1894 / 33 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 07 Feb 1894 18:00:01 GMT) scan diff

Staatssekretãär Dr. von Boetticher:

Wenn der Herr Abg. Dr. Schönlank im Eingang seiner Aus⸗ führungen darüber geklagt hat, daß die Enqueêten, wie wir sie an⸗ stellen, nicht dem Muster der englischen Enquéten entsprechen und daß sie u. a. um deswillen mangelhaft sind und bleiben, weil sie nicht wie diese Enqusten unter voller Oeffentlichkeit vor⸗ genommen werden, so möchte ich ihm darauf doch er⸗ widern, daß man eine Enquste zu einem bestimmten Zwecke vornimmt, und zwar zu dem Zweck, daß man die realen Zustände auf einem Gebiet, das man klarstellen will, feststellt. Dazu kann man ganz gewiß ein sehr verschiedenartiges Verfahren einschlagen: man kann sie öffentlich vornehmen, man kann sie hinter verschlossenen Thüren vornehmen. Die Hauptsache dabei ist aber immer die, daß der Zweck erreicht wird, daß man eine vollständige Kenntniß der be⸗ stehenden Zustände erlangt; und in dieser Beziebung, glaube ich, haben die Enqusten, die wir angestellt haben, auch ohne daß fie unter Oeffentlichkeit stattfanden, alles erfüllt, was man billiger Weise von ihnen erwarten kann. Es ist nach keiner Richtung hin der Nachweis geführt worden oder auch nur zu führen, daß um deswillen, weil sie nicht nach dem englischen Muster vorgenommen sind, unsere Enqueten in ihrem Ergebniß mangelhaft geblieben seien.

Die beiden Herren Vorredner haben nun eine ganze Reihe von Wünschen bezüglich der Statistik ausgesprochen, und sind u. a. übereinstimmend der Meinung, daß die Reichs ⸗Statistik durch die Aufnahme von Gebieten, die bisher der Landes⸗Statistik anheimgefallen sind, erweitert werden müsse. Meine Herren, ich glaube, der Grundgedanke bei der Abgrenzung der Be⸗ fugnisse der statistischen Reichsbehörde ist der gewesen, daß man in den Kreis ihrer Thätigkeit alle diejenigen Gebiete gezogen hat, welche einmal überhaupt statistischer Erörterung bedürfen und statistischer Erörterung fähig sind und welche sodann nach der Ver⸗ fassung der Reichskompetenz unterliegen. Nun ist ja damit durchaus nicht ausgeschlossen, daß man unter Festhaltung dieses Grundsatzes solche statistische Fragen, deren Behandlung den partikularen statistischen Organen anheimfällt, auch von Reichswegen bearbeitet. Aber ich glaube, man wird das berechtigter Weise doch immer nur dann thun können, wenn man mit einer solchen Zentralisierung einen Reichszweck verfolgt. Stelle ich mich beispielsweise vor eine Reichsfinanzfrage, und kann ich sie nicht anders lösen als dadurch, daß ich die Finanzstatistik der Einzelstaaten vor Augen habe und sie einer Bearbeitung unterziehe, so ist es unzweifelhaft, daß das Statistische Reichsamt auch diese Aufgabe zu lösen hat, obwohl die Finanzstatistik, soweit sie sich auf dem Gebiete der Einzelstaaten bewegt, nicht der Reichskompetenz unterliegt. Ganz klar wird die Sache, wenn wir die Unterrichts statistik betrachten. Das Unterrichtswesen gehört nicht dem Reich an, es ist Landessache. Es ist also a priori Aufgabe des Kaiserlichen Statistischen Amts, eine Unterrichtsstatistik für das Gebiet des Reichs aufzumachen. Damit wird aber keineswegs ausgeschlossen sein, für einen bestimmten reichsgesetzgeberischen Zweck, bei dem man eine Kenntniß des Unterrichtswesens im Reich haben muß, die Arbeit des Kaiserlichen Statistischen Amts in Anspruch zu nehmen. In dieser Beziehung, glaube ich aber, müssen wir uns an ganz konkrete Fragen halten. Wir müssen untersuchen: liegt hier ein Reichsinteresse oder Reichszweck vor? und wenn wir das finden, steht nichts im Wege, das Statistische Amt mit solchen Auf⸗ gaben zu befassen.

Was nun die Bemerkungen des Herrn Abg. Dr. Schönlank darüber anlangt, daß die Bevölkerungsstatistik von seiten des Statistischen Amts zu summarisch behandelt werde, so ist mir eigent⸗ lich nicht recht klar geworden, welche Wünsche er in dieser Beziehung eigentlich hat; denn wenn ich die Arbeiten des Statistischen Amts auf diesem Gebiet perlustriere, so finde ich, daß billigen Ansprüchen durchaus genügt ist. Aber ich bin bereit, alles das, was in dieser Beziehung noch an Wünschen übrig sein sollte, der Erwägung des Statistischen Amts zu unterstellen; und wenn man sich von einer weiteren Spezialisierung, als bisher bei diesen Arbeiten beliebt worden ift, irgendwelchen Nutzen verspricht, so wird das Statistische Amt es nicht fehlen lassen, den Wünschen zu entsprechen.

Was die Berufẽsstatistik anlangt, so haben auch wir das Be⸗ dürfniß empfunden, daß eine neue Berufsaufnahme gemacht werden müsse. Es hat schon vor der heutigen Verhandlung im Reichsamt des Innern eine Berathung darüber stattgefunden, bei der wir, wenn sie auch noch nicht abgeschlossen ist, doch zu dem vorläufigen Er⸗ gebniß gekommen sind, welches der Herr Vorredner bereits berührte, daß man diese Berufẽsstatistik mit der nächsten Volkszählung wird verbinden müssen.

