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Erhöhung des Pensionsfonds stattfinden. Wenn in einem Jahre f einmal die Einnahme der Offiziere durch den Wohnungsgeldzuschu erhöht wird, so ist ganz klar, daß sich das nachher bemerkbar macht. Dasselbe ist bei den Mannschaften der an die den größten Theil des , bilden. Auch die sind so viel mehr, also werden o viel mehr invalide, und der Pensionsfonds wächst infolge dessen; bei den Offizieren wächst der Pensionsfonds um 35 Mo, bei den Mann⸗ schaften um 41 oo, bei den Beamten um 340, im Durchschnitt also um 3609. Da also die 35 0½ bei den Offizieren hinter den 3tz /o noch zurückbleiben, so ist das ein Beweis, daß nicht diese besondere . der Grund ist vom Anschwellen des Pensionsfonds, ondern die allgemein angeführten Ursachen. Wenn das nicht richtig wäre, dann müßte bei den Beamten ein ganz bedeutender Unter⸗ schied stattfinden; denn an die Beamten werden doch lange nicht die Ansprüche der Felddienstfähigkeit gestellt, überbaupt nicht so hohe. Anspannung der körperlichen Fähigkeit von ihnen ver— langt wie von den Offizieren. Ich halte das durchaus für ein Beweismittel. Ich muß auch ferner sagen, daß der Abg. Bebel sich in einem großen Irrthum befindet. Er unterschätzt — und das thut nicht er allein, sondern im allgemeinen wird das unterschätzt — was überhaupt in der Armee im Offizierstand ais gg, ist, durch Dienstbeschädigung und wirkliche Invalidität. Er führte hier, an einen Regiments⸗Kommandeur, der nicht einmal ein Jahr in dieser Stelle gewesen, Rittmeister, die auch nicht so lange in der Stelle ge⸗ wesen. Diese Fälle kommen vor, sie sind aber nicht häufig. Wenn der Betreffende aber nicht nachweist, daß er eine Dienstbeschädigung erlitten hat, die ihn nicht bloß felddienstunfähig, sondern feld⸗ und garnisondienstunfäbig macht, dann bekommt dieser Offizier nicht die Pension der höheren Charge, sondern nur die Pensi on der niederen Charge; und das wird unterschätzt, wie viele Offiziere invalide wer⸗ den. Das ist richtig: der Militärdienst ist für einen kräftigen Menschen im ganzen stärkend; ein kräftiger, gesunder Mann wird beim Militärdienst vielleicht länger jung bleiben, als einer, der im Bureau oder in anderer Weise beschäftigt ist. Es sind aber eine ganze Menge Konstitutionen, die einen Knacks wegbekommen und die das nicht aushalten. Das kommt schon in den jüngeren Jahren und bis zum Hauptmann ganz bedeutend vor. Es gehört bloß dazu eine kleine Ueberschlagung der Stimme, daß der Mann nicht mehr kom⸗ mandieren kann, — ich führe das aus der Praxis an, — daß er Krampfadern bekommt, an Rheumatismus leidet. In neuerer Zeit kommen auch eine ganze Menge Herzkrankheiten vor, die man früher kaum in diesem Maße gekannt hat. Denken Sie sich folgen⸗ den Fall: Ein Offizier von der Garnison Koblenz geht im gewöͤhn⸗ lichen Felddienst auf den Asterstein, bei glühender Hitze, er steht dann oben fünf Stunden bei schneidendem Nordwestwind, er mußte sich an den Scheibenstand stellen, er bekam darauf die Lungenentzündung, er hat sich noch ein und zwei Jahre hingeschleppt und ist unterstützt worden. Schließlich aber mußte der Regiments-Kommandeur sagen: Es thut mir sehr leid, es geht nicht mehr! — Die Zahl solcher Fälle
wird ganz bedeutend unterschätzt.
Abg. Bebel (Soz.): Daß mit der Vermehrung der Armee der Pensionsfonds steigen muß, ist naturnothwendig und von mir nicht bestritten. Meine Beschwerde richtet sich gegen die unverhältniß⸗ mäßiggroße Zahl von Pensionierungen aus Anlaß einer Heeres— vermehrung und gegen die zahlreichen Verabschiedungen ganz rüstiger Offiziere gegen ihren Willen.
Königlich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, Kriegs-Minister Bronsart von Schellen dorff:
Ja, meine Herren, ich wollte nur kurz bemerken, der Herr Abg. Bebel tadelte zuerst in seiner Rede, daß in der Armee eine zu heftige und starke Verjüngung stattfände. So habe ich ihn verstanden. Nun habe ich mich bemüht, ihm zu beweisen, daß das nicht der Fall ist, und ich habe es bewiesen an den Zahlen des Durchschnittsalters der einzelnen Chargen in der Armee, und zwar des Durchschnittsalters in einer langen Reihe von Jahren. Nun sagt der Herr Abgeordnete: Ja, das ist ja der Beweis, ihr geht mechanisch vor“, und gefällt sich darin, wiederholt auf meine Bemerknng von der Regelmäßigkeit eines Naturgesetzes zurückzukommen. Ich verstehe das nicht; ich sehe gerade in der Stetigkeit der Erhaltung der Altersverhältnisse in den verschiedensten Chargen einen Beweis, daß in der Armee von Alters her Avancement und Verabschiedung nach gleichmäßigen Grundsätzen behandelt werden.
Nun sagt der Herr Abgeordnete, es wäre eine allgemein bekannte Thatsache, daß eine große Zahl von Offizieren im rüstigsten Lebens— alter, in völliger geistiger und körperlicher Frische verabschiedet werden. Ja, meine Herren, was ist eine allgemein bekannte Thatsache? Nach unserer Auffassung sind die Betreffenden eben nicht mehr geistig und körperlich frisch gewesen, und die Mehrzahl von den Herren sind vielleicht selbst dieser Auffassung. Also das kann ich nicht zugeben, daß es eine allgemein bekannte Thatsache ist. Wir legen ja selbst den allergrößten Werth darauf, tüchtige und leistungs⸗ fähige Personen in der Armee zu erhalten. Es wäre geradezu widersinnig und thöricht, wenn man die tüchtigsten Leute daraus entfernen und bloß die unbrauchbaren kon⸗ servieren würde. (Sehr richtig Wie werden wir denn tüchtige und brauchbare Leute aus der Armee verabschieden? Daß der Einzelne oder ein Verwandter oder auch noch einige andere Personen der Meinung sind, der Betreffende hätte vielleicht noch etwas länger dienen können, das hat mit der Sache nichts zu thun.
