1894 / 81 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 06 Apr 1894 18:00:01 GMT) scan diff

dem Standpunkt steht, daß bezüglich des Zeichenunterrichts es unerläßlich nothwendig ist, daß der Sonntag zu Hilfe genommen wird. Nun, meine Herren, scheint mir auch, daß für alle die Herren, die sich mit der Frage des Fortbildungsschulunterrichts und des Zeichenunterrichts insbesondere am Sonntag beschäftigt haben, es nicht zweifelhaft ist, daß ein Zerreißen des Zeichenunterrichts in zwei Abtheilungen, eine vor und eine nach dem Gottesdienst, unthunlich ist,

denn die Wirksamkeit dieses Unterrichts muß damit nothwendiger Weise in sich zusammenfallen. Wenn man die Sicherheit hätte, daß die jungen Leute, die zwischen 9 bis 10 Unterricht gehabt haben und die zwischen 12 und 2 Uhr wieder zeichnen sollen, in der Zwischenzeit in die Kirche giengen, so ließe sich darüber reden, aber es existiert nicht der mindeste Anhalt, daß das hier zutrifft, daß z. B. die Berliner Jugend, die von 9 bis 10 Uhr Unterricht hat und dann von 12 bis 2 Uhr Unterricht haben solle, dazwischen in die Kirche geht. Ich glaube, man bewegt sich hier in Illusionen, und ich bin überzeugt, daß es viel wirksamer und besser für den Kirchenbesuch wäre, wenn es gelingt, die Einrichtung zu treffen, daß der Gottesdienst vor Beginn des Fortbildungsschul⸗ unterrichts stattfindet, wo die Jugend noch völlig frisch und für Ein⸗ drücke fähig ist, wo sie nicht in die Versuchung gesetzt wird, auf der Straße herumzubummeln, wie es zwischen zwei Unterrichtszeiten statt⸗ finden wird. Ich glaube, daß das Ziel, was man im Auge hat, die Jugend in die Kirche zu führen, was ich nicht nur für berechtigt, sondern für unerläßlich halte, viel sicherer erreicht wird, wenn es gelingen wird, womöglich unter Aufsicht der Lehrer die Jugend vor dem Fortbildungsschulunterricht in die Kirche zu führen.

Auf diesen Weg haben wir unser Bemühen gerichtet und zum theil ist es auch von Erfolg gekrönt worden, nicht in den Großstädten, wo die Verhältnisse ganz anders, außerordentlich viel schwieriger liegen als in kleineren Orten. Ich bitte Sie zu bedenken, daß dort nicht nur Lehrlinge, sondern ein sehr großer Theil von Gesellen, selbständigen Gewerbtreibenden an dem Zeichenunterricht des Sonntags theilnimmt. Ferner bitte ich Sie zu bedenken, welche ungeheuren Entfernungen in den Großstädten zu überwinden sind, um die Schule von dem Wohnort aus zu erreichen, oder um von der Schule aus eine Kirche zu besuchen. Das sind besondere Verhältnisse, und wenn in einer kleineren Stadt bezeugt wird, daß das Arrangement sich sehr wohl machen lasse, daß man den Unterricht vor und nach dem Gottesdienst stattfinden läßt, so ist das in keiner Weise zu⸗ treffend für die Verhältnisse in der Großstadt. Also ich glaube doch, wenn man anerkennt, daß der Sonntagsunterricht zur Zeit unentbehrlich ist, und wenn man weiter anerkennt, daß eine Zer⸗ reißung des Zeichenunterrichts am Sonntag im hohen Grade schädlich für den Unterricht selbst ist, wenn man nicht bestreiten kann, daß es andere zulässige, wirklame Wege giebt, um die Jugend in die Kirche zu führen, so meine ich, sollte man sich nicht so absprechend über den Versuch äußern, eine Verlängerung der in der Gewerbeordnung fest⸗ gesetzten Frist von 3 Jahren zu erbitten. Meine Herren, wenn dieser Versuch nicht zum Ziele führt, so wird man sich nachher fragen müssen: was soll geschehen? Und wenn dann der Reichstag auf seinem Standpunkte stehen bleibt, die Bestimmung in der Gewerbeordnung nicht zu ändern, so muß man nolens volens zu einem anderen Wege übergehen. Meines Erachtens wird allerdings dann der Erfolg der sein, daß der ganze Fortbildungsschulunterricht auf das empfindlichste ge⸗ schädigt wird, daß nicht nur Lehrlinge und jugendliche Arbeiter, sondern auch Gesellen und selbständige Gewerbtreibende, die am Zeichen⸗ unterricht Interesse haben, in ihrem Berufe zurückgebracht werden. Also ich kann nur die dringende Bitte an die Herren aussprechen, in den Tagen, die vergehen werden, bis eine Gesetzesvorlage an Sie kommt, sich möglichst milden Gesinnungen über diese Frage hinzugeben und sich zu vergegenwärtigen, daß die Regierung in keiner Weise daran denkt auch die preußische Regierung nicht irgendwie dem Gottes—⸗ dienst nahetreten zu wollen, daß sie durchaus mit Ihnen auf demselben Standpunkt steht, daß die religiös-sittliche Erziehung für den jugend— lichen Arbeiter höher steht wie die Erziehung des Zeichenunterrichts. Diesen Standpunkt kann man vollständig einnehmen, ohne einer Ge⸗ setzes vorlage, wie sie in Aussicht gestellt ist, entgegen zu sein.