Allerdings, meine Herren und diese Bemerkung, die ich jetzt hier mache, bezieht sich auch auf das, worauf uns der Herr Abg. Dr. Hasse hinwies bezüglich der Erweiterung des Fragebogens, den wir bei der letzten Volkszählung herausgegeben haben wir stoßen dabei immer auf einen gewissen Widerspruch der Auffassung zwischen den Herren vom Fach, den Statiftikern, und zwischen den Herren der Verwaltung, der Administration, und auch zwischen den Organen im Lande, deren wir uns ja nothwendiger Weise bedienen müssen, wenn wir überhaupt zu einem Resultat kommen wollen. Die Neigung darüber dürfen wir uns nicht täuschen statistische Aufnahmen zu erweitern, ist im Lande erschrecklich gering; und man pflegt in der Regel, wenn es sich um neue statistische Aufnahmen handelt, bei denen die ganze Bevölkerung betheiligt ist, darüber zu klagen, daß schon wieder der Berölkerung eine neue statistische Aufnahme zugemuthet wird, von der sie den Zweck nicht einsehen kann. Noch mehr aber als der Staatsbürger, der ja erst in letzter Stelle bei einer statistischen Aufnahme zu leiden hat, pflegen in der Regel die untersten Organe der Landesverwaltung zu klagen, besonders die Ortsvorsteher auf dem Lande und die Beamten, die bei solchen Aufnahmen Hilfe zu leisten haben. Das sind auch Stimmungen, mit denen wir rechnen müssen, und die uns bei der Frage, wie ein solcher Fragebogen für die Bevölkerungestatistik aufzustellen ist, doch auch dazu führen müssen, die Fragebogen möglichst zu beschränken, und neue Fragen nur dann aufzunehmen, wenn wir uns davon überzeugt haben, daß es im Interesse irgend welchen öffentlichen Zwecks erforderlich ist.

Ich werde aber auch diese Anregung demnächst es wird ja in diesem Jahre oder im Anfang des nächsten Jahres zu der Feststellung des Fragebogens übergegangen werden der Erörterung unterziehen.

Abg. Schönlank (Soz.): Die Statistiker und die National- ökonomen aller Parteien sind über die Mustergültigkeit der englischen Enquéeten einig. Eine parlamentarische Enquète unterscheidet sich von

einer d amtlichen Enquẽte wie das öffentliche von dem geheimen Mili * hren. r Enquẽte ohne kontradiktorisches Ver⸗ ahren ist ein Unsinn. Wenn in einer deutschen Enquete der Abg. iherr von Stumm und seine Arbeiter zusammensitzen, so wird der Arbeiter des Abg. Freiherrn von Stumm mit seiner Meinun nicht d, Die . Form der Statistik ist die mit Frage⸗ en arbeitende; die beabsichtigte Ausdehnung dieser Form der Auf⸗ ahme können wir daber nicht gutheihen. Die Bevölkerungsstatistik wünsche ich allerdings zentralisiert; bisher muß sich das Reichsamt mit dem von den Landesbehörden ermittelten Ergebnisse des von ihnen verarbeiteten Urmaterials begnügen. Daß in Deutschland eine gewisse Zahlenscheu herrscht, erklärt sich doch ganz einfach daraus, daß sich zwischen Regierung und Volk eine Mandarinen⸗Bureaukratenwirthschaft eingedrängt hat, die dem Volk alle Lust zu eigener Arbeit benimmt; schaffen Sie diese weg, dann werden Sie nicht nur eine bessere Sta⸗

tistik, sondern auch bessere soziale und politische Zustände haben. Abg. Dr. Hasse 96 glaubt auch nicht, daß die Bevölkerung durch die statsstischen Aufnahmen sich belästigk fühlt oder später

fühlen werde. . . Bei der Position für die Bureaubeamten des Statistischen

Amts verlangt der . Abg. Dr. Förster · Neustettin (8. Rfp.) ein gleichmäßigeres Aufrücken der Beamten in den Dienstaltersstufen durch die ge⸗ sammten Verwaltungsressorts. . . Die Ausgaben für das Statistische Amt werden genehmigt. Beim Kapitel ‚Normal⸗Aichungs⸗Kommission“ lenkt der Abg. Lenzmann (fr. Volksp.) die Aufmerksamkeit des Hauses auf die bei dieser Behörde, wie beim Gesundheits. und Reichs⸗ Versicherungsamt, sowie bei der Physikalisch⸗technischen Reichsanstalt angestellten technischen Hilfsarbeiter, die trotz ihres Charakters als ren Beamte de jure und de facto nach wie vor als Subaltern⸗

beamte behandelt werden. Bei der letzten Kaiser⸗Geburtstagsfeier habe man ihnen nur gestattet, die Feier im Verein mit den anderen Subalternbeamten, den Sekretären und Kanzlisten, zu begehen. Die Betreffenden seien durchweg akademisch gebildet und verdienten eine Rangerhöhung unbedingt.

Staatssekretär Dr. von Boetticher:

Meine Herren! In der Anerkennung für die Leistungen der technischen Hilfsarbeiter im Ressort des Reichsamts des Innern kann ich dem Herrn Vorredner nur beitreten; und mir als dem Chef des Ressorts liegt es gewiß fern, einen Anlaß zu berechtigter Kränkung dieser Beamten zu geben. Allein so sehr ich mir auch den Kopf darüber zerbrochen habe, worin eigentlich der Grund liegt, daß die Herren sich verletzt fühlen über die Rangierung, die sie im Etat gefunden haben, so habe ich doch diesen Grund nicht entdecken können; und auch aus den Ausführungen des Herrn Vorredners ist mir die Ueberzeugung geworden, daß es eine unberechtigte Empfind⸗ lichkeit ist, von der die Herren bei ihrer Petition ausgegangen sind. Es sind übrigens keineswegs alle technischen Hilfsarbeiter, die meinem Ressort angehören, dazu übergegangen, sich zu beschweren; die tech⸗ nischen Hilfsarbeiter einzelner Behörden haben sich davon durchaus fern gehalten.

Als im vergangenen Jahre diese Frage in der Budgetkommission zur Sprache kam, habe ich geglaubt, daß man jedem Schein einer Berechtigung zur Empfindlichkeit vorbeugen könne, wenn man für diese technischen Hilfsarbeiter, wie jetzt geschehen, eine besondere Zeile in der betreffenden Etatsposition auswirft. (Hört! hört! rechts.) Ich bin in dieser Auffassung nicht allein geblieben; auch die über⸗ wiegende Mehrzahl der Mitglieder der Budgetkommission hat sie ge⸗ theilt und hat auch geglaubt, daß nun Frieden im Lande wäre. Jetzt wird wieder darüber geklagt, daß diese besondere Zeile nicht eingefügt ist in die voranstehende Nummer des Etats, sondern daß sie immer noch in derjenigen Nummer steht, welche die Bureau⸗Vorsteher, die mittleren Beamten und die Unterbeamten begreift.