Maßgebend und entscheidend für die Armee ist nicht, wie ein Offizier heißt und wie alt er ist, sondern was er leistet; das ist die Hauptsache. Andere Grundsätze sind in der Armee nicht gewesen, werden auch nie bestehen.
Die Resolution von Schöning wird angenommen, der Etat des allgemeinen Pensionsfonds bewilligt, ebenso ohne Debatte der Etat des Reichs⸗-Invalidenfonds.
Beim Etat der Reichs-Justizverwaltung, Kapitel , . führt der .
Abg. v. Salisch (dkons. Klage über die Schwerfälligkeit und Langsamkeit des Dienstes auf den Standesämtern und verlangt eine anderweite Fassung der bezüglichen Ausführungsbestimmungen des Bundesraths zum Zivilstandsgesetz. ]
Abg. Sach se (kons.) tritt als Standesbeamter auf Grund seiner persönlichen Erfahrungen diesen Beschwerden bei. Die jetzige Handhabung des Standesamtsgesetzes müsse zu einer Minderung des kirchlichen Sinnes unserer christlichen Bevölkerung führen.
Staatssekretär Nieberding:
Meine Herren! Die Einrichtung der Standesregister wird zwar, wie ich annehme, einem großen Theil der Mitglieder dieses hohen Hauses im einzelnen nicht bekannt sein und kaum interessieren; es ist aber richtig, daß eine praktische, zweckmäßige Gestaltung der Register von großer Wichtigkeit ist nicht nur für die Bevölkerung, die ver— pflichtet ist, Eintragungen anzumelden, sondern auch für diejenigen unserer Mitbürger, die dieses mühevolle Amt, zum theil ohne Eat— gelt, in dankenswerther Weise führen.
Ich glaube, die Ausführungen der beiden Herren Redner, die sich gegen die gegenwärtige Einrichtung der Standesregister in gewissen Punkten gewandt haben, bestätigen so viel, daß im großen und ganzen sich die Ein⸗ richtung bewährt hat; denn, was Sie monieren, sind eben doch nur Einzel⸗ heiten. Wir haben die bestehende Einrichtung der Standesregister aus den⸗ jenigen unserer westlichen Landestheilen übernommen, wo die Register
bereits eingeführt waren und wo man mit ihnen Erfahrungen hatte machen können vor Einführung des für das Reich erlassenen Personenstandsgesetzes. Ich glaube nicht, daß wir Anlaß haben, an den Einrichtungen, wie sie gegenwärtig bestehen, etwas Wesentliches zu ändern. Ich gebe aber zu, daß auch diejenigen Wahr⸗ nehmungen, die an die Reichsverwaltung herangetreten sind, bestätigen, daß den Einrichtungen manche Mängel anhaften, die eine Abhilfe wünschenswerth machen. Ich will gern den beiden Herren Vorrednern die Zusicherung geben, daß wir den von ihnen hier hervorgehobenen Punkten unsere besondere Aufmerksamkeit schenken wollen. (Beifall.) Ich habe das zum theil nicht einmal mehr nöthig zu versprechen, da einzelne der von den Herren Vorrednern hervorgehobenen Punkte bereits früher auf Grund eigener Erfahrungen bei der Reichs Justizverwaltung Gegenstand der Prüfung geworden sind.
Ich möchte aber doch darauf aufmerksam machen, daß nicht alle Dinge, die von den Herren hier als Mängel der gegenwärtigen Ein⸗ richtungen be sichnet sind, vor die Reichsinstanz gehören. (Zustimmung.)
Mehrere dieser Beschwerden lassen sich nach meiner Meinung viel einfacher, bequemer und richtiger erledigen, wenn die Herren sich an ihre Landesverwaltungen wenden wollten. Ich mache in dieser Bezie⸗ hung nur aufmerksam auf die Wünsche, die die Herren Redner hatten in Betreff der Behandlung der Sammelakten, in Betreff des Kassenwesens, in Betreff der Formen und Maßgaben, unter welchen Auszüge aus den Standesregistern für den privaten Gebrauch entnommen werden können, und in Betreff der Art und Weise, wie die einzelnen Bände der Jahresregister zu gestalten und zu verwahren sind. Die von seiten des Reichs, vom Bundesrath, auf Grund des Reichsgesetzes erlassenen Vorschriften hindern die Landesregierungen in keiner Weise, nach diesen Richtungen hin diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die sie nach ihren Verhältnissen und auf Grund ihrer Er⸗ fahrungen für die zweckmäßigsten halten. Und wenn ich nun bezüglich der übrigen Punkte gern die Versicherung wiederhole, daß wir diesen, soweit es bisher noch nicht geschehen, unsere besondere Aufmerksamkeit zuwenden wollen, so kann ich Ihnen in den vorher bezeichneten Punkten nur empfehlen, sich an die Landesregierung zu wenden. Ich bin überzeugt, auch dort wird Ihren Wünschen entsprechende Berücksichti⸗ gung zu theil werden.
Auf Anfrage des Abg. Dr. Bachem (Zentr.) erklärt der
Staatssekretär Nieberding:
Meine Herren! Es kann der Reichsverwaltung nur willkommen sein, wenn die Frage des Herrn Vorredners dazu Anlaß giebt, daß diesed hohe Haus der Lage der Vorarbeiten für das Bürgerliche Gesetzbuch wiederum seine Aufmerksamkeit schenkt; denn ich muß sagen, daß eine Steigerung des Interesses an dem Fortgang und an dem endlichen Abschluß der Arbeiten nicht bloß in diesem Hause, sondern auch in weiteren Kreisen für die Arbeiten selbst von Bedeutung ist. Ich habe den Eindruck, daß nach der hohen Stimmung, die in den ersten Jahren nach Beginn der Ar⸗ beiten den Fortgang des Werks begleitet hat, inzwischen eine gewisse Ermattung der Theilnahme eingetreten ist, von der ich wünschen möchte, daß sie nicht noch länger anhalten möchte, umsomehr, als ich hoffe, daß wir in nicht zu langer Zeit mit den Vorarbeiten zum Ab— schluß kommen werden.
