Geldzuwendung, und bittet 43 für seine Collegen im Senat um Zuwendungen. (Präsident von Levetzow: Was in den Acten steht, die Sie uns nicht vorgelegt haben geht uns heute gar nichts an, son⸗ dern nur das aus den Acten, die Sie uns vorgelegt haben.) Nun, schön! Da mir nicht die Möglichkeit gewährt ist, J. nur einige Stunden zu warten, um die Acten herbeizuschaffen — es wäre wohl gerecht gewesen, mir einige Tage dafür zu gewähren —, so ist es mir un— möglich, zu beweisen, was ich zu beweisen vorhatte.
Abg. Richter (dfr.): Der Abg. Ahlwardt hat von einer Pro⸗ vocation meinerseits gesprochen. Niemand hat hier anders provocirt wie er, indem er am Sonnabend bei der Berathung der Novelle zum Invalidenpensionsgesetz die Behauptung aufstellte, daß durch Ver⸗ handlungen hinter den Coulissen zwischen der Regierung und reichen Börsenjuden, wie er sich ausdrückte, die Regierung veranlaßt sei, gegen das Reichsinteresse den Invalidenfonds knapper zu bemessen, als es an sich vernünftig gewesen wäre. Darauf hin habe ich den Abg. Ahlwardt gestern aufgefordert, den Versuch zu machen, dies zu beweisen. Ich constatire noch zuzüglich dem, was bereits mitgetheilt ist, daß selbst in den vor— elegten Actenstücken über den Invalidenfonds uberhaupt nicht das Mindeste enthalten gewesen ist, nichts, was irgendwie auf das Ver⸗ halten der Reichsregierung jetzt oder früher irgendwie einen Bezug haben konnte. Alles, was der Abg. Ahlwardt in Bezug auf den In⸗ validenfonds — und das war der Ausgangspunkt seiner Anschuldi⸗
gungen — vorbrachte, war die Ueberreichung eines Pamphlets, das vor 15 Jahren erschienen ist und von dem bekannten, allerdings ihm verwandten Rudolf Meyer herrührt. Dieser Rudolf Meyer hatte in dem Buche verschiedene Stellen angestrichen. Es ist dies ein Pam phlet ähnlich anderen Pamphleten, die in jener Zeit über den In— validenfonds erschienen sind. Die damals erhobenen Anschuldigungen haben schon vor 16 Jahren den Deutschen Reichstag veranlaßt, bei der Berathung der Novelle zum Invalidengesetz in den Jahren 1875 und 1876 eine ausgedehnte Enquête über die Anklagen des Invalidenfonds und die dabei obwaltenden Verhältnisse anzustellen. Ich habe selbst dieser Commission angehört und es damals schon im Reichstag öffent— lich ausgesprochen, daß von allen diesen damals schon erhobenen An— schuldigungen, die jetzt wieder aufzuwärmen versucht worden, absolut nichts begründet gewesen ist nach Maßgabe der damals festgestellten Thatsachen. Wenn Sie Näheres darüber er—⸗ fahren wollen, so nehmen Sie Einsicht von der Nr. 185 der Drucksachen dieses Hauses aus der Session von 1875,76. Eine Behauptung hat jetzt der Abg. Ahlwardt wiederholt, die über— haupt weder mit dem Invalidenfonds noch mit dem Verhalten der Regierung das Mindeste zu thun hat, und für die er einen Beweis nicht vorzubringen im stande war. Er hat lediglich seine frühere unerwiesene Behauptung aufs neue behauptet. Das ist ja immer dieselbe Methode, die der Abg. Ahlwardt jetzt zum dritten Mal ver— übt: zum ersten Mal in dem bekannten Prozeß, worin er die Stadt— verwaltung von Berlin der Corruption beschuldigte, wofür er zu vier Monaten Gefängniß verurtheilt wurde, und dann in dem Prozeß wegen Beleidigung der Militärverwaltung und der Firma Loewe. Ueberall hat er die schwersten Beschuldigungen gegen Beamte und Privatpersonen ausgesprechen, und nirgends war er in der Lage, auch nur den Anfang eines Beweises zu geben. Immer versuchte er, diese Prozesse zu verschleppen, genau wie er jetzt auch wieder hinweist auf spätere Termine. Immer, wenn sich seine Zeugen und Beweise als absolut haltlos erwiesen hatten, vertröstete er, daß er in einer entfernteren Zeit bessere Zeugen und Beweise vorbringen könnte. In einem Prozeß, wo es sich um Privatpersonen und technisch complicirte Sachen handelt und um Vorgänge in Privatwerkstätten, ist es ja überaus schwer, für alle Welt erkennbar den Thatbestand gegenüber den An— schuldigungen klarzustellen. Hier aber handelt es sich nicht um Privat— personen, sondern um öffentliche Angelegenheiten, die leicht für das große Publikum zu überblicken sind. Es ist ein Segen des Parlamen—⸗ tarismus, daß wir nicht gebunden sind an lange Fristen und an die Prozeßformen, daß wir kurzen Prozeß mit dem Abg. Ahlwardt zu machen im stande sind, und daß das einstimmige Verdict dieses Reichs— tags den Abg. Ahlwardt in seiner ganzen Haltlosigkeit und ganzen moralischen Beschaffenheit vor dem Lande klargestellt hat.
Abg. Freiherr von Manteuffel (deons.): Als ich gestern der Vertagung zustimmte, that ich es im Interesse des Hauses, der Regierung und des ganzen Landes; aber ich hielt auch dafür, daß dieser Schritt auch im Interesse des Abg. Ahlwardt war. Denn nachdem er Beschul— digungen unerhörter Art gegen Mitglieder dieses Hauses und gegen Mitglieder der verbündeten Regierungen erhoben hat ohne Beweis— mittel, mußte er letztere so schnell wie möglich herbeischaffen. Der Abg. Ahlwardt hat dem Ersuchen des Reichstags nicht entsprochen, er hat die Beweismittel nicht zur Stelle bringen können. Wenn der Abg. Ahlwardt, von seinem Gewissen gedrungen, den Vorstoß glaubte machen zu müssen, durfte er ihn wenigstens gestern nicht machen, ohne die Beweiemittel zur Stelle zu haben, sondern mußte warten, bis seine Beweismittel da waren, und zwar unzweideutigere als seine heutigen. Ich vertrete diese Meinung einem socialdemokratischen und jedem andern Abgeordneten gegenüber. Der Abg. Ahlwardt hat nicht die Spur eines Beweises biß jetzt erbracht. Wenn etwas faul ist im Staate Dänemark, dann haben die Parteien ausnahmslos das größte Interesse, diese faulen Punkte aufzudecken, aber auch das Interesse, daß derartige Anschuldigungen nicht ins Land hinausgehen dürfen. Solche Ausstreuungen von Verdacht sind der faulste Punkt, den es im Deutschen Reich geben kann. (Lebhafter Beifall; Der Abg. Ahl⸗ wardt stellt Behauptungen auf und hält sie für erwiesen, wenn er sie wiederholt hat. Ein derartiges Vorgehen müssen wir Eonservativen aufs allerentschiedenste verwerfen; ein solches Vorgehen ist bisher in diesem Hause unerhört gewesen! (Lebhafte und allseitige Zustimmung.)
