1893 / 284 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 28 Nov 1893 18:00:01 GMT) scan diff

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niedriger ist wie die Ist⸗ Einnahme des vergangenen Jahres, obgleich sich im gleichen Zeitraume der Frachtertrag der Eisenbahnen um 40 gehoben hat und auch die Einnahmen aus der Post⸗ und Telegraphen⸗ verwaltung gestiegen sind, zu einer sehr vorsichtigen Veranschlagung. Auch der Einnahme aus den Reichsstempeln, welche einem fortgesetzten Rückgange unterlegen hat, ist der diesjährige Durchschnitt zu Grunde gelegt; sie mußte deshalb um 25 Millionen niedriger veranschlagt werden, wie im laufenden Jahre.

Es ist ferner monirt worden, daß die einmaligen Ausgaben des Ordinariums in diesem Etatsentwurf außerordentlich hoch sind zu denjenigen einmaligen Ausgaben, die durch Anleihen aus dem Extra⸗ ordinarium zu decken sind. Es ist allerdings richtig, daß für das Jahr 1893/94 das Verhältniß der einmaligen Ausgaben des Ordinariums zu denjenigen des Extraordinariums stand wie 84: 277), während im Etatsentwurf für das kommende Jahr die einmaligen Ausgaben des Ordinariums gegenüber denjenigen des Extraordinariums stehen wie 84: 139; mithin hat sich das Verhältniß der einmaligen Ausgaben des Ordinariums zu denen des Extraordinariums um 79 000 000 M.

Meine Herren, wenn man aber bedenkt, daß wir einschließlich des (nleihebedarfs des kommenden Jahres eine Reichsschuld von zwei Milliarden haben, von denen bisher noch kein Pfennig getilgt ist, daß dieser Zwei⸗Milliardenschuld nur gegenübersteht ein werbendes Vermögen in den Reichs⸗Eisenbahnen in Höhe von 4203 Millionen allenfalls könnte man noch die Ueberschüsse der Post- und Tele⸗ graphenverwaltung und der Reichsschuld, kapitalisirt hinzurechnen —, so werden Sie mir zugestehen, daß das Befstreben, möglichst viel Einnahmen auf das Ordinarium zu nehmen und damit das Extra—⸗ ordinarium möglichst zu entlasten, ein durchaus gerechtfertigtes ist, um einer fortgesetzten verhängnißvollen Verschuldung des Reichs vor⸗ zubeugen.

Meine Herren, es ist dann auch so dargestellt worden, als ob der Abschluß des Etats ein recht günstiger sei, und man hat aus— geführt, daß ja nur 393 Millionen Matrikularbeiträge mehr ge⸗ fordert seien. Unter diesen 395 Millionen seien 24 Millionen für die Heeresverstärkung, die bereits genehmigt seien; es bliebe somit nur eine Mehrausgabe von 15 Millionen. Rechne man hier noch die 6 Millionen Mehrüberweisungen ab, so bleibe nur woch ein zu deckender Rest von 9 Millionen, und diese 9 Millionen würden ja durch Abstriche, die man am Reichs⸗Etat machen könnte, mit Leichtigkeit sich decken lassen. Meine Herren, es erscheint mir zunächst zweifelhaft, ob an dem vorliegenden Etatsentwurf, welcher schon mit größter Sparsamkeit aufgestellt ist, es überhaupt möglich sein wird, Abstriche in der Höhe von 93 Millionen ohne wesent⸗ liche Schädigung von Reichsinteressen zu bewirken. Jedenfalls, meine Herren, werden sich ja über diese Frage die einzelnen Herren Ressort—⸗ Chefs noch äußern. Thatsache ist, daß unter diesen 39 Millioner nicht gedeckt sind die 21 800 000, die im laufenden Jahre durch eine nachträgliche Matrikularbeitragsrate gedeckt sind, und daß nicht ge⸗ deckt sind diese 24 Millionen, welche als zweite Rate der laufenden Ausgaben für die Heeresverstärkung in den Etatsentwurf für 1894,95 eingestellt sind, es sei denn, meine Herren, daß man die Matrikular⸗

beiträge, die ja allerdings ein nie versiegender Born sind, als eine Deckung betrachtet. Es ist ferner darauf hingewiesen worden, daß es doch scheine, als ob die Reichs-Finanzverwaltung Einnahmen durch neue Steuern schaffen wolle, für welche that⸗ sächlich Ausgabebedürfnisse noch garnicht vorhanden seien. Es ist hingewiesen worden auf eine Tabelle, die seitens des Reichs⸗Schatzamts der Militärcommission vorgelegt ist, und in welcher nachgewiesen sein

soll, daß im Jahre 1898/99 im Verhältniß zu dem Jahre 1893,94 auf eine Steigerung der Einnahme des Reichs in Höhe von 114 Millionen zu rechnen sei. Hieraus folgt, daß, wenn man eine solche erhebliche Steigerung der Einnahmen erwartet, wenigstens ein Theil der Kosten der Militärvorlage aus diesen steigenden Einnahmen ohne Eröffnung neuer Steuerquellen gedeckt werden könne. Meine Herren, wenn die Reichs-Finanzverwaltung mit solcher Sicherheit im Laufe von 5 Jahren auf 114 Millionen Mehreinahmen rechnen könnte, ich glaube, dann würde man sich nicht entschlossen jaben, so zu sagen unter dem concentrirten Feuer von 3 eressentengruppen, drei neue Steuervorlagen auszuarbeiten und

Genehmigung zu unterbreiten. Man würde wahrscheinlich sucht haben, sich zu behelfen. Meine Herren, ich muß zunächst arauf hinweisen, daß wir uns doch schon nach der Lage des egenwärtigen Etats vor einem Fehlbetrag von 533 Millionen be⸗ finden, daß zu diesem Fehlbetrag noch der laufende Betrag von 10 Millionen hinzutritt, der rückständig ist für die Kosten der Heeres⸗ verstärkung, sodaß wir in der That bereits vor einem Fehlbetrag von 635 Millionen stehen.