Nun will ich dem Herrn Vorredner bemerken, daß der Begriff Subalternbeamter in der Reichs⸗Dienstpragmatik überhaupt nicht existiert. Wir kennen höhere Beamte, mittlere Beamte und Unter⸗ beamte. Die technischen Hilfsarbeiter nehmen ganz unzweifelhaft eine Mittelstellung zwischen den höheren und mittleren Beamten ein. Man kann sie vermöge der etatsmäßigen Rangierung, die sie be⸗ kommen haben, zu den höheren Beamten nicht rechnen; unzweifelhaft aber sind sie auch nicht zu den mittleren Beamten zu zählen, obwohl sie denselben Etatssatz haben, wie diese mittleren Beamten.

Nun frage ich, meine Herren, wenn man dem Wunsche Rechnung tragen wollte, was würde damit gewonnen sein? Dann könnten sofort die Bureauvorsteher kommen und sagen: was den technischen Hilfs⸗ arbeitern recht ist, ist uns billig; Ihr habt uns in eine Position mit dem Haus⸗ und Laboratoriumdiener zusammengeworfen; zwischen uns und diesem ist aber doch sozial gewiß noch ein sehr viel erheblicherer Unterschied, als zwischen den technischen Hilfe— arbeitern und uns! Und da frage ich Sie: wohin soll denn das führen? da müßten wir eine jede Beamtenkategorie in eine besondere Position des Etats bringen. Was sollte das wohl für einen Zweck haben? Darüber, daß die se Herren in die Gehaltsstufe eingereiht sind, der sie angehören, beschwert sich keiner von ihnen; sie begehren nicht eine Erhöhung des Gehalts, sie sagen nur: uns wird vermöge der Rangierung, die hier vorgenommen ist, nicht die Rücksicht zu theil, die wir vermöge unserer Ausbildung und vermöge unserer amtlichen Wirksamkeit fordern können. Ja, meine Herren, wird denn dadurch irgend etwas geändert, daß im Etat eine besondere Nummer für die Herren ausgewiesen wird? (Sehr richtig!), absolut nichts!

Und wenn der Herr Vorredner der Meinung gewesen ist, daß die Herren sozial nicht so behandelt würden, wie sie es vermöge ihrer Ausbildung verlangen können, so bemerke ich hier zunächst in Parenthese, daß keineswegs Alle akademisch vorgebildete Herren sind. Wir haben Herren aus dem Lehrerstande und zwar seminaristisch vor⸗ gebildete Lehrer, wir haben auch Subalternbeamte, mittlere Beamte, die dazu aufgerückt sind. Eine Klage über die soziale Stellung ist nach den mir gewordenen Mittheilungen durchaus unberechtigt. Es ist beispielsweise, wie mir eben vom Chef des Gesundheitsamts gesagt wird, bei dieser Behörde rücksichtlich der sozialen Stellung absolut kein Unterschied zwischen den Mitgliedern und den technischen Hilfe⸗ arbeitern.

Also, ich bin der Meinung, daß durch das, was die Herren an⸗ streben, in ihrer Stellung absolut nichts geändert wird, und daß schon um deswillen kein Grund vorliegt, ihrer Petition nachzugeben, weil, wie mir scheint, die Empfindlichkeit, die sie zur Schau tragen, durch ihre etatsmäßige Behandlung wirklich absolut nicht gerechtfertigt wer⸗ den kann. Ich bin deshalb nicht der Meinung, daß man diesem Wunsche nachgeben soll, und bitte, es bei der Fassung zu lassen, wie sie in dem Etat Ihnen vorgelegt ist.

Abg. Singer (Soz): Die Frage beschäftigt die Budgetkommission schon lange. Die Ausführungen des Abg. Lenzmann erinnerten doch recht lebhaft an das chinesische Parlament; es machte fast den Eindruck,

mehr zu bewilligen. Die Ctatsaufstellung kann doch nicht dazu benutzt werden, einen Unterschied in der Werthschätzung und sozialen der einzelnen Beamten zu statuieren. Solche Velleitãten noch durch den Reichstag zu begünstigen, würde dem demokratischen Gefühl der Gleichheit diametral entgegenstehen. ; .

Abg. Dr. Dam macher (nl) tritt für die Forderung der technischen ilfsarbeiter ein. Welcher Sturm der Entrüstung würde im preußischen

bgeordnetenhause entstehen, wenn die Regierung behaupten wollte, die Regierungs- und Gerichts- Assessoren, die als Hils e, in den einzelnen Verwaltungs weigen fungierten, seien mittlere Beamte! Der Widerstand gegen die Forderung der Techniker sei ein Ausfluß der ver⸗ derblichen Gewöhnung unserer e, . den akademisch gebildeten Techniker zurückzusetzen hinter den Juristen. Unter diesen Hilfsarbeitern befänden sich Leuchten der Wissenschaft; bedauerlich sei, daß man sie als mittlere Beamte im Sinne der bureaukratischen Auffassung in dem System der Dienstalterszulagen untergebracht hat.

Staatssekretär Dr. von Boetticher:

Der Herr Vorredner hat die Sache auf eine andere Leiste ge⸗ bracht, wie der Herr Abg. Lenzmann. Der Herr Abg. Lenz⸗ mann wünschte, daß im Etattext für die technischen Hilfsarbeiter eine besondere Nummer in Aussicht genommen werde, und der Herr Abg. Hammacher beschwerte sich darüber, daß in der Denkschrift über die Durch⸗ führung des Dienstalterszulagensystems diese technischen Hilfsarbeiter unter die Rubrik der mittleren Beamten gebracht sind. Nun, meine Herren, was diese Denkschrift anlangt, so hat dieselbe ja nur eine vorüber⸗ gehende Bedeutung. Wenn das Dienstaltersstufenspstem durch⸗ geführt ist, verliert diese Denkschrift jede Bedeutung. Man hat die technischen Hilfsarbeiter hier einfach um deswillen aufgenommen, weil sie ganz dasselbe Gehalt beziehen wie diejenigen Beamten, für die jetzt die Durchführung des Dienstaltersstufensystems in Aussicht genommen ist. Nun frage ich Sie, meine Herren, wenn wir sie in dieser Denkschrift übergingen und sie erst im nächsten Jahre mit den höheren Beamten zusammen in das Dienstaltersstufen⸗System hineinbezögen, ändert sich durch eine solche Maßregel auch nur das Leiseste bezüglich der amtlichen, sozialen und politischen Stellung dieser Beamten? Doch nicht das Mindeste! (Sehr richtig! rechts) Wenn man also darüber Beschwerde führt, daß diese Beamten mit sogenannten Sub⸗ alternbeamten, mit mittleren Beamten zusammengeworfen sind ja,