Abg. Ahlwardt (b. k. F.): Als plötzlich und unerwartet diese Schickung hier über mich hereinbrach (Ruf! Sie haben es ja selbst gemacht! Langanhaltende Heiterkeith Es wird hier so oft von Volksversammlungen gesprochen, dort kann man doch wenigstens zum Wort kommen. Ich kam gestern nicht mit der Absicht hierher, die Angelegenheit aufzudecken, während der Debatte hat sich eben diese Geschichte plötzlich entwickelt. Nachdem dies geschehen, habe ich mir die denkbarste Mühe gegeben, um das Material herbeizuschaffen, dafür rufe ich mehrere der anwesenden Collegen zu Zeugen auf. Während des ganzen Nachmittags und eines großen Thells der Nacht bin ich danach herumgefahren. Ich konnte gar nicht annehmen, daß meine Er— klärung, die Acten nach einiger Zeit vorzulegen, als ungenügend ange⸗ sehen werden würde. Das Haus wußte bereits gestern, daß ich es heute nicht konnte. Wenn gleichwohl die Sache i so entwickelt, als ob eine Untersuchung von ausreichend vorgelegten Actenstücken stattgefunden hat, so ist die Sache doch nicht ganz so, wie es den Anschein gewinnt. Als ich heute etwas vortragen wollte, was ungefähr über den Inhalt der Acten Klarheit giebt, ist es mir, hier unmöglich gemacht, und auch die Commission ist nicht bereit, diefe Acten sich fernerhin noch anzusehen resp. sernerhin zusammenzutreten. Wenn bie Ceommisston mir nicht einmal eine kurze Zeit von einigen Stunden gab, um die Thatsgchen zu beweisen, so fann ich diese Sache kaum als durch und durch ernst ansehen. Faule Punkte 2 aufgedeckt werden! Ja, das ist mein Bestreben und meine Absicht gewesen, und zwar nicht deshalb, um einen Einzelnen zu schädigen, sondern weil ich sehe, daß überhaupt die Zeitentwickelung eine solche ist, in der diese faulen Punkte leider bedeutend anwachsen und bedeutenden Schaden anrichten. Ich habe gekämpft nach meiner vollen Üeber— zeugung nur für die Wahrheit und reine Wahrheit. Ich kann ja warten. Ich habe das Bewußtsein, unter allen Umständen die jetzt sehr traurig Entwickelung der Zeit erkannt, die Schäden dargelegt und das Beste erstrebt zu haben. Das werde ich auch fernerhin rück- sichtslos thun. Wenn t die Corruption in vielen Kreisen derart ist, daß absolut klar zu Tage, liegende Dinge nicht mehr gefetzlich zu beweisen sind, weil andere Kin dazwischen stehen, so ist das zwar sehr schlimm, es wird mich aber nicht abhalten, trotzdem weiter zu kämpfen und endlich auf den Boden zu kommen und von da aus eine Besserung herbeizuführen. Auch ich muß erklären, so etwas wie meine Vergewaltigung heute ist noch nicht vorgekommen.
A pPräsident von Levetzow: Es hat Sie niemand vergewaltigt,
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man hat Sie zu Worte kommen lassen, so viel Sie verlangt haben, und der Ausdruck, den Sie brauchten, war nicht am Platze. Abg. Dr. Lieber (Centr.): Der Abg. Ahlwardt scheint noch immer nicht eine Spur von Verständniß dafür zu haben, daß die rößtmögliche Corruption diejenige ist, daß im Schoße des Deutschen deichstags die unerhörtesten Beschuldigungen gegen Mitglieder des Reichstags und der Reichsregierun en, n. werden, ohne daß derjenige, der sie ausspricht, auch nur den Schatten eines Beweises hinter sich hat. (3Zustimmung.) Die Commissien hat dem Abg. Ahlwardt nicht verweigert, auch fernerhin Beweisstücke von ihm enk— gegenzunehmen. Es ist ihm bemerkt worden, daß die zuständige Stelle zur Entgegennahme derselben der Präsident des Reichstags ist und dieser das weitere schon veranlassen werde. Darauf hat der Abg. Ahlwardt nicht reagirt. Wir wollen die Thatsache nicht verschieben lassen, daß entgegen dem Wunsche schwer abgearbeiteter Mitglieder des Hauses, in die Osterferien zu kommen, der Reichstag eine heute abzuhaltende Sitzung be— schlossen hat, lediglich um dem Abg. Ahlwardt Gelegenheit zu geben, einen Beweis wenigstens anzutreten. Nach der einstimmigen Erklärung der Commission ist dieser Beweis vollständig mißglückt, und der Abg. Ahlwardt scheint kein Gefühl dafür zu haben, daß schon diese Frift von 24 Stunden weit über das hinausging, was ein Ehrenmann von einem Parlament wie dem Deutschen Reichstag fordern kann. (Zu— stimmung. Für solche Beschuldigungen ist der Beweis sofort zu ver— langen. Das ist die gute Gepflogenheit des Reichstags, so hart unsere Kämpfe in 20 Jahren schon gewesen sind, jederzeit geblieben, und diese gute Gepflogenheit lassen wir uns von dem ÄÜbg. Ahlwardt und denen, die etwa hinter ihm in den Reichstag einrücken wollen, nicht verwirren. Ich bin aufs tiefste betrübt über einen Zustand der Dinge, der es dem Abg. Ahlwardt auch heute noch nicht erlaubt, zu erklären, daß er für seine gestrigen Anschuldigungen keine Beweife in der Hand hat. Eine solche Erklärung würde vorläufig die aufgeregten Gemüther im Reichstag, der verbündeten Regierungen und im Lande beruhigt haben. Statt dessen mit neuen Anschuldigungen vor den Reichstag zu treten, zu wissen, daß diese Anschuldigungen un— erwiesen mindestens vier Wochen ins Land gehen, und Über die Grenzen unseres Vaterlandes hinaus Deutschland vor dem Ausland herabzusetzen (Beifall), das ist ein Vorgehen, welches jeder parlamen— tarischen Würdigung vollständig unzuzänglich ist. Es fehlen auch dem Beredtesten unter uns die parlamentarischen Ausdrücke, um das heutige Vorgehen des Abg. Ahlwardt zu brandmarken. Wenn es nur der Mühe werth wäre, würde ich einen Ordnungsruf des Präsidenten riskiren, um dieses Vorgehen zu brandmarken; aber Sie werden es mir nachfühlen, um einen Abg. Ahlwardt kaufe ich mir keinen Ordnungs— ruf. (Lebhafter Beifall.)
