1894 / 43 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 19 Feb 1894 18:00:01 GMT) scan diff

fach angegriffenen Leute anführen. Wir haben zur Zeit in Ost⸗Afrika fünf oder sechs Frauen, und bei der Auswahl der Offiziere, die nach Ost⸗Afrika geschickt werden, ist es für mich ein wesentliches Motiv gewesen, wenn die Herren verheirathet waren und geneigt, ihre Frauen mit hinüber zu nehmen. Denn es ist ja natürlich, daß, wenn draußen nur Kolonien von Männern existieren, und wenn diese auch noch so gebildet sind wenn ich auch dem „‚Tropenkoller“ keine Wirkung zu⸗ schreiben will —ů doch nach und nach das gesellschaftliche und viel⸗ leicht auch das sittliche Niveau heruntergeht, wenn solche Männer den Verkehr mit Frauen entbehren. Es hat mich also gefreut, daß auch Damen hinübergegangen, die in der Lage sind, einen geselligen Mittel⸗ punkt zu bilden. Herr von Scheele ist verheirathet, ebenso Herr von Wrochem, und der zweite Frangois befindet sich in Windhoek mit seiner Frau. Aber die Auswahl ist beschränkt; viele Verheirathete gehen nicht hinaus. Es werden meistens nur junge Leute geneigt sein, hinüberzugehen, und daß ein junger Mann, der hinübergeht, den Gedanken dabei hat, etwas zu erleben, auf die Jagd zu gehen, viel—⸗ leicht einen Löwen zu schießen, daß er ein Abenteuer erleben möchte, ist das etwas Sonderbares? Glauben Sie, daß ein junger Offizier hinübergehen wird nur mit der Anwartschaft, bloß Straßenpolizei in Tanga zu üben? Unter solchen Bedingungen bekommen Sie keine Leute, und das ist auch recht. Ich würde von solchem Menschen nicht viel halten; die Leute gehen einmal hinüber, um etwas zu erleben. Wir Deutschen sind darauf stolz, daß die Deutschen immer die Nei- gung gehabt haben, andere Welttheile zu sehen, sich in ihnen um⸗— und hervorzuthun. Auch das tadle ich nicht.

Nun gerathen Sie mit sich selbst in Widerspruch. Wie der Herr Referent ausgeführt hat, ist die Kommission dafür gewesen, daß in Ost⸗Afrika bei der Schutztruppe nicht das Patent der Heimath, sondern ein eigenes Patent für Ost⸗Afrika den Rang und das Alter geben solle. Den Zustand haben wir gehabt. Wir haben ihn ab— geschafft, weil es nicht geht; und es geht nicht, weil wir ganz junge Leute, menschlich ganz junge Leute, nicht in hohe Stellungen bringen mögen, wo sie weder die Reife, noch auch die Lebenserfahrung haben, um überhaupt andere zu kommandieren. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß wir im allgemeinen besser wegkommen, wenn wir die— jenigen, die hier den höheren Rang haben, auch dort mit dem höheren Rang bekleiden. Man hat ja immer die Möglichkeit, wenn jemand mit einem älteren Patent hinkommt, ihn in dem Maße zu verwenden, daß er erst Erfahrungen in Afrika macht; aber wenn er sie gemacht hat, wird er im Durchschnitt werthvoller sein, als ein junger thaten⸗ lustiger Afrikaner ganz abgesehen davon, daß ein älterer Mann sich ja schwer unter einem jüngeren Afrikaner fügen wird.

Nun, meine Herren, aber zu den Mißerfolgen! Wo liegen denn die eigentlich? Zuerst in Bezug auf Kamerun! Also, wir haben in Kamerun jahrelang gut und billig gewirthschaftet, bis die Reste einer Expedition nach Kamerun gekommen waren, schwarze Menschen, der wildesten und unbändigsten Art. Die bleiben da, man kann sie nicht wegschicken, sie würden sonst wieder, was sie waren, Sklaven werden; man hat sie freigekauft, man sucht sie zu behalten, man verwendet die Männer bei der Schutztruppe, die Frauen als Arbeiterinnen. Nun werden Sie zugeben, schwarze Frauen zum Arbeiten anzuhalten, die nicht die Neigung zur Arbeit haben, ist schwierig; und ich wieder— hole, was ich gestern gesagt habe: ich will über das, was geschehen ist, nicht weiter reden, weil ich nichts Näheres weiß; es ist ja ein Beamter hinübergeschickt, um die Sache zu untersuchen. Nun fühlen die Männer den Begriff „Männer“ im afrikanischen Sinne ge⸗ nommen, nicht in dem von Ehegatten im christlichen Sinn die Männer dieser Frauen sich durch das, was den Frauen geschehen ist, gedrückt. Ich muß sagen, mir gefällt das an den Männern, denn es ist das immerhin ein gewisses Ehrgefühl, was zum Ausdruck kommt und es ist recht schön. Jetzt meutern diese Männer. Nun soll mir Einer sagen und ich möchte denjenigen, der im stande ist, das zu thun, sehen was hat der Mann, der die Schutztruppe, die Polizei⸗ truppe kommandiert, für Mittel, hinter die Absicht daß die Schwarzen meutern wollen, rechtzeitig zu kommen? Die Soldaten reden eine ganz andere Sprache; er hat gar kein Mittel, sie in ihrem Verkehr im Innern zu überwachen. So bricht die Meuterei aus. Etwas, was anderen Staaten, die Truppen in fremden Welttheilen haben, tausendmal passiert ist und immer wieder passiert, passiert uns auch. Ist das etwas Ungeheures? ist das ein Mißerfolg? Es nöthigt uns dazu, eine Anzahl von Truppen hinauszuschicken, um sicher zu sein, daß diese Meuterei keine größere Ausdehnung annimmt. Das Glück will, daß die Meuterei schon beseitigt ist, ehe diese Truppe über⸗ haupt hinauskommt. Das Greigniß war unangenehm, es kostet uns Geld; aber es ist doch nichts, wovon man sagen kann: es ist ein Mißerfolg unserer Kolonialpolitik. Das beweist eben nur, daß wir Binnenländer sind, wenn wir solche Dinge als Mißerfolg der Kolonialpolitik anse hen. (Sehr richtig) Das kann uns noch hundertmal passieren, wenn wir Kolonien haben, und wird uns noch hundertmal passieren; das ist doch aber gar kein Grund, den Kopf hängen zu lassen. Der nun hinausgeschickte Beamte hat sofort zurücktelegraphiert: Handel und Wandel gehen gut, alles ist vorüer. Also ich kann dieses an sich unangenehme Ereigniß in Kamerun nicht für einen Mißerfolg halten.

