1894 / 51 p. 8 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 28 Feb 1894 18:00:01 GMT) scan diff

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nebmen würde (Bewegung rechte): ein Zustand, der für unseren

liche Feindschaft ließe sich sehr gut mit einander vereinigen. Es ist nicht zu leugnen, daß das unter gewissen Umständen in sehr starken, geschickten Händen, unter gůnstigen Verhältnissen, gestũtzt auf ein großes Ansehen der eigenen Macht, wohl möglich ist. Unwahr⸗ scheinlich aber bleibt solcher Fall. Ich will nicht auf die Verhbältnisse im Auslande exemplifizieren; es wäre nicht schwierig, dergleichen anzuführen, ich will aber Sie bitten, Ihren Blick auf das Inland zu richten. Hat denn das Herwworkehren wirthschaftlicher Tendenzen den Frieden im Innern von Deutschland vermehrt? Ich glaube nicht. (Sehr richtig! links) Je mehr diese Verhältnisse pointiert worden sind, um so mehr ist zwischen ver⸗ schiedenen Standen und Berufsklassen Feindschaft ausgebrochen. (Sehr richtig! links) Sollte nicht dasselbe in noch stärkerem Maß der Fall sein zwischen Völkern, die ohnehin keine gemeinsamen Interessen und die nicht die gemeinsame Vaterlandsliebe haben? Ich glaube wohl.

Man hat dann dem Vertrage vorgeworfen, daß er auf zehn Jahre geschlossen sei, und einer der gestrigen Herren Redner stellte als eine Kompensation hin bis jetzt sehe ich darin nur einen sub⸗ jektiven Wunsch nach einer Kompensation daß er auf drei Jahre geschlofsen werden möchte. Ja, was nutzt uns das? Wir haben die übrigen Verträge auf einen Termin bis Anfang des künftigen Jahr⸗ hunderts geschlossen; und wenn wir diesen Vertrag für einen ähnlichen Zeit⸗

raum abschließen, so ist das nur eine Konsequenz und einfache logische Kon⸗ sequenz der vorangehenden Verträge. (Aha! rechts) Wir würden aber die vorhergehenden Verträge nicht aufheben können, die würden weiter laufen. Und wir haben um so weniger Grund, für diesen eine kürzere Dauer zu wünschen, als er die Landwirthschaft nicht schädigt. (Widerspruch rechts.)

Das ist gestern bereits nachgewiesen worden und kann Ihnen noch so oft nachgewiesen werden, als Sie es nur wünschen, die Thatsache aber bleibt bestehen.

Gestern wurde die Behauptung aufgestellt, Fürst Bismarck habe nie Verträge auf 10 Jahre abgeschlossen. Ich habe hier ein Ver⸗ zeichniß, da sind fünf, sechs Tarifverträge und etwa über ein Dutzend Meistbegũnstigungsverträge, die auf 10, 99 Jahre abgeschlossen sind. Heute wurde das schon eingeschränkt auf die Behauptung, er habe nur die die Landwirthschaft berührenden Verträge nicht auf so lange ab⸗ geschlossen. Ja, meines Wissens hat er Verträge der Art überhaupt nicht abgeschlossen, konnte das auch nicht (sehr richtig! links), weil er bis zum Jahre 1879 in einer Politik sich befand, bei der davon keine Rede sein konnte, denn damals hatte unsere Landwirthschaft keine Zölle. Also auch den Einwand, daß die Verträge für zu lange ab⸗ geschlossen wären, halte ich für hinfällig.

Wir legen im Gegentheil Werth darauf, nicht allein unsere wirthschaftlichen Verhältnisse auf zehn Jahre zu regeln, sondern auch der Welt zu zeigen, daß wir die Absicht haben, soviel an uns liegt, auf zehn Jahre Frieden zu halten. Denn, wenn ich einen Vertrag auf eine längere Zeit schließe und es kommt ein Krieg dazwischen, so ist der Vertrag ja einfach annulliert, er existiert nicht mehr; aber Deutsch⸗ land, das ein starkes Friedensbedürfniß allen Staaten gegenüber und auch Rußland gegenüber hat, Deutschland, das um einen Ausdruck meines Herrn Amtsvorgängers zu gebrauchen gesättigt“ ist, Deutschland kann sehr wohl einen solchen Vertrag auf zehn Jahre abschließen, und wir haben uns gefreut, dieselbe Gesinnung bei unseren Kontrahenten zu finden.

Nun, wie steht der Vertrag zu dem zweiten Ziel unserer Politik, unser Ansehen in der Welt aufrecht zu erhalten? Wir haben den Wunsch, daß die deutsche Stimme in dem europäischen Konzert gehört werde. Wir haben das bei den Handelsverträgen durchgesetzt. Ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich ausspreche, daß die deutsche Regierung in allen diesen Handelsverträgen, in der Konsequenz, in der Aufeinanderfolge dieser Handelsverträge eine führende Rolle gespielt hat, und ich sollte meinen, Deutschland, die Nation könne damit zufrieden sein. Denn was wollen wir? Nach kriegerischem Ruhm trachten wir nicht. Wir wollen den Ruhm haben, Kulturaufgaben zu lösen, die Kultur Europas zu fördern, das friedliche Zusammenleben der Völker zu erleichtern, die euro— päischen Kräfte zusammenzuschließen und einen Zusammenschluß vor— zubereiten für spätere Zeiten, wenn es einmal nöthig werden sollte, im Interesse europäischer wirthschaftlicher Politik einen größeren Komplex von Staaten gemeinsam zu umfassen. (Sehr gut! links) Diesen Zielen sind wir nachgegangen, und ich glaube nicht, daß jemand wird behaupten können, wir hätten das Ansehen Deutschlands dadurch geschädigt. Ich glaube vielmehr, daß wir dazu beigetragen haben, das Ansehen Deutschlands zu heben. Es ist und bleibt wahr, das jetzige Geschlecht steht unter dem Zeichen des Verkehrs, und die Erleichterung des Verkehrs, auch über die Grenzen der eigenen Nation hinaus, ist eine der Kulturaufgaben, die alle euro— päischen Nationen zu lösen haben, immer mit dem Vorbehalt, daß sie ihre eigenen Interessen dabei nicht schädigen. Auch diesem Vorbehalt sind wir gerecht geworden.