Abg. Ahlwardt (b. k. F.): Die Handhabung des Verfahrens seitens des Reichstags ist nicht gut zu qualificiren. Es war den Herren doch bekannt, daß ich keine Zeit hatte, das Material zu be— schaffen, weil ich es nicht in meiner Wohnung habe. Und da kommt der Vorredner mit einer sogenannten sittlichen Entrüstung! Wenn von sittlicher Entrüstung die Rede ist, dann liegt dieselbe ganz und gar auf meiner Seite. Ich kann dies nur als eine vorläufige Erledigung der Sache ansehen und hoffe, daß es mir noch gestattet sein wird, thatsächlich den weiteren Beweis zu führen. Ich werde dann die Möglichkeit haben, mich gänzlich zu rechtfertigen, und Sie werden in Dinge Einsicht haben, in die Ihnen jetzt noch die Einsicht fehlt. Ich erwarte von dem hohen Hause, daß heute noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Der Abg. Richter hat mir vorgeworfen, daß ich wegen mangelnder Beweise bestraft bin. Ich habe für meine Behauptungen wohl genügend Beweise vorgebracht. Unser Volk ist aber schon'so Lorrumpirt von den Juden, daß niemand, der gegen die Juden kämpft, jemals zu seinem Rechte kommt.
Abg. Lr. Lieber (Centr.): Der Abg. Ahlwardt scheint anzu— nehmen, daß der Beschluß der Vertrauenscommission ihm die Pflicht abgenommen hat, seinen Beweitsz anzutreten, ja, daß sie ihm jede Möglichkeit dazu abgeschnitten hätte. Davon ist garkeine Rede. Ich werde nach Ostern Veranlassung nehmen, die Beweisführung auf die Tagesordnung des Reichstags zu bringen. Der Abg. Ahlwardt stellt sich wie ein unschuldiges Lamm, das niemand verletzt hat. Er fühlt sich so überlegen im Bewußtsein seiner Weltmission, daß er allein für sich die sittliche Entrüstung beanspruchen zu können glaubt. Da muß ich wirklich sagen: da ist meine Entrüstung am Ende und mein Mitleid fängt an. Aber ich kann mein Mitleid nicht fo weit gehen lassen, daß ich folgende Bemerkung unterdrücke: Der Abg. Ahlwardt hat die gute Gewohnheit des Reichstags gröblich verletzt, daß er schwere Beschuldigungen ausgesprochen hat, ohne die Beweife zu haben. Dieser Vorwurf muß dem Abg. Ahlwardt heute gemacht werden. Der Abg. Ahlwardt bleibt die Führung des Beweises auch fernerhin schuldig; wir verbitten uns aber, daß auch die heutige letzte Sitzung dazu, benutzt wird, neuerdings Mitglieder des Reichstags und der Regierung zu verdächtigen. Der Reichstag ist doch nicht dazu da, daß man jemandem ohne Beweis vorwirft, daß er silberne Löffel ge— stohlen habe. Es bleibt dem Reichstag nichts mehr übrig, als zu sagen: Der Abg. Ahlwardt ist unverbesserlich. Wollen Sie das mit Entrüstung oder mit Mitleid sagen, ist mir einerlei.
Abg. Stöcker (deons. : Es genügt doch nicht, daß der Abg. Ahlwardt hier moralisch todtgeschlagen wird. Eins darf man doch nicht vergessen: Der Mann ist vollständig unfähig, politische Ge— schäfte in, höherem Stile zu treiben. Schuld daran ist nicht die deutsch,sociale Partei, die den Abg. Ahlwardt nicht aufgestellt hat; sie hat dagegen protestirt. Daran ist schuld, daß das Volk auf⸗— gewühlt ist durch das allgemeine directe Wahlrecht. Auf diese Weise wird Fusangel gewählt gegen den Wunsch des Centrums, weil das Volk die tollsten Dinge, die ihm vorgeredet werden, glaubt. Es hat sich immer herausgestellt, daß an den Behauptungen des Abg. Ahlwardt etwas Wahres war. Dieses Körnchen Wahrheit hat das Volk be— stochen und verleitet. In der Broschüre gegen die Berliner Stadt— verwaltung hat sich als Wahrheit herausgestellt, daß ein Stadtverord.« neter ein religiöses Examen mit den Lehrern anstellt. Die Broschüre gegen Herrn von Bleichröder hätte nicht unverfolgt bleiben sollen; sonst versteht der kleine Mann das Verhalten der Regierung nicht. Auch bei der dritten Broschüre hat sich etwas als wahr herausgestellt. Warum sucht man in diesem Falle die Sache eher zu beschwichtigen als sie ins klare Licht zu stellen?
Abg. Ahlwardt (b. k. F.): Ueber die politische Befähigung eines Menschen wird man wohl niemals zu einem einstimmigen Ürtheil kommen. Ich habe die politischen Dinge immer sehr ernst genommen. Ich habe mich rücksichtslos der Sache angenommen. Ich habe niemals jemand ohne Grund angegriffen. In politischen Dingen ist die Heuchelei gebräuchlich und mancher wird das Bewußtsein haben, daß mir gegenüber heute politische Heuchelei hier und da nicht ganz aut— geschlossen ist. Ich habe die Sache gestern nicht vorbringen wollen; es war zufall, daß gestern die Sache zur Sprache kam. Ich habe meine Beweise und habe die Absicht, gelegentlich davon Gebrauch zu machen und plötzlich kommt die Debatte darauf zurück. Ich kann doch die Beweise nicht in wenigen Stunden hier haben. Eine Frist ist mir nicht gewährt worden. Der Abg. Stöcker wird auf seine Weise auch nicht zum Ziel kommen, denn er will zwar das Vaterland gesund machen, aber er will, den Krankheitsstoff nicht unschädlich machen. Darauf allein ist aber meine Thätigkeit gerichtet und 9 hoffe, bei einzelnen Personen in allen Parteien dabei Zustimmung zu finden. Der Abg. Stöcker hat die Gelegenheit wohl nur deshalb zu einem Angriff auf mich benutzt, um den Lohn für meine Thätigkeit für die conservative Partei elnzuheimsen. Ich werde nicht aufhören, für meine Sache zu kämpfen, niemand zu Liebe und niemand zu
1 ö E.