Nun kommen wir zu Südwest⸗Afrika. Hier saß Herr von Frangois mit seinen zuletzt 39 Mann Schutztruppen. Da wurde die Lage gegenüber dem Hendrik Witboi schwierig, der, wie ich schon früher gesagt habe, halb Prophet und halb Räuber ist, er hat eine Anzahl Männer, die ihm anhängen, um sich versammelt, lassen Sie es 500, 600 sein der treibt da sein Wesen; er stiehlt Herden, er stiehlt das, was er an Kleidungsstücken braucht, und so lebt er auf seine Weise gut in den Bergen weiter. Das hätten wir ja noch länger so gehen lassen können; aber nun wurde seine Haltung dadurch gefährlich, daß die uns anhängenden Stämme, über die wir den Schutz übernommen, für die zu sorgen wir eine moralische Verpflich⸗

tung hatten, sagten: wenn der uns unsere Herden stiehlt, was nutzt uns da der deutsche Schutz! Und noch weiter: Hendrik Witboi ging— dazu über, sich mit einigen dieser Stämme zu alliieren; wir standen vor dem Entschluß, entweder Südwest⸗Afrika aufzugeben oder die Trurre Frangois' so zu verstärken, daß, wenn auch nicht sofort, so doch mit der Zeit die Möglichkeit gegeben war, diesem Zustande ein Ende zu machen. Das ist geschehen. Die Truppe ist erst auf 200 Mann verstärkt worden und dann sind noch 100 nachgeschickt. Ehe dies Alles geschehen ist, habe ich eine Konferenz mit dem verheiratheten Bruder, dem Premier⸗Lieutenant von Frangois, ab⸗ gehalten, und mit einem zweiten Bruder, der jetzt noch Neigung hat,

in die Kolonie zu gehen. Wir haben durchgesprochen, was zu ge—

schehen hat, und sind darüber ganz klar gewesen, daß voraussichtlich, wenn man nicht viel Glück hat, es nicht wahrscheinlich sei, daß mit einem Schlage diesem Wesen von Hendrik Witboi ein Ende zu machen wäre. Denn wie wollen Sie es machen? Der Mann verfügt über eine berittene Truppe; die Truppe ficht nicht zu Pferde, sondern steigt ab zum Gefecht, aber entzieht sich jedem Gefecht zu Pferde rechtzeitig. Also, wenn sie uns angegriffen haben, wenn wir auf sie gestoßen sind, und die Sache ihnen ungemüthlich wurde, dann steigen sie auf und empfehlen sich. (Heiterkeit. Einer solchen Truppe gegenüber sind entscheidende Schläge überhaupt nicht möglich oder wenigstens sehr schwer.

Nun wußte Major von Frangois den einzig richtigen Weg, den er wählen konnte: sobald er die Verstärkung hatte, ehe es noch ruch⸗ bar wurde, machte er sich in schnellen Märschen auf nach der Feste Hornkranz, suchte sie von zwei Seiten anzugreifen, zu umstellen und die Leute zu fangen. Das ist nicht geglückt; es ist das auch an sich ein großes Kunststück, mit 200 Mann 600 zu fangen, die darin sitzen. Nebenbei gesagt, hat die Feste Hornkranz eine weite Ausdehnung. Also der Mann ist entkommen; das ist kein Wunder; es wäre ja besser gewesen, es wäre anders gekommen. Was ist nun zu machen? Es bleibt doch nichts weiter übrig, als dem Witboi nachzugehen und ihn immer und immer wieder anzugreifen und ihm so viel Verluste an Menschen, Waffen und Munition beizubringen, daß er zuletzt nicht mehr in der Lage ist, diesen Kampf fortzusetzen. Das hat Frangois gethan, dabei ist er noch. Daß das nicht in ein paar Monaten, viel⸗ leicht in zwei, drei Jahren einen durchschlagenden Erfolg geben kann, liegt doch auf der Hand; aber den Erfolg hat er gehabt, daß er in den folgenden Gefechten dem Witboi immer mehr Leute abgeschossen hat, als er uns, so daß also, wenn das so weiter geht, der Moment abzusehen ist, wo dieser Kampf aufhört. Nebenbei bleibt die Möglich⸗ keit, dem Witboi die Waffen und die Munition mit der Zeit abzu⸗ schneiden; und ich muß anerkennen, daß in dieser Beziehung von den englischen Behörden uns gegenüber korrekt verfahren worden ist.

Nun begegnet man hier wunderbaren Vorstellungen. Ich habe sagen hören: jetzt wollen wir doch ein Kavallerie⸗Regiment hinaus- schicken! (Heiterkeit) Das soll der Sache den Garaus machen? Wie soll denn das gemacht werden? Drüben giebt's keinen Hafer, und drüben giebt's sehr wenig Wasser; und das sind zwei Voraussetzungen, ohne die die Existenz europäischer Kavallerie nicht möglich ist. Die Pferde drüben, die wir brauchen unsere Schutztruppe ist auch be⸗ ritten werden von Kapstadt gekauft: kleine um den militärischen Ausdruck zu gebrauchen Katzen, die nicht sehr stark sind, aber die unbezahlbare Eigenschaft haben, sich von Gras zu nähren. Wenn der Marsch zu Ende ist, über Mittag oder zur Nacht, werden sie auf die Weide getrieben meist ist das Gras trocken, also Heu, davon leben sie, und das setzt sie in den Stand, den Reiter wieder einen Marsch weiter zu tragen. Von solcher Truppe kann man nicht erwarten, daß sie mit der Schnelligkeit einer europäischen Kavallerie operiert. Nun mag eine afrikanische Truppe noch so anspruchslos ausgerüstet sein, sie hat gewisse Bedürfnisse: es muß ihr Munition nachgefahren werden sie hat zwei Geschütz? es müssen auch Lebensmittel nachgeschickt werden, man muß für die Verwundeten sorgen und dafür ein paar Wagen haben. Nun bitte, stellen Sie sich vor, daß jeder dieser Wagen mit acht bis fünfzehn Ochsen bespannt ist, sonst kommt er nicht vom Fleck. Welche Erschwerung für die Bewegung einer Truppe, solchen Troß mitzuführen!

