zugeben, daß in allen russischen Blättern die Sache so hingestellt wird, daß Rußland dabei ein ganz gutes Geschäft gemacht habe. In⸗ iwischen sind mir doch eine ganze Reihe von Privatbriefen zur Kenntniß gekommen, namentlich aus Moskau und dem dortigen Industriebezirk, die sich bitter über diesen Vertrag aussprechen und die genau so, wie es bei uns die Landwirthschaft thut, von dem vor— aussichtlichen Ruin ihrer Industrie sprechen. Warum diese Privat ; briefe nicht in die russische Presse gekommen sind, muß seine ganz besonderen Gründe haben! Ich will darauf nicht näher ein— gehen. (Heiterkeit links.)
Der Herr Vorredner hat dann ein sehr abschreckendes Urtheil über die Konzessionen gefällt, die wir für unsere Industrie er— rungen haben. Er nannte sie verschwindend gering und bezeichnete insbesondere den Zoll auf Roheisen nach wie vor prohibitiv. Ich weise demgegenüber darauf hin, daß noch im vorigen Jahre England allein etwa 1 200 000 Doppel⸗tr. Roheisen nach Rußland exportiert hat. Wenn das zu einem Zoll von 30 Kopeken möglich war, wird es auch künftig zu 35 Kopeken möglich sein. Der Herr Vorredner sagte: Vergleichen Sie unsere Eisenpreise! Ich möchte ihm entgegenrufen: Vergleichen Sie die russischen Produktionsbedingungen mit den unserigen! Die sind vollkommen verschieden. Ein Land, das, wie Rußland, die Rohmaterialien, die wir freilassen, mit so hohem Zoll belegt, kann schon aus diesem Grunde nicht mit uns verglichen werden.
Der Herr Vorredner hat dann darauf hingewiesen, es bestehe in Rußland ein Verbot, daß die Eisenbahngesellschaften ihr Eisenbahn⸗ material im Auslande fabrizieren lassen. Ein solches Verbot besteht nicht; wohl aber hat sich, soviel ich weiß, in den Konzessionen an die Eisenbahngesellschaften die russische Regierung das Recht vor ⸗ behalten, derartige Verbote zu erlassen. Ein solches Verbot wäre zur Zeit undurchführbar; denn im Angesicht des großartigen Werks des Baues der sibirischen Eisenbahn, der ungefähr 10 Jahre in Anspruch nehmen wird, ist die russische Regierung darauf angewiesen, Eisenbahnmaterial im großen Umfange aus dem Auslande sich kommen zu lassen, und ich meine, es ist doch für uns nicht gleich⸗ gültig, ob wir dabei mit konkurrieren oder ob alles unsere Konkur⸗ renten, die Engländer und Oesterreich⸗Ungarn ꝛc. bekommen. Der Herr Vorredner ist endlich auf die große Nothlage der Landwirthschaft zu reden gekommen und hat den bisherigen Rednern für den Vertrag und auch den Vertretern der verbündeten Regierungen den Vorwurf gemacht, daß sie von dieser Nothlage garnicht gesprochen hätten. Das trifft nicht zu. Ich habe allerdings von dieser Nothlage gesprochen und darauf hingewiesen, daß eben diese Nothlage und die aus ihr hervorgegangene agrarische Bewegung den stärksten Antrieb für die verbündeten Regierungen bilden müsse, alles das zu thun, was in ihren Kräften steht, um diese Nothlage zu beseitigen. Aber, meine Herren, diesen Vertrag mit Rußland zu verwerfen, das wäre ein Experiment, von dem alle Theile der deutschen Wirth⸗ schaft und auch die Landwirthschaft nach meiner festen Ueberzeugung schwer betroffen würden. Der Herr Vorredner hat, als er von der Wirkung dieses Vertrags auf unsere Landwirthschaft sprach, ein Argument gebraucht, das zwar von seinen politischen Freunden mit großem Beifall aufgenommen wurde, dessen Anwendung gerade in seinem Munde mich aber einigermaßen erstaunt hat. Er hat die Behauptung, daß dieser Vertrag für unsere Landwirthschaft schädlich sei, damit begründet, daß er offenbar für die russische Land⸗ wirthschaft nützlich sei. Ja, meine Herren, was will denn eigentlich die russische Landwirthschaft mit diesem Vertrag erreichen? Sie will das Getreide, was sie heute zu Schleuderpreisen auswärts hinsenden muß, um sich neue Absatzgebiete zu erwerben, zu theueren Preisen an Deutschland verkaufen, und darin liegt auch die beste Garantie gegen die Befürchtung der Ueberschwemmung. Ich habe neulich schon darauf hingewiesen, daß in diesem Augenblick der Roggenpreis in Deutschland infolge der reichlichen Ernte so außerordent⸗ lich niedrig ist, daß das russische Getreide mit dem unsrigen jetzt garnicht konkurrieren kann.
Der Herr Vorredner hat seine Ausführungen damit geschlossen, daß dieser Vertrag dazu beitragen werde, den Ruin der deutschen Land— wirthschaft zu vervollständigen. Einen Beweis für diese Behauptung hat er nicht vorgebracht. Er hat es auch mit großer Sorgfalt vermieden, die Argumente zu beleuchten, die ich am ersten Tage der ersten Lesung hier vorgeführt habe. Ich habe neulich in einer hiesigen konservativen Zeitung eine sehr scharfe Kritik meiner neulichen Rede gelesen. Es hieß darin, daß meine Vertretung so außerordentlich schwach gewesen sei, daß es eigentlich für die Gegner des Vertrags im höchsten Grade bedauerlich sei, daß man überhaupt gegen so schlechte Argumente ankämpfen muß. (Heiterkeit) Darauf will ich in aller Bescheidenheit erwidern: ein Schelm giebt mehr, als er hat. Ich habe alle die Argumente vorgebracht, die meines Erachtens überzeugend für den deutsch⸗-russischen Vertrag sprechen; und wenn man nun glaubt, daß diese Argumente so dürftig sind, daß es der Menschenwürde widerspricht, sie zu bekämpfen und zu widerlegen, dann werden eben meine Argumente un— widerlegt bleiben; und damit kann ich mich auch trösten. (Sehr gut! links und Heiterkeit.)
