1893 / 106 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 04 May 1893 18:00:01 GMT) scan diff

wandelt war, ein prächtiger Anblick dar: die mit Guir⸗ landen verbundenen, mit schweizerischen, Luzerner, preußischen und deutschen Wappen, Fahnen und Wimpeln geschmückten Masten, die bis zum Bahnhof errichtet waren, sowie die mit Flaggen geschmückten Schiffe im Hafen bezeugten ebenso wie die lebhaften Rufe der zusammengeströmten Bevölkerung un⸗ verkennbar die Gesinnungen, die das Deutschland befreundete schweizer Volk beseelen. Auch die Hotels hatten sich reich geschmückt, und der unbefangene und nachdenkende Beobachter mußte darüber staunen, daß so viele deutsche Kaiseradler auf gelbem Grunde in Luzern vorhanden waren, die den Zweck hatten, Ihren Majestäten zu zeigen, mit welchen freundlichen Gesinnungen die Schweiz den hohen Besuch ehrte. Es war 12 Uhr, als die Majestäten den Zug bestiegen: nach⸗ dem Allerhöchstdieselben Sich, freundlich dankend, von der Stadt wie von der malerischen Gegend verabschiedet hatten, ertönten abermals 101 Kanonenschüsse, und weiter ging der Zug nach Deutschland, zunächst nach Karlsruhe.

Wie verlautet, hat Ihre Majestät der Gattin des Hotel— besitzers Hauser eine werthvolle Broche zum Dank für die freundliche Aufnahme im Hotel persönlich überreicht, während Seine Majestät dem Besitzer Seine Anerkennung durch huld— volle Worte zu erkennen gab. .

Der Eindruck, den die Majestäten von Ihrem Aufenthalt in der Schweiz und Luzern gewonnen haben, dürfte sich voll⸗ kommen dem Eindruck der schönen Tage anschließen, welche die Majestäten in Italien verlebt haben: mit freudiger Genug— thuung werden Allerhöchstdieselben in die Heimath zurückkehren, nachdem Sie gesehen, welche Gefühle der Achtung und Freund⸗ schaft Italien und die Schweiz für Deutschland empfinden.

Der Bundesrath trat heute zu einer Plenarsitzung zusammen. Vorher war der Ausschuß für Justizwesen ver— sammelt.

Am Dienstag Nachmittag wurde im Kieler Hafen ein Boot des Schiffsjungen-Schulschiffs „Moltke“ von dem Dampfer „Helene“ der Firma Sartori überrannt, wobei die Schiffsjungen Japsen, Rahn, Lang, Keibler, Szolka, Reuter und Hegerding ertrunken sind.

Die Nr. 9 der „Amtlichen Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts“ vom 1. Mai 1893 enthält u. a. zwei an die Berufsgenossenschafts-Vorstände und Schieds⸗ gerichts⸗Vorsitzenden gerichtete Rundschreiben vom 20. April und vom 28. April 1853, welche dazu bestimmt sind, den auch im Reichstag berührten Uebelständen zu begegnen, daß die Fest— stellung der Unfallrenten bei der Betheiligung mehrerer Berufsgenossenschaften erfahrungsmäßig unliebsame Zögerungen erleidet.

Die als Beilage zu obiger Nummer der „Amtlichen Nachrichten des Reichs-Versicherungsamts“ erscheinende Sonderausgabe für Invaliditäts- und Altersversicherung ent— hält folgende Revisionsentschei dungen: .

Die Frage der Versicherungspflicht der Personen, welche Bauarbeiten bei wechselnden Arbeitgebern, nament— lich auf dem Lande, ohne Zuziehung von Gehilfen fertigen, ist stets nach den im einzelnen obwaltenden Um— ständen zu beantworten. Da, wo die Uebernahme größerer, eine längere Zeit erfordernder Bauten, zu deren Herstellung es eines höheren Maßes technischer Fertigkeiten und deshalb auch einer handwerksmäßigen Vor⸗ bildung bedarf, in Betracht kommt, wird die Ausübung eines die Versicherungspflicht ausschließenden selbständigen Gewerbes angenommen werden können; andererseits ist ein versicherungs⸗ pflichtiges Lohnarbeitsverhältniß stets dann für vorliegend zu erachten, wenn es sich nur um Leistung geringfügiger Reparatur⸗ arbeiten handelt, wie solche von dem ländlichen Besitzer auch wohl selbst mit Hilfe seiner eigenen Leute vorgenommen oder doch wenigstens wirksam geleitet und beaufsichtigt zu werden pflegen. Auch kann ein Schluß auf die Selbständigleit oder Un— selbständigkeit des betreffenden n n n daraus gezogen werden, welche sociale Stellung derselbe im übrigen einnimmt, und wie seine Bauthätigkeit vom Standpunkt der sonstigen Arbeiterversicherungsgesetze, der Steuergesetze und anderer öffentlich rechtlicher Bestimmungen beurtheilt wird.

In der Altersrentensache eines Käthners aus Schleswig— Holstein, welcher sich zugleich mit dem Decken von Stroh⸗ dächern in den ländlichen Ortschaften beschäftigte, ist die Versicherungspflichtigkeit der Dachdecker—⸗ arbeiten als einer besonderen Art landwirthschaftlicher Tage⸗ löhnerarbeiten angenommen worden.

Ein in eigener Werkstatt arbeitender Tischler, der während eines Theils des Sommers Maurer⸗ arbeiten übernahm, ist für nicht versicherungspflichtig erachtet worden.

