für die Diagnose der Cholera sind vervollständigt; ich komme darauf
noch zurück. Die bakteriologischen Stationen zur Untersuchung der vorkommenden Cholerafälle sind vermehrt, ihre Ausrüstung ist aus—⸗ giebig erfolgt, sie sind fix und fertig. Kurz, ich glaube versichern zu dürfen, was menschenmöglich ist, um der Gefahr zu begegnen, ist z. 3. vollständig vorgesehen. Wir stehen daher einer etwaigen Cholera⸗ invasion diesmal besser gerüstet und mit günstigeren Chancen gegen⸗ über als im vorigen Jahre.
Zu diesen besseren Vorbereitungen gehört aber namentlich, daß wir 117 gut befähigte, namentlich auch körperlich rüstige Medizinalbeamte, insbesondere Kreisphysiker, einberufen haben, die gruppenweise in sechs Abtheilungen vom Geheimen Rath Koch im Laufe dieses Frühjahrs in den Erfahrungen, welche bei der jüngsten Epidemie gewonnen sind, und in den Abwehrmaßregeln gegen die Cholera unterwiesen worden sind. Diese Beamten sollen überall da, wo das Bedürfniß vorliegt, auch außerhalb ihres Kreises, zur Unterstützung der örtlichen Behörde, zur Berathung der Sanitäts⸗ commissionen u. s. w. verwendet werden.
Der Ueberwachungsdienst auf der Weichsel — es hat sich im vorigen Jahre herausgestellt, daß die Stromläufe die gefährdetsten Punkte waren — der Ueberwachungsdienst auf der Weichsel, der ganz besondere Bedeutung hat wegen der aus Rußland kommenden Flößer, ist bereits mit dem Beginn des Flößereiverkehrs wieder aufgenommen worden. Die Flößer werden überwacht und auch zusammengehalten, damit sie nicht durch eine Zerstreuung in der Bevölkerung unabseh— baren Schaden anrichten können. Die einwandsfreie Wasserversorgung dieser Leute ist vollkommen gesichert. Um sodann die Natur der choleraverdächtigen Erkrankungen und Todesfälle in möglichst zuver⸗ lässiger Weise aufzuklären, ist für die Bedürfnisse des besonders ge⸗ fährdeten Weichselgebiets eine neue bakteriologische Untersuchungs⸗ station in Danzig eingerichtet worden und die Räume dazu — ich muß das dankbar hervorheben — sind von den städtischen Behörden in der dankenswerthesten Weise uns zur Verfügung gestellt.
Eine gleiche Anstalt fehlte bisher in den Rheinlanden, wo wir ja an der Universität Bonn ju meinem Bedauern ein hygienisches Institut noch nicht haben. Ich habe daher auch in Bonn eine solche Institution einrichten lassen; sie ist fertig und kann jeden Augenblick in Wirksamkeit treten.
Im übrigen aber wird das Bedürfniß nach dieser Richtung durch die hygienischen Universitäts⸗Institute, das hiesige Institut für Infectionskrankheiten und aushilfsweise auch die militärischen Sanitäts- ämter vollkommen gedeckt.
Was die Wasserversorgung und die Beseitigung der Abfallstoffe anlangt, so wird überall fortgesetzt unter Mitwirkung der Sanitäts— commissionen dieses Gebiet überwacht. Aus Veranlassung der auch von dem Herrn Interpellanten erwähnten, höchst beklagenswerthen Epidemie in Nietleben sind die Behörden neuerdings streng an— gewiesen, diese Verhältnisse insbesondere in allen Anstalten mit größerer Belegung scharf zu beobachten, etwaigen Mißständen abzuhelfen und solche alsbald, wo sie sich finden, zu beseitigen. Wenn der Herr Interpellant gefragt hat, ob wir sicher wären, daß ein solcher Fall, wie Nietleben, nicht wiederkehre, so kann ich diese Frage freilich nicht bejahen. Aber auch wenn alles geschähe, was der Herr Interpellant verlangt hat, wenn wir unsere Medizinalreform in der ausgiebigsten Weise ausführen — ich komme darauf noch zurück — so werden wir doch nicht in die Lage kommen, sagen zu können: solche Fälle, wie sie in Nietleben vor⸗ gekommen sind, sind absolut unmöglich und können sich nicht wieder⸗ holen. Den abstracten Möglichkeiten gegenüber, die ja ganz un⸗ absehbar sind, lassen sich solche absoluten Versicherungen, wie übrigens der Herr Interpellant auch anerkannt hat, nicht abgeben; aber was möglich war, um ihnen vorzubeugen, ist geschehen.
Ich möchte dann noch ein Wort einfügen über die internationale Sanitätsconferenz in Dresden. Aus den Protokollen dieser Conferenz ist ersichtlich, daß die Grundsätze, auf denen sich in Preußen die Schutzmaßregeln im internationalen Verkehr herausgebildet hatten, im wesentlichen dort zur Geltung gelangt sind. Also neue Einrichtungen nach dieser Richtung hin werden in Preußen nicht nöthig werden. Unsere beiden Quarantäne⸗Anstalten in Neufahrwasser und Swine⸗ münde habe ich jetzt eben durch Commissarien meines Ministeriums einer sorgfältigen Untersuchung unterwerfen lassen. Ich kann nur be— zeugen, daß nach den vorliegenden Berichten ihre Einrichtungen sich in musterhafter Ordnung befinden.
Meine Herren, nehmen Sie zu der Antwort, die sich aus der Ihnen vorgelegten Denkschrift ergiebt, diese Bemerkung hinzu, so haben Sie im wesentlichen, glaube ich, das Bild der Maßnahmen, mit denen wir event. zu operiren gedenken. Der Herr Interpellant hat selbst hervorgehoben, daß er als die wesentlichste Absicht der Interpellation die ansieht, im Lande Beruhigung darüber herbeizu⸗ führen, daß eintretendenfalls nichts versäumt werden wird, um der Seuche mit allen Mitteln, die der staatlichen Organisation zu Gebote stehen, erfolgreich entgegenzutreten.