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Dann, meine Herren, verfügen wir, selbst wenn es möglich ist, daß eine Einnahmesteigerung von 114 Millionen bis zum Jahre 398/99 eintreten sollte, doch jetzt noch nicht darüber; diese Einnahme⸗ igerung würde sich erst ganz allmählich bis zum Jahre 1898/99 lziehen können, wenn sie überhaupt eintritt. gegenüber dieser Nachweisuag, die damals vor—⸗ gelegt worden ist, ausführen, wie diese Nachweisung überhaupt zu stande gekommen ist. Wir forderten damals zur Deckung der Kosten der Heeresverstärkung 58 Millionen neue Steuern aus dem Bier, dem Branntwein und einer Erhöhung der Reichs⸗Stempelabgaben. Es wurde damals gegen diese Forderung eingewendet: diese neuen Steuerquellen, die eröffnet werden sollten, würden doch nicht reichen; es würden in den fünf Jahren doch eine Masse neuer Auf— gaben mit zwingender Nothwendigkeit herantreten; es würden hierzu weitere neue Steuern erforderlich sein, und deswegen möge sich jeder, der die neue Militärvorlage bewilligen will, überlegen, ob er nicht in die Zwangslage kommen wird, auch noch neue Steuern für andere Zwecke bewilligen zu müssen. Damals ist allerdings, um diesem Einwand zu begegnen, vom Reichs⸗Schatzamt eine Nach⸗ weisung aufgestellt worden, in der die Möglichkeit erörtert war, daß vielleicht bis zum Jahre 1898/99 die Einnahmen des Reichs, ein— schließlich der Einnahmen aus den Ueberweisungssteuern, über die das Reich doch zunächst nicht verfügen kann, 114 Millionen betragen würden. Es ist indessen in der Militärcommission seitens meines Herrn Amtsvorgängers und seitens eines Vertreters des Reichs-Schatz⸗ amts ausdrücklich ausgeführt worden, daß nur auf einen Mehrbetrag von 70 Millionen bis zum Jahre 1898,99 mit Sicherheit gerechnet werden könne. Dabei war angenommen, daß die 70 Millionen sich in einer entsprechenden Erhöhung der Matrikularbeiträge ausdrücken

würden, sodaß jegliche Ueberweisung an die Einzelstaaten fort⸗ gefallen wäre.

Meine Herren, es wurde damals schon, meines Erachtens mit vollem Recht, darauf hingewiesen, daß ein derartiges Verfahren nichts Anderes hieße, wie ein Strich durch die Clausel Franckenstein. Es ist aber auch ferner damals in der Militärcommission omnium consensu bereits ausgeführt worden, daß für vier verschiedene Zwecke, die theils auf Beschlüssen des Reichstags, theils auf gesetzlicher Grund— lage beruhen, eine Mehrausgabe bis zum Jahre 1898/99 von 39 Millionen erforderlich wäre; und wenn Sie diese Posten mit den Ansätzen des Etatsentwurfs, der Ihnen für 1894/95 vorliegt, ver⸗ gleichen, werden Sie sich überzeugen, daß diese Mehrausgaben bis zum Jahre 1898/99 mindestens die Summe von 41 Millionen erreichen werden. Es handelt sich, meine Herren, um Mehrausgaben für die Marine, für den Pensionsfonds, für die Schuldzinsen und für die Reichszuschüsse zur Invaliditäts⸗ und Altersversicherung.

Wenn man nun davon ausgeht, daß nur auf eine Steigerung der Mehreinnahmen bis zum Jahre 1898/99 in Höhe von 70 Mil— lionen gerechnet werden kann, so gehen hiervon mit Sicherheit schon 41 Millionen ab, und es bleibt nur noch die Summe von 29 Mil— lionen übrig. Es ist auch damals, meine Herren wie ich zugestehen will, mit Recht bereits ausgeführt worden, daß hiernach nur 5. Millionen jährlich zur Verfügung ständen bis zum Jahre 1898/99 für Ausgabe⸗ steigerungen. Wenn man erwägt, daß Ausgabesteigerungen mit Noth⸗ wendigkeit eintreten müssen mit der steigenden Bevölkerung, mit den steigenden Preisen und endlich auch mit der nothwendigen Aufbesserung von Beamtenbesoldungen, die immerhin eintreten werden in einzelnen Ressorts, so wird man zugestehen müssen, daß ein Spielraum von 5 Millionen pro Jahr für Ausgabesteigerungen außerordentlich knapp bemessen ist. Nehmen wir aber selbst an, es würde eine Ein— nahmesteigerung bis zum Jahre 1898,99 selbst von 114 Millionen Mark eintreten, selbst dann, glaube ich, meine Herren, würde man nicht den Einwand erheben können, daß wir mit der Forderung neuer Steuern sozusagen Einnahmen auf Vorrath bewilligt haben wollen. Wir brauchen, meine Herren, wie ich schon ausgeführt habe, für jetzt 535 Millionen Mark mehr nach dem vorliegenden Etat; rückständig sind für die Heeresverstärkung 10 Millionen, das giebt schon 63 Millionen. Mehr erforderlich sind für die vier Aus— gaben, die ich vorhin erwähnt hatte, bis zum Jahre 1898,99 mindestens 41 Millionen. Rechnet man davon ab, daß im vorliegenden Etatsentwurf hiervon bereits 133 Millionen eingestellt sind, so bleibt noch ein Bedarf von 285 Millionen. Hierzu gerechnet den oben nachgewiesenen Bedarf von 634 Millionen, giebt 92 Millionen Bedarf bis zum Jahre 1898/99. Es würden mithin, selbst wenn die Einnahmen um 114 Millionen steigen, ganz abgesehen von den Ueberweisungen, die darin miteinbegriffen sind, nur noch 22 Millionen verfügbar sein. Wir fordern nun 60 Millionen neue Steuern für die Heeresverstär— kung; es würde sich hiernach ein verfügbarer Betrag von 22 4 60 82 Millionen ergeben oder pro Jahr eine mögliche Ausgabesteigerung von 205 Millionen. Meine Herren, wenn Sie erwägen, in welchem Betrage die Matrikularbeiträge unter Umständen gesteigert sind ich erinnere nur an die Steigerung derselben vom Jahre 1889/90 zu 189394 um 165 Millionen —, so werden Sie mir zugeben müssen, daß selbst eine eventuelle Steigerung der Ausgaben um 20 Millionen Mark pro Jahr noch immer bescheiden wäre. Wir hoffen, ob die Steigerung der Einnahmen 70 Millionen betragen, oder ob sie höher sein wird, in jedem Falle mit jenen Steuern, die wir jetzt verlangen, ohne weitere neue Steuern bei sparsamer Verwaltung auszukommen.

