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mögen existiren konnten, ist im Verhältniß zu denjenigen Fällen, wo die Kinder angewiesen waren auf den eigenen persönlichen Verdienst der Eltern, namentlich des Vaters, ungemein selten. In solchen Fällen allerdings, wo es sich um große Vermögen handelt, wo die Lage der Kinder viel günstiger wird durch die Beerbung, ist die Erbschaftssteuer keine drückende Steuer, da ist sie sogar eine einfach zu erhebende und in vielen Beziehungen zweckmäßige Steuer. In der großen Masse der Fälle aber, wo die Eltern durch ihre Leistungen, durch ihre Arbeit, durch den Verdienst, welchen ihre eigene Thätigkeit herbeischafft, die Kinder während ihres Lebens unterstützt haben, wird die Lage der Kinder schlechter. Diese Fälle sind die Regel in den deutschen Mittelklassen. Wenn Sie nun bloß die ganz reichen Erbschaften besteuern wollen, so bringt das nichts; wenn Sie die Gesammtheit der Erbfälle besteuern wollen, unten vielleicht eine gewisse Freiheit gewähren, dann müßten Sie, um etwa 40 Millionen zu erhalten, nach meiner Meinung schon von jeder Erbschaft in Deutschland bei Descendenten, Ascendenten und Ehegatten über 20½ erheben. Nun frage ich, der Herr Abg. Bebel hat gestern die Lage der Mittelklassen gegenüber den vorliegenden Steuern mir gegenüber in Betracht gezogen, ob nicht durch eine solche Steuer gerade die mittleren Klassen am schärfsten und stärksten be⸗ troffen werden.
Wenn wir nach allem Gesagten einen anderen Weg nicht haben, dann bitte ich die Herren, sich aufrichtig zu fragen, welche andere indirecte Steuer Sie vorschlagen können, die mehr als diese die besser situirten Klassen trifft und die gering bemittelten Klassen mehr schont. Von der Weinsteuer habe ich schon gesprochen; von der Umsatzsteuer, welche die Umsätze des beweglichen Kapitals treffen soll, brauche ich nicht mehr zu reden, bis jetzt sind sie überhaupt nicht angefochten. Es bleibt übrig die Tabackfabrikationssteuer.
Meine Herren, auch diese Steuer tritt an die Stelle eines Steuersystems, welches das gerade Gegentheil von dem ist, was an⸗ gestrebt werden soll, welches den Taback trifft, ob die Kiste Cigarren 1000 S oder 30 ½ kostet, lediglich nach dem Gewicht, welches den inneren Tabackbau schwer belastet und die natürliche Entwickelung desselben aus fiscalischen Gründen bisher lahmgelegt hat und in Zukunft weiter lahmlegen wird. Diese Tabacksteuer macht den inneren Tabackbau frei, sie schädigt nicht, wie Herr Bebel behauptet hat, die kleinen Grundbesitzer im Westen, sie entlastet sie im aller⸗ höchsten Grade. (Widerspruch bei den Soeialdemokraten, Meine Herren, diese Tabacksteuer richtet sich nach dem Werth, was, wenn man gerecht sein will, doch bei einem Object, wo die einzelnen Sorten so eminent verschiedenen Werth haben, eine absolute Noth⸗ wendigkeit ist. Diese Tabacksteuer — ich werde heute darauf nicht näher eingehen — hat nicht die Eigenschaft, den Consum so zu ver⸗ mindern, wie, ich möchte sagen, die brutale Gewichtssteuer. Als wir im Jahre 1880 die innere Tabacksteuer, wenn ich nicht irre, von 6 auf 45 S erhöhten, da trafen wir den Massenconsum, die geringen Sorten, sodaß der Consum einigermaßen heruntergehen mußte, und ich wundere mich darüber, wie die Statistik es lehrt, und wie ich in der Commission des näheren darlegen werde, in wie geringem Maße es doch der Fall ist. Das ist natürlich. Hier aber, wo wir eine Werth⸗ steuer einführen, mag vielleicht sich der Consum auch verschieben, vielleicht etwas von oben nach unten. Der Nachweis, daß eine so wesentliche Consumverminderung eintritt, kann jedoch nicht geführt werden durch die übertriebenen agitatorischen Behauptungen der Interessenten. .
Ich will hierauf weiter zur Zeit nicht eingehen; nur in einem Punkte möchte ich Herrn Abg. Bebel zustimmen, in dem Anerkennt⸗ niß, daß das Reich verpflichtet ist, was auf seinen Beschlüssen beruht, aus den Nothwendigkeiten der Allgemeinheit hervorgeht, auch durch eigene Einnahmen zu decken. Nun handelt es sich da um 56 bis 60 Millionen. Sie werden diese Summe nicht decken können ohne die Heranziehung der Tabackfabrikatsteuer. Wenn der Ausgabe⸗Etat in einem Lande so hoch gestiegen ist und so hoch steigen mußte, wie bei uns schon jetzt in Deutschland, wenn wir gezwungen sind, selbst noth⸗ wendige Lebensmittel auf fast allen Gebieten zu besteuern, glauben Sie, daß in einem solchen Lande ein Genußmittel — das ist der Taback doch immer —, welches man entbehren kann, wenn ich auch gar nicht seine Qualität als Erholungsmittel bestreiten will, welches man aber doch im Verbrauch vermindern kann, ohne sich zu schädigen, dessen Verbrauch im Uebermaß — ich weiß es von mir selbst — sogar höchst schädlich ist, (Heiterkeitö, wobei man, meine Herren, leicht in der Art des Genusses wechseln kann — sehen wir doch täglich viele Cigarrenraucher fünf bis sechs verschiedene Cigarren an einem Tage rauchen — wobei man sich auch sehr schnell an eine etwas geringere Qualität gewöhnt (Heiterkeit) — glauben Sie, meine Herren, daß es auf die Dauer möglich ist, in Deutschland sich mit einer Besteuerung dieses weit verbreiteten Genußmittels zu 1 S pro Kopf zu begnügen, wenn Frankreich 7 M. hat, England allein mit dem Zoll 5 MS, Oesterreich, Ungarn, Italien, Portugal, Spanien über 2⸗ bis 300 9 mehr — glauben die Herren Fabrikanten, die nach meiner Meinung sehr gegen ihr Interesse diese heftige Agitation in Scene gesetzt haben, daß man sich auf die Dauer in Deutschland bei einer Besteuerung des Tabacks mit 1 06 beruhigen kann und wird? Glauben sie, daß, was sie doch so sehr wünschen, sie endlich definitive Zustände herstellen würden, wenn es ihnen gelänge, diese richtig normirte Besteuerung nach dem Werthe zu Falle zu bringen? Ich habe mehrere von den Herren gefragt, als sie zu mir kamen, um sich mit mir über die Steuer zu besprechen: ich glaube nicht, daß das der Tabackindustrie auf die Dauer zum Nutzen gereicht; und es sind auch Einzelne zu mir ge— kommen und haben mir gesagt: wir dürfen es zwar nicht offen sagen, aber so schlimm, wie die Sache dargestellt ist, wird es wohl nicht werden. (Heiterkeit. Zuruf) — Es war kein Commerzien⸗ Rath, aber einer der größten Fabrikanten.
