin pt und beleidigt. Bezüglich des Falles Salisch flüchtete sich der Abg. Bebel hinter die Ausflucht, das möchte wohl in den Acten stehen aber in der Oeffentlichkeit lauteten die Mittheilungen anders. 3 muß dem Ahg. Bebel ganz entschieden das Necht bestreiten, in dieser Beziehung ohne jeden Grund gegen die gerichtlichen Feststellungen . Militärgerichte den Zweifel, zu erhehen, als ob hier zu Unrecht . niht zu Recht erkannt sei. Durch die öffentliche Meinung win das Urtheil des Militärgerichts nicht erschüttert. In jener Unter

„Autorität des Offiziers in Frage gestellt war.

suchung ist ebenso gewissenhaft verfahren, wie im Civil Strafproʒeß. Wenn manches unaufgeklätrt in dieser Sache geblieben ist, trifft dasselbe bei Untersuchungen der bürgerlichen Strafgerichte nicht ebenfalls zu? Aufgeklärt ist, daß es sich hier nicht um einen heim— tũckischen , n,. handelt, sondern daß der Offizier von seinem Degen erst Gebrauch gemacht hat, nachdem Hiebe nach seinem Kopf geführt waren. Ich bin in höchstem Grade erstaunt über die Kühn— beit des Abg. Bebel, daß er hier öffentlich ausspricht, es sei eine bekannte Thatsache, daz die Offiziere sich nicht scheuten, falsches Zeugniß abzulegen, wenn es sich darum handelt, einen Kameraden aus einer mißlichen Lage zu befreien. Die Ehre der Offiziere ist eine derartige, daß derartige Zumuthungen unter keinen Umstaänden gemacht werden können; sie halten den Eid ebenso hech, vielleicht böher, als andere Leute. Außerdem muß ich den Anschuldigungen des Abg. Kunert in einer der letzten Sitzungen entgegentreten, daß durch die Militärgerichte die Allmacht der Vorgesetzten in jeder Weise unterstützt und, großgezegen werde, während andererseits für die Untergebenen nahezu vollständige Rechtlosigkeit existire. Die Militärjustiz soll den Namen einer Justiz kaum verdienen. Diese Behauptung muß ich mit der größten Entschiedenheit zurückweisen. Abg. Kunert verliest den Tenor eines Erkenntnisses, nimmt aus den Erwägungsgründen den einen oder anderen Satz, versieht ihn mit socialdemofratischen Floskeln und folgert daraus, wie schlecht die Militärjustiz sei. Damit beweist man nichts. Das General— Auditoriat prüft jeden einzelnen Fall, und wenn ihm eine mildere Strafe vielleicht angemessen erscheint, wird nicht verfehlt, die Aller⸗ höchste Gnade in Anspruch zu nehmen. Solche Verdächtigungen sind nur geeignet, die Justiz nach außen hin zu disereditiren und die Disciplin in unserer Armee zu gefährden. Unsere Gerichte, darauf können Sie sich verlassen, urtheilen unparteiisch und gerecht. Keinem zu Leide, Keinem zu Liebe. Ich persönlich ver— kenne am allerwenigsten die Mängel des Militärstrafprozeß⸗Verfah⸗ rens; die Heimlichkeit des Verfahrens erweckt den Anschein, daß, die Militärgerichte mit verdeckten Karten spielten. Unsere Militär— gerichte kännen die Oeffentlichkeit vertragen, sie verfahren den Ge— setzen gemäß und sind unabhängig wie die Civilgerichte. Für ein ge— rechtes Verfahren bürgt zunächst der Gerichtsherr, der das Verfahren einleitet, sodann der militärische Vorgesetzte. Es ist eine ganz verkehrte Vorstellung, daß der Gerichtsherr dem Angeschuldigten gegenüber nur die Rolle, des Anklägers spielt. Unsere mili⸗ tärischen Vorgesetzten und Gerichtsherren haben gar kein Interesse, daß in den Strafregistern die Zahl der Bestrafungen steigt. Auch unsere Auditeure verdienen die verdeckten Angriffe hier nicht. Diese Herren arbeiten mit der größten Gewissenhaftigkeit, ihre Erkenntnisse und Untersuchungen haben den Vergleich mit denen anderer Gerichte nicht zu scheuen. Abg. Kunert hat über die regelmäßig wiederkehrende Bemerkung in den Erkenntnissen: „Wird hierdurch lediglich bestätigt“ spöttische Bemerkungen gemacht. Diese Bemerkung rührt vom commandirenden General her. Kein kriegs— gerichtliches Erkenntniß kann bestätigt werden, ohne daß vorher ein Rechtsgutachten darüber seitens des betreffenden Auditeurs erstattet wird. Dieser hat die Pflicht, das Erkenntniß“ nach allen Seiten hin zu prüfen und irgendwelche Bedenken auszusprechen. Der oberste Gerichtshof prüft dann seinerseits, inwieweit diese Bedenken begründet sind. Ist das Erkenntniß einwandsfrei, dann giebt er es zur Bestätigung zurück. Hält das General- Auditoriat das Erkennt⸗ niß nicht für haltbar, so beantragt es bei Seiner Majestät die Auf hebung detselben. Bisher war die Militärjustiz in Preußen stolz darauf, daß, wenn guch das Verfahren Mängel hat, doch die Armee gut damit gefahren ist. Die Grundsätze der bisherigen Militärjustiz, streng, wo es sein muß, aber stets gerecht zu urtheilen, werden troß aller Angriffe auch künftig maßgebend für die Militärverwal— tung sein.