Meine Herren, ich behaupte aber auch, daß die Reichs-Finanz—⸗ verwaltung ihren damals eingenommenen Standpunkt nicht geändert hat. Wir haben damals bei Gelegenheit der Militärvorlage 58 Millionen neue Steuern gefordert. Wir stehen jetzt that⸗ sächlich vor einem Fehlbetrag von 534 Millionen, zu denen immer noch die Rückstände von 10 Millionen für die Heeresverstärkung kommen werden; das giebt einen Fehlbetrag für das übernächste Jahr von 63 Millionen. Wir fordern jetzt 60 Millionen neue Steuern, mit anderen Worten rund 2 Millionen mehr, wie wir bei Gelegen— heit der Militärvorlage gefordert haben. Ich glaube, meine Herren, aus dieser Abweichung kann man gegenüber der thatsächlichen Lage des Etatsentwurfs einen Vorwurf nicht erheben. Meine Herren, wenn das Deficit, vor dem wir thatsächlich stehen, durch die Matrikularbeiträge gedeckt werden soll, so werden sich jedenfalls zwei Consequenzen mit Sicherheit ergeben. Erstens, meine Herren, wird die Clausel Franckenstein thatsächlich paralysirt, und darüber, meine Herren, ist doch wohl kein Zweifel, daß die Absicht der Clausel Franckenstein bei Bewilligung der Zölle und Tabacksteuer im Jahre 1879 und bei der Bewilligung erhöhter Einnahmen im Jahre 1881, 1885, 1887 nicht nur die gewesen ist, daß durch die Annahme der Clausel Franckenstein die Matrikularbeiträge gedeckt werden sollten; sondern es war vielmehr die ausgesprochene Absicht, daß den Einzelstaaten, denen durch das indirecte Steuersystem des Reichs das Gebiet der indirecten Steuern selbst verschlossen war, für ihre Bedürfnisse auch Ueberschüsse über die Matrikularbeiträge hinaus zufließen sollten. Meine Herren, diese Ueberschüsse sind für die Einzelstaaten nothwendig, denn die Einzelstaaten haben nicht nur auf Grund dieser Ueberschüsse vorhandene Einnahmequellen auf— gegeben, sondern auch eine ganze Anzahl neuer dauernder Ausgaben beschlossen. Ferner, wenn wir den Fehlbetrag durch Matrikularbeiträge allein decken wollen, so führt dies jedenfalls ich bediene mich hier auch eines Ausdrucks, der damals in der Militärcommission gebraucht ist zu einer Periode fortgesetzter finanzieller Verlegenheiten nicht finanzieller Verlegenheit des Reichs, denn das Reich hat kein Deficit, der Born der Matrikular— beiträge muß ewig fließen, wohl aber einer Periode fortgesetzter finanzieller Verlegenheit für die Einzelstaaten. Das zeigt sich schon jetzt bei der Etatsaufstellung für Preußen und in einer Reihe anderer Bundesstaaten. Meine Herren, sobald die Matrikularbeiträge die Summe der Ueberweisung übersteigen, wirken sie vollständig kopfsteuer— artig, kopfsteuerartig zum Vortheil wohlhabender Landestheile, aber entschieden verhängnißvoll für arme und in ihrer wirthschaftlichen Entwickelung zurückgebliebene Landestheile. Meine Herren, ich meine, daß deshalb in der jetzigen Lage des Etatsentwurfs eine ernste Ver— anlassung gegeben ist zu prüfen, ob man nicht, entsprechend dem Gedanken und dem Wortlaut der Reichsverfassung, das Reich durch Bewilligung neuer Einnahmequellen finanziell emaneipirt.

Abg. Fritzen (Centr. begrüßt es mit Freude, daß für eine ganze Reihe von Unterbeamten die Dienstaltersstufen eingeführt werden

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sollen, spricht aber seine Verwunderung darüber aus, daß bei der Verwaltung, welche die größte Zahl solcher Beamten hat, keine Mehr⸗ ausgabe nachgewiesen ist, nämlich bei der Postverwaltung. Es wird allerdings behauptet, daß die Postbeamten bei dem System der Dienstalterszulagen schlechter fahren würden als jetzt. Das wird die Commission genau, untersuchen müssen, ebenso wie die Mehrforde rungen für die Gehälter zweier Unter-Staatssecretäre. Redner wendet sich dem Colonial⸗Etat zu, in welchem 792 000 υ für Südwest. Afrika, für Ost-Afrika 1 Million verlangt werden. Es haben sich unter dem Schutz des Reichs viele Leute in den Schutzgebieten an' gesiedelt und unter diesen Umständen würden wir es nicht verant— worten können, die geforderten Mehrausgaben ohne weiteres abzu— lehnen; wir werden sie in der Commission genau prüfen müssen Redner wendet sich dagegen, daß die „Colonial-Zeitung“ nach Ablebnung der Militärvorlage in hetzerischer. Weise gegen die ablehnende Mehrheit des Reichstages geschrieben habe. Er mache die Leitung der Colonialgesellschaft nicht dafür verantwortlich hoffe aber, daß die Leiter derselben, von denen auch einige im Reichstage sitzen, dafür sorgen werden, daß nicht die Freunde der Colonialpolitik, die in den damaligen Qppositionsparteien sitzen, durch solche Angriffe abgeschreckt werden. Der Militär⸗Etat hat eine so bedenkliche Höhe angenommen, daß die Commission denselben ein— gehend prüfen muß. Im vorigen Jahre hat man über die Soldaten mißhandlungen geklagt, jetzt haben die unliebsamen Enthüllungen des Prozesses in Hannover alle Welt in Schrecken versetzt. Die leiden— schaftlichen Spieler haben Geld von Wucherern angenommen unter drückenden Bedingungen; sie haben mit Wucherern, Hochstaplern und sonstigen zweifelhaften Exiftenzen verkehrt, die man sonst in guter Gesellschaft nicht zuläßt. Die größere Schuld fällt vielleicht auf die Wucherer, welche die Offtziere in ihre Netze ge⸗ bracht haben. Aber diese Dinge sollte man nicht dem gesammten Offiziercorps zur Last legen; es sind das doch nur vereinzelte Erscheinungen, die vielleicht dadurch er— klärt werden, daß die Offiziere bei der Reitschule sich nicht im Regimentsverband befanden. Eins ist aber bemerkenswerth: Das Spielen vollzieht sich immer im Anschluß an die Wettrennen; deshalb möchte ich die Regierung auffordern, nochmals in Erwägung zu ziehen, ob das Spielen am Totalisator zulässig ist oder nicht, wenigstens mit erheblichen Cautelen umgeben werden muß. Wenn auf diesem Gebiet eine Besserung sich vollzieht, dann hat der hannoversche Prozeß wenigstens wie ein reinigendes Gewitter gewirkt. Für die Marine haben wir im laufenden Etat die vermehrten Mannschaften bewilligt; es wird zu prüfen sein, ob auf diesem Gebiet nicht eine Verlangsamung eintreten kann. Für die Indienststellung werden allein zwei Millionen Mark mehr verlangt, die wohl bewilligt werden müssen, wenn die vorhandenen Schiffe d Mannschaften die nöthige Uebung haben sollen. Ueber die Schiffsbauten sollte man nicht den Zufall entscheiden l s iir