Meine Herren, ich will über die grundlegenden Bestimmungen im Verhältniß der Ordnung des Reichs zu den Einzelstaaten gegen— wärtig nicht sprechen; ich hoffe, Sie zu überzeugen, daß für die zukünftige Entwickelung Deutschlands die Auseinandersetzung zwischen Reich und Einzelstaaten eine Nothwendigkeit ist.
Vorläufig halte ich mich an den Gedanken, daß die Mehr⸗ kosten, welche die Militärvorlage verursacht und auf den Beschlüssen der Mehrheit des Reichstags beruhen, in einer zweckmäßigen Weise gedeckt werden durch die Beschlüsse des gegenwärtigen Reichstags, der verantwortlich ist sowohl für das solide Finanzwesen Deutschlands, als für eine gedeihliche Weiterentwickelung von Reich und Einzel⸗
Schiffe, als deren Erfatz die neuen Schiffe dienen so
staaten, ebenso gut wie die verbündeten Regierungen. (Bravo!
rechts und bei den Nationalliberalen.)
Abg. Richter (frs. Vp): Wir bedauern, daß in der Thron⸗ rede die Kundgebungen beim n des Kaisers auf den militärischen h er en ausgelegt werden als eine Acclamation für die Heeretz verstärkung. Baden 63 und Elsaß⸗Lothringen haben bei den Wahlen mit einer Mehrheit sich gegen die Heeresorganisation erklärt. Ebensogut könnte man die Kundgebungen auslegen als Begeisterung für die neuen Steuervorlagen, die gerade den Südwesten betreffen. Jene Volksmenge, welche den Raif fi en Zug iubelnd umdrängt hat, hat in Seiner Majestät dem RKaiser den obersten Repräsentanten des deutschen Gemeinwesens und der deutschen Einheit begrüßen, ihre Freude darüber ausdrücken wollen, daß er in ihrer Mitte erschienen ist. Man hat am Montag den . in Hannover erwähnt. Es liegt mir außerordentlich fern, die Gesammtheit des deutschen Offizier⸗Corps zu identifieiren mit jenen Gestalten, die im Spielerprozeß auf der Bildfläche erschienen sind. Ich habe den Eindruck, daß es auch unter den jüngeren Offi⸗ zieren Tausende giebt, deren Lebenslauf nichts gemein hat mit jenen Erscheinungen, sondern ähnlich ist dem Lebensbilde, das uns entrollt wird in den Denkwürdigkeiten des verstorbenen Grafen Moltke. Wie sollten sonst aus dem Offizier⸗Corps hervorgehen können Generale, so hochgebildet, so sittlich und tadelsfrei, wie wir sie auch im parla⸗ mentarischen Verkehr im Laufe der Jahre kennen zu lernen Gelegenheit hatten! Aber man gewinnt den Eindruck, als ob es sich doch nicht um eine einzelne Erscheinung handelt, sondern als ob die Personen fer überall zeigen in Garnisonen der Cavallerieregimenter. Der preußische Kriegs-Minister wunderte sich, daß hier nicht von jenen Verführern und Falschspielern gesprochen wurde. Nun, über die hat das Gericht sein Ürtheil gesprochen. Das waren Privatpersonen. Die Offiziere aber sind Personen in öffentlicher Stellung, ebenso gut wie Regierungs⸗A ssessoren oder Legations⸗Secretäre. Die Wucherer und Falschspieler sind vom Gericht verurtheilt. Der Kriegs⸗Minister stellt die Sache so dar, als wenn er sagen wollte: Was geht das den Reichs— tag an? Das Militär geht den Reichstag sehr viel an, in Geldsachen mehr als uns lieb ist; besonders auch das Reitinstitut in Hannover, dessen Erweiterung uns angesonnen ist. Die Rede des preußischen Finanz-Ministers geht davon aus, als ob es selbstverständlich sei, daß 100 Millionen Mark durch Steuern gedeckt werden müssen, als ob es sich nur um die Auswahl der Steuerarten handelte. Es muß doch erst untersucht werden, was eigentlich nothwendig ist. Der Schatzsecretär meinte freilich, die Steuern seien nothwendig, weil die Regierung sie fordert; sie würde doch nicht ohne Noth, sich dem Kreuzfeuer der drei Interessentengruppen aussetzen. Diese Unannehmlichkeit des Kreuz feuers geht vorüber; sind die Steuern aber bewilligt, dann hat der Reichstag die Verantwortung zu übernehmen. Es werden jetzt 60 Millionen für die Heeresvorlage und 49 Millionen für die Reichsfinanzreform verlangt. Die frühere ö ver⸗ langte 58 Millionen; durch Antrag Huene sind 9 Millionen Mark weniger nothwendig geworden, es sind also nur 49, nicht 60 Millionen nothwendig und 7 Millionen Kosten, nach dem An⸗ trage Huene 10 Millionen, sollten erst nach und nach entstehen, sodaß nur 46 Millionen höchstens erforderlich sind. Um die weiter entstehenden Kosten brauchen wir uns heute noch nicht den Kopf zu zerbrechen. Wie kommt man dazu, die Kosten dauernd zu verlangen., während die Heeresvorlage nur für fünf Jahre bewilligt und die Finanzreform auch nur auf fünf Jahre berechnet ist? Der Finanz-Minister Dr. Miguel sprach nur von der Deckung der Kosten der Heeresporlage; es sollte mir lieb sein, wenn er etwa die Vorlage über die Finanzreform angesichts der Stimmung des Hauses schon aufgegeben hätte; dann hätten wir uns jetzt nur über 60 Millionen zu unterhalten, und auch eine solche Forderung steht noch in vollem Widerspruch zu den Untersuchungen, welche wir in der Militär— commission angestellt haben. Die Untersuchungen sind angestellt, um die eigenen Anschauungen der Regierung über die Finanzverhältnisse kennen zu lernen; jetzt spricht der Reichs⸗Schatzsecretär aber nur von meinen Aeußerungen, gleichsam als ob ich schon damals große Sehn sucht nach den jetzigen Steuervorlagen gehabt hätte. Freilich sind dem jetzigen Schatzsecretär die Auslassungen seines Amtsvorgängers sehr unangenehm, weil derselbe erklärte, daß weitere Steuern nicht nothwendig seien, daß man erst ab⸗ warten müsse, welche neuen Ausgaben entstehen. Sehr dankens⸗ werth sind die Tabellen, in welchen der damalige