Königlich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Meine Herren! Herr Graf Kanitz hat namentlich die finanzielle Seite dieses Vertragswerkes betont und an diejenigen Abgeordneten, welche für den Vertrag stimmen, den Appell gerichtet, sich auch dessen bewußt zu sein, daß die Einnahmeverluste, die infolge des Vertrages entstehen sollten, in irgend einer Weise durch Vermehrung der sonstigen Einnahmen des Reichs gedeckt werden müssen. Er hat sich dabei auf mich berufen, indem ich hier erklärt habe, daß infolge der Handels— vertragspolitik die Zolleinnhmen um etwa 35 Millionen Mark sich vermindern würden.
Meine Herren, was diesen Appell des Herrn Abg. Grafen Kanitz betrifft, so kann ich ihm nur beitreten. Sofern hier wirklich eine wesentliche Verminderung der Reichseinnahmen eintreten sollte, wird allerdings Fürsorge für den Ersatz derselben durch andere Einnahme— quellen getroffen werden müssen; denn das Reich ist nicht in der Lage, es ist nicht so reich, um einfach auf erhebliche Einnahmen verzichten zu können und doch die bedeutend gestiegenen Ausgaben zu decken, welche ja eine Folge der letzten Ereignisse sind.
Wenn man aber nun untersuchen will, welche Wirkung dieser russische Handelsvertrag auf die Finanzen des Reichs ausüben wird, dann wird man doch die Gefahr für die Reichsfinanzen nicht so groß ansehen können, wie der Herr Abg. Graf Kanitz das gethan hat. Meine Herren, es ist vollkommen zutreffend, daß, wenn man ziffern—
ö
mäßig ohne Rücksicht auf den Einfluß der Handelsverträge auf die zukünftige Einfuhr rechnet, man auf etwa 35 Millionen kommt, ohne Rücksicht auf den deutsch⸗russischen Handelsvertrag. Welchen Einfluß die Handelsverträge aber haben werden auf die Vermehrung der Ein⸗ fuhr, und in welchem Maße durch die Vermehrung der Einfuhr der Einnahmeverlust gedeckt werden wird, das wird wohl niemand von uns mit einiger Sicherheit übersehen können. Im großen und ganzen wird man zweifellos an⸗ nehmen dürfen, daß eine Zollherabsetzung in der Regel korrespondiert mit der Vermehrung der Einfuhr, wenigstens bei einer Reihe von Artikeln. Im großen und ganzen wird man aber auch sagen müssen, daß dies vielleicht am wenigsten zu befürchten oder zu er— warten ist, wie man sich nun ausdrücken will, bei der Einfuhr von Getreide, die ja durch eine bestimmte, von einem Zoll von 13 4. nicht abhängige Konsumtionsnothwendigkeit bedingt ist. Wenn ich nun aber frage: wie wird gerade der russische Handelsvertrag auf die Einnahmen einwirken? so ist hier, glaube ich, bei denjenigen, die diese Einwirkung für eine sehr hohe halten und den Einnahme— verlust für sehr hoch anschlagen, zugleich aber sehr bedeutende Be— fürchtung in Bezug auf die Preisgestaltung des Getreides im Innern hegen, ein gewisser Widerspruch entstanden. Entweder — oder! Wenn der russische Handelsvertrag nicht abgeschlossen wird, wenn der jetzige Zustand, vielleicht mit Beseitigung des Zollkrieges, aber der Zustand der Differenzierung bleibt, so kann nur das eine oder das andere eintreten. Gegenüber der Thatsache, daß der deutsch⸗österreichische Handelsvertrag nicht ein Vertrag mit Oesterreich allein ist, sondern ein Vertrag mit den wesentlich auf dem Gebiete der Getreideproduk— tion konkurrierenden Staaten, daß dieser Vertrag im großen und ganzen die deutschen Grenzen geöffnet hat für die Einfuhr des Ge— treides der ganzen Welt, vorläufig mit Ausnahme von Rußland, zum Zollbetrage von 3, 50 AM, kann nach meiner Meinung die Wirkung des Zollvertrages mit Rußland auf dem finanziellen Gebiete zwar möglicherweise — ich werde nachher noch auf dieses Gebiet „möglicherweise“ zurückkommen — sich dahin gestalten, daß die russischen Importeure gezwungen sind, den höheren Zoll zu zahlen, ohne wesentliche Einwirkung auf die Preisgestaltung im Innern, oder aber, daß der Import von russischem Getreide über⸗ haupt für die Dauer ausgeschlossen wird. In dem einen Falle würden wir allerdings den jetzt noch stattfindenden Import, den trotz des Zoll⸗ krieges noch bis auf eine gewisse Grenze stattfindenden Import und die daraus resultierenden Zollbeträge verlieren, es würde aber dann die Landwirthschaft nichts gewinnen; und im andern Falle würde sich die Sache so gestalten, daß wir allerdings einen Einnahmeverlust haben, daß aber der Landwirthschaft durch den Einnahmeverlust nicht genützt würde. Meine Herren, die Entscheidung dieser ganzen Sache ist nach der Ueberzeugung der preußischen Staatsregierung bereits gegeben; sie wurde gegeben beim Abschluß des deutsch-österreichischen Handels— vertrages. (Sehr richtig! rechts) Die Fragen, die wir jetzt hier noch erörtern: ob es rathsam ist, überhaupt den Getreidezoll zu binden, ob es rathsam ist, überhaupt auf längere Dauer Handelsverträge abzu⸗ schließen, welche Vorbehalte dabei zu machen sind — diese Fragen sind beim Abschluß des deutsch⸗österreichischen Vertrages definitiv ent⸗ schieden auf die nächsten Jahre. (Sehr richtig) Wir haben eigentlich gar keine Veranlassung mehr, diese Dinge hier noch weiter zu er⸗ örtern. Da der deutsch⸗österreichische Handelsvertrag die gleiche Begün⸗ stigung für Amerika (Widerspruch rechts), für England, für Holland, für Belgien, für Argentinien, für die süd⸗amerikanischen Staaten mit sich brachte, so unterstehen die Preise in Deutschland schon jetzt der ent⸗ scheidenden Einwirkung des Weltmarktes.