Wenn nun dieser Handelsvertrag nicht die Annahme dieses hohen Hauses findet, was würde dann eintreten? Ich glaube, niemand wird glauben, daß man einfach auf den status quo ante mit Rußland zurückkehren werde. Ein großer Staat wie Rußland läßt sich nicht differenzieren, und ich halte es für zweifellos, daß der Nichtannahme dieses Handels vertrags die Fortsetzung des Zollkriegs folgen würde. Ich halte es aber ebenso für zweifellos, daß selbst unter den Gegnern dieser Vorlage nicht ein einziger ist, der die Herbeiführung dieses Zustandes leichten Herzens auf sich

Handel, für unsere Industrie, für unsere Rhederei verderblich werden würde und der unweigerlich denn insoweit sind alle Berufk—⸗ stände solidarisch mit einander verbunden auch für einen Theil unserer Landwirthschaft, in erster Linie für die unseres Ostens, die erheblichsten Schwierigkeiten und Schäden zur Folge haben würde. (Sehr wahr! links) Wie denkt man sich bei einer so langen Grenze, wie wir sie mit Rußland haben, den Zustand? Was würde die Folge sein? Man sagt: Der Schmuggel. Ja wohl, der Schmuggel, den ich gekannt hake in Ostpreußen, würde wieder aufkommen, und dag würde wiederum zur Folge haben, daß es zu Gefechten käme, wie wir sie früher gehabt haben an den Grenzen. Ich entsinne mich der Zeit, wo zu den Aushebungen eine große Anzahl Menschen mit Schuß⸗ wunden kamen, die sie beim Schmuggel bekommen hatten, und dieser Schmuggel würde wieder zu Grenzstreitigkeiten ernstester Art fũhren, und wohin das weiter führen würde, das brauche ich nicht zu erörtern.

Meine Herren, gerade unsere Grenzprovinzen, die durch Jahrzehnte bindurch nach einem Hinterland gedürstet haben, würden es unendlich schwer empfinden, wenn hinter ihnen eine Mauer errichtet würde, hoch wie die chinesische; denn wenn heute noch, trotz des hoben Zolles, ein gewisser Grad von Handel getrieben worden ist, so wollen wir nicht glauben, daß das so weiter gehen würde. Dieser Handel wird noch betrieben, weil er bestehenden Verhältnissen enspricht. Kundschaft und Kredit ändern sich nicht leicht; es hat auch ein Theil unserer Industrie noch heute, um sich den Markt zu erhalten, in der Hoffnung, daß der jeßige Zustand aufhören würde, mit Verlust gearbeitet. Auf die Dauer aber wäre das nicht möglich.

Wir sind zu dem jetzigen Vertrage nur unter dem Zusammen⸗ wirken gũnstiger Umstãnde gekommen. So güũnstig werden sie schwerlich wiederkommen. Kommen aber solche Umstände nicht wieder, dann wird die Lage irreparabel. Der Zollkrieg bleibt bestehen.

Er wird schließlich zur Ehrensache und zu einer Sache der Würde; es kann dahin kommen, daß keiner nachgeben will, und es wird dann für absehbare Zeit sein Bewenden dabei haben müssen, daß wir auf einer Grenze von, ich glaube, 1200 Rm hermetisch ab⸗ geschlossen sind, auf einer Grenze, auf der wir niemals einen sehr leb⸗ haften, aber doch immerhin befriedigenden Verkehr hatten.

Der Grenzschluß würde weiter gehen: er würde auch den Verkehr der Menschen erschweren, und ich gebe den darin gewiß besser infor⸗ mierten ostpreußischen Herren zur Erwägung, ob der Verkehr russischer Arbeiter, den wir jetzt in einem Theil unserer Grenzkreise für dringend nothwendig und unentbehrlich halten, weiter würde bestehen können, wenn der hermetische Verschluß der Grenze erfolgt wäre.

Man hat sich in Deutschland gewöhnt, den Panslavismus oder Panrussismus“ als etwas Schädliches anzusehen. Ich will über die Sache nicht urtheilen; es mag sein, daß darin Gefahren für uns liegen, daß darin Gefahren für die Welt liegen, daß darin eine Ab⸗ wendung Rußlands vom Westen gefunden werden kann. Ist das aber der Fall, so bitte ich Sie, sich doch einmal vor die Frage zu stellen, wenn wir nun die Hand, die Rußland uns jetzt geboten hat, zurück⸗ weisen, wird dann nicht Rußland dem Panslavismus erst recht ver⸗ fallen? (Sehr richtig! links) Wo soll es denn hin? Wenn die Hand, die Rußland nach dem Westen ausstreckt, ausgeschlagen wird, dann ist es auf sich angewiesen, dann wird es panflavistisch und dann treten alle die Gefahren ein, die in unserer Vorstellung mit diesem Wort, mit dieser Erscheinung verbunden sind.

Man hat der gegenwärtigen Regierung vorgeworfen, sie hätte die Drähte mit Rußland zerschnitten. Ich glaube nicht, daß wir den Vorwurf verdienen; wir haben von jeher, so lange der um den Ausdruck zu gebrauchen neue Kurs existiert, das Bestreben gehabt, mit Rußland auf einem freundschaftlichen Fuß zu stehen. Wenn Sie diesen Vertrag ablehnen, meine Herren, den ich für einen starken, kräftigen, neuen Draht halte, dann wird nicht nur der neue Draht nicht gelegt, sondern Sie zerschneiden dann auch die alten Drähte, und Sie tragen die Verantwortung dafür, und nicht die Regierung!