meine Herren, so mache ich darauf aufmerksam: Das ist kein Unikum in

unserem Etat. Z. B. steht der Feldpropst der Armee, der Armee⸗Bischof mit sämmtlichen Divisions⸗Küstern unter einer Rubrik, und ich habe noch nie gehört, daß sich ein Divisions⸗Küster darüber beschwert hat, oder gar der Feldpropst. Dieselbe Sache ist es mit den Korps. Auditeuren. Dieselben stehen unter einer Ziffer mit den Gerichtsboten am Gou⸗ vernementsgericht in Berlin (Zuruf) und mit 11 Aktuarien. Sind das keine subalterne Beamte? Die stehen mit den Divisions—⸗ Auditeuren unter einer Nummer. Nun frage ich Sie, ist schon deswegen jemand auf die Idee gekommen, daraus eine schlechte Behandlung der Divisions ⸗Auditeure konstruiren zu wollen, daß sie unter einer Nummer mit den Aktuarien und mit den Boten des Gouvernements⸗ gerichts stehen? Nein, meine Herren, darin gehen Sie zu weit! Zuruf.) Aber der Herr Abg. Lenzmann hat es gethan, und der Herr Abg. Hammacher hat aus der Thatsache, daß nach der Denk⸗ schrift über die Durchführung des Dienstaltersstufensystems bei den Beamten auch die technischen Hilfsarbeiter einbegriffen sind, eine Ver⸗ letzung der Ehre der technischen Hilfsarbeiter herleiten wollen. Eine solche liegt in keiner Weise vor.

Abg. Dr. Förster⸗Neustettin (d. Rfp.) tritt den Ausführungen des Abg. Dr. Hammacher bei. Redner verweist darauf, daß die Trigonometer schon nach 15, die hier in . stehenden technischen Hilfsarbeiter erst mit 21 Dienstjahren das Höchstgehalt erreichen.

Königlich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, Direktor im Reichs -Schatzamt. Wirklicher Geheimer Rath Aschenborn entgegnet, daß diese Differenz in den verschiedenen Altersgraden der beiden Kategorien bei der festen Anstellung und in der verschiedenen Art der amtlichen Funktionen begründet ist.

Abg. Lenzmann (fr. Volksp.): Der Schwerpunkt der Demokratie liege darin, das Rechte an jeder Stelle schaffen zu wollen. Da im Deutschen Reiche verschiedene Stände vorhanden seien, müsse er es für ein Unglück erachten, wenn jemand nicht in die richtige Stelle einrangiert wird. Wenn der Staatssekretär Dr. von Boetticher diese Beamten zwischen die höheren und mittleren Beamten einschiebe, fo arbeite doch er, nicht der Redner, an der Ausdehnung des Man darinenstaats. Die Parallele mit den Auditeuren und dem Feldpropst sei durchaus unzutreffend.

Staatssekretär Dr. von Boetticher:

Um den Herrn Vorredner vollständig zu beruhigen, will ich an— führen, daß wir im Reich noch keine Rangordnung haben, und sich daher jeder Beamte dazu zählen kann, wozu es ihm beliebt. (Sehr gut! links.) Das heißt: für sich. (Große Heiterkeit.)

Sodann habe ich darauf hinzuweisen, daß diese Beamten, deren warmer Vertreter der Herr Abg. Lenzmann geworden ist, ausdrücklich durch einen höheren Wohnungsgeldzuschuß sich von den mittleren Be⸗ amten, den Subalternbeamten unterscheiden. Also was fehlt ihnen zu ihrem Glücke? (Heiterkeit; Nur das eine, daß sie nicht eine besondere Nummer im Etat haben. Und da komme ich wieder darauf zurück: ich verstehe diesen Schmerz nicht.

Abg. Möller (ul.) bedauert, daß die von dem Abg. Dr. Ham⸗ macher und ihm in der Budgetkommission gegebene Anregung, diesen Beamten eine äußerlich bessere Stellung im Etat anzuweisen, nicht durchgedrungen sei. Er habe hauptsächlich dabei im Auge gehabt, den Nachwuchs für diese wichtige Stelle in genügendem Maße zu interessieren.

Der Titel wird bewilligt.

Beim Kapitel „Gesundheitsamt“ bemerkt der

Abg. Prinz zu Schöngich-Carolath (nl): Im vorigen Jahre sind zwei Petitiönen, betreffend die Zulassung der Frauen zum medizinischen Studium dem Reichskanzler überwiesen worden, und es wurde gleichzeitig eine Resolution vorgeschlagen, welche die Ertheilung der Approbation als Arzt an Frauen betraf. Von dem Schicksal der Petitionen haben wir seitdem nichts mehr gehört. Freilich ist der Zeitpunkt zur erneuten Besprechung dieser Frage nicht sehr glücklich gewählt; wenn schon die vorhandenen studierten Aerzte schwer unter der Noth der Zeit zu leiden haben, sollte man den Stand nicht noch mehr mit den weiblichen Aerzten belasten. Aber andererseits ist diesen Bestrebungen in der letzten Zeit soviel Theilnahme und Förderung geworden, daß es nicht unangebracht erscheint, darauf zurück= zukommen. Namentlich auf konservativer Seite ist eine vollständige Wandlung der Anschauungen eingetreten. Seit November 1893 sind hier in Berlin Gymnasialkurse für Frauen eingerichtet; sie werden aus Privatmitteln unterhalten, da man von Reichswegen nichts dafür thun zu können erklärte und uns an die Einzel-Landtage verwies, wo bisher direkt noch nichts geschehen ist. In Baden hat man einen anderen Weg eingeschlagen. Es nützt aber alles nichts, wenn nicht das Reich nachher die Ausübung der ärztlichen Praxis den Frauen gestattet. Deshalb sollte der Bundesrath jener Resolution oder viel⸗ mehr dem Verlangen derselben sich wohlwollend gegenüberftellen und rechtzeitig eingreifen, damit die Frauen, die sich auf den ärztlichen Beruf vorbereiten können, wissen, woran sie nachher

als ob es sich darum handelte, für einen Beamten einen Knopf

sind, wenn sie ihre Studien beendet, ihre Examina abgelegt

baben. Auch sollte man etwa die Reichs⸗Universitãt Straßburg für das ärztliche Studium den Mädchen öffnen. Wir wollen keine Frauen. emanzipation, aber wir wollen den weiblichen Personen, die den Muth und die Gaben besitzen, auf diesem Wege sich und den Ihrigen eine Eristenz zu schaffen, den Weg dazu nicht verschränken.