Man sagt: mit Ausnahme von Roggen! Dafür kann man ja einige Argumente anführen, und das führt mich auf die Frage: welche Wirkung würde es auf die Dauer haben, wenn wir Rußland diffe⸗ rentiell behandelten? Ich will ganz offen sprechen: in der Zollver⸗ waltung war man von vornherein der Meinung, daß zwar für einige Jahre bis auf eine gewisse Grenze die differentielle Behandlung des russischen Handels aufrecht erhalten werden könne, daß aber für die Dauer es dem Handel in seiner außerordentlichen Beweglichkeit ge⸗ lingen würde, nachdem im wesentlichen unsere Grenzen geöffnet sind, auch für Roggen diese differentielle Behandlung illusorisch zu machen (sehr richtig! links). — Ist dies richtig, so wird man sagen müssen, daß die Frage, ob dieser Vertrag abgeschlossen werden soll, ob auch Rußland der Zoll von 3,50 zugestanden werden soll, für die Lage der Landwirthschaft auf die Dauer die Bedeutung nicht hat, die so viele Herren ihr beilegen. Aber, meine Herren, stellen Sie sich einmal vor, wir könnten wirklich das russische Getreide dauernd differentiell behandeln, und es könnte uns auch der Handel da kein K für ein U machen, dann glaube ich doch, daß andere Staaten genug vorhanden sind, die den nöthigen Roggen für Deutsch⸗ land liefern; Rumänien, die baltischen Provinzen, selbst Amerika würden, wenn Rußland dauernd von dem deutschen Markt in Bezug auf Roggen ausgeschlossen würde, nach unserer Ueberzeugung an die Stelle treten, würden sich auf die Produktion von Roggen legen und unsere Landwirthschaft würde wieder in dieselbe Lage gebracht sein.
Meine Herren, es ist darauf hingewiesen worden, daß keiner der bisherigen Herren Redner vom Bundesrathstisch oder der Reichs⸗ regierung sich mit der Nothlage der Landwirthschaft beschäftigte. Nun, ich bekenne ganz offen, daß die Worte, welche Herr Graf Kanitz gesprochen hat, vollständigen Widerhall in den Herzen und in den Ueberzeugungen der preußischen Regierung (Bravo! rechts) nicht bloß, sondern gewiß ebenso der übrigen Regierungen und der Reichsregierung finden. Ich bekenne mich zu der Ueberzeugung, nicht bloß persönlich, sondern ich kann hier sprechen namens der preußischen Staatsregierung (Bravo! rechts), und ich bin sicher: auch namens der Reichsregierung (Heiterkeit links, daß wir die gefährdete, peinliche Lage der Land⸗ wirthschaft in fast allen europäischen Kulturländern in vollem Maße anerkennen, daß wir sie auch in Deutschland finden, und nicht bloß im Norden und im Osten — daß diese bedenkliche Lage aber im Norden und Osten mehr oder weniger schon vielfach den Charakter einer Nothlage annimmt. (Lebhafter Beifall rechts.) Die preußische Regierung ihrerseits ist vollständig davon durchdrungen, daß es die Aufgabe der nächsten Jahrzehnte sein wird, mit voller Fürsorge und Aufmerksamkeit diese Lage der Landwirthschaft nicht bloß zu beobachten, sondern auch wirksam für jede mögliche Abhilfe ein⸗ zutreten. (Bravo! rechts.)
Aber, meine Herren, trotz dieser Ueberzeugung hat sie doch nicht anders konkludieren können, als daß aus der gegebenen Lage heraus sie in voller Ueberzeugung diesem Vertrage ihre Zu⸗ stimmung geben mußte. (Bewegung.)
Meine Herren, Herr Graf Kanitz hat mit Recht selbst die gegen wärtige Situation eine Zwangslage genannt; er hat gesagt: die Landwirthschaft wird mit einem Zoll von 3,50 zu Grunde gehen, ob der deutsch russische Vertrag noch hinzutritt oder nicht. — Ez ist gewiß eine Zwangslage vorhanden, aber auch für diejenigen, die ursprünglich vielleicht nicht auf dem Boden des Abschlusses von Handelsverträgen standen — und das gerade möchte ich den Herren unter mir hauptsächlich zu Herzen führen. Ich habe schon vorhin gesagt: diese Frage war entschieden, die Reichsregierung, die ver⸗ bündeten Regierungen, einschließlich der preußischen Regierung, und der Reichstag hatten die Grundlagen der deutschen Zollpolitik acceptiert, der Vertrag mit Oesterreich war abgeschlossen; nun standen wir vor der Frage: ist es überhaupt möglich, aus wirthschaftlichen und politischen Gründen, auf die Dauer eine differentielle Be— handlung eines großen Nachbarstaats aufrecht zu erhalten? Das ist die Frage, die nach meiner Meinung allein hier zur Entscheidung kommt. Die politische Seite zu berühren, meine Herren, ist meine Aufgabe nicht; sie ist schon von anderer Seite ausgiebig berührt worden, ein jeder kann sich darüber eine Meinung bilden. Was die Möglichkeit einer differentiellen Behandlung vom Standpunkte der Zollverwaltung und der wirthschaftlichen Verhältnisse betrifft, so habe ich die Gründe für ihre dauernde Unmöglichkeit schon vorher mit⸗ getheilt.
Schon als der deutsch österreichische Vertrag angenommen war, wurden sehr viele Stimmen laut, die es damals schon für selbst⸗ verständlich erklärten, daß man Rußland nun denselben Zollsatz für Getreide geben müsse, weil es unausführbar sei, gegen Rußland über— haupt dauernd differentielle Getreidezölle aufrecht zu halten. Es wurde sogar vielfach in Broschüren und Zeitungen dargelegt, daß es rationeller sei, nun ohne weitere Gegenleistungen Rußland diesen billigeren allgemeinen Vertragstarif zu gewaͤhren. Die Reichsregierung ist nicht darauf eingegangen, ist diesen Rathschlägen nicht gefolgt, sie hat vielmehr mit vollem Recht diese Lage benutzt, um auch seitens Rußlands erhebliche Konzessionen auf anderen Gebieten, die indirekt der Landwirthschaft auch zu gute kommen, zu erreichen, und die preußische Staatsregierung hält auch das, was an Konzessionen und Zugeständnissen nicht bloß für die Industrie, sondern namentlich auch für Handel und Schiffahrt aus diesem Vertrage erwächst und, wie gesagt, indirekt auch der Landwirthschaft zu gute kommt, für sehr bedeutungsvoll Das Einzelne will ich hier nicht näher ausführen, es ist schon genügend klargelegt.
Wenn nun die Lage so war, so konnte wohl keine Regierung, so lebhaft sie auch die schwierige Lage der Landmirthschaft beklagt, so sehr sie von ihrer Pflicht durchdrungen ist, für dieselbe zu thun, was möglich ist in Gesetzgebung und Verwaltung, zu der Konklusion kommen, einen Zustand aufrecht zu erhalten, der weder politisch auf die Dauer, nochwirth⸗ schaftlich durchführbar war. Meine Herren, wenn ich in meiner amtlichen Aufgabe so viel mit den finanziellen Zuständen und wirthschaftlichen Verhältnissen des Landes in Berührung komme, mich so oft unterhalte mit den Landwirthen der östlichen Provinzen, und nicht bloß mit Guts⸗ besitzern und Großgrundbesitzern, sondern auch mit Bauern, dann können Sie wohl glauben, daß man jeden Schritt nach der Richtung erwägt, ob in demselben eine Schädigung der Landwirthschaft liegt. Allerdings — in dem Punkte muß ich dem Herrn Grafen Kanitz Recht geben —: dieser Vertrag berührt am meisten unmittelbar diejenigen Provinzen, die an und für sich schon in besonders schwieriger Lage sich befinden. (Hört! hört!)