Nun glaube ich, daß zur Erreichung dieses Zweckes das, was ich gesagt habe, im wesentlichen ausreichen wird. Freilich ist nun der Herr Interpellant über den Wortlaut der Interpellation bei seiner Begründung weit hinausgegangen. Er hat eine Reihe ganz all— gemeiner, über die specielle Bekämpfung der Choleragefahr weit hinausgehender Maßnahmen, ein System der allgemeinen Assanirung und als nothwendigstes Mittel dazu die organisatorische Reform unserer gesammten Medizinalverwaltung in Anregung gebracht; Maß⸗ nahmen, von denen ich ja anerkennen muß, daß sie, wenn sie zur Aus— führung gelangen, natürlich auch der Choleragefahr gegenüber von der wesentlichsten Bedeutung sein werden. .
Was nun dieses Eingehen auf den schon so oft in diesem hohen Hause verhandelten Plan einer Reform unserer Medizinalverwaltung angeht, so kann ich nicht gerade behaupten, daß mir in diesem Augen—⸗ blick die Anregung dieser Frage sehr bequem wäre. Das ist ja aber auch nicht nöthig, und darauf kommt es nicht an. Ich bin aller dings mit dieser Angelegenheit in den Jahren 1876 bis 1878, als ich in der Medizinalabtheilung des Ministeriums war, befaßt gewesen; aber dazwischen liegt eine ganze Reihe von Jahren, in denen mir be⸗ greiflicherweise die Einzelheiten einigermaßen aus den Augen ge— kommen sind.
Ich habe nun diese ganze Frage, kurz nachdem ich das Ministerium übernommen hatte, meinestheils wieder angeregt und wieder aufgenommen. Ich muß aber dabei hervorheben, daß, so oft auch über die Sache verhandelt ist, ich ein ohne weiteres verwerth— bares Material oder einen conereten Plan, mit dem ich nun hätte
gleich operiren können, in den Acten des Ministeriums nicht vor⸗ gefunden habe: Anregungen und allgemeines Material in Hülle und Fülle, aber ein durchgearbeiteter, einheitlicher Plan, mit dem ich sofort an dieses hohe Haus hätte treten können, oder an den ich mich auch nur hätte anlehnen können — ich mußte mir die Prüfung selbst⸗ verständlich vorbehalten — ein Plan für eine gesetzgeberische Action auf diesem Gebiet war nicht vorhanden, und den muß ich mir erst schaffen. So viel ist richtig, meine Herren, daß seit vielen Jahren gewisse Mängel in unserer Medizinalverwaltung auch innerhalb des Ministeriums schwer empfunden werden. Ich leugne diese Mängel selbstverständlich nicht, ich kenne sie, wenigstens einen Theil davon, und es ist mein dringender Wunsch, daß sie abgestellt werden. In gewissem Sinne ist auch mein Herr Amtsvorgänger der Abhilfe bereits näher getreten; er hat in Uebereinstimmung mit dem Wunsch des Herrn Finanz-Ministers, wie auch schon bei der Etatsberathung mitgetheilt worden ist, Ermittelungen herbei—⸗ geführt über die jetzigen Bezüge der Kreis⸗Medizinalpersonen, und die Ergebnisse dieser Ermittelungen, die ja nach der Natur der Sache zum theil sehr zweifelhafter Natur sind, werden jetzt ö ohne Schwierigkeit zusammengestellt und Ihnen hoffentlich später zugehen.
Meine Herren, der Umstand, daß es sich hier in der That um die Befriedigung wichtiger, auch von der Medizinalverwaltung empfundener Bedürfnisse handelt — und ich muß hinzufügen, die wohlwollende Art, mit der der Herr Interpellant diese Dinge mir gegenüber be— handelt hat, — nöthigen mich, ungeachtet dieser noch wenig geklärten Lage der Sache darauf einzugehen. Ich muß aber betonen, daß das selbstverständlich! nur in den allgemeinsten Umrissen geschehen kann, schon deshalb, weil die Frage — ich will nicht sagen: in der Haupt— sache, aber zu einem wesentlichen Theil eine Finanzfrage ist. Weil ich sie nicht selbständig lösen kann, muß ich mir nach dieser Richtung hin in Bezug auf die Ideen, die mir über die Lösung vorschweben, eine große Reserve auferlegen, und es wird noch mancher Tropfen Wasser den Berg herunterlaufen, ehe ich in der Lage sein werde, ein so tief eingreifendes und, wie ich hinzufügen muß, kostspieliges Re— formproject ins Leben zu rufen.
Nun wird sich, wie auch der Herr Interpellant anerkannt hat, diese künftige Medizinalreform in Preußen wesentlich in zwei Rich⸗— tungen bewegen: einmal — das ist die Grundlage für alle weiteren Schritte — müssen wir eine größere Gewähr wie bisher dafür er— streben, daß die örtlichen Medizinalbeamten — ich will sie einmal die künftigen Kreisärzte nennen —, daß die künftigen Kreisärzte mit den neuerdings gewonnenen wissenschaftlichen Ergebnissen auf den Gebieten der öffentlichen Gesundheitspflege: Hygiene, Bakteriologie, Epidemo⸗ logie, Assanirung der Wohnungen, Wasserfrage u. s. w. im größeren Maße wie bisher vertraut werden, und daß sie, was bei einigen der älteren Herren vielleicht hier und da vermißt werden könnte, von der ungeheuren Bedeutung der öffentlichen, das gesammte Gesellschafts— leben der Menschen umfassenden Prophylaxe auf diesem Gebiet voll⸗ kommen durchdrungen sind. Das müssen wir erreichen, das ist die Vorbedingung der ganzen Medizinalreform, sie liegt in der Vorbildung der künftigen Medizinalbeamten.
In Wechselwirkung mit diesem Punkt steht dann die Regelung der amtlichen Stellung der örtlichen Medizinalbeamten: nicht bloß ihres Gehaltsbezuges, von dem ich anerkenne, daß manche Aenderung in dieser Beziehung wünschenswerth sein dürfte, sondern auch ihrer gesammten Stellung im Rahmen der Verwaltung, ihrer Stellung zu den Regiminalbehörden, ihrer Initiative u. s. w. Indessen, meine Herren, dieser Punkt ergiebt, sowie man ihm näher tritt, eine ganze Reihe organisatorischer und finanzieller Fragen, deren Lösung die aller⸗ größten Schwierigkeiten bietet, und die ich jedenfalls nicht über das Knie brechen kann.