Abg. Freiherr von Manteuffel (deons.): Es ist für mich ganz unerfindlich, wie ein Mitglied des Reichstags einen activen Offtzier als gemeinen Meuchelmörder und ehrlos bezeichnen kann. Der Abg. Bebel hat jetzt selbst zugegeben, daß seine Informationen nicht ganz zuverlässig waren. Solche schweren Vorwürfe darf man nur mit dem vollgültigsten. Material ausgerüstet aussprechen. Ich erwarte, daß der Abg. Bebel seine Vorwürfe zurücknimmt. Unglaublich ist es, daß der Abg. Bebel hier das Zeugniß der Offiziere überhaupt in Zweifel zieht. Das Begnadigungsrecht, das höchste Recht der Krone und des Inhabers ö . hat der Abg. Bebel in einer Weise angegriffen, die im Volke die tiefste Empörung hervorrufen muß! .

Abg. Bebel (Soc.): Die Entrüstung des Abg. Freiherrn von Manteuffel läßt mich außerordentlich kalt. Wenn die Sachen so liegen, wie der preußische Kriegs Minister vorgetragen, dann wird mein Vorwurf des . hinfällig. Aber nach wie vor halte ich das Benehmen des Herrn bei der ganzen Affaire für eines Offiziers unwürdig. Leider kommen diese Fälle gar zu häufig vor, und wir müssen uns deshalb immer wieder gegen solche Angriffe verwahren. Verleumdet habe ich nicht; ich habe den Fall vorgetragen, wie er seiner Zeit unwidersprochen durch alle Zeitungen gegangen war. Der General-Auditeur hat hier einen wahren Panegyrikus auf das Militärgerichtsverfahren gehalten. Daß dieser Herr alles in bester Ordnung sindet, begreife ich; mit seinen Ausführungen macht er lediglich bek den Herren rechts Eindruck, bei niemand sonst im Hause. Wenn nur ein Theil dessen bestätigt wird, was ich hier vorgebracht habe, dann lohnt es der Mühe, diese Dinge hier vorzubringen, und ich werde darin nicht nachlassen. Dle Gewissenhaftigkeit der Auditeure habe ich gar nicht angezweifelt; wir haben es nicht mit Personen, sondern mit dem System zu thun. Nach der heutigen Auslassung des General⸗Auditeurs kann man sicher sein, daß die versprochene Reform den Erwartungen des Reichstags nicht entsprechen wird. Der General⸗Auditeur hat sich auch gegen den Abg. Kunert gewandt. Glaubt der General— Auditeur, es sei schon vergessen, wie eine Anzahl Landwehrleute Jahre Zuchthaus erhielten, weil sie sich telegraphisch beim Kaiser darüber beschwerten, daß sie im Viehwagen transportirt werden sollten? Steht es nicht damit in schreiendem Widersprnch, wenn ein Unter— offizier, der einen Gemeinen zwang, glühend heiße Kartoffeln zu essen, so daß dieser daran starb, 9 Monate Gefängniß erhielt? Weiß man nicht, daß die Soldaten vor dem Militärgericht zu Aussagen fast gar nicht zu bewegen sind, weil fie die dann nachfolgenden Mißhandlungen fürchten?