Wenn beispielsweise ermittelt ist, daß in der Provinz Hannover das Verhältniß der Schuldzinsen zu den Erträgnissen des Grund und Bodens 19 ν beträgt, in Posen aber 60, in Ostpreußen 48, in West— preußen 54 u. s. w., so muß man ja zugeben, daß, welches nun auch die Gründe sind, die landwirthschaftlichen Zustände in den östlichen Provinzen am allerschwierigsten liegen, und Sie können sicher sein, daß die preußische Staatsregierung davon völlig durchdrungen ist. Aber ich sage: die Herren suchen hier das Heil der Landwirthschaft an einem verkehrten Punkte; die Herren glauben durch Ablehnung des Handels— vertrags die Lage der Landwirthschaft in den östlichen Provinzen wesentlich zu verbessern. Sie glauben, daß die Preisverhältnisse sich wesentlich günstiger gestalten werden bei Ablehnung dieses Vertrags. Die Erfahrung der letzten Jahre, wo wir vollen Zollkrieg mit Ruß⸗ land geführt haben, hat doch eigentlich in dieser Beziehung das Gegen⸗ theil bewiesen. (Zuruf rechts.)
Ich kann mich lebhaft in die Lage derjenigen hineindenken, die solche landwirthschaftlichen Zustände vor Augen haben, selbst darunter leiden, überzeugt, daß die Lage der Landwirthschaft durch diesen Ver⸗ trag noch verschlechtert werde, mit allen Kräften dem Handels vertrag widerstreben. Wer objektiv darüber denkt, muß das auch verstehen.
Ich habe aber die Hoffnung, daß, wenn einmal der Vertrag zum Abschluß kommt, die schweren Besorgnisse und Befürchtungen, die die Landwirthe, namentlich der östlichen Provinzen, an diesen Vertrag geknüpft haben, sich nicht bewahrheiten werden. Ich glaube, die Er⸗ fahrung wird dies darthun, und ich hoffe, daß dann auch die scharfen Gegensätze, die sich hier entwickelt haben und noch weiter zu ent⸗ wickeln drohen — was ich für ein großes Uebel halten würde im Interesse aller Theile — zwischen den Interessen des Handels und der Industrie auf der einen Seite und der Landwirthschaft auf der anderen Seite, verschwinden werden und man sich mit den gegebenen Thatsachen abfinden werde, wenn bemerkt wird, daß die Gefahren, die man jetzt befürchtet, nicht in der Weise eintreten, wie man es in diesem Augenblicke glaubt.
Meine Herren, der Graf Kanitz hat gesprochen von dem Kampf auf Tod und Leben der Landwirthschaft. Gewiß, man kann in gewisser Weise, wenn man die allgemeine Lage der Landwirthschaft ins Auge faßt, von einem Kampf auf Tod und Leben sprechen. Auf keinem Gebiet haben die neueren Entwicklungen gefährlicher für die europäischen Verhältnisse gewirkt, als auf dem Gebiete der Land— wirthschaft. Während auf der einen Seite durch die Konkurrenz billiger produzierender Länder, durch die Erleichterung und Verbilli⸗ gung aller Verkehrsmittel trotz des Schutzes, der der Landwirthschaft gewährt wird — und dieser Schutz ist bei den großen Schwankungen in den Getreidepreisen nach meiner Meinung überhaupt von sekundärer Bedeutung — trotzzem also man bemüht ge⸗— wesen ist, die Landwirthschaft zu schützen, die Preise in den letzten
Jahren namentlich auch in Deutschland, seitdem wir ein getreide—
einführendes Land geworden sind, im Sinken sind — und man darf sogar die Befürchtung hegen, daß wir noch nicht am Ende dieser Bewegung sind — sind auf der anderen Seite die Produktionskosten gestiegen. Aus diesen allgemeinen Gründen resultiert vornehmlich die
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schwierige Lage der Landwirthschaft. Gewiß muß man, soweit es überhaupt in den Kräften der Regierung und der Betheiligten steht, gegen die Wirkungen dieser Weltbewegung, wenn ich so sagen darf, ankämpfen, und so kann man von einem Kampf auf Tod und Leben sprechen. Intensivere Wirthschaft, Verbesserung der Verkehrsmittel für die Landwirthschaft selbst, nicht bloß für Industrie und Handel, Landesmeliorationen, gute landwirthschaftliche Schulen u. s. w., Ver⸗ besserung der Kreditverhältnisse auf dem Lande, Verbesserung der Gesetzgebung, welche die Bewegung des Grund und Bodens regelt, — derartige Maßregeln müssen zweifellos mit Entschiedenheit in Aus—⸗ sicht genommen werden. Wenn Herr Graf Kanitz gesprochen hat von einem Kampf um die Existenz, um das Bestehen der europäischen Landwirthschaft, so kann ich diesen Ausdruck nicht zurückweisen, wohl aber muß ich es zurückweisen, wenn er dieses Wort knüpfte an diesen Vertrag; denn nach meiner Meinung wird dieser Vertrag irgend eine wesentliche Verschlimmerung der Lage der Landwirthschaft auch in den östlichen Provinzen nicht herbeiführen. (Bravo!)
Königlich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten von Heyden:
Meine Herren! Ich stimme den Ausführungen, welche der Herr Bundesrathsbevoll mächtigte, Königlich preußische Staats und Finanz⸗ Minister Dr. Miquel bezüglich der Lage der Landwirthschaft gemacht hat, in allen Theilen bei, ich halte mich aber verpflichtet, sie in einer Beziehung zu ergänzen und zwar darin: er führte aus, daß er sich be⸗ züglich der Anerkennung der Nothlage der Landwirthschaft mit dem preußischen Staats⸗Ministerium in Uebereinstimmung befinde. Diese Aeußerung erregte das Mißfallen auf dieser Seite des Hauses srechts). Es wurde gefragt, nur Preußen? Im Interesse der Wahr⸗ heit halte ich mich für verpflichtet, festzustellen, daß bereits im Anfang des Jahres 1891 der erste, welcher aus den Verhältnissen der östlichen Landestheile, speziell Ostpreußens, heraus darauf aufmerksam machte, daß im Interesse und gegenüber der bedenklichen Lage der Landwirth⸗ schaft entscheidende Schritte geschehen müßten, wie sie eben von dem Herrn Staats⸗-Minister Excellenz Miquel bezeichnet wurden, daß der erste, vvn dem diese Anregung ausging, der Herr Reichskanzler war, der damalige Königlich preußische Minister⸗Präsident Graf von Caprivi.