Im allgemeinen und unbeschadet derjenigen Ausnahme⸗ fälle, deren eigenartige Verhältnisse eine abweichende Be⸗ urtheilung erheischen, ist davon auszugehen, daß Haus— schneider, auch wenn sie sich vorwiegend mit Flickarbeiten beschäftigen und hauptsächlich in den Häusern ihrer Kun⸗ den arbeiten, nicht als Arbeiter im Sinne des Invalidi— täts- und Altersversicherungsgesetzes, sondern als selbständige Gewerbetreibende zu behandeln sind.—

Endlich wird ein Urtheil des Königlich preußischen Ober⸗Verwaltungsgerichts vom 3. März 1893 mit⸗ getheilt, durch welches ber Anspruch eines Beamten einer Invaliditäts- und Altersversicherungsanstalt derselbe gehörte weder deren Vorstande an, noch war er Be⸗ amter der Provinz, für deren Bezirk die Versicherungsanstalt errichtet ist auf die Rechtswohlthat des . Gesetzes vom 11. Juli 1822, betreffend die Heranziehung der Staatsdiener zu den Gemeindelasten (Gesetz⸗Samml. S. 184) als unbegründet zurückgewiesen und die Eigen⸗ schaft dieses Beamten als eines mittelbaren Staatsbeamten verneint worden ist.

Seine Hoheit der Erbprinz von Sachsen-Meiningen, General-Lieutenant und Commandeur der 2. Garde⸗-Infan— terie⸗Division, ist hierher zurückgekehrt.

Der Staatssecretär des Auswärtigen Amts, Wirkliche Geheime Rath Freiherr Marschall von Bieberstein ist hierher zurückgekehrt und hat die Geschäfte des Auswärtigen Amts wieder übernommen.

Die Bevollmächtigten zum Bundesrath, Königlich baye— rischer Staats-Minister des Königlichen Hauses, und des Aeußern und Vorsitzender im Ministerrath Freiherr von Crailsheim, Königlich württembergischer Präsident des Staats⸗Ministeriums, Staats-Minister der Auswärtigen An⸗ gelegenheiten Dr. Freiherr von Mittnacht, Großherzoglich hessischer Stag is Minister, Minister des Großherzoglichen Hauses, des Aeußern, des Innern und der Justiz Finger und Herzoglich braunschweig⸗lüneburgischer Staats⸗Minister Dr. Otto sind hier eingetroffen.

S. M. Kanonenboot „Iltis“, Commandant Corvetten— Capitän Graf von Baudissin, ist am 3. Mai in Hiogo eingetroffen und beabsichtigt, am 14. dess. M. nach Shanghai in See zu gehen. .

S. M. Kreuzer⸗Corvette „Marie“, Commandant Cor— vetten⸗-Capitän Freiherr von Lyncker, ist am 2. Mai in Coquimbo angekommen und beabsichtigt, am 29. dess. M. die Reise fortzusetzen.

Köln, 3. Mai. Gestern, am Vorabend des Jubiläums des Cardinal-Erzbischofs Dr. Krementz und heute früh wurden, wie die „Köln. Ztg.“ berichtet, die Glocken aller katholischen Kirchen der Stadt eine Stunde lang geläutet. Gegen 8 Uhr zogen die Vereine, Innungen, Congregationen und Bruderschaften mit ihren Fahnen und Bannern von ihren Sammelplätzen der Fesistraße zu und nahmen zu beiden Seiten derselben vom erzbischöflichen Pa⸗ lais aus über die Gereonstraße, Sachsenhausen, Dominicaner, Marzellenstraße, Domkloster bis zum Dom Auf— stellung. Im Dom, dessen Schiff und Kreuzhallen mit Fahnen geschmückt waren, versammelten sich das Domeapitel und der übrige Clerus. Diese verließen um 8is/ Uhr den Dom, um den Jubilar von seinem Palaste zu den kirchlichen Feierlich⸗ keiten abzuholen. Der Zug setzte sich zusammen aus dem Regular-⸗Clerus der Erzdiözese, den Alumnen des Priester⸗ Seminars, dem Pfarrcapitel von Köln, den Vertretern der theologischen Facultät in Bonn, dem Stiftscapitel von Aachen und den auswärtigen Domcapiteln. Auf dem Rück⸗— wege schlossen sich dem Zuge an; das Festcomité, die Vertreter des rheinischen Adels, die Malteserritter sowie eine Anzahl Corporationen mit ihren Bannern; dann folgten verschiedene Vertreter auswärtiger Bischöfe, mehrere Aebte und hierauf die Erzbischöfe bezw. Bischöfe Dr. Korum von Trier, Dr. Dingel⸗ stad von Münster, Dr. Simar von Paderborn, Dr. Haffner von Mainz, Dr. Klein von Limburg, Dr. Thiel von Ermeland, Boermanns von Roermonde, der Weihbischof Gockel von Paderborn, der apostolische Vicar von Sachsen Bischoßs Wahl und der frühere Armee⸗Bischof Namsza⸗ nowski. Den Schluß machten die vorher Spalier bil— denden Vereine. Der Cardinal-Erzbischof celebrirte, im Dom angekommen, ein Pontifical⸗Amt, während der Domchor eine sechsstimmige Messe von Palestrina sang. Die Festpredigt hielt der Bischof von Trier Dr. Korum. Den Schluß der Feier bildete ein Tedeum von Witt mit Orchesterbegleitung. Hierauf geleitete der Festzug den Cardinal in seine Wohnung zurück, wo dieser von 12½ bis 2 Uhr die Glückwünsche der Geistlichkeit der Stadt und Diözese, der Vertreter der Provinz, der Städte Köln und Koblenz u. s. w. entgegennahm.

Württemberg.

Die Kammer der Abgeordneten beendigte gestern die Berathung des Eisenbahn-⸗Etats sowie des Etats der Bodenseedampfschiffahrt und erledigte sodann das Gesetz wegen Entschädigung der durch die Maul- und Klauen— seuche entstandenen Verluste in der Allgemeinberathung.

Hessen.

Die Zweite Kammer lehnte in ihrer gestrigen Sitzung, entgegen dem Beschluß der Ersten Kammer, den Gesetzentwurf über den Ersatz des Wildschadens ab und nahm dann die Vorlage über die Ausübung der Gemeindejagden, sowie die über Abänderung des Jagdgesetzes, unter theil— weisem Beitritt zu den Beschlüssen der Ersten Kammer, an.

Oesterreich⸗Ungarn.