Was mich am meisten beunruhigt hat beim Lesen der Inter pellation, das ist die Gefahr, die für mich darin lag, daß ich dazu verleitet werden könnte, hier Versprechungen in dieser Beziehung zu machen, die ich dann später nicht halten könnte, dagegen verwahre ich mich; das will ich nicht und darf ich nicht thun, und damit würde ich auch dem Landtage und dem Lande keinen Dienst erweisen. Denn daß die jetzigen Kreisphysiker, die in der Hauptsache auf ihre ärztliche Praxis angewiesen sind und die daneben zwar Beamte sein sollen, die aber andererseits gewisse Vorzüge der Beamtenstellung ent⸗ behren, sodaß mir neulich ein Kreisphysiker sagte: Ja, wir sind nicht Fisch noch Fleisch, — kurz, daß diese Stellung der Kreisphysiker ge⸗ wisse sachliche Mängel darbietet, die auch zurückwirken auf die Wirk⸗ samkeit der ganzen Institution, darüber wird man wohl kaum im Zweifel sein. Alle diese Fragen und in Verbindung damit auch die Frage, inwieweit der örtliche Kreis⸗Medizinalbeamte auf die freie ärzt⸗ liche Praxis zu verweisen ist, bedürfen der gründlichsten Prüfung. Es liegen große Gefahren darin, unsere Medizinalbeamten von der Praxis ganz frei zu machen, sie nicht mehr in die Häuser hineinzuschicken, wo sie das Wichtigste sehen, was sie für ihre Aufgaben als Medizinal⸗ beamte brauchen; und es liegen andererseits auch Gefahren darin, sie ganz auf die Praxis zu verweisen und damit ihre Kräfte zu absor⸗ biren, sodaß sie uns, wenn wir sie brauchen, mit dem Einwurf kommen: Das ist nicht zu leisten angesichts der Besoldung, mit der wir jetzt abgefunden werden. Kurz, alle diese Fragen werden jetzt einer sorg⸗ fältigen Prüfung innerhalb des Ministeriums unterzogen. Wir werden vielleicht in der Lage sein — ich persönlich würde dazu geneigt sein —, wenn wir erst einmal die Sache einigermaßen formulirt haben, Vertrauens⸗ männer, vielleicht eine freie Commission, über diese Dinge zu hören. Zur Zeit bin ich nicht in der Lage, sagen zu können: So und so werden wir die Sache gestalten. Auch die Frage der örtlichen Gesundheits⸗ commissionen und der vom Herrn Interpellanten erwähnten Anstellung von Gesundheits oder Wohnungs⸗Inspectoren ist zur Zeit nach meiner Ueberzeugung noch nicht spruchreif. Wir müssen uns zunächst mit den Organisationen behelfen, die wir haben, und dabei sind wir unseren Medizinalbeamten zum mindesten die Anerkennung schuldig, daß sie bisher im allgemeinen und bei schweren Aufgaben auch unter schwierigen Verhältnissen, namentlich wenn es sich um öffentliche Nothstände ge⸗ handelt hat, niemals versagt haben. Es wird sich ja auf diesem Gebiete manches verbessern lassen, aber es liegt doch nach den bis⸗ herigen Erfahrungen kein Grund zu der Annahme vor, daß unsere Medizinalbeamten, namentlich in Zeiten der Noth, nicht ihre volle Schuldigkeit thun würden. Ich bin überzeugt, sie werden sie thun, wie sie ihre Pflicht bisher stets gethan haben, und die Besorgniß, daß daraus eine acute Gefahr erwachsen könnte, ist ohne jeden thatsäch⸗ lichen Anhalt. Daß wir dabei von militärischer Seite sehr bereitwillige
ich sehe auch darin kein Unglück, aber wir werden darauf Bedacht zu nehmen haben, daß unsere Medizinalbeamten mindestens gleichwerthig auch nach dieser Richtung ausgebildet sind und auch ausgerüstet werden wie es jetzt beim Militär der Fall ist. ⸗
. Ich darf also in dieser Beziehung mich dahin zusammenfassen: Eine Revision und erforderlichen Falls eine organische Reform unserer Sanitätsorganisation wird mit allem Ernst in Angriff genommen werden. Die grundlegenden Vorarbeiten dazu sind jetzt im Gange.
Daß, meine Herren, dies alles nicht aus dem Handgelenk ins Leben
zu rufen ist, daß das einer sehr praktischen und eingehenden, sorg⸗ fältigen Erwägung bedarf, darüber brauche ich nicht zu reden. Nun bin ich mir ja wohlbewußt, daß bei allem Eifer, mit dem der Herr Interpellant seine humanitären Bestrebungen verfolgt, es vielleicht auch schon als ein Erfolg zu verzeichnen ist, wenn diese Erklärungen die ich bisher hier habe abgeben können, eine Beruhigung herbeigeführt haben. Aber auf der anderen Seite weiß ich mich mit ihm darin einig, daß mit bloßen Vertröstungen auf die Zukunft diese Dinge nicht behandelt werden dürfen. Dazu ist die Sache zu groß und die Frage zu ernst. Glücklicherweise bin ich aber in der Lage, zwar nicht alles Wünschenswerthe auf einmal schon jetzt zu thun und in Aus— sicht zu stellen, aber einiges können wir doch sofort thun ohne diese weit aussehende Neuorganisation abwarten iu müssen. Der Herr Interpellant hat mit Recht die Noth⸗ wendigkeit von Lehrkursen hervorgehoben, die den Zweck haben sollen, in weiteren Kreisen Verständniß für die öffentliche Gesundheitspflege zu verbreiten; und in diesem Punkte bin ich mit ihm in jeder Be⸗ ziehung einverstanden, ja, ich bin seinen dankenswerthen Anregungen nach dieser Richtung bereits zuvorgekommen. Wir haben nicht nur hygienische und bakteriologische Curse für Aerzte und Medizinalbeamte, sondern auch solche für Verwaltungsbeamte und Beamte der Schul⸗ verwaltung eingerichtet. Ich habe die Directoren der hygienischen In⸗ stitute der Universitäten Breslau, Königsberg, Kiel, Marburg und Berlin angewiesen, solche hygienischen Curse für Beamte einzurichten, und zwar dergestalt, daß diese Curse, soweit sie Theilnahme finden und die Aufgaben der Institute es gestatten, von Zeit zu Zeit wieder⸗ holt werden. Wenn es demnächst einer Anzahl von Abgeordneten ge⸗ fällt, an diesen Cursen theilzunehmen, so versteht es sich von selber, daß uns das die größte Freude sein wird. In dieser Beziehung kann sich der Herr Interpellant beruhigen; ich fürchte nur, sehr zahlreich würde der Zugang von hier aus auf die Dauer wohl nicht werden.