Es hat aber auch die Größe der Truppe, die verwendet wird, eine Grenze. Wir haben dem Major von Frangois gegeben, was er an Truppen beansprucht hat. Er konnte auch nicht mehr beanspruchen. Denn wenn er auch mit tausend Mann ausziehen wollte, er kann ihnen kein Wasser geben, weder heute noch morgen. In der Regenzeit fließt reichlich Wasser auf das Land herunter, aber das Land steigt von der Küste rasch auf, und das heruntergekommene Wasser fließt ebenso schnell wieder ab. Und da, wo wir Ansiedelungen gründen, fängt die Kunst meist damit an, daß man in irgend einer Weise hinter Deichen oder in Zisternen während der Regenzeit soviel Wasser auffängt, daß man den Rest des Jahres davon leben kann. Nun möchte ich, daß einer derjenigen, die den Herrn Major von Frangois dafür tadeln, daß er nicht große Koups gegen Witboi führe, uns die— jenigen Mittel angiebt, wie man mit einer Truppe viele Tage mar— schieren kann, wenn die Truppe zu groß ist, daß sie mit dem Wasser— inhalt der vorhandenen Pfützen genügend getränkt werden könnte.

Nun nehmen Sie, bitte, weiter an, daß das Gebiet von Südwest⸗ Afrika vom Norden bis zum Süden ungefähr eben so weit ist wie von Memel bis Konstanz, und in der Breite ungefähr wie von Ham— burg bis an das Erzgebirge, und dieses Gebiet, denken Sie sich, hält ein Mann jetzt besetzt mit 300 Mann. Es ist gar nicht möglich, daß er das ganze Gebiet beherrscht, daß er jeden einzelnen Fleck, an dem deutsche Ansiedelungen sind, so schützt, daß die Räuber des Witboi nichts dagegen unternehmen können. Witboi zieht auch nicht mit seiner ganzen Masse auf einmal aus, er theilt sie, er schickt einmal hier einen Pulk hin, einmal dorthin, die zerstören hier und da, nehmen hier und da eine Viehherde weg, und dann verschwinden sie.

Ich bin also der Meinung, daß Herr Major von Frangois nicht anders hätte handeln können, als er gehandelt hat, und ich sehe in seinen Handlungen nicht den mindesten Grund zu einer abfälligen Kritik.

Nun sind mir trotzdem zahlreiche abfällige Kritiken über ihn zuge—⸗ kommen. Ich habe schon gestern gesagt: giebt es denn etwas, was natürlicher ist? Herr von Frangois kann den Weißen, die drüben sind, nicht alle Wünsche befriedigen; selbst Missionare klagen über ihn; aber auch das ist natürlich. Der Missionar, der eine Gemeinde um sich versammelt hat, identifiziert sich allmählich immer mit der Gemeinde, und er wird geneigt sein, die Gemeinde in Schutz zu nehmen gegen die Behörde, wenn deren beiderseitige Interessen sich zuwiderlaufen. Ich würde mich auch gar nicht wundern, wenn selbst aus der Truppe heraus Klagen über den Major von Frangois kämen. Denn daß er nicht in der Lage ist ich habe nicht die Ehre, ihn persönlich zu kennen aber daß er gar nicht in der Lage ist, einen höheren Grad von Liebenswürdigkeit zu entwickeln, ist mir unzweifel⸗ haft. Selbst aus den kameradschaftlichen Beziehungen muß der Be⸗ fehlshaber unter solchen Verhältnissen bis zu einem gewissen Grade heraustreten.

Es ist eine bekannte Erfahrung, daß auf Seeschiffen, wenn sie eine lange Fahrt haben, der Kommandant sich schließlich isoliert von den übrigen Offizieren. Thut er das nicht, so wird er zu vertraulich mit ihnen, und wenn er ihre letzte Kraft einmal braucht, reicht seine Befehlkraft nicht mehr aus. Ich vermuthe, daß es hier ebenso ist. Herr Major von Frangois kann nicht Skat spielen mit seinen Unter—

gebenen um dieses Beispiel zu brauchen sondern er muß sig von ihnen absondern. Und daß das hier und da Mißvergnügen ber vorruft, ist mir ganz begreiflich. Also ich kann nicht anerkennen, da hier etwas verfehlt worden ist und daß in Südwest⸗ Afrika Grun gegeben wäre, von Mißerfolgen zu sprechen. Wir haben nicht den Erfolg gehabt, den wir uns gewünscht hätten, wir haben nicht daz große Loos da gezogen; wir haben aber nichts versäumt, wir sind in nichts zurückgegangen, und wir sind auf der Bahn, auf der wir weiter kommen werden, wenn wir nur das haben, was unseren Kolonial. freunden hier meist fehlt Geduld.

Nun die letzte Kolonie Ost -Afrika! Wo ist denn in unserem Df Afrika der Mißerfolg in den letzten Jahren gewesen? Wir hatten i Ost Afrika den Freiberrn von Soden und haben nach meiner Me nung unter dem Herrn Freiherrn von Soden eine ausgezeichnete R. gierung in Ost⸗Afrika gehabt. Ich habe bedauert, daß er abgegangen ist. Das war also Typ Assessorismus und Bureaukratismus. J ist der Typ Militarismus gekommen, und ich glaube, wir haben dat Glück gehabt, wieder einen ausgezeichneten Mann zu finden, und wir haben auch in den letzten Jahren das Glück gehabt daß er nirgendwo eine Schlappe erlitten hat. Ich würde mich nicht darüber wunder, wenn ihm das einmal passierte, aber es ist ihm nicht passiert; er ha einen Erfolg nach dem anderen gehabt und unsere Herrschaft aus, gedehnt. Er ist am Kilimandscharo gewesen und erweitert jetzt unsen Herrschaft nach dem Innern. Sollten wir aber einmal geschlagen werden, sollten Stämme aufrührerisch werden, sollten wir einen On verlieren, den wir jetzt haben wenn man auf so etwas nicht gefaßt sein will, so muß man das Kriegführen lassen und auch daz Kolonisieren aufgeben, denn das sind die unvermeidlichen wirthschaft, lichen Ausgaben, die dabei gemacht werden müssen. Nach allem diesen bin ich der Meinung, man hat nicht die Berechtigung, zu behaupten, es wären in den letzten Jahren Mißerfolge das Charakteristikun unserer Kolonialpolitik gewesen. (Bravo

