1893 / 107 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 05 May 1893 18:00:01 GMT) scan diff

werden müßten, den Freiherrn von Huene. Ich entgegne dem Herrn Abgeordneten: wenn die Regierung unterstützt wird von Männern, die den Grad von Charakterstärke und Muth zeigen, der dazu gehört, der eigenen Fraction gegenüber so mannhaft für die Ansichten der Regierung einzutreten, so kann die Regierung sich nur glücklich schätzen. (Bravo! rechts.) Jedenfalls gehört mehr Muth dazu, das zu thun, was Herr von Huene gethan, als die Rede zu halten, die der Abg. Richter gehalten hat. (Lebhafter Beifall rechts; Oh! Oh! links.) Ich will nur einige der Bemerkungen widerlegen, die der Herr Abgeordnete gemacht hat, weil ich nicht wünschen kann, daß sie sich weiter verbreiten. Der Abg. Richter hat das glückliche Talent, dann nicht zu hören, wenn er nicht hören will (Heiterkeit rechts), und so kommt er heute wieder mit der Frage: Was ist denn Milizsystem? Die Definition davon habe ich gestern gegeben; er hat sie überhört. Der Herr Abgeordnete sagt ferner: Ihr wollt die Ersatzreserve nicht beibehalten, der Herr von Verdy wollte sie doch beibehalten. Der Herr Abgeordnete muß häufig überhört haben, daß ich gesagt habe, der Kriegs⸗Minister von Verdy wollte das Project mit der dreijährigen Dienstzeit ausführen und dabei die Ersatzreserve beibehalten. Daß wir die Ersatzreserve nicht wollen, liegt eben in der Durchführung der zweijährigen Dienstzeit. (Sehr richtig! rechts) Und ich glaube, auch das zu hören, hätte der Herr Abgeordnete Gelegenheit gehabt, daß wir der Meinung sind, sie ist bei der zweijährigen Dienstzeit nicht beizubehalten, weil das Ausbildungspersonal zu erschöpft sein würde, um auch noch Ersatzreservisten nebenbei auszubilden. (Sehr richtig! rechts) Nun hat der Herr Abgeordnete noch ein Talent: er greift einen Gedanken auf und verwerthet ihn akrobatisch; er wirft ihn einmal in die Luft, und dann kommt er als etwas Anderes herunter, als er in die Höhe geworfen wurde. (Große Heiterkeit.)

Ich habe gestern von den Leiden der Provinz Ostpreußen in den früheren Kriegen, von der Lage der Pfalz gesprochen, um darauf auf— merksam zu machen, was ein Land, das vom Feinde besetzt wird, etwa zu leiden haben kann. Ich habe damit nicht die Behauptung ver— bunden, daß nachdem das große Deutsche Reich geschaffen worden die Besetzung von Landestheilen durch den Feind wahrscheinlicher wäre als früher. Ich habe nur behauptet: das kann wieder vorkommen, und dann können solche Leiden eintreten. Der Abgeordnete knüpft daran die Bemerkung, daß wir uns von der Offensive viel versprechen, und er urtheilt abfällig über die Offensive. Ich möchte nun doch noch einmal, um das etwas näher darzulegen, auf die Wirkungen eines Krieges im eigenen Lande zurückkommen; und zwar, damit ich nicht in den Verdacht gesetzt werde, schwarz zu malen oder jemand eingraueln zu wollen, will ich nur auf die Frage eingehen: was würde denn bei einem Krieg im eigenen Lande dieses von den eigenen Truppen zu leiden haben? Daß der Verkehr da aufhört, daß der Handel und Wandel still steht, ist ja klar. Aber auch weiter: Wenn wir genöthigt wären, im eigenen Lande Krieg zu führen, würden wir nicht viel anders ver⸗ fahren können, als wir in Frankreich verfahren haben. Wir sind sehr human gewesen, aber die Truppen müssen leben, sie müssen unter⸗ gebracht werden; wenn die Räume den Einwohnern weggenommen werden müssen, so läßt sich das nicht ändern, und wenn das letzte Brot ihnen genommen wird, läßt es sich wieder nicht ändern. Das erste ist im Kriege, die Truppe leistungsfähig zu erhalten, und Weich= herzigkeit ist am falschen Fleck, wo der Erfolg, der Sieg, das Dasein des Staats auf dem Spiele steht. Und das ist im Kriege der Fall. Wir können nicht umhin, im eigenen Lande einzuquartiren und zu requiriren, wir würden nicht umhin können, Kunstbauten zu zerstören und Werthe zu vernichten, die wiederherzustellen lange Jahre erfordern würde. Also ich führe das nur an ich könnte, wenn ich aus der Kriegsgeschichte Beispiele greifen wollte, wie der Krieg in dem eigenen Lande verfährt, in ganz anderen Farben malen, ich verzichte darauf —, ich will Ihnen nur ans Herz legen, sich zu vergegenwärtigen, daß der Krieg im eigenen Lande unter allen Umständen etwas unendlich Schweres ist, was man besser zu vermeiden sucht, und ich bin bisher darin von dem Herrn Abg. Richter nicht widerlegt worden das kann man nur durch die Offensive, wenn man den Krieg auf den feindlichen Boden trägt; wenn man dastehen bleibt, bis der Feind kommt, steht man eben auf dem eigenen Boden und hat den Krieg im eigenen Lande.

Der Herr Abg. Richter hat eine glänzende Gabe, zu reden und zu rechnen, wenn auch beim Rechnen, nach meiner Ueberzeugung, ihm ab und an ein Irrthum unterläuft. (Sehr richtig! rechts, Wenn man die Franzosen fortreden und ⸗rechnen könnte, dann würde ich mich auf den Abg. Richter verlassen und auf jede Armeevermehrung ver— zichten (Heiterkeit rechts); so lange das aber unwahrscheinlich ist, ziehe ich es vor, auf der Armeevermehrung zu bestehen.