In der gestrigen Sitzung des böhmischen Landtags erklärte, wie „W. T. B.“ aus Prag meldet, der Statthalter Graf Thun, in Beantwortung einer an die Regierung ge— richteten Interpellation über die antisemitischen Excesse in Kolin, unter dem lebhaften Beifall des Hauses: jene Aus⸗ schreitungen seien durch die böswillige , veranlaßt worden, daß eine bei einem Juden bedienstete Magd das Opfer

eines rituellen Mordes geworden sei. Die gerichtliche Obduction .

ergeben, daß nicht die geringsten Spuren von Gewaltthat an dem Leichnam vorgefunden wurden, vielmehr ein Selbstmord vor⸗ liege. Die Sicherheitsbehörden hätten nichts versäumt, was im Interesse der Sicherheit der Person und des Eigenthums habe verfügt werden können; sie seien überall mit aller Ent⸗ schiedenheit aufgetreten, wodurch es gelungen sei, die Wiederholung und Ausbreitung der Excesse 7 ver⸗ hindern. Der Statthalter erklärte ferner, er verurtheile die Bewegung aufs schärfste, welche eine ganze Klasse gleich berechtigter Staatsbürger ihrer gesetzlich gewährleisteten Rechte berauben wolle ünd sich hierbei von blindem Rassen⸗ haß leiten lasse. Alle Regierungsorgane seien verpflichtet, schon in der Ausübung der Vorsorge für die allgemeine Aufrechterhal⸗ tung der öffentlichen Ruhe dieser Bewegung die vollste Auf⸗ merksamkeit zu widmen und, wo immer ein Anlaß sich biete, derselben auf das entschiedenste entgegenzutreten, damit alle ö. Böhmens ohne . der Natio⸗ nalität, der Confession und des Standes den Vollgenuß der staatsbürgerlichen Rechte und den Schutz der berechtigten Interessen genießen könnten. Es könne aber nicht Sache der Sicherheitsbehörde sein, gegen die verbreiteten Anschauungen und Tendenzen zu Felde zu ziehen, sondern ihre Thätigkeit könne der ö nach nur eine repressive sein und erst

dann eintreten, wenn solche Ideen in concreten Thatsachen den gesetzwidrigen Ausdruck faͤnden. Der steiermärkische Landtag ist gestern geschlossen worden. Großbritannien und Irland.

Die Verlobung des Herzogs von Jork mit der Prinzessin Victorka von Teck ist dem „W. T. B.“ zu⸗ folge gestern amtlich bekannt gemacht worden.

Im Unterhause kam gestern die zweite Lesung der Bill über die Beschränkung des Arbeitstages in den Bergwerken auf acht Stunden zur Berathung. Die Bill enthält die Bestimmung, daß jede Contravention seitens der Arbeitgeber mit einer Geldstrafe bis zu zwei Pfund zu be— legen sei. Der Deputirte D. Thomas beantragte die Verwerfung der Bill. Der Premier⸗Minister Gladstone erklärte, diese Frage sollte nicht als Parteifrage behandelt werden. Die Regierung könne als Regierung nicht interveniren; aber die Mehrheit der Minister werde für die zweite Lesung stimmen. Auch er selbst werde dafür stimmen, weil er sich überzeugt habe, daß eine sehr bedeutende Mehrheit der Bergleute für die Vorlage sei. Die Vorlage müsse jedoch bei der Einzelberathung dahin ab— geändert werden, daß das Gesetz in den Districten, in denen die Majorität der Bergleute dagegen sei, nicht in Kraft treten solle, und ferner dahin, daß die Geldstrafe nicht ausschließlich auf die Arbeitgeber angewendet werde. Andernfalls könne er nicht für die dritte Lesung der Bill stimmen. Schließlich wurde die zweite Lesung mit 279 gegen 201 Stimmen angenommen.

Gestern Nachmittag fand in London unter Vorsitz des Lord⸗Mayors in der Guildhall ein Meeting gegen die Homer ule-⸗-Bill statt. Daran nahmen neben den Vertretern der Handels⸗, Finanz- und Industrie⸗Institute auch Chamber⸗ lain und mehrere andere unionistische Parlaments⸗Mitglieder theil. Der Saal war überfüllt. Die Mehrzahl der Börsenmitglieder, etwa 1200 an der Zahl, begab sich in Procession mit Fahnen und unter Gesang des „Rule Britannia“ nach der Guildhall und hielt die Umgebung gegen die Gladstoneaner besetzt, die angeblich eine Gegendemonstration beabsichtigten. Chamberlain wies in der von ihm gehal⸗ tenen Rede auf die bisher schon gegen die Regierungsvorlage dargelegten Gründe hin und gab ein Bild von dem Unheil, das für Irland daraus hervorgehen würde. Das Meeting nahm einstimmig eine sich gegen die Homerule-Bill aus⸗ sprechende Resolution an. Der Beschluß wurde mit großem Beifall aufgenommen.

Der General Sir James Dormer, Ober-Befehlshaber der Truppen in Madras, ist seinen kürzlich auf einer Jagd von einem Tiger erhaltenen Wunden erlegen.

Rußland.

Nach neueren Bestimmungen wird, wie W. T. B.“ aus St. Petersburg meldet, die Kaiserliche Familie in der Krim einen längeren Aufenthalt nehmen, als ursprünglich in Aussicht genommen war. Zur Feier des zehnjährigen Krönungs— Jubiläums am 27. d. M. wird die n , Familie in Moskau eintreffen.

In dem Befinden des General-Adjutanten von Richter ist, wie aus der Krim eingegangene Depeschen berichten, eine Besserung eingetreten.

Italien.

Nach den amtlichen Feststellungen ergaben die Ein⸗— nahmen aus der Grundsteuer und aus dem Mobilien— besitz vom 1. Juli 1892 bis zum 30. April 1893 ein Mehr von 831 544 Lire gegenüber dem Zeitraum vom 1. Juli 1891 bis zum 30. April 1892.