den Vereinigten Staaten fungieren bereits über 3006 Frauen als Aerzte; in England sind 150 figh schools derfelben Art, wie in Berlin sich erst ein schwacher Anfang zu einer einzigen findet. Im übrigen ist dort den Frauen der Zutritt zu sämmtlichen Uni dersitäten gestattet. Auch in Frankreich ist die Nothwendigkeit der Läsung dieler Frage anerkannt. In Italien hat Bonghi kurz vor seinem Sture die Universitäten den Frauen geöffnet, und in Rußland ist dies bezüglich der Universitäten zu St. Petersburg, Moskau, Kiew und Kafan geschehen. Selbst Seine Majestät der Sultan hat neuerlich eine ähnliche Verfügung erlassen. Immer größer, immer allgemeiner wird das Interesse, das die Nation dieser Frage zuwendet; öffnen Sie uns die Thore des Reichs! Es gilt hier, einen alten Zopf abzuschneiden!

Staatssekretär Dr. von Boetticher:

Die Thüren des Reichsamts des Innern stehen dem Herrn Vor⸗ redner jederzeit offen, und das Reichsamt des Innern ist auch bereit, alte festgewachsene Zöpfe abzuschneiden. Nur fragt es sich dabei immer: wo sitzen diese Zöpfe? und ist das Reichsamt des Innern in der Lage, ihnen beikommen zu können?

Ich kann im allgemeinen, was die von dem Herrn Vor⸗ redner so warm vertretene Angelegenheit anlangt, auf das verweisen, was ich im vorigen Jahre erklärt habe. Der Standpunkt, den ich damals eingenommen habe, ist auch bej weiterer Betrachtung durch nichts erschüttert worden. Das Reich kann auf dem Gebiete nach der Richtung hin, die der Herr Vorredner verfolgt, nicht helfen. Denn reichsrechtlich besteht absolut kein Hin⸗ derniß für die Zulassung von Personen weiblichen Geschlechts zur Ausübung der Heilkunde, und meines Erachtens auch nicht für ihre Zulassung zur Ausübung des Heilgewerbes mit der Bezeichnung als Arzt. Die Gewerbeordnung schreibt in § 29 vor, daß eine Approbation, welche auf Grund eines Nachweises der Befähigung ertheilt wird, Personen bedürfen, welche sich als Arzt oder mit einem gleichlauten⸗ den Titel bezeichnen wollen. Es ist hier kein Unterschied gemacht zwischen weiblichem und männlichem Geschlecht, und es ist mir ganz außer Zweifel, daß, wenn heute eine Frau käme, ausgerüstet mit der Erfüllung der Vorbedingungen, welche für die Erlangung der Arprobation vorgeschrieben sind, nach dem Wortlaut des 29 die Behörden nicht in der Lage wären, die Approbation um deswillen zu verweigern, weil der betreffende Bewerber eine Frau ist.

Also, was sollen wir thun? Weder nach der Gewerbeordnung noch nach den Vorschriften, die der Bundesrath auf Grund der Ge— werbeordnung erlassen: hat, ist die Zulassung zur ärztlichen Praxis, die Zulassung zur Erwerbung der Approbation von dem Geschlecht abhängig. Jetzt wird es beklagt, daß der ärztliche Beruf zur Zeit noch von so wenig Frauen ergriffen wird; man wünscht den Frauen förderlich zu sein, und wenn in diesem Bestreben, über dessen Berechtigung ich mich heute garnicht äußern will, ich will überhaupt über die Frage, ob es sozial und wirthschaftlich richtig ist, die Frauen in größerer Zahl zum ärztlichen Berufe heranzuziehen, mich durchaus nicht auslassen ich sage: wenn in diesem Bestreben weitere Fortfchritte gemacht und auf diesem Gebiete die Hindernisse

überwunden werden sollen, die bis jetzt noch bestehen, so ist das nur auf dem Wege zu erreichen, daß dem weiblichen Geschlecht die Er— füllung der Vorbedingungen für die Erwerbung der Approbation er— möglicht wird; also, daß es ihnen ermöglicht wird, dem ärztlichen Studium auf einer deutschen Universität obzuliegen, und daß es ihnen vorab ermöglicht wird, das Zeugniß der Gymnasialreife zu erhalten. Der Herr Vorredner hat bereits an die Versuche, die auf diesem Gebiet thatsächlich unternommen sind, erinnert. Es besteht hier in Berlin bereits eine Anstalt, auf der weibliche Personen die Gymnasialreife sich erwerben können; soviel ich weiß, ist eine ähn⸗ liche Anstalt in Karlsruhe vorhanden, und wenn die Bemühungen auf dem Gebiete fortgesetzt werden, zweifle ich garnicht daran, daß auch noch in anderen deutschen Ländern ähnliche Anstalten, die dazu dienen, weiblichen Personen die für das medizinische Studium erforderliche Schulvorbildung zu verschaffen, errichtet werden. Aber was soll das Reich dazu thun? Wenn wir jetzt in den 5 29 der Gewerbe—⸗ ordnung, um jeden Zweifel darüber auszuschließen, ob Frauen als ‚Arzt‘ approbiert werden können, vielleicht hinter das Wort Personen“ in Parenthese schreiben männliche und weibliche“! Parenthese geschlossen was würde damit gewonnen sein? Daraus würde noch nicht die Verpflichtung für die Einzelstaaten sich ergeben, auf dem Gebiet der Gymnasialvorbildung und des Universitätsstudiums Einrichtungen zu treffen, welche die Frauenwelt befähigen, zur ärzt⸗ lichen Praxis sich approbieren zu lassen. Also das Reich würde auf dem Wege dieser allein zulässigen Aktion die Sache auch noch nicht einen Schritt gefördert haben.

