Preußischer Landtag.
Haus der Abgeordneten. 5. Sitzung vom 25. Januar 1894.
Die gestern bereits im Auszuge mitgetheilte Rede, mit welcher der Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von . die Interpellation der Abgg. von Kröcher und Genossen beantwortete, hatte folgenden Kor la
Meine Herren! Der Herr Begründer der Interpellation hat in seinen Worten wesentlich auch hingewiesen auf die Verhältnisse, die aus dem Abschluß des russischen Handelsvertrages mit Deutschland entspringen können. Die Königliche Staatsregierung sieht sich nicht in der Lage, in dem gegenwärtigen Augenblick über die Spezialitäten eines russischen Handelsvertrages in diesem Hause zu verhandeln aus sehr erklärlichen Ursachen. Sie wird sich deshalb in ihrer Antwort an die allgemeine Fassung der Interpellation halten müssen und die Frage beantworten, ob sie geneigt ist, dem Abschluß von Handelsverträgen, namentlich von solchen Handelsverträgen, die eine Ermäßigung von landwirthschaftlichen Zöllen mit sich bringen, nur dann ihre Zustimmung zu geben, wenn gleichzeitig oder vorher ein Ausgleich der Geldwerthsverhältnisse der in Frage kommenden Länder stattfindet oder stattgefunden hat. Meine Herren, die Staatsregierung wird jedem Handelsvertrage und ganz insbesondere solchen Handels⸗ verträgen, mit denen eine Herabsetzung der landwirthschaftlichen Zölle ins Auge gefaßt ist, ihre Zustimmung nur dann geben, wenn sie die Ueberzeugung gewonnen hat, daß der Inhalt dieser Verträge den wirthschaftlichen Interessen Preußens und des Reichs entspricht. (Lebhafte Bewegung rechts.) Sie ist aber nicht in der Lage, diese ihre Zustimmung von einer Bedingung abhängig zu machen, deren Erfüllung sie für unmöglich hält. (Bewegung rechts.)
Meine Herren, der Herr Abg. von Heydebrand hat geglaubt, auf Wege hingewiesen zu haben, wie diese Ausgleichung der Geldwerths⸗ verhältnisse stattfinden könnte. Meines Erachtens ist das doch nicht in dem Maße geschehen, daß wir diese betreten könnten. Er hat, soweit ich mich erinnere, nur angeführt, daß es vielleicht denkbar sei, in den mit einem anderen Staat abzuschließenden Vertrag Bestim— mungen aufzunehmen, die eine Bindung der Währungsfreiheit be⸗ deuten. So habe ich ihn verstanden. ; Nun, meine Herren, ich stelle die, wie ich glaube, zutreffende Behauptung auf, daß die Bindung der Freiheit der Bewegung in seiner Währung durch internationalen Vertrag von keinem Staate gewährt werden kann (Abg. Rickert: Sehr richtig! — Lachen rechts), daß es meines Erachtens nicht nur für Rußland oder für Oesterreich oder für irgend einen anderen Staat, sondern auch für Deutschland nicht möglich sein würde, sich der Freiheit zu begeben, je nach Lage der wirthschaftlichen Verhältnisse seine Währungsverhältnisse zu be⸗ stimmen. Darauf kann sich keine Staatsregierung einlassen. So ist der einzige Weg, der hier von weitem angedeutet wurde, man möge in dem Handelsvertrage zugleich eine vertragsmäßige Regelung der Währung vornehmen, meines Erachtens und nach Ansicht der König lich preußischen Staatsregierung ein nicht gangbarer. Man könnte ja nun weiter fragen, ob etwa im Wege der autonomen Gesetzgebung anderer Staaten eine derartige Gestaltung der Währungsverhältnisse denkbar ist, daß die deutschen landwirthschaftlichen Interessen sich da⸗ durch beruhigter fühlen, ob der Versuch gemacht werden sollte, auf eine solche Gesetzgebung wenn möglich hinzuwirken.
üeine Herren, die gesetzliche Ordnung der Währung eines Landes, welches eine gegen die unserige minderwerthige Währung hat, kann ja für den Augenblick eine gewisse Beruhigung haben; ob aber ein solches Gesetz Aussicht auf Dauer hat, ist absolut nicht zu sagen; denn auch hier wird der Satz gelten müssen, daß nach Lage der wirthschaftlichen Verhältnisse die Regierung eines Staats ihre Währungsverhältnisse wird einrichten, auch ändern müssen; mit dem Heben einer Währung ist es nicht gethan, das Festhalten ist ebenso wichtig.
Und nun, meine Herren, lassen Sie mich nur noch ganz kurz dar— auf hinweisen, daß vielfach vorgeschlagen worden ist: man möge eine sogenannte gleitende Skala in die Handelsverträge aufnehmen, die den Zoll in seiner Höhe abhängig macht von dem Kurs der Valuta, in dem Lande, mit dem wir uns in Handelsvertragsverhandlungen ein lassen. Meine Herren, dieser Vorschlag würde unserer Auffassung nach nicht ausführbar sein und für Deutschland die empfindlichsten Folgen haben und ganz besonders für die deutsche Landwirthschaft eine Gefahr in sich bergen, die viel größer ist, als sie bei der Festsetzung eines fixierten Zolls jemals eintreten kann.
Wie soll denn die Aufstellung einer solchen Skala stattfinden ? Der Zoll soll variieren mit dem augenblicklichen Stande der Valuta, er muß also je nach der Kurenotierung an der Börse von Tag zu Tag herauf⸗ und heruntergehen, oder wenn man längere Perioden zu Grunde legen will, auf wie lange soll denn der an einem bestimmten Tage geltende Kurs Einfluß haben auf die Höhe der Zollgestaltung?
Ferner, meine Herren, wenn jemand in Rußland Getreide oder irgend sonst etwas kauft, so wird er den Preis be rechnen auf Grund des Rubelkurses und des sich danach bemessenden Zollsatzes. In dem Augenblick aber, wo das Getreide die Grenze überschreitet, kann sich der Zoll, der dann erst zu entrichten ist, völlig geändert baben; es kann eine große Differenz zwischen dem Tage des Vertragsabschlusses und dem Tage des Uebergangs des Ge⸗ treides über die Grenzen vorliegen, die die ganze Preisberechnung umwirft.
Dieselbe Frage ist aufzuwerfen bezüglich der Transitläger. Das Getreide geht ein zu einem Preise, der festgesetzt worden ist nach dem bestehenden Zoll, und nach einigen Monaten, wo das Getreide aus den Transitlägern wieder hinausgehen soll, ist die Zollhöhe durchaus verändert. Also, meine Herren, das, was man durch einen Handels⸗ vertrag will, eine gewisse Stabilität in den Verhältnissen von Handel und Verkehr herbeizuführen, das würde durch eine solche Maßnahme geradezu umgekehrt und auf den Kopf ge— stellt werden, und die Königliche Staatsregierung ist deshalb der Meinung, daß es bei weitem vorzuziehen wäre, keine Handelsverträge zu schließen (sehr richtig), als einen Handelsvertrag, der eine der— artige — l(sehr richtig) — ja, meine Herren, Sie sagen „sehr richtig!“ zu dem Vordersatz, so müssen Sie auch „sehr richtig!“ zum Nachsatz rufen — als einen Handelsvertrag, der ein derartiges Moment der Unsicherheit und des Schwankens in sich trägt.