Der Herr Abgeordnete hat dann mit einer nicht zu verkennenden Spitze auf die Veränderungen hingewiesen, die seit dem Sommer 1888 vor sich gegangen wären. Ich habe mir nicht den Ausdruck wörtlich notirt, aber der Sinn war, die Heeresverhältnisse hätten sich plötzlich geändert, und es war klar, was er sagen wollte. Ich will den Herrn Abgeordneten darauf aufmerksam machen, daß, wenn im Jahre 1888, wie er annahm, ein Umschwung eintrat, damals noch Fürst Bismarck am Ruder war und Graf Moltke lebte. Es würden also diese beiden Männer, die wesentlichsten Stützen der Regierung des Hochseligen Kaisers Wilhelm J, zu diesem Umschwunge mit— gewirkt haben, woraus man doch folgern sollte, daß kein Bruch mit den Traditionen vorlag, wie ihn Herr Richter andeuten will. Ich will ihm auch weiter bemerken, daß der Bruch mit den Traditionen in einer Familie, die so pietätvoll die Vergangenheit und ihre Ahnen ehrt, wie es die Hohenzollern thun, niemals würde leichthin herbei⸗ geführt werden können. (Bravo! rechts.)

Der Herr Abgeordnete wirft mir dann vor, ich hätte gestern die Deckungsfrage cavalierement berührt. Ich habe gar nicht die Absicht gehabt, mich in die Frage zu vertiefen; würde ich es gethan haben, so würde der Herr Abg. Richter gesagt haben: da seht ihr, da ist der Mann wieder, der immer den Finanz-Minister spielen will. Den habe ich nicht gespielt und es ist auch nicht nöthig, die Ver⸗ suchung liegt für mich nicht vor. Nun soll ich mich des weiteren über Finanzprojecte äußern; wenn der Herr Abg. Richter mit seinem großen Einfluß, den er hat, es dahin bringen wird, daß die Militärvorlage scheitert, dann brauche ich mir zur Zeit über dergleichen noch nicht den Kopf zu zerbrechen. (Heiterkeit) Er hat die Behauptung aufgestellt, daß in dem was er zofficiöse Presse! nennt, volkswirthschaftliche Autoritäten für die Regierung eingetreten wären. Solche Autoritäten sind eingetreten, und ich würde im stande sein, ihm hier die Namen von acht deutschen Autoritäten und vier ausländischen vorzulegen, wenn ich nicht die Besorgniß hätte, die Herren würden hier der Gegenstand seiner abfälligen

Kritik, und wären nicht in der Lage, sich dagegen zu wehren. (Sehr richtig! rechts) Es steht fest, daß, während wir in Deutschland von unseren Staatssteuern Zweidrittel bis Dreiviertel für die Deckung der Kosten der Civilverwaltung verwenden, Frank⸗ reich nur etwas über ein Viertel seiner Staatssteuer⸗Einnahmen für die Civilverwaltung verwenden kann. Die Behauptung, daß England hinsichtlich seiner Armee billiger wirthschaftet wie wir, würde der Herr Abg. Richter noch des näheren zu erweisen haben. Nach dem statistischen Material, das mir vorliegt und an dessen Richtigkeit ich zu zweifeln keinen Anlaß habe ein Material, was ja bis zu einem gewissen Grade immer nur dann überzeugend wirkt, wenn der, der es benutzt, selber mit⸗ rechnet; wenn er weiß, ob es sich hierum Brutto⸗ oder Nettoeinnah⸗ men handelt; wenn er die Valutaverhältnisse der Staaten in Betracht zieht, wenn er unter den schwierigen Verhältnissen das Preußische und Deutsche ineinanderrechnet also nach dem mir vorliegenden Material stellt sich die Kopfquote der Kosten der Landes⸗ vertheidigung und der Schuldzinsen unter Berücksichtigung der Procentantheile, die durch Steuern zu den Staats— lasten beigetragen werden, in Preußen und Deutschland auf 9,1 6, in Oesterreich⸗Ungarn auf 1457 in Italien auf 24,3, in Frank—⸗ reich auf 444, jn England auf 29,6 S Zu diesen Zahlen, wenn dieser sie auch etwas anders verrechnet als jener, und sie in Kleinig⸗ keiten ändert, auf diese Zahlen kommen die volkswirthschaftlichen Lehrer, auf deren Autorität ich mich stütze, übereinstimmend; und jedenfalls erweisen sie das, daß wir verhältnißmäßig besser stehen wie irgend eines der Länder, die hier in Frage kommen können.

Der Herr Abgeordnete führt an, wie schlecht es in Preußen bestellt sei. Ja, meine Herren, ich habe die Ueberzeugung nicht, daß die preußische Lage eine dauernd so schlechte ist. Das ist Ueber⸗ gangszustand. Preußen hat manche Mittel und macht jetzt die Er—⸗ fahrung, daß die Einnahmen aus seinen Eisenbahnen erheblich günstiger sich gestellt haben, als man bei Aufstellung des Etats an— nahm. (Sehr richtig! rechts.)

Also auch da ist zum Schwarzmalen kein Grund, und wenn gewisse Gewerbeschulen, auf die der Herr Abg. Richter einen be⸗ sonderen Werth legt, in diesem Jahre nicht haben etablirt werden können, so kann das doch im folgenden Jahre sein. Es ist jedenfalls der Zustand, in dem Preußen sich befindet, ein vorüber gehender. In jedem Etat wird einmal eine Grenze kommen, auch wenn er so reichhaltig als möglich bemessen ist, hinter der unerfüllte Wünsche liegen. Wohl niemals, auch bei der glänzendsten Finanzlage, wird ein Finanz ⸗Minister im stande gewesen sein, alle Forderungen, die zum Etat angemeldet werden, zu befriedigen. Ob nun die eine oder andere dringender ist, muß in jedem einzelnen Falle entschieden werden.