Diese Curse sind zunächst auf vierzehn Tage berechnet; sie ver⸗ folgen als Ziel, den Theilnehmern durch Vorträge und Demonstrationen einen Einblick in die ihren Wirkungskreis berührenden Theile der öffentlichen Gesundheitspflege zu verschaffen. Diesem Zweck sollen die Sammlungen der Institute, sowie besonders auch die sanitären Ein— richtungen der betreffenden Orte und ihrer Umgebungen in möglichst ausgedehntem Maß dienstbar gemacht werden. Es handelt sich dabei um ein sehr großes Menu: um die allgemeinen Aufgaben der Hygiene, Mortalitäts⸗ und Morbiditätsstatistik, Krankheitsursachen, die krankheit⸗ erregenden Parasiten; um Boden und Wasser, Wasserversorgung im großen, Filterbetrieb, Brunnenanlagen, Hausfilter; um Wohnungs⸗ hygiene, gesundheitsschädliche Bestandtheile der Luft, Ventilation; Heizung, locale und centrale Heizanlagen; Schulbauten, Kranken⸗ häuser, Isolirbaracken, Arbeiterwohnungen, Gefängnisse; um die Ent— fernung der Abfallstoffe, Kanalisation, Rieselwirthschaft, Klär— anlagen, Abfuhrsysteme; um Volksernährung, Kost in öffent— lichen Anstalten, Alkoholismus, Verfälschung der Nahrungsmittel, Fleischschau, Marktpolizei; um die wichtigsten Theile der Gewerbe— hygiene; ferner um das Begräbnißwesen und die Verhütung der über— tragbaren Krankheiten (Desinfectionswesen).
An den einzelnen Cursen sollen 15 bis 20 Hörer theilnehmen, und wenn auch das Menu etwas reichlich ist, so versteht es sich doch von selbst, daß nicht alle Gegenstände mit gleicher Vollständigkeit in jedem Curse behandelt werden können. Es ist Vorsorge getroffen, daß die Mitglieder der Verwaltungsbehörden und alle Personen, für welche die Curse zugänglich sind, über deren Einrichtung unterrichtet werden. Wir haben in Bezug auf die Curse, was der Herr Interpellant gewünscht hat, bereits gethan; denn wir haben Curse an den hygienischen Instituten, den Universitäten, sowie bei dem hiesigen Institut für Infectionskrankheiten einmal zur Fortbildung und Unterweisung von Medizinalbeamten, dann für Verwaltungsbeamte, sodann hygienische Uebungscurse für die Studirenden und endlich noch besondere epidemo—⸗ logische Lehreurse der Medizinalbeamten. Ich habe auch besonders Sorge dafür getragen, daß diese Curse auch den Beamten der Schul⸗ verwaltung und der Seminare zugänglich werden. Vielleicht läßt es sich später ermöglichen, in den Seminaren selbst Curse über Schul— hygiene und über die wissenswerthesten Zweige der all— gemeinen Gesundheitspflege einzurichten. Ich werde alle diese Einrichtungen persönlich im Auge behalten.
Im übrigen haben wir hygienische Curse und Vorlesungen nicht nur an den Universitäten, sondern auch an den Technischen Hochschulen, wenn sie hier auch naturgemäß sich wesentlich auf Gewerbehygiene be⸗ schränken.
Das ist im wesentlichen die Antwort, die ich zu geben habe. In weitere Einzelheiten einzugehen, würde, wie ich glaube, zwecklos sein. Aber ich hoffe gezeigt zu haben, daß wir auf dem Posten sind, und daß die Mittel, mit denen wir der Cholera entgegenwirken und ein⸗ tretendenfalls entgegenzuwirken denken, wohlvorbereitet sind. Wenn diese Darlegung dazu dient, das Vertrauen im Lande zu stärken, so wird auch diese Interpellation nicht ahne segensreiche Folgen bleiben. (Bravo!)
Zur Besprechung der Denkschrift Ministeriums über die gegen die Cholera in Preußen im Jahre 1892 getroffenen aßregeln nimmt hierauf das Wort der
Abg. Dr. Graf (nl): Von der goht Bedeutung für die Er⸗ kenntniß des Wesens der Cholera ist die Rolle, welche be ihrer Ver⸗ breitung das Wasser gespielt hat. Bekanntlich hat die Cholera in Hamburg eine sehr starke, in dem damit verschmelzenden Altona fast
he keine Verbreitung gefunden. Die bitteren Erfahrungen, die Ham— urg im vorigen Jahre hat machen müssen, werden j(tzt allerdings
dem a Lande zum Segen gereichen; aber doch wäre es falsch, sich
icherheit zu wiegen, und darum ist es dringend nöthig, nicht nur die speciell gegen die Cholera nothwendigen Maß— nahmen fortgesetzt im 1 zu behalten, sondern auch die dringend erforderlichen Medizinalreformen in Angriff zu nehmen. Daß wir im vorigen Jahre so viel auf. Militärärzte ange— wiesen waren, davon kann ich nur mit Freuden Notiz nehmen; diese Erscheinung zeugt von der Tüchtigkeit unseres Sanitäts⸗-Corpe. Die bessere Vorbildung unserer öffentlichen Medizinalbeamten ist eine der
jetzt in
Hilfe im vorigen Jahre gefunden haben, dafür sind wir sehr dankbar;
dringendsten Forderungen, die die Oeffentlichkeit zu stellen hat. Ich
des Staats⸗
e Finanzlage als Hinderniß entgegengehalten worden. Diese , 69 der Privatpraxis unabhängig gemacht werden; fie müffen Vensionsberechtigung erhalten, sie müssen versetzt werden Können diese Resultate sind die Voraussetzung einer e gn Töfung der ganzen . Aber auch die Förderung der praktijchen Aerzte auf diesem Gebiet muß das Ziel der Gesetzgebung sein. Dies sollte durch das Neichs-⸗Senchengesetz geschchen, welches leider bisher nicht zu stande gekommen ist. Die Beschränkungen des Gesetzes im wefentlichen 19 die Cholera allein halte ich für keinen Nachtheil, zumal jetzt noch eine wirkliche Organisation des ärztlichen Standes, ine wirkliche Aerzteordnung, der Ausbau der Aerjtekammern, das Verbot der Kurpfuscherei fehlen. Die alten Sanitätscommissionen sießen sich sehr wohl zeitgemäß umgestalten und wieder lebens fãhig machen. Kommt das Reichs⸗Seuchengesetz nicht demnächst zu stande, so muß Preußen umsomehr selbständig mit der Prophylaxe vorgehen. Wenigstens hat der Minister das dringende Bedürfniß einer Medizinal⸗
erkannt. refer en von Bülow-Wandsbek (freieons.) begründet hierauf seinen
Antrag: „Die Staatsregierung aufzufordern: 1) Ermittelungen über die durch die Bekämpfung der Cholera im Jahre 1892 entstandenen Kosten anzustellen und das Ergebniß dem Hause der Abgeordneten in einer Nachweifung vorzulegen und Y) dabei mitzutheilen, welche dieser Rosten die Staatsregierung auf Landespolizeifonds zu übernehmen gedenkt. Er motivirt denselben mit der unverhältnißmäßigen Be⸗ lastung, welche durch die im allgemeinen Interesse angeordneten Maß⸗ regeln einzelnen Gemeinden erwüchsen, ohne daß sie bisher durch die antheilige Üebernahme der Kosten auf den Staat entschädigt worden seien. glam end sch den schwer betroffenen Gemeinden in der Nähe von Hamburg müsse auf diesem Wege zu Hilfe gekommen werden.
Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:
Meine Herren! Ich kann dem hohen Hause nur anheimstellen, ob es glaubt, daß ausreichende Gründe vorliegen, um den Antrag des Herrn Abg. von Bülow anzunehmen. Ermittelungen über die zur Bekämpfung der Cholera im Jahre 1892 entstandenen Kosten sind natürlich von uns angestellt worden, aber sie haben sich doch im wesentlichen auf diejenigen Kosten beschränkt, die wir auf landespolizeiliche Fonds übernommen haben; über diejenigen Kosten, welche die einzelnen Ortsbehörden, die Gemeinden hergegeben haben, um die Cholera zu bekämpfen, haben wir eine Zusammenstellung bisher nicht, und ich weiß auch nicht, ob es sich der Mühe verlohnt, die Ortsbehörden auf⸗ zufordern, eine solche Zusammenstellung einzureichen, um die Sache dann im Gesammtinteresse zusammenzustellen. Ich glaube nicht, daß das nöthig ist, weil ja jede einzelne Ortsverwaltung, wenn sie zur Be— kämpfung der Cholera Ausgaben gehabt hat, die auf landes polizeiliche Fonds gehören, sie bei der Regierung liquidiren kann. Das haben die Gemeinden auch gethan, und ich muß gestehen, daß mir die Meinung des Herrn von Bülow völlig unverständlich ist, daß der Erlaß vom 5. September nicht ausgeführt sei, daß keine Er⸗ stattungẽanträge eingegangen sein sollen. Massenhaft sind solche bei uns eingegangen, und daß das der Fall war, können Sie daraus sehen, daß unsere Berechnung in dieser Beziehung zwar noch nicht fertig ist, aber wir haben bis jetzt 722 500 6½ auf landespolizeiliche Fonds übernommen, wir rechnen dabei noch im allgemeinen auf etwa 83 756 6, die noch dazu kommen werden, und wir können annehmen, daß vom Vorjahre auf landespolizeiliche Fonds zur Bekämpfung der Cholera zu über⸗ nehmen sind rund 810 000 SM Woraus Herr von Bülow die Meinung hernimmt, daß die erwähnte Verfügung nicht ausgeführt werde, ist mir vollkommen unerfindlich; dies ist auch unwahr— scheinlich. Die Gemeinden würden ja thöricht sein, wenn sie diejenigen Beträge nicht liquidiren wollten, die sie ausgelegt haben, von denen sie annehmen, daß sie landespolizeilicher Natur sind. Nun gebe ich gern zu, die Unterscheidung ist unter Um— ständen schwierig und auch zuweilen kitzlicher Natur. Es sind aber nach dieser Richtung hin ganz bestimmte Anweisungen ergangen; im allgemeinen bleibt doch nichts Anderes übrig, als daß — wie wir dies auch erkennbar unseren Berechnungen zu Grunde gelegt haben — als landespolizeilich diejenigen Maßnahmen anzusehen sind, die auf Verhinderung der Einschleppung der Seuche aus dem Auslande ins Inland oder auf ihre Verbreitung im Inlande von einer Gegrnd zur andern abzielen, während die Maßnahmen, die auf die Bekämpfung und Beschränkung der Krankheit innerhalb eines ein— zelnen Ortes gerichtet sind, ortspolizeilicher Natur sind. Wir sind auch im allgemeinen mit der Unterscheidung bisher sehr gut aus⸗ gekommen. Es sind wirklich erhebliche Beschwerden bis jetzt gar nicht an uns gelangt; es ist ja möglich, daß sie noch kommen werden, aber ich bin nicht in der Lage, mich darüber auszusprechen, sofern solche Fälle nicht specialisirt werden.
Wenn das Haus es verlangt, so werden wir die Zusammen⸗ stellung der Kosten in Erwägung nehmen. Ich werde die gesammten Kosten, soweit wir sie kennen, zusammenstellen lassen, sie dann dem hohen Hause vorlegen und Ihnen sagen: so und so viel haben wir auf die landespolizeilichen Kosten übernommen. Mehr können wir nicht thun, um dem Antrage des Herrn von Bülow gerecht zu werden. . Abg. von Pilgrim lfreicons fordert ebenfalls dringend eine Besserung der Stellung der Kreis⸗Physiker; so mangelhaft wie jetzt könne der Zustand nicht bleiben, wenn nicht öffentliche Interessen schweren Schaden nehmen sollten.