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lassen, sondern es müßte sie eine allgemeine ? J der Flotte eigentlich beabsichtigt, was ihr deshalb gen versagt werden muß. Die Marine muß Stationen be unseren Colonien und an den Punkten überseeischer wesentlich deutsche Interessen vertreten sind, wie ĩ Chile. Für das Auftreten unserer Flotte daselbst können wir unseren Marine-⸗Offizieren nur außerordentlich dankbar sein, aber wir können nicht eine machtvolle Hochseeflotte schaffen, welche den ersten See— mächten ebenbürtig wäre; das haben wir immer reprobirt, und wir werden es immer reprobiren. Auch das ist nicht möglich, daß unsere Flotte so stark gemacht wird, daß sie im Kriegsfall überall dem deutschen Handel zur Seite stehen könnte. Das kann höchstens England. Wir haben uns deshalb sehr ungünstig verhalten zu den gepanzerten Kreuzer⸗Corvetten, welche für solche Zwecke bestimn sind. Die Commission wird nach dieser Richtung klare Gesichtspunk schaffen müssen, nach denen wir uns unbeirrt zu richten haben. Die Reichsschuld ist sehr angewachsen; deren Verzinsung er— fordert erhebliche Summen, sie wird noch immer zu 35 Millionen aufgebracht durch die Einnahmen der Post, der Eisenbahnen und der Bank. Aber trotzdem müssen wir bei der Aufnahme von Anleihen vorsichtig sein. Für den Nord⸗Ostsee⸗Kanal und die Reichseisen⸗ bahnen wird man die Ausgaben auf die Anleihe übernehmen müssen, weil es sich wirklich um einmalige Ausgaben handelt. Die anderen einmaligen Ausgaben aber, annähernd 100 Millionen Mark, sind für das Heer und die Marine bestimmt; das sind einmalige Aus gaben, die alle zehn Jahre oder sonst in absehbarer Zeit immer wieder— kehren. Solche Ausgaben sollten auf die laufenden Mittel über⸗ nommen werden. Deshalb halte ich die Tilgung der Reichsschuld jetzt nicht für ausführbar. Man könnte vielleicht die vorhandenen Schulden consolidiren und daneben verloosbare Anleihen ausführen, wie dies in anderen Staaten mehrfach der Fall ist. Ich bitte den Schatz⸗ secretär, diese Frage ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Wenn man die Zölle und Verbrauchssteuern zusammennimmt, so ergiebt das eine Summe von 617 Millionen Mark. Daraus geht hervor, daß die Abschaffung der indirecten Steuern und die Einführung einer progressiven Reichs-Einkommensteuer eine Illusion ist. In Preußen bringt die Einkommensteuer 125 Millionen Mark ein; man müßte also, um die indirecten Steuern durch eine Finkommensteuer zu ersetzen, die Sätze der preußischen Einkommensteuer auf das Dreifache erhöhen. Das ist unmöglich. Daß die ärmeren Klassen verhältnißmäßig mehr tragen an indirecten Steuern, ist richtig; ebenso lastet die allgemeine Wehrpflicht auf diesen Klassen stärker. Da muß man sagen: das allgemeine geheime directe Wahl— recht ist ein Correlat für die indirecten Steuern und die allgemeine Wehrpflicht. Wenn man einen so großen Betrag von indirecten Steuern noch um einen erheblichen Betrag vermehren will, so erscheint mir das sehr bedenklich, namentlich wenn die Vermehrung nicht bloß im Interesse des Reichs erfolgt, sondern wenn den Einzel— staaten daraus Ueberschüsse gewährt werden sollen. In Bezug auf die Steuerreform kann ich namens meiner Parteigenossen noch nichts erklären. Wir könnten ja mit verschränkten Armen in »der Ecke steh bleiben und für die Deckung der Ausgaben Diejenigen sorgen lassen, welche die Militärvorlage bewilligt haben. Aber das halten wir nicht für patriotisch und nicht für klug. Wir wollen dafür sorgen, daß eine sowohl für die Regierung, wie für das Volk annehmbare Deckung gefunden wird.

Abg. Bebel (Soe.) bedauert, daß der Vorredner sich für die Colonialpolitik begeistert habe, ohne die Schattenseiten derselben zu kennzeichnen: die Metzeleien in Südwest-Afrika, wo bei Hornkrans zum größten Theile wehrlose Frauen und Kinder' getödtet worden sind. Der Vorredner hat kein Wort davon angedeutet, daß seine Freunde bereit sind, die Deckung der Militärkosten auf die Ein— kommensteuer zu legen; er hat wieder auf die indirecten Steuern verwiesen; das muß hier constatirt werden. Auf die Steuervorlagen einzugehen, ist durch Beschluß des Reichstags vom Sonnabend nicht ausgeschlossen, nämlich nachdem der Staatsseeretär darauf eingegangen ist. Für die Gegner der Militärvorlage sind bei der Wahl vom 15. Juni 4233 000 Stimmen abgegeben worden, für die Freunde derselben aber nur 3 225 000 Stimmen. Daß die Mehrheit im Reichstag nicht gegen die Militärvorlage war, liegt an einem Fehler des Wahlsystems; bei der Proportionalwahl würde der Ausfall ein anderer sein. Die Ab⸗ schaffung des allgemeinen geheimen directen Wahlrechts, nachdem es 26 Jahre lang bestanden hat, ist nicht möglich; das deutsche Volt läßt sich die Abschaffung nicht gefallen. Die Wahlen zeigen, daß eine steigende Opposition gegen die Steigerung der Militärlasten vorhanden ist. Das hat sich auch 1887 gezeigt, wo ebenfalls die Mehrheit der Wähler gegen die Militärvorlage war. Auch aus anderen als finanziellen Gründen müssen wir gegen die Steigerung des Mili— tarismus sein. Die Erscheinungen, welche in Hannover hervorgetreten sind, müssen das Bedenken erregen, ob das Offizier⸗Corps noch den Anforderungen entspricht, welche wir an dasselbe stellen müssen. Eine solche vollständige Gorruption ist sehr bedenklich. Wie konnten diese Offiziere mit dem Auswurf der Gesell— schaft in so enger Beziehung stehen? (Präsident von Levetzow: J muß Sie bitten, nicht den Offizierstand, zu dem Tausende unserer Mitbürger und viele Mitglieder des Reichstags gehören, zu beleidigen) Ich habe nur von einem Theile des Offizierstandes gesprochen Es