Schatzsecretär nach⸗ weist, welche Mehreinnahmen die vorhandenen Einnahmequellen ab— werfen werden es sind da 144 Millionen Mark in dieser Tabelle vorgerechnet. Diese Berechnung ist keine optimistische gewesen; sie beruht auf den Erfahrungen, welche wir im Laufe der Jahre Cemacht haben, die sich vollständig bewährt haben, wie die gestrige Finanz- übersicht des Reichs⸗Schatzseeretärs bezüglich der Einnahmen der Post, der Eisenbahnen und der Zuckersteuer ergiebt. Auf diesen 114 Millionen Mark lasten allerdings 28 Millionen Mark wahr— scheinlicher Mehrausgaben für die Invaliditätsversicherung ꝛc, es bleiben immer noch mehr als 80 Millionen Mark. Welche Veranlassung haben wir also, für künftige mögliche Ausgaben jetzt schon Steuern zu bewilligen? Das würde keine sparsame Wirth⸗ schaft sein, das würde provociren zur leichtsinnigen Bewilligung neuer Ausgaben. Es handelt sich nur darum, den Einzelstagten die Aussicht auf die künftigen Mehreinnahmen abzukaufen und 40 Millionen neuer Steuern auf Vorrath zu schaffen. Wenn man die neuen Steuern hat und nachher die Neueinnahmen dazu kommen, werden dann die Steuern zurückgegeben werden? Keineswegs! die Dauer verlangt. Wir sind der Meinung, daß es überhaupt keiner neuen Steuerbelastung für die Heeresvorlage bedarf, daß sie gedeckt werden kann durch die Beseitigung der bestehenden Steuerprivilegien, der Liebesgabe der Brenner. e diese Privilegien nicht beseitigt sind, werden wir uns auf keine neuen Steuern einlassen. Die schlechten wirthschaftlichen Verhältnisse, unter denen die Einzel— staaten leiden wie das Reich, wären schon längst vorüber, wenn die Industrie nicht immer wieder beunruhigt würde. Die Eisenbahnen in Preußen haben schon erhebliche Mehr— einnahmen aufjuweisen infolge der neuen Einnahmen für die Bahnsteigkarten, der Zuschläge für die Benutzung der Harmonikazüge und der Einnahmen aus Anzeigen. Die Betriebs- einnahmen sind schon jetzt 0 Millionen Mark höher als im vorigen Jahre, geben also einen Ueberschuß von 30 Millionen, da der Etats—⸗ ansatz für das laufende Jahr um 20 Millionen höher ist als die Isteinnahme dez vorigen Jahret. Der Amtsvorgänger des Herrn Schatz segretůr hat schon in der Militärcommission erklärt, daß für das Jahr 1894.95 besondere Schwierigkeiten vorliegen; er hat uns also gewarnt, uns nicht durch das Aussehen dieses Etats verlocken zu lassen zu Steuerporlagen. Die ungünstigen Umstände bestehen darin, daß die , , men infolge der Handelsverträge keine Steigerung aufwiesen, daß der Zinsenbedarf für die im vorigen Jahre bewilligte Anleihe jetzt in den Ausgaben erscheint; ferner sind die Einnahmen berechnet, nach dem. Durchschnitt der Jahre 1890,91 92; der Durchschnitt ist ungünstig wegen der schlechten Ernte und ken der Choleragefahr in den be- zeichneten Jahren. Die hohen Preise infolge der Futternoth fallen ebenfalls ins Gewicht, aber daraufhin kann man nicht dauernde Steuervorlagen begründen. In dem Etat sind z. B. bei den Reichs⸗ Eisenbahnen extraordinäre Ausgaben, die man sonst auf Anleihen ver⸗ weist, aus laufenden Mitteln gedeckt. . man das im Reichs⸗Schatz⸗ amt nicht entdeckt? Sparsamkeit hat man nicht geübt im Marine⸗ Etat und im Militär ⸗Etat. Für die H nn u. s. w. sind neue , eingestellt. Die Kritik des Abg. Bebel hat der Staatssekretär des Reichs ⸗Marineamts als eine perfönliche Beleidigung der Schiffe aufgefaßt. Der Staatssecretär meinte, wenn die alten Schiffe nicht genügend seien, sollten wir neue bauen lassen. Die Kritik richtet sich aber gegen die ganze Klasse der Panzerfahrzeuge, und diese ketzerischen Ideen sind nicht bloß bei den Soctaldemokraten vorhanden, sondern in sehr weiten Kreisen. Man fragt sich, ob die großen Schiffskolosse wirk⸗ lich die Kosten lohnen, welche darauf verwendet sind. Die neuen Schiffs⸗ bauten werden bezeichnet als bestimmt „zum . aber die
en, schwimmen
Sie werden ja für
ruhig weiter. Früher hieß es in der Denkschrift, der Ersatz fi Kreuzer⸗Fregatten sei nicht nothwendig, jetzt fordert man ihn mehl vielleicht steckt dahinter die unglückselige Kreuzer Corvette, welche den Reichstag schon mehrfach beschäftigt hat. Für die Colonialyolitit kommen jetzt große Mehraufwendungen in Frage. Unsere Colonial— politik ist nicht aussichtsvoller geworden, sie Eat sich nachgerade in unabsehbare militärische Guerillakriege auf. Fürst Bismarck sagte: unsere Colonialpolitik kann nicht von Bureaukraten und Offizieren. sondern nur von Kaufleuten geführt werden. Der Kaufmann ist ganz zurückgetreten, auch der Bureaukrat, und nur der Offizier ist geblieben. Gewiß tapfere Offiziere, die dorthin gesandt sind; aber weil sie tapfere Offiziere sind, wollen sie auch ihre Tapferkeit beweisen. Man kann es ihnen daher nicht verübeln, wenn sie Lust zu Expedi— tionen haben. Nicht alle Expeditionen glücken, dann folgt die Strafexpedition, und weil, wie eine Denkschrift der Regierung sagt »die Eingeborenen schnellere Beine haben als unsere Leute“ folgen mehrere Strafexpeditionen hinter einander. Während das Tulturleben keine Fortschritte macht, kommen wir zu einer fortgesetzten Erweiterung der Schutztruppen. Man meint, im Lande finde die Colonialpolitit Et mehr Theilnahme. Mit., Reden ist es nicht gemacht. Zeigen Sie mir die Geldmittel, welche die Colonialenthusiasten mehr aufwenden, dann läßt sich darüber reden. Die Colonialpolitit wird jetzt unter den besonderen Schutz der Missionare gestellt. Die Herren wissen ganz gut, warum. Mir