Schiffe von 10 Kopeken auf 1 Rubel für die Last (- 2 t. Diese Maßregeln, von denen die zolltarifaris demnãchst beiderseits auch auf Finland erstreckt wurden, sind bisher noch in Kraft. Gleichwohl wurden die nur auf kurze Zeit unterbrochenen Verhandlungen wieder aufgenommen durch Einleitung eines erneuten Meinungsaustausches über die beiderseits aufzustellenden Forderungen.
Was Rußland als Gegenleistung für die seinerseits zu machenden Zugestãndnisse von Deutschland verlangte, war im wesentlichen die Gewährung der Meistbegünstigung für die russischen Bodenerzeugnisse. Nachdem in den letzten Jahren nach und nach alle an der Getreide⸗ einfuhr nach Deutschland betheiligten Länder die zunächst an Desterreich⸗ Ungarn zugesfandenen Zollermäßigungen für landwirthschaftliche Er= zeugnisse durch Verträge beziehungsweise durch Meistbegünstigung er⸗ langt hatten, war Rußland als der einzige Staat übrig geblieben, der hinsichtlich seiner Getreideausfuhr an dem deutschen Vertragstarif nicht theilnahm, sondern auf die Zollsätze des autonomen deutschen Tarifs angewiesen blieb.
Bei der Prüfung des russischen Vorschlags kam es darauf an, ein klares Bild darüber zu gewinnen, wie die Gewährung der Meist⸗ begünstigung an die Bodenerzeugnisse Rußlands auf unsere Volks⸗ wirtbschaft wirken würde.
Gegenwärtig wird die Differenzierung des russischen Getreides deutscherseits durch Anwendung des Spstems der Ursprungszeugnisse und Beobachtung des russischen Getreideverkehrs nach den anderen europäischen Ländern erfolgreich durchgeführt. Dem russischen Ge⸗ treide bleibt, wenn es nicht die deutschen Kampfzölle entrichtet, der Eingang nach Deutschland verwehrt, ohne daß es auf dem Umwege über meistbegünstigte Länder unter fremder Flagge über die deutsche Grenze zu dringen vermag. Wenn nun auch diese differentielle Be⸗ handlung des russischen Getreides zur Zeit sichergestellt ist, so ist es doch in hohem Maße zweifelhaft, ob . dieselbe auf längere Zeit mit dem gleichen Erfolge würde durchführen lassen, namentlich im Falle einer Ausdehnung des Müllereigewerbes in den meistbegünstigten Nachbarländern. Aber selbst wenn sich zolltechnisch eine diffecentielle Behandlung Rußlands andauernd sollte ermöglichen lassen, so würde doch der deutschen Landwirthschaft daraus kein Nutzen erwachsen, weil die Annahme, daß das Fernhalten des russischen Getreides den Preis der deutschen Bodenerzeugnisse günstig zu beeinflussen ge— eignet sei, nach den Erfahrungen der letzten Jahre nicht zutrifft.
Die russische Getreideausfuhr ist bezüglich der von ihr zu er⸗ zielenden Preise lediglich abhängig von der jeweiligen Lage des Welt⸗ marktes und der Preisbildung für die Welthandelsartikel der Getreide⸗ börse, ein schlie ß lich des Roggens. Die großen russischen Ausfubrplätze folgen daher in ihren Preisnotierungen den Börsenpreisen der Welt⸗ bandelsplätze, in erster Linie Londons, dergestalt, daß die Notierungen der russischen Getreidebörsen an den Ausfuhrhäfen, in Kredit⸗ Rubeln zum Tageskurse ausgedrückt, den gleichzeitigen Londoner Notierungen in Gold, nach Abzug von Fracht und Spesen, ent⸗ sprechen. Rußland vermag also sein Getreide im Auslande nur zu den Weltmarktpreisen zu verkaufen, die Setreideausfuhr Rußlands nach Deutschland steht daher unter der vollen Einwirkung der Preis⸗ bildung auf dem Weltmarkte. Der Antheil Rußlands an der Getreideversorgung Deutschlands hatte in den letzten Fahren, besonders nach der guten Ernte Mittel⸗ und Süd Rußlands im Jabre 1888, erheblich zugenommen. Seit dem Jahre 1852 aber haben sich diese Verhältnisse wesentlich verschoben. Als hauptsächlichster Faktor, und zwar von dauernder Bedeutung, wirkte zu dieser Verschiebung die er⸗ wiesene Steigerung der Leistungsfähigkeit der übrigen Hetreide. produktionsländer. Die hier in Betracht kommenden Staaten — es sind vor allem die Vereinigten Staaten von Nord⸗Amerika, Argentinien, die Balkan⸗Staaten und Rumänien — haben seit den letzten Jahren eine stetig wachsende Energie in der Aufnahme des Wettbewerbes mit Rußland auf dem Weltgetreidemarkt bethätigt. Dazu kam ferner, daß die Mißernten in Rußland zu Beginn der neunziger Jahre zu Ausfuhrverboten fübrten, welche die russische Be⸗ theiligung an der Versorgung des europäischen Getreidebedarfs gerade in dem Jeitvunkte lahmlegten, wo