In Bezug auf eine Aeußerung, die ich gestern gethan habe, möchte ich noch nachholen: ich habe gestern gesagt, wir würden uns auch vor— behalten, die Concessionen, die wir machen, wenn einmal Neuwahlen nicht zu vermeiden sind, dann zurückzunehmen. Ich bin heute in der Lage, zu erklären, daß wir das nicht thun würden, und, um es in eine einfache Formel zu fassen: daß, wenn es zu Neuwahlen kommt, unsere Wahlparole der Antrag Huene sein wird. (Bravo! rechts.)

Abg. Freiherr von Stumm (Rp.): Der Abg. Richter wirft dem Reichskanzler vor, daß er nur mit Schlagwörtern für die Vor— lage kämpfe. Die Regierung hat aber gerade diesmal der Commission ein außerordentlich umfassendes Material vorgelegt. Der Abg. Richter meint, die Vorlage beruht auf einer ganz falschen finanziellen Basis und erfordert noch insgesammt, zwanzig Millionen Mark mehr, als die Regierung berechne, weil sie noch weitere Aus— gabeerhöhungen, wie für den Pensionsfonds 2c. bedingt. Die Subcommisston hat aber auf das Gründlichste die Berech—⸗ nungen geprüft und festgestellt daß in der That die Regierung bei allen Positionen, die der Abg. Richter angezweifelt hat, richtig gerechnet hat, und daß nicht ein Pfennig über die Berechnung der Regierung hinaus erforderlich sein wird. Es ist ganz natürlich, daß mit der Zunahme der Bevölkerung das Reich auch wachsende Ausgaben hat. Der Abg., Richter hat alle seine zahlenmäßigen Behauptungen aus der Freisinnigen Zeitung“ wiederholt, seine Zweifel über die finanziellen Zusammenstellungen der offieiösen Blätter aber nicht begründet. Der

teuerbetrag pro Kopf ist in Deutschland geringer als in Frankreich, selbst wenn man die Ausgaben dieser Vorlage hinzurechnet. Die Zahlen des Abg. Nichter in der „Freisinnigen Zeitung“ und in seinen Flug⸗ blättern sind falsch und tendenziös aufgestellt. Die Befestigung der Sicherheit des Vaterlandes und die dadurch hervorgerufene Beruhigung des Volkes sind weit mehr werth als diese Ausgaben. Auf die Deckungs⸗ frage lasse ich mich nicht ein, sie steht gar nicht zur Debatte. 3 stelle aber die Sicherheit des Reichs so hoch, daß für mich die Deckungsfrage eine reine Nebenfrage ist. Der Abg. Richter behauptet, j der Dreibund, dem Zweibund schon jetzt überlegen fei und daß Deutschland allein Frankreich überlegen sei. Nach den Ermitte⸗ lungen des Gen ralstat ist aber nicht zu bezweifeln, daß der Zweibund im Kriege an Zahl dem Dreibund überlegen sein würde; und daß der Präsenzstand der französischen Armee höher ist als der der deutschen, ist auch absolut nicht zu bestreiten. Der Abg. Richter hat darüber eine sehr durchsichtige künstliche Zahlenberechnung aufge— stellt. Der Abg. Richter behauptet, daß die Truppen in dem zehn mal größeren Rußland viel weiter zerstreut seien als bei uns. Weiß der Abg. Richter nicht oder hat er nicht in der Commission gelernt, daß die großen russischen Truppenmassen alle westlich der Linie von oskau nach Sebastopol stehen? Auch die Behauptung des Abg. Richter, . nicht die erforderliche Zahl tauglicher Mannschaften zu beschaffen sei, ist ebenso von den Regierungscommissaren in der Commission widerlegt worden, wie seine Bezweiflung der Verjüngung der Armee. Die

Armee wird durch diese Vorlage um sechs Jahre verjüngt. Nur die

große Agitation hat die Stimmung des Volkes gegen die Vorlage er⸗ zeugt; würde jeder nur nach seiner Ueberzeugung auf Grund des Commissionsberichts gefragt, so würde die Vorlage im Volke mit roßer Mehrheit angenommen werden. Durch die Ablehnung der orlage rufen Sie geradezu den Feind ins Land. Die Gegner der Vorlage nehmen 6 Patriotismus für sich in Anspruch; aber den . alles einzusetzen für die Ehre und Freiheit des zaterlandes, den haben Sie nicht.

1 Bebel (Soc.): Der Reichskanzler hat meine Rede aus der ĩ

on angeführt, in welcher ich die Weltlage ebenso dargelegt Wenn die Regierung zu den⸗

Commi hätte wie ein Regierungscommissar. selben Anschauungen gelangt, wie wir sie seit 22 Jahren Über die Weltlage haben, so kann uns das nur freuen. Fürst Bismarck war anderer Ansicht. Er hat ein wahres Wettkriechen vor Rußland ver⸗ anstaltet. ir haben die Politik Deutschlands nicht anders gestalten können, aber wenn auswärtige Feinde Deutschland angreifen und einen Theil seines Gebiets zu erobern versuchen sollten, so würden auch wir Socialdemokraten das nicht dulden. Denn nur, wenn Deutschland in seinem vollen Umfange erkalten wird, ist es möglich, seine Culturaufgaben zu erfüllen. Wenn dem Volke neue Opfer auferlegt werden sollen, so muß es so geschehen, daß sie das Volk . wenig drücken; das Volk ist aber hart an der Grenze der materiellen ö angekommen, das bedarf kaum eines Beweises. In breiten Volksmassen ist man nicht mehr gewillt, erhöhte Lasten auf sich zu nehmen. Wenn es auf die freie Ent—⸗