ist sehr zweifelhaft, ob gerade das Missionswesen Vortheil davon hat, wenn es in die Kämpfe der Colonialpolitik hineingezogen wird. Der Abg. Fritzen hat gestern angeregt, der wachsenden Verschuldung des Reichs zu begegnen durch Wiedereinführung einer Amortisationspflicht. Der Finanz⸗Minister ab sgfort seine Zustimmung zu erkennen. Wir werden noch ange Anleihen im Etat haben, weil wir für die Eisenbahnbauten und für Kriegsrüstungen noch viel Geld ausgeben müssen, welches die Gegenwart nicht allein aufbringen kann. Ein Tilgungsfonds ist kein Anreiz zur Sparsamkeit; vielleicht wird man sogar leichtsinniger bei der Bewilligung von Anleihen. Die rechte Spar— samkeit besteht darin, daß man die laufenden Mittel zur Deckung extraordinärer Ausgaben heranzieht. An Neubauten wird jetzt überall bei der Civilverwaltung gespart: alte Gefängnißbauten, Kliniken und ähnliche Gebäude werden trotz der schlimmsten Ver— hältnisse nicht umgebaut, aber die Militärhauten wachsen an. Fünf Garnisonkirchen sind im Bau, und es sollen noch zwei in Angriff genommen werden. Wir sind überhaupt gegen die Trennung von Civil und Militär. Jetzt will man neue Dienstwohnungen, neue Cadetten- und Kriegsschulen bauen; 21 neue Kasernen sollen gebaut werden. Seit langem haben wir keinen Kaserni— rungsplan mehr, weil die Militärforderungen sich überstürzt haben. Man läßt sich Anleihen bewilligen, aber 1892,93 sind 176 Millionen Mark garnicht verbraucht worden, sondern werden als Restausgaben behandelt. Es wäre an der Zeit, einmal nachzu— forschen, wieviel bewilligtes Geld denn noch vorhanden ist. Für die Uebungsplätze werden große werthvolle Terrains angekauft, deren Werth zum Zwecke kaum im Verhältniß steht. Daneben steigt der Pensiontz⸗= Etat ganz erheblich; erheblicher, als die Regierung früher ange— nommen hatt. Ueber 700 Generale sind bereits pensionirt, ferner 3509 Stabsoffiziere und 33 Admirale bei der Marine. Jeder Etat ist der Ausdruck des herrschenden Systems. Wir können das herrschende System nicht ändern und deshalb auch nicht den Etat von Grund aus umgestalten, aber eine sorgsame Etats— berathung kann doch Manches günstiger für die Steuerzahler und das Land gestalten im Etatsentwurf. Die hauptsächliche Initiative dazu liegt aber immer bei der Finanzverwaltung. Ein vielhundert— köpfiges Parlament, eine vielgliedrige Commission können in einer Session nicht erreichen, was die Finanzverwaltung könnte, wenn sie eine richtige Stellung gegenüber den anderen Ressorts einnähme. Aber anz abgesehen von der augenblicklichen persönlichen Besetzung der Finanzverwaltung, ist sie auch garnicht in der Lage, die Stellung gegen⸗ über den anderen Ressorts einzunehmen, die sie haben müßte. chon vor Jahrzehnten hat man nach einem selbständigen verantwortlichen Reichs⸗Finanz⸗Minister verlangt. Seitdem ist der Reichs⸗Etat immer mehr über die Milliarde hingus gewachsen, die Steuerlast um 4 bis 590 Millionen gestiegen, die Schuld bis auf 2 Milliarden angewachsen, aber von irgend einer organischen Reform ist nicht die Rede. Wo anders will inan die geltend machen als bei der Forderung neuer Steuern? Wir entbehren auch einer organischen Rechnungs— controle; von Jahr zu Jahr muß der preußischen Ober⸗Rechnungẽ⸗ kammer die Vollmacht prolongirt werden, die Reichs⸗Finanz⸗ verwaltung zu gontroliren. Auch die Finanz ⸗Minister der Einzelstaaten könnten in dieser Beziehung ganz anders wirksam sein. Diese sind sehr sparsam in Bezug auf Ausgaben für die Civilverwaltungen ihres Landes, aber gegenüber dem Reich betrachten sie ihre Aufgabe nur darin, für die nöthigen Einnahmen zu sorgen, während man selten oder nie etwas hört von einer Kritik ihrerseits im Bundesrath gegenüber der fortwährenden Steigerung der Ausgaben. Das war früher anders; ich erinnere nur an den bekannten Brief des Finanz⸗Ministers von der Heydt an den Kriegs⸗Minister von Roon gegen die Erhöhung der Militärlasten. Von Seiten der Finanz⸗-Minister ist nicht einmal darauf gedrungen worden, daß die Heeresorganisation auf den Umfang des Antrages Huene beschränkt wurde. Hätte sich der Reichskanzler nicht selbst beschränkt, an den Finanz⸗Ministern hätte er keinen Widerstand gegen die Ausführung der Verdy'schen Pläne ge— funden. Statt einer organischen Reform schlägt man jetzt eine Schahlone über die Höhe der Matrikularbeiträge und das , der Einzelstaaten zum Reich vor. Die Ursache unserer Finanznot ist aber die fortgesetzte ungemessene Steigerung unserer Militär— ausgaben, Colonialausgaben, Dampfersubvention ꝛc. Auch Finanz⸗
Minister müßten einsehen, daß die Wehrhaftigkeit durch die Leistungs«
fähigkeit des wirthschaftlichen Organismus begrenzt wird. Aber dieselbe Rücksichtslosigkeit, die sich in der fortgesetzten Steigerung der Ausgaben offenbart, zeigt sich auch in den neuen Steuerprojecten. Wenn wir einen unglücklichen Krieg hinter uns hätten und eine große Kriegscontribution für ein fremdes Land aufbringen müßten, so würde ich mich nicht entschließen, einer Volksvertretung ein solches Steuerproject zu präsentiren. Die Stempelsteuern gehen über alles Maß hinaus. Ein Checkgesetz wird vorbereitet; aber man führt einen Checkstempel ein um 500 600 M6 Das sicherste Mittel gegen den Wucher ist die Barzahlung, aber man besteuert die Quittungen; man befiehlt Hir ig eine Abrechnung zwischen Gläubiger und Schuldner von