Königlich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, General—⸗ Lieutenant von Spitz: Abg. Bebel i bei Erwähnung von Miß⸗ handlungen früher die Behauptung. aufgestellt, daß ein Mann durch Mißhandlungen in, den Tod getrieben ist. Die Untersuchung hat das in keiner Weise bestätigt. Er sagte dann weiter: „Kurze Zeit darauf machte der Gefreite Langer von derselben Batterie einen Selbstmordversuch, wurde aber durch seine Kameraden davon ab— gehalten. Dieser Gefreite hat niemals die Absicht gehabt, sich das Leben zu nehmen, sondern selber zu Protokoll ausgesagt, die ihm vorgelegten Aeußerungen des Abg. Bebel entbehren jeder Begrün— dung. In einem anderen Fall hat ein Offizier einen Mann bei einer Felddienstübung so mißhandelt, daß dieser ins Lazareth mußte. Diefe Thatsache ist richtig, aber Abg. Bebel hat nicht erwähnt, daß der be⸗ treffende Mann unter dem Gewehr in empörend frecher Weise dem Offizier dreimal den Gehorsam verweigert hat, sodaß die ganze Da ist es doch, wenn auch bedauerlich, so doch menschlich erklärlich, daß der Offizier sich mit dem Degen Gehorsam verschaffte. Abg. Bebel behauptet, er sage immer Pie Wahrheit; das glaube ich. Aber daß er vieles lot wat nicht richtig ist, liegt daran, daß seine Gewährsmänner n die Thatsachen fo drastisch darsteilen, wie sie nicht vorgegangen i. Die Berichte über die vorjährigen Verhandlungen in diefer i sind in einer Menge von Exemplaren in den Kasernen ver— e ge bor emden; mit den piesjährigen wird es wohl ebenso ge— 16 . 3 daz zu dem Zwecke geschieht, bei den Leuten die Autorität wen gen , in zu fördern, lasse ich dahingestellt. Das muß den . n ö ö, nicht denkkräftigen Mann auf das äußerste reizen, 1 . eine seltene Erscheinung ist, daß die Personen, welche . eine autoritatihe Stellung einnehmen, häufig einem

großen Haß begegnen. So ist z. B. auch ein „Gesangbuch für das

arbeitende Volk“ in einer Kaserne gefunden worden, in dem sehr viele aufreizende Lieder enthalten sind. In einem Liede heißt es, man zwinge des Volkes Jugendkraft in den engen Soldatenrock, lehre sie dort, wehrlose Brüder ermorden. „Rottet aus die erbärmliche Brut!“ In einem anderen: „Ihr werdet zu Krüppeln geschunden, sagt Brüder, was wollt Ihr noch mehr!“ u. s. w. 3 Lieder gehen nach im Volke beliebten Melodien, wie: ‚Wohlauf Kameraden auf's Pferd“, oder: Ein' feste Burg ist unser Gott“. Dadurch muß doch Haß in der Armee erregt werden, und Sie werden es uns nicht verdenken, wenn die Militärverwaltung alle Mittel aufwendet, um gegen solche Verführung der Soldaten zu wirken.

Königlich preußischer General Auditeur Ittenbach: Woher man die. Behauptung nimmt, daß ich einen Panegyrikus auf die preußische Militär Strafprozeßordnung gesungen und sie als Muster für das bürger⸗ liche Verfahren dargestellt habe, weiß ich nicht. Ich habe erklärt, daß ich der Letzte sei, der die Mängel der heutigen Militär-Straf⸗ prozeßordnung nicht anerkennt, aber daran die Behauptung geknüpft, daß es um so mehr anzuerkennen ist, daß bei dem heutigen Verfahren die preußische Militär-Justizbehörde so gerecht in ihren Urtheils⸗ sprüchen ist. In der ganzen Armee und auch außerhalb derselben ist es weiter bekannt, daß Seine Majestät von den Begnadigungsrecht in reichem Umfange Gebrauch macht, und daß Seine Majestät in allen denjenigen Fällen, wo es sich um eine im Affeet begangene That handelt, bei guter Führung in der Strafanstalt nach verhältniß⸗ mäßig kurzer Zeit Gnade walten läßt. Das ist auch in dem Falle von Graudenz geschehen und, soviel ich weiß, schmachtet heute keiner von den damals Bestraften mehr im Gefängniß.