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ö tr darüber geklagt, daß das Gigerlthum sich in bedenklicher Weise

auch in der Armee breit macht. In einer aus Offizierkreisen stam⸗ menden Broschüre wurde ausgeführt, daß die deutsche Militärliteratur ualitativ hinter der französischen zurückstehe: das bedeutet einen Ucar für die Armee. Ein Theil der Presse glaubt die waghalsige Spielsucht der Offiziere entschuldigen zu sollen, weil sich darin eine gewisse Kühnheit offenbare. Das geht doch schließlich zu weit. Bei der modernen Kriegführung hat das Draufgängerwesen nichts mehr zu bedeuten, ja es wird für einen oberen Befehlshaber sogar sehr ge—⸗ fährlich sein; jetzt müssen alle Momente des Gefechts vorsichtig in Betracht gezogen werden, und durch große Cavallerie⸗ massen kann man dem Gegner nicht imponiren. Für die großen Panzer, deren einer fünfzehn bis zwanzig Millionen Mark kostet, haben wir große Summen ausgegeben; aber bei den Manövern hat sich nicht herausgestellt, daß diese Panzer den an sie gestellten Anforderungen entsprechen. Die „Kölnische Zeitung“ hat mitgetheilt, daß die großen Schiffe wegen schweren Seeganges nicht einmal von ihren Geschützen Gebrauch machen konnten. Was ist denn da die ganze Flotte noch werth! Wenn zwei englische Schiffe in voller Friedenszeit aufeinander losfahren und sich in den Grund bohren, wenn so Millionen in das Meer geworfen werden . . . . ganz abgesehen von den Menschenleben, die man jetzt als unterwerthig zu behandeln scheint .. , dann muß die Frage naheliegen, ob für solche Kriegsschiffe noch Geld ausgegeben werden darf. Wenn ein neues Geschütz, eine neue Handfeuerwaffe, ein neues Schiff erfunden ist, dann ist vor der Einführung der Neuerung wieder etwas Neues erfunden und das frühere ist veraltet. Es muß der Versuch gemacht werden, diesem gegenseitigen Hochschrauben der Rüstungen ein Ende zu machen durch internationale Vereinbarungen, namentlich da wir seit drei Jahren bereits uns in einer wirthschaftlichen Krisis befinden. Der Staatsseeretär Dr. von Boetticher bestritt allerdings anfangs dieses Jahres, daß 1892 ein Nothstand vorhanden gewesen. Wahrscheinlich wird er jetzt anderer Ansicht geworden sein; man hat in Krefeld für Noihstandsarbeiten gesorgt; das Bauhandwerk hat besonders gelitten, sodaß im Sommer nicht einmal alle Bauhandwerker beschäftigt waren. Dieser Erscheinung sollte die Regierung mehr Aufmerksamkeit zuwenden als der Frage, wie man durch neue Steuern möglichst viel Geld aufbringen kann. Die Lasten sind so hoch angewachsen, daß dieselben jetzt nicht so er— mäßigt werden können, daß die Einführung neuer Steuern zu ver— meiden ist. Redner giebt eine Uebersicht über die Steigerung des Etats, speciell des Militär-Etats, welcher letztere in den letzten zehn Jahren um 40 0e / gestiegen ist, während die Bevöl⸗ kerung nur um 8e zugenommen hat. Aehnliche Steige⸗ rungen ergeben der Marine-Etat um 59 0e, die Reichsschuld um

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360 und die Pensionen um 1340/9. Wenn man sich die Steigerung es Etats für 1894/95 ansieht, dann begreift man es allerdings, daß Reichsregierung mit den bestehenden Steuern nicht auskommen zu

inen glaubt. Jetzt geht man von dem Grundsatz aus, daß nicht

e Einzelstaaten an das Reich, sondern das Reich an die Einzelstaaten

hlen soll. Man hatte vorher nur als Ideal aufgestellt, daß das eich unabhängig gemacht werden solle; nachher kam die Francken⸗

stein'sche Clausel, welche die Einzelstaaten zu Kostgängern des Reichs

machte und welche jetzt dahin führt, daß man vierzig Millionen im

Interesse der Einzelstaaten reservirt. Man benutzt die schlechte Finanz⸗ lage Preußens als Vorwand und weist auf das dortige Deficit bei

den Eisenbahnen hin. Aber dieses Deficit ist schon längst ver⸗

schwunden durch die Ersparnisse, welche der Eisenbahn-Minister gemacht hat, und durch die Mehrerträge der preußischen

Einkommensteuer, sowie durch die Aufhebung der 16x

und die Einführung der Vermögenssteuer. Meine

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Session arin war minder wohl⸗ Bemerkungen des

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von Manteuffel, Freiherr von Stumm u. s. w. diesen Erklärungen die Steuervorlagen gegenüber,