Abg. von Ko scielski (Pole) wünscht namens der Polen eine Kom⸗ missionsberathung, weil man, ohne Gegner des Handels vertrags zu sein, dennoch den einen oder andern Punkt aufklären möchte, was in der Plenarberathung nicht geschehen kann. Die Polen haben die Handelspolitik der Reichsregierung wegen ihrer hohen kulturellen Bedeutung stets zu unterstützen sich verpflichtet gefühlt; sie können nicht anerkennen, daß der Vertrag der polnischen Landwirthschaft Nachtheile bringen wird, trotzdem sie am stärksten unter der Noth⸗ lage der Landwirthschaft leidet; die Gründe des Niedergangs liegen in andern Dingen als in der Vertragspolitik. Man macht den Polen zum Vorwurf, . sie trotz des agrarischen Charakters ihrer Landes⸗ theile nicht auf Seite der Agrarier stehen. Das ist sehr begreiflich. Die Konservativen haben die Polengesetzgebung befördert und dadurch für die Loslösung von der Scholle. gesorgt. Den Antrag Kardorff bezeichnet Redner als undurchführbar und besonders bedenklich Rußland gegenüber, denn der russische Finanz⸗ Minister hat es verstanden, den Rubelkurs vgllständig unabhängig von der Spekulation zu machen. Bei Annahme des Antrags Kardorff würde das Gegentheil davon herbeigeführt werden. Trotz der Zustimmung zum Vertrag ist Redner doch bedenk⸗ lich in Bezug auf die Frage, ob Rußland nicht die Möglichkeit habe, durch anderweite Regelung der Eisenbahntarife die Zölle illusorisch zu machen. Das wird in der Kommission näher zu untersuchen sein, ebenso die Frage, ob Artikel 2, welcher zwar die Niederlassung von Fremden in Rußland gestattet, aber die ,, unberührt läßt, nicht einen Widerspruch in sich ald enthält. Wir können es niemand recht machen. Stimmen wir für die Militär- vorlage, so ist das dem Einen nicht recht. Jetzt meint sogar ein agrarisches Blatt, daß wir für den Handelsvertrag stimmen, weil der⸗ selbe schlimme Folgen für Deutschland haben würde, Man traut den Polen alle möglichen schlimmen Pläne zu, aber die Polen träu⸗ men nicht einmal vom Ministersturz; sie schlafen den gesunden Schlaf derjenigen, welche loyal dem König und dem Staat ihre Dienste erwiesen haben.
Abg. Dr. Osann (nl): Der Abg. Richter hat von der national⸗ liberalen Partei gesprochen, in welcher keine Einstimmigkeit herrschen solle; dasselbe ist aber von der Partei des Zentrums zu sagen, ohne daß der Abg. Richter davon gesprochen hätte. Er hat in unerhörter Weise gegen die Nationalliberalen angekämpft, indem er von Sklaven, von Hörigen, die die Kette u. s. w. nach sich schleppen, u. s. w. gesprochen. Das müssen wir energisch zurückweisen. Es ist bei uns nicht üblich, daß Mitglieder der Fraktion abkommandiert werden; auch nicht üblich, daß bei uns einer allein den Ton angiebt, sondern bei ung gilt die Harmonie. Es ist doch nicht richtig, die Personen, welche in anderer Weise für das allgemeine Wohl eintreten, so an den Pranger zu stellen. Die sieben Fragen, welche vom Bund der Landwirthe ein— zelnen Herren vorgelegt Een, sind wohlbekannt; es handelt sich dabei hauptfächlich um die at von Getreidezöllen bei Handelsberträgen. Wir sind Anhänger der Wirthschaftspolitik des,. Fürsten Bismarck, und es handelt sich darum, diese Wirthschaftspolltik weiter zu führen. Darin stimmen die— lenigen, welche trotz schwerer Bedenken für den Vertrag timmen, und diejenigen, die dagegen stimmen werden, voll ständig überein. Die Gegner des Vertrags wollen nicht, daß die guten Ergebnisse der Wirthschaftspolitik des Fürsten Bismarck zer— stört werden durch die Aenderung der Zolltarifsätze durch Handels berträge. Ich habe dem Bund der Landwirthe geantwortet, indem ich auf meine Abstimmung zum österreichischen ö ver⸗ wies. Ist das Sklaverei? Selbst wenn man sich aber auf die sieben ,. verpflichtet hätte, so wäre man daran doch nicht gebunden, nicht soß wegen des Ärtikels der Verfassung, wonach alle Abgeordneten Vertreter des gesammten Volks sind, sondern auch, weil folche Zu—
rungen immer nur gegeben werden auf Grund der gegenwärtigen Verhaͤltnisse; wenn aber die Zukunft Veränderungen der Umstände mit sich bringt, so kann man sich auch anders entschließen. Der rumänische Dandels vertrag ist im Reichstage zur Verabschiedung gekommen. Ist das nicht eine erhebliche Veränderung der Verhältniffe? Ist das nicht ein groß Stück des Weges nach Rußland hinein? Wenn 'in Zollbeirath den Verhandlungen mit Rußland Schritt für Schritt folgte, wenn der Vertrag sich als viel werthvolser herausstellt, als der Vertrag mit e e wenn er volle Billigung von allen Seiten findet, wenn die Aufhebung des Identitätzna weises und der Staffeltarife erfolgt, so fann man i nicht sagen, 3j das dieselbe Sachlage ist, wie damals bei der Wahl, wo man' wohl der Ansicht sein konnte, daß ein russischer Vertrag abgelehnt werden müffe. Wenn man dabei eine Meinung nicht ändern follte, dann hörte das ganze parlamen⸗ tarische Leben überhaupt uf. Wer steht denn besser? da? derjenige, der sich unbesehen für den rufsischen Handelsvertrag erklärt hat, oder derjenige, der nach reifer Ueberlegung zur Zustimmung kommt? Durch Herfönsiche Einflüsse oder Machtworte haben wir uns nicht beeinflussen lassen, wir sind lediglich unseren ÜUeberzeugungen Eil Ein Theil meiner Freunde hält an ihrem „früheren
tandpunkt fest; ein anderer Theil hat sich zur Zustimmung entschlossen, weil sie meinen, daß der Vertrag über⸗ wiegende Vortheile mit sich a , Redner verweist auf den Art. 1, wonach die Angehörigen beider Länder gleichberechtigt fein sollen; es sollen aber die Vorschriften in Kraft bleiben, welche sich auf alle
Ausländer beziehen. Redner folgert aus dem Wortlaut, daß die Regierung sich vorbehalten habe, die Einwanderun gänzlich zu verbieten; denn in dieser Beziehung zeige sich eine Abweichung von dem Wortlaut des österreichischen Vertrags. Redner empfiehlt die Annahme des ,. welcher der Industrie und ihren Arbeitern und damit auch der Landwirthschaft Nutzen bringen werde. Für die besonderen Interessen der Landwirthschaft wird in den einzelnen Staaten gesorgt werden 1 Wir befinden uns in einer ge— wissen Zwangslage. Mit allen anderen Ländern haben wir abge— schlossen, nur mit diesem großen Reich, unserem Nachbarreich welches nicht durch Meere von uns getrennt ist, nicht. Der Zollkrieg gegen ein solches Land würde unheilvoll sein, und dezwegen stünmen wir für den Vertrag.