Abg. Richter (dfr. : Der General⸗Auditeur vertheidigt den jetzigen Zustand des Militärgerichtsverfahrens; es ist aber doch Thatsache, daß von der übergroßen Mehrheit dieses Hauses die Reform dringend ver⸗ langt wird. Wenn Oeffentlichkeit des Verfahrens bestände, brauchten die Herren hier so lange Lob⸗ und Vertheidigungsreden nicht zu halten. Den Fall Apmann anlangend, erkenne ich an, daß der preußische Kriegs⸗Minister objectiv uns alles mitgetheilt hat, was bisher darüber erhoben worden ist. Wir sind aber keineswegs der Meinung, daß der Tod durch Mißhandlung gänzlich ausgeschlossen erscheint. Das Be— gnadigungsrecht unterliegt, wie alle anderen Rechte des Monarchen, soweit der parlamentarischen Kritik, als es durch einen verantwort- lichen Minister gedeckt wird. Dieser Ansicht huldigt die Mehrzahl unserer Staatsrechtslehrer. Der preußische General⸗Auditeur Itten⸗ bach hat die Ausübung des Begnadigungsrechts gelobt. Dann muß man es aber auch kritisiren können; entweder beides oder keins.

Abg. Dr. von Bar (dfr.): Auch ich wollte der zuletzt geäußerten Ansicht des Abg. Richter Ausdruck geben. Die Grundsätze, welche der Reichstag seit 20 Jahren in der Militärjustiz fordert, gelten in der ganzen civilisirten Welt und in den meisten Staaten auch schon für das Militärverfahren. Warum damit in Deutschland so lange ge⸗ zögert wird ist mir unbegxeiflich. So lange diese Forderungen nicht erfüllt werden, wird die Klage über die Mißhandlungen hier im Hause nicht aufhören.

Abg. Liebermann von Sonnenberg (b. k. F.): Wenn der Abg. Bebel es für unmöglich erklärt, daß ein Abgeordneter etwas vorbringt, von dessen Wahrheit er nicht überzeugt wäre, so wolle er diese Auffassung auch auf den Abg. Ahlwardt . Der Abg. Bebel hat den Offizier von Salisch heftig getadelt und noch heute dessen Verhalten als ganz unerhört gefunden. Der Abg. Bebel scheint Temperamente nicht gelten lassen zu wollen. Er theilt selbst mit mir ein etwas rasches Temperament; ich schätze das an ihm; ich habe überhaupt ein gewisses Faible für den Abg. Bebel. Wenn mich jemand angreift, wie Weimann den Offizier mit seinem Stock, so fasse ich ihn auch an den Kragen. Was sollte der Offizier von Salisch thun, wie er thätlich angegriffen wurde? Die Behauptungen, über Soldatenmißhandlungen sollte der Abg. Bebel in der Oeffentlichkeit ohne den Schutz seiner Immunität wiederholen, dann würden wir bald über Gerichtserkenntnisse verfügen, wie sie gestern gegen den Abg. Ahlwardt verwerthet worden sind.

Abg. Kunert (Soc.): Der preußische General⸗Auditeur hat sich nicht gescheut, ganz persönliche Angriffe auf mich zu machen. Ich habe nicht bloß behauptet, sondern auch nachgewiesen, daß die Militär⸗ justiz die gemeinen Soldaten auch bei geringen Vergehen unverhält⸗ nißmäßig hart, die Chargirten auch bei schwereren Vergehen verhält⸗ nißmäßig milde bestraft. Es wird thatsächlich mit zweierlei Maß ge⸗ messen, das behaupte ich heute ausdrücklich. Die Ausstellungen des preußischen General. Auditeurs haben mein Material nicht in einem einzigen Punkte erschüttert. Sie geben durch Ihr Stillschweigen zu, daß die Dinge genau so liegen, wie ich dargestellt habe.