schließung der Herren in diesem Hause ankäme, so würde die Vorlage bewilligt werden, aber die Herren glauben die Annahme der Vorlage nicht mehr vertreten zu können. Wenn die Auflösung erfolgte, dann wissen wir sehr gut, daß man den Versuch machen wird, das allgemeine Wahlrecht zu schmälern. Aber es ist viel leichter, dem Volk ein Recht vorzuenthalten, als ein zwei Jahrzehnte lang gebrauchtes Recht, wieder zu entreißen. In Belgien war es der General Brialmont, welcher sich für das allgemeine Wahlrecht aussprach, weil er es als ein Correlat zu der allgemeinen Wehrpflicht betrachtete. Die Belastung des deutschen Volkes ist eine solche, daß die Grenze der Leistungsfaͤhigkeit erreicht ist. Der Ge— treideconsum im Deutschen Reich ist zurückgegangen von 213 kg auf 162 kg. Das bedeutet schließlich auch das Zurückgehen der koͤrper⸗ lichen Leistungsfähigkeit. Noch mehr ist die Fleischnahrung zurückgegangen. Aber nicht bloß unter den Arbeitern, sondern auch unter den Handwerkern, den Kleinbauern ist eine große Mißstimmung eingetreten; deshalb stimmen auch die Herren vom Centrum aus Süddeutschland gegen die Militär— vorlage und gegen den Antrag Huene. Die allgemeine Verstimmun ist nicht durch die Schuld der Regierung entstanden, sondern aus ö. gemein ökonomischen Gründen. Die Militärvorlage ist der letzte Tropfen, der das Glas zum Ueberlaufen bringt. Wären die wirth— schaftlichen Verhältnisse günstiger, so würde auch der Mittelstand für die Vorlage sein, wie die Herren aus den Kreisen des Abg. Freiherrn von Stumm, weil sie weder die Gutssteuer, noch die Blutssteuer zu tragen haben. Denn bei Annahme der Vorlage würden nicht die wohlhabenden Leute die Kosten tragen, sondern die Consumartikel der großen Masse müßten dafür bluten. In Oesterreich und Italien sieht man die Verstärkung der deutschen Armee nicht mit freundlichen Augen an, weil man glaubt, daß Deutschland von seinen Bundesgenossen ähnliche Anstrengungen verlangen wird, während diese Länder im Interesse ihrer wirthschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht glauben weiter gehen zu können als bisher. In Frankreich ist man an dem Punkt angekommen, wo man nicht aus und ein weiß. Man ist trotz aller neuen Steuern bei einem Defieit angekommen. Die Auszahlungen der Sparkassen sind größer als die Einzahlungen, und der Verkauf der Rente hat einen sehr erheblichen Umfang angenommen. Alle diese Symptome sind für Frankreich bedenklich und in Rußland sind die wirthschaftlichen Verhältnisse auch sehr viel schlechter ge— worden als früher. Selbst die einzigen Freunde der Russen, die Franzosen, wellen eine russische Anleihe nicht mehr übernehmen. Der Reichskanzler hat auf die Autorität des Militärs sehr großen Werth gelegt; aber wie oft haben die Ansichten dieser Autoritäten gewechselt seit der Begründung des Norddeutschen Bundes? Die Landwehr zweiten Auf— gebots ist abgeschafft und wieder eingeführt, man hat die Ersatzreserve geschaffen, welche mit der Miliz auch eine verzweifelte Aehnlichkeit hat u. s. w. Welche Lasten sind für das Militär getragen worden; 1243 Milliarden sind ausgegeben, und namentlich in den letzten Jahren waren die einmaligen Ausgaben ungeheuer groß. Jetzt verlangt man eine dauernde Mehrbelastung von etwa 61 Millionen Mark juührlich. Der Reichskanzler hat eine Stelle aus den Artikeln des »Vorwärts. über die Abrüstung eitirt, in welcher eine Aufreizung gegen die Unteroffiziere enthalten sein soll. Es war darin aber nur eg. daß die Unteroffiziere, welche jetzt in den Kasernen sich ver— järten, sodaß es sogar zu Mißhandlungen kommt, wenn sie mit der frischen fröhlichen Schuljugend als Exercierlehrer in Berührung kommen, wieder zu warmherzigen Menschen werden. Wenn unsere Unteroffiziere es mit einem Menschenmaterial zu thun hätten, welches körperlich besser vorgebildet wäre, dann würden manche Uebelstände berschwinden. Ueberraschend waren die Mittheilungen des Kriegs—⸗ Ministers. daß die Zahl, der Militaͤrtauglichen 75 9ͤ½ größer ist als früher. Dabei wird der Uebereifer der Aushebungs— commission wohl mitgewirkt haben; aber jedenfalls ist es richtig, daß viele junge Leute, die tauglich sind, vom Militär— dienst befreit bleiben. Wir wollen, daß die Organisation so ein— gerichtet wird, daß alle diese Leute herangezogen werden können; dazu ist eine kürzere Dienstzeit nothwendig, um die Militärlasten niedriger zu stellen. Die Einführung des Milizsystems würde die Kosten viel— leicht auf die Hälfte der jetzigen ermäßigen, aber die Zahl der Streiter vermehren. Die Reformatoren der preußtschen Armee, die Scharnhorst, Gneisenau 26. standen dem Gedanken der Miliz nicht so fern; sie wurden damals als Jakobiner verdammt; heute würde man sie als Socialdemo⸗ kraten bezeichnen. Redner verweist auf die Schweiz, welche durch die Ein—⸗ führung des Milizsystems im stande sei, procentual eine k mäßig größere Kriegsarmee aufzustellen als Deutschland. Aber alle diese Beispiele machen keinen Eindruck auf das Haus, weil man dieser militärischen Organisagtion absolut feindlich gegenübersteht. Der mo— derne Militarismus steht aber im entschiedensten Widerspruch mit der modernen Culturentwickelung. Wenn wir jetzt nicht in der Lage sind, die Regierung zu überzeugen, daß sie einen anderen Weg einschlagen muß, so hoffen wir, daß die Arbeiterklasse bei den Wehle der Re⸗ gierung die Antwort nicht schuldig bleibt.