Der Cardinal⸗-Staatssecretär Rampolla ist von seinem Unwohlsein vollständig wiederhergestellt und machte, wie „W. T. B.“ berichtet, gestern den ersten Ausgang, um dem preußischen Gesandten von Bülow für die ihm von Seiner Majestät dem Kaiser Wilhelm während Allerhöchstdessen Aufenthalts in Rom zu theil gewordene hohe Auszeichnung seinen Dank abzustatten.

Belgien.

Der Senat beschloß, den Antrag Deconinck, der bezweckt, die Strafen gegen das Duell zu verschärfen, in Erwägung zu ziehen.

Schweden und Norwegen.

In der gestrigen Sitzung des Storthings verlas der Minister-Präsident Stang eine Erklärung, die dem „W. T. B.“ zufolge im wesentlichen Folgendes besagte: Der König habe nach der Demission des bisherigen Ministeriums vergeblich versucht, ein neues Cabinet zu constituiren, das in Bezug auf die allgemeinen politischen Fragen mit der Storihingsmehrheit übereinstimme. Er (der Minister-Präsi⸗ dent) und seine Collegen hätten es für eine patriotische Pflicht gehalten, der Aufforderung des Königs ier zu leisten. Es sei dies geschehen einerseits, um die Gefahren zu vermeiden, die daraus hätten entspringen können, wenn der König längere Zeit ohne Rathgeber und ohne eine verantwort⸗ liche Regierung hätte bleiben müssen; andererseits aber, um dem Volke Gelegenheit zu geben, seinen Willen bei den Wahlen auszusprechen, bevor das Vaterland in Verhältnisse geführt werde, die für seine Zukunft von so hoher Bedeutung seien, Das neue Ministerium habe als einziges Ziel das Wohl Norwegens im Auge. Es strebe im Innern die Ent⸗ wickelung der verschiedenen Gewerbezweige an, in Bezug auf die , Politik werde es die Gleichberechtigung Norwegens innerhalb der Union behaupten. In der Konsulats⸗ frage und der auswärtigen Vertretung werde das Ministerium jeden präjudicirenden Schritt zu vermeiden suchen, wenn es nicht auf eine Unterstützung seitens des Storthings rechnen könne. Von seiner Seite werde nichts unternommen werden, was dem durch die Verfassung bestimmten Zusammenarbeiten der gesetz⸗ gebenden Körperschaften hinderlich sein könnte. Der Depu⸗ kirte Horst entgegnete darauf: Die Auffassung der Linken über die Minifterverantwortlichkeit stimme mit der des zurück— getretenen Cabinets überein. Dasselbe betrachte das gegen⸗ wärtige Cabinet als ein durch außernorwegische Einflüsse zu stande gekommenes. Redner beantragte schließlich eine Tages⸗ orbnung, worin ausgesprochen wird, das Storthing billige völlig die Stellungnahme des zurückgetretenen Cabinets und erkläre gleichzeitig, dem Ministerium Stang fehle jenes Ansehen und jener Rückhalt bei dem norwegischen Volk, die zu einer glücklichen Fortführung der Staatsgeschäfte unbedingt erforderlich seien. Die Berathung dieser Tagesordnung wurde auf Freitag festgesetzt. Zehn Mitglieder der Linken beantragten darauf als natlonale Anerkennung für den zurückgetretenen Minister⸗Präsidenten einen Ehrensold von 6009 Kronen jähr⸗ lich. Die Verhandlung über diesen Antrag wurde aufgeschoben.

Amerika.

Wie aus Rio de Janeiro gemeldet wird, ist der brasilianische Congreß gestern eröffnet worden. Der Präsident der Republik Peixoto constatirte in seiner Er— öffnungsrede die guten Beziehungen Brasiliens zum Auslande und kündigte . Arbeiten zum Zweck der Förderung der Einwanderung an. Ferner erklärte der Präsident die finanzielle Lage für gebessert und schloß mit dem Ausdruck des Ver— trauens in die Erhaltung des Friedens.

Dem „New York Herald“ wird über Valpargiso aus Artigas gemeldet: Der General der Insurgenten Sarawa habe die Avantgarde des Generals Lima geschlagen. Der brasilianische Kriegs-Minister, General Moura, der in Rio Grande do Sul eingetroffen war, um den Oberbefehl über die gegen die Insurgenten aufgebotenen Truppen zu übernehmen, sei nach Rio de Janeiro zurückgekehrt, wie ver— lautet, wegen eines Zwistes mit dem Gouverneur Castilho. Das 30. Infanterie⸗Regiment sei zu den Insurgenten über⸗ gegangen; von dem 23. Regiment werde dasselbe erwartet.

Parlamentarische Nachrichten.

Deutscher Reichstag.

Der Bericht über die gestrige Sitzung befindet sich in der Zweiten Beilage.

89. Sitzung vom Donnerstag, 4. Mai, 1 Uhr.

Der Sitzung wohnen bei der Reichskanzler Graf von Caprivi, die Staatssecretäre Dr. von Boetticher, Frei— herr von Marschall und Hollmann, der Königlich preußische Kriegs⸗Minister von Kaltenborn-Stachau der Königlich bayerische Militär⸗Bevollmächtigte, General-Major Ritter vom Haag, der Königlich sächsische Kriegs⸗Minister von der Planitz, der Königlich sächsische Gesandte Graf von Hohenthal und der Königlich württembergische Staats— Minister des Kriegswesens Freiherr Schott von Schotten— st ein.