die Leistungsfäbigkeit und Aus⸗ fuhrthätigkeit jener anderen Länder einen nachhaltigen Aufschwung genommen hatte. Als Rußland sich vom Platze zurückzog und seine Getreideausfuhr einstellte, traten sofort jene Konkurrenzländer an seine Stelle und nahmen den Antheil Rußlands auf ihre Schultern. Die Folge war, daß trotz des Versiegens der russischen Bezugsquelle sich auf dem Weltmarkt ein Mangel an Brotfrucht nicht füblbar machte. Diese Vorgänge vollzogen sich obne erbeb⸗ liche Störungen; sie baben den Beweis geliefert, daß der Welt⸗ getreidemarkt nunmehr auch obne das Hinzutreten Rußlands in der Lage ist, den Getreidebedarf der europäischen Länder, insbesondere auch Deutschlands, zu decken. Als dann Rußland seine Getreideausfubr wieder frei gab, war seine Konkurrenz auf dem Weltmarkte wesentlich geschwächt, da es überall dem Wettbewerbe jener Länder begegnete, die sich in der Zwischenjeit eine feste Position bei ihren Abnehmern geschaffen hatten. Noch unzwejdeutiger aber trat die gedachte Ver⸗ schiebung der Getreidebezugs quellen während des deutsch⸗russischen Zollkrieges hervor, der das russische Getreide bebinderte, auf dem deutschen Markte den Wettbewerb wiederaufzunehmen. Diese Ein⸗
schränkung war von um so größerem Einfluß, als Rußland im Jahre 1893 über eine gute Ernte zu verfügen hatte und nunmehr gejwungen war, für die Ueberschũsse an Weizen und Roggen neue Absatzgebiete zu niedrigeren Preisen auf⸗ zusuchen. In der durch die Unjulänglichkeit des bauptsächlichsten Absatzgebietes fũr das russische Getreide hervorgerufenen Minder⸗ wertbigkeit des letzteren auf dem Weltmarkt ist eine der Ursachen zu erblicken für den Preisrückgang der Brotfrũchte, welcher gegenwärtig die Landwirthschaft aller Getreideproduktions länder bedrückt. Wollte unter solchen Umstãnden Deutschland die Bodenerzeugnisse Rußlands andauernd differentiell bebandeln, so würde die deutsche Landwirtbschaft einen Nutzen davon nicht zieben, denn der deutsche Markt würde dann statt mit russischem Getreide mit amerikanischer, rumänischer und anderer deutscherseits meistbegũnstigter Waare versorgt werden, und zwar zu den Weltmarktpreisen, die durch das anderweit Absatz fuchende russische Getreide fortgesetzt beeinflußt werden.
In Deutschland konnte sich diese Versorgung mit nichtrussischem Getreide um so glatter vollzieben, als die deutschen Ernten der leßten beiden Jahre gut ausgefallen waren, sodaß der Bedarf an auslän⸗ dischem Getreide erheblich geringer war als in den Vorjahren. Wie sehr aber die Leistungsfäbigkeit der Getreideproduktionsländer in der Fähigkeit zur Versorgung des deutschen Markts an Stelle Rußlands während der letzten Jahre zugenommen hat, ergiebt sich aus den folgenden Zahlen der deutschen Reichs⸗Statistik. Es gingen nach Deutschland ein:
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aus der Türkei (Lm 1891 330 855 Doppel⸗Itr. 1892 1135411 2 1393 383 432 .
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J,, 210 D ö 63 133 1393 376 026 . aus der Türkei (mi , 98 Doprel⸗Itr. 1 ?-
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1890 1891 1892 1893
133 764 ü 501406 (
arten an Weizen Roggen rste Mais Safer Doppel · tr. Doppel tr. Doppel⸗Itt. Dovpel· Itr. Doꝝpel ⸗Ztr. 1891 9053 317 S846541 755153 1083266 1198 835 1892. 12 962 126 5485991 53832 966 7173 102 878 368 13993. 7034530 2275779 35517 404 7610793 2429 460 zusammen in den fünf Hauvtgetreidearten in den Jahren:
1891 30 017152 Dopvel⸗Itr.,
1892 32 332 553 ö
1893 27 367 966 davon aus Rußland:
1891
16315 0090 Doppel ⸗Ztr., 1892 5 925 000 ‚— , 3378 000 ö.
Diese Zahlen beweisen einerseits den großen Aufschwung in der Ausfuhrthätigkeit der meiftbegünstigten Länder, nachdem das deutsche Absatzgebiet für Rußland verschlossen war; andererseits legen diese Zahlen die Fähigkeit jener Länder dar, sich dem Bedarf des deutschen Absatzgebiets anzupassen. Ferner zeigen diese Ziffern, daß infolge der guten Grnte Deutschlands im Jahre 1392 und 1893 eine starke Abnahme der deutschen Getreideeinfuhr trotz der Ermäßigung der deutschen Eingangẽ⸗ zölle eingetreten ist. Der Rückgang in den Einfuhrmengen würde noch erheblicher sein, wenn nicht die Fehlernte Deutschlands in Futter⸗ stoffen im Jahre 1893 stärkere Zuführen in gewissen Getreidearten bedingt hätte.