Darauf wird um / Uhr die weitere Berathung bis Freitag 12 Uhr vertagt.

Preuszischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

75. Sitzung vom Donnerstag, 4. Mai.

Die Rede, zu welcher der Minister der geistlichen 2c. An—⸗ gelegenheiten Dr. Bosse in der zweiten Berathung des . entwurfs, betreffend die Verbesserung des Volksschul— wesens und des Diensteinkommens der Volks— schul lehrer (vgl. den Bericht in der gestr. Nummer d. Bl.), nach dem Abg. Rickert das Wort nahm, lautete wie folgt:

Meine Herren! Ehe ich auf den § 2 des Gesetzes, das zur Berathung steht und von dem sich die Discussion einigermaßen ent— fernt hat, näher eingehe, möchte ich einige Vorfragen wenigstens kurz vorweg erledigen, unter anderen die Frage des Herrn Abg. Rickert, warum das Dotationsgesetz, das von meinem Herrn Amtsvorgänger von Goßler ausgearbeitet sei, nicht von mir veröffentlicht werde. Nun, meine Herren, muß ich sagen, ich glaube nicht, daß es eine fruchtbare That sein würde, ein vor Jahren ausgearbeitetes Dotations—⸗ gesetz jetzt nachträglich in die Oeffentlichkeit zu bringen. (Sehr richtig! rechts.) Ich wenigstens für meine Person habe dazu, wie ich glaube, nicht die mindeste Veranlassung. Der Abg. Rickert hat mich gefragt, ob ich denn glaubte, daß es unmöglich sei, ein Schuldotationsgesetz auszuarbeiten. Ja, meine Herren, die Ant⸗ wort darauf ist sehr einfach: ich halte es für sehr wohl möglich, ein Schuldotationsgesetz auszuarbeiten; aber ich halte es für sehr schwer, ein Schuldotationsgesetz vorzulegen; denn wenn ich es vorlege, muß ich doch wenigstens einige Chancen dafür haben, daß ich es durchbringe. Rein pro nihilo ein Schuldotations— gesetz auszuarbeiten, das wäre, glaube ich, eine Zumuthung, die mir auch der Herr Abg. Rickert kaum stellen dürfte. Ich bin der Meinung, daß, wenn die kurze Zeit es ermöglicht, allerdings der preußische Unterrichts⸗Minister immer wieder darauf hingewiesen werden wird, eine einheitliche Regelung des Volksschulwesens anzu⸗ streben. Daß aber zur Zeit diese Gunst der Verhältnisse nicht besteht, daß ich bisher nicht in der Lage gewesen und auch zur Zeit noch nicht in der Lage bin, einen Volksschulgesetzentwurf, einen einheitlichen Ent⸗ wurf, einen Entwurf, für den ich mit meiner ganzen Person, wenn ich ihn vorlege, eintreten muß, hier einzubringen, daran, glaube ich, besteht nicht der mindeste Zweifel, und ich habe mich darüber auch wieder⸗

Provinzialräthe;

holt ausgesprochen. Was ich aber für möglich halte, ist, daß man den Weg zur Erlangung eines verständigen, befriedigenden Volksschulgesetzes ebnet und bahnt dadurch, daß man gewisse Einzelheiten regelt, weil der thatsächliche Zustand der Regelung bedarf, weil er unerträglich geworden ist, und aus diesem Bestreben, aus diesem bescheideneren Be⸗ streben ist die jetzige Vorlage hervorgegangen.

Ich kann es nur dankbar anerkennen, wenn der Herr Graf zu Limburg⸗Stirum zugegeben hat, daß in der That große Uebelstände sich unter der Herrschaft des Gesetzes vom 26. Mai 1887 heraus⸗ gebildet haben. Wenn er aber sagt, daß er und seine politischen Freunde Bedenken trügen, aus der Sceylla des Gesetzes vom Jahre 1887 in die Charybdis der Zustände zu verfallen, welche die jetzige Vorlage herbeiführen würde, so glaube ich, daß er damit die jetzige Situation viel zu ungünstig bezeichnet. Meine Herren, über die Fassung des 52 würden wir gern mit uns reden lassen, und ich könnte nur wünschen, daß dem Ernst der Lage entsprechend, wie ich noch darlegen werde, diese anderen Paragraphen des Gesetzes in eine Commission verwiesen werden würden. Wir würden sehr gern alles aufbieten, um zu einer Einigung zu kommen und um zu verhindern, daß nicht Willkür, auch nicht die Willkür der Schulräthe, auch nicht die Willkür des Ministers an die Stelle des Gesetzes tritt. Jeder Weg ist uns recht, wenn wir nur zu einer verständigen Einigung kommen. (Bravo! links.)

Nun, meine Herren, kann ich in der That von dem, was ich bei der Einbringung dieses Gesetzes hier ausgeführt habe, von dem scharfen und harten Urtheil, das ich damals gefällt habe, kein Wort zurück⸗ nehmen. Ich habe damals gesagt:

Die Regierung erkennt in den Vorschriften dieses Gesetzes mehr und mehr ich weiß sehr wohl, was ich sage die Gefahr eines Stillstandes und des Zerfalls einer einheitlichen Entwicklung nicht bloß des Lehrerbesoldungswesens, sondern unseres gesammten Volksschulwesens.

Das ist ein hartes Wort gewesen, und Sie werden mir wohl glauben, daß es mir nicht leicht geworden ist, ein so scharfes Urtheil auszusprechen. Ich habe mir auch gesagt, daß es nicht bloß der conservativen Partei, daß es dem ganzen Hause, auch dem Herrenhause außerordentlich schwer werden muß, Functionen, die man einmal an Selbstverwaltungsbehörden gegeben hat, wieder zurückzu⸗ nehmen und wieder aufzuheben. Daß es eine schwere parlamentarische Action ist, davon, meine Herren, bin. ich vollkommen überzeugt, und Sie werden mir wohl zutrauen, daß, wenn ich gleichwohl den Vorschlag machen zu müssen geglaubt habe, mich dazu nur die schwere Verantwortlichkeit gedrängt hat, die ich zu tragen gehabt hätte, wenn ich die Mißstände hätte verschweigen wollen, die wirklich unter der Herrschaft des Gesetzes von 1887 sich heraus— gestellt haben.