eit zu Zeit vorzunehmen. und jetzt stellt man solche Abrechnungen unter die Strafe eines Stempels. Auf jede durchgreifende Refom der Eisenbahntarife müssen wir infolge des Druckes des nrg rn. verzichten; hier besteuert er den Frachtverkehr mit sieben Millionen Mark, und zwar wird 5 der Kleinverkehr belastet. Gewiß ist der Taback ein Genußmittel, aber ist er nicht schon mit 54 Millionen be— lastet? In Frankreich ist das Monopol seit Anfang dieses Jahrhunderts vorhanden; in England giebt es keine Salz⸗, Petroleum, Zucker⸗ steuer. Schaffen Sie das einmal ab, und dann kommen Sie wieder mit der Tabacsteuer! Sie sprechen von der Gewichtssteuer auf Taback, aber Die, welche jetzt am meisten darunter leiden, werden durch die Fabrikatsteuer nicht erleichtert, sondern noch beschwert, weil der . den Haupttheil der neuen Steuer aufzubringen hat, Der Finanz ⸗Minister Pr. Miquel bezog sich auf seine realistisch / historische Entwickelung. Eine solche a n in der Nationalöconomie, dürfte por allen Dingen nicht so s roff in bestehende Industrieverhältnisse eingreifen, wie diese Steuern. Im, November v. J. schrieb der „Reichs Anzeiger“, die Regierung wolle die Tabackbesteuerung nicht 3 . und noch inmitten der Wahlbewegung, am 23. Mai nach der Auf⸗ lösung, verkündete der „Reichs Anzeiger“ feierlich, es sei eine leere und irrige Combination, daß die Tabacksteuer erhöht werden sollte. Dadurch sind die Wähler getäuscht worden, sonst wären die Wahlen wahrscheinlich anderg ausgefallen. Umsomehr . wir nach dieser Irreführung der Wähler die Steuerprojecte ablehnen. Den Einzel⸗ staaten sollen 9 Millionen zugewendet werden, aher Sie nehmen den Einzelstaaten die Mittel ne indem Sie die Weinsteuer hmen Ueberlassen Sie es den Einze ftaaten sesbst, biesen Quittungsstempe einzuführen. Warum muß das Reich dieses Sbium auf sich
nehmen? Können die Einzelstaaten nicht die Tarife ihrer Eisenbahnen selbst erhöhen? Wozu brauchen sie erst den Vertrag über das Reich durch den Frachtstempel? Der Schatz— sekretär hat seine gestrige Rede damit geschlossen, daß diese Steuer⸗ projecte dem Wortlaut, und Gedanken der Reichsverfassung ent⸗ sprächen. Das Gegentheil ist der 6 Die ,, des Reichs werden nach der Verfassung gedeckt durch die atricularbeitrãge und Zölle, „so lange Reichssteuern nicht bestehen'. Dieses Wort „Reichesteuern“ ist zugefügt worden auf ein Amendement der libe⸗ rilen Parteien, und darunter verstand man directe Steuern. Der Finanz⸗Minister Dr. Miquel stellte es heute als zweifelhaft hin, ob das Reich überhaupt directe Steuern erheben kann. (Wider⸗ spruch des Finanz⸗Ministers Dr. Miquel.) Jedenfalls sagte er, es widerspreche dem Geist des föderativen Systems. Das Project einer Reichs⸗Einkommensteuer ist vorbereitet worden in den siebziger Jahren, z. B. auch unter Mitwirkung des Herrn von Minnigerode. Ver⸗ wahrung muß ich daher einlegen dagegen, als ob die Reichs⸗Ein—⸗ kommensteuer mit der Verfassung in Widerspruch stände. Niemand ist es bei der Schaffung der Verfassung in den Sinn gekommen, daß die Einzelstaaten Kostgänger des Reichs werden sollen, daß die Einzelstaaten, statt einen . zu zahlen, einen Ueber⸗ schuß vom Reiche erhalten sollen. Man hatte es damals als eine tiefe Schädigung des Reichsgedankens bezeichnet, die minder wohlhabenden Klassen durch indirecte Steuern zu belasten, um den Einzelstaaten ihre Finanzen zu verbessern. Das ist keine Rückkehr zur alten Finanzpolitik des Reichs, sondern eine Etappe in dem neuen Curs. Das ist die Ueberschußpolitik, die seit einiger Zeit getrieben wird, die Ueberfor⸗ derung von neuen Steuern, die fortgesetzt zu einer Steigerung der Steuerlast führt, ohne der Finanznoth ein Ende zu machen. Wir werden, so lange unsere Kraft reicht, Front machen gegen die Finanzreform, sowie gegen alle neuen Steuern.
Staatssecretär Dr. Graf Posadowsky:
Meine Herren! Ich fange bei demjenigen an, womit der Herr Abg. Richter geschlossen hat. (Zuruf) Ich bin mit ihm vollständig einer Ansicht, daß es wirthschaftlich und politisch höchst falsch wäre, Ein⸗ nahmen zu beschaffen, für die dringende Ausgaben nicht vorhanden sind, Steuern auf Vorrath. Ich bin der Ansicht, daß das werbende Kapital sich in der Tasche der Steuerzahler besser befindet, als in den fiscalischen Kassen. Ich bin auch ferner der Ansicht, daß die Grundbedingung jeder geordneten Finanzverwaltung eine sparsame Verwaltung in den Ausgaben ist, und diese Verwaltung davon abhängt, daß die Finanzverwaltung innere Selbst⸗ ständigkeit und ein ausreichendes äußeres Schwergewicht besitzt. Wenn die Finanzverwaltung dieses äußere Schwergewicht bekommen soll, dann empfehle ich doch dem Herrn Abg. Richter — ich gehe ungern auf diesen Punkt ein —, sich für das Finanzreformgesetz zu interessiren.
Meine Herren, wie liegt jetzt die Sache? Es ist diesem Finanz⸗ reformgesetz vorgeworfen worden, es würde dann eigentlich jeder Calculator den Etat des Reiches aufstellen können. Ja, meine Herren, wenn man in der Aufstellung des Etats lediglich eine Compilation der Forderungen der Ressorts und die Gegenüber⸗ stellung mit den Einnahmen sieht, so ist das durchaus richtig. Aber die Finanzverwaltung hat die Aufgabe, die Dringlichkeit der Ausgaben selbständig zu prüfen, und dies ganz besonders in finanziell schwierigen Finanzperioden, und ich glaube, wenn Sie diesen Etat, wie er hier vorliegt, objectiv prüfen — ich werde darauf nachher im einzelnen zurückkommen — dann werden Sie zugestehen müssen, daß die Finanzverwaltung in diesem Jahre diese Aufgabe erfüllt hat.