Wenn nun, wie die vorstehenden ziffermäßigen Angaben darthun, die Einfuhr Deutschlands in den wichtigften, unter den Vertragstarif fallenden Artikeln, in welchen, außer Rußland, nech eine Reihe anderer Länder lieferungsfähig ist, von diesen in größtem Um⸗ fange gedeckt wird, so hat sckon gegenwärtig, vor Einräumung der Meisstbegũnstigung an Rußland, die deutsche Landwirthschaft gegen⸗ über dem ausländischen Mitbewerb nur mit dem Zollschut des deutschen Vertragstarifs zu rechnen, und die Sätze des letzteren sind schon jetzt auch für die thatsächlichen Zolleinnabmen des Reichs in der Hauptsache maßgebend.
Die in dieser Hinsicht hervorgetretenen Bedenken gegen eine Ein⸗ räumung des deutschen Vertragstarifs an Rußland können daher als zutreffend nicht erachtet werden. Ergiebt sich aus den vorstehenden Darlegungen zugleich, daß die Gewährung der Meistbegünstigung für die russischen Bodenerzeugnisse ohne Schädigung der deutschen Landwirthschaft erfolgen kann, so sprachen andererseits die Interessen der Industrie, des Handels und der Schiffahrt Deutschlands in zwin⸗ gender Weise dafür, die russischerseits angebotene Verständigung auf der Basis der gegenseitigen Meistbegünstigung und der Ermäßigung des russischen Felt rin. nicht abzulchnen. Die russischerseits bei Be⸗ ginn der Vorbesprechungen für die Vertragsverhandlungen vertretene Auffaffung, daß Rußland die Vorenthaltung von Tarifermäßigungen, für welche letztere es eine genügende Gegenleistung nicht bot, als eine zur Beschwerde berechtigende err. ansehen müßte, konnte zwar deutscherseits nicht getbeilt werden. Dagegen ließ sich die Anschauung nicht abweisen, daß Rußland auf den Mitgenuß jener Vortheile werde rechnen dürfen, wenn es sich zu analogen Gegen⸗ leistungen, wie die uns von anderen Vertragsstaaten gewährten, bereit finde. Eine prinzipielle Ablehnung des russischen Vertragsvorschlags würde nicht nur einen Verzicht auf die von der Industrie, dem Handel und der Schiffahrt dringend gewünschte Besserung und Sicherstellung unserer Handelsbeziehungen zu Rußland, sondern eine Fortsetzung und voraussichtlich eine Verschärfung der im Sommer 1893 von beiden Seiten getroffenen Zollmaßnahmen — und zwar, wie oben dargelegt, obne Vortheil für die deutsche Landwirthschaft — bedeutet haben.
Ein Rückblick auf den Stand der Handelsbeziehungen Deutsch⸗ lands zum russischen Reich während der letzten Jahre ergiebt, welche Interessen für Deutschland auf dem Spiel standen, wenn der zwischen beiden Ländern entfesselte Zollkrieg zu einem dauernden Zuftand wurde.
Was zunächft die Bedeutung des russischen Markts für die deutsche Ausfuhr anlangt, so hatten sich die Absatzverhältnisse in Rußland während des letzten Jahrzehnts zum Nachtheile Deutschlands fortgesetzt verschlech tert. Unter dem Schutze systematisch erhöhter Eingangszölle hatte im rufsischen Reich die einheimische Industrie sich schnell entwickelt, be⸗ sonders auf dem Gebiete des Gisens und der Gewebe. Mit dem Em⸗
orblühen dieser Industrie verlor der deutsche Abfatz stetig an Boden in
ĩ Wenn auch für eine Reihe von Gegenständen der deut. schen Ausfuhr, wie gewisse Arten von Chemikalien, Maschinen und Instrumenten, welche die junge russische Industrie entweder nech gar nicht oder nicht in der genügenden Menge und Beschaffenheit oder nicht zu den sachentsprechenden Preisen herzustellen vermag, die deut⸗ schen Interessen noch nicht unmittelbar bedroht erschienen, so war doch zu befürchten, daß mit dem Erstarken der russischen Ind ustrien auch der Rückgang der deutschen Ausfuhr nach Rußland weiter Schritt halten werde. Schon um nur das bisher von der deutschen Industrie noch behauptete Gebiet zu halten, war eine Sicherung desselben durch Bindung der in Frage kommenden Positionen des russi. schen Tarifs im hohen Grade wünschengwerth, Viel ge⸗ wichtiger aber war die Aussicht welche die Eröffnung der jetzt abgeschlossenen Handels vertrage verhandlungen bot, durch Erreichung don Zollermäßigungen für hervorragende Artikel der deutschen Ausfuhr den bereits verlorenen Markt wieder zu gewinnen und für andere eine weitere Ausdehnung des deutschen Absatzes anzubahnen. Andererseits hatte gegenüber diesen Erwartungen, welche sich an ein günftiges Ergebniß der Verbandlungen knüpften, der Verlauf des Zollkrieges im vergangenen Jahre gezeigt, daß Deutschland in Gefahr stand eine ansehnliche Zahl von Artikeln, die es früher nach Rußland geliefert, an andere Länder zu verlieren. Be— stellungen, die sonst nach Deutschland gingen, und zwar in wichtigen Gegenständen der deutschen Industrie, richteten sich jetzt nach anderen Staaten, aus deren Gebiet der russische Abnehmer die Waare zu ge⸗ ringeren Zollsätzen beziehen konnte. ;
Ebenso wie die deutsche Wagrenausfuhr nach Rußland litt auch unter dem Zolllrieg der deutsche Handel, welcher sich bis dahin lebbart an der Vermittelung der russischen Ausfuhr und an der Versorgung Ruß⸗ lands mit fremden Erzeugnissen betheiligt hatte. Beispielsweise gingen an Rohbaumwolle von Deutschland nach Rußland
1899... 34 194 Doppel⸗Itr. 1893. 17 865 ö .