Königlich preußischer Regierungskommissar, Gesandter von Thie lmann: Der Abg. Dr. Osann hat den Wunsch ausgesprochen, es möchte die Tragweite des 5 1 des russischen Vertrags nach einer bestimmten Richtung hin näher erläutert werden. Ich kann dem Abgegrdneten erwidern, daß kein Staat in Verträgen das jedem zivilisierten Staate zustehende Hoheitsrecht, mißliebigen Auslän—⸗ dern sowohl den Eintritt zu verbieten, fowie solche mißliebige Ausländer, wenn sie sich innerhalb der Grenzen des Staats auj—D halten, wieder auszuweisen, — ich wiederhole: daß kein Staat dieses Hoheitsrechtes sich in. Verträgen zu begeben pflegt. Ebensowenig hat. Deutschland in früheren Verträgen auf dieses Heöheitsrecht verzichtet und ebensowenig ist es im vorliegenden Falle geschehen. Sonach besteht dieses Hoheitsrecht, mißliebige Auslaͤnder nicht zuzulassen oder später, wenn sie einmal , worden sind und sich dann mißliebig machen, wieder auszuweisen, auch Ruß⸗ ö gegenüber, falls der Vertrag angenommen wird, unverändert weiter.
Abg. Dr. Barth (frs. Vg): Der preußische Finanz. Minister sagte: die Grundlage der Handelspolitik ist 1851 gelegt worden; jetzt befinden wir uns in einer Zwangslage; sonst wäre die Sache anders. Zu einer solchen abfälligen Kritik liegt gar kein Grund vor, denn überall findet die Handelspolitik des Reichs immer mehr An— erkennung. Eine besondere Unterstützung der Handelsvertragspolitik war die Rede des Finanz⸗Ministers nicht, der vom Vertrag sehr wenig und von der Nothlage der Landwirthschaft mit so großer liebevoller Fürsorge sprach. Eine schwierige Lage der Landwirthschaft aller Welt leugnet niemand. Aber von dieser Thatsache soll man doch nicht einen solchen Gebrauch machen, daß der Begriff des Nothstandes schließlich gar nicht mehr festgestellt werden kann. Die Landwirth— schaft steht dadurch schlechter da, daß sie weniger als andere Erwerbt— zweige im stande ist, sich anderen Verhältnissen anzupassen, und das kann keine Gesetzgekung beseitigen. Man spricht von dem Zugrund— gehen der Landwirthschaft Englands. Aber trotz des Rückgangs wird in., England immer noch mehr Weizen, Roggen und Hafer gebaut als in Preußen. Allerdings die Grundrente ist herab— gegangen, und darin scheint mir die Genesung für die Landwirth⸗ schaft zu liegen. Die von dem Abg. Rickert schon angeführte Tabelle
des , Meyer in Hameln habe ich geprüft und als voll
ständig übereinstimmend mit der Reichsstatistik gefunden; sie be— stätigen vollständig, was sie beweisen sollen, nämlich daß es durchaus unberechtigt ist, von einem in den letzten Jahren vermehrten Noth— stand der Landwirthe zu sprechen. Den Antrag von Kardorff kann man leich im Plenum verhandeln, denn für eine Kommissionsberathung ietet er kaum einen Anhalt. Der Antrag zeige nur, wie schwer es ist, solche allgemeinen Anregungen in praktische Vorschläge umzuwandeln. Der Differentialzoll auf Grund des Antrags von Kardorff würde durchaus dieselbe Bedeutung haben, die der jetzige Differentialzoll hat. Und welche Zumuthung wird an die Reichsregierung gestellt? Sie soll Rußland sagen: Du hast uns zwar Konzessionen für unfere Industrie gemacht, aber der Differentialzoll von 5 S6, um deswillen überhaupt der Zollkrieg angefangen ist, soll in Zukunft 5p. W, betragen. Der deutschen Landwirthschaft kann aber nichts Schlimmeres passieren, als daß der Dfferentialzoll für Roggen bestehen bleibt. Denn die Preife von Weizen und Roggen würden, zusammenwirken, und dadurch würde die Roggen—⸗ produktion Deutschlands bedroht werden. Daß die Russen mit dem Vertrag zufrieden sind, ist selbstverständlich; aber wir haben auch Ursache, damit zufrieden zu sein. Dadurch unterscheidet sich die jetzige Wirthschaftspolitik von der des Fürsten Bismarck, der bei jedem ,,,, fragte: Qui . ici? Das ist ein falscher Standpunkt bei Handelsvertragsverhandlungen, eine falsche Auffaffung der ganzen Verkehrsbeziehungen, daß bei jedem Geschäfte Einer der Betrogene sein müsse. Wir Freihändler sind der Meinung, daß jeder zweiseitige Vertrag beiden Theilen Vortheile bringen muß; wenn es anders liegt, dann ist der Vertrag ein fehlerhafter. Daß beide Theile zufrieden sind, darin liegt ja auch die politische Bedeutung des Vertrages. In diesem Falle ist das Fehlen des schweizerischen Instituts des Referendums zu bedauern; eine überwältigende Mehrheit würde bei der Volksabstimmung dem Vertrage zustimmen. Bei diefem Werke hat die Regierung die große Mehrheit der Nation hinter sich, darum braucht die Regierung keine Konzessionen zu machen. Der Handelsvertrag muß angenommen werden, weil die Mehrheit der Vevblterung die Annahme und zwar die schleunige Annahme des Vertrages verlangt.