Abg. Dr. Virch ow (dfr): Ich bin mit den Vorrednern darin einverstanden, daß Preußen mit seinen Maßregeln nicht warten sollte, bis das Reich mit seiner Gesetzgebung auf diesem Gebiet einen Ab—Q— schluß gemacht hat. Herr von Büloi übersieht, doch wohl, daß die erstverpflichtete Instanz jedenfalls die Gemeinde ist; alle Polizeikosten für diesen Zweck können unmöglich dem Staat aufgebürdet werden. Vorläufig übersehe ich nicht, wie man über in Standpunkt hinaus kommen kann; es müßten denn dem Minister größere Fonds zur Verfügung gestellt werden. Allgemein bindende Vorschriften für die örtlichen Maßnahmen, muß das einzelne Land treffen, wenn ein Reichs Seuchengesetz nicht zur rechten Zeit ergeht. Der Mangel oder die ,, , der örtlichen Vorschriften ist der Urquell alles Uebels beim Einbruch einer Epidemie. Im weiteren kommt Redner auf die Gefahr zu sprechen, welche von den Begräbnißplätzen mit ihrem dreißigjährigen Gräberwechsel zug g und tritt für die Leichenverbrennung ein, welche das christliche Gefühl garnicht verletze, . die jetzige Bestattungsart mit der Umgrabung der Gräber nach dreißig Jahren eine der schauderhaftesten sei, die man sich denken könne; auch stehe dieses gilt Gefühl, mit der finanziellen Bedeutung der Kirchhöfe für die Kirchenkassen in einem nicht ganz eutfernten Zusammenhang. Sodann tritt Redner ebenfalls, dafür ein, daß die Stellung der beamteten Aerzte freier und unabhängiger gemacht werden müsse.
Ein Antrag auf Schluß der Besprechung wird ange⸗ nommen. ;
Abg. Freiherr von Loß (Centr,) bedauert, durch den Schluß 35 Debatte verhindert zu sein, Protest gegen die Ausführungen des Abg. Virchow einzulegen, der das christliche Gefühl mit finanziellen Rücksichten in Verbindung gebracht habe. -
Der Antrag von Bülow wird hierauf abgelehnt
habe Jahr für Jahr diese ö. hier im Hause angeregt, aber stets
und die Denkschrift für durch Kenntnißnahme erledigt
erklärt.
Das 3. setzt sodann die Debatte über den Antrag der Abgg. Frelherr von Los und Genossen, betreffend die cor⸗ porative Gestaltung des Berufsstandes der Land⸗ wirthe, und den dazu gestellten Antrag des Abg. Freiherrn von 53 (s. den Schlußbericht über die 85. Sitzung in Nr. 157 d. Bl) fort.
Abg. . von Erffa⸗Wernburg (eons.): Die Bildung von Landwirthschaftskammern wird von einigen Provinzen befürwortet, vom Osten aber bekämpft, weil man eine falsche Zusammensetzung dieser Kammern befürchtet und weil man keine neuen Ausgaben mehr über⸗ nehmen will. Die beste Organisation ist die, welche möglichst viele Landwirthe in die ,, ., Factoren bringt, wie das der Bund der Landwirthe bewerkstelligt hat. Die Schaffung eines Agrarrechts ist auch kein neuer Gedanke; ich habe mich dieses Wunsches seit acht Jahren in diesem Hause angenommen. Der Antrag Zedlitz bietet nur kleine Palliativmittel, die für die Noth der Landwirthschaft nichts verschlagen. Auf dem Gebiete des Erbrechts müssen Maßregeln gegen die Parzellirung getroffen werden; man darf nicht dulden, daß die freie Theilbarkeit des Grund und Bodens ein soecialdemokratisches landwirthschaftliches Proletariat erzeugt und der kleine Grundbesitz von dem großen aufgesogen wird. Sehr wirksam für die Landwirth⸗ schaft ist die Vereinigung der Steuer⸗ und Wirthschaftsreformer auf⸗ getreten; was früher als Utopie bezeichnet wurde, wie die Beseitigung der Doppelbesteuerung durch Aufhebung der Grundsteuer, und die Eisenbahnverstaatlichung: beides sind Thatsachen geworden. Das platte Land ist immer noch die beste Stütze der Monarchie; die socialdemo⸗ kratische Agitation greift in einer Weise um sich, wie es nicht weiter gehen kann; das allgemeine Wahlrecht führt zu Consequenzen, welche unsere Bevölkerung depraviren müssen. Hier ist periculum in mara, und ich möchte die Regierung dringend bitten, bereits dem nächsten Landtage einen , , vorzulegen, der den wesentlichsten Punkten, die in dem Antrag des Freiherrn von Los liegen, Rechnung trägt. Redner bittet, den Antrag anzunehmen.
Abg. Schmitz-Erkelenz (Centr.): Die gestrigen Ausführungen des Freiherrn von Los enthielten viele Goldkörner. Der Bildung von Landwirthschaftskammern kann ich jedoch nicht ohne Vorbehalt zustimmen. Wir haben solche Landwirthschaftskammern nur in Sachsen, und ihre Thätigkeit steht weit zurück hinter freiem Vereins⸗ wesen. Es würde durch diese Kammern nur die Zahl, der Waaren vermehrt und der Kleinbesitz vielleicht durch den Großbesitz majorisirt werden. Das Besteuerungsrecht, welches der Abg. von Los den Kammern geben will, ist besonders bedenklich. Es wird Sache der Landwirthschaft sein, auf dem Wege der Selbsthilfe alles das zu er⸗ streben, was ihr noth thut. In diesem Sinne bitte ich Sie, den Antrag Los anzunehmen. ;
Abg. Schultz⸗Lupitz (freicons. : Der Antrag Los scheint auf den ersten Blick sehr harmlos, wenigstens nach seinem Wortlaut; bedenklicher ist er, wenn man die Motive des Antragstellers in Betracht zieht. Die gute, alte Zeit' hat man zu allen Zeiten gepriesen; stets hat es Noth und Elend gegeben, und wir in der Gegenwart haben am allerwenigsten Ursache, uns zu beklagen. Woran die Landwirth⸗ schaft einzig und allein krankt, ist das Sinken der Grundrente, nicht allein bei uns, sondern in ganz Europa und der übrigen Welt. Nur durch intensive Arbeit kann Hilfe kommen. Möge sich die Landwirth- schaft organisiren, wie es der Antrag Zedlitz will. Leider hat man die Landwirthschaft bei den Handelsverträgen nicht angehört. Die Gesetz⸗ gebung kann der Landwirthschaft wenig helfen, sie muß selber für sich sorgen unter Benutzung aller Mittel der Wissenschaft und Kunst. Ich bin auch ein Bauer, und in unserer Kirche in der Altmark hängen noch die Fahnen, auf welchen steht; ‚Wir Bauern sind von geringem Blut und dienen unserem Kurfürsten mit Gut und Blut?“. Wir wissen, was wir an unseren Hohenzollern haben, wir verdanken ihnen unsere Freiheit und daß wir relativ mit Behagen aus unseren Fenstern blicken können. Wir stehen an Patriotismus hinter keinem zurück, auch nicht hinter meinen Nachbarn. Die Mittel, welche der Antrag Loö vorschlägt, sind nicht die richtigen; ich bitte Sie dringend, diesen Antrag abzulehnen und den Antrag Zedlitz anzunehmen.