Die Lage der Sache ist gegenwärtig folgende. Das ganze Gesetz⸗ buch soll bekanntlich aus 5 Theilen und einem Einführungsgesetz be⸗ stehen. Von diesen 5. Theilen ist der erste, der die allgemeinen Grund⸗ sätze des Rechts umfaßt, der zweite, der das Obligationen— recht umfaßt, und der dritte, der das Sachenrecht zum Gegenstande hat, gegenwärtig vollendet. Die ersten beiden Theile sind auch in der Redaktion abgeschlossen, seit einer Reihe von Monaten im Druck fertiggestellt und der Oeffentlichkeit zugänglich geworden. Das Sachenrecht unterliegt noch einer redaktionellen Durchsicht, die sich in der letzten Zeit durch die Schwierigkeit der Materie leider etwas verzögert hat, die aber, wie ich nach den Erklärungen des Vor⸗ sitzenden der Kommission mit Bestimmtheit annehmen darf, in den nächsten Wochen auch ihren Abschluß finden wird, sodaß auch das Sachenrecht unmittelbar nach Ostern dem großen Publikum im Drucke wird zugänglich gemacht werden können.
Inzwischen ist die Hauptkommission bereits seit einer Reihe von Monaten in die Berathung des Familienrechts eingetreten; und die Arbeiten auf dem Gebiete des Familienrechts haben, wie ich hier zu meiner großen Genugthuung hervorheben kann, einen so erfreulichen Fortgang genommen, daß wir die Erwartung hegen dürfen, dieses wichtige Kapitel des Werks werde im Laufe des Frühsommers laufenden Jahres seinen Abschluß finden.
Bleibt dann noch übrig der fünfte und letzte Theil des Werks, das Erbrecht. Nach den Besprechungen, die ich mit den Herren der Kommission gehabt habe, und nach den Erklärungen, die mir der Herr Vorsitzende der Kommission auf Grund wiederholter Erörterungen über einen raschen Fortgang der Sache und über die Dispositionen, die zu dem Behufe nöthig sind, gegeben hat, glaube ich annehmen zu können, daß das Erbrecht im Laufe des nächsten Winters wird durch⸗ gearbeitet werden und im Laufe des nächsten Frühjahrs auch seine Fertigstellung erreicht werden wird; dann werden wir den Sommer übrig haben, um einige vorläufig noch zurückgestellte Kapitel aus verschie⸗ denen Theilen des Werks zu erledigen und das Einführungsgesetz zum Abschluß zu bringen, welches allerdings einige sehr schwerwiegende und schwierige Fragen einschließt. Ich glaube aber, bei der Ueber⸗ zeugung, die, wie ich weiß, auch die Kommission durchdringt, daß ein baldiger Abschluß ihrer Arbeit in den Wünschen der Regierungen und des Volks liegt, und bei dem Eifer, mit denen sich die Herren der Beschleunigung der Sache in den letzten Monaten, wie ich nur dankbar anerkennen kann, hingegeben haben — ich glaube, daß es unter diesen Umständen gelingen wird, auch die Revision des Einführungsgesetzes im Laufe des Herbstes des nächsten Jahres zu beenden, sodaß wir hoffen können, es werde mit dem Schluß des Spätherbstes das Werk vollendet vorliegen. (Beifall.)
Unter diesen Umständen, meine Herren, sind die verbündeten Regierungen bereits vor einiger Zeit der Frage näher getreten, welche Mittel und Methoden gegeben seien, um nach dem Ab schlusse des Werkes innerhalb der Kommission die weitere Fortführung der Arbeiten, also die politische Aktion vor dem Bundes⸗ rath und vor dem Reichstag, möglichst zu beschleunigen. Der Herr Reichskanzler hatte sich zu dem Zwecke mit den Bundesregierungen in Verbindung gesetzt und seine Meinung dahin ausgesprochen, daß es sich empfehlen werde, um eine rasche Aktion innerhalb des Bundes⸗ raths sicher zu stellen, bereits jetzt bei den einzelnen Regierungen die⸗
jenigen Theile des Werkes, die von der Kommission fertig gestellt' worden sind, in Berathung zu nehmen und an die Prüfung der weiteren Theile ebenfalls mit dem Augenblick heranzutreten, wo sie aus der Kommission hervorgehen werden. Dann würden die Regie⸗ rungen die Wünsche, die sie etwa zu den einzelnen Theilen des Werkes noch glauben äußern zu sollen, bruchstückweise in bestimmten Fristen dem Reichs⸗Justizamt zugehen lassen und das Reichs⸗Justizamt die Erinnerungen kritisch sichten, damit die Zusammenstellung aller Wünsche und Erinnerungen spätestens mit dem Abschlusse der Arbeiten in der Kommission selber dem Bundesrath vorgelegt werden könnte.
Der Herr Reichskanzler ist bei diesem seinen Vorschlage von der Ansicht ausgegangen, daß es bei der Berathung eines Gesetzbuchs, welches, wenn es fertig gestellt sein wird, die mehr als zwanzig« jährige Arbeit zweier Kommissionen der hervorragendsten Juristen Deutschlands darstellen wird, im Bundesrath und — ich glaube hin— zufügen zu dürfen — später auch im Reichstag nicht darauf werde ankommen können, alle einzelnen Bestimmungen nochmals einer, wenn ich so sagen soll, technisch⸗juristischen Revision zu unterziehen. Es würde das ja überhaupt nur in der Weise möglich sein, daß der Bundesrath und dem entsprechend später auch der Reichstag nochmals Kommissionen ad hoc einsetzten, Kommissionen, die natürlich über— wiegend wieder aus Juristen bestehen müßten. Eine solche Einzelrevision durch neue nacheinander tagende Kommissionen würde meiner Meinung nach wenn sie wider Verhoffen unternommen werden sollte, das Scheitern des ganzen Werkes aller Wahrscheinlichkeit nach zur Folge haben. Der Herr Reichskanzler ist also von der Meinung ausgegangen, daß es eines solchen Durcharbeitens des Werks weder von seiten des Bundesraths noch von seiten des Reichstags bedürfen werde, sondern daß diese beiden Faktoren der Gesetzgebung in Würdigung der Durch—« arbeitung, die das Werk durch die gründliche Arbeit zweier Juristen⸗ kommissionen erfahren hat, sich dabei werden bescheiden können, die allgemeinen Gesichtspunkte des Werks in den einzelnen Theilen und diejenigen wirthschaftlichen und politischen Grundsätze, die tiefer in das praktische Leben eingreifen, ihrerseits nochmals einer Prüfung zu unterziehen und danach ihr Ja oder Nein zu dem ganzen Werke ab— zugeben.