Nun, meine Herren, was aber zweifellos das wichtigste ist, es würde der Spekulation in einem Maße Thor und Thür geöffnet (sehr richtig), die Schwankungen in den Getreidepreisen und das Drücken derselben im Inlande würden in einem Maße vor sich gehen,
wie es unter gar keinen anderen Verhältnissen möglich wäre; und ich meine, gerade für diejenigen Herren, die ein be⸗ sonderes Interesse daran haben, auch für die Getreidepreise Stabilität herbeizuführen und sie den überwiegenden Einflüssen der Spekulation zu entziehen, sollte ein solcher Vorschlag völlig unannehm⸗ bar sein.
Meine Herren, ich resümiere mich danach dahin, daß die König—⸗ liche Staatsregierung sich nicht in der Lage befindet, ihre Zustimmung zu Handelsverträgen an eine Bedingung zu knüpfen, die, wie gesagt, ihrer Meinung nach zu erfüllen nicht möglich ist.
Daß sie die Bedeutung der Währung nicht verkennt, das ist in den Erklärungen, die der preußische Herr landwirthschaftliche Minister im Herrenhause abgegeben hat, ja außer Zweifel gestellt; daß sie den dringenden Wunsch hat und nach ihren Kräften dahin wirken wird, daß die seitens der Reichsregierung in Aussicht genommene Enquete nicht nur akademische Erörterungen, sondern auch praktische Folgen zeitigt, das ist auf das deutlichste ausgesprochen und liegt durchaus in der Richtung der Interessen auch der preußischen Staats— regierung. Ich kann zur Bekräftigung anführen, daß nach meiner Meinung auch die preußischen Handels. und gewerblichen Interessen darauf hinweisen, die Untersuchung der Währungs⸗ verhältnisse dahin zu führen, daß Mittel und Wege gefunden werden, um dem Preisrückgang des Silbers und dem beständigen Schwanken des Silberpreises einen Damm entgegenzusetzen. (Hört, hört h;
Auch die preußischen Handels- und gewerblichen Verhältnisse, so bestimmt sie wünschen und fordern müssen, daß eine sichere gute Wäh⸗ rung ihnen erhalten bleibt, haben ein Interesse daran, das Schwanken des Silberpreises nach Möglichkeit zu beseitigen. Dazu führen ver—⸗ schiedene Betrachtungen. Ich will die wichtigste derselben nur ganz allgemein erwähnen, die Frage nämlich, ob nicht durch die veränderten Maßnahmen der indischen und amerikanischen Regierungen die Mög— lichkeit des Entstehens einer Goldknappheit uns erheblich näher gerückt ist als früher.
Sodann, meine Herren, handelt es sich um diejenigen Handels und gewerblichen Interessen, welche auf den Verkehr mit den Silber ländern basieren, die dort infolge des Schwankens der Silberpreise erheblichen Schwierigkeiten begegnen.
Und endlich giebt es noch ein drittes Moment, das, wenn auch nicht als ausschlaggebend anzusehen ist, doch immerhin den Wunsch sehr entschieden bei der Staatsregierung kräftigen muß, dem Herab— gehen und Schwanken des Silberpreises Einhalt zu thun: das ist das Moment des heimischen Bergbaues. Meine Herren, wir sind ja nicht eines der hauptsilberproduzierenden Länder, aber immerhin ist die Zahl der Arbeiter und sonstigen Interessenten, die an unserem Silberbau betheiligt sind, eine nicht unerhebliche. Es stehen wirthschaftliche Interessen nicht unbedeutender Art in Frage, wenn dem fortgesetzten Sinken und dem Schwanken des Silberpreises nicht Einhalt geschieht. Ob der oberharzer Bergbau, den wir heute wesentlich nur im Interesse der arbeitenden Bevölkerung aufrecht erhalten, ohne daß für den Fiskus ein irgendwie erheblicher Gewinn aus demselben erzielt wird, in der Zukunft bei fortgesetztem Herabgehen des Silberpreises wird aufrecht erhalten werden können, ist im höchsten Grade zweifelhaft. In ähnlicher Lage befindet sich der große Mansfelder Bergbau mit seiner Silberproduktion. Es können auch nicht nur die Verhältnisse der deutschen Silbergewinnung und Verhüttung, sondern auch die im Zusammenhang mit ihnen stehende Blei—⸗ gewinnung und Verhüttung in Betracht kommen. Summa summarum liegt in diesen berg, und hüttenmännischen Be⸗ ziehungen ein Maß von wirthschaftlichen Interessen, welches, wie gesagt, uns dringend den Wunsch hegen lassen muß, daß Mittel gefunden werden, durch die dem fortgesetzten Herabgehen und Schwanken des Silberpreises nach Möglichkeit Einhalt gethan wird.
Meine Herren, ich habe bereits bemerkt und wiederhole es: für die
Entscheidung der Frage, welche Mittel etwa ergriffen werden können, um dem Schwanken des Silbers Einhalt zu gebieten, können die Ver⸗ hältnisse des heimischen Bergbaues allein sicher nicht ausschlaggebend sein; indessen werfen sie doch ein Gewicht in die Wagschale, welches als nicht unerheblich anzusehen ist und nach meiner Auffassung die vollste Berücksichtigung verdient. (Bravo.)