Meine Herren, jetzt liegt bei der Aufstellung des Etats doch die Sache so: Sind die Ausgaben beschlossen, dann ist die Bewilligung von Einnahmen selbst gegeben. Denn nach der Reichsver⸗ fassung muß das quod interest der Ausgaben gegenüber den eigenen Einnahmen des Reichs durch Matrikularbeiträge ge⸗ deckt werden, und diesem Zustande gegenüber bedeutet das Finanz⸗ reformgesetz einen erheblichen Fortschritt (sehr richtig! rechts), und ich kann nur sagen: ich wundere mich, daß nicht auf dieser (linken) Seite des Hauses dieser Fortschritt erkannt wird. (Sehr richtig! rechts) Jetzt haben Sie nur über die Höhe der Summe zu be— schließen, weiter nichts; das übrige ist Caleulaturarbeit. In Zukunft dagegen, wenn die Ausgaben der Ressorts nicht balanciren mit den eigenen Einnahmen, so wird die weitere Frage zu prüfen sein, auf welche Interessentengruppe, auf welche Erwerbs gruppe ist der fehlende Betrag zu vertheilen; und darin liegt eine ungeheure Ver stärkung des Budgetrechts und gleichzeitig eine Verstärkung der Stellung der Finanzverwaltung.
Der Herr Abg. Richter hat ferner nachzuweisen gesucht, daß wir mehr Steuern fordern, als wir brauchen. Ja, ich glaube, das war nicht eine besondere Feinheit von mir, daß ich sofort erkannte, daß hierin der Angriffspunkt liegen soll. Denn wenn man neue Steuern fordert, ist man verpflichtet, dem Lande den Nachweis zu führen, daß man die Mittel für vorhandene Bedürfnisse nicht parat hat. Ich habe bereits gestern in Zahlen nachgewiesen, daß wir mit den rück— ständigen zehn Millionen für die Militärvorlage — und darüber, wenn nicht zehn Millionen erforderlich sind, können wir uns ja in der Commission unterhalten — und einschließlich des fehlenden Betrages von 534 Millionen noch 635 Millionen brauchen; darin ist der Herr Abg. Richter ferner mit mir voll—⸗ kommen einverstanden, daß wir in den nächsten vier Jahren mit Ausschluß des Jahres, für welches der Etatsentwurf vorliegt, min⸗ destens 28 Millionen für bestimmte gesetzliche Ausgaben bedürfen. Endlich soll ein pauschalirter Betrag von 40 Millionen Ueberweisun⸗ gen den Einzelstaaten gewährt werden. Das macht über 131 Millionen. Ich will nun wirklich annehmen, die Rechnung, die seiner Zeit in Form einer Tabelle der Militärcommission vorgelegt ist, wäre rich—tiiß, und wir hätten in den nächsten fünf Jahren auf 114 Millionen neue Einnahmen zu rechnen; dazu, meine Herren, kommen 100 Millionen, die durch die Finanz⸗ reform gefordert sind. Das sind 214 Millionen, 131 Millionen brauchen wir, bleibt ein Rest von 83 Millionen, also eine Ausgabe—⸗ steigerung in 4 Jahren von je 20 Millionen pro Jahr.
Meine Herren, ich bemerke zunächst, daß in der Commission die Reichs⸗Finanzverwaltung — und ich wiederhole das ausdrücklich — hervorgehoben hat, daß man nur auf eine Steigerung von 70 Millionen mit einiger Sicherheit rechnen könne. Es heißt hier wörtlich:
ich auf einen erheblichen Zugang an Deckungsmitteln mit Sicherheit rechnen läßt. Derselbe dürfte unter Zugrundelegung der bisherigen Erfahrungen mit 70 Millionen über die Etatsansätze für 1893/94 hinaus keineswegs hoch geschätzt sein.“ Also es ist dort die Rede von 70 Millionen.
Meine Herren, wenn wir nun von 114 Millionen oder von
70 Millionen ausgehen, so ist doch eben eine Frage ganz außer Betracht
gelassen, daß ein Theil dieser Einnahmen uns garnicht gehört, daß gesetzlich diese Mehrüberschüsse zum großen Theil den Einzelstaaten zu überweisen sind, und, meine Herren, darüber können wir doch nicht ohne weiteres hier fortgehen und rechnen, als ob das Einnahmen des Reichs wären. .
Meine Herren, ich habe heute erfahren, daß der Herr Abg. Richter dasjenige Mitglied der Militärcommission ist, was damals die Erklärungen, von denen er vorhin selbst sprach, abgegeben hat. Ich möchte nun einmal eitiren, wie damals der Herr Abg. Richter zu der Frage gestanden hat. Er hat gesagt:
„Die Clausula Franckenstein, welche das Mehr an Zollein⸗ nahmen den Einzelstaaten überweist, erscheine dem Vertreter des Reichs⸗Schatzamts schon aufgehoben, obwohl sich eine Mehrheit für die Aenderung der Franckenstein'schen Clausel jetzt nicht finden werde. Die Clausula Franckenstein soll jetzt matt gesetzt werden, obgleich die Bedürfnisse der Einzelstaaten wachsen; das heißt, die finanziellen Verlegenheiten des Reichs auf die Einzelstaaten übertragen und durch die berechtigten Ansprüche der Einzelstaaten einen Strich machen. Der entwickelte Plan sei völlig reichsfiskalisch ge⸗ dacht, ganz unbekümmert um die Lage der Einzelstaaten; derselbe stehe im Widerspruch mit den Absichten der Franckenstein'schen Clausel. Diese Clausel habe zunächst einen constitutionellen Zweck ge⸗ habt, indem durch sie dem Reichstag ein Einfluß auf die Gestaltung des Einnahme-Etats gewahrt werden sollte; sie habe aber auch noch einen finanziellen Zweck gehabt insofern, als den Einzelstaaten die Vortheile aus den Steuervermehrungen des Reichs zufließen sollten. (Heiterkeit rechts.)
Meine Herren, wenn nun jetzt der Herr Abg. Richter mit den Mehreinnahmen, die wir in den nächsten 5 Jahren zu erwarten haben, 70 oder 114 Millionen, so rechnet, als ob das Reich für seine eigene Wirthschaft ohne weiteres darüber verfügen könnte, so steht doch das, meine ich in aller Höflichkeit, in einem gewissen Widerspruch mit seinen damaligen Ausführungen. (Sehr richtig! rechts.)