Abg. von Ploetz (dkons.): Nach den ersten ruhigen Reden kam die Unruhe in die Verhandlungen durch den Abg. Rickert, der nicht mehr sachlich sprechen zu können scheine. Die Versammlung des Bundes der Landwirthe in seiner Heimath in Westpreußen scheink ihm unangenehm gewesen zu sein. ch habe es deutlich ausgesprochen, daß wir gegen den Reichskanzler als Person nichts einzuwenden haben. Wir haben seine militärische Autorität bei der Militärvorlage aner⸗ kannt. Wenn wir mit seiner Wirthschaftspolitik nicht einverstanden sind, so wird der Reichskanzler nicht verlangen, daß wir ihm zu— stimmen. Das gilt nicht der Person, sondern der Sache. Wenn der Reichskanzler seine Wirthschaftspolitik ändern wollte, so würden wir uns freuen, denn die jetzige Wirthschaftspolitik kann nicht zum Heile Deutschlands dienen. Daß wir demagogisch vorgehen, darauf will ich nicht eingehen. Daß der Bauer, wenn er zu leiden hat, nicht im Salonton spricht, sei selbstverständlich. Solche Worte dürfe man nicht auf die Goldwage legen, und wenn die Bauern vor das Reichskanzlerpalais ziehen würden, so würde das auch nur eine loyale Kundgebung sein. Wir haben niemals die Entlassung des Reichskanzlers verlangt, aber vor 30 Jahren haben Sie (links) die Entlassung des Fürsten Bismarck verlangt. Welche Schimpfworte sind dem Fürsten Bismarck in der Presse entgegengeschleudert worden; ich erinnere an die Eisenpolitik, die Schnapspolitik, die Schweine politik. Der Abg. Dr. Barth tritt für den Vertrag ein als Frei⸗ händler und als ehrlicher Mann, und ich füge hinzu; Und wenn die halbe Nation darüber zu Grunde geht. Prinzipien darf man nicht übertreiben. Wir sind gegen die en r rer , weil sie der Landwirthschaft schaden. Beweise brauchen wir nicht beizubringen; diejenigen, welche die Verträge vorlegen, müssen , daß sie der Landwirthschaft nicht schaden. Wir halten die Herabsetzung der
ölle auf Getreide kr eine große Konzession, während die Konzessionen für die Industrie . gering sind. Die Förderung der Kultur in Europa ist nicht Sache der deutschen Regierung, sie soll die deutsche Kultur fördern. Wenn der Reichskanzler meinte, daß der Bund der Landwirthe der Landwirthschaft noch nicht eine Mark gebracht hat, so kann ich fragen: Was hat denn die Regierung der Landwirthschaft geleistet? Aber bei der Futternoth hat der Bund der Landwirthe den Leuten geholfen, ihr Vieh im Preise hoch zu halten, damit sie nicht in ihrer. Bedrängniß den jüdischen Vermittlern in die Hände fielen. Die Aufhebung des k würde keine Kompensation sein, hö stens fur den sten würde es einen Vortheil bedeuten. Deshalb stimmen wir des Identitätsnachweises, weil die Land
gegen die Aufhebun t ; wirthe fest e, ne, . sollen. Nicht wir haben den Osten und
Westen auseinander getrieben; das ist von anderer. Seite ge⸗ schehen. Nicht die Junker haben sich an die Spitze gedrän t; jeder Bauer an der Spitze der Bewegung wäre uns ebenso lieb, Bie Bauern wissen, daß ich loyal vor ö Ich wünsche der Regierung,
f haben moͤge, wie
daß sie immer eine so loyale Oppositlon gegen si
uns. Scharf muß die Opposition sein, sonst nützt sie nichts. Bei der e e,, ere, aft der Herren auf der Linken muß dem Reichskanzler nach seinen früheren Worten ja ganz unheimlich geworden sein. Der Reichskanzler hat auch früher einmal erklärt, daß er gegen den Strom schwimmen werde; sechs Wochen darauf war das Schulgesetz zurückgezogen. Wie der Reichskanzler bei jedem Gesetz prüfen wollte, welche Wirkung es auf die Sozialdemokratie ausübt, so sollte er auch prüfen, wie es auf die Landwirthschaft wirkt. Thaten wollen und Thaten müssen pir sehen, und, wir haben in der letzten Zeit nur solche Dinge ge⸗ sehen, welche die Landwirthschaft schädigen. die Ermäßigung des Zoll⸗ schutzes. Was aus der Währungökommission herauskommen wird, wissen wir nicht; ich habe nicht allzu viel Vertrauen dazu. Redner geht dann auf die Roggenproduktion der Erde und Rußlands ein und folgert daraus, daß die kleinste Vermehrung der Roggen⸗ produktion Rußlands zur Ueberschwemmung des deutschen Marktes mit Getreide führen wird. Soll das für den Roggenbau verwendete Land aufgefgrstet werden? Der Vertrag sorgt dafür, daß die Aufforstung nicht Gewinn bringt. Die Industrie hat keine erheblichen Vortheile erzielt. Ganz unberständlich ist, daß wir uns überall gebunden haben. Aber Rußland erhält die Freiheit, seinen Kohlenzoll zu erhöhen. Daß der Abg. Richter den Bund der Land- wirthe eine Mißgeburt genannt hat, will ich ihm . übel nehmen; aber um eins bitte ich ihn: er soll uns nicht wieder fo loben, wie er es gethan hat; das könnte uns nur schaden. Wenn die preußische und die Reichsregierung die Nothlage der Landwirthfchaft gekannt hat, weshalb hat sie den Zollschutz für nicht mehr nothwendig erachtet? weshalb hat sie die Verträge durchgedrückt? Die Stabilität der Zölls gönnen wir der. Industrie; für die Landwirthschaft sind die Verträge die Stabilität des Elends. Wo die Rettung zu finden ist, wissen wir nicht, wenn sie nicht in der Währungsfrage zu finden ist. Bis diese aber regel. können noch Jahre vergehen, und bis dahin gehen noch Taufende von Gxistenzen zu Grunde. Diesen Zustand kann ein großes Land auf die Dauer nicht ertragen.