Meine Herren, nach den Erklärungen, die die einzelnen hohen Regierungen dem Herrn Reichskanzler haben zukommen lassen, besteht die sichere Aussicht, daß die Vorschläge des Herrn Reichskanzlers zur Durchführung gelangen werden, und daß der Bundesrath auf Grund dessen in der Lage sein wird, gleich nach Abschluß der Arbeiten inner— halb der Kommission im Spätherbst des nächsten Jahres seine end⸗ gültige Stellung zum Gesetzbuch zu nehmen auf Grund der schon einge— leiteten Vorarbeiten, die es eben möglich machen werden, die Berathungen im Schoße des Bundesraths selbst auf eine verhältnißmäßig kurze Zeit zu beschränken. Wenn diese meine Annahmen in Erfüllung gehen, dann wird, wenn ich naturgemäß auch keinen bestimmten Zeitpunkt bezeichnen kann, sich doch die Gewißheit ergeben, daß dieses hohe Haus in verhältnißmäßig kurzer Zeit auch seinerseits an die Aufgabe wird herantreten können, Stellung zu dem Gesetzbuch zu nehmen. Sollte der Reichstag geneigt sein, bei seinen Berathungen dann den Weg zu betreten, den, wie ich hoffe, der Bundesrath einschlagen wird, dann hat das deutsche Volk auch die Aussicht, in absehbarer Zeit zu der jenigen Rechtseinheit zu gelangen, die ihm eine tausendjährige Ge— schichte bis dahin versagt hat. (Bravo!)
Abg. Schröder (fr. Vg.): Diese Erklärungen lauten ja gewiß hoffnungsvoll, aber auch der frühere Staatssekretär Dr. Bosse hat hat vor zwei Jahren hier ähnliche Aussichten eröffnet, denen die Ver— wirklichung versagt geblieben ist. Erfreulich ist, daß die verbündeten Regierungen sich nicht nochmals in das juristische Detail vertiefen wollen. Auch uns legt der Staatssekretär schon jetzt eine ähnliche Resignation ans Herz. Um so bedauerlicher aber ist es, daß die jetzt mit der zweiten Lesung befaßte Kommission nicht auch schon von dieser Resignation umfassenden Gebrauch gemacht hat. Diese Erfahrung ist sehr danach angethan, die optimistische Hoffnung des Reichs⸗Justizamts etwas zu dämpfen. Von der ursprünglichen Begeisterung, von dem Schwung, mit dem die Inangriffnahme des grohen Werks aufgenommen wurde, ist nicht viel mehr übrig; diese Wahrnehmung ist eine allgemeine. Das Rechtsleben der Nation drängt zu Neugestaltungen und verlangt dieselben. So wird neuer— dings eine reichsgesetzliche Regelung des Heimstättenwesens verlangt, und der gesetzgeberische Eifer der Juristen im Zentrum wird ja ducch die große Zahl ihrer Gesetzentwürfe bewiesen. Viele dieser Anträge kollidieren direkt mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch, wie die Regelung des Retentionsrechts, die Sicherung der Forderungen der Bau hand— werker, die Abzahlungsgeschäfte, das Agrarrecht. .
Staatssekretär Nie berding:
Meine Herren! Wenn der Herr Vorredner Gelegenheit hätte, sich laufend unterrichtet zu halten über die Stimmungen und Meinungen der Herren Mitglieder der Kommission, dann würde er, glaube ich, nicht den Eindruck haben, daß ich dem Fortgang der Arbeiten der Kommission mit zu großem Optimismus gegen— überstehe. Die Herren würden, glaube ich, Zeugniß dafür ablegen, daß ich den Fortgang der Arbeiten sehr vorsichtig verfolge und daß ich keine Gelegenheit vorübergehen lasse, mit der Kommission in Ver— bindung zu treten, sobald ich den Eindruck gewinne, als ob an der einen oder anderen Stelle die Weiterführung der Arbeiten ins Stocken gerathen sei.
Es ist allerdings richtig, daß mein früherer Amtsvorgänger, Herr Staatssekretär Dr. Bosse, erklärt hat, es würden die Arbeiten bereits im Jahre 1893 abgeschlossen werden können. Er batte eben bei der damaligen Lage der Arbeiten vor zwei Jahren schwerer prophezeien als ich. Wenn ich heute die Versicherung ab— gebe, daß vor Schluß des nächsten Jahres die Kommission mit den Arbeiten zum Abschluß kommen werde, so gebe ich diese Versicherung in einem späteren Moment, also in einer günstigeren Situation, und gebe sie vor allem nach näherer Erwägung mit dem Vorsitzenden der Kommission, die übrigens auch ihrerseits mir gegenüber zweifellos ihren Entschluß hat erkennen lassen, vor dem übernächsten Jahres schluß fertig zu werden, — und nicht nur diesen Entschluß, sondern auch die Ueberzeugung, daß es ohne Beeinträchtigung des Werks möglich sein wird, bis dahin die Arbeiten abzuschließen. Ich gebe zu, daß im Laufe der letzten Jahre die Arbeiten der Kommission nicht so schnell vorgeschritten sind, wie es in außerhalb stehenden Kreisen er— wartet wurde; aber eins muß man doch anerkennen: die Art und Weise, wie die Kommission den ersten Entwurf durchgearbeitet hat, bringt uns eine so verdienstvolle, so glückliche Umgestaltung des ganzen Werks, daß dadurch die spätere Beurtheilung des Entwurfs, und ich glaube auch, die Beschleunigung dieser Beurtheilung im Bundesrath und im Reichstag eine wesentliche Erleichterung erfahren werden. In sofern, glaube ich, sind die Jahre, die die Kommission auf die Re, vision des Entwurfs verwendet hat, keine verlorenen gewesen. Dah
wir jetzt schneller vorwärts gehen werden, dafür, glaube ich, giebt Ihnen die Erklärung einige Gewähr, die ich hier im Namen der Kommission und in meinem Namen abgegeben habe.