Die zweite Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres, wird sortgesetz mit der gestern abgebrochenen Berathung des 81 und der dazu gestellten Anträge Althaus, Preysing und Huene, wozu heute noch ein neuer Antrag des Abg. Wässer (b. k. F) getreten ist, welcher in den Antrag Huene die Bestimmung, über die Verfassungsänderung bezüglich der zweijährigen Dienstzeit einschalten und der außerdem dem Antrag Huene hinzufügen will: Vom 1. Januar 1899 ab wird der Gesammt⸗Etat des deutschen Heeres wie alle übrigen Posten des Reichshaushalts-Etats festgestellt.“

Abg. Richter (dfr.): Ich werde meine Bemerkungen auf den Antrag Huene beschränken, denn nachdem der Reichskanzler im Namen der preußischen und der Reichsregierung die Annahme des Antrages Huene befürwortet hat, kommt die Regierungsvorlage kaum in Frage. Der Antrag Huene will die zweijährige Dienstzeit nicht wie wir dauernd, sondern nur für funf Jahre feststellen. Man meint, nach fünf Jahren könne die zweijährige Dienstzeit nicht mehr beseitigt werden; warum setzt man sie denn nicht gleich dauernd fest und giebt dadurch der Regierung die Handhabe, nach fünf Jahren wieder etwas Anderes zu verlangen? Die Cadres bleiben aber nach dem Antrag Huene bestehen auch nach dem Ablauf der fünf Jahre, sogar die halben Bataillone, die doch nur für die zweijährige Dienstzeit berechnet sind, bleiben bestehen. Der Dienstpflichtige, der ein Jahr vor Ablauf des Quinquennats ein⸗ tritt, hat keine Sicherheit mehr, daß er nach dem zweiten Dienstjahre entlassen wird. Das fällt umsomehr ins Gewicht, als nach dem Antrag Huene die zweijährige Dienstzeit erst 1894 in Kraft treten soll. Der Antrag Huene will die Präsenzstärke für fünf Jahre festsetzen, unser Antrag nur für anderthalb Jahre. Der Antrag Huene geht viel weiter als der aus der Commission be— kannte Antrag Bennigsen, er bewilligt fünf Sechstel der ganzen Regierungsvorlage, und wenn man die Veränderung des Präsenz⸗ begriffes dazu in Rechnung zieht, die Substituirung der Durch— schnittsstärke an Stelle der Maximalstärke, so umfaßt er eine Be— willigung von sieben Achtel der Vorlage. Der Verzicht der Regierung auf die Ersetzung manquirender Unteroffiziere durch Gemeine ist nur ein vorübergehender. Man hat sehr viel Wesens von den Verhandlungen über diesen Antrag gemacht. Indessen wer die offieiöse Presse aufmerksam liest, weiß, daß schon vor Ostern diese Gedanken vertreten wurden. Ich muß Verwahrung ein⸗ legen gegen die Art, wie der Reichskanzler die Commissions— verhandlungen vorgeführt und kritisirt hat. Man könnte den Eindruck gewinnen, als ob die Commissionsverhandlungen be⸗ standen hätten in dem Austausch allgemeiner Schlagworte über Militarismus, Milizsystem u. s. w. Solche Worte mögen einzeln gefallen sein, ich erinnere mich derselben nicht. Jedenfalls habe ich mich daran nicht betheiligt. Niemals sind so eingehende Verhandlungen gewesen, wie in diesem Jahre; der Referent hat einen so ausgezeichneten Bericht geliefert, wie wir ihn sonst nicht in unseren Reichstagsacten finden; ein solcher Bericht wäre nicht möglich gewesen, wenn die Commissionsverhandlungen nur declamatorische Uebungen gewesen wären. Der Reichskanzler hat die Auto⸗ rität der militärischen Sachverständigen in einer Weise in den Vordergrund gestellt, wie er es selbst früher nicht gethan hat und wie vor ihm kein Kriegs⸗Minister Das ist die Negation des Parlamentarismus und der Volksvertretung überhaupt! Was hat denn neben solchen Autoritäten die Volksvertretung noch für eine Bedeutung! Dann müßte für die Entscheidung über die Strafparagraphen nur der Richter, über das Seuchengesetz nur der Arzt, über die Kirchenfrage die Geistlichkeit und über die Schule der Lehrer allein maßgebend sein; Das Parlament hätte sich überall der Autorität der Fachmänner zu beugen und höchstens ein Gutachten über die Steuern abzugeben, welche zur Deckung der Ausgaben dienen sollen. Oder sollen dafür etwa . von Steuerbeamten eingesetzt werden? Ein öffentliches Gemeinwesen hat eine große Reihe von Aufgaben mit begrenzten Mitteln zu erfüllen. Deshalb kommt es darauf an, die verfügbaren Mittel zu vertheilen. Dazu sind die Berufskreise an und für sich nicht geeignet, weil jeder Berufsmann einer Einseitigkeit . diese Einseitigkeit tritt am meisten da hervor, wo die Autorität im eigenen Beruf am stärksten entwickelt ist. Der Reichskanzler meint, der Staat muß erhalten werden durch das Militär. Wer unser deutsches Militärwesen nicht kennt, müßte nach der Rede des Reichskanzlers annehmen, daß es jetzt erst gelte, eine Armee zu schaffen. Genau solche Anschauungen treten in den Kriegsbildern des Neichskanzlers hervor, als ob das Deutschland jetzt zu vergleichen wäre mit dem kleinen Preußen aus dem Anfang dieses Jahrhunderts, welches sich der, Uebermacht Frankreichs nicht erwehren konnte, oder als ob die jetzige Reichsarmee zu vergleichen wäre mit der Armee des weiland heilig, römischen Reichs im 17. Jahrhundert. Seit 1872 sind 123 Milliarden für das Heer verwendet worden, und die deutsche Armee ist heute dreimal so stark wie 1870. Mit dem Material, welches beschafft ist zur Erleichterung der Operationen, kann das Material von 1870 kaum verglichen werden. Die Marine ist seitdem vervierfacht worden, fähig, nicht bloß die Küsten zu schützen, sondern auch zur Bl nsi überzugehen. Damals standen wir isolirt, heute können wir in einen Krieg nach zwei ronten nur gelangen, indem wir die Stütze eines Dreibundes ür uns haben. Wenn die Vorlage für die Zukunft unsere Macht

stärkt, so müßten unsere Gegner jetzt sofort, ehe die Vorlage durch⸗

e di r über uns herfallen, aber die Gefahr ist nicht vorhanden,

onst hätte der Reichskanzler selbst uns nicht als schwach hingestellt. (Schluß des Blattes.)

BPreußszischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

Der Bericht über die gestrige Sitzung befindet sich in der Dritten Beilage.

75. Sitzung vom 4. Mai.

Der Sitzung wohnen der Finanz⸗Minister Dr. Miquel und der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse bei.

In dritter Berathung werden die Gesetzentwürfe, betreffend die Abänderung von Amtsgerichts bezirken; betreffend die Aufhebung der Cabinetsordre vom A. Juni 18453 betreffend die Errichtung eines Amtsgerichts in der Stadt Ohligs; betreffend den Einfluß von Vor⸗ rechtseinräumungen auf das geringste Gebot in dem Verfahren der Zwangsversteigerung, ohne Debatte angenommen.

Die Rechnungen der Kasse der Ober-Rechnungs— kammer für das Jahr vom 1. April 1891/92 werden der Rechnungscommission überwiesen.

Der Staatsschuldencommission wird für den 44. Bericht über die Verwaltung des Staatsschuldenwesens im Rechnungsjahre 1891.92 Decharge ertheilt.

Es folgt die zweite Berathung des Gesetzentwurfs, be⸗ treffend die Verdesserung des Volksschulwesens und des Diensteinkommens der Volksschullehrer, mit Aus— schluß des 5 1, der schon in der zweiten Lesung der Steuer— reformgesetze angenommen ist.

S 2 bestimmt, daß bei Anforderung erhöhter Leistungen seitens der Schulaufsichtsbehörde für die Lehrergehälter in Ermangelung des Einverständnisses der Schulunterhaltungs⸗ pflichtigen die Höhe und Art des Diensteinkommens der Lehrer durch den Regierungs-Präsidenten im Einverständniß mit dem Bezirksausschuß, und falls ein Einverständniß beider nicht erreicht wird, nach Anhörung des Ober⸗-Präsidenten durch den UnterrichtsMinister im Einverständniß mit dem Finanz⸗ Minister festgesetz; wird. Für die Feststellung erhöhter Leistungen, für Schulbauten, Einxichtungen neuer Klassen ꝛc. soll das Zuständigkeitsgesetz von 1883 Anwendung finden.

Abg. Hr. Brüel (Hosp. d. Centr.) äußert verschiedene Bedenken gegen die Vorlage und meint, daß diese Materie am besten in einem allgemeinen Volksschulgesetz geregelt werden könne. Jedenfalls könne dieses Gesetz nur als provisorisches bis zum Erlaß eines organischen Schulgesetzes angesehen werden. Schon der Minister von Goßler habe den Erlaß eines solchen organischen Gesetzes für nöthig erklärt.

Abg. von Schenckendorff (nl): Diefes Gesetz werde ein organisches Schulgesetz nicht hindern, im Gegentheil: es sei der Anfang zu einem solchen. Wenn seinerzeit das Schulgesetz des Grafen Zedlitz nicht zu stande gekommen sei, trotzdem eine Mehrheit dafür bestanden habe, so habe man eben mit Recht der Volksstimme Folge geleistet. Vor allem müsse die Nothlage der Lehrer beseitigt werden durch Verbesserung ihres Diensteinkommens. Wenn der F! dieser Vorlage die Ueberschüsse der Steuerreform theilweise für die leistungsunfähigen

Schulgemeinden verwenden wolle, so bedauere seine Partei die Verquickung dieser Schuldotation mit den unsicheren Ergebnissen der Steuerreform, da namentlich das Ergebniß der Ergänzungssteuer sehr unsicher sei. Die Herren von der Rechten thäten unrecht, wenn sie den Lehrern Unersättlichkeit vorwürfen. Die Sicherstellung der Lehrer sei nöthig, wenn nicht das preußische Schulwesen, das er unter allen Staaten das beste gewesen sei, zurückgehen solle. Er beantrage die Ueberweisung der Vorlage an die Unterrichtscommission.