Darauf wird die Diskussion geschlossen. Das Schlußwort als Antragsteller erhält
Abg. von Kardorff (Rp.): Der Reichskanzler hat es übel ver— merkt, daß ich ein Wort des französischen Ministers Méline zitiert habe und das als unpatriotisch gebrandmarkt. Ein Redner meinte, er hätte mir eine Rüge ertheilt. Rügen werden nur vom Präsi⸗ denten ertheilt. Ich halte es für nützlich, aus Frankreich solche Stimmen zu zitieren zumal man dort nicht vom Großgrundbesitz reden kann. Als 1881 Fürst Bismarck für das Tabackmonopol sprach, zitierte er auch ein Exposé des franzöfischen Nationalökonomen Leroi— Beaulieu. Darin hat niemand etwas Unpatriotisches gefunden, und vom Patriotismus versteht Fürst Bismarck doch eben so viel wie der Reichekanzler Graf, Caprivi. Ich fürchte, daß der Vertrag unt nicht friedliche Zustände bringen wird, sondern solche Schwierigkeiten, die den Frieden gefährden. Redner zieht seinen ö zurück.
Persönlich bemerkt der Abg. Richter, daß er ei seinen Aus⸗ führungen am Mittwoch garnicht an den Abg. Dr. Ssann gedacht habe, weil er von seiner Bekehrung zum rusfischen Handelsvertrag noch ö 8 ewußt hätte.
arauf ö sich noch der Abg. Zim mer mann (d. Resp.),
daß die deutsche Reformpartei, und der Abg. Dr. Sigl (b. k. F), daß kein Vertreter des bayerischen J kommen sei. . . . Die. Vorlage wird der um sieben Mitglieder verstärkten ö für die bereits genehmigten Handelsverträge über⸗ wiesen.
Schluß 6i/ Uhr.
tandes zum Wort ge⸗
Statistik und Volkswirthschaft.
. deutsch⸗russischen Handelsvertrag.
Aus Danzig telegraphiert man der Köln. Itg.“ daß bei dem gestrigen Festmahl des Landtags der Provinz Westpreußen der Ober⸗Präsident von Goß ler eine eindringliche Rede für den deutsch-russischen Handelsvertrag gehalten hat; der Redner betonte nachdrücklich, daß diesem großen Werk gegenüber von einem Gegen⸗ satz der Interessen in den verschiedenen Berufsständen der bin keine Rede sein könne, und legte dar, daß in Westpreußen sich die Interessen für den Vertrag vereinigten.
In der von der Chemnitzer , und Gewerbe⸗ kammer zum 26. v. M. einberufenen Versammlung von Fabrikanten, Gewerbhetreibenden und Kaufleuten des gesammten Kam merbezirks (Vgl. Nr. 50 d. Bl.) wurde folgende Entschließung mit allen gegen eine Stimme angenommen: Die Versammlung erklart, daß der deutsch⸗ russische ,, dem Erwerbsleben des Kammer⸗ bezirk in hohem Grade förderlich sein wird, weil er Gewähr bietet für eine gedeihliche Entwickelung unserer Aus⸗ fuhr nach Rußland und durch die ö auf 10 Jahre die für Handel und Industrie so nothwendige Stabilität der Verhaͤltnisse bringt. Wenn selbst mancher Wunsch, der von einzelnen Industrien unseres Landes in Bezug auf Tarifermäßigungen gehegt worden sein mochte, keine Berücksichtigung finden konnte, so ist der Vertrag doch in seiner Gesammtheit geeignet, den industriellen Markt zu enklasten und den Gewerben neue Thätigkeit zuzuführen. Mit be⸗ sonderer Genugthuung ist es zu begrüßen, daß diefer Ver⸗ trag unter ausgiebiger Mitwirkung von Fachmännern aus Handel und Industrie festgestellt wurde, womtt einem langgehegten Wunsch der Interessenten von der Reichsregierung Rechnung getragen worden ist. Neben den Vortheilen, 3 durch die Herabsetzung vieler russischer Tarifpositionen den einschlägigen Hauptzweigen — auch der Landwirthschaft — gesichert sind, gewinnen alle Gewerbs— gruppen noch infolge der wirthschaftlichen Wechselwirkung, wonach jeder Zweig durch den Aufschwung und das Wohlbefinden des anderen Vortheile zieht. — Die Versammlung bittet daher den hohen Reichs⸗ tag dringend um die Annahme des Vertrags.
Arbeiter⸗Wohlfahrtseinrichtungen.
Der Geheime Kommerzien ⸗ Rath Kart Freudenberg in Weinheim hat, wie der Köln. 3.“ aus Mannheim gemeldet wird, bei Gelegenheit der Feier seiner goldenen Hochzeit ein Kapital von 100 009 M zu einer Stiftung gespendet, die zur Unterstützung hilfsbedürftiger Arbeiter seiner Fabrik, sowie der Wittwen und Waisen solcher Arbeiter bestimmt ist.
Der in Mannheim verstorbene israelitische Ober⸗Rath David Aberle hat eine Stiftung in Höhe von 120 900 „ ins Leben ge—⸗ rufen, deren Zinsen zur Unterstützung von Rekonvalescenten ohne Unterschied der Konfession dienen sollen. Außerdem hat er noch zahl= reiche Wohlthätigkeitsanstalten mit Legaten bedacht.
Zur Arbeiterbewegung. .
In Stuttgart sind, wie dem ‚ Vorwärts gemeldet wird, am Montag die Goldschläger wegen Lohnkürzung in einen Ausst and eingetreten.
Hier in Berlin fand am Montag eine Versammlung der Arbeiter der elektrotechnischen . statt, in der, wie die Berliner. Volks. 3. berichtet, über die Lohn- und Ärbeitsverhältnisse in der Fabrik von Siemens und Halske verhandelt werden sollte. Die Arbeiter dieser Fabrik waren zu der Versammlung besonders ein⸗ geladen worden und zahlreich erschienen. Der Referent betonte die Nothwendigkeit der gewerkschaftlichen Organisation auch für die Arbeiter, die mit ihrer Lage weniger unzufrieden seien als andere, und sprach sein Mißfallen darüber aus, 3. sich die Arbeiter der Sie⸗ mens'schen Fabrik größtentheils dem Meta arbeiterverband fernhielten. Diese Ausführungen veranlaßten in. Arbeiter der Siemen schen Fabrik zu der Erwiderung, daß die ngelegenheiten zwischen Firma und Arbeitern von den Parteien selbst geregelt würden. Der Be—⸗ schwerdeweg stehe den Arbeitern“ jederzeit offen, und sie bedürften eines Eintretens des Metallarbesterverbandes für sich wegen der