Wenn der Herr Vorredner weiter vorgeschlagen hat, man möge doch eine Reichs -Universitãt begründen (Zuruf) da habe ich den Herrn Vorredner mißverstanden. Aber Straßburg ist keine Reichs⸗ universität, sondern eine Landesuniversität, und wenn der Herr Vor⸗ redner in dieser Beziehung Wünsche hat, so muß er sich an die Unter⸗ richtsverwaltung der Reichslande wenden, aber nicht an meine Adresse. Ich kann ihn also nur wiederholt darauf verweisen: Alles was in der Richtung seiner Wünsche geschehen kann, muß auf dem Gebiete der landesgesetzlichen und landesadministrativen Regelung geschehen; das Reich kann hier, meiner Ueberzeugung nach, nichts thun, es müßte denn, was auch bereits angeregt ist, nach der anderen Seite hin deklaratorisch den etwa aus 8 29 sich ergebenden Zweifel dahin erledigen, daß die Approbation als „Arzt ausschließlich für die . vorbehalten wird, und das wird der Herr Vorredner nicht ollen.

Im übrigen haben ja auch schon verschiedene Frauen bei uns Eingang in die Praxis gefunden; es sind das sehr geschätzte Damen, die auch eine recht gute Praxis haben. Es fehlt also nur noch das

eine, daß ihnen bisher die Approbation auf Grund ihrer im Ausland

erhaltenen Vorbildung nicht zugänglich ist. Diesen Weg zu eröffnen, dazu kann aber zu meinem Bedauern das Reich nicht beitragen.

Abg. Dr. Lan gerhans (fr. Volksp.): Es könnte doch von seiten

. n,. viel geschehen, um die Sache zu fördern, wenn man dies 6 666 will. Nähmen wir die Aenderung in die Gewerbeordnung uuf das Geschlecht kein Hinderniß für die Erlangung der Appro— 6 ist, so wäre damit schon viel gewonnen. ir wollen der

. überhaupt die Zulassung zum akademischen Studium ermög— ö. . ok, sie sich gerade zu Nerzten eignet, laäffe ich dahingestellt. 9 ö. Lehrfach eignen sich doch die Frauen ganz außerordentlich. ne Ueberhandnahme der Frauen als ichter, Bürgermeister und

Aerzte wird nicht vorkommen, denn vorläufig heirathen die Frauen r nr es handelt sich hier einfach um eine Forderung 6 Ge⸗

za. Prinz zu Sch nach, Garolath (l): Die Universttät Straßburg ist doch eine Reichsuniverfitäͤt, keines Cinzelstaates, da könnte dech der Bundesrath als solcher eine Anregung geben, ob nicht hier der Zulassung der Frauen zum medizinischen Studium näher⸗ getreten werden kann. ö 46. Rickert (fr. Vg): Es wird doch wohl nichts Anderes übrig bleiben, als in Preußen sich an den Kultus⸗Minister zu wenden. Weiter uns mit der Frage zu befassen, wird bei der Verhand— lung der bezüglichen Petition Gelegenheit geboten werden.

Abg. Wurm (Soz.) beschwert sich darüber, daß noch immer keine genügenden Methoden zur Denaturierung des Spiritus eingefũhrt sind, obwohl das Kaiserliche Gefundheitsamt über die Ausführung dieser technischen Arbeit zu wachen hat und Tausende von Arbeitern unter den schädlichen, ja lebensgefährlichen Dämpfen der bisher zur Dena— turierung benutzten Pyridinbasen fortgesetzt zu leiden haben. Redner fragt, wie weit die Versuche, bessere Methoden zu finden, gediehen feien.

Direktor des Kaiserlichen Gesundheitsamt Dr. Köhker erwidert, daß Versuche zwar immer noch angestellt werden, aber bisher ein? ganz zufriedenstellende Methode noch nicht gefunden ist. Die Fabrik. Inspektoren hatten sich übrigens fämmtlich dahin erklärt, daß gesundheitsschädliche Wirkungen des Pyridins nicht festgestellt mort] fg 6d f

g. röder (fr. Vg); In der Frage der Zulassung der Frauen zum Arztberuf wird thatsächlich mit Erfolg nur bei den lin. staaten einzusetzen sein; und in dieser Beziehung un die Sachen auch bereits in erfreulichem Fluß. Die Unterrichtsverwaltungen werden schließlich ebenfalls der Sache sich günstiger zeigen müssen. Auch in Preußen ist schon einiges Entgegenkommen zu verspüren.

Abg. Dr. Langerhans (fr. Volkẽp.) tritt für die endliche Ein⸗ führung einer obligatorischen Leichenschau ein.

Staatssekretär Dr. von Boetticher:

Ich hoffe, daß der Herr Vorredner nicht mehr solange wie bisher auf die Erledigung dieser gesetzgeberischen Aufgabe wird warten müssen. Ich muß übrigens die Königlich preußische Regierung in Schutz nehmen wegen des Vorwurfs, daß sie an der Verzögerung schuld sei. Die Sache liegt so, daß die preußische Regierung vor einiger Zeit aus eigener Initiative die Anregung beim Reich gegeben hat, daß man aus verschiedenen Gründen, die ich hier nicht weiter, noch dazu zu so später Stunde enkwickeln möchte, die Sache zurückgelegt hat, bis das Reichs⸗-Seuchengesetz verabschiedet ist, um nicht das Reichs⸗Seuchengesetz durch diese Frage noch zu komplizieren. Ich kann aber dem Herrn Vorredner versprechen, daß wir sofort, nachdem das Reichs ⸗Seuchengesetz verabschiedet sein wird, an die Er— ledigung auch dieser Materie herantreten werden.

Abg. Zub eil (Soz): Der Direkter des Kaiserlichen Gesundheits amts bezieht sich auf die Zeugnisse der Fabrikinspettoren, um die Unschäd— lichkeit des mit Pyridin denaturierten Spiritus nachzuweisen. Er sollte nur die Krankenkassenärzte Berlins fragen, da würde er andere Antworten erhalten, Die Möbelpolierer hätten ganz erheblich unter dieser Sorte von Spiritus zu leiden. Wenn eine ordentliche Dena⸗ turierungsmethode nicht aufgefunden werden könne, solle doch die Regie⸗ rung auf die Unterscheidung verzichten.

Das Kapitel wird bewilligt.