Abg. Freiherr von Manteuffel (Dkons.): Als Mitglied der Kommission kann ich bestätigen, daß das Tempo der Berathungen derselben sich immer mehr verlangsamt hat. Im Laufe des Jahres sind aber wesentliche Verbesserungen im ganzen Verfahren eingetreten. Am 1. Oktober 1897 werden die Berathungen der Kommission sicher abgeschlossen sein. Hoffentlich werden die heutigen Verhandlungen den Herren von der Kommission ein Sporn sein, noch eifriger zu arbeiten. ;
Abg. Er. von Cuny (nl) nimmt die Kommission gegen die von dem Abg. Schroeder erhobenen Vorwürfe in Schutz. Die gründliche Arbeit der Kommission sei geradezu unvermeidlich geworden durch das massenhafte kritische Material, welches die Arbeit der ersten Kommission an die Oeffentlichkeit gebracht hatte.
Abg. Spahn (Zent.) tritt ebenfalls dem Abg. Schroeder ent— egen, soweit dieser sich auf die Juristen aus dem Zentrum bezogen at. Er bedauere garnicht, wenn die Vollendung des Werks sich ver⸗
zögere; denn nichts wäre schädlicher als Ueberstürzung. Wenn der Entwurf fertig sei, werde er beim deutschen Publikum dankbare Auf—
nahme finden. . ; ö. Das Gehalt des Staatssekretärs wird bewilligt, ebenso
der Rest des Kapitels. Bei den Ausgaben für das „Reichsgericht“ be— mängelt der
bg. Schroeder (fr. Vg.) die gegenwärtige innere Entwickelung desselben. Ein Kollegium von 80 3 90 Richtern sei eine Ab⸗ normität, eine anderweite Organisation eine Nothwendigkeit.
Abg. Freiherr von Gültlingen (Rp.) beanstandet die gefor⸗ derte Vermehrung des Personals des Reichsgerichts um drei Räthe à 12000 M und beantragt die Absetzung der Mehrforderung.
Staatssekretär Nieberding:
Meine Herren, die drei Stellen, deren Absetzung vom Etat der Herr Vorredner befürwortete, sind von dem Präsidenten des Reichs gerichts bereits vor einigen Jahren in Antrag gebracht worden. Der Reichsgerichts⸗Präsident beantragte damals die Einsetzung von fünf neuen Rathsstellen in den Etat. Die Reichs⸗Justizverwaltung hat diesen Antrag abgelehnt. Sie war der Ansicht, daß die ihn begründenden Ausführungen nicht ausreichen, um eine Vermehrung des Personals durch fünf Richterstellen zu rechtfertigen, und hat damals ihren Antrag beim Bundesrath und bei dem Reichstag auf zwei neue Stellen eingeschränkt, die auch bewilligt worden sind. Sie hatte sich aber vorbehalten, auf die Sache zurückzukommen, wenn die weiteren Erfahrungen in der Praxis zeigen sollten, daß die Besorgnisse des Reichsgerichts-Präsidiums begründet sein würden.
Nun, meine Herren, als im letzten Sommer das Reichsgericht von neuem auf die alte Forderung zurückkam und demgemäß den Antrag stellte, drei neue Stellen in den Etat aufzunehmen, haben wir uns nach gewissenhafter Erwägung der inzwischen beim Reichs⸗ gericht eingetretenen Verhältnisse nicht verhehlen können, daß die Forderung gerechtfertigt sei.
Meine Herren, um Ihnen die Entwickelung der Geschäfte beim Reichsgericht in einigen Zahlen vorzuführen, gestatten Sie mir, Folgendes mitzutheilen: Die Zahl der Revisionen in Strafsachen hat in den letzten vier Jahren in folgender Weise zugenommen, ich nenne nur runde Zahlen: in dem ersten Jahre, 1890, sind 3810, im nächsten Jahre 4070, darauf 4480 und im letzten Jahre 4780 Sachen eingegangen. Seit dem Jahre 1887 hat sich die Zahl der Revisionen in Strafsachen überhaupt um 50 0 vermehrt.
Demgegenüber steht die Zahl derjenigen Sachen, die jedes Jahr rückständig bleiben und aus einem Jahr ins andere übernommen werden. Es ist naturgemäß, je mehr die Zahl solcher Rückstände steigt, desto mehr wachsen die Geschäftsreste, desto längere Dauer be⸗ anspruchen die Prozesse, desto schleppender wird der Geschäftsgang. Es sind nun aber rückständig und unerledigt geblieben am Schluß des Jahres 1890 430 Sachen, im folgenden Jahre 450, im darauf folgenden 550 und im letzten Jahre 650 Sachen. Meine Herren, ich habe keine Veranlassung, anzunehmen, daß die Dispositionen in der Geschäftsleitung des Reichsgerichts oder
die Leistungen der Mitglieder des Reichsgerichts die Ursache der Ver-
mehrung dieser Restsachen bilden. Auf der anderen Seite muß ich der Ueberzeugung Ausdruck geben, daß die Zahl der neuen Eingänge an Revisionen in Strafsachen auch in den nächsten Jahren sich noch steigern wird, und ich glaube, daß die Autorität des Reichsgerichts, die Gewissenhaftigkeit der Rechtsprechung und die Interessen der Parteien gleichmäßig fordern, dem Gericht diejenigen Kräfte zur Verfügung zu stellen, welche nöthig sind, um die Geschäfte auf dem Laufenden zu erhalten. Der Herr Vorredner hat nun zwar gesagt: ja, wir bekommen doch nächstens die Berufung, und es soll außerdem die Kompetenz des Reichsgerichts durch die Erweiterung der Kompetenz der Landesgerichte beschränkt werden, und dadurch wird das Reichsgericht in seiner Arbeit entlastet werden. Das ist aber nur in dem letzteren Punkt richtig. Wenn der in Vorbereitung stehende Gesetzentwurf wegen Revision der Strafprozeßordnung Annahme finden und wenn dann die Kom⸗ petenz des Reichsgerichts in Strafsachen eingeschränkt erscheinen sollte, wird allerdings eine gewisse Abminderung der Zahl der Revisionen beim Reichsgericht eintreten. Diese Minderung der Zahl neu ein— gehender Sachen wird aber kaum einen anderen Effekt haben, als daß der Gerichtshof endlich dazu kommt, die Sachen laufend zu erledigen, sodaß wir nicht mehr zuzusehen brauchen, wie jedes Jahr die Zahl der rückständigen Sachen wächst.