Abg. Dr. Lieber (Zentr.) erklärt seine Befriedigung über die Ausführungen des Reichskanzlers, welche von der Verzweiflung an der Kolonialpolitik ebenso weit entfernt sind wie von der Kolonial, schwärmerei. Die Mißerfolge hätten das Zentrum nicht erschreckt, darauf sei es vorbereitet gewesen, ja man haͤtte vielleicht noch schlim. mere Dinge erleben können. Die Klagen, welche erhoben worden, werden sich wohl auch als nicht ganz begründet heraut— in, Der verstorbene Herr von Mallinckrodt sagte bei allen solchen Klagen: Die Urschriften auf meinen Tisch, dann werde ich sehen, was zu machen ist! 6 Gouvernementsbefehle, wie die hier angeführten, können nur Verstimmung hervorrufen unter den dort lebenden Europäern. Wenn eine Kritik die Neigun der Beamten, in die Kolonien zu gehen, vermindert, so ist d andererseits auch richtig, daß solche Vorkommnisse in den Kolonien die Theilnahme der deutschen Bevölkerung an ünseren Kolonien be, einträchtigen müssen. Bezüglich der Resolution über die Väter von Heiligen Geist steht das Zentrum auf dem Standpunkt, daß es sich dabei nicht um einen Gegenstand der inneren Kirchenpolitik handelt, es handelt sich dabei nur um die Verhältnisse in den Kolonien, wo große kulturelle Aufgaben zu lösen sind, denen auch die Missionäre dienen sollen. Gerade für die deutschnationale Seite ihrer Aufgabe sollen die Missionäre in Deutschland er— zogen werden. Mit dem Abg. Bebel könne man sich allerdings über diese Frage nicht verständigen. Denn er behaupte, daß es mit dem Christenthum der bekehrten Bevölkerung sehr schlecht bestellt sei. steht damit hesser, als mit mancher Gemeinde in Deutschland. Redner tritt auch für die zweite Resolution der Kommission für die Be— strafung des Sklavenraubs und des Sklavenhandels ein. Wenigstene innerhalb des deutschen Gebiets müßten solche Dinge bestraft werden. Schwierig ist die Sache allerdings; denn es ist schwer, den Sklaven— 6 Handel zu verbieten, während man das Sklavenhalten noch gestattet. .

Abg. Bebel (Soz): Der Reichskanzler scheint dem Vorgang in Kamerun keine erhebliche Bedeutung beizulegen. An der Hand der Berichts des Gouverneurs wird sich nachweisen lassen, daß die Vor, gänge nicht allein Schaden anrichten und Geld kosten werden, sendem daß sie auch leicht hätten vermieden werden können. Auf besonder⸗ Informationen habe ich mich gestern nicht gestützt, sondern ausdrücklit erklärt, daß ich nur bekannte Dinge vorbringen will. Meine Kritt war nicht so scharf, wie die Kritik durch die Presse; man würde sich in Auslande gewundert haben, wenn die Vertretung des Volks über die Dinge geschwiegen hätte. In anderen Staaten übt man eine sehr ni schärfere Kritik, wovon der deutsche Parlamentarismus nur ch schwacher Abklatsch ist. Der Major von Wrochem mag ein tüchti Offizier sein, aber er hat sich jedenfalls als ein schlechter Leiter einn Kolonie gezeigt. Die bei uns schon in üblen Ruf gekommene miltti rische Schneidigkeit ist in Ost⸗Afrika und in den Kolonien üÜberhaumt gar nicht angebracht. Wenn nicht ein Weg gefunden wird, um die Kolonialbeamten für ihren Beruf besser vorzubere ten, dann wild min überhaupt auch in Jahrzehnten keinen Erfolg zu verzeichnen haben. Der Reichskanzler hat selbst anerkannt, daß ein Kaufmann den Intelligenz und Mitteln sein Glück anderwärts sucht als in Oft Afrika. Das ist die schärfste Verurtheilung für Ost-Afrika. Deshalb sollte man nun Mittel für überflüssige Versuche nicht mehr opfern, denn auf die Dauer können dort die Europäer überhaupt nicht ausQ halten. Selbst auf dem Gebiet der Missionen sind keine Erfolge er= zielt worden. Aber selbst wenn die Väter vom Heiligen Geist dahin kommen wird es nicht besser werden. Durch Religion schafft man keinen Kulturzustand, wohl aber schafft der Kulturzustand Religion. Welchen Einfluß hatte denn das Christenthum in den ersten Jahr= hunderten bei unseren deutschen Vorfahren? Die alten heidnischen Auffassungen und Vorurtheile bestanden noch Jahrhunderte lang. Wie sieht es denn mit dem Christenthum der christlichen Abessinier gus? Bei uns leiden die Kulturaufgaben Noth; es fehlt an Geld für Fort— bildungsschulden, für wissenschaftliche Bauten u. s. w. Da haben wir alle Ursache, uns zu besinnen, ehe wir Millionen für folche Zwecke ausgeben. Wit bleiben bei unserer ablehnenden Haltung. Sst Afri ist fast doppelt so groß als das Deutsche Reich und da klagt mam, daß das Hinterland an England abgetreten ist. Wenn wir das Un nur abtreten könnten gegen Erstattung der aufgewendeten Mittel! Der Major von Wissmann hat sich bei seiner Expedition nach den innerafrikanischen Seen großer Unterlaffungsfünden schuldig gematt er hat für die von ihm mitgeführten Handwerker nicht einmal Schuß ae die tropische Sonne geschaffen, wie dies in England immer . chieht. Auf die Kinder und Gnkel hat man uns vertröstet. einem solchen Trost ist uns nicht geholfen. (

Abg. Dr. Ham macher (nl): Der Vorredner verlangt schen jetzt für die Lebenden die rng der Kolonialpolitik; wenn Lie nicht gleich vorhanden sind, so will er die Aussaat verhindern. Wenn England, Frankreich und Holland ebenso gedacht hätten, dann itt sie niemals Kolonien gehabt. Haben England, Holland und Fram, reich thöricht gehandelt, als sie ihre Kolonien gründeten? Der Reich kanzler sprach von der Schwierigkeit der . kaufmãnnische Kräfte; daraus leitete der Vorredner den Schlu . für deutsche Unternehmungen in Ost -Afrika überhaupt zu. machen wäre, daß man deshalb die Kolonien , , solle. Die Niederlassung zahlreicher Deutscher in Oft Isfun

abe ich niemals erwartet; aber für Plantagenkultur ist dort ah Raum vorhanden, Ich erinnere an die Tabackplantagen in enn, Der Kaffeebau ist auch begonnen worden, und wenn nicht mehr i reicht ist, so liegt das daran, daß es an der nöthigen Ruhe hn Ruhe und Ordnung ist das erste Erfordexniß. Dazu ist die Of truppe bestimmt, die man als eine Polizei- oder eine Militẽ mn betrachten kann, die aber hauptsächlich bestimmt war, den Hande a sichern. Es sind auch manche militärische Expeditionen unte

mmen, die besser unterblieben wären. Auf die Streitfrage:

ilitarismus und Assessorismus, lasse ich mich nicht ein. Veder der Militär noch der Assessor ist der geeignete Nann für die Verwaltung der Kolonien. Ich habe in Bezug auf ie Reu⸗ Guinea Kompagnie nicht das behauptet, was der Abg. Richter ausführte, sondern nur daß von zehn hinausgeschickten Beamten sich nur zwei bewähren. Diese Erfahrung macht die Reichsregierung auch. Cs kommt nicht auf die Vorbildung an, sondern quf, den gesunden Menschenverstand und den praktischen Blick. Der Reichskanzler hat msgeführt, daß von Frangois nicht alle deutschen Interessen sbũtzen könne. Es giebt dort nicht viel zu schützen. Das einzige, pas zu schützen war, war, die große Heerde des Herrmann in Fubab. Herr von Frangois hat es abgelehnt, den rrmann u schützen, weil er meinte, daß Hendrik Witbooi nicht im stande sei, einen räuberischen Ueberfall zu machen. Herr von Frangois hat sich getãuscht, die Resolutien bitte ich anzunehmen. Die Frage, ob die Väter vom Heiligen Geist zu den ö des Jesuitenordens ge⸗ sören, untersuchen wir nicht. Der Bundesrath hat diese Frage be= sabt; der betreffende Beschluß müßte also aufgehoben werden. Die Väter vom Heiligen Geist sollen ihre Schüler auf delitschem Boden und in deutschem Geist erziehen. Von den Missionen hängt nicht nur die Erziehung der Eingeborenen zur Arbeit ab; sondern auch die Förderung sonstiger Kulturinteressen ist nur möglich durch die Mit- arbeit der Missionen. . .

Abg. Ehni (südd. Volksp.) spricht sich für die Resolution in Bezug auf die Bestrafung des Sklavenhandels aus, die dringend noth— wendig sei; schwierig sei die Sache aber dadurch, daß das Sklaven. halten noch gestattet sei. Die Erfolge der deutschen Kolonialpolitik eien nicht bedeutende. Man hat von dem Tropenkoller gesprochen. hen wandelt eben nicht ungestraft unter Palmen; wenn aber der Tropenkoller sich bei den Beamten zeigt, dann sollte man se so schnell wie möglich aus ihrem Amt entfernen. Besonders müsse aber für die Lösung der Arbeiterfrage gesorgt werden, die Haussklaven müssen beseitigt werden; deshalb muß in die Resolution auch die Strafbarkeit des Sklavenhaltens aufgenommen werden.

Abg. Dr. Lieber (Zentr.) bestreitet, daß das Zentrum die Kolonialpolitik nur wegen der Missionen unterstütze; im Namen seiner politischen Freunde und auch wohl aller Christen müsse er Wider sruch erbeben gegen die abschätzige Art und Weise, in welcher der Abg. Bebel vom Christenthum spreche. Daß die Kultur neue 3 schaffe, mag sozialdemokratische Wissenschaft sein. Es schlägt aber der Geschichte vollständig ins Gesicht. Die christlich⸗ ermanische Kultur ist durch das Christenthum geschaffen. Das Christen⸗ * der Abessinier ist mit dem Christenthum der römisch-⸗katholischen und der evangelischen Christen durchaus nicht in Vergleich zu stellen; es ist nicht als Maßstab dafür anzunehmen, was das Christenthum eleisttt hat und leisten kann. Was der Abg. Bebel von der christ⸗ fie Kultur hält, ist bekannt; aber er (Redner) widerspricht dem, daß im N. so vom Christenthum gesprochen werde.

Abg. von Salisch (dkons): Wo wären wir, wenn man zur Zeit des Großen Kurfürsten so gedacht hätte wie heute die Sozial. demokraten? Ich will auch im Namen des Christenthums Widerspruch erheben gegen die Ausführungen des Abg. Bebel. Er sollte doch wissen, daß das Reich Gottes auf Erden noch nicht vollendet ist. Die Missionen leisten vieles, und wenn sie nur eine einzige Seele ge—⸗ winnen, so ist das mehr als alles, was die Sozialdemokraten bis jetzt Positives geleistet haben.

Abg. von Staudp (dkons ): Wir erwarten von den Kolonien wirthschaftliche und nationale Vortheile für die Zukunft, deshalb wollen wir die Kolonialpolitik. Unser Herz schlägt auch warm für die Zukunft Deutschlands. Es thut mir leid, daß wir nicht auf eine stärkere Kolonialpolitik hinwirken können; 8— 9 Millionen Mark sährlich für diesen Zweck auszugeben, würde mir nicht unrichtig erscheinen. Das würde eine werthvolle Anlage sein. Das Christen⸗ thum in Schutz zu nehmen, habe ich nach den Aeußerungen der Abgg. Dr. Lieber und von Salisch keine Veranlassung mehr. 3 einer zielbewußten Kolonialpolitik rechne ich auch die us⸗ bildung der Beamten für die Kolonien. Dafür muß genügende Fürsorge getroffen werden. Kaufleute müßten für den Konialdienst mehr gewonnen werden, aber auch andere Wege müssen gefunden werden, um die Beamten derartig auszubilden, daß man eine gewisse Garantie für ihre Bewährung in verantwortlichen Posten hat. Daß das jetzt nicht immer der Fall gewesen ist, wird auch die Regierung nicht bestreiten. Herr von Frangois hat eine Verstärkung der Schutz⸗ truppe verlangt, dann werde er allen Eventualitäten gewachsen sein. Er hat sich geirrt, und das müßte eigentlich nicht vorkommen. Wir sind der Ueberzeugung, daß die Kolonialpolitik eine Nothwendigkeit für Deutschland ist; wir hoffen. daß die Regierung sie fördern wird, sie wird damit immer an uns eine Unter stüßung finden.

Abg. Bebel (Soz. ): Der lebhafte Protest des Abg. Dr. Lieber war wohl mehr auf die Wirkung nach außen hin als für den Reichstag berechnet. Ich habe das Christenthum nicht herabgesetzt, sondern an⸗ erkannt, daß es aus einer so hohen Kulturstufe stammt, daß die Neger es nicht begreifen können, daß die Abessinier trotz ihres Christentbums wieder auf den Standpunkt der Barbaren zurückgesunken sind. Was die christlichen Priester für Deutschland thaten, war nicht das Predigen hristlicher Lehren, sondern die Einführung römischer und griechischer Kultur. Die christlichen merovingischen Könige waren trotz ihres Christenthums die reinen Barbaren. Was bedeutet denn das Ehristen⸗ tbum in Afrika? Prügelstrafe, Mißhandlung von Weibern, Schnaps⸗ pest u. s. w. Der Sklaverei will man entgegentreten, aber man duldet die Haussklaverei; dort die Haussklaverei, hier die Lohn sklaverei, das ist die christliche Kultur.