Ueber den Vertrag selbst zu sprechen, dessen kann ich mich ent⸗ halten. Was darüber im wesentlichen zu sagen ist, ist beim rumãnischen Vertrag gesagt worden; was an Einzelheiten zu sagen ist, ist zum theil schon gesagt und wird in der Kommission noch ausfũhrlicher gesagt werden. Es sind auch hier gestern mehr allgemeine Motive gegen die Handelspolitik im ganzen vorgetragen worden, als gegen den deutsch russischen Vertrag; denn in der That ist dieser das letzte Glied in einer Kette. Wir haben die Kette um dieses Glied verlängert, ohne einen Preis dafür zu zahlen. (Sehr richtig! links) Der Preis, der gezahlt ist, liegt im österreichischen Handels vertrag. (Hört, hört! rechts) Er ist auch da nicht so groß, wie die Mehrzahl von Ihnen glaubt, und der Beweis ist ja jetzt gegeben. Es wird ja garnicht so viel aus Oesterreich eingeführt. Die Organe einer gewissen Partei stellen uns jetzt schon den österreichischen Vertrag als Muster hin. Dabei kann doch kein Mensch daran gezweifelt haben, daß, wenn man einen Handelsvertrag mit Konventionaltarif abschließt, man dann den Wunsch hat und das ist mündlich und schriftlich bei den früheren Handelsverträgen hier ausgesprochen worden —, diesen Konventional⸗ tarif auch noch an andere zu verkaufen, und dieses Verkaufen an andere kann geschehen und geschieht im vorliegenden Falle, ohne daß wir irgend einen Preis dafür zahlen. Wir geben unseren Konventionaltarif an Rußland und bekommen dafür von Rußland nicht unerhebliche Aequivalente. Wir verwerthen den Preis, den wir an Oesterreich gezahlt haben, immer wieder in den neuen Verträgen und verwerthen ihn ohne irgend einen Zuschuß in dem Vertrage mit Rußland. Das einzige Motiv, das nun schon seit längerer Zeit gegen diesen russischen Vertrag in specie angeführt ist, ist, er würde Deutschland mit Roggen überschwemmen; auch das ist widerlegt worden, (Diderspruch rechts) ist gestern widerlegt (Widerspruch rechts und wird weiter widerlegt werden. Daß der Herr hier unten nicht überzeugt werden wird, davon bin ich ohne weiteres überzeugt. Ich würde mir auch die Mühe garnicht geben, zu ihm zu sprechen, ich spreche aber zu dieser Versammlung im ganzen, und da spreche ich die Ueberzeugung aus, daß es mit dieser Ueber⸗ schwemmung mit Roggen auch nichts ist. Sie brauchen einfach die Statistik des Statistischen Amts zur Hand zu nehmen, oder das letzte Heft der Schrift des Professors Conrad, um zu sehen, daß der Roggen aus allen Theilen der Welt kommt, daß im Jahre 1892 die amerikanische Roggeneinfuhr die russische überschritten hat, daß die rumãnische Roggen⸗ einfuhr steigt. Es ist ja in den letzten Jahren auch in praxi der Beweis geführt worden, daß wir ohne russischen Roggen leben können. Rußland hat seine Grenzen verschlossen, hat die Ausfuhr verboten, und wir haben keinen Mangel an Roggen. Es ist eine Erfahrung, die die, welche überhaupt lernen wollen, aus den letzten Jahren ziehen können, daß Roggen ein Artikel des Weltmarktes ist wie der Weizen, nicht in dem Umfange, weil überhaupt weniger Roggen in der Welt gebraucht und gebaut wird; aber der Roggen folgt denselben Gesetzen auf dem Weltmarkt wie der Weizen, und wenn wir nicht von Rußland den Roggen bekommen, so bekommen wir ihn von anderen Ländern. Sehr richtig! links.)

Wie soll denn Rußland zum Ueberschwemmen kommen? Glaubt man denn, daß Rußland, wenn die Preise bei uns niedrig sind, seinen Roggen hierher schickn wird? Das ist früher nicht geschehen und wird auch in Zukunft nicht geschehen. Der russische Roggen sucht den Markt, der ihm am besten zusagt und die höchsten Preise verspricht. Nun stehen wir ja in der ganzen Frage anders wie Rußland. Wir haben das Bedürfniß nach Roggen; ob wir ihn von dem Liefe⸗ ranten A. oder B. bekommen, kann uns vollständig gleich sein. Wir

(Hört, hört! linke.)

Lieferanten bieten ihn uns zu demselben Preis an. Für Rußland liegt die Sache anders. Rußland hat ein Interesse, seinen Roggen hierher abzusetzen; es hat vielfach kürzere, leichtere Wege hierher, und es sind die gewohnten Verhältnisse, die, wie Sie sich bei jedem Königsberger Kaufmann erkundigen können, einen großen Ein⸗ fluß üben und die uns über den Zollkrieg weggeholfen haben. Man giebt bei uns dem russischen Kaufmann, den man kennt, einen längeren Kredit, als er wo anders zu beanspruchen hat. Der Russe legt Werth auf diesen Kredit und kommt zu uns, wir gewãhren ihm gewisse Erleichterungen für den Absatz seines Roggens, deshalb wünscht er seinen Roggen hierher zu bringen. Für uns liegt kein Grund vor, den russischen Roggen anders zu behandeln als anderen, um so weniger, wenn wir für die Zulassung desselben ein Aequivalent für die Induflrie bekommen. Wir sind unabhängig vom russischen Roggen geworden, das haben uns die letzten Jahre gelehrt, und das war gut, daß diese Lehre auf beiden Seiten der Grenze gemacht wurde; der Handels vertrag wäre sonst vielleicht nicht zu stande gekommen.

Wenn ich nun von der Ansicht ausgehe, der österreichische Handels⸗ vertrag forderte uns einen gewissen Preis ab, auch andere Handels verträge baben auf industriellem Gebiet gewisse Preise von uns gefordert, hier stehen wir vor einem Handels vertrag, der keinen Preis von uns fordert, der nur von uns verlangt, daß wir das Produkt eines Nachbarlandes zulassen sollen, und der uns dafür Vortheile giebt, so verstehe ich nicht, wie man gegen diesen Handelsvertrag selbst dann stimmen kann, wenn man nicht für den österreichischen Handel⸗ vertrag war. Ich kann mir denken, daß man sagt, der österreichische Vertrag war ein Fehler. (Sehr wahr! rechts. Heiterkeit) Der Fehler ist einmal gemacht; es ist ja damals vielfach geãußert worden: Ihr habt uns zu billig an Desterreich verkauft. Jetzt in dem russischen Vertrag bekommen wir zu dem Geschäft, was wir damals gemacht haben, noch eine Zulage, und da sollen wir sagen: das Geschäft machen wir nicht?! Das ist unmöglich. Ich habe auch bisher nicht gelesen, daß gegen diese und ähnliche Deduktionen ein Beweis geführt, oder gar erbracht worden ist. Die Gegner dieser Politik quälen sich ab in dem Kampf gegen allgemeine Wirthschaftsgesetze. Sie wollen sich nicht

daß wir den Weltmarkt haben. Das hilft ihnen aber alles nichts, die Dinge sind mächtiger als die Menschen; sie kommen nun und nimmermehr dagegen auf, und in diesem erfolglosen Ankämpfen gegen die Naturgesetze gelangen sie dann dazu, daß sie die Schuld dafür, daß ihre Wünsche sich nicht realisieren lassen, in Menschen suchen.

Ich wollte nicht von Frankreich reden. Wenn aber die Herren Abgg. Graf Mirbach und von Staudy mich dazu provozieren, so will ich doch bemerken, daß einiges in der Rede des Herrn von Kardorff war, was mir wehe gethan hat. Herr von Kardorff hat Herrn Meline zitiert, also für eine deutsche Angelegenheit das Urtheil eines französischen Staatsmanns. (Hört, hört! links.) Ich hatte mir vor— genommen, das hier nicht vorzubringen. Daß Herr Meline auch Herrn von Kardorff einmal zitieren wird, glaube ich nicht; ich glaube nicht, daß die Selbstverleugnung eines Franzosen so weit gehen wird.