Abg. Rickert (dfr):; Der Abg. Stöcker konnte es nicht unter— lassen, nachdem er den Abg. Ahlwarßt abges lachtet hatte, für mil⸗ dernde Umstände zu plaidiren. Der Abg. Ahlwardt will sich aber den Lohn seiner Thätigkeit nicht nehmen lasen. Der Abg. Stöcker fragt: Wer ist Schuld an der Wahl des Abg. Ahlwardt? Die Confer— pativen! Ein Conservativer Landrath und andere conservative Leute haben einen Aufruf für ihn — 5 Der Abg. Stöcker hat die Broschüren des Abg. Ahlwardt vertheidigt, in deren einer der hoch gefeierte Kaiser Friedrich in den Schmutz gezogen worden ist. Wer
ist der Vater des Antisemitismus? Ein Erkenntniß des Reichsgericht bon 1886 bezeichnet es als gerichtsnotorisch, daß der Abg. Stöcker v Antisemitismus begründet hat. 9
Abg. Zimmermann (b. k. F.) bestätigt, daß der Abg. Ahl. wardt gestern und heute Vormittag bemüht gewesen ist, das Material . beschaffen. Die Antisemiten hätten keine Ahnung von den An chuldigungen gehabt, die der Abg. Ahlwardt vorgebracht, und er (Redner) hätte . schon dem Abg. Ahlwardt bemerkt, daß man solche Dinge nicht vorbringt, ohne sofort die Beweise vorzubringen Der Abg. Ahlwardt als parlamentarischer Neuling hat wohl ein Recht darauf, daß ihm Zeit gelassen wird, seinen Beweis zu bringen Es sei nur darauf hingewiesen, daß noch zanz andere Beschuldigungen durch die Presse u. s. w. erhoben wurden, ohne daß Widersprüuch er= folgt ist. Es ist auf Glagau's Buch: „Der Börsen- und Gründungt⸗ schwindel“ hinzuweisen, in welchem es' z. B. heißt: Die Disconko— gesellschaft mit Hansemann und Miquel an der Spitze (Präsident bon Leetzow ruft den Redner zur Sache). Redner stellt schließ⸗ lich die Frage, ob es der Gepflogenheit des Haufes entspricht, daß solche Actenstücke, die überreicht worden sind, durch den Abg. Schmidt⸗ Elberfeld sofort dem preußischen Finanz⸗Minister Dr. Miquel über- geben werden. ;
Abg. Stöcker (deons.): Eine vollkommen untergeordnete
Strömung hat den Abg. Ahlwardt als Reichstagscandidaten aufgestellt. darin lag das Gefährliche. In der Stichwahl haben die Conser? vativen für den Abg. Ahlwardt gestimmt. Die Stichwahlen hat man noch nie einer Partei aufs Conto geschrieben. Der Abg. Ahl⸗ wardt ist gegenüber der deutschfreisinnigen Partei noch das kleinere Uebel. Der nationalliberale Herr Paeske hat dargelegt, wie der Wahlkreis Arnswalde⸗Friedeberg aufgewühlt worden ift durch die Hetzereien der Freisinnigen gegen die Junker. Dadurch find die Ge⸗ müther so unklar geworden, daß sie das Richtige nicht erkennen konnten. Wenn das Reichsgericht mich als Urheber des Antisemitisz⸗ mus ansieht, so nehme ich das nicht als eine Schuld hin, sondern als eine große Ehre; denn ich halte es nicht für richtig, daß wir un von einer kleinen Minderheit ausbeuten lassen, daß wir unsere Volks seele an die Juden verlieren. Das kann nur jemand begreifen, der das beneidenswerthe Amt eines Führers der Judenschutztruppe hat. Herr Rickert, legen Sie dieses Amt nieder, dann werden' die Wogen ein bischen ruhiger gehen. Abg. Ahlwardt. (b. f. F): Der Abg. Rickert will den Ur⸗ sprung meiner Wahl in Friedeberg-⸗Arnswalde wissen. Ich habe es für durchaus nothwendig gehalten, daß ich hier im Reichstag sitze, und darum bin ich gewählt worden. Dem Auftreten des Abg. Rickert in dem Wahlkreise habe ich viel zu verdanken. Die Entscheidung der Wahl hing wohl nicht von den Conservativen ab, da ich in der Haupt wahl, schon einen Vorsprung vor dem freisinnigen Candidaten hatte; ich hin aber trotzdem den Conservativen dankbar. Das hohe Ver. dienst, den Antiseinitismus begründet zu haben, hat der Abg. Stöcker, und wenn ich nicht mehr mit ihm gehen kann, so liegt das daran, daß er auf halbem Wege stehen bleibt. An der antisemitischen Be⸗ wegung sind allein die Juden selbst schuld. Wir sind der Meinum, daß das deutsche Volk, wenn es unter sich bleibt, sich verständien kann, nur die Juden corrumpiren alle Verhältnisse. Kaiser Friediich habe ich nicht angegriffen, sondern nur die Juden, welche vor nicht zurückschreckten. Wenn der Abg. Stöcker meint, in meinen Broschüten sei Einiges wahr, so sage ich, es ist Alles wahr.
Abg. Richter (fr.): Der Abg. Zimmermann hat dem Abg. Ahl⸗ wardt bezeugt, derselbe habe sich die größte Mühe gegeben, sein Material zur Stelle zu schaffen. Wenn trotzdem weiter nichts zum Vorschein gekommen ist, als was wir heute vernommen haben, so beweist das, wie nichtig das ist, worauf sich seine Behauptungen stützen. Der Abg. Ahlwardt hat nicht einmal im Zusammenhange formulirt, wie er überhaupt nachzuweisen gedenkt, daß feine Be— schuldigungen der Regierung begründet feien. Der Abg. Jimmermann hat es bemängelt, daß die vorgelegten Actenslücke einein Mitgliede des Bundesraths zur Kenntniß überreicht worden seien. Alles, was zu den Acten des Hauses kommt, ist sämmtlichen Mitgliedern des Hauses gleichmäßig zugänglich, es ist kein Geheimniß, und es können auch die Mitglieder des Bundesraths von den Acten des Hauses Kenntniß nehmen. Nichts wäre auch verkehrter als gerade denjenigen, gegen die die Beschuldigungungen zugespitzt sind, die Einsicht in folche Aetenstücke zu verwehren. Das ift das natürlichste Recht selbst in jedem geordneten Verfahren außerhalb! dieses Haufes. Es ist überaus bezeichnend, daß der Abg. Ahlwardt selbst von seinen nächsten antisemitischen Freunden keine Unterstützung gefunden hat bis zu dem Augenblick, wo der Abg. Stöcker sich feiner annahm. Allerdings hat sich der Abg. Stöcker dagegen verwahrt, ihn vertheidigt zu haben, aber er hat sich nach Kräften bemüht, ihm Deckung zu gewähren, indem er wiederholt die Aufmerksamkeit des Hauses auf Nebendinge abzulenken suchte, auf die es absolut nicht ankam, und die zum theil gar nicht vor das Forum des Reichstags gehören. Dankbar ist ihm der Abg. Ahlwardt nicht gewesen. Er glaubte in dem Auftreten des Abg. Stöcker Coneurrenzbestrebungen zu erkennen, um ihm in der ge— meinsamen Agitation gegen die Jüden den Lohn zu schmälern, den er vor dem Abg. Stöcker in erster Linie beansprucht. Der Abg. Stöcker hat aber innerlich erkannt, daß heute nicht bloß über den Abg. Abl— wardt der Stab gebrochen wird, sondern über die ganze antiseinitische Bewegung. Wir sind dem Abg. Stöcker sehr dankbar, daß er seine innere Geistesverwandtschaft mit dem Abg. Ahlwardt so stark betont hat. Sie sind nur das, was der Abg. Ahlwardt ist, mit dem Unterschicde, daß Sie es verstehen, den Antisemitismus „als politisches Geschäft in höherem Stil zu treiben.“ Diese allgemeinen Declamaktionen gegen das Judenthum sind es gerade, die in solchen Leuten, welche eine andere Geistesbildung haben afs der Abg. Stöcker, einen solchen Fanatismus zuletzt entzünden, daß man es selbst mit der Wahrheit so wenig genau nimmt, wie wir es in den letzten Tagen erfahren haben. Bezeichnend ist es für den Abg. Stöcker, wie er über Herrn Loewe spricht. Wo ist der Beweis, daß) die Regierung nicht unparteiische Justiz, daß sie Schonung geübt hat? Nein, die Regierung hat in An— klage und Vextheidigung gethan, was sie sich selbst schuldig war einem Manne gegenüber, der, wie es in dem gerichtlichen Urtheile heißt, sich verdient gemacht hat, dem Vaterlande brauchbare Waffen zu liefem. Ein par nobile frätrum: Herr Stöcker und Herr Ahlwardt, sie ge— hören zusammen. 3
Präsident von Levetzow: Wegen dieser Aeußerung rufe ich Sie zur Ordnung; sie ist beleidigend für den Abg. Stöcker und für den Abg. Ahlwardt.