Der Herr Abg. Rickert hat gewünscht, daß ich noch einige

nähere Mittheilungen machen möchte über die Uebelstände, die das Gesetz im Gefolge gehabt hat. Ich bin dazu in der Lage, wiewohl ich nicht leugnen kann, daß mir die heutige Berathung etwas über den Hals gekommen ist. Meine Herren, ich will mich aber doch auf wenige Einzelheiten beschränken. Ich habe, nachdem aus verschiedenen Kreisen mir die Frage vorgehalten worden ist, ob mein Urtheil über das Gesetz von 1887 doch nicht zu ungünstig, zu hart gewesen sei, die ganzen Vorkommnisse, die unsere Acten über die Wirkung des Ge⸗ setzes von 1887 enthalten, noch einmal geprüft. Beziehung dem Herrn Grafen Limburg im voraus zugeben, daß selbstverständlich in der Begründung dieses Gesetzes die Fälle nicht aufgeführt sind und nicht haben aufgeführt werden können, in denen die Kreisausschüsse und der Provinzialrath thatsächlich den Bedürfnissen entsprechend entschieden haben. Solche Fälle haben wir sehr zahlreich, vielleicht die Mehrzahl; ich kann ihre Zahl nicht genau beurtheilen, aber, meine Herren, daraus läßt sich doch nicht der Schluß ziehen, daß das Gesetz nun auch in allen Fällen wirklich so wirkt, wie es wirken müßte. Ich erkenne auf das bereitwilligste an, wir haben hier und da sehr verständige Kreisausschüsse, wir haben auch sehr verständige aber wir haben auch Beschlüsse, die geradezu die gesammte Unterrichtsverwaltung in Gefahr bringen, und das werde ich Ihnen zu beweisen suchen. Wir hatten natürlich nicht Anlaß, diese wichtigen Entscheidungen der Beschlußbehörden Ihnen vorzuführen, die ja an sich uns keinen Anlaß gegeben hatten, das Gesetz zu ändern; sondern was uns oblag, war, darzuthun, in welchen Fällen das Gesetz ungünstig, in welchen Fällen es geradezu beschwerend für die Unter⸗ richtsverwaltung wirkt. .

Einzelne Kreisausschüsse haben sich veranlaßt gesehen, und das ist die interne Seite des Schulwesens, die durch dieses Gesetz ge⸗ fährdet wird einzelne Kreisausschüsse haben sich veranlaßt gesehen, bei Anerkennung des Bedürfnisses einer Schulerweiterung zu be⸗ stimmen, daß statt eines verheiratheten Lehrers ein unverheiratheter, oder statt eines Lehrers eine Lehrerin anzustellen sei. Nun frage ich Sie, meine Herren, ist das Sache der Beschlußbehörden, die garnichts mit der directen Verwaltung zu thun haben? Ich werde noch darauf zurückkommen. Das ist der Grundfehler, das bros Heödos des Gesetzes von 18387, daß die Entscheidung hier in die Hände von Beschluß⸗ behörden gelegt ist, die garnicht selbst verwalten, die dadurch ganz außerhalb der Sache gestellt sind, die zu einer Controle der Regierung werden und zu einer richterlichen Instanz in einen Prozeß zwischen Gemeinde und Regierung, in einem Prozeß, der überhaupt garnicht stattfinden sollte. Dadurch wird das Vertrauen zu den Schulbehörden noth⸗ wendigerweise gestört, es kann garnicht anders kommen, als daß die Gemeinden verwirrt werden und sagen: wir wollen einmal sehen, wieweit wir mit unserer Weigerung kommen. Und zwar betrifft das nicht bloß die externen Schulverhältnisse, wie Sie sehen, sondern auch die höchst wichtigen Fragen der inneren Reform. Ein Kreisausschuß bestreitet im Gegensatz zur Schul⸗Aufsichtsbehörde die Nothwendigkeit der Beschaffung von Unterrichtsmitteln, wie z. B. Wandkarten. Ein anderer Kreisausschuß glaubt hinsichtlich der Zahl der von einem Lehrer zu unterrichtenden Kinder von den reglementsmäßigen Vor— schriften vollkommen abweichen zu können. So hat z. B. ein Kreisausschuß entschieden, daß für 340 Kinder drei Lehrkräfte vollkommen genügen. (Heiterkeit, Ein Provinzialrath erkennt zwar an, daß mehr als 300 Kinder von drei Lehrern nicht mit Erfolg unterrichtet werden können, und daß die Anstellung eines vierten Lehrers gerechtfertigt sei, er sieht aber einstweilen von der Anstellung ab, weil drei Lehrer doch „zur Noth“ als ausreichend angesehen werden können. (Hört! hört!) Ja, meine Herren, wo bleibt denn da die Schulverwaltung? Was helfen unsere allgemeinen, grundlegenden Bestimmungen vom 15. Ok⸗ tober 1872 über die internen Einrichtungen der Schule, wenn Be⸗ hörden, die vollkommen außerhalb der Schulverwaltung stehen, in die materiellen Einrichtungen, die die Schulverwaltung für nothwendig hält, auf Grund deren wir in der That, wie Herr von Schenckendorff mit Recht gesagt hat, bisher an der Spitze des ganzen Schulwesens in Europa, ja aller Culturstaaten kann ich sagen, stehen, in solcher Weise eingreifen!