Am schwersten aber wurden durch den Zollkrieg betroffen die deutschen Rhedereien, welche bisher einen regen Verkehr von den deutschen Ost, und Nordseeplätzen nach Rußland und Finland unter⸗ balten hatten und jetzt durch die russischerseits verfügte Erhöhung der Schiffsabgaben von diesem Verkehr ferngehalten wurden.
Angesichts dieser Sachlage haben der Handel und die Industrie Deutschlands auf das nachdruͤcklichste bekundet, daß sie das allergrößte Gewicht darauf legen, von den Fesseln, die der von Rußland hervor⸗ erufene Zollkrieg ihnen angelegt, so schnell wie irgend möglich wieder efreit zu werden. . ;
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Momente ist nach pflicht⸗ mäßiger, unter dem Beirath berufener Vertreter der Landwirth⸗ schaft, der Industrie und des Handels eifolgter Ln enn er für und wider sprechenden Momente in die Verhandlungen mit Rußland eingetreten und unter ständiger dankens⸗ werther Mitwirkung jener Vertrauenspersonen der vorliegende Handels · und K vereinbart worden, durch welchen Rußland auf der Basis gegenseitiger Meistbegünstigung für den deutscherseits gewährten Vertragskarif nicht bloß die inzwischen anderen Staaten eingeräumten Tarifetmäßigungen, sondern erheblich weitergehende, von den Interessenten als werthvoll erkannte Ver⸗ pin stiß ungen zugesteht. Die Dauer des Vertrages ist auf zehn Jahre emefsen, wodurch für unsere Verkehrsbeziehungen mit Rußland die nothwendige Stabilität geschaffen wird.
Die vereinigten Ausschüsse des Bundesraths für Zoll— und Steuerwesen und für Handel und Verkehr hielten heute eine Sitzung.
Die Kommission für Arbeiterstatistik trat heute im Reichsamt des Innern unter dem Vorsitz des Unter— Staatssekretärs Dr. von Rottenburg zu einer Sitzung zu— sammen. Als Kommissare des Reichskanzlers wohnen die Geheimen Regierungs⸗Räthe Dr. Wilhelmi und Br. Sell, sowie die Regierungs⸗Assessoren Lohmann und Koch, als Kommissare des Ministers für Handel und Gewerbe die Regierungs⸗Assessoren Dönhoff und von Meyeren den Ver— handlungen bei.
Die Tagesordnung ist folgende:
I) Eingänge und geschäftliche Mittheilungen.
2) Untersuchung über die Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien.
3) . einer Kommission von Bureauangestellten: eine Abänderung des Regulativs der Kommission für Arbeiter— statistik dahin herbeizuführen, „daß die Aufnahme von Berufs— statistiken neben den gewerblichen Berufen auch für den Stand der Bureauangestellten erfolgen könne“.
An den Verhandlungen über den zweiten Gegenstand der Tagesordnung nehmen als Beisitzer 5 Sachverständige, nämlich der Garnison⸗Backmeister der Garnison Berlin sowie 2 Bäcker⸗ meister und 2 Bäckergesellen theil. Ferner sind 40 Auskunfts⸗ personen, 24 für Bäckerei, 16 für emol zur mündlichen Vernehmung geladen.