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Die Thatsachen aber beweisen, daß der Patriotismus bei den Herren, welche die Militärlasten bewilligt haben, nur in Worten besteht; von den Zuwendungen des Reichs an die wohlhabenden Klassen, von den Zuckerprämien und der Liebesgabe u. s. w. wollen die Herren auch nicht einen Pfennig opfern. Die Einnahmen sollen genommen werden sogar aus dem Lotteriespiel. Die Quittungssteuer, welche vorge⸗ schlagen ist, wird hauptsächlich von den kleinen Handwerkern ge— tragen werden. Der kleinste Mann muß eine Quittung über sein Gehalt versteuern, die Gehälter der höchsten Reichsbeamten bleiben steuerfrei. Und wie wird der Verkehr belästigt! Neben den Invalidenmarken braucht man weitere Marken für den Quittungs⸗ stempel, für die Frachtbriefe u. s. w. Die Landwirthschaft des Ostens ist frei geblieben; getroffen hat man nur die südwestdeutsche Land wirthschaft, die Wein⸗ und Tabackbauern, Leute, die gerade zu den kleinsten gehören und die schwerste Arbeit haben. In der Tabacks⸗ industrie werden Tausende von Arbeitern brotlos; die Regierung selbst nimmt ja einen Consumrückgang von 29 C an, was 465 bis 50 000 brotlose Arbeiter bedeuten würde. In der ersten Zeit wird die Arbeitslosigkeit noch umfassender sein, weil alle Welt sich mit Vor⸗ räthen versehen wird. Die Arbeiter werden ihrer Kranken- und In⸗ balidenversicherung verlustig gehen; auch die Unternehmer werden brot⸗— los werden, weil sie die Controle u. s. w. nicht auf sich nehmen. (Präsident von Levetzow bittet den Redner, die Besprechung der Vorlagen zu unterlassen, welche mit der Berathung des Etats nicht verbunden sind.) Herr Präsident, es ist immer Sitte gewesen, daß Steuervorschläge beim Etat besprochen wurden. (Präsident von Levetzow: Ich rufe Sie nochmals zur Sache) Ich muß mich fügen; ich glaube aber, daß mir Unrecht geschieht. (Präsident von Levetzow: Wenn Sie glauben, daß Ihnen Unrecht geschieht, dann verweise ich Sie auf den geschäftsordnungsmäßigen Weg.) Die Einkommensteuer ist der einzige Weg, der aus dieser Verlegenheit hinaushilst. Die reichen Leute haben nicht nur einen Vortheil von der Steuergesetzgebung, sie haben auch einen Vortheil von der Existenz der Reichs und von der Rüstung desselben; deshalb sollen sie auch die Lasten tragen und aus einfachem Gerechtigkeitsgefühl die Lasten selbst auf sich nehmen. Die Einkommensteuer würde genügende Mittel zur Deckung der Ausgaben liefern, wenn sie richtig veranlagt würde. Redner geht von der säch⸗ sischen Einkommensteuer⸗Statistik aus und will alle Einkommen über 3500 166 zur Steuer heranziehen, und zwar mit steigenden Steuersätzen von einhalb Procent bis zehn Procent bei einem Einkommen von einer Million. Er rechnet danach für Deutschland eine Einnahme von 137 Millionen Mark aus. Wenn daneben eine Vermögens⸗ und zur Controle eine Erbschaftssteuer eingeführt wird, so erglebt sich nach des Redners Rechnung ein Ertrag von mehr als 200 Millionen Mark, sodaß man die Salzsteuer, die Zuckersteuer, den Petroleumzoll oder auch die Getreidezölle u. s. w. aufheben könnte. Mein Steuervorschlag ist conservativ, die Vorschläge der Regierung sind revolutionär. Der Reichskanzler wollte jeden Gesetzentwurf von dem Standpunkt aus prüfen, wie er auf die Soeialdemokratie wirken würde. Glaubt der Reichskanzler, daß die jetzigen Steuervorlagen diesem Zweck ent⸗ sprechen?

Bevollmächtigter zum Bundesrath, Königlich preußischer Kriegs-Minister Bronsart von Schellendorff:

Meine Herren! Der Herr Abg. Bebel hat in den Kreis seiner Betrachtungen (Zurufe „Lauter“) ich bedauere sehr, ich bin heiser und erkältet und kann nicht so laut sprechen ich sage, der Herr Abg. Bebel hat in den Kreis seiner Betrachtungen, die er an den Reichshaushalts-Etat geknüpft hat, auch ein paar Dinge gezogen, die mein Ressort betreffen.

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Er hat von der Verwendung der Cavallerie⸗Division im Frieden gesprochen, von strategischen Fragen, von der modernen Kriegs— führung, von dem Mangel an schriftstellerischer Production unserer Offiziere, von den nicht beachteten Ordres Seiner Majestät in Bezug auf den Luxus. Meine Herren, ich unter— lasse es, heute auf diese Dinge hier einzugehen; ich glaube, ich werde bei der Specialberathung des Militär-Etats Gelegenheit haben, die erwünschte Auskunft zu geben. Ich darf mir nur nicht versagen, auf denjenigen Theil der Rede des Herrn Abg. Bebel zu antworten, der sich mit dem Hannoverschen Prozeß beschäftigte.

Der Herr Abgeordnete hat in diesem Theil seiner Rede Angriffe gegen das Offizier⸗Corps der Armee gerichtet, die ich als ungerecht und völlig unbegründet hier zurückweisen muß. (Bravo! rechts; Widerspruch links) Ich denke nicht entfernt daran, auch nur das mindeste von dem, was im Hannoberschen Prozeß zu Tage getreten ist, hier beschönigen oder irgendwie entschuldigen zu wollen. Im Gegen— theil! Obgleich von den 22 500 Offizieren, die die Armee in ihren Reihen zählt, nur 40 oder 50 in den Prozeß ver— wickelt gewesen sind, so hätte ich es schon auf das schärfste verurtheilt, wenn auch nur ein Einziger daran betheiligt gewesen wäre. Dagegen lege ich aber Verwahrung ein, daß aus den Ausschreitungen Einzelner beleidigende Rückschlüsse auf das Ganze gezogen werden. Ich finde es unerhört, daß man nachgerade anfängt, die Betrüger bei Seite zu lassen, und die Betrogenen, die höch st unverständig gehandelt haben, auf die Anklagebank zu schieben, bloß weil sie Offiziere sind, einem höheren Stande angehören. (Zuruf von den Soeialdemokraten,. Meine Herren, die gehören auf die Anklagebank, die diesen Prozeß agitatorisch ausbeuten, (Oho! bei den Socialdemokraten) um ganze Stände zu verdächtigen und die Offiziere in den Augen des Volks und der Armee herabzusetzen.

Wie will der Herr Abg. Bebel es verantworten, wenn er hier sagt: Es können Zweifel darüber entstehen, ob die Offiziere ihren Aufgaben gewachsen sind? Meine Herren, wir sind unseren Aufgaben gewachsen, wie früher, so auch heute, und Sie alle, meine verehrten Herren Abgeordneten, werden es nicht erleben, daß es anders wird, dafür verbürge ich mich. (Bravo! rechts)