Man kann sehr wohl auf diesem Standpunkt stehen und doch dabei in der Erkenntniß der Nothwendigkeit der Fortbildungsschule eine Frist geben, die es ermöglicht, einen Ausweg aus den Schwierig⸗ keiten der Situation zu finden, die es ermöglicht, den zweifellos noth⸗ wendigen Zeichenunterricht in der Fortbildungsschule zu erhalten und nicht zurückgehen zu lassen. (Bravo

Abg. Dr. Bachem (Zentr.. Ich bedauere mit dem Abg.

. von Stumm, daß die Antwort des preußischen Handels⸗ inisters fo und nicht anders ausgefallen ist. Wir stehen mit dem

Abg. Freiherrn von Stumm auf dem Boden des Kompromisses von 1891. Was soll mit den weiteren drei Jahren gewonnen werden, wenn es in den verflossenen drei Jahren nicht gelungen ist, die Verständigung herbei⸗ zuführen? Man komme doch geraden Weges mit dem Antrage, den . zu ändern; wir werden den Kampf dann wie damals aufnehmen.

ie Frage hat eine schultechnische und eine kirchlich⸗soziale Seite. In den katholischen Landestheilen ist überall ohne Schwierigkeit ein

i nnr enen le g eingerichtet worden. Der Fort⸗ ildungsunterricht wird ziemlich durchweg von 8 bis 12 Uhr am Sonntag Vormittag gegeben und die evangelische Kirche erklärt, sie fönne den Gottesdienst weder vor 8, noch nach 12 legen. Erklärt dies die protestantische Kirche, so müssen wir das stagatlich respektieren. Nicht der Fortbildungsunterricht, sondern der Gottes dienst muß den Vorrang haben; der Unterricht kann zu anderen Stunden stattfinden. Aber selbst wenn letzteres nicht der Fall wäre, würde der Anspruch der protestantischen Kirche geachtet werden müssen. Will man einen guten Fortbildungsunterricht haben, so erscheint der Sonntag Morgen keineswegs als die eeignetste Zeit. Die Verlegung auf die Werktage. wünsche aud ich, und zwar in höherem Maße anscheinend als die Regierungen. Weder Lehrer noch Schäler sind erbaut von dem Unterricht am Senntag Vor. mittag. Den Sonntag Nachmittag will man aus Rücksicht auf Lehrer und Schüler nicht für diesen Unterricht benutzen; um so ernster muß das Bestreben sein, den Unterricht auf die Wochentage zu ver⸗ legen. Auch für den Zeichenunterricht kann nur theilweise eine Aus⸗ nahme zugestanden werden. Bei gutem Licht läßt sich auch der , , ertheilen, und wenn er das Tageslicht unbedingt raucht, ist es dann ain, zwei Stunden der Woche dafür aus- uwählen? Die Arbeitgeber haben es allerbings nicht gern, daß ihnen für ein paar Stunden in der Woche die Schüler entzogen werden; sie werden sich aber bescheiden müssen. Die jungen Leute werden doch besser erzogen, wenn sie in der Woche einige Stunden an einem Vormittage Fortbildungsunterricht empfangen und am Sonntgg in die Kirche gehen können, als wenn sie am Sonntag unter Beein⸗ trächtigung, ja unter Beseitigung der Möglichkeit, den Gottes dienst zu befuchen, in eine Fortbildungsschule hineingedrängt werden. Die Kostenfrage wird nicht unüberwindlich sein. Dem angekündigten fe meg, kann ich ein freundliches Entgegenkommen de Zentrums nicht in Ausficht stellen; eher würden wir, wenn das Kompromiß