Abg. Richter (dfr.): Wenn es wahr wäre, daß ein solches Vor— gehen gegen eine Klasse der Bevölkerung dem nationalen Deutschthum und Christenthum entspräche, dann wäre es wahrlich sehr schlimm um Deutschthum und Christenthum bestellt. Zum Glück denkt die große Mehrheit des Volks anders von Deutschthum und Christenthum wie die Abgg. Ahlwardt und Stöcker, Das allgemeine Wahlrecht hat diesen Schaden nicht geschaffen, sondern ihn offenbar gemacht und ans Licht gebracht; was an einer Agitation ist, wie sie vor zwölf Jahren von dem Abg— Stöcker eingeleitet und dann von weniger geschickten Leuten fortgeseht wurde bis zu diesem Abg. Ahlwardt herab; das allgemeine direrhe Wahlrecht wird uns auch die Heilung bringen. Sie wird dazu be tragen, daß Elemente aus dem Reichstag wieder entfernt, weren über deren Zugehörigkeit zum Reichstag heute Urtheile gefällt sink, die ich nicht zu wiederholen brauche.
Abg. Rickert (dfr.: Ich werde das Amt eines Führers der Judenschutztruppe, wie der Abg. Stöcker sich ausdrückt, nicht niede⸗ legen. Ich werde, so lange mir die Stimme noch , ist immer protestiren gegen die antisemitischen Hetzereien, die eine chmach . sind, die eine Barbarei unseres Jahrhunderts dar⸗
ellen.
Abg. Liebermann von Sonnenberg (b. k. FN: Von den Plänen und i n des Abg. Ahlwardt habe ich weniger Ahnung e halt als vielleicht der Abg., Richter, der ja gestern die Falle e. ereitet hat, in welche der Abg. Ahlwardt gefallen ist. Der Alg. Ahlwardt hätte sich heute dem Urtheil der Vertrauens commis ion unterwerfen und sich das weitere vorbehalten sollen. Ich will hö . oder vielleicht auch fürchten, daß der Abg. Ahlwardt Beweise erbringt, Die große Volksbewegung aber wird davon nicht betroffen werden;
sie wird mit oder ohne den Abg. Ahlwardt ihren Weg gehen. Be⸗ stätigen sich die Behauptungen des Abg. Ahlwardt, dann wird das frischer Wind für uns sein. Die Bewegung hat einen schnelleren Fertschritt gemacht, seitdem der Abg, Nickert an die Spitze der Juden⸗ schutztruppe getreten ist. Das Wort von Schmach des Jahrhunderts hat ein Jude einem verstorbenen Derrscher gälschlich in den Mund elegt; es ist niemals gesprochen worden. Die Herren von der Linken . nicht nöthig gehabt, heute den Antisemitismus zur Sprache zu ringen. 2 Stöcker (deons): Authentisch ist ein anderes Wort aus dem erlauchten Munde: Man hätte früher etwas gegen das Juden⸗ thum thun sollen. Dieses. Wort sollte der Abg. Rickert lieber citiren. Solange die Freisinnigen immer für die Juden eintreten, ohne ihre sonst so scharfe Kritik zu üben, solange, wird die antisemitische Be: wegung zunehmen. Dem Abg. Rickert ist es zuzuschreiben, wenn jetzt der Abg. Ahlwardt verschwunden ist und man von der Wahl in Arns— walde⸗Friedeberg und von anderen, Dingen spricht. Wenn hier ein Stadtschulrath einen Pastor von seinem Ordinationsgelübde abwendig machen will, so sind das Mißstände, die unsere Bewegung vollständig tfertigen. * * Ahlwardt (b. 6. F): Der Abg. Richter hat mich und den Abg. Stöcker als ein edles Brüderpaar bezeichnet; soweit sind wir noch nicht. Ich könnte von einem anderen edken Brüderpaar reden: von dem Abg. Richter und Herrn Krähahn. . ; Abg. Schmidt⸗Elberfeld (dfr.): Ich wundere mich, daß der Abg. Stöcker es leugnet, daß die Wotte von der Schmach des Jahr⸗ hunderts aus hohem Munde gefallen sind. Der Abg. Stöcker sollte doch die Acten des Prozesses von 1884 kennen, in welchen das Ge⸗ richt es als bewiesen annimmt, daß die Worte aus dem hohen Munde
fallen sind. ; efalhn ] Richter (dfr): Der Abg. Stöcker hat hier einen Vorfall zur Sprache gebracht, der gar nicht hierher, sondern höchstens in die General-Synode gehört; der Abg. Stöcker hat die Sache auch falsch dargestellt. Es handelte sich nur darum, die kirchliche Stellung des Geistlichen zu erfahren, weil der Geistliche zur Gemeinde passen muß, denn sonst ist ein gedeihliches Wirken nicht möglich. k
Abg. Stöcker (deons.): Der von mir angeführte Vorfall ist ein solcher, der den Zorn des Volks hervorruft. Das Wort von der Schmach des Jahrhunderts ist von Herrn Magnus mitgetheilt worden, und er ist die eigentliche Beglaubigung dafür.
Abg. Richter (dfr.):; Herr Magnus, ein hochachtbarer Mann, hat mir das Wort mitgetheilt, und während dessen Lebzeiten ist dem niemals widersprochen worden. Jetzt wird widersprochen.
Abg. Stöcker (deons): Wenn ein Synagogenvorsteher dem Abg. Richter etwas mittheilt, so ist es doch deshalb noch nicht wahr!
Abg. Liebermann von Sonnenberg (b. k. F.): Als das Wort gefallen war, wurde es in antisemitischen Volksversammlungen besprochen, Herr Magnus wurde der Unwahrheit geziehen, und er hat nicht widersprochen. Das Wort soll von Herrn Magnus herrühren, der bei einem Wohlthätigkeits Concert das Erscheinen des hohen Herrn dahin auslegte, daß er die Schmach des Jahrhunderts verurtheile. Darauf soll der hohe Herr gesagt haben: Ich hetze nicht. So ist es mir erzählt worden. Die Verantwortung kann ich dafür nicht über— nehmen.