Abg. Bebel (Soc.): Ich freue mich immer, wenn ich höre, daß andere Leute mich gerne hören. Leider besitze ich kein faible für den Abg. Liebermann von Sonnenberg. Ueber den Eid denke ich ar nicht anders als andere Leute. Das hat die Partei auf dem . Parteitage ausdrücklich erklärt. Warum wir den Abg. Ahlwardt hier mit hineinziehen sollen, verstehe ich nicht ganz; wir haben gestern überhaupt nicht das Wort ergriffen. Wir sind der Meinung gewesen, daß nach dem Gerichtserkenntniß seine Gutgläubigkeit nicht bezweifelt werden kann. Aber zum Vorwurf machen wir ihm, daß er immerfort hartnäckig Dinge wiederholt, welche als unrichtig gericht⸗ lich festgestellt sind. Herrn von Salisch nimmt der Abg. Liebermann von Sonnenberg in einer Weise in Schutz, wie man es nicht einmal vom Bundesrathstische aus gethan hat. Wir haben vom preußischen' Kriegs. Minister gehört, daß über den Anfang des Streits auf der Brücke zwischen Koblenz und Ehrenbreitenstein, der im Dunklen stattfand, nichts bekannt ist. Wir bringen die Beschwerden hier vor, weil hier die competenten Behörden vorhanden sind, die sich zu verantworten haben. Daß ich mich nicht scheue, in der Oeffentlichkeit meine Be— hauptungen zu vertreten, dafür zeugen die fünf Jahre, welche ich im er n zugebracht habe.

Königlich preußischer General⸗Auditeur Ittenbach: Aus meinem

Schweigen ist gar keine Consequenz zu ziehen. Wir verhandeln hier nicht gewissermaßen contradietorisch die einzelnen Fälle. Der Vorwurf der Parteilichkeit ist ungerechtfertigt und durch Nichts erwiesen. Selbst zugegeben, daß in einzelnen Fällen härtere Verurtheilungen vorgekommen sind, der einzelne Richter ann sich in der Auffassung . einmal irren, ist doch der Vorwurf systematischer Ungerechtigkeit haltlos. Die Strafen werden bemessen auf Grund des Militär-Strafgesetzbuchs, welches der Reichstag mitbeschlossen hat. Wenn ein Unteroffizier 5 Jahre Gefängniß bekommen hat, weil er socialdemokratische Zeitungen in der Kaserne vertheilte, so bemerke ich, daß es ein aus der Reserve eingezogener war, der als Agitator bekannt war. Sie können es den Behörden und der Militärsustiz nicht verargen, wenn sie solchen Versuchen, den Geist des Umsturzes in die Armee hineinzutragen, mit energischen Strafen entgegentritt. Ich habe das Begnadigungsrecht des Königs von Preußen nicht gelobt, das ist mir garnicht n Ich habe nur angeführt, daß Gnade ausgeübt wird. Es handelt sich aber um ein Begnadigungs⸗ recht des Königs von Preußen, ein höchst persönliches Recht, . welches niemand ihn zur Verantwortung ziehen darf. Ich habe das jetzige Militärjustizverfahren gar nicht rechtfertigen wollen; es kann mir daher ein solcher Versuch auch nicht mißglückt sein. Wie ich über den heutigen Militärstrafprozeß denke, werde ich Ihnen nicht sagen, denn ich bin dazu gar nicht berufen. Solche AÄnzapfungen werden also erfolglos bleiben. Abg. Liebermann von Sonnenberg (b. k. F.): In den Kriegsgerichten geben gewöhnlich die unteren Chargen ihr Urtheil auf die höher, Strafe ab. Ich werde immer bereit sein, einzutreten für die Kameradschaft, aber auch allemal der Wahrheit die Ehre geben, wo ich aussagen muß, ob unter Eid oder ohne Eid. Ich beabsichtige nicht, fünf Jahre ohne Noth ins Gefängniß zu gehen, ich werde wohl mit den bestehenden Gesetzen nicht so weit in Confliet kommen. Wenn Sie aber solche Behauptung aussprechen, s0 sollten Sie dies auch in der Oeffentlichkeit wieder⸗ holen. Sie fügen n, ja nicht den Urtheilen der Militärgerichte, also geben Sie doch den Civilgerichten Veranlassung, sich damit zu beschäftigen.

Abg. Kunert (Soc,) verbleibt dabei, daß die Bestrafung des Unteroffiziers wegen Verbreitung von Zeitungen socialdemokratischen

Inhalts ganz exorbitant gewesen ist, zumal die Behauptung, daß er auch . an seine Kameraden verbreitet habe, nicht erwiesen worden sei. -

Abg. Dr. von Bar (dfr.): Wir haben den General⸗Auditeur nicht angezapft“. Wir haben kein preußisches Heer, sondern ein Reichsheer, und deshalb fällt auch das Begnadigungsrecht des Kaisers in dem angegebenen Maße unter unsere Competenz.