Dann, meine Herren, wollte ich doch noch einen anderen Punkt hierbei berühren. Es sind zu allen Zeiten, in allen Schichten der Be⸗ völkerung Menschen gefunden worden, die Hazard spielen, die Schulden machen, die ihr Geld verlieren, die sich gelegentlich betrügen lassen. Das ist keine Erscheinung der Neuzeit und ist keine Erfahrung, die nur in Offizierskreisen gemacht wird. Auffallend kann in dem vor— liegenden Falle erscheinen obwohl ich mich persönlich nicht darüber verwundere das allgemeine Interesse an diesen Vorgängen, die wohlwollende Theilnahme, die sich den Betrogenen und deren An— gehörigen zuwendet, und die diesmal einen wärmeren Ausdruck findet, als es der Fall zu sein pflegt, wenn andere Menschen in größerem Umfange betrogen und nach allen Regeln der Kunst ruinirt werden. Ich muß offen bekennen, daß diese zuweilen sehr aufdringlich auch an mich herantretenden Beileidsbezeugungen etwas mein Mißtrauen erregt haben, und zwar umsomehr, als ich immer vergeblich nach brauchbaren Vor⸗ schlägen gesucht habe, wie der Leichtsinn, der Unverstand, der Antrieb zum Spiel und zum Schuldenmachen aus der Welt geschafft werden könne. Das hat auch der Herr Abg. Bebel nicht angegeben und das hat auch der Herr Abg. Fritzen dem ich übrigens sehr dankbar bin für die ruhige Art, wie er über den Vorgang geurtheilt hat nicht angeben können, und ich glaube, das Mittel wird überhaupt nicht ge— funden werden.

Es giebt ja eine Menge Gesetze, die erziehlich wirken sollen, wie das Wuchergesetz, das Gesetz über das Hazardspielen, aber es werden eigentlich die meisten Gesetze dieser Gattung umgangen. Wie man das machen muß, dafür giebt es beinahe sogar Recepte, und diejenigen, die solche Recepte am wirksamsten befolgen, werden wohl sogar noch von ihren Gesinnungsgenossen beglückwünscht. Ich glaube, daß auf diesem Wege nicht zu helfen ist; wir brauchen auch aber keine Hilfe. Die gesammten Offiziercorps verurtheilen dafür verbürge ich mich vom Ersten bis zum Letzten das Hazardspiel und das leichtsinnige Schuldenmachen. Es ist nicht ein einziges Offieiercorps vorhanden, wo das Hazardspiel oder das leicht⸗ sinnige Schuldenmachen begünstigt oder lax beurtheilt würde. Wir besitzen auch Mittel der Selbstzucht, um Ausschreitungen dieser Art zu begegnen und sie zu bekämpfen. Außer diesen Mitteln haben wir dann immer noch den Schutz in den Com⸗ mandobehörden und in letzter Instanz in dem Allerhöchsten Kriegsherrn, der einschreitet, wo es erforderlich ist. Wenn also hier Vorschläge gemacht werden, wie wir uns bessern sollten, so lehne ich das ab. Die Armee bedarf dieser Vorschläge nicht; das Offiziercorps wird nach wie vor intact bleiben, auch trotz der sehr unerfreulichen Vor⸗ gänge in Hannover. Wenn sich dort herausgestellt hat, daß bei einer Anzahl junger, gleichalteriger Offiziere, denen die erziehliche Einwirkung der älteren Kameraden in einem geschlossenen Offiziercorps fehlte, Ausschreitungen vorgekommen sind, so werden wir allein schon Mittel und Wege finden, uns zu helfen und Remedur zu schaffen.

Auf die anderen Punkte, die der Herr Abg. Bebel zur Sprache gebracht hat, darf ich mir versagen, heute bei der vorgerückten Stunde noch einzugehen. Ich behalte mir vor, das alles in ausführlicher Weise zu thun, auch in Bezug auf die taktischen und strategischen Punkte, um wenigstens den Versuch zu machen, mich mit dem Herrn zu verständigen. Ich bezweifle allerdings, ob es mir gelingen wird. Bravo! rechts.)

Bevollmächtigter zum Bundesrath, Königlich preußischer Finanz⸗Minister Or. Miguel:

Gestatten Sie mir, meine hochverehrten Herren, eine persönliche Bemerkung, obwohl die Sache, die hier von mir erörtert werden soll, ja mit den großen Aufgaben, die dem Reichstag vorliegen, nichts zu thun hat, sondern rein persönlichen Charakters ist. Ich halte mich aber dennoch berechtigt, auf diese Angriffe des Herrn Bebel zu antworten.

Meine Herren, der Herr Bebel hat einen Brief von mir verlesen, einen angeblichen Brief aus dem Jahre 1850. Ich weiß nicht, ob der Brief echt ist, ich will es aber gar nicht bestreiten (Heiterkeit bei den Socialdemokraten), obwohl ich mir kaum denken kann, daß selbst gegenüber den allgemeinen Anschauungen, die ich als junger, unreifer Mensch damals hatte, ich damals so ungereimtes Zeug geschrieben habe. ((Heiterkeit). Nun kann es aber doch von einem gewissen Interesse

ö da die Sache einmal im Reichstag berührt ist und in 8 di

er Presse ein gewisses Aufsehen erregt hat, daß ich einmal erzähle,

' nothwendigen Lebensbedarf, falsch sei. Ich begriff und das ist

wie der Hergang eigentlich war. Meine Herren, damals lag 1848 eben hinter uns. Wir jungen Leute in Göttingen waren noch in der größten Aufregung, und alle Welt, nicht bloß die junge, sondern auch die alte, glaubte damals, es würde eine neue Katastrophe herein⸗ brechen. Wir waren sehr traurig über den nach unserer Meinung höchst beklagenswerthen Ausgang der deutschen Einheits⸗ bewegung von 18483. Wir waren in einer Stimmung, jeder radicalen Idee ein offenes Ohr zu leihen; wir waren in dem Alter, wo ein einziges Buch, eine einzige Schilderung, eine einzige dialek⸗ tische Darstellung, die man nicht zu widerlegen vermag, alles aus Rand und Band bringt und wo man sofort den Verfasser des Buchs für den Inhaber aller Weisheit hält. Durch das Lesen soeialistischer Schriften in einem wissenschaftlichen Kränzchen, dessen Vorsitzender ich war, kamen wir bald etwa zu folgender Weltanschauung. Wir glaubten: durch die Erfindung der Maschinen, durch die neuen Transportmittel, durch die größere Intelligenz des einen über den andern, durch die freie Concurrenz, durch die Beseitigung aller Schranken der Vergangenheit müsse schließlich ein Zustand entstehen, wo nur sehr wenig reiche Leute übrig blieben, und alles Andere verarmt und dem Elend preisgegeben sei. Von dieser Anschauung coneludirten wir natürlich: dann müßte eine all— gemeine Katastrophe folgen, der allgemeine Kladderadatsch, von dem Herr Bebel so oft spricht. Diese Anschauung dessen kann ich mich noch genau erinnern war mir selbst, als ich mehr zur Ruhe kam, innerlich peinlich; ich konnte mir die Gesellschaft, die aus dieser all⸗ gemeinen Zertrümmerung hervorgehen sollte, gar nicht vorstellen. Ich hielt sie zwar nach den Schriften von Marx, von Engels u. s. w. für eine logisch⸗dialektische Nothwendigkeit. Ich konnte mich der Sache nicht entziehen, weil ich nicht in mir nachweisen konnte, daß diese Nothwendigkeit nicht unbedingt eintreten müßte; aber sie war mir peinlich, und ich konnte mich garnicht bei dieser Auffassung be—⸗ ruhigen. Das veranlaßte mich denn, schon in dem nächsten Jahr ein so gründliches und eingehendes Studium zu beginnen, welches ich dem Herrn Bebel wünschen möchte. Ich bin nicht leichtfertig zu Werke gegangen. Hunderte und aberhunderte historischer, philosophischer und nationalökonomischer Bücher habe ich studirt, bis ich bald klar wurde.