Abg. Schmidt⸗Elberseld (dfr.): Herr von Forckenbeck hat be— stätigt, daß der Hofmarschall von Normann mitgetheilt hat, daß diese Aeußerung wirklich gefallen ist. Vorläufig wird man den Gerichten wohl noch mehr glauben, als den Abgg. Stöcker und Liebermann von Sonnenberg. . . . . ö. J
Abg. Richter (d fr) Die Wahrheitsljebe des Stadtraths Magnus steht mir viel höher, als diejenige des Abg. Stöcker, dem das Gericht einen fahrlässigen Meineid vorgeworfen hat. ö. .
Abg. Stöcker (deons.): Daß ich mich eines fahrlässigen Meineids schuldig gemacht habe, ist eine grobe Unwahrheit; das gehört aber zum Betriebsmaterlal der Freisinnigen. Das Woit von der Schmach des Jahrhunderts wollten wir nur wegwischen von der hohen Gestalt des Herrschers, damit die Juden nicht damit ihr Spiel treiben. .
Abg. Rickert (dfr.: Wenn Sie das wollten, warum haben Sie das nicht gemacht, als der hohe Mund noch nicht geschlossen war! Da haben Sie geschwiegen und die „‚Kreuzzeitung“ berichtete damals, daß der Bericht der ‚National-Zeitung“ über das Wort, wenn auch nicht dem Wortlaute nach, so doch thatsächlich dem wirklichen Vor⸗
ange entspräche. ; K von Sonnenberg (b. k. F): Das Wort selbst schreckt uns nicht; warum berufen sich denn die Herren, die sonst immer von dem Männerstolz vor Fürstenthronen sprechen, auf ein solches Wort? Der Abg. Richter hat sonst mancherlei anti— semitische Neigung kundgegeben. Herr Lenzmann. hat, früher einmal gesagt: Eigentlich hätten die Freisinnigen die antisemitische Bewegung beginnen müssen. Freilich jetzt wird der Freisinn nur von den Juden über Wasser gehalten. .
, j en b. k. FN; Der Abg. Richter hat einem Ab⸗ geordneten einen fahrlaͤssigen Meineid vorgeworfen. Ich beantrage, daß der Reichstag sich jetzt sofort vertagt und eine Commission nieder⸗ setzt, um diese Beschuldigung zu prüfen. . . . Abg. . N33 verweist auf das Erkenntniß der 2. Straf⸗ kammer des Landgerichts Berlin vom Januar 1885, in welchem die Wahrheitsliebe des Abg. Stöcker charakterisirt wird, und ihm vor— geworfen wird, daß er unvorsichtig einen Eid geleistet hat.
Abg. Stöcker (deons. : Das Gerichtserkenntniß ist, längst be⸗ graben. Dem Erkenntniß sind nachher so viele Dementis entgegen⸗ gestellt worden, daß das Landgericht sich dieses Erkenntnisses schämen müßte.
Abg. Richter (dfr.): Der Abg. Stöcker hat mit dem Abg. Ahlwardt auch das gemein, daß er gerichtliche Erkenntnisse, wenn sie gegen ihn gerichtet sind, nicht anerkennt. = ;,
Abg. Ahlwardt (b. k. F.): Ich stelle fest, daß der Abg. Richter, der die Juden vertheidigt, besser behandelt wird, als ich, der die Juden angreift. .
Damit schließt die Debatte. In erklärt
Berichterstatter Graf Ballestrem (G Centr.), daß der zweite Theil der Diseussion sehr bedauerlicher Weise von der Hauptsache ab— geschweift sei, und weist es zurück, daß die Commission über die anti⸗ semitische Richtung abgeurtheilt habe, wie der Abg. Richter behauptet. Davon ist gar nicht die Rede gewesen. Der Abg. Ahlwardt würde, wenn er länger Mitglied des Hauses wäre, wissen, daß jede Commis⸗ sion nur ihren Auftrag zu erledigen hat; sie hatte nur die vorgelegten Schriftstücke zu prüfen und damit war ihre Thätigkeit abgeschlossen. Wenn der Abg. Ahlwardt von einer Verurtheilung sprach, so ist das nur geschehen, soweit sein gestriges Benehmen dazu Anlaß gab. Es ist verurtheilt worden, daß er schwere Anschuldigungen ausgesprochen hat, ohne Beweise dafür zur Stelle zu haben. .
Darauf wird der Rest des Etats ohne jede weitere Debatte genehmigt und der Etat und das Etatsgesetz sowie das Anleihe⸗ gesetz im ganzen endgültig angenommen.
Schluß i, Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag, den 13. April, 1 Uhr. (Interpellation Menzer, Petitionen und
zweite Novelle zum Wuchergesetz.)
Preußischer Landtag. Herrenhaus. 7. Sitzung vom 22. März.
Ueber den Beginn der Sitzung ist in der Nummer vom Mittwoch berichtet worden. Im weiteren Verlaufe der Be⸗ rathung des Gesetzentwurfs über die Ruhegehaltskassen für die Lehrer und Lehrerinnen an den öffent⸗ lichen Volksschulen nimmt nach dem Ober. ür ermeister Becker-Köln, der die nochmalige Ueberweisung des Entwurfs an die Justizcommission beantragt, das Wort
. d
seinem Schlußwort
Ministerial Director Dr. Kuegler, welcher den Redner auf die zahlenmäßigen Angaben der Motive verweist, die gen gende Material für Beurtheilung der finanziellen Erfolge gäben. Die Kosten für Schreibwerk würden nicht erhebliche werden, da das letztere von der Regierungsbehörde ausgeführt werde, der ohnehin die Festsetzung der Pensionen obliege. . .
Der Entwurf wird nach dem Antrage Becker an die um fünf Mitglieder verstärkte k. zurückverwiesen. Es folgt die Berathung von Petitionen.
Die Petition von Zunk u. Gen., Gerichtsschreibergehilfen Assistenten) beim Amts bezw. Landgericht in Kiel, um Verbesserung ihrer Gehaltsverhältnisse, wird, gemäß dem Antrage der Commission für Finanzangelegenheiten, der Staatsregierung zur Erwägung über⸗ wiesen; ebenso nach dem Antrage der Petitionscommission die Petition der Gemeindevorstände zu Bardowick, Wittorf und Han⸗ dorf im Regierungsbezirk Lüneburg um Errichtung einer Apotheke bezw. einer Filialapotheke in Bardowick. .
Die Petition des Rittergutsbesitzers Hoe rig und Genossen zu Körnitz bei Trachenberg, die in der vorigen Session gefaßten, auf die Räumung der Bartsch bezüglichen Beschlüsse zur Ausführung zu bringen und an der Bartschbrücke bei Bartschdorf bessere Abflußverhältnisse herzustellen, hatte die Petitionscommission be⸗ antragt, der Regierung als Material zu überweisen. .