Abg. Bebel (Soc.): Was 6 von Salisch hätte thun sollen? Er hätte den anderen in Ruhe lassen sollen. Wenn solche Vertheidi⸗ gung berechtigt ist, ist das Verhalten jedes Messerhelden berechtigt.

Abg. Richter (dfr.): Ich will im Augenblick das Verhältniß des Reichskanzlers zum preußischen Kriegsminister nicht untersuchen. Der letztere steht unzweifelhaft auf dem Etat des Reichs. Ebenso wie wir jeden anderen Untergebenen des Reichskanzlers kritisiren, sind wir auch ihm gegenüber zu thun befugt. Es handelt sich hier nicht darum, den Monarchen zur Verantwortung zu ziehen, sondern denjenigen, der die Handlungen desselben hier zu vertreten hat. Die Unterscheidung zwischen höchstpersönlichen und weniger hochpersönlichen Rechten ist eine ganz willkürliche. Der preußische General⸗Auditeur ist als Fachmann für constitutionelle Fragen nicht anzuerkennen.

Damit schließt die Discussion.

Der Militär-Etat wird darauf ohne weitere erhebliche Debatte bewilligt.

Beim Marine-Etat befürwortet

Abg. von Henk (deons.) wiederum die Beschleunigung der Ersatzbauten für unsere Panzerflotte und bedauert lebhaft die Ab— lehnung des Ersatzbaues für die Preußen“. Wenn man bei dieser Ablehnung überhaupt verbleibe, werde man schließlich selbst unseren Küstenschutz gefährden und die deutsche Küste einer feindlichen Blockade mit allen ihren schweren Folgen überliefern.

Ohne weitere Debatte wird der Etat unverändert nach den Beschlüssen zweiter Lesung bewilligt.

Beim Etat der Reichs-Justizverwaltung bemerkt der

Abg. Stadthagen (Soc.): In Magdeburg ist ein Arbeiter zu zwei Jahren Zuchthaus verurtheilt worden. Der Obmann der Geschworenen hat zu dem Vertheidiger gesagt: Wir waren von der Schuld des Mannes nicht überzeugt, aber der Mann ist Soeial⸗ demokrat und diese Leute gehören alle ins Zuchthaus. Das Urtheil ist auf Grund der bestehenden Gesetze nicht angreifbar. Ich frage an, ob im Reichs⸗Justizamt Zeit und Verstand genug vorhanden ist, um hiergegen Abhilfe zu schaffen.

„Der Präsident ruft den Abg. Stadthagen wegen dieser be⸗ leidigenden Aeußerungen zur Ordnung.

Abg. Schultz e⸗Königsberg (Soc.): Es ist wiederholt vor⸗ gekommen, daß Arbeiter beauftragt worden sind, falsche Stempel anzufertigen. Sig sind, in einem derartigen Fall freigesprochen worden, weil sie nicht gewußt hätten, daß es sich um ein Vergehen handle. Redner wünscht die Sicherstellung der Arbeiter gegen solche , der Arbeitgeber, durch die sie sich eventuell strafbar machen.

Der Etat wird genehmigt, desgleichen der Etat des Reichs⸗ Schatzamts.

Beim Etat des Reichs-Eisenbahnamts bemängelt der

Abg. Speiser (Vp.) die bestehenden Bestimmungen bezüglich des Transports von Edelmetallwaaren auf Güterzügen.

Präsident des Reichs-Eisenbahnamts Dr. Schulz: Die Be— stimmungen sind die Folge des am 1. Januar in Kraft getretenen Abkommens über den internationalen Frachtverkehr. Danach tragen die Eisenbahnen die ganze Haftbarkeit für die Transporte, und sind genöthigt, die Metallwaaren beim Transport mit besonderem Schutz zu umgeben. Es wird aber schon in den nächsten Tagen die Tarif=

commission der deutschen Eisenbahnverwaltung zusammentreten, und dabei werden auch die Interessenten gehört werden.

Der Etat wird genehmigt, desgleichen die Etats der Rechnungshofs

Reichsschuld, des und des Allgemeinen Pensionsfonds.