Nach der im Reichs⸗-Eisenbahnamt aufgestellten Nach⸗ weisung der auf deutschen Eisenbahnen — aus⸗ schließlich Bayerns — im Monat Dezember v. J. beim Eisenbahnbetriebe (mit Ausschluß der Werkstätten) vor= gekommenen Unfälle waren im ganzen zu verzeichnen: 5 Entgleisungen und 3 Zusammenstöße auf freier Bahn, 30 Ent⸗ gleisungen und 16 Zusammenstöße in Stationen und 229 sonstige Unfälle (Ueberfahren von Fuhrwerken, Feuer im Zuge, Kessel explosionen und andere Ereignisse beim Eisenbahnbetriebe, sofern bei letzteren Personen getödtet oder verletzt worden sind) Bei diesen Unfällen sind im ganzen, und zwar größtentheils durch eigenes Verschulden, 255 Personen verunglückt, sowie 33 Eisenbahnfahrzeuge erheblich und 146 unerheblich beschädigt. Von den beförderten Reisenden wurden 8 getödtet und 1 ver=
je eine Tõdtung auf die Krefelder . in Elsaß⸗Lothringen und enbahn⸗DTire tion
IE: SHBei6r 21
22
Von
fremden Personen (einschließlich der nicht im Di . lichen Bahnbeamten und Arbeiter) 19 getödtet und 11 verles Außerdem wurden bei Nebenbeschäftigungen 35 Bahnbeamt⸗
un rbeiter * Von den sämmtlichen Unfällen beim Eisenbahnbetriebe entfallen auf: A. Staatsbahnen und unter Staatsverwaltung stehende Bahnen (bei zu⸗ sammen 3 85d5ö3 km Betriebslänge und Nö 124 NI geför— derten Achskilometern) gr. von sind verhältniß⸗ mäßig, d. h. unter Berückfichtigung der geförderten Achs⸗ Kilometer und der im Betriehe gewesenen Längen, auf der Main⸗Neckar⸗Eisenbahn und in den Verwaltungsbezirken der Königlichen Eisenbahn-Direktionen in Köln (rechtsrheinische) und in Elberfeld die meisten Unfälle vorgekommen. B. Pr ivat⸗ bahnen (bei 2 213, km Betriebslänge und 30 832 357 6 erten Achskilometern) 17 Fälle; davon sind verhältnißmäßig auf der Krefelder Eisenbahn, auf der , Ludwigsbahn und auf der Dortmund ⸗-Gronau⸗ Inscheder Eisenbahn die meisten Unfälle vorgekommen.
Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Königlich bayerische n, n, , Geiger ist in Berlin angekommen, und der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Fürstlich lippische Kabinets⸗ Minister von Wolffgramm ist von hier wieder abgereist.
Nach den der Woermann⸗Linie in Hamburg zugegangenen telegraphischen Nachrichten sind die mit dem Dampfer „Adolf Woermann“ an der Liberia küste gestrandeten Passagiere auf den Dampfer „Carl Woermann“ aufgenommen und in Accra angekommen, von wo sie nach Kamerun und Togo gebracht werden sollen.
S. M. Kreuzer Falte“, Kommandant Korvetten⸗ Kapitän Graf von Moltke (Heinrich), ist laut telegraphi⸗ scher Meldung an das Ober-Kommando der Marine am 13. Februar in Sydnen eingetroffen.
Bahern.
Die Kammer der Abgeordneten genehmigte in ihrer gestrigen Sitzung nach lebhafter Debatte die Gesammt⸗ einnahme des Post-Etats, die mit 2450 870 6 ab⸗ schließt. Im Laufe der Debatte erklärte der Minister-⸗Präsident Freiherr von Crailsheim die Herabsetzung der Telephon⸗ gebühr für unthunlich.
Sach sen.
Seine Majestät der König hat, wie das heute früh aus— gegebene Bulletin besagt, gut geschlafen; die gestern be— richtete Besserung macht weitere Fortschritte.
In der gestrigen Sitzung der Zweiten Kammer brachte der Abg. von Oehlschlägel eine Interpellation ein: ob die Regierung bei der Abstimmung im Bundesrath über den deutsch⸗russischen Handelsvertrag die der sächsischen Land⸗ wirthschaft durch die preußischen Staffeltarife auf Getreide entstehenden Schäden zu berücksichtigen gedenke. Der Inter⸗ pellant wies, wie das „Dr. J.“ berichtet, auf die schwierige Lage der ö hin und legte es der Regierung nahe, für den Fall, daß Preußen seine Staffeltarif⸗ politik nicht aufgäbe, gegen den russischen Handels⸗ vertrag zu stimmen. Der Minister des Innern von Metz sch beantwortete die Interpellation dahin, daß sich die Staatsregierung heute über ihre Abstimmung im Bundes⸗ rath nicht binden könne. Die Staffeltarifpolitik und der Handelsvertrag seien jedoch nicht so verquickt, daß man von der , . der preußischen Regierung in der ersteren Frage die Abstimmung im Bundesrath abhängig machen könne, wenn sie auch gelegentlich dieses Vertrags im Bundesrath diskutierbar sei. Die Regierung werde mit allen Kräften dafür eintreten, daß die Staffeltarife 6, würden. Es sei auch Hoff⸗ nung vorhanden, darin folg zu haben. Das Haus trat so⸗ dann in die Besprechung der Interpellation ein.
Baden.
Die Rekonvalescenz Ihrer Königlichen Hoheit der Groß⸗ n n n, ü. wie die Karlsr. Ztg.“ meldet, in der ver⸗ gangenen Woche langsame, aber gute Fortschritte gemacht. . Königliche Hoheit bringt jetzt den größeren Theil des ages außer Bett zu, muß aber noch viel der Ruhe pflegen. Der Katarrh ist noch immer vorhanden und die Eßlust ering, weshalb auch die Kräfte nur langsam wiederkehren. Die Nachrichten über das Befinden Ihrer Königlichen Hoheit der Kronprinzessin von Schweden und Nor⸗ wegen sind leider . immer nicht befriedigend. Seit ihrer Ankunft in Rom hat die Kronprinzessin nur zweimal das Bett verlassen, um auf dem Ruhebett einige Stunden zu verbringen. Die Schwächezustände find auch jetzt noch vorhanden und er—
fordern die größte Ruhe und sorgfältige Pflege.