Graf von Frankenberg: Ich möchte bitten, noch einen Schritt weiter zu gehen und die Petition der Regierung zur Berücksichti⸗ gung zu überweisen. Die Geschichte dieser Brücke ist eine Leidens geschichte für die Interessenten, deren Wünsche stets getäuscht worden sind. Schon im vorigen Jahrhundert wurde die Brücke erbaut, hatte aber damals eine 5m größere Breite wie jetzt nach dem im Jahre 1891 erfolgten Neubau. Allerdings hat die Brücke eine größere Höhe erhalten, aber diese Höhe wird für den Durchfluß erst nutzbar, wenn das Wasser aufgestaut ist und die Nachbarländereien überschwemmt sind. Es ist zugesagt worden, daß der Domäntunfiscus, der den Bau allein ausge⸗ führt hat, zu den Kosten der Verbreiterung der Brücke beitragen werde; das scheint mir aber zweifelhaft, denn der Domänenfiseus hat doch nur mit Rücksicht auf die geringeren Kosten die Brücke so eng gebaut. Die Brücke iit gebaut worden ohne jede polizeiliche Ge⸗ nehmigung durch den Ortsvorsteher und ohne Hinzuziehung eines Schaucommissars. Ich möchte den Minister bitten, die wohlwollenden Worte für die Landwirthschaft in diesem Falle zur That werden zu lassen und den Uebelständen Abhilfe zu schaffen. ;
Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden: Allerdings ist der Brückenbau ohne polizeiliche Genehmigung in Angriff genommen. Ich habe deshalb einen technischen Commissar an Ort und, Stelle geschickt, der sich dahin ausgesprochen hat, daß eine Sistirung des Baues unmöglich und das Durchflußprofil größer sei als früher. Es schweben Verhandlungen über eine Bartschregulirung innerhalb des Proyinzial-Landtags, die noch nicht zum Abschluß gelangt sind. Es handelt sich darum, Genossenschaften zu bilden, die die Regulirung zunächst des Unterlaufs, dann des noch schwierigeren Oberlaufs übernehmen sollen. Eher kann auch der Fiscus, der nur streckenweise Adjacent ist, nicht helfend eingreifen. Er wird sich dann seiner Verpflichtung nicht entziehen. .
Fürst zu Hatzfeldt⸗-Trachenberg: Ich sage dem Minister Dank für seine Erklärung im Namen der Interessenten. Zum ersten Mal haben wir heute gehört, daß die Angelegenheit in Fluß, ist. Auch die Erklärung, daß der Fiscus eine Anstandspflicht gleich einem Privatmanne erfüllen wird, hat mich mit Freude erfüllt. Möge der Domänenfiscus den Beschwerden durch Verbreiterung der Brücke ein Ende machen. .
Graf von der Schulenburg-Beetzendorf: Die gegenseitigen Ausführungen gehen dahin, daß diesem Fehler des Neubaues der Brücke abgeholfen werden soll. Mit der größeren Höhe, die man der Brücke gegeben hat, ist nicht gedient; denn bis sich das Wasser einen Meter . aufgestaut hat, ist es für die Uferbewohner schon von großem Schaden geworden. Der Minister erklärt, es werde Hilfe ge— schaffen werden aber vorher müsse sich eine Genossenschaft bilden, mit der der Fiscus dann verhandeln könne. Wozu das? Wozu diese Verzögerung? Ich empfehle deshalb, den Antrag der Regierung zur Berücksichtigung zu überweisen. .
Die Petition wird der Regierung zur Berücksicht igung über⸗— wiesen. ;
Die Petition des Professors Dr. Ernst aus'm Weerth um Erwirkung eines Quelllenschutzgesetzes für die Mineralbrunnen und Mofetten gegen Abbohrung will die Petitionscommission der Regierung zur wohlwollenden Erwägung überweisen. Freiherr von Solemacher- Antweiler beantragt, die Petition zur Berück— sichtigung zu überweisen, wofür sich auch Geheimer Justiz-⸗Rath Dr. Dernburg und Herr von Bemberg-Flamersheim aussprechen, da die bestehende Gesetzgebung keinen genügenden Schutz gebe. Das Haus beschließt Ueberweisung zur Berücksichtigung.
Die Petitionen des Vorstandes des Deutschsoeialen Reform vereins zu Strehlen in Schlesien u. a. O. um staatz« liche Prüfung der jüdischen Geheimgesetze beantragt die Petitionscommission der Regierung zur Prüfung und Berücksichtigung zu überweisen.
Referent Graf von Pfeil verliest die mit Citaten aus dem Talmud und Schulchan Aruch belegte Petition. Die rühmenswerthe Einigkeit des jüdischen Volks könne für uns zum großen Nachtheil ausschlagen. Man dürfe deshalb jedoch nicht in das wüste Geschrei des Antisemitismus einstimmen. Wir sind h8 o½ gegen 20 Juden; trotzdem haben die Juden seit der Judenemancipation alle unsere wirth— schaftlichen Verhältnisse, soweit sie gewinnbringend sind, in ihren Händen. Deshalb sehe ich das Gesetz, welches die Judenemaneipation einführte, als einen großen politischen Fehler an. Wenn nur ein Theil jener Behauptungen gegen die Juden wahr ist, dürfen wir nicht Vogel-Strauß-Politik treiben, sondern müssen gesetzlich dagegen ein— schreiten. Die bestehenden Zustände müssen sich allmählich zu einer Un— zufriedenheit verdichten; je länger sich die Regierung ablehnend ver— hält, die Zustände zu bessern, desto größer werden die Auswüchse des Antisemitismus.
Graf von Klinckowström: Eine Bewegung wie die des Antisemitismus hat ihre Gründe; diese zu untersuchen ist unsere Pflicht. Den berechtigten Kern der antisemitischen Bewegung erkenge ich mit der conservativen Partei an, mit den antisemitischen Parteien habe ich absolut nichts zu schaffen. Aber wir verlangen für das christliche Volk eine christliche Obrigkeit, für christliche Kinder christ— liche Lehrer. Im übrigen mißbilligen wir jede Agitation gegen den einzelnen Juden. Wir müssen zu der vorliegenden Frage Stel⸗ lung nehmen und hätten es schon früher thun sollen. Deshalb bitte ich, die Petition zur Berücksichtigung zu überweisen.
Dr. Freiherr von Schorlemer⸗Alst: Es wäre zweckmäßiger, die Petition nur zur Prüfung zu überweisen. Die vielen Ansschreitungen der Juden habe ich immer bekämpft, muß aber gestehen, daß auch von Christen abscheuliche Ausschreitungen begangen werden. Die Prüfung der strittigen Stellen in den erwähnten Büchern wird wohl kaum zu einem Resultat führen, da die Gelehrten selbst nie darüber einig werden können. Das Strafgesetzbuch bietet schon jetzt hinreichende Hilfe gegen große Ausschreitungen. Die Beschuldigungen gegen die Juden kann ich nicht eher als wahr anerkennen, bis sie bewiesen sind. Es würde nicht richtig sein, den Juden die Rechte wieder zu nehmen, die ihnen einmal gegeben sind. Jeder dahin zielende Versuch wird vergeblich sein. Die antisemitische Bewegung mit ihrer großen Ver— rohung des Tones, der Aufwühlung der Leidenschaften ist mir durchaus an n th Wir können uns selbst z. B. gegen den Wucher der Juden schützen durch Darlehnskassen 2c. das nützt mehr als die ganze antisemitische Bewegung. Gegen den Wucher und die Börse müßte au gesetzlich schärfer eingeschritten werden. Derartige Angriffe des Antisemitismus wie en die Sicherheit unserer Armee und die Integrität unserer Veamten erschüttern schließlich die Autorität des Staatz und der Krone, das bekllage ich aufs tiefste. Wir müssen verhindern, daß sich noch mehr Zündstoff ansammle, und deshalb bitte ich, die Petition
der Regierung zur Prüfung zu überweisen.