Beim Etat des Reichs-Invalidenfonds bemerkt der

Abg. Richter (dfr. ; Der Abg. Ahlwardt hat in der vorletzten Sitzung sich zum Reichsinvalidenfonds geäußert und ausgeführt, daß es richtig gewesen wäre, im Interesse des Reichs den Fonds so zu dotiren, daß die Zinsen für die Invaliden ausreichen und nicht so zu dotiren, daß er sich selbst amortisire. Er fügte dann, hinzu: Das hat die Regierung vorgeschlagen, nach Verhandlungen hinter den Coulissen mit den großen Börsen⸗ juden, die nicht dulden wollten, daß der Regierung große Kapitalien in die Hände geriethen. Ich frage die Vertreter der Regierung nun, ob sich die Regierung in ihren Vorschlägen durch Verhandlungen hinter den Coulissen hat bestimmen lassen. Es liegt hierin der Vor⸗ wurf, daß sie im Interesse von Privatpersonen etwas unterlassen hätte, was sie im Interesse des Reichs hätte thun müssen. Ich frage die Regierung, ob dieser Behauptung das geringste Thatsächliche zu Grunde liegt, oder ob der Abg. Ahlwardt das ebenso erfunden hat, wie die meisten seiner Behauptungen.

Staatssecretär Freiherr von Maltzahn:

Meine Herren! Der Invalidenfonds ist bekanntlich reservirt aus der französischen Kriegscontribution. Ueber die Verwendung der fran⸗ zösischen Kriegscontribution ist bestimmt worden durch Gesetze, welche zwischen den verbündeten Regierungen und dem Reichstag vereinbart sind und zwar im wesentlichen durch die beiden Gesetze vom 8. Juli 1872 und vom 8. Juli 1873. In dem ersten Gesetz waren die Grundsätze festgestellt, nach welchen derjenige Betrag der Kriegs—⸗ contribution, der nicht für gemeinsame Zwecke zur Verwendung kam, an die einzelnen Theilnehmer des Krieges von 1870/71, also einerseits an den Norddeutschen Bund, andererseits an die einzelnen süddeutschen Staaten vertheilt werden soll. Es war aber bestimmt, daß von den fünf Milliarden Franes Kriegsentschädigung eine Summe von 13 Milliarden Francs vorläufig reservirt werden sollte für gewisse Zwecke, die theilweise schon damals festgelegt wurden, theilweise noch festgelegt werden sollten.

Unter diesen Zwecken nennt das Gesetz von 1872 bereits die Aus—⸗ werfung eines Fonds für die Invaliden des Krieges von 1870/71; bei der Verabschiedung des zweiten Gesetzes und bei der Berathung dar⸗ über in diesem Hause war dieser Fonds bereits durch das Gesetz vom 23. Mai 1873 gebildet. Der Vorwurf, den der Herr Abg. Ahlwardt in der 70. Sitzung am 18. März d. J. erhoben hat, würde nicht nur die Vertreter der verbündeten Regierungen, sondern auch die Reichs⸗ tagsmitglieder treffen, welche an diesen drei Gesetzen mitgewirkt haben. Viele von diesen Mitgliedern werden zur Zeit allerdings im Reichstag wohl nicht mehr anwesend sein, einige sind aber doch noch da und werden sich jener Zeit erinnern, und derjenige, der vor Ihnen steht und spricht, hat über eins jener Gesetze, dasjenige vom 8. Juli 1873. namens der Budgeteommission damals den Bericht an das Haus er⸗ stattet.

Wären irgend derartige Verhandlungen gepflogen worden, wie der Herr Abg. Ahlwardt gewagt hat anzudeuten, so wäre es kaum mög- lich gewesen, daß diese Verhandlungen der Budgeteommission unbekannt geblieben wären. Ich kann aber auch ganz positiv den Herrn ver⸗ sichern, daß Verhandlungen mit Börsengrößen über die Gestaltung der Gesetze über die Vertheilung der Kriegscontribution der Einbringung der Entwürfe nicht vorangegangen sind. Speeiell über die Frage, ob s jweckmäßiger sei, den Invalidenfonds so zu gestalten, daß die Bedürfnisse der Invaliden nur aus seinem Zinserträgniß gedeckt werden sollten, oder ob es sich mehr empfehle, den Weg einzuschlagen