Abg. Dr. Lieber (Zentr.): Vie Aufrechterhaltung der Haus— fklaverei in Afrika und der Lohnsklaverei hier ist doch nicht der ganze Inhalt des Christenthums. Ueber Kultur kann ich mit einem Manne nicht streiten, welcher die Kommune in Paris sympathisch hegrüßt hat. Die Einführung des Branntweins in den Kolonien ist nicht christlich; ich erinnere nur an den Streit zwischen 83 Woermann und einem wbangelischen Pastor in Bezug auf die Branntweinfrage. Mit dem Abg. Bebel kann man sich nicht verständigen, weil er das Christen⸗ thum als das Produkt einer Kulturstufe bezeichnet, während wir sagen, das Christenthum ist die Religion, welche die höchst entwickelten Menschengeister befriedigt und die niedrigst Stehenden zur Ent- wicklung bringt.

Damit schließt die Diskussion. Beide Resolutionen werden unverändert genehmigt; der Antrag Eh ni, das Sklavenhalten ebenfalls unter 6 zu stellen, wird abgelehnt. Genehmigt werden darauf der Nachtrags⸗Etat für Ost⸗Afrika guf, das Jahr 1893,94 (550 000 M6) und der Etat für Ost⸗ Afrika für 1894/95 unter a rn. von 130 000 S einmaliger Ausgaben, entsprechend dem Antrage der Bud , ,,, nachdem der Abg. Graf Bern storff⸗ Lauenburg (dkons.) gegen die Streichung der 130 0900 MS protestiert hatte, weil sie hauptsächlich für die Zwecke der Mission bestimmt seei.

h i 1. . die n des Etats der Schutzgebiete auf Montag 1 Ühr vertagt.

Preuszischer Landtag.

Haus der Abgeordneten.

ö 18. Sitzung vom 17. Februar 1894.

Im weiteren Verlauf der fortgesetzten zweiten Be⸗ rathung ,,, tn, , für 1894595, und 6. des Ministerlums des Innern, nimmt in der

ebatte über das Kapitel „Einnahmen der Strafanstalts⸗ Ger ma ltun g (Gefängnißarbeit) nach dem Abg. von Mendel⸗ Feinfels (kons.) (s. d. Anfangsbericht in der Sonnabend⸗ ummer d. Bl das Wort der

Abg. v. Clern (fonf 5. Redner sucht darzulegen, daß die Ge—

olgen habe, und fordert vom sozialpolitischen Standpunkt aus chleunige Abhilfe. 4

Geheimer Regierungs Rath Dr. Krohne macht darauf auf— merksam, daß in vielen Gefängniß⸗Betrieben, z. B. in der Schreinerei, Schuhmacherei, Schneiderei 3c, die Arbeit weniger eine handwerks⸗ mäßige, als vielmehr eine fabrikmäßige sei. Im Verhältniß zur Anzahl der freien Arbeiter würden nur O, 2 bis G3 Mo Arbeiter in den Gefängnissen beschäftigt. Die Regierung sei aber zu allen mög lichen Maßnahmen, bereit, um diese Konkurrenz möglichst wenig fühlbar zu machen.

Abg. Lückhoff (fr. kon): Der Staat hat das Recht, die Ge—= fangenen zu beschäftigen und fur seinen Bedarf zu beschäftigen, jedoch nicht das Recht, den freien Arbeitern Konkurrenz zu machen. Die Bereitwilligkeit der Verwaltung zu möglichstem Entgegenkommen ist aber dankbar anzuerkennen.

Abg. Pleß (Zentr.): Man erwägt allerhand Mittel, um die Landwirthschaft zu schützen, die Beamten besser zu stellen; aber an . die Handwerker denkt man nicht. Wenn auch die Lösung der Frage der Gefängnißarbeit schwierig ist, so wird man die Schwierigkeiten dennoch überwinden, wenn nur der gute Wille dazu da ist.

Abg. Rickert (Frs. Vg.): Die konservative Partei nimmt er⸗ freulicher Weise heute einen, anderen Standpunkt ein als noch 1891, wo sie ö in dieser Frage ablehnte. Diese Sache kann aber mit Erfolg nur in einer Kommission berathen werden; es würde sich deshalb vielleicht die Verweisung des Titels an die Kommission empfehlen. Dort könnte uns die Regierung umfassende Mittheilungen über ihre Mahregeln machen, und wir könnten bestimmte Beschwerden vorbringen. Ich stimme darin überein, daß mit der landwirthschaft⸗ ö Beschäftigung der Gefangenen ein ernsthafter Versuch gemacht werde.

Abg. Graf zu Limburg-⸗Stirum (kons.) bestreitet, daß die Konservativen einen rn e ehe in dieser Frage gemacht hätten. Wolle man die Gefängnißarbeit zulassen und das wolle man doch so trete ganz natürlich eine Konkurrenz ein mit den fteien Arbeitern, auch wenn man die Gefangenen bei Meliorations, und Kanalarbeiten beschäftige. Das freie 3 müsse aber vor dieser Konkurrenz be= wahrt werden. Die Verweisung an eine Kommission sei zwecklos, es sei denn, daß Herr Rickert bestimmte maßgebende Gesichtspunkte aufstellte, über welche die Kommission berathen könnte.

Abg. Euler (Zentr) wünscht, daß die Bedürfnisse der Armee durch die Gefängnißarbeit befriedigt würden. Die Handwerker hätten besondere Nachtheile durch die Militärpflicht; denn Untaugliche aus anderen Berufszweigen seien davon ganz frei, die Handwerker müßten als Oekonomiehandwerker für den Staat arbeiten. Die Gefangenen könnten ebenso gut unter der Leitung des Bataillonsschneiders und Schuhmachers arbeiten, wie unter einem Unternehmer.

Abg. Schwarze Gentr.) tritt für die Beschäftigung der Ge— fangenen bei der Moorkultur ein. Was die Gefängnisse produzieren, g, wenigstens nicht zu billigeren Preisen abgesetzt werden als die Fabrikate der freien Produktion; ebenso dürften die Löhne für die Ge⸗ fangenen nicht niedriger sein als die der freien Arbeiter.

Abg. Freiherr von Hueng (Sentr.) stimmt diesem setzteren Wunsch zu. Die Frage der Oekonomiehandwerker sei auch schon mit Erfolg im Reichstag behandelt worden. Die Beschäftigung der Gefangenen für Zwecke der Moorkultur bedinge die Errichtung neuer Strafanstalten an Ort und Stelle und würde Millionen kosten.