Das, was ich auf dem Wege des Studiums, namentlich der Ge⸗ schichte, zuerst klar erkannte, war, daß die Behauptung, es müsse noth⸗ wendig die Lage der arbeitenden Klassen stets schlechter werden, weil der Lohn immer wieder zurückgeworfen werden müßte auf den einfach auch heute noch der schlagendste Gegengrund gegen alle diese Theorien —, daß umgekehrt bei wachsender Cultur, bei wachsendem Wohlstand, bei wachsendem Reichthum die Besitzrente, ob Kapital⸗ oder Grundrente, hinuntergeht und der Werth der lebendigen Arbeit steigt. (Sehr richtig! rechts) Sobald ich dies erkannt hatte, war der erste Bruch in diese für mich peinliche Anschauung gewonnen; dann begriff ich weiter sehr bald, wie gerade innerhalb der bürgerlichen Entwickelung ein Mittelstand, der Kapital und Arbeit in sich selbst vereint, auch körperliche Arbeit eine Nothwendigkeit ist und nicht verschwinden kann, so lange diese bürgerliche Productionsweise besteht. Ich fand bald und ich habe schon anfangs der fünfziger Jahre darüber einen größeren Vortrag gehalten —, daß der Kleinbesitz, der den größten Theil seiner eigenen Producte selbst consumirt und den größten Theil des gestiegenen Tagelohns selbst verdient, in allen Zeiten in der Landwirthschaft coneurrenzfähig bleiben wird gegenüber selbst den größten, mit allen maschinellen Kräften, mit allen Er⸗ findungen der modernen Wissenschaft ausgerüsteten Gütern. Ich begriff also, daß von dem, was man wenn auch bis zu einer ge⸗ wissen Grenze in der industriellen Entwickelung anerkennen muß, für die landwirthschaftliche Entwicklung das gerade Gegentheil wahr ist. Mir wurde sehr klar, daß die von den Fabrikanten Nationalökonomen Englands, von Riccardo u. a., seitens der Social⸗ demokraten übernommene Theorie, daß nur die Arbeit allein Quelle der Güter und der Werthe sei, völlig irrig ist. (Sehr richtig! rechts.) Mir wurde klar, daß im Laufe der Jahrtausende die Eigenthums⸗ formen sich zwar stetig geändert haben, das Eigenthum aber immer dasselbe geblieben ist, und daß nicht nach Gemeinschaft das Ver⸗ langen geht, sondern nach Besitz als der nothwendigen Be⸗ thätigung des menschlichen Individuums. (Sehr richtig! rechts.) Mir wurde klar, daß das Eigenthum nicht die menschliche Ungleichheit erzeugt hat, sondern umgekehrt aus der ewig menschlichen Ungleichheit entstanden ist. (Sehr richtig! rechts) Herr Bebel hätte nur etwas zu warten brauchen. Ich habe aus dieser Entwickelung nie ein Hehl gemacht; meine Freunde wissen das Alle. Ich kann Herrn Bebel versichern, daß, sowie e nmal meine amtliche Thätigkeit mir die Muße giebt, ich ihm ein Buch publiciren werde, worin die Kritik der socialistischen Auffassung enthalten ist an der Hand meines eigenen geistigen Entwickelungsprozesses. Ich glaube, ein Mann, der so⸗ wohl wissenschaftlich das kann ich behaupten seit 40 Jahren mit dem größten innerlichen Ernst als auch praktisch in den ver⸗ schiedensten Lebenslagen ununterbrochen die sociale Entwickelung beobachtet, dafür das größte Interesse stets gehabt hat, wird wohl im stande sein, diese dunklen Fragen der Zukunft einigermaßen zu erhellen, um die Zweifel, die über unsere Zukunft in manchen Ge⸗ müthern vorhanden sind, einigermaßen zu lösen.

Meine Herren, ich gehe noch weiter. Ich bin diesem Entwicke⸗ lungsprozeß höchst dankbar, denn ich bin dadurch bewahrt worden vor dem unbedingten Glauben an die Unveränderlichkeit der nationalökonomischen Wahrheiten, insbesondere auch der bürger⸗ lichen nationalökonomischen Wahrheiten. (Sehr gut! rechts.) Ich habe gelernt, daß die Nationalökonomie nichts weiter ist als die Summe der Consequenzen, welche gezogen werden aus dem jeweiligen Zustande der gewerblichen industriellen und soeialen Entwickelung (Sehr richtig! bei den Socialdemokraten), daß sie sich mit ihnen verändern. Infolgedessen halte ich mich für befähigt, mitsuwirken an der Ge⸗ staltung der socialen Verhältnisse; infolgedessen ist der Antheil, den ich dem Staat und der Gesammtheit zuschreibe in Bezug auf die Möglichkeit der Einwirkung auf diese wirthschaftlichen Verhältnisse größer gewesen; infolgedessen ist aber auch die Unbefangenheit der Beurtheilung der Dinge, wie ich glaube, größer gewesen, weil sie eben eine realistische und historische ist.

Meine Herren, was nun Herr Bebel mit diesen Sachen will, ist mir unverständlich, denn ich kann nicht annehmen, daß er bloß denun⸗ ciren wollte. (Widerspruch bei den Soeialdemokraten) Aber mich den jungen, unreifen Studenten entgegenstellend dem erfahrenen Manne, als Autorität, da kann er sich auf den ersteren in dem letzteren unmöglich berufen. (Sehr gut! rechts) Nun, meine Herren, auf die anderen Behauptungen des Herrn Bebel, auf die entsetzlich über.