Sessen.
Seine Königliche Hoheit der Großherzog und Ihre Großherzogliche Hoheit die , Alix sind, wie die Darmst. 30 meldet, gestern Vormittag in London einge⸗ troffen. Am Bahnhof waren Seine Durchlaucht der Prinz und Ihre Großherzogliche Hoheit die Prinzessin Ludwig von Battenberg zur Begrüßung erschienen.
Mecklenburg⸗Strelitz. ; 3. Königliche Hoheit die Großherzogin ist an Luft— röhrenkatarrh erkrankt. Oldenburg.
Die Rekonvalescenz Ihrer Königlichen Hoheit der Erb⸗ großherzogin schreitet, wie die, Wes⸗Itg. meldet, in erfreu⸗ licher ö. ort. Der Rückkehr der erbgroßherzoglichen Familie von Schloß Panker in Holstein nach Oldenbürg wird zum X. Februar entgegengesehen.
Oesterreich⸗Ungarn.
In dem niederösterreichischen Landtag wurde, wie B. T. B. berichtet, gestern das Landesgesetz uͤber das An⸗ lehen der Stadt . im Betrage von 4 Millionen 9 ulden nach längerer Debatte angenommen. Die Abgeordneten wueger, Schneider und Gregorig wurden im Laufe der Sitzung hegen heftiger Angriffe auf die Finanzwirthschaft der Kommune Wien zur Ordnung gerufen.
Der oberösterreichische Landtag hat in seiner gestrigen Sitzung mit 2 gegen 15 Stimmen nach längerer Berathun bei der der Bischof Doppelbauer wiederholt das Wort ergriff, den Antrag des Schulausschusses angenommen, der dahin geht, der Landtag möge dem Verlangen der Bevölkerung Qber⸗ oͤsterreichs ö . der konfessionellen Volksschule Ausdruck verleihen.
Im böhmischen Landtag entwickelte gestern bei der . der Budget debatte der Abg. Sil das Programm der Jungczechen und griff den böhmischen Adel heftig an. Der
lbg. Rieger bemerkte, es dürfte eine Zeit kommen, in welcher die Jungczechen den Widerstand gegen die Wiener Aus⸗ gleichs⸗Punktationen bitter bereuen würden, und be⸗ tonte, das Koalitions⸗Kabinet sei nicht an die Punktationen gebunden; eine Verständigung mit den Deutschen auf der Basis der Gleichberechtigung sei mögtich; der kernhafte deutsche Stamm in Böhmen habe auf allen Kulturgebieten Bedeutendes geleistet. Die Czechen müßten darnach trachten, den deutschen Volksstamm durch die Sicherung der nationalen Stellung für die Bestrebungen des böhmischen Volks zu ge⸗ winnen; der Großgrundbesitz habe die Mission des Friedensstifters, das allgemeine Wahlrecht sei schädlich und undurchführbar. Das czechische Volk habe keine Hoffnung, keine Zukunft ohne Oesterreich; auf ander⸗ weitige Kombinationen könnten die Czechen sich nicht ver—⸗ lassen, die geographische Lage knüpfe, dieselben fest an Desterreich. „Wir brauchen die Dynastie und die Dynastie braucht uns, wir werden uns wechselseitig immer finden. Als alter Mann, vor dem Grabe stehend, rathe ich meiner Nation, ihr Schicksal nur rechtschaffenen und . Leuten an⸗ zuvertrauen, die mit dem Adel und dem Klerus gemeinsam den Frieden mit den Deutschen suchen. Graf Buquon be— merkte, die Leichtgläubigkeit und die leichte Erregbarkeit des czechischen Volks bildeten von Alters her die Schwäche, die 7 unheilvolles Spiel mit diesem tüchtigen Volke getrieben habe. Die jungczechische Schwärmerei für das allgemeine Wahlrecht bezwecke, den Slaven die Majorität zu ver— Kaff Den Nutzen hiervon habe aber keine nationale, son⸗
ern eine internationale Partei, nämlich die besitzlosen Klassen,
die einer jeden Umsturzidee zugänglich seien. Die neue Wahl⸗ ordnung müsse das Prinzip der Interessen⸗Vertretung wahren und verhüten, daß der Bürger- und Bauernstand zu Gunsten der Besitzlosen unterdrückt würden. Die neue Wahlordnung sei auf der Basis aller Berufsklassen durchzuführen unter Be⸗ rückfichtigung der Verschiedenheit der beiden Länder. Der Redner sprach sich sodann für den Zusammenschluß der Deutschen und Czechen gegenüber den Umsturzelementen aus. Die Religion müsse vor allem erhalten werden. Die Gesellschaft müsse trachten, die Unzufriedenen soweit als möglich zu befriedigen, sie sei aber verpflichtet, der Gewalt mit Gewalt zu begegnen. Im Kampfe gegen die Feinde der bestehenden Gesellschafts⸗ ordnung bilde neben dem Parlament auch jener Faktor eine mächtige Stütze, zu welchem alle Völker Oesterreichs vertrauens⸗ voll emporblickten. Man müsse daher alles vermeiden, wodurch die Treue gegen die Dynastie verletzt würde. (Stürmischer Beifall. Darauf wurde die Sitzung geschlossen.