Was die Bedeutung der verminderten Zahl der Re— visionen betrifft, so haben wir schon Mitte der achtziger Jahre, als auch eine Revision der Strafprozeßordnung auf der Tagesordnung stand, in welcher die Frage der Berufung eine Rolle spielte, uns klar machen müssen, ob nach Einführung der Berufung die Zahl der Richterstellen beim Reichsgericht eingeschränkt werden könnte, und wir waren genöthigt, die Frage recht sorgfältig zu prüfen, weil auch damals eine Vermehrung der Richterstellen be⸗ antragt war. Damals ist das Präsidium des Reichsgerichts um seine Ansicht befragt worden, d. h. also der Erste Präsident, der Senats⸗ Präsident und die vier ältesten Richter; dieses Kollegium von unab— hängigen und an der Sache nicht interessierten Männern hat sich damals einstimmig dahin ausgesprochen, daß durch die Ein⸗ führung der Berufung die Geschäfte des Reichsgerichts in Revisions— sachen nicht in der Weise vermindert werden würden, daß an eine er— hebliche Entlastung des Reichsgerichts würde gedacht werden können, und zwar einfach deshalb nicht, weil die verbleibenden Revisionssachen einen erheblich größeren Umfang annehmen würden, da die Sachen, die an das Reichsgericht gelangten, bereits zwei Instanzen durchlaufen haben würden. Ich glaube, meine Herren,
Sie können kein vollgültigeres Votum verlangen, und wenn in Ueber⸗ einstimmung damit die Reichs⸗Justizverwaltung, die immer, so lange das Reichsgericht besteht, zu der Vermehrung der Richterzahl beim Reichsgericht eine abgeneigte Stellung eingenommen hat, nunmehr sich dahin aussprechen muß, daß die Vermehrung erforderlich ist, um die Geschäfte in befriedigendem Gang zu erhalten, so werden Sie sich, wie ich hoffe, dem Antrage auf Bewilligung drei neuer Richterstellen nicht verschließen. .
Allerdings ist ja von dem Herrn Abg. Schröder erwähnt worden, es sei auch inmitten des Reichsgerichts selbst Zweifel darüber auf— getaucht, ob es nöthig sei, die Zahl der Richterstellen zu vermehren. Mir ist von einem solchen Zweifel im Reichsgericht nichts bekannt. Ich habe doch Gelegenheit gehabt, mich mit dem Präsidenten und mit manchen Mitgliedern des Reichsgerichts über diese Frage ⸗ zu unter⸗ halten. Ich habe nur den Ausdruck der Befriedigung darüber gehört, daß die Reichs⸗-Justizverwaltung endlich dem Drängen des Präsidenten nachgegeben und die verlangten Stellen in den Etat eingestellt habe; von keiner Seite ist mir der Gedanke entgegengetragen worden, daß die Vermehrung der Stellen ent behrlich sei.
Wenn in der Presse derartige Ideen entwickelt worden sind, so muß ich dahingestellt sein lassen, ob sie von Mitgliedern des Reichs⸗ gerichts herrühren. Ich könnte denjenigen Herren im Reichsgericht, die der Ansicht sind, eine Vermehrung der Richterstellen sei nicht erforderlich und nicht räthlich, nur anheimgeben, bei dem Präsidenten des Gerichtshofs persönlich dafür einzutreten und ihrer⸗ seits Vorschläge zu machen, wie die immer weiter anwachsende Geschäftslast prompt erledigt werden soll. Der Präsident des Reichs⸗ gerichts wie auch die Reichs-Justizverwaltung sehen zur Zeit keinen anderen Weg, als die Vermehrung der Stellen.
Ich kann Sie nur bitten, meine Herren, diesen Weg zu ge— nehmigen.
Abg. Dr. von Buchka (dkons.) befürwortet gleichfalls die unver— kürzte Bewilligung.
Die Bewilligung der Forderung wird darauf gegen wenige
Stimmen beschlossen.
Der Rest des Etats der Reichs-Justizverwaltung wird ohne Diskussion genehmigt.
Beim Etat des Reichs⸗Eisenbahnam ts erklärt der
Abg. Dr. Hammacher (nl), aus Rücksicht auf die Geschäftslage keine weitschichtige Tarifdebatte herbeiführen, sondern sich auf eine Art Verwahrung gegen die bisherige Ausführung des Art. 45 der Reichs verfassung besch iter zu wollen. In Preußen und Baden gehe man mit gesetzlichen Aenderungen der Tarifvorschriften um; während die Aufsicht über diese Materie ausdrücklich dem Reich zustehe, mangele es an der erforderlichen Reichsgesetzgebung zur Geltendmachung dieses Rechts. Die Kommission für das Bürgerliche Gesetzbuch sei der An— sicht, daß die Materie der Verpfändung oder hypothekarischen Belastung von Eisenbahnen sich zur Regelung für ein Spezialgesetz empfehle. Infolge des Erlasses des Kleinbahngesetzes in Preußen wachse die Bedeutung auch dieser Frage von Tag zu Tag.
Königlich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, Präsident des Reichs⸗Eisenbahnamts Dr. Schulz: Die Reichs-Justizverwaltung hält zwar ein solches Spezialgesetz für das Deutsche Reich für zulässig, aber erst dann, wenn die Grundsaͤtze für das Pfandrecht allgemein im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt sind. Wo ein dringendes Bedürfniß vorliegt, steht die Sache anders und demgemäß hat Preußen sich entschlossen, selbständig auf diesem Gebiet vorzugehen.
Der Etat des Reichs-Eisenbahnamts wird bewilligt. Der Etat der Reichs⸗-Eisenbahnverwaltung wird auf Antrag der Abgg. Dr. Hammacher und Dr. Lingens an die Budget— kommission verwiesen.
Damit ist die Tagesordnung erschöpft.
Schluß 51/4 Uhr.
Statistik und Volkswirthschaft.
Zum deutsch-russischen Handelsvertrag.
Aus Königsberg i. Pr. schreibt man der „Frkf. Ztg.“, daß
die von den dortigen städtischen Körperschaften an den Reichs« tag gerichtete Petition für die Annahme des deutsch-russischen Handels—⸗ vertrags den Magistraten aller Städte der Provinz mit der Bitte, der Petition beizutreten, zugesandt worden ist. Aus Stolp berichtet man der „Ostsee⸗Ztg., daß die dortige Korporation der Kgufmannschaft in einer Versammlung am Donnerstag eine Entschließung für den deutsch⸗russischen Handels—⸗ vertrag einstimmig angenommen hat.