Gegen 5 / Uhr wird die weitere Berathung vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

10. Sitzung vom 6. Februar 1894.

Im weiteren Verlauf der ersten Berathung des 966 entwurfs über die Landwirthschaftskammern ssiehe ben Anfangsbericht in der Dienstags⸗Nummer d. Bl) nimmt nach dem Abg. Freiherrrn von Los (Hentr.) das Wort der

Abg. Dr. von Zoltows ki (Pole): Redner bezweifelt, daß die —ᷣ den berechtigten Wünschen der Landwirthe gerecht werde. Die Vorlage sei ein Rahmen; aber man wisse noch nicht, ob man ein dazu passendes Bild bekommen werde. Gutachten, fährt Redner fort, haben die bisherigen landwirthschaftlichen Vereine schon ab— geben können; daß die künftigen Landwirthschaftskammern einen bestimmenden Einfluß auf die Regierung haben werden, ist durchaus noch nicht sicher. Den technischen Fortschritt der Landwirthschaft haben die landwirthschaftlichen Vereine auch gefördert. darauf kommt es garnicht an; es 53 auf allen Gebieten, welche die Landwirthschaft berühren, eine eform herbeigeführt werden, im Verkehrs⸗, Kreditwesen u. s. w. Was werden die Landwirth— schaftstammern mehr leisten können als die landwirthschaftlichen Vereine? Die Landwirthschaftskammern können Steuern erheben; wird aber die Gesammtsumme, welche sie erheben können, wirklich fo groß sein, daß damit der Landwirthschaft technische Fortschritte erleich= tert werden können? Auch gegen das Wahlrecht sind mehrfache Be— denken vorhanden. In der Begründung heißt es, daß es der weiteren Entwickelung vorbehalten bleiben müsse, ob die Landwirthschafts= kammern das Vereinswesen aufsaugen werden. Danach scheint es . als ob die Regierung keine ö Sympathie für die landwirth⸗ chaftlichen Vereine habe. Redner empfiehlt die Verweisung der Vorlage an eine Kommission.

Abg. von Mendel -Steinfels (kons): Seit Jahren schon verlangen die landwirthschaftlichen Vereine eine feste Intereffen— vertretung und ein beschränktes Besteuerungsrecht, aber ihre Wünsche fanden wenig Berücksichtigung. Man schuf in den siebziger Jahren das dandes· Oekonomie Kolleglum und nachher im Reich den Deutschen Landwirthschaftsrath. Seit 1884 ist man wieder auf den Bedanken der Landwirthschaftskammern zurückgekommen. Der Landwirthschaft⸗ liche Zentralverein für Sachsen ist durchaus nicht, weil er sich fchwach fühlt, für die Landwirthschaftskammern eingetreten; er il vielleicht der stärkste Verein. Er ist aus anderen Gründen dafür eingetreten. Eine Abschlagszahlung für die gegenwärtige Nothlage ist die Vorlage nicht, sondern sie wird erst für die Zukunft der Landwirthschaft gute Dienste thun. Die Landwirthschaftstammern mögen organifiert fein, wie sie wollen sie werden immer von dem Wohlwollen der Regierung abhängig sein und können in Gemeinsamkeit mit einer wohlwollenden . der Lan dwirthschaft gute Dienste thun. Die Vorlage muß aber noch in mancher Beziehung umgearbeitet werden. Eine gese lich fest⸗

le Vertretung eines Standes wird in der Oeffentlichkeit mehr

eachtung finden, als eine freie Vertretung. Wir hätten nicht den merkantilen Zug unserer Gesetzgebung, wenn nicht die Handelskammern mit ihrem gesetzlichen Hintergrund die Regierung und die Gesetzgebung hätten beeinflussen können. Licht und Schatten müssen gleich vertheil werden, und die Landwirthschaft muß die Sicherheit haben, daß die Landwirthschaftskammern bon der Regierung gehört werben. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Bemessung des Steuersatzes auf 1 0 des Grundsteuerreinertrages. Das ist wohl etwas zu hoch; man wird sich mit 10 begnügen können. Das landwirthschaftliche Vereinsleben hat eine erfreuliche Entfaltung genommen zes ist der Träger der landwirthschaft⸗ lichen Kultur und des landwirthschaftlichen Fortschritts geworden. Deshalb müßte das Alterprobte nicht zerstört, sondern eher ge— fördert werden. Die landwirthschaftlichen Zentralvereine werden da—⸗ hin kommen, sich aufzulösen. Aber die andern Vereine brauchen ö. nicht nothwendi erweise aufzulösen, zumal wenn eine weitere Mitarbeit der landwirthschaftlichen Vereine herbeigeführt wird. Den Vereinen wird in ihrer Gesanimtheit eine Vertretung in der Kammer ge— sichert werden müssen, damit die Kammern in Zusammenhang bleiben mit der praktischen Landwirthschaft. Die landwirthf aftlichen Vereine werden Träger der ubvention des Staats und

der ganzen praktischen Thätigkeit der Landwirthschaftskammern sein. Bei der Gesetzgebung werden die Kammern 39. Interessen

Aber.

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der Landwirthschaft besser vertreten als di i

dech nur , . Bruchiheil . , ; Bedenklich ist die Aufstellung der Statuten. Der Minister entwirft sie, und der Propinzial⸗Landtag soll sie prüfen. Warum sollen die Zentralvereine nicht die Statuten prüfen? Die Provinzial · Landtage sind, je weiter man nach Westen kommt, desto weniger von Land⸗ wirthen besetzt. Deshalb halten wir die Provinzial Landtage nicht für geeignet zur Aufstellung solcher Statuten. Auch der Wahl modus will mir nicht gefallen; den Widerfyruch jzwischen Klein. und Groß grundbesitz. sollte. man nicht in das Gesetz aufnehmen. Es giebt Leute die diesen Gegensatz betonen, obgleich jeder, der in Ter Landwirth⸗ schaft steht, weiß, daß dies Humbug ist. Besonders für die erste Zeit ist es nothwendig, das Gesetz so einfach wie möglich zu gestalten. Deshalb müssen die vorgesehenen Unterkammern entweder ganz gestrichen werden, oder die Provinzialkam ern müssen zur Bildung derselben ihre Zustimmung geben. Jeden falls muß so wenig wie möglich gesetzlich festgelegt werden, weil die Verhãltnisse zu verschieden sind. So uͤniform wie beim Handelskammergesetz darf man nicht vorgehen; es muß möglich sein, den provinzialen Bedürf⸗ nissen nach jeder Richtung hin Rechnung zu tragen, selbst beim Be⸗ steuerungsmodus. Wenn Landwirthschaftskammern überhaupt einge— führt werden, dann müssen sie obligatorisch eingeführt werden, damit es nicht nachher Vertretungen erster und zweiter Klasse giebt. Die ganze Einrichtung wird in Zukunft der Landwirthschatt gute Dienste thun, aber sie ist kein Mittel, der augenblicklichen Nothlage abzu⸗ helfen; dazu sind andere Dinge nothwendig, die anderweitig schon genügend betont sind.