In dem Omladinaprozeß wurde gestern die Ver⸗ handlung in Abwesenheit der Angeklagten, die Disziplinar⸗ strafen erhalten haben, fortgeführt. An Stelle der abwesenden Vertheidiger wurde vom Gericht ein Vertheidiger bestellt. Der Staatsanwalt Lorenz legte in seinem Schlußplaidoyer dar, daß weder ein politisches noch ein nationales Streben aus den Thaten der Angeklagten hervor⸗ gehe, sondern daß es sich einfach um gemeine Ver⸗ brechen gegen die Dynastie, den Staat, die Religion und die Buͤrger sowie gegen behördliche Organe handele, und daß selbst ein Staat, der den Aeußerungen und den Ideen, die iß den Köpfen der Angeklagten herumspukten, entspräche, sich mit aller Macht gegen solche Verbrechen wehren müßte. Die antidynastischen und antiösterreichischen Anschläge der Angeklagten seien wohl mit Erfolg abgewehrt worden, allein die Gefährlichkeit liege darin, daß ein solches Treiben auf die Massen Einfluß ausüben und deren loyale Gefühle abstumpfen könne. Niemand sei wegen seiner politischen oder nationalen Gesinnung verfolgt worden, sondern der Untergrund der Anklage sei nur gemeine Misse⸗ that; und daß es nicht Jugendstreiche gewesen seien, welche die Angeklagten ausgeführt hätten, bezeuge der Mord, der an Mroa verübt wurde. Der Staatsanwalt wies nach, daß Mrva weder agent provocatenr gewesen noch in Polizei⸗ diensten gestanden habe.
Großbritannien und Irland.
Infolge des Unfalls der Prinzessin Eugenie hat die Königin ihre Abreise von Osborne nach Wind sor auf die nächste Woche verschoben. Die Prinzessin befindet sich besser, bedarf aber noch der Ruhe.
Das Oberhaus hat gestern, wie „W. T. B.“ meldet, die Kirchspielraths-Bill in dritter Lesung angengmmen. Im Unterhaus gab der Kanzler der Schatzkammer Sir W. Harcourt die Erklärung ab, es sei weder die Wiederöffnung der indischen Münzen für freie Silberprägung, noch die Wiedereinführung des Minimalkurses für den Verkauf indi⸗ scher Schatzamtstratten beabsichtigt. Ferner sei keine Einfuhr⸗ steuer auf Silber in Indien geplant und keine Veränderung der jetzigen Politik der indischen Regierung in Aussicht ge⸗
nommen. Frankreich.
In dem gestern abgehaltenen Ministerrath wurden, wie „W. T. B.“ erfährt, die gestrige Explosion im sowie die juͤngsten Kundgebungen auf dem Kirchhofe von Jory am Grabe Vaillant s be⸗ sprochen und beschlossen, fortan Kundgebungen und das Tragen von aufreizenden Emblemen auf allen 23 .
Kirchhsfen zu verbieten. .
In der gestrigen Sitzung der Deputirtenkammer wurde die Berathung über die Getreidezollvorlage wieder aufgenommen. Der Deputirte Siegfried sprach sich gegen die Zollerhöhung aus, worauf der Berichterstatter Grau er⸗ widerte. Der Deputirte Meline vertheidigte das Schutzzoll⸗ system und maß die Schuld an dem niedrigen Ge⸗ treidepreise der Entwerthung des Silbers bei; er wünsche deshalb die Rückkehr zur Doppelwährung. Redner schloß, der vorgeschlagene Zoll sei das einzige Mittel, um das Inland mit der ausländischen Konkurrenz gleichzustellen. Der Deputirte Bouge richtete sodann eine Anfrage an die Regierung über die am Sonntag am Grabe Vaillant's veranstalteten Kundgebungen und beklagte sich darüber, daß die von dem Deputirten Coutant geführten Manifestanten Es lebe die Kommune!“ gerufen und rothe Fahnen getragen
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hätten. Nach dem vorgestrigen Attentat sei es unmöglich, solche Kundgebungen ᷓ zu dulden. Der Minister des Innern Rayn al erwiderte, derartige Kundgebungen würden verboten werden. Die Regierung werde ohne Schwäche handeln und die Gesellschaft zu vertheidigen wissen. (CLebhafter Beifall) Der Deputirte Coutant (Sozialist) erklärte, er habe an der Kundgebung am Sonntag nicht theilgenommen, und brandmarkte sodann die anarchistischen Lehren. Hierauf wurde die Sitzung aufgehoben.