In Gleiwitz haben, wie der Köln. Ztg.“ telegraphiert wird, beide städtische Körperschaften beschlossen, die Reichstags— Abgeordneten des Wahlkreises aufzufordern, für den deutsch-⸗russischen Handelsvertrag zu stimmen.
Die Handelskammer in Dortmund hat sich, wie die „Köln. Z.“ mittheilt, für den russischen Handelsvertrag und die Auf⸗ hebung der Staffeltarife ausgesprochen. .
In Leipzig fand gestern Abend eine von Kaufleuten, In⸗ dustriel len und Gewerbetreibenden zahlreich besuchte Ver⸗ sammlung statt, die, wie W. T. B.“ meldet, den Beschluß faßte, an den Reichstag eine Petition für die Annahme des russischen Handels—⸗ vertrags zu richten.
Zur Arbeiterbewegung.
In Leipzig wird einer Mittheilung des Vorwärts“ zufolge am Tage nach Pfingsten (15. Mai) die diesjährige Landes konferenz der sächsischen Sozialdemokraten zusammentreten. — Der Genossenschaftsverband „Vorwärts“ der unter sozialdemokratischem Einfluß stehenden sächsischen Konsumvereine besteht, wie die „Lpz. Z. aus der Generalversammlnng des Verbandes berichtet, aus 12 Genossenschaften mit 9600 Mitgliedern. Im letzten Geschaäfts⸗ jahre wurde bei einem Umsatz von 2848752 M ein Gewinn von 273 756 M½ , erzielt. Auch Dividenden wurden vertheilt und zwar in Höhe von 10 06o, 100,0, 995 Co, 9 9, 8 o/o und 60.
Hier in Berlin wurde, wie der „Vorwärts“ mittheilt, in einer Versammlung der Lokal- und Straßenhändler am Dienstag beschlossen, eine Vereinigung zu gründen, die „auf dem Boden der . Arbeiterbewegung“, d. h. auf sozialdemokratischem Grunde
ehen soll.
Nach Mittheilung des Statistischen Am ts der Stadt Berlin sind bei den hiesigen Standesämtern in der Woche vom 11. Februar bis inkl. 17. Februar er. zur Anmeldung gekommen: ö. ed rreme 180 Eheschließungen, 32 Todtgeborene, 582
erbefälle.
*
Kunft und Wissenschaft.
Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg. Sitzung vom 14. Februar 1894.
Herr Amtsrichter Dr. Holtz e besprach Galland's soeben erschienene Schrift „Die Amtmännin von Oranienburg“ und zeigte, wie durch dieses Buch unsere Kenntniß des Kunstlebens am Hofe des Kurfürsten Friedrich III. mannigfach erweitert wird.
Anknüpfend an Lettow'ss Werk „Der Krieg von 1806/7“ erklärte Herr Legations⸗Rath von Lindenau, er stimme nicht mit
H. von Treitschle in der Ansicht überein, daß der Abfall des Kur⸗ fürsten von Sachsen vom preußischen Bündnisse längst geplant gewesen, obschon es feststehe, daß der sichssch Gesandte in Paris trotz der Abreise des französischen Gesandten gus Dresden (22. September), erhaltenem Befehl zufolge, auf seinem Posten verblieb. Redner gab aber zu, daß der von Natur ängstliche Kurfürst in seiner krank—⸗ haften Vorliebe für Neutralität und von widerstreitenden Ein⸗ flüssen umgeben, sich (vielleicht unbedacht) in den Tagen der Ent⸗ scheidung zu einem heimlichen Verkehr (auf weiten Umwegen) mit dem gemeinsamen Feind habe hinreißen lassen. Der Vortragende ver⸗ urtheilte es als illoyal, daß er nach der verlorenen Schlacht bei Jena (14. Oktober) auf die Unterstellung Napoleon's. Sachsen sei zur Theil⸗ nahme am Kriege gezwungen gewesen, bereitwilligst einging, da er, der Kurfürst, doch selbst gegen Ende August den in der ersten Hälfte des September erfolgten Kinmarsch der Schlesischen Armee verlangt hatte, um unter deren Schutz die Mobilmachung der eigenen Truppen sicher vollziehen zu können.
Herr Oberlehrer Dr. Tschirch aus Brandenburg a. Havel be⸗ richtete über 19 alte Schreibkalender, welche der einst in Sorau und später in Brandenburg ansässige Pfarrherr Foachim Ga rä us zu zahlreichen täglichen Eintragungen in den Jahren 1617 bis 1632 benutzt hat. Die Hefte sind von Erich Niederstadt in der Kirchenbibliothet von St. Katharinen zu Brandenburg aufgefunden und entziffert worden und werden demnächst im Auszuge mit einer Einleitung und historischen Anmerkungen des Referenten im Druck erscheinen. Sie enthalten reichhaltige, allerdings meist sehr kurze Bemerkungen, welche zur Kenntniß der märkischen Geschichte in jenen bewegten Kriegszeiten manches Lehrreiche hinzufügen. In einigen Fällen werden die Aufzeichnungen zur Bestätigung und ge⸗— naueren Feststellung der Zeitfolge der Kriegsereignisse und Heereszüge in der Mittelmark benutzt werden können, da die Notizen ihrer Natur nach vollständig gleichzeitig und zu—⸗ verlässig sind. Noch größeren Werth aber . die täglichen
Vermerke für die Kulturgeschichte jener Zeit. Sie geben ein charakte⸗ ristisches Gesammtbild des Familienlebens mit seiner primitiven Naturalwirthschaft, seiner grausam strengen Kinderzucht und seiner derben Genußfreude sowie des städtischen Lebens mit seinen Gelagen, Schulfesten und Fastnachtsmummereien, seinen kirchlichen und welt⸗ lichen , seinen Hinrichtungen und Hexenprozessen, seinen
. en, Theuerungen und Tumulten. Der Referent entwarf auf rund der Tagebücher und anderer Quellen ein Charakterbild des Verfassers, der durch seinen Antheil an den kryptocalvinistischen Streitigkeiten seinen Zeitgenossen wohlbekannt war. Er erscheint als eine psychologisch merkwürdige, mannigfach gebildete und geistig an⸗ geregte, leidenschaftliche und reizbare, ehrgeizige und eitle Natur, die zwischen weltlicher Genußsucht und heftiger Reue haltlos schwankt und der inneren Zerknirschung durch Selbstgeißelung Ausdruck giebt. Freilich war dieser Mann hiernach keines weg; geeignet, dem strengen kuthe khn seiner Zeit als ein achtbarer Vorkämpfer der milderen, dem Calvinismus freundlichen Richtung zu erscheinen.