Im weiteren Verlauf der Besprechung der Interpellation . d. gestr. Nr. d. Bl.) nimmt nach dem Abg. Broemel frs. Vg.) das Wort der
Abg. Freiherr von Erffa-Wernburg (kons.): Die Antwort des Herrn Handels⸗-Ministers hat uns nicht befriedigt. Die Be⸗ ruhigung, welche wir durch die Interpellatlon zu erreichen hofften, wird dadurch dem Landwirth nicht gegeben; wir fürchten, daß unferen Freunden im Reichstag durch diese Erklärung die Möglichkeit ab⸗ geschnitten ist, für die Regierung zu stimmen, weil keine Sicher⸗ heit gegeben ist für die Landwirthschaft gegenüber einem russischen Handels vertrag. Es wäre uns doch lieb . wenn der Minister sich nicht in allgemeinen Redewendungen bewegt hätte. Ich kann nicht leugnen, daß wir die Ueberzeugung haben, daß die Inter⸗ essen der Landwirthschaft gegenüber denen der Industrie bei den Handelsverträgen nicht, genügend gewahrt worden sind. Man wird uns die kaufkräftige Industrie entgegenhalten. Ich wohne inmitten des sächsischsthüringischen Industriegebietes in der Nähe einer Stadt von 100900 Einwohnern. Es wohnen auf dem Quadratmeter 140 Menschen bei uns. Trotzdem ist es mir vor. Weihnachten, wo jeder Arbeiter seinen Weihnachtsstollen aus Weizenmehl backt, nicht möglich gewesen, 100 Zentner Weizen zu verkaufen. Die Mühlen haben mir zum theil garnicht geantwortet, oder sie haben erklärt, daß sie das Weizenmehl waggonweise aus Ungarn bezieben. Die Mühlen sind fast nur noch Mehl⸗ handlungen. Die Mühlen ⸗Aktiengesellschaft in Budapest hat eine außerordentliche Generalversammlung einberufen, um ihren Betrieb ver⸗ doppeln zu können. Was nützt mir die kaufkräftige Industrie, wenn sie nur vom Auslande und nicht von mir kauft! Wir wollen keinen Minimalpreis garantiert haben, sondern wollen nur die gleiche Behand⸗ lung wie die deutsche Industrie; wir wollen nicht aus der Haut der deutschen Landwirthschaft Riemen schneiden n zu Gunsten der Industrie. Die Fabrikation kann ihre Arbeiter entlassen, die Landwirth⸗ ant kann es nicht, wenn sie nicht eine Wüstenei entstehen lassen will; ie muß den Boden bebauen. Wir gehen jetzt gezwungener . von einer intensiven zur extensiven Wirthschaft über. Der Minister hat erklärt, die Regierung könne sich unmöglich in eine internationale Regelung der Währungsverhältnisse einlassen (Widerspruch),, Dann habe ich falsch verstanden. Irgend jemand muß doch einmal den Anfang dazu machen. Die Folgen der gleitenden Zollskala sollen sehr be—= denklich sein. Ich habe die näheren Angaben darüber vermißt. Der Minister hat vor der Spekulation gewarnt, die bei einer solchen Skala eintreten würde. Ob die Spekulation größer wird, möchte ich bestreiten. Sie ist jetzt schon so . daß eigentlich nicht mehr um Getreide, sondern nur um den Rubelkurs spekuliert wird. Wäre die Regierung nur schon früher zu der Erkenntniß gekommen, daß die Interessen des deutschen Silberbaues geschädigt werden! Herr Broemel vermißt einen Nachweis über den Zusammenhang von Getreidepreis und Rubelkurs. Herr Richter hat gestern zur
Abkürzung der Debatten gemahnt; deshalb bat es Herr von 8 brand vermieden, diese auch wohl Herrn Broemel bekannten inge auseinander zu setzen. Herr Broemel hat dem Statistischen Bureau die Aufgabe zugeschrieben, daß es Licht und Sonne gleichmäßig ver. theilen soll, (Zuruf des Broemel: Habe ich garnicht gefagt h Das Statistische Amt hat doch nur zahlenmäßig die Thatfachen fest⸗ zustellen. Die Verminderung der Subhastarionen beweist weniger als die Zunahme der Verschuldung. Sehr viele Gläubiger nahmen deshalb von der Zwangsversteigerung Abstand, weil sie Verluste dabei erleiden würden. Den kleinen Landwirthen, welche keine fremden Arbeitz⸗ kräfte brauchen, geht es noch gut, oder vielmehr, es geht ihnen weniger schlecht. Die kleinsten Landwirthe haben zum theil noch einen Nebenverdienst durch industrielle Thätigkeit. Daß der Rubelkurs jetzt hoch und der Preis niedrig ist, beweist kan nur, daß jetzt bei der Grenzsperrung infolge des Zollkrieges ein Verhältniß zwischen Preis und Rubelkurs nicht besteht. Sehr viel Neues kann nach den früheren Verhandlungen im Reichstag und hier über den russischen Handelsvertag nicht gesagt werden. Ich will deshalb die Mahnung des ö Richter befolgen. Er schien mir übrigens gestern nicht fo frisch wie sonst; er findet wohl hier seine Rechnung nicht so wie im Reichstag, wo er einen besseren Resonanzboden hat für seine metallreiche Stimme. Wenn man nach Annahme der anderen Handelsverträge auch für den russischen stimmen muß, was hätte denn die Aeußerung vom Regierungstisch für. einen Sinn, daß wir unfere politisch Alllirten wirthschaftlich stärken müssen? Hat man dabei den Hinter— gedanken gehabt, daß auch die Gegner gestärkt werden sollen? Uebrigens ist es von anderen Seiten anerkannt worden, daß die an mn nnn, zu den früheren Handelsverträgen nicht maßgebend sei fuͤr den russischen Vertrag; das haben die Herren von Stumm, von Marquardsen und auch der Staatssekretär von Marschall offen gusgesprochen. Den Bund der Landwirthe, den Herr Rickert angegriffen hat, kann ich nicht desavouieren. Daß der Widerspruch gegen den russischen Handelsvertrag nur vom Bund der Tandwirthe ausgeht, ist nicht . die landwirthschaftlichen Zentralvereine haben sich sämmtlich gegen diesen Vertrag ausgesprochen, der sächsische Zentral= verein hat dies erst kürzlich einstimmig gethan, trotzdem 76 olo der Grundfläche bäuerliche Besitzungen sind. Herr Rickert hat sich von der Denunziation des Bundes der Landwirthe gestern frei gehalten, aber mit dem Erlaß des Grafen Eulenburg hat er doch sein Spiel etrieben. Wie muß der Landrath nach Herrn Rickert aussehen? ls das Volksschulgesetz erschien, hätte der Landrath das Gesetz loben müssen; als es gefallen war, hätte er verkünden müssen, daß das Junkerthum und Muckerthum einen tödtlichen Schlag erlitten hätte. Der Landrath muß die Bevölkerung seines Kreifes monarchisch er⸗ halten. Dazu gehören eine starke Armee, gute Finanzen und die Zu⸗ friedenheit der Bepölkerung. Die Zufriedenheit der Bevölkerung wollen wir erhalten durch die Abwehr des russischen Handelsvertrages.