In dem Bestreben, die Schuld für das, was die Landwirth⸗ schaft drückt, auf Menschen zu wälzen, steht voran der gestern mehr⸗ fach erwähnte Bund der Landwirthe; und Sie wollen mir ich will zwar nicht in eine Polemik mit den Führern des Bundes der Landwirthe eintreten doch erlauben, ein paar Worte über seine Thätigkeit zu sagen; sie werden verhallen. Ich möchte den Bund und seine Führer warnen. Ich kann von mir aus sagen und habe Zeugen dafür, daß, als der Bund der Landwirthe gestiftet wurde, ich Freude empfand, weil ich der Meinung war, endlich würden Sachverstãndige zusammenkommen, die aus ihrer Kenntniß der Dinge heraus diejenigen Rathschläge geben würden, die heil bringend für die Landwirthschaft werden könnten. Ich muß aber zu meiner Betrübniß gestehen, davon habe ich bisher nichts gesehen. Ich glaube nicht, daß das, was der Bund der Landwirthe bisher ge⸗ than hat, den Landwirthen materiell auch nur eine Mark eingebracht hat. (Sehr richtig! links) Ich glaube vielmehr, daß er die Land wirthschaft geistig und moralisch geschädigt hat. Er verbreitet das Gefühl und das Bewußtsein einer Degression, die nicht dazu bei⸗ trägt, die Kräfte zum Ankämpfen gegen schwierige Verhältnisse zu stählen. (Sehr wahr! links.) Es tritt eine Art von Entmuthigung ein. Während das erste, was der Landwirthschaft nach meinem Dafũr⸗ halten nöthig ist, das Aufraffen und Zusammenfassen der einzelnen Kräfte zu Genossenschaften, zu einer Gesammtheit ist, während das nothwendig gewesen wäre, ist die Wirkung des Bundes der Land⸗ wirthe vielmehr eine trennende, eine die Menschen verfeindende gewesen. (Sehr richtig! links. Unruhe rechts.)

Der Bund der Landwirthe hat es fertig gebracht, die Industrie und die Landwirthschaft von einander zu trennen (Unruhe rechts): die Industrie und die Landwirthschaft, die lange zusammengegangen sind, die auch bei dem Zollgesetze von 1887 zusammengingen, wo, wie gestern hier erwähnt wurde, die Landwirthschaft alleinigen Gewinn davontrug und die Industrie mit leeren Händen ausging. Damals hat die In⸗ dustrie nicht gemurrt, sie hat mitgemacht; jetzt, wo die Landwirthschaft in diesem Vertrage ich wiederhole es und werde es immer wiederholen, denn es ist unbestreitbar ohne das geringste eigene Opfer zu bringen (Widerspruch rechts) darin willigen soll, daß die Industrie Vor— theile hat, da versagt der Bund der Landwirthe und seine Genossen. Also zuerst hat er Industrie und Landwirthschaft von einander ge— bracht (Unruhe rechts), dann ist er dabei, den Osten vom Westen zu trennen. (Lebhafter Widerspruch rechts, Zustimmung links) Das ist die Folge der Uebertreibungen, deren der Bund der Landwirthe sich in allen Dingen schuldig macht. Meine Herren, es ist ja jetzt, wenn man von der Landwirthschaft spricht, nachgerade so, als wenn nur auf dem rechten Elbufer Landwirthschaft betrieben würde (Beifall links) und nicht, dem Ertrage nach und der Fläche nach, der größte Theil auf der linken Seite wäre! (Widerspruch rechts.)

Und endlich sind Sie dabei, den kleinen Grundbesitz gegen den großen in Scene zu setzen. (Lebhafter Widerspruch rechts. Beifall links Das wollen Sie nicht; ich spreche überhaupt die Leiter des Bundes der Landwirthe von dem Willen frei, diese Dinge hervorzu⸗ rufen; aber sie haben nicht die Kraft, sie aufzuhalten, sie wachsen ihnen über den Kopf. Und warten Sie nur ein, zwei Jahre, warten Sie noch eine Wahl ab, und dann haben Sie die Güte, sich daran zu erinnern, daß ich Ihnen gesagt habe: Sie trennen den großen Besitz von dem kleinen Besitz. (Lebhafte Zustimmung links.)

Ich möchte nun zum Schluß noch darauf hinweisen was gestern

brauchen den Roggen, wir wollen keinen hohen Preis zahlen, beide

von anderer Seite schon geschehen ist wie sich denn in der Ge⸗

darin finden, daß wir nicht mehr ein Exportstaat für Getreide sind,

schickte die Gummikelung unserer wirtbschaftlichen Verbältnisse zu

Rußland gestaltet hat. Ich will Sie hier nicht mit einzelnen Daten quälen. Beinahe hundert Jahre dauern die Versuche, uns Rußland wirtbschaftlich zu nähern, uns hier und da einen Vortheil zu ver⸗ schaffen und ich sage das mit Trauer mancher dieser Versuche bat zur preußischen Zeit noch in einer Preußens nicht immer würdigen Weise geendet; jetzt sind wir am Ziel, und ich und ich glaube ein großer Theil der Nation freuen uns dieses Ziels. Ich hoffe aber auch, daß sich auch ein anderer dieses Ziels freuen wird; ich will in dieser Beziehung eine Stelle aus einer Rede des Fürsten Bismarck vom Jahre 1873 verlesen, wo er sagt:

Der Herr Vorredner wird mir zugeben, daß die 51 Jahre Verhandlungen doch auch in ihren Ergebnissen nicht so ganz un⸗ fruchtbar geblieben sind; denn, wenn der heutige russische Tarif verglichen wird mit dem von 1821, so möchte sich ein immerhin mäßiger, aber doch nicht abzuleugnender Anspruch auf Anerkennung der Bemühungen der frũher preußischen, demnächst norddeutschen und jetzt der Reichsregierung ergeben. Ich verspreche ihm aber, nicht zu ermüden und die Verhandlungen noch 50 Jahre ich selbst nicht, aber mit meinen Nachfolgern nicht ruhen zu lassen.

(Hört, hört! links) Der Nachfolger des Fürsten Bismarck ist bestrebt gewesen, dies Versprechen zu lösen. (Lebhafter Beifall links.)