Abg. Graf zu Lim burg Stirum (cons. :; Die Mängel des

Gesetzes von 1887, wonach die Selbstverwaltungskörper die Gemeinde⸗ interessen über die Schulinteressen stellen könnten, dürfe man nicht dadurch vermeiden, daß man mit dieser Vorlage die umgekehrten Mängel herbeiführe. Er halte den Weg der Loslösung der Schuldotationsfrage von einem organischen Schulgesetz nicht für möglich, sondern wünsche vielmehr die Vorlegung des letzteren. Die Schullasten belasteten die verschiedenen Gemeinden ganz ver⸗ schieden, aber ein gewisser Grundstock der Anforderungen sei überall gleich. Da solle nun der Staat helfen und die Dispositionsfonds des Staats für diese Zwecke wüchsen immer mehr an. Um den Lehrern gerecht zu werden, dürfe man nicht die Gemeinden ungerecht belasten. Er hoffe, die Lehrer würden selbst diesen Standpunkt verstehen. Die absolute Beseitigung des Schulgeldes sei ein Unrecht gewesen. Das Schul⸗ geld habe den Charakter einer Gebührenabgabe, und das neue Com⸗ munalabgabengesetz weise die Gemeinden gerade auf die Gebühren hin. An ein Schulgesetz müsse man ohne Rücksicht auf finanzielle Gesetze herantreten und sich durch mehrere Sessionen damit beschäf⸗ tigen. Seine Partei lehne diese Vorlage ab, nicht weil sie die jetzigen Uebelstände verkenne, sondern weil sie die Gestaltung der Zukunft nach dieser Vorlage für das größere Uebel halte. . Abg. Rickert (dfr.):: Die Schulpolitik der Conservativen werde immer durchsichtiger, sie wollten kein Schuldotationsgesetz ohne Volks⸗ schulgesetz. Dagegen habe der Abg. Kropatscheck früher feln Anträge gestellt, durch welche die Regierung zur schleunigen Vorlegung eines Schuldotationsgesetzes aufgefordert worden sei. Woher komme diese Veränderung? Es sei bedauerlich, daß die Cultus⸗Minister ihre Entwürfe eines Volkesschulgesetzes immer im Verborgenen hielten. Der Minister von Goßler habe dem Hause seinen fertigen Entwurf gezeigt, über den Inhalt habe man aber nichts erfahren können. enn man für die Armee mehr aus— geben könne, dürfe man die Schulen nicht vergessen. Seien die Ge— meinden nicht prästationsfähig, so müsse der Staat helfen. Wie denke der jetzige Cultus⸗Minister über ein Schuldotationsgesetz? Warum sei ein Dotationsgesetz ohne Volksschulgesetz nicht möglich? Er wolle die Gründe der Conservativen hierfür wissen. Der Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum sehne sich nach Wiedereinführung des Schulgeldes, und dabei habe selbst Fürst Bismarck das Schulgeld als die gehässigste Kopfsteuer bezeichnet und die Aufhebung desselben als eine socialpolitische Maßnahme befürwortet. Das Schulgeld sei geradezu eine Strafe für eine zahlreiche Familie. Es würde eine trasse Ungerechtigkeit sein, es wieder, einzuführen, umsomehr, als die ärmere Bevölkerung genugsam mit indirecten Steuern belastet sei. Die Conservativen . an dem Gesetz von 1887 fest, dessen baldige Beseitigung Herr von Meyer⸗Arnswalde, den er (Redner) oft mit Bedauern erg seiner Zeit prophezeit habe. Aber Fürst Bismarck habe dieses Gesetz damals durchgebracht. Mit der Commissions⸗ berathung sei er einverstanden, vielleicht beschäftige sich die Commission gleich mit der Aufstellung von Grundsätzen für ein Schuldotations⸗ gesetz, sie habe ja noch Monate Zeit zur Arbeit. Nach einer Schil⸗ derung der Schulverhältnisse Westpreußens in der ‚Voss. Itg. säßen 67 295 Kinder in überfüllten Klassen, die bis zu 150 Schüler um⸗ e Insgesammt wären in Westpreußen allein 10090 Lehrer mehr erforderlich. Er warne das Haus, die Vorlage abzulehnen. Schule und Armee seien die Grundlagen des Staats.

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse: Es würde unnütze Mühe sein, ein vor Jahren ausgearbeitetes Schulgesetz jetzt noch zu ve fen ic, Die Ausarbeitung eines Dotationsgesetzes halte ich nicht für ö eh ist es aber, ein solches vorzu⸗ legen, wenn ich nicht die Aussicht habe, es durchzubringen. Zu einem

verständigen und befriedigenden ,, können wir aber den Weg bahnen durch die Regelung der Einzelheiten, die einer Aenderung be—⸗

dürfen. Beschließen Sie eine Commissionsberathung, so ist uns jeder Weg zur Verständigung gerecht, wir wollen weder die Willtür des Schulraths noch des Unterrichts-⸗Ministers. Der Minister schildert die Wirkungen des Gesetzes von 1887, die sehr , . gewesen seien, weil die Kreisausschüsse in verschiedener Weise Beschlüsse über die einzelnen Schulfragen, wie Anstellung neuer Lehrer, Errichtung weiterer Senn fn Leistungsfähigkeit der Gemeinden ꝛc. gefaßt hätten. Das Verfahren nach dem Gesetz von 1887 ist viel zu langwierig, weil die Selbstverwaltungskörper nicht regelmäßig Sitzung haben. Wir kommen mit diesem Gesetz nicht mehr vorwärts und wollen es jetzt aufheben, nachdem wir uns von seinen schädlichen Wirkungen K haben. Die Organe der Unterrichtsverwaltung werden durch dasselbe lahm gelegt. Nachdem ich dies erkannt habe, ist es meine Pflicht, es offen auszusprechen, ich kann sonst die Ver⸗ antwortung für das Schulwesen nicht übernehmen.

Abg. Dr. Würmeling (Centr.); Wir können die Vorlage nicht annehmen und stimmen den Gründen des Grafen Limburg vollständig zu. Wenn das Gesetz von 1887 nachtheilig gewirkt hat, warum sollen denn immer gerade die Selbstberwaltungsbehörden daran schuld sein? Die höchsten Gerichte fassen ja manchmal Entscheidungen, die mit dem öffentlichen Volksbewußtsein nicht übereinstimmen, ohne daß wir darum die Gerichte ahschaffen wollen. Die Lehrer müssen für ihr Diensteinkommen eine feste gesetzliche Grundlage erhalten, dürfen aber nicht der Diseretion des Ministers unterliegen. Wenn der Minister sich auch ohne organisches Volksschulgesetz behelfen kann wir brauchen eine einheitliche gesetzliche Regelung des Schulwesens nothwendig; jetzt haben wir gar nichts zu sagen, sondern nur die Steuern zu bewilligen. Wir können nicht die ge hte der Gemeinden der Discretion des Ministers übergeben. Zur Durchführung der Confessionalität der Schule können wir eine gesetzliche Grundlage nicht entbehren. Eine Commissionsberathung auf Grund dieser Vorlage kann nichts erreichen, was für uns annehmbar ist. Wir verzichten auf die Commission und lehnen die Vorlage ab.

Abg. Freiherr von Zedlitz (freieons.: Wir können jetzt auf ein allgemeines Schulgesetz nicht zurückkommen und müssen uns darauf beschränken, einzelne Uebelstände durch Gesetz zu Line Das Gesetz von 1887 hat die Entscheidung von Schulfragen in die Hände von Selbstverwaltungskörperschaften gelegt, die sonst mit dem Schulwesen nichts zu thun haben, und konnte daher nicht gute Wirkungen haben. Die Selbstverwal⸗ tungsorgane aber ganz zu beseitigen und allein die Schulver⸗ waltung an die Stelle zu setzen, halten wir nicht für richtig, es müssen vielmehr beide Organe in einen bestimmten Zusammenhang gebracht werden. Und darüber müßte uns die Regierung im nächsten Jahre eine entsprechende Vorlage machen. In der Hoffnung hierauf lehnen wir diese Vorlage hier ab. An eine Wiedereinführung des Schul⸗ geldes zur finanziellen Stärkung der Gemeinden ist nicht zu denken, diese Stärkung ist vielmehr auf anderen Wegen zu suchen.