Abg. Dr. Krause (ul.: In Bezug auf den russischen Handels
vertrag werde ich dem Vorredner nicht folgen, auch nicht bezüglich der Verschuldung, die doch nicht ursächlich mit der Handelspolitik der Re⸗ gierung in Zusammenhang gebracht werden kann. Ich halte mich nicht für ermächtigt, weder für meine Freunde, noch für mich eine Er= klärung über den russischen Handelsbertrag abzugeben, und ich be⸗ dauere die Erklärung des Vorredners gegen den russischen Handels⸗ vertrgg. Wir geben keine Erklärung ab, so lange wir den Inhalt der Vorlage noch nicht kennen. Ob man sich aus dem Grunde, der in der Interpellation angeführt ist, gegen den russischen Handels vemrtrag erklären muß, können wir heute erörtern. Wir stehen dabei vollstän= dig auf dem Standpunkte, welchen der Minister eingenommen hat. Wir. glauben nicht, daß ein fremder Staat sich einer folchen Bedingung unterwerfen wird. Ist diese Bedingung denn zu ver— in und wird dadurch, daß sie verwirklicht wird, ein Nutzen für die Landwirthschaft erreicht? Die Schwankungen des Rubelkurses sind vorübergehende und gleichen sich in längeren Zeit⸗ räumen aus. Die Kaufkraft des Papierrubels hängt nicht davon ab, daß darauf gedruckt steht; Silberrubel, sondern von dem Werth des Rubels im Auslande. Eine gleitende Skala einem einzigen Lande egenüber wirkt nur wie ein Differentialzoll. Soll der Zoll ent— prechend der Schwankung des Rubelkurses verändert werden, foll er etwa, wenn der Rubel um 20 00 fällt, von 3,50 auf 420 erhöht werden? Wird dadurch ein hesserer Schutz erzielt? Oder sollen '. immer volle Mark zugeschlagen werden? Dann könnte man eicht auf eine Verdoppelung des Zolles kommen. Ein Thor müßte derjenige sein, der die schwierige Lage der Landwirthschaft nicht anerkennt; ein Thor derjenige, der nicht auf Abhilfe sinnt. Aber der Weise soll noch erst erstehen, der eine augenblicklich helfende WMaßregel vorschlagen kann. In Bezug auf die Fürsorge für den Yee fend können wir keiner Partei einen Vorrang zugestehen. Zur Fürsorge gehört aber auch der wirthschaftliche Frieden im Inlande, der nicht dadurch gefördert wird, daß die einzelnen Bevölkerungsklassen gegen einander aufgehetzt werden.
g. Graf von und zu Hoensbroech (Zentr. ): Die Land⸗ wirthschaft ist nicht nur ein bedeutender wirthschaftlicher Faktor, sondern sie ist auch allein geeignet, den Gefahren des Umsturzes ent gegenzuwirken; die Kraft dazu beruht in ihrem Charakter als Im- mobile, als Gegengewicht ,, . dem liberal - kapitalistischen modernen Staatsleben. Der Neichstag hat bei den Handelsverträgen die Entscheidung; aber er entscheidet dabei über das Lebensinteresse der Einzelstaaten, und deshalb können die letzteren sich wohl um solche Dinge kümmern, um sowohl der Staatsregierung als den preußischen Reichstags ⸗Abgeordneten unsere Wünsche kund zu geben. Die Handels⸗ verträge haben den Boden der Zollpolitik von 1879 verlassen; sie haben die Solidarität der Interessen aller produzierenden Stände ʒerftört. Dem einen Faktor werden Vortheile auf Kosten des anderen zugewiesen; dadurch werden a, zwischen Industrie und Landwirthschaft gewaltsam hervorgerufen. Lediglich daraus ist die Agitation der Landwirthe, des Bundes der Landwirthe und anderer Kreise entstanden. Der Landwirthschafts⸗Minister hat an die Stelle der Landwirthschaft die Landwirthe gesetzt; das ist aber nicht . denn nicht in dem Rückgang der persoͤnlichen Einnahmen liegt die Schwierigkeit, sondern darin, daß die Einnahmen die 6 wendig auf die Landwirthschaft verausgabten Kosten nicht mehr er⸗ reichen. Redner wendet sich gegen Ausführungen des Abg. Broemel, der fälschlich aus einem Rückgang der Subhastationen ländlicher Grundstücke auf eine Besserung in der Landwirthschaft geschloffen habe. (Widerspruch des Abg. Broemel,) Die Subhastationen hätten sich vermindert, weil die Hypothekengläubiger dabei auszufallen fürchten. In Bezug auf die , ist Redner mit dem Handels—⸗ Minister einverstanden; eine Abstufung des Zolls nach dem Rubel— kurs sei nicht möglich. Die Währungsfrage müsse international geregelt werden. Die Einführung einer gleitenden Skala würde der rößte ir gf sein; die Landwirthschaft würde mit gebundenen 6 der Börsenspekulation ausgeliefert werden. Die Aufhebung des Identitätsnachweises werde von den Herren im Osten mit großer Energie verlangt; vorübergehend könne daraus eine Steigerung der Getreidepreise entstehen, schließlich jedoch würden alle Vortheile der Börse und dem Zwischenhandel zufallen. Dem Westen werde aber durch die Aufhebung des Identitätsnachweises eben so großer Schaden zugefügt wie durch die Staffeltarife, deren Beseitigung der Westen unbedingt fordern müsse. . ;
Abg. Gothein (frs. Vg): Ich will nur auf den Punkt ein⸗ gehen, daß die Valutaverhältnisse einwirken sollen auf die Produktions⸗ verhältnisse. Wir müssen vergleichen die Mitte der siebziger Jahre mit jetzt. Der Rubelkurs ist von 1877, wo er über 2890 stand, bis 1890 unter 200 gefallen; er steht jetzt einige Jahre schon wieder höher. Wenn die Produktionskosten der russischen Landwirth, schaft sich durch das Fallen des Rubelkurses vermindert haben, so, müssen sie nachher durch das Steigen desselben wieder gestiegen sein. Den Beweis, dj die Schwankungen des Rubelkurses den Getreidepreis beeinflussen, ist der Interpellant schuldig geblieben. Ich kann den Gegenbeweis. führen, daß diefer Kurs nicht den geringsten Einfluß ausgeübt hat. Das geht aus einer graphischen Darstellung der Bewegung des Marktes in Breslau und des Rubel⸗ kurses hervor. (Redner legt diese graphische tellung auf den Tisch des Hauses) Wie würde sich künftig das Verhältniß stellen,
die Folgen einer solchen Maßregel.