Abg. Dr. König (B. k. F) nimmt den Bund der Landwirthe in Schutz, weil er die Verbindung zwischen dem großen und kleinen Grundbesitz, zwischen dem Osten und Westen gebildet habe. Die Bauern würden heute nicht mehr sagen: Vor Köckeritz und Lüderitz u. s. w. bewahre uns, lieber Herre Gott, sondern: Vor Levisohn, Manasse und anderen dieser Rasse. Wenn Fürst Bismarck noch an seinem Platz wäre, dann hätten wir weder diesen russischen Vertrag, noch vorher den österreichischen erhalten. Diese Handelsvertragspolitit hat gerade den Gegensatz zwischen Industrie und Landwirthschaft erft hervorgerufen, nicht der Bund der Landwirthe. Die Landwirth⸗ schaft ist schon durch die anderen Verträge erheblich geschädigt worden, man sollte es deshalb vermeiden, noch eine weitere Schädigung der Landwirthschaft herbeizuführen. Man kann doch über den Bund der Landwirthe nicht einfach zur Tagesordnung übergehen! Die Land⸗ wirthe, welche wirklich Landwirthschaft betreiben, sind doch in erster Linie die landwirthschaftlichen Sachverständigen. Wenn man den russischen Vertrag nur nach wirthschaftlichen Gründen beurtheilen soll, dann ist sein Urtheil gesprochen. Denn wenn nicht politische Gründe für diesen Vertrag sprechen, so müßten doch ganz andere wirthschaftliche Vortheile erzielt worden sein, um diesen Ver⸗ trag zu empfehlen. Die scharfe Tonart des Bundes der Landwirthe will ich nicht vertheidigen; aber die Regierung sollte doch nicht außer Acht lassen, daß es seine symptomatische Bedeutung hat, wenn der konservative Stand der Landwirthe zu einer solchen scharfen Tonart kommt. Die Landwirthschaft hat allerdings 1887 allein eine Zoll⸗ erhöhung erfahren, aber die Industrie hat davon den Vortheil gehabt, daß die deutsche Landwirthschaft kaufkräftiger wurde. Redner verweist darauf, daß selbst der Abg. Dr. Hammacher, doch ein hervorragender Vertreter der Industrie, anerkannt habe, die Zölle der Landwirth⸗ schaft dürften nicht alteriert werden. Er hat sich darin getäuscht und wird alsoe wohl jetzt gegen den Handelsvertrag stimmen müssen. (Widerspruch des Abg. Dr. Sammacher.) Die Landwirthschaft soll einen erheblichen Vortheil erzielt haben; die Zölle für Stärke, Kartoffelmehl, Hopfen und besonders für Zwiebeln und Knoblauch also für einen sehr bedeutenden Artikel sind ermäßigt worden. Die Landwirthschaft wird wohl nicht sehr viele Vortheile von diesen Zollermäßigungen haben. Der Vertrag befördert die Masseneinwanderung russischer Juden. Wir müssen, um den Frieden zu erhalten, uns für den Krieg vorbereiten. Wir haben für die Militärvorlage gestimmt aus Patriotismus (Zuruf des Abg. Singer: Oder aus Dummheit, wie die Antisemiten J Unser Bauern⸗ stand ist die Kraft unserer Armee. Unsere Stellung Rußland gegen⸗ über ist aber so stark wie nur irgend möglich; deshalb müßten wir diese starke Stellung benutzen, um nennenswerthe Vortheile zu erreichen. Das ist aber nicht geschehen. Frankreich hat ö seiner Freundschaft zu Rußland sich nicht gescheut, seiner Landwirthschaft weiteren Schutz angedeihen zu lassen. Mehr, als es sich mit der Würde des Deutschen Reichs vereinbaren läßt, hat die Presse Stimmung zu machen gesucht für den Vertrag durch Hinweis auf eine Kriegsgefahr. Man hat mit Worten des Kaisers operiert, die natürlich niemals gefallen sind, wie: Was soll der Zar dazu sagen? Was wird der Zar dazu sagen?“ Er wird sagen: Die Deutschen sind doch klügere Leute, als wir gedacht haben. Der Reichskanzler hat von der Zunahme des Schmuggels gesprochen. Trotz des . ist die Zollmauer noch eine so gewaltige, daß es auch jetzt noch lohnen wird, den Schmuggel an der deutsch-russischen Grenze in ausgedehntestem Maßstabe zu be⸗ treiben. Nicht der Bund der Landwirthe Jat die Agitation ins Leben

erufen, sondern die Depression der Landwirthschaft, das Gefühl der Verlassenheit, welches die Bauern beherrschte, hat den Bund der Landwirthe ins Leben gerufen. Die Handelsvertragspolitik hat nicht nur die Gegensätze zwischen Ost und West verschaͤrft, sondern auch den Partikularismus angefacht. Das beweist besonders die Sprache bayerischer Blätter, welche davon reden, daß Preußen sich zu einer russischen Satrapie auswachse. Man mag den Vertrag von der einen oder anderen Seite betrachten, er muß abgelehnt werden. Am schwer⸗ wiegendsten ist für mich die politische und nationale Seite, daß da⸗ durch der Partikularismus gefördert wird. Wenn wir uns von Ruß— land ein zweites Olmütz gefallen lassen müssen, dann müssen wir den Vertrag ablehnen und an das Dichterwort denken: Nichtswürdig ist die Nation, die nicht ihr Alles setzt an ihre Ehre.

Abg. Freiherr von Hammerstein (dkons.) weist auf den Zwischenruf des Abg. Singer während der Rede des Vorredners hin und fordert den Präsidenten auf, einen Ordnungsruf zu ertheilen.

Vize⸗Präsident Freiherr von Buol: Ich habe sofort einen Ordnungsruf ertheilt, wovon allerdings bei der herrschenden Unruhe vielleicht nicht überall . enommen werden konnte.

Abg. Singer (Soz): 8) habe zwischen gerufen: Oder aus Hr e, wie die Antisemiten. Dazu war ich berechtigt, da der Abg. Dr. Boeckel selbst ausgeführt hatte, daß die Antisemiten von der Re⸗ gierung getäuscht seien. .

Abg. Liebermann von Sonnenberg (b. k. F. wegen der erneuten Beleidigung der Antisemiten dem einen Ordnungsruf zu ertheilen. . ;

Vize⸗Präsident Freiherr von Buol: Einen solchen Antrag kennt die Geschäftsordnung nicht. (Zuruf des Abg. Liebermann von Sonnenberg: Dann muß die Geschäftsordnung geändert werden!) . ö

Darauf wird die Debatte fortgesetzt. ö

Abg. Dr. von Bennigsen (al: Eine Uebereinstimmung in dem Schwanken der Valuta und dem Preise der agrarischen Produkte, wobon der Abg. von Kardorff bei seinem Antrage ausgeht, ist nicht borhanden. Das ist nicht bloß von dem bekannten Sachverständigen, Professor Conrad, bewiesen, sondern auch durch eine Kingabe der Breslauer Handelskammer in einer graphischen Darstellung über die Schwankungen des russischen Rubelkurses in der Zeit von 1851 —53 und über die Wirkungen der Preise der agrarischen Produkte in der⸗ selben Zeit. Der Antrag Kardorff würde also die beabsichtigte Wirkun nicht haben, sondern wahrscheinlich fär die Landwirthschaft schädlis sein. Dazu kommt, daß der Antrag sich auch auf andere Staaten mit schwankender Valuta bezieht, mit welchen wir schon Verträge haben, und daß diesen Ländern gegenüber die Durchführung des Antrags einen Vertragsbruch involvieren würde. In diefer Vertragẽfrage neue Argu⸗ mente und Thatsachen anzuführen, ist kaum e nachdem Presse und Versammlungen sich monatelang mit der Frage beschäftigt haben. Die hauptsächlichsten Gesichtspunkte, welche gegen den Vertra geltend gemacht worden sind, hat am Montag der Abg. Graf Mirba