Meine Herren, ich komme zu einem weiteren Punkt. Der Herr Abg. Richter ist wieder darauf zurückgekommen, daß die Ausgaben zu hoch und die Einnahmen zu niedrig angenommen seien, mit anderen Worten, daß man künstlich einen Fehlbetrag geschaffen hätte, um die Steuervorlagen sachlich begründen zu können. Meine Herren, ich bemerke zunächst, daß, wenn die Zolleinnahmen des Jahres 1892.93 zu Grunde gelegt werden, das einfach daran liegt, weil mit Rücksicht auf die Handelsverträge der dreijährige Durchschnitt nicht genommen werden konnte. Das dem Etatsansatz zu Grunde gelegte Jahr 1892,93 war ein mittleres Einfuhrjahr; wir haben bereits im ersten Semester des laufenden Jahres einen Minderertrag von 32 Millionen gegen die Isteinnahme des Vorjahres gehabt; es lag deshalb wohl aller Grund vor, die Zolleinnahmen vorsichtig zu schätzen. Meine Herren, bei der Einnahme aus dem Reichs Stempelgesetz glaube ich sogar, daß bei dem Rückgang, der sich in den letzten Jahren gezeigt hat, nicht einmal der dreijährige Durchschnitt erreicht wird. Meine Herren, vergleichen Sie nun den jetzigen Standpunkt des Herrn Abg. Richter über die Aus⸗ sichten unserer Einnahmesteigerung mit dem Standpunkt, den damals Herr Abg. Richter als Mitglied der Militärcommission einnahm.
Jetzt glaubt er, daß wir Einnahmen zu erwarten hätten, aus denen wir einen Theil der Militärvorlage decken könnten. Damals sagte er aber:
„Die Berechnung des Vertreters des Reichs⸗Schatzamts sei ein ganz einseitiges Phantasiebild, das überdies viel zu günstig ge⸗ malt sei.“
Er sagte ferner:
Die Hoffnung des Reichs⸗Schatzamts sei auf der Steigerung der Zolleinnahmen um 70 Millionen basirt; die Reichs⸗Finanzverwal⸗ tung finde also für die zugestandenen Mehrausgaben der nächsten 5 Jahre in den eigenen Einnahmequellen des Reichs keinerlei Deckungsmittel. Die Mehrausgaben seien in der Berechnung viel zu knapp berechnet. Selbst, wenn man zugeben wollte, daß die Mehrerträge aus den Zöllen künftig dem Reich! verbleiben sollen, so würden diese 70 Millionen für die natürlichen Mehrbedürfnisse des Reichs in keiner Weise ausreichen (hört! hört! rechts), da schon jetzt 33 Millionen auf jene 70 Millionen fest angewiesen seien nach der Anrechnung des Reichs⸗Schatzamts. Mit einer Steigerung von durchschnittlich 5 Millionen Mark jährlich sei dem Reich für die naturgemäße Steigerung der Ausgaben nicht gedient. (Hört! hört! rechts.)
Meine Herren, ich bitte, die heutigen Erklärungen des Herrn Abgeordneten damit zu vergleichen.
Meine Herren, ich komme nun auf eine andere Frage. Herr Abg. Richter hat wieder auf die Liebesgaben hingewiesen — ich will mich desselben Ausdrucks bedienen — und hat gesagt: Keine neuen Steuern, so lange die Liebesgaben bestehen! Meine Herren, ich wünschte wirklich, daß die Herren, die in dieser Weise fortgesetzt gegen diese Steuervergünstigung, will ich einmal sagen, der landwirthschaftlichen Brennereien und der Kartoffel bauenden Gegenden unseres Vaterlandes eifern, einmal wirklich an Ort und Stelle die Verhältnisse unserer Landwirthschaft kennen lernen möchten. (Sehr richtig! rechts) Wenn Sie auch nur zwei Jahre auf einem Gut des Ostens unter den heutigen schwierigen Leuteverhältnissen, unter den schlechten Preisperhältnissen, unter den Lasten, die auf der Landwirthschaft ruhen, selbst lebten, so würden Sie ganz andere praktische Auffassung von den Dingen bekommen. (Bravo! rechts. Meine Herren, das ist kein zu⸗ fälliger Umstand, daß das Eigenthum des Landwirths, die Scholle immer minderwerthiger wird, daß jedermann seine Scholle zu verkaufen sucht und die Neigung, Grundbesitz zu erwerben, immer mehr zum Schaden unseres Vaterlandes abnimmt. (Bravo rechts.) Meine Herren, die Neigung zum Verkauf und die Abneigung gegen den Kauf ist ein besserer Beweis für die schwierige Lage der Landwirthschaft als alle statistischen Berechnungen.
Meine Herren, wenn Sie das erreichen — und es ist ja nicht unmöglich, daß auch einmal auf diesem Gebiet eine Aenderung in der Gesetzgebung eintritt — wenn Sie erreichten, daß diese 40 Millionen Steuern jenen Landestheilen, die gegenwärtig vorzugsweise Kartoffel⸗ bau treiben, in denen eine andere Frucht Erträge nicht abwerfen kann, wirklich auferlegt würden, dann ist es mir doch noch zweifelhaft ob Sie wirklich das Geld bekommen würden; denn meiner Ueber⸗ zeugung nach würde eine ganze Anzahl von Brennereien geschlossen werden (sehr richtig! rechts), und weiter würde es die Folge haben, daß die Auswanderung von dem platten Lande nach den Städten noch
zunähme, weil der Lebenserwerb auf dem Lande immer schwieriger würde.
Meine Herren, es hat sich vorhin der Herr Abg. Richter darüber gewundert, daß diese so große Ausgabe für die Schienen im Eisenbahn⸗Etat ins Ordinarium und nicht auf das Extraordinarium genommen sei; er hat gefragt, ob etwa diese Zahlen dem Reichs⸗ Schatzamt entgangen seien. Nein, meine Herren, diese Zahlen sind demselben nicht entgangen. Das müßte doch eine ziemlich oberfläch liche Prüfung des Etats sein, wenn ein so bedeutender Posten unserer Prüfung entgehen sollte. Es ist aber dieser Betrag in das Ordina⸗ rium aus zwei Gründen gesetzt. Erstend — und das will ich nachher weiter ausführen — weil bei der wachsenden Verschuldung des Reichs meines Erachtens es Pflicht der Finanz- verwaltung ist, möglichst viel auf das Ordinarium zu nehmen lsehr richtig! rechts), und zweitens, weil wir bei der Eisenbahnverwaltung von Elsaß⸗Lothringen im nächsten Jahre sehr erheblichen Ausgaben für die Betriebsmittel gegenüberstehen. Ich meine, gerade die Erneuerung der Schienen, die doch einer fortwährenden Abnutzung unterliegen, ist recht eigentlich eine Ausgabe des Ordinariums (sehr richtig! rechts), ein Gegenstand der laufenden Unterhaltung. .