wenn der Zoll ermäßigt würde? In einer Petition des Schlesischen Provinziallandtages wird die Nothwendigkeit der Zufuhr fremden Ge⸗ freides nach Schlesien betont. Das war im Jahre 1876; da bauten wir in Schlesien noch mehr, Getreide als jetzt. Damals wurde gesagt, daß die bessere ausländische Waare zur Vermischung mit der minderwerthigen schlesischen Waare verwendet werden müsse. Des— halb wäre der Identitäts nachweis für uns auch sehr gut zu gebrauchen. Die Spekulation kann von den Landwirthen gar nicht entbehrt werden. Daß die Spekulation jetzt wegen der Ünsicher eit, ob der russische Handelsvertrag zu stande kommt oder nicht, nicht eingreifen kann, dadurch werden die Landwirthe jetzt geschädigt. Ich bin mit den Verhältnissen in Schlesien sehr wohl vertraut. as würde die Folge der Ablehnung des russischen Handelsvertrags sein? Schon jetzt kommt amerikanischer Weizen und Roggen Oderaufwärts nach Breslau. Russisches Getreide . nach Skandinavien und Desterreich⸗Ungarn und wird dort zu Mehl vermahlen, welches nach Deutschland ein⸗ geführt wird. Dadurch wird unsere rn en geschädigt und unsere Mühlenindustrie ebenfalls. Für die Ostseeprovinzen ist die Aufhebung des Identitätsnachweises die wichtigste Frage; sie ist aber beim Bestehen eines Differentialzolls nicht möglich. Man sagt, der Westen würde dadurch geschädigt werden. Das verstehe ich nicht. Die Mannheimer Handelskammer hat sich für die Aufhebung des Nentitätsnachweises ausgesprochen, weil dadurch die Möglichkeit geschaffen würde, deutsches Getreide aus⸗ zuführen. Wenn das Getreide aus dem Osten überseeisch exportiert wird, dann kann es nicht mehr nach dem Westen kommen und die dortige Landwirthschaft schädigen. Ueber den Handelsvertrag wollen wir nicht sprechen. Wir halten es für loyal, auf eine jetzt noch schwebende Sache nicht einzugehen. Handel und Industrie haben es sich schwer ankommen lassen, gegenüber der großen Agitation der Landwirthe vollständig zu schweigen, um die Zirkel der Regierun nicht zu stören. Was wollen Sie (rechts) denn erreichen? Es ist doch weiter nichts als eine Demonstration, um unserer Regierung das Leben schwer zu machen. Wir sind doch mit dem Ueberschuß unserer Fabrikation auf den Export angewiesen. Was erwartet man von der gleitenden Zollskala? Sie wird nur für die Börsenspekulation von Vor⸗ theil sein; die Börse würde mit dem russischen Minister zusammen die Rubelkurse willkürlich gestalten zum Schaden der Landwirthschaft. Der Oberharzer Silberbergbau mag ein Interesse an hohen Silberpreisen haben, aber der Bleierzbau am Rhein und in Oberschlesien hat kein Interesse daran, weil bei hohen Silberpreisen die Bleiproduktion eine zu große wird. Erreichen werden die Agrarier durch ihre Agitation nichts, denn die Regierung wird stärker sein. Jedenfalls sollte man mit der weiteren Agitation warten, bis wir in der Lage sind zu antworten. Wir schweigen aus Lopalität, die von Ihrer Seite nicht geübt wird. Wenn Sie das Bündniß zwischen Landwirthschaft und In⸗ dustrie hoch halten wollen, dann halten Sie es in dieser Be⸗ ziehung hoch; dann lassen Sie ab von der Agitation, so lange, bis der Handelsvertrag veröffentlicht ist; bis wir antworten können Abg. von Kardorff (frkons. ): Die Landwirthschaft hat sich immer mit der Industrie solidarisch gefühlt. Was den Handels vertrag betrifft, so liegt die Sache etwas anders. Im Handelsverkehr treten Ausschteitungen zu tage, z. B. mit den Getreidedifferenzgeschäften, welche die Landwirthschaft schädigen. Die landwirthschaftlichen Inter⸗ essen sind dieselben, wie die des Mittelstandes, des kleinen Handels und des kleinen Gewerbes in den kleinen Städten. Wir vertreten also ein großes vaterländisches Interesse. Der Vorredner meint: Wir schweigen aus Loyalität. Mir sind die Bestimmungen bezüglich der Industrie nicht bekannt. Aber daß der Getreidezoll auf 3.50 (6 er⸗= mäßigt werden soll, das wissen wir und deshalb erheben wir unsere Stimme, solange noch Zeit dazu ist. Bezüglich des Identitäts⸗ nachweises bin ich mit dem Vorredner einderstanden. Wenn im Westen eine große Gefahr von der Aufhebung desselben be— fürchtet wird, so sind sich die Herren garnicht klar geworden über ; Aber anders stehe ich zum Vorredner bezüglich der gleitenden Skala, die Rußland gegenüber unmöglich ist, die eine wilde Spekulation hervorrufen würde. Zum theil stehe ich nicht ganz auf dem Boden der Interpellation, in so fern als ich einen anderen Weg für gangbar halte, der die deutsche Land⸗ wirthschaft vor den Gefahren des russischen a,,, bewahrt. Wir sollen nicht einem einzelnen Staate gegenüber eine Regelung der Valutaverhältnisse verlangen, sondern wir sollten im Reiche gegenüber allen Ländern mit unterwerthiger Valuta einen dem Goldagio entsprechenden Zuschlaz zum Zoll erheben. Man sagt: Was würde. Oesterreich dazu sagen? Desterreich würde seinen ganzen Getreideexport nach Her land verlieren, sobald der russische Vertrag abgeschlossen ist, weil die Untenrwerthigkeit der russischen Valuta, die der österreichischen übersteigt. Deshalb hat. Oester— reich selbst einen Vortheil von einer solchen Bestimmung, die, nur auf. Getreide und. Mehl beschränkt, werden könnte. Mir ist es zweifellos, daß Verhandlungen mit Oesterreich in diesem Punkte zu einem Ergebniß führen und damit den russischen Handels vertrag ermöglichen würden. Das würde namentlich helfen Argentinien und Indien gegenüber, wo ein großes Goldagio besteht. Eine solche Vorschrift wäre der größte Druck zur Herstellung einer internatio⸗ nalen Währungsvereinbarung, Eine gleitende Skala würde nicht eine Beförderung der Spekulation, sondern ein Schutz dagegen sein. Die graphische Darstellung sollte der Herr Vorredner einmal vergleichen mit der graphischen Darstellung des Herrn von Schalscha, die das Gegentheil von dem, was er behauptet, beweist. Wie die Valuta den Import beeinflußt, weiß jeder, der an der russischen Grenze wohnt. Es ist getadelt worden, daß wir diese Reichstagssache hier zur Sprache bringen. Aber Graf Caprivi hat den Kreis der Reichs⸗ kompetenz so eng beschränkt, daß die Einzel-Landtage sich nothwendig mit diesen Fragen beschäftigen müssen. Das ist