beantragt, bg. Singer

so geschickt zusammengestellt, wie wir es an ihm gewohnt sind. Im anzen sind die Erörterungen des Abg. Grafen Mirbach durchaus . gewesen. Im wesentlichen gipfeln die vielen Angriffe auf den Vertrag, und auch die Darlegungen des Vorredners in der Be⸗ hauptung, daß er der Industrie ganz geringe, zum theil gar keine Vortheile, der Landwirthschaft dagegen großen den bringe. Für die Beurtheilung der Vortheile des Vertrags für Handel und In⸗ dustrie ist doch zweifellos die einmüthige Auffassung dieser Beruf. klassen in hohem Grade maßgebend, und zwar um so mehr, als die verbündeten Regierungen zum ersten Mal in dem Zollbeirath eine Einrichtung getroffen haben, die Handel und Industrie fortlaufend von den Ergebnissen unterrichtet hat. Man hat vielfach darauf hin⸗ ewiesen, daß durch den Vertrag einer Reihe von Industriebranchen eine Tarifpositionsermäßigungen gewährt werden, und es ist versucht worden, diese Klasse gegen die, welche eine Ermäßigung erhalten haben, zu gewinnen. In den Delegirtenversammlungen sind alle Branchen vertreten, und wenn sich in diesen kein Wider— spruch geltend gemacht hat,, dann ist das ein schla⸗ gender Beweis für die einmüthige Auffassung der Industrie von dem Nutzen des Vertrags. Es steht fest, daß zum ersten Mal mit Rußland ein Vertrag abgeschlossen werden soll, nach welchem die Deutschen auf dem ganzen Gebiet des Handels, der Schiffahrt, der Zollabfertigung, des Eisenbahnverkehrs in gleicher Weise wie die russischen Staatsangehörigen behandelt werden sollen. Das ist ein roßer Vortheil für den bedrängten Osten und Norden unseres Veter⸗ andes. Für diejenigen Branchen, die eine direkte Tarifermäßigung nicht erlangt haben, ist das schon ein bedeutender Vortheil, daß der Zollkrieg mit seinen bedenklichen Wirkungen beseitigt ist. Die statistischen Nachweise ergeben, daß wir ein Quantum von Waaren von etwa 1 hundert Millionen jährlich nach Rußland gebracht haben, also mehr, als die englische Ausfuhr beträgt, und mehr als die Aus— fuhr sämmtlicher Länder, wenn man England ausscheidet. Daher ist es unabweisbar nothwendig, den Zollkrieg zu beendigen. Wenn wir nun an der Hand dieses Vertrags, der Rußland zum ersten Mal angliedert an das europäische Verkehrsgebiet, betrachten, welche weiteren Voertheile wir für unseren Verkehr haben, so müssen wir eingestehen, daß Rußland einen großen Schritt getben hat. Ein solcher Schritt kann nicht wieder zuruͤckgethan werden; die Dinge ent⸗ wickeln sich weiter, und wir müssen annehmen, daß dieser Vertrag nicht der letzte Schritt ist, sondern vielmehr der Ausgangsꝑunkt. für eine neue weitere Entwickelung. Rußland hat große innere Schwierig- keiten zu überwinden, aber die Entwickelungsfähigkeit dieses Landes ist zweifellos eine ganz außerordentlich große. Das Land besitzt einen Reichthum an genf re,, eine Produktionẽ⸗ und Konsumtions⸗ fäbigkeit wie wenige Länder, vorausgesetzt, daß die Entwickelung nicht große Störungen erfährt. Deutschland, der nächste Nachbar, wird davon größten Vortheil haben. Daß Rußlands Industrie sich so entwickelt, daß seine Industrieprodukte unseren Markt belasten werden, eine solche Annahme ist doch das Absonderlichste von Kosakenfurcht! Wenn es uns gelungen ist, mit den viel weiter und viel früher ent⸗ wickelten Industrien von England und Frankreich zu konkurrieren, nicht bloß bei uns, sondern auch im Auslande und in den betreffenden Ländern selbst, so werden wir doch die Konkurrenz mit Rußland aushalten können. Daß Rußland die deutsche Land wirthschaft in Folge des Vertrags besonders schädigen würde, ist nicht anzunehmen. Der Staatssekretär hat am Montag schwer zu widerlegende Zahlen vorgebracht; er hat bewiesen, daß der Unterscheidungszoll Rußland gegenüber nirgends in den Preisen zum Ausdruck gekommen ist. Immerhin bleiben noch gewisse Besorgnisse, die wohl geeignet sind, Kompensationen als nothwendig zu bezeichnen. Aber man sagt, einer Regierung, welche so wenig Interesse für die Landwirthschaft zeige, könne man den Vertrag nicht einräumen, auch wenn Kompensationen in Aussicht gestellt werden. Der Abg. Graf Mirbach hat es für sich abgelehnt, daß persönliche Fragen bei der Entscheidung maßgebend sind. Der Abg. von Kardorff aber kam etwas mehr mit der Sprache heraus; er meinte, wenn der Vertrag vom Fürsten Bismarck vorgelegt worden wäre, dann hätte man ihn an⸗ nehmen können. Dem Abg. Grafen Mirbach wurde der Abg. von Plötz vorgehalten als einer, der den Reichskanzler Grafen Taprivi angegriffen habe. Der Abg. von Plötz soll nun aller⸗ dings keine verantwortliche Stellung haben. Aber gerade er hat in dem Bund der Landwirthe eine so verantwortliche Stellung, verantwortlicher als der Abg. Graf Mirbach, und der Abg. von Plötz hat wiederholt die Forderung gestellt: Dieser Kanzler muß von seinem Platz fort. Dafür können die Konservativen die Verantwortlichkeit nicht von sich ablehnen. Wie steht es mit Herrn von Thüngen in Süddeutschland? Er ist allerdings nicht Mitglied des Reichstags; aber er war in der Tonart noch viel schärfer als der Abg. von Plötz. Als Kompensatignen sind in verschiedenen Theilen Deutsch— lands erschienen: Die Aufhebung des Identitätsnachweises und die Aufhebung der Staffeltarife. Der Abg. Graf Mirbach betrachtet die erstere Maßregel nicht als Kompensation für den russischen Handelsvertrag. Vor Jahren, als der Druck in den Ostprovinzen stärker war, da wurde der Identitätsnachweis verlangt. Aber man fand die Sache damals neu, die Reichsregierung wollte nicht herangehen. Ich bedauere, daß man die Sache damals nicht weiter verfelgt hat. Ich glaube, ein erheblicher Theil der berechtigten Beschwerden würde nicht eingetreten sein, wie jetzt. Wenn wir einen Zoll von 3,59 1 haben und er kommt infolge des Identitätsnachweises nicht voll zur Geltung im Osten, so ist das eine Ungleichheit gegenüber den Landestheilen, wo der Zoll vollständig zur Geltung kommt. Giebt es ein Mittel, durch eine gesetzgeberische Maßregel die Wirkung des Zolles zu sichern, so kann sich der Osten bezüglich der Herabsetzung des Zolls von 5. auf 3,50 S vollständig beruhigen. Ich habe anfänglich diese Maßregel nicht günstig beurtheilt, aber nach und nach eine andere Meinung davon gewonnen, namentlich seitdem die Vorlage die Gewährung von Einfuhrscheinen bei der Ausfuhr vorschlägt und die Verwendung der Scheine auch bei der Einfuhr anderer Waaren als Getreide zuläßt. Dadurch ist es unmöglich geworden, daß etwa auf Grund von solchen Scheinen eine künstliche Einfuhr im Süden oder Westen erzeugt wird, während die Ausfuhr im Osten erfolgt. Aber die Wirkung dieser 1 hängt davon ab, daß auch die preußische Regierung die Staffeltarife aufhebt. Die Ab⸗ stimmung über den Handelsvertrag wird davon abhängen, daß die Aufhebung der Staffeltarife gesichert wird, und zwar vor der Abstimmung über den Vertrag. Die Herren im Osten be⸗ hielten freilich am liebsten die Staffeltarife und nähmen die Aufhebung des Identitätsnachweises noch dazu. Aber die Derren werden selbst einsehen, daß das ganz unmöglich ist. Die Staffeltarife haben ja nur deßhalb einen so großen Werth, weil der JDentitätsnachweis besteht, weil das bessere Getreide nicht über die See weggebracht werden kann, also einen Weg zu Lande sich suchen muß. Die Staffeltarife erleichtern den . von Thorn und Memel nach Süd und Westdeutschland. Wirz die Ausfuhr über See ermög⸗