Der Urheber der im Cafs des Terminus⸗Hotel erfolgten Explosion hat vor dem Untersuchungsrichter ein⸗ estanden, fh einen falschen Namen beigelegt zu haben, jedoch rn e, eine Identität einzugestehen verweigert. Er wurde nach zweistündigem Verhör, wobei er sich sehr hernus⸗ fordernd benahm, nach dem Gefängniß Mazas gebracht. Es wird behauptet, er komme aus England und gehöre, wie aus gewissen Merkmalen und seiner Ausdrucksweise her⸗ vorgehe, nicht dem Arbeiterstande an; andererseits ist man der Meinung, er sei aus Saragossa. Der Sachverständige Girard erklärte, die Konservenbüchse, aus welcher die Bombe an⸗ gefertigt war, sei englischen Ursprungs. Der Zustand der Verwundeten, auch der Schwerverwundeten, ist nicht gefahr⸗ drohend. Der Polizeiagent, der die Verhaftung des Ver⸗ brechers vornahm, ist von dem Minister des Innern dekoriert worden.
Wie der „Soir“ meldet, hat der Krieg s-Minister die Bildung einer aus Eingeborenen bestehenden Saharatruppe (Kameelreiter und Fußtruppen) unter dem Kommando fran— zösischer Offiziere beschlossen.
Die internationale Sanitäts-Konferenz in Paris hat in der gestrigen Sitzung beschlossen, zwei große technische Kom⸗ missionen zu bilden, von denen die eine sich mit den sanitären Verhältnissen des Gebiets des Rothen Meeres, die andere mit der Organisation der Gesundheitspolizei im Persischen Meer⸗ busen beschäftigen solle.
Serbien.
Der „Pol. Korresp.“ wird aus Belgrad gemeldet, für den Wiener Gesandtschaftsposten sei der frühere Gesandte in Wien Milan Bogicevic bestimmt. Zum Gesandten in Bukarest sei der frühere Vertreter Serbiens in Sofia Danic ausersehen. An Stelle Velimirovic's dürfte Novakovic Ge⸗ sandter in Konstantinopel werden. — Der ehemalige Regent Ristic habe dem Kabinet Simic seine Unterstützung zugesagt.
Amerika.
Wie die „Times“ aus Philadelphia weldet, empfiehlt der Ausschuß des Repräsentantenhauses die Annahme des Gesetzentwurfs über die Besichtigung der Auswanderer in den fremden Häfen durch die Konsuln, um die Ver⸗— sendung von Verbrechern und Armen zu verhindern.
Parlamentarische Nachrichten.
Der Schlußbericht über die gestrige Sitzung des Reichs⸗ tags befindet sich in der Er sten Beilage.
— In der heutigen 49. Sitzung des Reichstags, i g der Staatssekretär Dr. von Boetticher beiwohnte, wurde die zweite Berathung der Anträge Gröber (Zentr) und Rickert (fr. Vg.) auf Abänderung des Wahlgesetzes fortgesetzt.
Ss 11a der Abänderungsvorschläge bestimmt, daß die Ab⸗ gabe der Stimmzettel in amtlich abgestempelten Umschlägen erfolgen soll, deren Beschaffenheit gleichmäßig für alle Wahl⸗ kreise vom Bundesrath festzustellen ist.
Abg. Dr. Freiherr von Heereman Gentr.) empfieblt die An⸗ nabme dieser Aenderung. Die Wahl solle nach der Verfassung ge⸗ heim sein, sie solle die wahre, unbeeinflußte Meinung der Wähler zum Ausdruck bringen. Diese Absicht der Verfassung sei durch die sattsam bekannten Manipulationen thatsächlich sehr oft illuforisch ge⸗ macht worden; diese Manipulationen hätten nur zu oft einen sehr unschonen Charakter getragen. Es helfe nicht, wenn nachher die Wahl die unter solchen Beeinflussungen zu stande gekommen sei, kassiert werde; der große moralische Schade, der mit solchen Machenschaften angerichtet werde, sei damit nicht wieder gut zu machen. Man müsse also vorbeugen, indem man größere, wirksamere Kautelen für die Geheimhaltung der Wabl beschaffe, und dazu würden die Kuverts einen werthvollen Dienst leisten.
Abg. Dr. von Margquardsen (ul.) spricht sich ebenfalls für Umschläge aus; es werde dadurch die Geheimhaltung der Wahl wenigstens in den weitaus meisten Fällen erreicht werden.
Abg. Rickert (fr. V,m.): Die Wahlkuverts verbürgen allein die Gebeimhaltung der Wahl noch nicht. Der springende Punkt ist, daß man den Wählern einen Moment verschafft, in dem sie unbeobachtet den von ihnen aus freier Ueberzeugung gewählten Stimmzettel in den Umschlag stecken können. Wenn die Nationalliberalen noch der Beweise bedürfen, was alles in dieser Retun an Zwang geschehen ist, so verweise ich auf ein Gerichtsurtheil aus Bochum, welches alle jene Mani⸗ pulationen, das Gebot des Hochhaltens der Zettel, das Verbot, die ausgehändigten Zettel in die Tasche zu stecken u. s. w. als Gesetzes übertretungen brandmarkt, ich verweise auf die Instruktionen, welche nationalliberale und konservative Wahlkomités in dieser Richtung erlassen haben.
S 1La wird angenommen.
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