Abg. Brandenburg (Centr.): Das Grundeigenthum ist leider zu einer leicht veräußerbaren Waare geworden. Vielleicht könnte an die Stelle des Individualguts das Familiengut treten. Eine weitere Umkehr müßte stattfinden durch organische Zusammenfassung der Land wirthschaft in geeigneten Corporationen, wenn es auch nicht leicht sein wird, die gesetzgeberische Form dafür zu finden.
Abg. Rickert: Ich bedauere sehr, daß die Berathung dieses Antrags vor einem leeren Hause stattfindet. Was soll denn die Regierung mit einer solchen Resolution machen? Ich bin kein Feind der Landwirthschaft, aber jeder vernünftige Landwirth sollte sich zunächst die Frage vorlegen: wie sehen denn solche Landwirthschafts⸗ kammern aus? Der Abg. von Los hat diese ganze Frage in völlig un⸗ zureichender Weise dargestellt. Seine Rede war ein Gemisch von soeial— demokratischen und reactionären Ideen. Er hat die Behauptung auf⸗ gestellt, daß die liberale Wirthschaftslehre und die Manchesterpartei den Schutz der Schwachen verbiete. Dabei übersieht er gänzlich, daß in England die Manchesterpartei den Kampf gegen die Kornzölle ge—⸗ führt hat, nicht etwa für die Börse, sondern zum Schutz der Schwachen. Und das liberale Coalitionsrecht, ist es denn nicht auch zum Schutz der Schwachen aufgestellt worden? Die Vorschläge der Herren von Los und von Erffa schweben vollkommen in der Luft. Mit all gemeinen Redewendungen ist die Sache nicht gemacht. Zwangt⸗ gorporationen wollen die Herren: ich möchte einmal wissen, was die Bauern dazu sagen würden. Herr Schultz hat das Richtige getroffen. Ich bin kein absoluter Gegner der Landwirthschaftskammern, aber ich will erst wissen, wie sie aussehen sollen. Selbst im Landesökonomie⸗
collegium herrscht keine sehr begeisterte Stimmung für die Landwirth⸗ schaftskammern. Redner beantragt am Schluß seiner Rede, beide Anträge an die Agrarcommission zur Berichterstattung zu überweisen.
Abg. Graf Hoensbroech (Centr.): Es ist nicht die Schuld des Antragstellers, daß sein Antrag erst vor Thoresschluß das Haus be⸗ schäftigt. Es ist auch nicht seine Absicht gewesen, die Frage hier zu einem endgültigen Abschluß zu bringen. Der Abg. Rickert rechnet den Manchestermännern ein großes Verdienst an für die Beseitigung der Kornzölle; ja, weiß er denn nicht, daß die Folge dieser i g. die Vernichtung des Getreidebaues in England gewesen ist? ir werden an unserer Schutzzollpolitik mit allen Kräften festhalten.
Abg. Schroeder (Pole) spricht sich ebenfalls für den An trag aus.
Darauf wird ein Schlußantrag angenommen.
Der Antrag Rickert auf Ueberweisung an eine Com⸗ mission wird abgelehnt und der Antrag von Los an⸗
genommen. ᷓ Damit ist zugleich der Antrag , n. erledigt. Schluß 33/ Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch 10 Uhr (Petitionen).
Parlamentarische Nachrichten.
Der dem Reichstag zugegangene Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres, nebst Begründung lautet:
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen ꝛe.
verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des
Bundesraths und des Reichsta was folgt:
Artikel J. .
Die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres an Gemeinen, Gefreiten und Obergefreiten wird für die Zeit vom 1. Oktober 1893 bis 31. März 1899 auf 479 229 Mann als Jahres⸗Durchschnittsstärke
festgestellt. ,
An derselben sind die Bundesstaaten mit eigener Militär⸗ verwaltung nach Maßgabe der Bevölkerungsziffer betheiligt. Die Einjährig⸗Freiwilligen kommen auf die Friedenspräsenzstärke nicht in Anrechnung. . . Die Stellen der Unteroffiziere unterliegen in gleicher Weise wie die der . Aerzte und Beamten der Feststellung durch den Reichs haushalts⸗Etat. . In offenen Unteroffizierstellen dürfen Gemeine nicht verpflegt werden. . O Vom 1. Wktober 1893 ab werden.
die Infanterie in 538 Bataillone und 173 Halbbataillone,
die Cavallerie in 465 Escadrons,
die Feld⸗Artillerie in 494 Batterien,
die n n in 37 Bataillone,
die Pioniere in 23 Bataillone, die Eisenbahntruppen in 7 Bataillone, der Train in 21 Bataillone
Artikel II. Für die .. vom E. Oktober -1893 bis zum 31. März 1899 treten bezüglich der Dienstpflicht folgende k in Kraft:
Während der Dauer der Dienstpflicht im stehenden Heere sind die Mannschaften der Cavallerie und der reitenden Feld⸗AUrtillerie die ersten drei, alle übrigen Mannschaften die ersten zwei Jahre zum un⸗ unterbrochenen Binn bei den Fahnen verpflichtet.
Im Falle nothwendiger Verstärkungen können auf Anordnung des Kaisers die nach der Bestimmung des ersten Absatzes zu entlassenden Mannschaften im activen Dienst zurückbehalten werden. Eine solche Zurückbehaltung zählt für eine Uebung, in sinngemäßer Anwendung des letzten Absatzes des 8 6 des Gesetzes, betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienst, vom 9. November 1867 (Bundes-⸗Gesetzbl. 1867 S. 131. 82
Mannschaften, welche nach einer zweijährigen activen Dienstzeit entlassen worden sind (5 1), kann im ersten Jahre nach ihrer Ent⸗ lassung die Erlaubniß zur Auswanderung auch in der Zeit, in welcher sie zum activen Dienst nicht einberufen Ind verweigert werden.