. so ist das der natürlichste und billigste Weg; die Staffeltarife haben dann keine Bedeutung mehr, deshalb wird man ihre Beseitigung nicht schwer empfinden. Die Regierungen, welche den Handelsvertrag

angenommen sehen möchten, werden sich zur Aufhebung der Staffel⸗ tarife entschließen müssen. Bei der jetzigen Finanzlage ist die Einbuße von 5 bis 6 Millionen Mark für den preußischen ,, nicht angenehm und der Eisenbahn-Minister wird auch nicht darüber erfreut sein, zumal wenn er die Verallgemeinerung der Staffeltarife für andere Produkte für zweckmäßig hält. Daß die Wirkungen der Staffeltarife keine unbedeutenden sind, ist nicht zu bezweifeln; ob die Sache wirklich so ist oder ob sis nur in weiten Kreisen so aufgefaßt wird, das bleibt für die Entscheidung dasfelbe. Auf die auswärtige Politik will ich nicht eingehen. Wir Deutschen haben nicht mehr Ursache, einen Krieg mit Rußland zu fürchten, als die Russen einen Krieg mit uns zu fürchten haben. Ein solcher Krieg, einerlei durch welche Veranlassung er hervorgerufen wird, ist ein großes Unglück für beide Nationen. Wir haben ebenso wie die Muff die furchtbaren Folgen eines solchen be,. zu fürchten; das Menschenelend, die Kapitalverwüstungen, den Rückgang der Kultur, der dadurch hervorgerufen wird, können wir uns nicht leicht ver— gegenwärtigen. Alle Schrecken der Kriege der früheren Jahre werden

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an die cken dieses Krieges nicht beranreichen. Wenn es möglich

isl, mit land nähere Handels- und Verkehrs verhältnisse berzustellen,

dann sind die Güter, welche durch einen solchen Krieg aufs Spiel ge⸗ stellt werden, auf beiden Seiten größere. Wenn ein solcher Zustand

der wirthschaftlichen Gegnerschaft länger dauert, dann müssen dadurch

Spannungen entstehen, die sich auf andere Gebiete übertragen.

Diese Spannung zu beseitigen, ist im Interesse des Friedens

jedenfalls ein Vorjug. Der Abg. Sraf Mirbach hat im Namen

seiner Freunde in Abrede gestellt, daß wir genöthigt sind, mit

Rußland einen Vertrag abzuschließen infolge der früheren Ver—⸗

träge, am allerwenigsten aber auf Kosten der Landwirthschaft. Wer

für den österreichischen Vertrag und für den rumänischen Vertrag

nicht gestimmt hat, hat sich dabei kein Hehl gemacht, daß die Ver⸗

träge äbertragen werden auf andere Staaten, auf England u. s. w.