Abg. von Eynern (ul.): Die Schwierigkeiten der Abhilfe sind allerdings sehr groß; aber eines könnte sofort beseitigt werden: der maschinelle Betrieb in den Gefängnissen, durch dessen Einführung die Konkurrenz . worden ist. Positive praktische Vorschläge zu anderer Beschäftigung der Gefangenen in den Anstalten sind nicht

Vollständig läßt fa die Gefängnißarbeit und damit die Konkurrenz derselben nicht beseitigen.

Die landwirthschaftliche Beschäftigung ist allerdings erwägenswerth. ü .

Abg. Metzner (Zentr) bittet um Vorlegung einer eingehenden Statistik über die Gefängnißarbeit, wie sie sonst alljährlich dem Hause mitgetheilt worden sei. .

Geheimer Regierungs⸗Rath Dr. Krohne stellt diese Statistik für die nächsten Tage in Aussicht. .

Der Rest der Einnahmen wird bewilligt.

Bei dem ersten Titel der dauernden Ausgaben:

„Gehalt des Ministers“ wünscht . bg. Olzem (ul.) eine bessere Versorgung der . Kom⸗ munalbeamten in Bezug auf Pensionsberechtigung und Anstellung.

Präsident des Staats⸗Ministeriums, Minister des Innern Graf zu Eulenburg:

Es wird kaum der Bemerkung bedürfen, daß das Ziel der Wünsche, die von dem Herrn Vorredner ausgesprochen worden sind, durchaus mit den Wünschen der Staatsregierung übereinstimmt. Indessen, um dieses Ziel zu erreichen, würde ein Weg gegangen werden müssen, welcher auf so viele Schwierigkeiten stößt, daß die Regierung für jetzt nicht in der Lage ist, Ihnen in Aussicht zu stellen, eine solche Vorlage Ihnen zugehen zu lassen.

Ich bitte den Herrn Vorredner, sich Folgendes zu vergegen⸗ wärtigen. Ueberall, im unmittelbaren Staatsdienste uneingeschränkt, aber fast ebenso uneingeschränkt im mittelbaren Staatsdienste, sind in einem gegenseitigen Verhältnisse lebenslängliche Anstellung und Pensionsberechtigung. Nun sind aber nach der gegenwärtigen Lage der Gemeindegesetzgebung am Rhein die Beamtenkategorien, von denen der Herr Vorredner gesprochen hat, nicht lebenslänglich angestellt, und es ist einer der nicht unerheblichen Unterschiede der rheinischen Gemeindegesetze von den östlichen Gemeindegesetzen, daß diese Art von Beamten nicht müssen lebenslänglich angestellt werden. Im Osten muß das geschehen, am Rheine braucht das nicht der Fall zu sein.

Nun bitte ich, sich vorzustellen, welcher Erfolg davon zu erwarten sein würde, wenn wir dazu übergehen wollten, diesen Beamten, die theils auf bestimmte Frist, theils auf Kündigung angestellt sind, die Pensionsberechtigung beizulegen und dabei ferner bestehen zu lassen die weitere Bestimmung des rheinischen Gesetzes, daß darüber, ob die Pensions⸗ berechtigung eintritt oder nicht, eine freie Vereinbarung zwischen den Gemeindebehörden und den betreffenden Beamten zulässig ist. Es fehlt also der Boden, auf dem die Pensionsberechtigung aufgebaut werden kann. Ich glaube, wenn man die Frage so stellen würde: ob die Gemeinden bereit sein würden, sich zu unterwerfen der Bestimmung, daß die Subaltern⸗ und Unterbeamten in den Gemeinden, sofern sie nicht bloß zu mechanischen Dienstleistungen berufen sind, lebenslänglich angestellt werden müßten, daß wir da auf sehr erheblichen Widerstand stoßen würden und darum Vorlagen in dem Sinne, wie der Herr Abgeordnete es will, schwerlich mit irgend welcher Aussicht mit Erfolg würden eingebracht werden. Wie die Verhältnisse liegen, bedaure ich daher, erklären zu müssen, daß wir nicht in der Lage sind, dem Wunsch des Herrn Abgeordneten durch Einbringung einer Vorlage zu entsprechen.

Abg. Seyffardt⸗Magdeburg (al) tritt für eine Revision der Armengesetzgebung ein. In Bayern und Elsaß⸗Lothringen fehle noch ein Unterstützungswohnsitzgesetz, und das bringe Nachtbeile für die anderen Bundesstaaten mit . Vielleicht lasse iich Bayern zur Aufgebung seines Reservatrechts in dieser Beziehung bewegen. Auf Bayern müsse man allerdings politische Rücksichten nehmen; der Ausdehnung des Unterstützungswohnsitzgesetzes auf Elsaß⸗Lothringen ständen aber keine Bedenken entgegen, sie würde auch für die Reichs⸗

lande selbst vortheilhaft sein. J Abg. von Czarlinski (Pole) beklagt sich über die Germa⸗

. mit ihrer Konkurrenz für das freie Handwerk üble

gemacht worden.

* et

nisierung polnischer Ortsnamen. Die Regierung sollte von dieser ge⸗ schmacklosen Umtaufe Abstand nehmen; sie habe doch allen Grund, mit den Polen zufrieden zu sein. Die Ausweisung polnischer Arbeiter, die Auswanderung und die Sachsengängerei schädigten die Landwirth—⸗ schaft. Der Vielschreiberei sollte der Minister durch eine energij Verfügung Einhalt thun. In den jweisprachigen Landestheilen müßten die Gendarmen beider Sprachen mächtig sein. Aus den Re⸗ munerationsfonds sollten nicht nur solche Beamte bedacht werden, denen die Vorgesetzten besonders wohlwollen.

Präsident des Staats-Ministeriums, Minister des Innern Graf zu Eulenburg:

Ich möchte zunächst auf die Anregung etwas erwidern, welche von dem Herrn Abg. Seyffardt gegeben war: Meine Herren, ich beklage mit ihm, daß in Beziehung auß die Armen- und Heimathgesetztebung innerhalb des Deutschen Reiches noch Verschiedenheiten bestehen, ich glaube aber nicht, daß die Aussicht groß ist, in dieser Beziehung in kurzer Frist einen Wandel schaffen zu können; denn Ihnen allen ist bekannt, mit welcher Entschiedenheit man in Bayern auf das in dieser Beziehung bestehende Reservatrecht hält, und daß ein Mittel, es zu beseitigen, nicht gegeben ist.