eine Folge der Trennung des Minister⸗Präsidiums vom Reichskanzleramt; die Nach⸗ theile dieser Trennung treten immer mehr zu Tage. Beim Fort bestehen der Goldwährung muß die Landwirthschaft in Deutschland zu Grunde gehen wegen der sinkenden Kaufkraft des Volkes. Ich hoffe immer noch, daß die en . dahin führen werden, daß die Landwirthschaft wieder zu der Blüthe gebracht wird, welche sie früher hatte; n ,,. trägt die Vorlage des russischen Handels- vertrages zur Durchführung solcher Maßregeln bei. ö Abg. Graf von Ballestrem (Zentr.): Für die Betheiligten ist die Unterwerthigkeit des Silbers eine sehr unangenehme Sgche; aber wenn man . mit der Frage beschäftigt, wie dieser Uebelstand aus der Welt geschafft werden kann, so erkennt man bald, daß das unmöglich ist. Man könnte höchstens dazu kommen, eine internationale onvention aller Staaten, welche Silber produzieren, zu stande zu bringen, um die Silberproduktion zu kontingentieren; Lenn sonst würde jede Steige⸗ rung des Silberpreises eine ei f Produktion in Amerika zur eg aben, was schließlich dahin führen könnte, daß Silber überhaupt kein Edelmetall mehr bleibt; denn zum Edelmetall gehoren nicht nur gewiffe chemische Cigenschaften, fondern auch eine gewisse Seltenheit de Vorkom⸗ mens. Weshalb die Intervellation sich bloß auf Getreide beschrãnkt, ist nicht recht einzufchen; denn bei allen anderen Waaren spielen die Valutaverhältniffe auch eine groß Rolle. Eine gleitende Skala würde alles in die Hand der Spekulation und des rusfischen 53 Ninisters geben; der letztere könnte zu einer gewiffen Zeit den Rubel · kurs so gestalten, wie er für Rußland günstig ist. Wenn die Inter⸗ vellanten sich bei Ablehnung ihrer Bedingung gegen den xussischen andelsvertrag erklären, fo kann man ö sagen, daß die ganze nterpellation nur den Zweck hatte, dies hier zu verkünden. Mag man von einer schwierigen Lage der Landwirthschaft oder vieler Landwirthe reden — das ist dasselbe = vor eden ist der Nothstand in fast allen Theilen Deutsch⸗ nde auch in meinem engeren Vaterlande Schlesien. Die Ursachen 66 hauptsächlich in der Verschuldung, zum theil infolge der rbtheilung, zum theil e zu hoher Kostenpreise. Dazu kom⸗ . die großen Lasten, welche die Landwirthschaft zu tragen hat und E althergebrachte Art der Bewirthschaflung; die Selbstbewirth⸗ 6 ftung . Komplexe, die sich sehr theuer gestaltet. Es ist er sehr schwer, zur Hemirthschaftung durch kleine Pachthöfe über., zugeben. Die Landwirthschaft glaubt, daß bei Festhaltung des höheren etreidezolles der Nothftand nicht vorhanden wäre. Hätte man den
Zell in der alten Höhe an allen Grenzen aufrecht erhalten können, so würde darin ein . er Schutz liegen. Nachdem aber der Zoll gegen⸗ über Oesterreich herabgeseßt ist, woran wir alle gleich schuldig sind, fo * es jetzt nicht von hoher Bedeutung, ob ö gegenüber dieser zoll ebenfalls herabgesetzt wird. Seit dem ruffifchen Jollkriege find die Preise nicht gestiegen, sondern gefallen, trotz des höheren Zolles. Die Herabse ung des Zolles ist kein Geschenk an Rußland; Rußland muß vollwerthige Konzeffionen machen, dann wird der Schaden dadurch ausgeglichen, daß die westliche Industrie konsumtionsfähiger wird. Meine Heimath leidet unter dem Jollkriege ganz besonders. Die oberschlesische Industrie kann es kaum 2 aushalten. Wenn im ersten Semester 1893 noch 378 430 Zollzentner Walzeifen und 123 090 Zellzentner Bleche nach Rußland exportiert sind, wobei 300) Arbeiter beschäftigt wurden, so kann man die Größe eines solchen Ausfalls ermessen. Die Industrie hat bisher die Arbeiter mit durch⸗ 6 kommt der Handelsvertrag mit Rußland nicht zu stande, o muß sie die Arbeiter entlassen. Vön 23 Hochöfen sind infolge des Zollkrieges 9 ausgeblasen. Ich stehe noch auf demselben Stand— punkt wie 1879, daß Landwirthschaft und Industrie den gleichen Anspruch auf Zollschutz haben. Sie sagen immer, die Industrie wird jetzt bevorzugt, Als wir 1879 uns solidarisch erklärten, da war der Zoll für Getreide 1 ; er wurde auf 5 M erhöht, ohne daß der Industrie irgend welche ähnliche Konzessionen gemacht wurden. Die Industriellen haben trotzdem gute Bundesgenossenschaft gehalten; sie würden auch jetzt treue Bundesgenossenschaft halten. Es können durch Handelsverträge kleine Verluste für die Landwirthschaft ent⸗ stehen, aber die kaufkräftige Industrie ersetzt diese Verluste vollstãndig. Ich bin in demselben Sinne Agrarier wie mein reund Graf Hoeng⸗ broech. Ich will die Blüthe der Landwirthschaft aber auch die Blüthe aller anderen Erwerbszweige. (Zuruf rechts: Das wollen wir auch). Dann lassen Sie von der übermäßigen Agitation, welche die Landwirthschaft nur schädigt! .
Abg. Dr. Friedberg (nl) erklärt, daß sein Fraktionsgenosse, Abg. Krause nur in seinem Namen gesprochen habe. Er, Redner, vertreke eine andere Ansicht. Daß ein niedriger Rubelkurs den Export be= fördert, bedarf keines Beweises, das ist einfach ein Axiom. Wer das nicht anerkennt, mit dem kann man überhaupt nicht streiten. Des⸗ halb ist es richtig, beim Abschluß eines Handelsvertrages dieser Seite Aufmerksamkeit zuzuwenden. Mit Italien haben wir einen Vertrag auf Grund der Goldwährung abgeschlossen, und durch die Verschlechterung der Währung sind die italienischen Zölle um 15 * erhöht worden. Das ist juristisch nicht anfechtbar, aber wirthschaftlich ein Nachtheil. Deshalb ist Vorsicht eboten gegenüber einem Lande mit, unterwerthiger Valuta. Vielleicht sind die Zollsätze so günstig bemessen, daß wir darüber hinwegsehen können; das ist allerdings zu bezweifeln. Man kann in den Handels⸗ vertrag die Bestimmung aufnehmen, daß die Zölle in dem Geld bezahlt werden, in welchem die inländischen Zahlungen, namentlich auch die der Steuern erfolgen. Die Regierung meint, kein Staat würde darauf eingehen. Geht er nicht darauf ein, dann wird eben der Vertrag nicht abgeschlossen. Ich weiß nicht, wie man sich einer Regelung der Währungsfrage noch verschließen kann, nachdem Milliarden verloren gehen an Werthpapieren solcher Staaten, welche an einer schlechten Währung zu Grunde gehen. Gerade diejenigen,
welche Freihäudler sind, sollten diesen Punkt nicht aus den Augen verlieren. .