Der Vertrag, der die Grundlage bildet, wird auch andern, namentlich

den großen Rachbarkändern eingeräumt werden hen. Wollen wir

das nicht, so setzen wir uns in einen dauernden wirthschaftlichen

Kriegszustand. Ueber kurz oder lang muß ein solcher Vertrag zur

Vermeidung der Differenzierung auch mit Rußland abgeschlossen

werden. Daß die Landwirthschaft gar keine Vortheile hat von dem

Vertrage, ist nicht richtig. Die Verhältnisse mit Finland sind so ge

ordnet, daß die deutschen Zuckerrübenbauer dabon einen großen Vor⸗

theil haben können, und Zuckerrüben werden nun beinahe in ganz

Deutschland gebaut. Die Zuckerindustrie geht gerade in den nächsten

Jahren einer gewissen Schwierigkeit entgegen, indem die Export⸗

prãmien allmählich aufgehoben werden. Da ist es doch nicht unbe⸗

deutend, wenn wir durch diesen Vertrag mit Finland uns den

Export dorthin sichern. Der Abg. Graf Mirbach meinte, die

größten Vortheile, die erreicht sind, sind erreicht durch den . Lärm der Agrarier. Das ist vollständig richtig, ganz abgesehen von der Methode, die dabei befolgt worden ist. Der Abg. Graf Mirbach oder doch die ibm und seinen Freunden nahe stehende Presse hat ausgeführt, daß in Rußland das Bedürfniß nach einem Ver⸗ trage so dringend ist, daß wir beim Abwarten etwas mehr hätten erreichen können. Aber wir müssen doch auch fragen, wie ist die Sache denn in den Kreisen der Industriellen Deutschlands aufgefaßt. Da hat sich nicht eine einzige Stimme geltend gemacht, welche warten wollte, sondern man sagte: wir wollen jetzt abschließen, da wir große Konzessionen bekommen; wir können den jetzigen Zustand auch nicht mehr aushalten. Jetzt durch den Zollkrieg ist namentlich England ins Land gekommen und nur mit großen Opfern hat man die Einfuhr nach Rußland deutscherseits aufrecht erhalten. Deshalb ist der Ab⸗ schluß nach der langen Dauer des Zellkriegs ein sehr gutes Ergebniß für die Industrie. Ich gebe zu, daß eine sehr große Beunruhigung, eine sehr große Bewegung in der Landwirtbschaft vorhanden ist, und zwar keineswegs bloß im Osten oder Nordosten, sondern in großen Theilen Deutschlands. Die Bewegung hat eine ungeahnte Bedeutung, eine beunruhigende Form angenommen. Ich habe früher schon gesagt, daß das landwirthschaftliche Interesse sich zu organisieren berechtigt ist, ebenso wie Handel und Industrie. Ich bedauere in hohem Grade, daß diese Organisation so spät eingetreten ist, und gerade in einem Augenblick, wo unerhört niedrige Körnerpreise vorhanden sind. Hätten wir diese Organisation schon früher gehabt, wie Industrie und Handel, welche auch gute und schlechte Zeiten durchzumachen hätten, so hätte sich eher eine Ausgleichung herausgestellt. Eine so große Leidenschaftlichkeit hätte sich in einer althergebrachten Organisation nicht mehr so bemerkbar ge⸗ macht. Die Landwirthschaft ist überhaupt in Europa in einer sehr ge⸗ fährlichen Lage. Wer das bestreiten will, muß gar keine Augen haben für die Weltproduktionsvvmrhältnisse, für die Entwickelung der Verkehrsverhältnisse zi. s. w. Es wäre die böchste Zeit, daß die frivole Bekämpfung dieser Thatsachen in den Organen der linken Seite endlich einmal aufhört. Dadurch ist . Unheil an⸗ gerichtet, dadurch sind die Landwirthe mit großem Mißtrauen erfüllt gegen die Presse, wenn eine solche begründete Bewegung als unbegründet ere wird. Wir wollen die Gleichheit für die verschiedenen Berufs⸗ klassen. Daß bei den verbündeten Regierungen das Verständniß für die schwere Nothlage der Landwirthschaft vorhanden ist und vor⸗ handen sein muß, müssen wir doch alle anerkennen. Die Angriffe gegen den Reichskanzler sind unberechtigt. Die Kreuzzeitung“, das führende Organ der Agrarier, besitzt ja in ihrem Chef⸗Redakteur und seinen Mitarbeitern auch Führer ohne Ar und Halm. Man wird dem Volk auf die Dauer nicht glauben machen, daß ein Reichskanzler, der keinen Grundbesitz hat, kein Verständniß für die Landwirthschaft habe. Ich bin sogar der Meinung, wenn der Reichs⸗ kanzler zu sehr durch Privatgeschäfte angezogen würde, so würde dadurch die Erledigung der Staatsgeschäfte nicht gefördert werden. Durch eine solche Agitation wird eine Besserung nicht herbeigeführt werden. Dadurch wird bloß Verzweiflung und Erbitterung in den eigenen Reihen erzeugt, aber auch im Gegensatz zur Regierung und zu anderen Volksklassen. Ich habe am Montag zu meinem größten Bedauern von dem Abg. Rickert Aeußerungen über den preußzischen Adel und das preußische Junkerthum gebört; er hat das Junker⸗ thum in leidenschaftlicher Weise angegriffen. Ich weiß ja sehr wohl, daß der preußische Adel vielfach in Deutschland auf Ab⸗ neigung und auf Widerstand stößt. Das mag zum theil liegen in der nicht immer angenehmen Weise, wie das Kraft⸗ und Selbst⸗ gefübl in dieser Klasse sich kundgiebt. Wenn man aber den preußischen Adel und seine Bedeutung für den , schen Staat und das Deutsche Reich in Betracht zieht, dann würde man ihm mit einer solchen Abneigung schweres Un⸗ recht thun. In den 60er Jahren bestand zwischen Bürgerthum und Adel nicht bloß ein politischer, sondern geradezu ein sozialer Gegensatz. Wenn wir aber nun solche kräftigen Existenzen gehabt haben, wie es dieser ost⸗ und norddeutsche Adels- und Rittergutsbesitzerstand ist, der in seinem Kraftgefühl vielleicht zu übertriebenen Forderungen und Anmaßungen persönlich und öffentlich gedrängt ist, so können wir doch froh sein, gerade in den heutigen Zeiten, daß wir solche kräftigen Elemente haben. Würden diese Klassen in großem Maße durch einen weiteren Niedergang der Landwirthschaft aus ihrem Besitz⁊ gedrängt, so würde ich das ich scheue mich nicht, es auszusprechen, obgleich ich mit diesen Klassen politisch nicht übereinstimme für ein nationales Unglück halten. (Beifall Wir haben an Kraft und Selbstgefühl in Deutschland wahrlich keinen Ueberfluß und noch weniger an Familien und Personen, die in alter Ueberlieferung geschult sind im Dienst des Militärs, des Beamtenthums, der Selbstverwaltung, der Politik. Und da möchte ich dem Abg. Rickert sagen, das, was der preußische Adel etwa im Anfang des Jahrhunderts und in den fünfziger Jahren gesündigt hat, hat er wieder gut gemacht seit 1867. Mit wessen Hilfe haben wir denn die Konstituierung des Norddeutschen Bundes, des Deutschen Reichs, die großen Qrganisationen und die Gesetzgebung in Deutschland durchgebracht? In der ersten Zeit waren es nur die konservativen und Mittelparteien, in der späteren Zeit auch ein Theil des Zentrums. Das war um so anerkennenswerther, als ja zweifellos das, was in den Grundlagen für die Staatéeinrichtungen gewählt werden mußte, den konservativen Elementen im höchsten e wider⸗ strebte. Das war das Ergebniß der ganzen ec n, en kon⸗ stitutionellen und liberalen Entwickelung. Die hat Fürst Bismarck in die Verfassung und Gesetzgebung . müssen, und die Konser⸗ vativen haben sie mit beschlossen. Wo war da die linke Seite? Der Abg. Rickert hat allerdings mit mir zusammen es gemacht, als wir noch in einer Partei zusammen waren. Seit 1867 hat die Linke alles aufgeboten, was menschenmöglich war, sogar unter Aufbietung des krassesten Partikularismus im preußischen Abgeordnetenhause, die Ergebnisse des siegreichen Krieges über . von Deutschland fernzuhalten und eine Verfassung nach ihrer Schablone durchzusetzen, für welche weder die Regierung noch der Reichstag zu haben war. Was geschaffen wurde, wurde ge⸗ ef gegen Sie (links) durch die Konservativen und uns und auf gzialem Gebiet später unter Mitwirkung des Zentrums. So ist die Sache gewesen, und wir haben heute wahrlich Gegensätze genug, um nicht einen neuen verschärften Klassengegensatz hervorzurufen. Ich be—⸗ dauere sehr, daß in diesem Falle die e sich nicht haben entschließen können, diesen Verkrag anzunehmen, obwohl ein erheblicher

Theil der Rechten unter Führung des Abg. Freiherrn von Manteuffel