Herr Dr. Krauske skizzierte im Anschluß an „Acta Borussica, Behördenęorganisation', Band 1 der demnächst im Buchhandel erscheinen wird, den Charakter König Friedrich Wilhelm 's und seiner bedeutendsten Minister. Die Epoche Friedrich Wilhelm's J. wird häufig allzu sehr grau in grau gemalt: sie besaß einen bemerkens⸗ werthen Reichthum an Verwaltungstalenten und erfinderischen Köpfen. Es fehlte ihr nur die strenge Hand, die diesen Strömungen die rechte Bahn anwies und sie gehörig eindämmte. Wer hat dies mit größerem Erfolge gethan, als Friedrich Wilhelm J.? Seine Härte ist in aller Mund; aber man vergesse nicht, daß er gegen niemand strenger ge⸗ wesen ist, als gegen Rich selbst. In dem Königthum von Gottes Gnaden sah er nicht, wie die meisten seiner Kronen tragenden Zeit— genossen, ein nutzbares Recht, sondern ernste Pflichten, Pflichten, deren Last zu unterliegen er manchmal fürchtete. Denn er glaubte, für alles, was unter seiner Regierung geschähe, Gott verantwortlich zu sein. Und sein Gott war, wie der der Puritaner, der strenge und eifrige Jehopah, der die Sünden des Königs an Kindeskindern und an dem ganzen Lande und Volk rächte. Ueber die Verherrlichung der Fürsten als der irdischen Götter hat er stets ge⸗ spottet. Wider Erwarten bestätigte Friedrich Wilhelm J. bei der Thronbesteigung alle Minister in ihren Aemtern. Der eigentliche Leiter der auswärtigen Angelegenheiten war Rüdiger von Ilgen, mit Recht als feiner Diplomat gerühmt, aber ohne Initiative. Ihm standen zur Seite Graf Christoph Dohna, durch seine Memoiren allgemein bekannt, und Marquard von Printzen, dessen lauterer Charakter, tiefe, warme Frömmigkeit und vornehmer Freimuth ihn zu einer der anziehendsten Gestalten jener Zeit machen. Friedrich Wilhelm hat ihn hoch geachtet; nur der Tod soll uns scheiden“, schrieb er auf ein Entlassungsgesuch Printzen's. Ein ganz anderer Charakter war Friedrich Wilhelm von Grumbkow: leichtlebig, nicht unbestechlich; wußte er dem König geschickt zu widersprechen, ohne den leicht erregten Zorn des Herrschers zu wecken. Seine großen Ver— dienste aber um den preußischen Staat sind noch lange nicht genügend gewürdigt worden. Selbst Friedrich der Große, der ihm durchaus nicht wohl wollte, nennt Grumbkow in einem Epigramm auf dessen Tod „un grand financier“. — Zu den bevorzugten Berathern Friedrich Wilhelm's gehörte noch Ehrenreich Boguslaw von Creutz, der schon der Vertraute des Kronprinzen gewesen war. Von allen Ministern waren er und Grumbkow der Partei der Königin am verhaßtesten, aber trotz mancher, sehr geschickt angelegten Intriguen bewahrte er sich die Gunst Friedrich Wilhelm's.
Literatur.
Verwaltung.
Das Kassen- und Etatswesen bei den preußischen Justizbehörden. Nach dem amtlichen Text der bis auf die Gegen⸗ wart ergangenen ministeriellen Verfügungen erläutert von C. Kurtz, Amtsgerichts⸗Rath. Zweite umgearbeitete und wesentlich erweiterte Auflage. Preis 5,50 6. Verlag von Otto Liebmann in Berlin. — Die im Frühjahr 1892 erschienene erste Bearbeitung hat sich all⸗— , Anerkennung erworben. Nachdem durch die allgemeine Ver⸗ ügung des Justiz⸗Ministers vom 15. Juli 1893 die Kassen⸗ Instruktion in einer Anzahl von Paragraphen Aenderungen erfahren und eine amtliche Ausgabe der nunmehr geltenden Bestimmungen der Instruktion veranstaltet worden ist, war eine Neubearbeitung der ersten Auflage nothwendig. Die zweite Auflage enthält nicht nur den Text der neuen Instruktion und die hierzu ergangenen ministeriellen Verfügungen, sowie das Verwaltungszwangsverfahren, den Gebühren ansatz und die Registerführung der Gerichtsvollzieher, sondern auch die Instruktion für die . der Etatsfonds bei den Justiz⸗ behörden vom 19. April 1893, nebst Nachträgen, die Regelung der Dienstaltersstufen, die Prüfung des Gerichtskostenansatzes, die Instruk⸗ tion für die Rechnungsrevisoren und das Kanzleireglement mit den neuesten Aenderungen. Ferner sind sämmtliche Formulare und An⸗ hänge beigegeben. Das Werk, das in der ersten Auflage nur? Bogen umfaßte, enthält jetzt 25 Bogen. Es ist ein handliches Hilfsmittel für die Handhabung und Beaufsichtigung der einschlagenden Geschäfte und empfiehlt sich den Richtern, Kassenbeamten, Gerichtsschreibern, Gerichts⸗ vollziehern und Anwärtern sowie den mit der Aufsicht und Revision
betrauten Beamten. Volkswirthschaft.
Von den Verhandlungen des „Sozialen Kongresses“, der von dem Freien Deutschen Hochstift zum 8. und 9. Oktober nach Frank- ur a. M. berufen war, ist jetzt im Verlage von Otto Liebmann in Berlin ein Bericht unter dein Titel „Arbeitslosigkeit und Arbeitsvermittelung in Industrie und Handelsstädten“ erschienen 9h. 3,20 S). — Außer der Diskussion bringt der Bericht drei Referate, und zwar von Dr. Hirschberg⸗Berlin über Arbeitslosen⸗ statistik, vom Vorsitzenden des deutschen Holzarbeiterverbandes Kloß⸗ Stuttgart über Noöthstandsarbeiten und von Professor Dr. Tönnies Kiel über Arbeitslosigkeit, welche gewissermaßen ein Kompendium
der a nen Fragen, woran es bisher in der deutschen volkswirth⸗ schaftlichen Literatur gänzlich fehlte, bilden. Die Verhandlungen