Minister für Landwirthschaft 2c. von Heyden:

Meine Herren! Die von mehreren Herren Vorrednern geäußerte Ansicht, daß die jetzige Vorlage nicht aufgefaßt werden dürfe als Abschlagszahlung, um den augenblicklich die Landwirthschaft drückenden Verhältnissen Abhilfe zu schaffen, theilt die Staatsregierung voll⸗ ständig; sie hat in dieser Absicht die Vorlage nicht gemacht. Die Vorlage ist eingebracht vom Standpunkt des Staatsinteresses, welches das Vorhandensein unabhängiger gesicherter ländlicher Grundbesitzer erfordert. ö

Im übrigen, meine Herren, ist die Frage beleuchtet, ob die Land⸗

wirthschaftskammern fakultativ oder obligatorisch einzuführen seien. Die Herren, die sich darüber geäußert haben, scheinen geneigt, sich mit dem Gedanken der Vorlage einverstanden zu erklären. Ich nehme mit dem Herrn Abg. von Tiedemann an, daß es sich im ganzen hierbei weniger um eine materielle Differen; handelt, wie um das Tempo der Ausführung. Denn auch wenn man die Landwirthschafts kammern nur fakultativ einrichtet, werden sie sich doch bald über das ganze Land ausbreiten. Die Staatsregierung steht zu der Sache etwas anders. Wenn sie entschlossen ist, die bessernde Hand an verschiedene Rechtsverhältnisse zu legen, welche für die Landwirthschaft von wesent⸗ licher Bedeutung sind, so muß ein gleichartiger Unterbau vorhanden sein, und sie bedarf neuer Organe schon zur Vorbereitung der in Frage stehenden Gesetzgebung und zur Ausführung der⸗ selben. Einer der Herren Redner hat ausgesprochen, diese Vorlage sei nur ein leerer Rahmen, in dem nichts enthalten sei. In gewisser Beziehung ist dies richtig; aber dadurch, daß die Staats⸗ regierung ihre Absicht kundgegeben Dat, bezüglich des den ländlichen Grundbesitz betreffenden Rechts gesetzgeberisch vorzugehen, ist doch der Inhalt für diesen Rahmen auch bereits gegeben. . Es wurde von einer Seite, und zwar von dem Herrn Abg. von Loöltowski, der Wunsch geäußert, ich möchte präzisere Mittheilungen darüber machen, in welchem Umfange die Landwirthschaftskammern zur praktischen Mitarbeit demnächst zugelassen werden sollen. Meine Herren, diejenigen Maßregeln, die in Frage stehen, sind bezeichnet. Es handelt sich um die Verhinderung der weiteren Verschuldung und eine Inangriff nahme dieser Frage beim Erbrecht. Dahin zielende Maßregeln sind von tief eingreifender Natur und von großer Tragweite; die Verhältnisse liegen so verschiedenartig in den einzelnen Landestheilen, daß diese Materien nicht kurzer Hand durch ein Gesetz geregelt werden können. Um Vorschläge machen zu können und sicher zu sein, daß diese Vorschläge auch den Bedürfnissen und den Interessen der einzelnen Landegstheile entsprechen, wird es der Mit⸗ arbeit der weiten Kreise der Landwirthschaft hervorragend bedürfen.

Nach den Aeußerungen der verschiedenen Herren Redner kann ich annehmen, daß die Vorlage an eine Kommission verwiesen wird. Die Bedenken, die geäußert worden sind, sind zahlreich; ich habe aber keine Bedenken gehört, die ich nicht bereits selbst gehegt und erwogen habe. Sie werden die Staatsregierung in der Kommission bereit finden, alle Bedenken mit Ihnen aufs eingehendste zu prüfen, und ich glaube, Sie werden in vielen Richtungen finden, daß die Vorlage den von den verschiedenen Standpunkten zu erhebenden Bedenken Rechnung trägt. Das werden Sie finden bezüglich der Wahlrechts⸗ konstruktion, das werden Sie finden bezüglich der Grenze des Wahl⸗ rechts, die vielen nicht gefällt. ö

Hier, meine Herren, handelt es sich ja nicht um Festlegung der Grenze nach unten, sondern in diesem Gesetzentwurf handelt es sich um die Festlegung der Grenze nach oben. In vielen, vielleicht in allen Landestheilen wird man bei der Detailbearbeitung mit der Grenze des Wahlrechts möglicherweise weiter heruntergehen. Das ist zweifellos; dazu bedarf es aber eingehender Untersuchungen an Ort und Stelle.

Es hat einzelnen Herren die Anhörung des Provinzial ⸗Landtags nicht gefallen; man hat gefordert, man soll die Zentralvereine an- hören. Das letztere ist nach den Vorverhandlungen, wenigstens von von mir als selbstverständlich angenommen. Die Anhörung der Provinzial⸗Landtage soll in anderer Richtung eine gewisse Garantie geben, da in den Zentralvereinen nicht alle Landwirthe vertreten sind. Die Ansichten darüber, wiebiel man durch das Gesetz regeln und was man dem Statut vorbehalten soll, sind verschieden. Einzelne Herren haben gefordert: möglichst wenig, ein anderer: möglichst viel in das Gesetz hinein! Ich glaube, auch hier wird die Kommission bei Prüfung der Verhältnisse finden, daß das, was im Gesetzentwurf vorgeschlagen ist, das Richtige getroffen hat. Wir haben uns bemüht, dem Ge⸗ setz nicht zuviel zuzuweisen; aber wenn man einen einigermaßen gleichartigen Unterbau in den verschiedenen Provinzen haben wollte, so mußten die Grundzüge durch das Gesetz festgelegt werden. Bei dieser Stelle möchte ich darauf aufmerksam machen, daß die Landwirthschafts kammer zunächst nur berufen sein soll, an die Stelle der landwirthschaftlichen Zentralvereine zu treten resp. deren Aufgaben zu übernehmen, wenn eine Verständigung mit denselben stattfindet. Ich glaube allerdings, daß die landwirthschaftlichen Zentralvereine und die Landwirthschaftskammer auf die Dauer nicht neben einander werden bestehen können, und daß ganz von selber im Wege der Ver⸗ einbarung ein Modus sich finden wird, durch welchen entweder die landwirthschaftlichen Zentralvereine als Aus

schüsse den Landwirthschafts kammern sich anschließen oder