Abg. Graf zu Limburg-Stirum (cons.): Wenn wir jetzt ein allgemeines Schulgesetz verlangen, während wir früher uns mit einem Dotationsgesetz begnügen wollten, so liegt das daran, daß wir inzwischen bei der Berathung zweier Schulgesetze erfahren haben, daß beide Fragen untrennbar von einander sind. Die Schule dient doch zunächst den Interessen derer, die ihre Kinder dorthin schicken, es ist also kein unbilliges Verlangen, daß diese vorweg durch das Schulgeld für die Schule etwas leisten. . .

Damit schließt die Discussion. Der Antrag auf Ueber—⸗ weisung an die Unterrichts⸗-Commision wird abgelehnt; auch der 52 und die übrigen Paragraphen werden gegen die Stimmen der Nationalllberalen und der Freisinnigen abge⸗ lehnt, sodaß nur der schon früher angenommene § 1 be⸗ stehen bleibt.

Hiermit ist die Tagesordnung erledigt. Präsident von Köller schlägt als Tagesordnung für die nächste Sitzung am Sonnabend die dritte Berathung des Gesetzes über die Auf⸗ hebung directer Staatssteuern und Les Ergänzungssteuer⸗ gesetzes vor.

Abg. Freiherr von Heereman (Centr.) bittet die dritte Be⸗ rathung aller Steuergesetze oder wenigstens eines derselben aufzu⸗ schieben, bis über das Wahlgesetz definitiv Beschluß gefaßt sei, da das Centrum seine Zustimmung zu den Steuergesetzen von der Ge⸗ staltung des Wahlgesetzes abhängig machen müsse.

. Präsident von Köller bemerkt, daß diese Hingusschiebung sich bis in den Juli hinein erstrecken könne, wenn das Wahlgesetz noch mehrere Male zwischen dem Abgeordnetenhaus und Herrenhaus hin und her gehen müsse. Es genüge wohl dem Centrum, wenn nur die Gesammtabstimmung über das Ergänzungssteuergesetz bis zur Ent⸗ scheidung über das Wahlgesetz hinausgeschoben würde.

Das Haus entscheidet sich gegen die Stimmen des Centrums für diesen Vorschlag.

Schluß 13/9 Uhr. Nächste Sitzung Sonnabend 11 Uhr.

Der Bericht über die gestrige Sitzung des Herren⸗ hauses befindet sich in der Zweiten Beilage.

Kunsft und Wissenschaft.

Vorgestern Abend wurde im wissenschaftlichen Theater der Urania von Herrn Dr. Oscar Lubarsch ein populär⸗wissenschaft⸗ licher Vortrag mit Experimenten und Projectionsbildern über Die Atmosphäre in ihrer Bedeutung für die Lebensprozesse der organischen Welt“ gehalten. Nachdem der Vortragende über die Bedeutung einer Mien sph h für die Natur der Himmelskörper, die für uns hauptsächlich dann besonderes Interesse haben, wenn wir sie uns mit unserer Menschen und Thierwelt ähnlichen Lebewesen be⸗ völkert denken können, sich verbreitet und erwähnt hatte, daß in dieser Be⸗ ziehung nur eine geringere Zahl von Himmelskörpern in Betracht kommen könnte, da viele von ihnen, weil sie zu alt sind, wie der Mond, andere, weil sie zu jung sind, wie die Sonne, nicht mit der für das Leben nach unseren Begriffen unbedingt erforderlichen Atmosphäre versehen sind, gelangte er zu einer näheren Betrachtung der Luft und ihrer Zusammensetzung nach Haupt. und Nebenbestandtheilen, die von den Griechen und Römern bis hinein in das Mittelalter noch für einen einfachen Körper gehalten wurde und deren Zusammen⸗ setzung durch die Hauptbestandtheile Sauerstoff und Stickstoff erst von Lavoisier Ende des vorigen Jahrhunderts nachgewiesen worden ist. In einer Reihe interessanter Versuche wurden nun die räumlichen Mischungsverhältnisse der Luft und das Ver⸗ fahren gezeigt, wodurch es möglich ist, beide Theile von einander zu trennen und die Luft auf ihren Sauerstoffgehalt zu prüfen. Dabei wurde auch der Unterschied in der Zusammensetzung des Wassers als einer chemischen Verbindung mit der der Luft als einer mechanischen Mischung verständlich gemacht und die Diffusionskraft, als die Ursache der a,, Atmosphäre, näher erklärt. Dies führte den Redner dahin, den Beweis dafür zu liefern, daß der Mensch nicht Luft, sondern Kohlensäure ausathmet, und den sinnreichen Indicator zu beschreiben, den man, weil er mit Sicherheit das Ausströmen von Gasen durch eine elektrische Klingel anzeigt, mit vielem Erfolge zur Rettung der Bergleute beim Eintritt schlagender Wetter verwendet.

Im zweiten Theil des Vortrags wurden die Nebenbestandtheile der Luft: der Wasserdampf, das Ozon, die Kohlensäure und das Ammoniak, erörtert und nachgewiesen, wie wichtig ihr Vorhandensein zur Erhaltung des Lebens ist, obgleich sie nur in sehr geringen, kaum wahrnehmbaren Mengen, Kohlensäure nur co, . nur 1/1000 C, in der Luft vorkommen. Vom Ozon wurde erwähnt, daß man es zwar schon seit Entdeckung der Elektrieität im vorigen Jahr⸗ hundert mit seinem phosphorartigen Geruch festgestellt, seine Natur als reinen Sauerstoff und dessen heilsame Wirkung jedoch erst seit der Mitte dieses Jahrhunderts mit Sicher heit erkannt habe. Die Entstehung der Kohlensäure durch