Nicht die Preissteigerung der Waaren durch Wiederherstellung des Silber⸗ preises ist für mich die Hauptsache, sondern der Umstand, daß jede inter⸗ nationale Handelspolitik durch die Verschiedenartigkeit der Währungs- verhältnisse durchkreuzt wird. Wenn wir genug Gold hätten, daß alle Länder zur Goldwährung übergehen könnten, dann müßte jeder ein Fanatiker für die Goldwährung sein. Eine Steigerung der Goldproduktion ist allerdings eingetreten, aber zugleich eine Steige⸗ rung der Goldkonsumtion zu anderen als Münzzwecken. Ich hoffe, daß die Regierung nicht mehr so apathisch der ganzen Währungsfrage gegenübersteht. grnfth hat England das größere Interesse an der Doppelwährung. weil die Lage in Indien eine ganz unbaltbare geworden ist. In diesem günstigen Momente sollte auch Deutschland wieder aus seiner Reserve heraustreten und sich an einer inter⸗ nationalen Münzkonferenz betheiligen. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg vorhanden.
Darauf wurde die Berathung vertagt.
Der Präsident schlägt vor, die Sitzung morgen um 11 Uhr abzuhalten.
Abg. Dr. Arendt (frkons.) beantragt, die Sitzung um 10 Uhr abzuhalten. Es stehe für morgen ein Ereigniß bevor, an welchem alle Herzen betheiligt seien, sodaß vielleicht nicht die Neigung vor⸗ handen sein werde, die Sitzung sehr lang auszudehnen.
Abg. von Eynern (nl. ): Ich bin zwar mit dem Vorredner einverstanden; aber er hat es selbst in der Hand, daß wir zu dem Ereigniß noch rechtzeitig kommen. Er steht selbst auf der Rednerliste, und wenn er sich kurz faßt, können wir frühzeitig fertig werden.
Die Mehrheit des Hauses entscheidet sich für Beginn der
Sitzung um 11 Uhr. ; Schluß 4 Uhr. Nächste Sitzung: Freitag 11 Uhr. (Fortsetzung der Besprechung der Interpellation von
Kröcher.)
Parlamentarische Nachrichten.
Dem Hause der Abgeordneten ist nachstehender Ver—⸗ trag jwischen Preußen und Lübeck, betreffend den Elbe— Trape⸗-Kanal, nebst einem Gesetzent wurf, betreffend die Ge⸗ währung eines Beitrags Preußens zu den Kosten der Her— stellung dieses Kanals, zugegangen:
Staatsvertrag zwischen Preußen und Lübeck, betreffend die Herstellung eines Elbe⸗Trave⸗Kanals, vom 4. Juli 1893.
Nachdem zwischen der Königlich preußischen Staatsregierung und der freien und Hansestadt Lübeck über die Herstellung eines Elbe⸗ Trave Kanals ein Einverständniß erzielt worden, sind zur Feststellung der erforderlichen vertrags mäßigen Bestimmungen zu Bevollmächtigten ernannt worden
von Seiner Majestät dem König von Preußen: Allerhöchstihr Wirklicher Geheimer Rath, Staatssekretär des Aus⸗ wärtigen Amts Adolf Freiherr Marschall von Bieberstein, von dem Senat der freien und Hansestadt Lübeck:
der außerordentliche Gesandte und bevollmächtigte Minister der
freien ,, . am Königlich preußischen Hof Dr. jur.
Friedrich Krüger, . — welche unter Vorbehalt der Ratifikation die nachstehenden Bestim⸗ mungen vereinbart haben.
rt. L. Zur Verbindung der Elbe bei Lauenburg mit der Trave bei Lübeck wird an Stelle des bestehenden Stecknitzkanals ein neuer dn, ,, nach Maßgabe des vereinbarten allgemeinen Projekts hergestellt.
ae g II. Die Bauausführung des Kanals nebst Zubehör wird
von der freien und Hansestadt Lübeck übernommen. .
Art. 1III. Zu diesem Zweck wird der Lübeckischen Regierung
für das preußische Gebiet das Enteignungsrecht nach Maßgabe des Preußischen i vom 11. Juni 1874 (Preußische GesetzSamml. Seite 221) verliehen werden. ; . Für die Verhandlungen im Verwaltungs und. gericht lichen Verfahren, die. zur Uebertragung des Eigenthums oder zur Ueberlassung in, die Benutzung für die Zwecke des Kanalunternehmeng erforderlich sind, insbesondere auch fur die Ein. tragungen und Umschreibungen in den Grundbüchern sind von Lübeck nur die baaren Auslagen zu erstatten, im übrigen tritt Befreiung von Stempelabgaben und Gebühren ein.
Art. IV. Die Verwaltung und die Unterhaltung des Kanals nebst Zubehör erfolgt durch die freie und Hansestadt Lübeck. 3
Die Kosten der Verwaltung und Unterhaltung des Kanals sind zunächst aus den Einnahmen für dessen Benutzung zu bestreiten, und
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soweit die letzteren nicht hinreichen, von eußen und Lübeck nach Maßgabe ihres Beitrags zu den Herstellungekosten aufzubringen. Uebersteigen die Einnahmen die Ausgaben, so ist der Ueberschuß nach den gleichen Grundsätzen zu vertheilen. .
rt. V. Hinsichtlich der tellung neuer Hafenanlagen, Brückenübergänge, Liege und Ladeplätze oder sonstiger, den Kanal und dessen Speisung berührender Anlagen bleibt die landespolizeiliche Fest⸗ stellung den Behörden des Landes vorbehalten, in dessen Gebiet die
Anlage. ausgeführt werden soll. Doch werden die beiderseitigen Re=
gierungen über die für folche Anlagen zu stellenden Bedingungen mit einander ins Benehmen treten. Art. VI. Die Anordnungen über die Benutzung des Kanals werden von den zuständigen Behörden nach vorausgegangenem Ein⸗ vernehmen der beiderseitigen Regierungen erlassen. We Befolgung der Anordnungen wird, soweit erforderlich, durch Strafandrohungen sichergestellt werden. ö .
ö. VII. Die Abgaben für die Benutzung des Kanals, sowie ö. . werden durch Vereinbarung der beiden Regierungen estgesetzt. ö VIII. Die Königlich preußische Staatsregierung wird zu den auf 22 54 009 6 veranschlagten Gesammtkosten des Unter- nehmens ein Drittel bis zum Höchstbetrage von 7 500 000 4 bei⸗ tragen. Auf diesen Beitrag soll die Summe von 600 000 M ange⸗ rechnet werden, welche für das Unternehmen von dem Kommunal⸗ verband des Kreises Herzogthum Lauenburg aufzubringen ist.
Von dem Kanalunternehmen und dem zu demselben gehörigen Grund und Boden sollen keine Staats⸗ oder Gemeindeabgaben er⸗ hoben, auch soll eine Besteuerung der Anlagen zu Gunsten der Ge⸗ meinden und sonstigen korporativen Verbände nicht zugelassen werden.
Art. IX. Die bisherigen Verpflichtungen Lübecks in Bezug auf die Unterhaltung der Stecknitz, des Delvenau⸗Grabens und der Delvenau, sowie der Schleusen. Brückenbauwerke und Uferbefestigungen an diesen Gewässern treten außer Kraft. .
ö . Wakenitz wird von Lübeck in bisheriger Weise schiffbar
erhalten.