Nachdem die Debatte bereits geschlossen, bemerkt:; ; ; Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Dr. Althoff: die Peti⸗ tion ist vollständig gegenstandsles; die Drientalisten Deutschlands haben sich bereits genügend geäußert, und nur eine Minderheit ist zu der Ansicht der Petenten gelangt. Die beiden Bücher haben nach der Ansicht der meisten Sachverständigen einen nur historischen Werth; kein Jude ist gebunden, daran zu glauben. Der Antrag ist in der Form, wie er gestellt ist, garnicht ausführbar, die Pro⸗ fessoren sind garnicht zu solchen Gutachten verpflichtet; der Minister kann sie also nicht dazu jwingen. Sie müßten auch honorirt werden für ihre Mühe, wir haben aber garkeine Fonds für solche Sachen im Cultus⸗Ministerium. Ich bitte Sie also, über die Petition zur Tagesordnung überzugehen.
Ober⸗Bürgermeister St ruckmann-⸗Hildesheim beantragt Ueber⸗ gang zur Tagesordnung. Den Ausführungen des Geheimen Ober— Regierungs⸗Raths Dr. Althoff und des Freiherrn von Schorlemer⸗ Alst kann ich mich zum großen Theil anschließen. Der antisemitischen Bewegung, die wir heute wohl alle aufs tiefste beklagen, ist durch die Lauheit der ordnungsliebenden Parteien und durch die Schadenfreude mancher, denen die Unterstützung heute auch leid thut, Vorschub geleistet worden. Alle ordnungsliebenden Parteien müssen sich ver⸗ binden, um der Schlange den Kopf zu zertreten. Wir müssen über die Petition zur Tagesordnung übergehen, damit wir den Schein vermeiden, als ob wir mit der Bewegung, die heute einen Ahlwardt bejubelt, irgend etwas zu schaffen haben. Wir dürfen nie vergessen, daß der Stifter unserer Religion ein Jude war, daß die jüdischen Schriften des Alten Testaments auch uns heilig sind, und daß wir Christen die Juden viele Jahrhunderte geknechtet und verfolgt haben.
Ein zweiter Schlußantrag wird angenommen.
Nach Ablehnung der Anträge Struckmann und Schorlemer⸗ Alst wird der Commissionsantrag angenommen.
Schluß nach 6 Uhr.
Statistik und Volkswirthschaft.
Zur Statistik der Preußischen Staatseisenbahnen.
Dee Entwickelung des Personenverkehrs auf den Preußischen Staatsbahnen in den letzten sechs Jahren ergiebt sich aus folgender Zusammenstellung:
Nach der Statistik des Reichs-Eisenbahnamts, deren letzter Band für 1891,92 in diesen Tagen erschienen ist, betrug die Zahl der Personenkilometer:
gegen das Vorjahr 5 347 861 475 5 6Il0 707 374 — 4,9 Proc. 5 gõ0 709 765 4 6, 6 706420 811 —— 12,97 TL 520479 823 4121 „ ,, 7876475 77.1 — 45 , *)
1891392 gegen 1886 / 7 4 2528 614 296 — 17,3 Proc.
Wird die inzwischen erfolgte Verstaatlichung einiger Bahn⸗ strecken in Schleswig⸗Holstein, Thüringen und Hannover berücksichtigt, so stellt sich die Steigerung etwa auf 45 Proc. (44,9 Proc.).
In derselben Zeit * stieg die Personenfrequenz auf den größeren deutschen Staatsbahnen:
auf den Reichsbahnen um 20 Proc.
auf den Bayerischen Staatsbahnen um 27,5 Proc. Sächsischen . 534 ö Württembergischen „ . .
, Badischen . w h gegen 47,3 bezw. 45 Proc. auf den Preußischen Staatsbahnen.
Die Verkehrsdichtigkeit auf 1 km Bahnlänge betrug
1891192 bezw. 1891:
auf den Preußischen Staatsbahnen Michl ⸗ẽ⸗ ͤů nee, Bayerischen Staatsbahnen 184 263 Sächsischen Staatsbahnen 348 838 Württembergischen Staatsbahnen 222 414 Badischen Staatsbahnen 290 835 1
war sonach in Preußen nur wenig geringer als in dem dicht
bevölkerten Sachsen und erheblich stärker als auf den übrigen
größeren deutschen Staatsbahnen.
Die Zugausnutzung stellt sich durchschnittlich auf ein Zugkilometer:
auf den Preußischen Staatsbahnen. K auf 62,4 Personen, Reichsbahnen w . Bayerischen Staatsbahnen. 42,2
633
1886/87 1887/83 1888/89 1889/90 1890/91
1
1
6 n
/ n
321 788 Personen,
2 243373
! y, 2 . Sächsischen . . Württembergischen „ 46,7 , Bh heg . Jꝛꝛ ö. in Preußen hiernach wesentlich günstiger als auf den meisten anderen Staatsbahnen und nur wenig geringer als in Sachsen. Die Achsausnutzung belief sich durchschnittlich auf ein Achskilometer: auf den Preußischen Staatsbahnen Reichsbahnen ö Bayerischen Staatsbahnen Sächsischen ö ö 416 Württembergischen „ w „Badischen . w war somit auf den Preußischen Staatsbahnen am günstigsten. Eine Personenwagenachse durchlief durchschnittlich im Laufe des Jahres 1891/92 bezw. 1891: auf den Preußischen Staatsbahnen Reichsbahnen w 42936 Bayerischen Staatsbahnen 34199 Sächsischen Staatsbahnen 39461 Württembergischen Staatsbahnen 37 280 „Badischen Staatsbahnen 8 Die durchschnittliche Einnahme für jede Personen⸗ wagenachse betrug: auf den Preußischen Staatsbahnen 6382 MS Neichshahnn 5682 Bayerischen Staatsbahnen 4869 „ Sächsischen . 5233 „ Württembergischen Nö9g „ Badischen . , war somit in . am höchsten; gleichwohl stellte sich die durchschnittliche Fahrgebühr für ein Personenkilo⸗ meter auf den Preußischen Staatsbahnen am niedrigsten, nämlich:
auf 4,59 Personen, 3.82 407
147 286 km
6
) Dem Rechnungsjahre 1. April 1891/92 fehlte der Osterver⸗ kehr, demzufolge die Perfonenfrequenz im April 1891 um 5,7 und im März 1892 um S,4 0 hinter den Vergleichsmonaten des Vorjahrs zurückblieb, während die übrigen zehn Monate eine Steige rung von 7,1 0,9 aufweisen. .
) Die Angaben der Baperischen, Sächsischen und X
Staatsbahnen beziehen sich auf die Kalenderjahre 1886 —- 1891.