Was Elsaß⸗Lothringen betrifft, so ist, soviel mir bekannt, die Stimmung der Bevölkerung mit ebensolcher Entschiedenheit gegen die Einführung der Grundsätze des Unterstützungswohnsitz⸗Gesetzes. In⸗ dessen schweben beim Bundesrath Verhandlungen darüber, ob und auf welchem Wege eine Einführung dieser Gesetzgebung in Elsaß⸗ Lothringen herbeizuführen ist.

Was sodann die Aeußerungen des Herrn Abg. von Czarlinski be⸗ trifft, so hat er zunächst behauptet, daß in Beziehung auf die Ver—⸗ drängung der polnischen Ortsnamen und ihren Ersatz durch deutsche in neuerer Zeit, wie er sich ausdrückte eine Wendung zum schlimmeren eingetreten sei. Ich habe darauf zunächst zu erwidern, daß von irgend einer direkten oder indirekten Einwirkung nach dieser Richtung mir nichts bekannt ist und eine solche, wie ich mit Be— stimmtheit sagen zu können glaube, auch nicht stattgefunden hat. Mir ist gar kein Fall bekannt, in welchem ein polnischer Ortsnamen ersetzt worden wäre anders, als auf ausdrücklichen Wunsch und Antrag der betreffenden Gemeinde, und zwar, soviel mir bekannt ist, ausschließlich bei Gelegenheit der neuen Gemeindebezirksbildungen, die infolge der Thätigkeit der Ansiedelungskommission nothwendig geworden sind. Mir sind andere Fälle nicht bekannt, und ich muß bis auf weiteres annehmen, daß solche auch nicht existiren. Daß aber in diesen Fällen den Wünschen der Ansiedler nach einer neuen Bezeichnung dieser Orte Rechnung getragen wird, das wird gerade von seinem Standpunkt aus der Herr Abg. von Czarlinski nicht mißbilligen können.

Meine Herren, was die Angelegenheit der Zulassung polnischer und galizischer Arbeiter zur Arbeit in unseren Provinzen betrifft, sa ist Ihnen ja bekannt, daß die Staatsregierung gewünscht hat, in dieser Beziehung eine Erleichterung eintreten zu lassen, soweit es mit den allgemeinen Staatsinteressen irgend vereinbar ist, d. h. also, soweit wir in der Lage bleiben, uns gegen eine Ein— wanderung, die uns im übrigen nicht erwünscht ist, mit Erfolg zu wehren. Das ist der Grund, warum in dieser Beziehung gewisse Kontrolmaßregeln und gewisse zeitliche Beschränkungen vor— geschrieben worden sind, und das ist ein Gesichtspunkt, den wir auch ferner nicht werden aufgeben können.

Die Sache liegt formell in diesem Augenblick so: Die dreijährige Frist, für die die damalige Verfügung erlassen war, ist mit dem 1. Januar dieses Jahres abgelaufen; sie ist ohne weiteres verlängert worden, damit irgend eine Unterbrechung in der Zulassung der polnischen Arbeiter nicht eintrete; es ist aber weiterhin gleichzeitig eine sehr eingehende und eben deshalb noch nicht zur Erledigung gelangte Berichterstattung erfordert worden, ob nach irgend einer Richtung hin das Bedürfniß oder der Wunsch hervorgetreten sei, in den Be⸗ dingungen, in den Modalitäten der Zulassung Aenderungen eintreten zu lassen. Sobald wir diese Berichte haben, wird eine eingehende Erwägung dieser Angelegenheit statt⸗ finden und wir werden gewiß gern bereit sein, so weit zu gehen, als wir es im Interesse der Landwirthschaft im Vergleich mit den allgemeinen Staatsinteressen glauben verantworten zu können. Ebenso bin ich gern bereit, in eingehende Erwägung zu ziehen, ob in Bezug auf die Formalitäten, über die sich der Herr Abg. von Czarlinski beschwert hat, eine Erleichterung eintreten kann, und es soll mir lieb sein, wenn das geschehen könnte.

Dann sind es noch drei Punkte, meine Herren, die der Herr Abg. von Czarlinski angeregt hat: zunächst betreffend die Stationierung von Gendarmen in den zweisprachigen Landestheilen. Den Wunsch, daß man da Gendarmen, die beider Sprachen mächtig sind, stationieren soll, theile ich vollkommen, und wir wirken darauf hin, daß er erfüllt wird, soweit es in unseren Kräften liegt; aber wir sind nicht im stande, so viele Gendarmen dieser Art zu beschaffen, daß dem Wunsche überall entsprochen werden kann. Immerhin bleibt es ein Ziel, das wir verfolgen.

Was die ferner erwähnte Standesamtssache betrifft, so muß ich sagen, daß mir die Schwierigkeiten, welche der Herr Abgeordnete berührt hat, nicht genügend klar geworden sind, um darauf eine Antwort geben zu können. Der Fall, wenn er aus dem stenographischen Bericht sich demnächst ergeben wird, wird mir Anlaß geben, mich um die Sache zu bekümmern, aber jetzt Antwort zu geben bin ich nicht im stande; es bezieht sich dies auf den zweiten Fall, wo das große Aktenstück gezeigt wurde, aus dem ich nicht habe entnehmen können, was eigentlich den Gegenstand der Beschwerde bildet. Im übrigen will ich darauf aufmerksam machen, daß die Standesämter zu handeln haben nach den Vorschriften des Sprachengesetzes, und daß davon eine Ausnahme nicht zulässig ist.

Endlich, was die Remunerationen betrifft! Ja, wenn man die Rede des Abg. von Czarlinski gehört hat, muß man annehmen, daß es das Schlimmste ist, dessen sich ein Beamter schuldig machen kann, daß er sich die Gunst seines Vorgesetzten erwirbt. Nun muß ich ge— stehen, so kann ich die Sache nicht ansehen. Mir ist recht wohl be⸗ kannt, daß es Leute giebt, die auf eine unwürdige Weise, während sie sonst nicht viel werth sind, wenigstens den Versuch machen, sich ein⸗ zuschmeicheln und dergleichen. Aber sonst halte ich das für keinen Vorwurf, wenn Jemand darauf bedacht ist, sich die Zufriedenheit seiner Vorgesetzten zu erwerben. Im übrigen kann ich mich, so lange wir bei den auch von dem Herrn Abgeordneten als niedrig bemessen anerkannten Gehältern genöthigt sind, starke Remunerationsfonds zu haben, nicht zu dem Prinzip bekennen, daß es angezeigt oder zweckmäßig wäre, diese Fonds nun lediglich nach den Regeln der Division zu behandeln, in Atome zu zersplittern, und an alle Beamte,