Aber auch auf dem externen Gebiet ist es nicht anders. Ich will mich auf einige Punkte beschränken. Ein Kreisausschuß das wird Sie interessiren hat der Feststellung einer von der Regierung auf Grund des im Bezirk geltenden Besoldungstarifs, der die Orte je nach ihrer Lage und ihren sonstigen Verhältnissen in solche mit einfachen und mit theuren Lebensverhältnissen eintheilt, verlangten Aufbesserung einzelner Lehrer sich dadurch entzogen, daß er die in unmittelbarer Nähe der als besonders theuer geltenden großen Bezirkshauptstadt gelegenen Orte einfach zu den billigen Orten rechnete.

Ja, meine Herren, das kann ja der Kreisausschuß auf Grund des Gesetzes, aber daß das zu den allergrößten Mißverhältnissen führen kann und bei den Lehrern Unzufriedenheit erregen muß, das, glaube ich, ist klar.

Ein anderer Kreisausschuß hat im Jahre 1890 in Betreff der Anstellung eines vierten Lehrers an einer vierklassigen Schule, deren einzelne Klassen mit 106, mit 92, mit 93, mit 83 Kindern besetzt gewesen waren, entschieden: er hat die Anforderung der Anstellung eines vierten Lehrers zunächst ausgesetzt, also ab⸗ gelehnt, obwohl eine Wohnung für einen vierten Lehrer und ein viertes Klassenzimmer vorhanden waren und die Regierung sich zu Beiträgen an die nicht überlastete Gemeinde bereit erklärt hatte, und er führt für seine Weigerung als Grund an, daß die Zahl der Kinder in den einzelnen Klassen ja nicht so erheblich sei, daß die Errichtung einer vierten Klasse unbedingt geboten erscheine und daß auf die Gemeinde, welche noch an den Folgen einer vor Jahren stattgefundenen Hochfluth des benachbarten Flusses gelitten habe, Rücksicht zu nehmen sei. Daß damit die Schulverwaltung in dieser Gemeinde lahm gelegt ist, das, glaube ich, bedarf keines weiteren Nachweises.

Dann liegt hier vor der Fall der Erweiterung einer evangelischen Schule in einer der östlichen Provinzen. Dort hat der Provinzialrath in Uebereinstimmung mit dem Kreis⸗ ausschuß die Feststellung der Anforderung der Schulaufsichts— behörde auf Leistung eines Beitrags von 300 6 zur Be⸗

soldung des zweiten anzustellenden Lehrers wegen Leistungsunfähigkeit der Schulgemeinde abgelehnt, obwohl von den Hausvätern aus den beiden zum Schulbezirk gehörenden Gutsbezirken gar keine und aus den Gemeinden gleichen Namens bei einem Klassensteuersoll von 395 M nur 69,95 M, d. h. 170 , jährlich zu Schulabgaben aufzu⸗ bringen sind.

Nun kann man ja darüber zweifelhaft sein, wie hoch man gehen soll in Beziehung auf den Procentsatz, der für die Schulleistungen als zulässig aufzuwenden ist; daß aber bei 17 ½ des Personensteuersolls in der Gemeinde noch Kräfte vorhanden sind, um die als ungenügend auch vom Kreisausschuß anerkannten Schulzustände zu verbessern, kann gar keinem Zweifel unterliegen.

Ich will mich auf diese Fälle beschränken; ich könnte noch zahllose weitere Fälle anführen, ich glaube aber, daß das hier zu weit führen würde. Ich möchte noch eine Seite des Gesetzes hervorheben, das ist der für uns überaus empfindliche Zeitverlust, die ungemeine Weit⸗ läufigkeit des ganzen Verfahrens, die vielleicht darin mit ihren Grund hat, daß die Sitzungen der Selbstverwaltungsbehörden nicht regel⸗ mäßig, sondern nur in größeren Zwischenräumen, wenn sich genügendes Material angesammelt hat, abgehalten werden können. Daraus sind die allergrößten Uebelstände entstanden. Lehrer, die vertreten werden mußten wegen Krankheit, sind darüber hingestorben, ehe nur überhaupt ein Beschluß von den Beschlußbehörden hat darüber herbeigeführt werden können, ob hier einzutreten sei, ob hier die Gemeinde in der Lage sei, die Vertretungskosten aufbringen zu können.

Kurz, meine Herren, wir kommen in sehr vielen Fällen nicht vorwärts mit unseren Bestrebungen, die äußern und innern Ver⸗ hältnisse der Schulen zu verbessern und so zu verbessern, wie wir es thun müssen, wenn wir unseren Pflichten gerecht werden sollen. Wir kommen nicht vorwärts, namentlich bei den leistungsunfähigen Gemeinden der Herr Abg. Rickert hat das bereits hervorgehoben —, wo uns gesagt wird: selbst wenn ihr die Leistungsunfähigkeit der Gemeinden anerkennt, so dürft ihr eine neue Schule nicht gründen; denn mit der neuen Schule würde, auch wenn ihr die Kosten ganz allein tragt. wenn die Regierung allein die ganze Last auf staatliche Mittel über⸗ nimmt, doch die rechtliche Verpflichtung für die Gemeinden entstehen, für die Pensionen u. s. w. demnächst aufzukommen, und unter diesen Umständen versagen wir die Genehmigung. Damit ist die Unterrichts⸗ verwaltung in solchen Fällen lahm gelegt.