Die Bestimmung des 5 60 Ziffer 3 des Reichs ⸗Militärgesetzes vom 2. Mai 1874 (Reichs Gesetzbl. 1874 S. 45) findet auf die nach zweijähriger activer Dienstzeit entlassenen Mannschaften keine An⸗ wendung. Auch bedürfen diese Mannschaften keiner militärischen Genehmigung zum Wechsel des ö
8 1 Mannschaften der Cavallerie und der reitenden Feldartillerie, welche im stehenden Heere drei Jahre activ gedient haben, dienen in der Landwehr ersten Aufgebots nur drei Jahre. 8
formirt.
8 .
Alle diesem Artikel entgegenstehenden Bestimmungen, insbesondere die bezüglichen Festsetzungen des § 6 des ee, , betreffend die Ver⸗ pflichtung zum Kriegs dienst, vom 9. November 1867, und des § 2 des Artikels II. des Gesetzes, betreffend Aenderungen der Wehrpflicht, vom 11. Februar 1888 Reichs- Gesetzbl. 1388 S. 1) treten außer
Kraft. Artikel III.
Die Bestimmungen des Artikels II. 5 1 erster Absatz finden für diejenigen Mannschaften, welche nach zweijährigem activen Dienst hiernach zur Entlassung zu kommen hätten, im ersten Jahre nach In⸗ krafttreten dieses Gesetzes keine Anwendung; jedoch zählt eine solche Zurückbehaltung für eine Uebung, desgleichen eine etwaige Einberufung während des angeführten Zeitraums.
Artikel IV.
Die S§ 1 und 2 des Gesetzes, betreffend die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres, vom 15. Juli 1890 (Reichs⸗Gesetzbl. 1890 S. 140) treten mit dem 1. Oktober 1893 außer Kraft.
Artikel V.
Gegenwärtiges Gesetz kommt in Bayern nach näherer Bestimmung des Bündnißvertrages vom 23. November 1870 (Bundegs⸗Gesetzbl. 1871 S. 97) unter III S 5, in Württemberg nach näherer Bestimmung der Militärconvention vom 21.25. November 1870 (Bundes⸗Resetzbl. 1870 S. 658), vorbehaltlich der Vereinbarung zwischen den Militär⸗ verwaltungen Preußens und Württembergs wegen der Ueberführung des Fußartillerie⸗Bataillons Nr. 13 auf preußischen Etat, zur An⸗ wendung.
Urkundlich 2c.
Gegeben 2c.
Statistik und Volkswirthschaft.
Zur Rrbeiterbewegung.
Der Bergmännische , , n,, im Saar⸗ revier, der seit dem letzten großen Ausstande immer mehr an Ansehen unter den Bergleuten verlor und an Zahl der Mitglieder immer mehr abnahm, scheint seiner völligen Auf⸗ bing ,,,, Nach dem „Bergmannsfr.“ beschloß der Vorstand des Rechtsschutzvereins in seiner letzten Sitzung, die Zeitung Schlägel und Eisen“ eingehen zu lassen. In derselben Sitzung erklärte Herr N. Warken freiwillig seinen Rücktritt; dem entsprechend wird der „Köln. Zig.“ aus Saarbrücken telegraphirt, daß das Organ des Rechtsschutz vereins „Schlägel und Eisen“ gestern in seiner letzten Nummer erschienen ist. Das Blatt bringt die Erklärung, daß die Druckerei eingehe. Der Vorstand des Rechtsschutz⸗ vereins beruft eine Generalversammlung zur Beschlu fassung über die Liquidation und Auflösung des Rechtsschutzvereins.
In Leipzig beschlossen, wie das ‚Chemn. Tgbl. mittheilt, die Arbeiter aller zur Holzindustrie zählenden Berufszweige in einer öffentlichen Versammlung am Sonnabend, alle Loecalorganisationen eingehen zu lassen und sich dem kürzlich gegründeten, alle Berufszweige der Holzindustrie umfassenden Holzarbeiterberbande anzuschließen. Die Ausstandsbewegung unter den Ziegeleigrbeitern im Kreise Templin hat, einer Mittheilung der Voss. Itg. zufolge, ihr Ende erreicht. Die Ruhe ist vollkommen wiederhergestellt, und die Betriebe sind alle wieder im Gange. (Vgl. Nr. 156 d. ö. .
In der Angelegenheit der Schließung der Arbeitsbörse in Paris (ovgl. Nr. ib3 d. Bl) wird der Madb. Itg. telegraphirt: Sämmtliche Arbeiter Syndikate bewerkstelligten im Laufe des gel en Tages die Uebersiedelung von der Arbeits ö. die heute Abend ge⸗ schlossen werden soll. Gestern sollte eine große Arbeiterversammlung stattfinden, um endgültige Beschlüsse zu fassen. ö
Der im Anschluß an den internationalen ,,,, congreß in Zürich 6 internationale Textilarbeiter- 8 wird vom 7. bis 19. August in Zürich stattfinden. Aus der provisorisch festgestellten Tagesordnung hebt die „Frkf. Ztg. folgende Punkte hervor: 1) Die Errichtung von internationalen Berufssectetariaten; 2) die Einführung des Garantielohnes an Stelle dee Accordlohnes. Der Congreß wird ven Delegirten aus allen Ländern, in denen Textilindustrie besteht, beschickt sein. .
Nach einem Londoner Telegramm des . H. T. B. ist in Mel⸗ bourne im Do ein Strike ausgebrochen. Die dortige Regierung e. abgelehnt haben, zwischen den Rhedern und Seeleuten ju ver mitteln. ;
Kunst und Wissenschaft.
4 Die deutschen Originalseulvturen der Königlichen
Museen, welche bisher in dem schlecht beleuchteten Erdges des Neuen Museums untergebracht waren, haben eine Umstellur . 9. =.
welche der Sammlung in eder Beziehung zum Vorthei Der nach der Südfront des Neuen Museums gelegene Theilraum des