Bei Besprechung des Militär⸗Etats hat der Herr Abg. Richter einen anderen Standpunkt eingenommen, da hat er gerade bei mir Ausgaben monirt, daß sie nicht in das Ordinarium aufgenommen wären.
Meine Herren, ich komme nun auf die Frage des Ordinariums überhaupt, die heute gestreift ist; letztere Frage hängt eng zusammen mit der Frage der wachsenden Reichsschuld. Schon gestern ist von Herrn Abg. Fritzen ausgeführt worden, daß eigentlich die Tilgung von Schulden keinen sachlichen Zweck habe, so lange man fortgesetzt neue Anleihen mache; denn man würde dann einfach dahin kommen, daß man um den Betrag, den man zur Schuldentilgung braucht, und aus dem Ordinarium nimmt, neue Schulden aufnimmt und das Extraordinarium damit belastet.
Meine Herren, ich vermag dieser Auffassung nicht beizutreten. Zunächst gestatte ich mir die Frage: Warum legt man denn jeder anderen Corporation, jeder Provinz, jeder Gemeinde die Verpflich⸗ tung zur Schuldentilgung auf, wenn sie eine Anleihe aufnimmt? Das sind doch ganz dieselben Verhältnisse. Jede wachsende communale Verwaltung ist auch in der Zwangslage, neue äußere ordentliche Aus⸗ gaben und damit auch neue Schulden zu machen. Ich glaube aber, meine Herren, dies hat einen inneren Grund; denn dadurch, daß man eine planmäßige Schuldentilgung einführt, bringt man die wachsende Belastung einer Corporation, eines Staats mit Schulden in eine natürliche Relation zu den wachsenden Einnahmen: man will die Schulden in dem Verhältniß tilgen, wie die Einnahmen wachsen.
Wenn der Herr Abg. Richter dagegen angeführt hat, daß dies überhaupt ein wunderliches Verfahren wäre, so lange man neue An⸗ leihen mache, man würde vielleicht bei der Tilgung die Papiere höher aufkaufen müssen, als man sie seinerzeitlver kauft hat — so gestatte ich mir doch, zu bemerken, daß bei jeder Schuldentilgung das Verfahren einfach das ist, daß man sich die Wahl frei läßt, ob man durch Aufkauf oder Auslösung die Schulden tilgt. Stehen die Papiere über pari, so wird man sie ausloosen; stehen sie unter pari, so wird man sie selbstverständlich ankaufen. (Sehr richtig! rechts.)
Es ist dann in sehr entschiedener Weise darauf hingewiesen worden, daß die Forderungen der Marine wieder außerordentlich hoch seien und der Grundsatz der Sparsamkeit dabei nicht ge⸗ wahrt erscheine. Ich muß doch bitten, meine Herren, solche Fragen nicht absolut zu betrachten, sondern vergleichsweise mit der bis⸗ herigen Entwicklung, und wenn Sie eine solche Vergleichung vornehmen, werden Sie finden, daß die Einmaligen Ausgaben diesmal gegen das Jahr 1890/91 um 1,7, gegen 1891/92 um 11, gegen 1892,93 um 15,? und gegen 189394 um 25 Millionen zurückbleiben. Ich glaube, es liegt damit der Beweis vor, daß dieses Jahr der Marine⸗Etat sich äußerste Selbstbeschränkung auferlegt hat.
Der Herr Abg. Richter ist dann weiter auf die Steuervorlagen im einzelnen eingegangen; ich folge ihm zur Zeit nicht gern auf diesem Gebiet; es sind aber gestern eine Anzahl so erheblicher Unrichtigkeiten behauptet worden, daß ich doch Werth darauf legen muß, daß sich in der öffentlichen Meinung nicht legendenhaft gewisse Irrthümer festsetzen. Zunächst ist bei der Tabacksteuer auf die ungeheure Be⸗ lästigung durch die Controle hingewiesen worden. Ich habe einen Artikel gelesen, da hieß es: ‚Die Fabrikanten unter Polizeiaufsicht“ und einen anderen „Die Tabackselaven“; da ist insbesondere gesagt worden, wie schrecklich es sei, daß man zu jeder Tageszeit, und eventuell sogar Nachts Beamte zur Controle in die Fabrikräume schicken kann. Meine Herren, ich gestatte mir die Bemerkung, daß diese Controlbestimmungen fast wörtlich dem Branntwein⸗, dem Brausteuer⸗ und dem Zuckersteuergesetz entnommen sind, und ich habe nicht gefunden, daß seinerzeit gegen diese Control⸗ bestimmungen von irgend einer Seite Bedenken erhoben worden sind.
Meine Herren, es ist ferner gegen den Quittungsstempel geeifert worden. Es lassen sich ja gegenüber diesem Stempel sehr traurige Fälle construiren, wenn man sagt: der kleine Handwerker, der 20 0 zu bekemmen hat, wird 10 3 Stempel zu bezahlen haben. Es sind auch Beispiele aus Arbeiterkieisen gegen diesen Stempel angeführt worden. Meine Herren, ich glaube, das entspricht wirklich nicht den Thatsachen: einmal sollen alle Quittungen unter 20 M nach dem Gesetzentwurf frei bleiben, und jeder Arbeitgeber wird es in der Hand haben, die Löhne öfter auszuzahlen, um dadurch den Quittungsstempel zu vermeiden. Außerdem sollen auch nach dem Gesetz alle diejenigen Personen von der Stempelpflicht für ihren Arbeitslohn befreit bleiben, die unter das Altersversicherungsgesetz fallen. Eine ganze Reihe von Fällen, die von der Presse aufgebauscht werden, werden nicht eintreten. Der Handwerker wird garnicht daran denken, den Stempel selber zu be⸗ zahlen, er wird ihn in Rechnung setzen oder beim Preise berechnen, kurz er wird ihn sich erstatten lassen von dem, der nicht baar bezahlt. Wenn gesagt wird, daß der Quittungsstempel eine gewisse Unsol dität in unserem Geschäftsleben herbeiführen könnte, muß ich das auch bestreiten. Im Gegentheil, wer baar bezahlt, bezahlt keine Quittungssteuer, die Quittung fällt ja fort. Warum sollte sie die Quittungssteuer auch bei uns anders gestalten, als in ander Ländern? In Frankreich besteht ja die Quittungesteuer bis zum Be⸗ trage von 10 Francs herunter, und man hat noch nie gehört, da dort hierüber Klage geführt ist. ö
Es ist ferner gestern gesagt, ich glaube von Herrn Bebel, Regierung nähme selbst an, der Consum des Tabacks würde um 27 zurückgehen; obgleich an der Hand der Vorlage nachgewiesen