Ich könnte noch sehr viel hier anführen, aber ich will mich auf diese Einzelheiten beschränken. Ich könnte zurückkommen auf das Zustandekommen des Gesetzes, namentlich auf die großen Be⸗ denken, die damals von dem von mir hochverehrten verewigten Herrn von Kleist⸗Retzow gegen dieses Gesetz in der Fassung, die es jetzt be⸗ kommen hat, geltend gemacht worden sind. Ich will auch das beiseite lassen. Ich will nur sagen: man hat damals das Gesetz so, wie es sich gestaltet hat, ganz gewiß nicht gewollt, und, wenn man es gewollt hat, so hat man es höchstens als ein Provisorium haben wollen, und das hat mir den Muth gegeben, mit dem Vorschlag vor Sie hinzutreten: nunmehr, nachdem wir die sichere Erfahrung haben, daß das Gesetz nicht nur nicht nützlich, sondern in vielen Fällen schädlich wirkt, eine Ab⸗ änderung des Gesetzes herbeizuführen. Man hat sich damals damit geholfen, daß man gesagt hat, es ist nicht richtig, die Construction des Gesetzes biete zu mancherlei Bedenken Veranlassung, auch der verewigte von Kleist⸗Retzow hat das anerkannt. Aber man hat gesagt: die Re⸗ gierung hat ja selbst das Gesetz verlangt; volenti non it injuria; so mag es denn versucht werden. Nachdem ich das Unterrichtsressort übernommen hatte und nachdem mir der klare, unwiderlegliche Be⸗ weis geliefert war, daß das Gesetz schädlich wirkte, daß die Organe der Unterrichtsverwaltung lahm gelegt wären, da war es für mich eine unabweisliche Pflicht, diese Dinge hier offen und ehrlich zur Sprache zu bringen. (Bravo! links.) Meine Herren, wie soll ich die Verantwortung für die gesammte Unterrichtsverwaltung tragen können, ich allein, wenn ich nicht die Schäden, die ich entdecke, hier offen und klar darlege? (Lebhaftes Bravo links.) Das habe ich gethan. Ob Sie dieses Gesetz annehmen wollen, ob Sie glauben, daß Sie aus der Seylla der jetzigen üblen Zustände in eine Charybdis fallen, das habe ich zunächst nicht zu ent⸗ scheiden. Wenn Sie mir aber nicht helfen, dieses Gesetz zu beseitigen, dann, meine Herren, trägt auch die Landesvertretung die Verantwortung für die Zustände, deren Fortdauer ich als nicht wünschenswerth offen und ehrlich hier vor Ihnen bezeichne. (Sehr richtig! und lebhafter

Beifall links.)

Etatistik und Volkswirthschaft. b .

über die Stein- und Braunkohlenförderung in Preußen im J. Vierteljahre 1893, verglichen gegen das J. Vierteljahr 1892.

(Nach vorläufigen Ermittelungen.) ————— r

Im JI. Vierteljahre 1893.

Im JI. Viertel jahre 1892.

Mithin im J. Vierteljahre 1893 mehr (4), weniger (-).

Ober Bergamts bezirk. Betriebene

Förderung. Werke.

t t

Absatz.

Anzahl Absatz. der Arbeiter.

Anzahl Betri Betrieben der ; Förderung.

Arbeiter. Werke. h ö

Anz

J Anzabl

. ö. Förderung. Absatz. ! erke. .

in kohlen. ö h 5 289 468 3344 124019 9456 277 1812228

4810093 2949 116 663 9 451 063 1755993

41435 106 75 457 4144 117 122 505 8 837 566 1967033

5 042222 5347 133786

8 902818 2027334

144014 38 061

3 591

4174

1651

16685 336

125 044

3 811135 7.6 377 274 540

Summe 1 II. Braunkohlen.

16136 751

89071 2934377 61449 258 105

261 240

1439 26 662 1085 2319

15 3656 344

94 454 2863 169 9 Oz 216 83

16111507

129 885

3 822 666 82 693 225 245

=

3.566 4 780 409)

ö. 30 7, 64

21,89

0 8

2 M

*

HC O. 2

w 22

.

Summe II 41287 096

Zur Arbeiterbewegung.

Aus Erfurt wird der „Ger. Ztg.“ berichtet, die dortigen Arbeitgeber hätten alle Arbeiter entlassen, die die Maifeier mitgemacht haben und eigenmächtig aus der Arbeit weggeblieben sind. .

In Stettin verlief der Ausstand der Nieter in der Fabrik von Möller u. Holberg, einer Mittheilung des Vorwärts‘ zu⸗— folge, zu Ungunsten der Arbeiter, .

Aus Wen! meldet ein Wolff 'sches Telegramm, daß die Zahl der strikenden Tagelöhner der Donau Dampfschifffahrts Gesellschaft gestern 270 betrug. In der Heller'schen Bleicherei befanden sich

3343002

41260489 3 242 444 30 505

360 Arbeiterinnen im Ausstande. Wie ein Telegramm des . S. T. B.“ berichtet, hätten die ausständigen Arbeiter der Bleicherei gestern Abend versucht, die Arbeiter der Appreturanstalt von Bieh ler eben⸗ falls zu einem Strike zu veranlassen. Bei dieser Gelegenheit soll es zu so argen Ausschreitungen gekommen sein, daß die Sicherheits wache mehrere Verhaftungen vornehmen mußte. In der Biehler'schen Fabrik mußte deshalb für heute und morgen der Betrieb eingestellt werden.

In Graz hat, wie D. B. H. mittheilt, der Maurer⸗ ausstand durch die unter den Ausständigen herrschende Noth sein

Ende gefunden. . I! 3 ozen befinden sich, wie im Vorwärts“ mitgetheilt wird,

2

O62

die Tischler und Drechsler wegen des Zehnstundentages im Ausstande.

In Dundee ist einer Meldung des Wolff schen Bureaus‘ fel der Ausstand der Jute ⸗Arbeiter beendigt. Die Arbeiter nahmen eine 2 proc. Lohnherabsetzung an und wollten beute die Arbeit wieder aufnehmen. . ;

Aus Hull wird der Londoner . Allg. Corr. geschrie Hoffnung, den Ausst and in Hull zu einem friedli zu bringen, wird fur den Augenblick aufgegeben. Möglich, daß s die Sachlage in einer oder zwei Wochen ändert, aber gegenwärtig

alle Ausgleichungs · Versuche zum Stillstand gekommen.