Art. X. Dieser Vertrag tritt mit dem Tage der Auswechselung der Ratifikationsurkunden in Kraft. 6.
Dessen zu Urkund haben die beiderseitigen Bevollmächtigten den gegenwärtigen Vertrag unterzeichnet und ihre Siegel beigedrückt.
Berlin, den 4. Juli 1893. - Freiherr von Marschall.
TL. 8] 1 (L. S.) Krüger.
Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Gewährung eines Beitrags Preußens zu den Kosten der Herstellung des Elbe ⸗Trave⸗Kanals durch die freie und Hansestadt Lübeck.
S. 1. Zu den Kosten der Herstellung des Elbe ⸗Trave⸗Kanals durch die freie und Hansestadt Lübeck wird von Preußen ein Beitrag von einem Drittel der Gesammtherstellungskosten bis zum Höchstbetrage von 7 590 009 M unter der Voraussetzung gewährt, daß der Kreis Herzogthum Lauenburg die Summe von 600 5090 M beiträgt.
Diese Summe wird auf den Beitrag Preußens angerechnet.
§ 2. Der Finanz- Minister wird ermächtigt, den im §1 er⸗ wähnten Beitrag im Wege der Anleihe durch Ausgabe einer ent sprechenden Anzahl von Staats⸗Schuldverschreibungen aufzubringen.
Wann, durch welche Stelle und in welchen Beträgen, zu welchem Zinsfuß, zu welchen Bedingungen der Kündigung und zu welchem Kurse die Schuldverschreibungen verausgabt werden sollen, bestimmt der Finanz⸗Minister. . ;
Im übrigen kommer wegen Verwaltung und Tilgung der Anleihe und wegen Verjährung der Zinsen die Vorschriften des Gesetzes vom 19. Dezember 1869 (Gesetz⸗Samml. S. 1197) zur Anwendung.
Statistik und Volkswirthschaft.
Im Betriebsjahr 1892/93 auf den preußischen Staats bahnen vorgekommene Tödtungen und Verwundungen.
Im Jahre 1892/93 sind durch Unfälle der Züge während der Fahrt 2 Reisende getödtet und 127 verletzt worden (gegen das Vor⸗ jahr — 4 bez. 4 Sh), infolge eigener Unvorsichtigkeit beim Benutzen, Besteigen und Verlassen der Züge wurden T2 (— 1) Reisende getödtet und 32 (— 12) verletzt. Im ganzen wurden von je 1000000 beförderten Reisenden O, 7 (— G03) getödtet und O, 49 C CO, 19) verletzt. Von Bahnbeamten und Bahnarbeitern im Dienst wurden im Berichtsjahre durch Unsälle der Züge während der Fahrt 4 (— 10) getödtet und 181 (4 47) verletzt, auf andere Weise wur⸗ den 247 ( — 32) getödtet und 1212 (— 100) verletzt. Von Post⸗ Steuer⸗, Telegraphen , Polizei, und sonstigen im Dienst befindlichen Beamten wurden unverschuldet durch Unfälle der Züge im Berichts jahre 0 (- 1) getödtet und 16 (— 3) verletzt, infolge eigener Un⸗ vorsichtigkeit beim Besteigen und Verlassen der Züge oder beim Be⸗ treten der Bahn wurden 4 (4 1) getödtet und 5 (— 1) rerletzt. Von fremden Personen wurden unverschuldet durch Unfälle der Züge, bezw. durch falsche Handhabung der Ueber- gangsschranken 8 (4 2) getödtet und 6 (— 8) verletzt, infolge eigener Unvorsichtigkeit beim Betreten der Bahn wurden 132 (- 5) getödtet und 82 (— 13) verletzt. Die Gesammtzahl der so Ver⸗ unglückten betrug mithin 20982 gegen 2137 im Vorjahr. Außerdem sind im Berichtsjahr bei Nebenbeschäftigung 4 (4 2) Personen und 407 — 20 verletzt worden. Durch Selbstmord und Selbstmord⸗ versuche wurden 89 ( 29) getödtet und 23 (4 9) verletzt.
Zur Arbeiterbewegung.
Aus Stuttgart wird der „Köln. Ztg. telegraphiert, daß in der gestrigen Sitzung des dortigen Gemeindergths die Errichtung eines städtischen Arbeitsamts mit der Bestimmung beschlossen wurde, dc die Arbeitsvermittlung kostenfrei erfolgen soll.
In Leipzig fand gestern eine Versammlung von Arbeits losen statt, in der es einer Mittheilung des D. B. H. zufolge zu scharfen Auseinandersetzungen kam zwischen unabhängigen“ Sozial⸗ demokraten und Anhängern der Reichstagsfraktion.
Aus Frankfurt a. M. wird der „Köln. Ztg.“ geschrieben, daß die Sozialdemokraten auch dort den Versuch gemacht hätten, eine Bewegung der Arbeitslosen in Fluß zu bringen: Vor einigen Tagen wurde in einer Versammlung eine Er- klärung angenommen, welche die Einrichtung von Wãärmestuben, die unentgeltliche Verabreichung von Speisen und Unterkunft und Unterstützung aller arbeitslosen Arbeiter mit ihren Familien auf Kosten der Stadt verlangt. Die Forderungen wurden dem Magistrat überreicht. In einer weiteren Versammlung wurde die Antwort be⸗ sprochen. Der Zweite Bürgermeister hatte geantwortet, der Magistrat habe zur Prüfung der Frage einen Ausschuß eingesetzt. x
Hier in Berlin hielten die Arbeiter der mechanischen Schuhfabriken am Montag eine Versammlung ab, in der, wie der Vorwärts“ berichtet, zu der Lage des Ausstandes mitgetheilt werden konnte, daß der Inhaber der Firma Simonsohn u. Stern zu Ver- handlungen geneigt sei, die voraussichtlich ein für die Aus stãndigen günstiges Ergebniß haben würden. Bei der Firma M auff liege die Sache ungünstiger, da sich dort zahlreiche Arbeiter an Stelle der rer . gefunden hätten. 3 Aus Wien berichtet die Presse“:
Vor einigen Tagen haben in der Oesterreichischamerikanischen Gum mifabriks,-Aktien⸗ , in Breitensee über 400 Arbeiter die Arbeit ein⸗
gestellt. Von der Direktion der Fabrik wurden, als eine Warnung an die Arbeiter ohne Ergebniß blieb, die Feiernden am 22. d. M. entlassen. Infolge einer Ankündigung der Direktion, die die Arbeiter aufforderte, sich ju melden, versammelten sich Mittwoch früh vor 9 Uhr, 1309 big 2000 arbeite lose Personen vor dem Komtor der Gesellschaft in Wien. Die Sicherheitswache forderte die Leute zum Auseinandergehen auf, da die zur Aufnahme bestimmte Anzahl der Arbeiter schon erreicht war. Die Arbeitslosen leisteten der Aufforderung Felge.