zerrissen ist, dem Bestreben des Abg. Freiherrn von Stumm, nach der anderen Seite festere Bestimmungen zu treffen, zu Hilfe kommen.

Abg. Dr. Meyer ⸗Halle S* Vg.): In Berlin hat die Schul⸗ verwaltung verfucht, die kirchliche Behörde zur Verlegung der Stunde des Hauptgottegdienstes zu bestimmen oder sie zu veranlassen, einer befonderen nachmittagegottesdienstlichen Feier ebenfalls den Charakter eines Hauptgottesdienstes zu geben. Die kirchlichen Behörden haben beides abgelehnt. Die Gründe hierfür gehören dem kirchlichen Gebiet an und Unterliegen unferer Kritik nicht. Darauf, hat die Schul⸗ behörde einen eigenen Unterricht für die Fortbildungsschüler in Aussicht genommen, der in einer Kirche stattfinden sollte und . den die Stadt die Kosten tragen wollte. Die Kirchenbehörde hat dies zurückgewiesen unter dem Bemerken, daß sie dazu die Hand nicht bieten wolle, daß überhaupt am Sonntag unterrichtet werde. fie hat die Kirche direkt in staatliche Angelegenheiten eingegriffen, se stellt eine Norm auf, die eigentlich in die Gewerbeordnung gehört. Einen weiteren Versuch kann die Schulbehörde nicht machen. Soll man nun den Fortbildungsunterricht vom Sonntag wegnehmen? Das sist ausführbar bis auf den Unterricht im Zeichnen und Modellieren. Nicht bloß jugendliche Arbeiter, sondern auch er⸗ wachfene Personen machen in großer Menge von diesem Unterricht Gebrauch. Ich muß bei der Ueberzeugung verharren, daß der Zeichen⸗ unterricht das wirksamste Mittel ist, einem Angehörigen der arbeitenden Klassen zu größerer Selbständigkeit, zum Aufrücken auf der sozialen Stufenleiter zu verhelfen. Handwerk und Arbeiter ewinnen dadurch die Möglichkeit, zum Werkmeisterposten zu ge— angen. Sollte der Zeichenunterricht in Ermangelung des Entgegen⸗ kommens der kirchlichen Behörden am Sonntag unterdrückt werden, so wäre das die Vernichtung einer Einrichtung, welche bisher überaus segengreich gewirkt hat. Würde die Frist bis 1897 verlängert, so verstärkt sich unsere Hoff ming, daß die kirchlichen Behörden bis dahin sich eines Besseren belehren lassen werden.

Abg. Dr. Kropatschek sdkons. ); Der preußische Handels Minister Freiherr von Berlepsch wird sich doch wohl schon überzeugt haben, daß gut drei Viertel des Reichstags der Meinung sind, daß eine Diskussion in diefem Augenblicke sehr angezeigt ist; auch sind wir Deutschkonservativen doch nicht schuld daran, daß die Interpellation Ofann eingebracht ist. Der Abg. Dr. Meyer spricht lediglich vom Berliner Standpunkte aus. Da verstehe ich beim besten Willen nicht, wie man die Möglichkeit des Zeichenunterrichts am Abend leugnen kann. In der Kunstschule wird er regelmäßig Abends ertheilt. Auch wir bleiben bei dem Kompromiß von 1891 stehen. Wir wollten den Fortbildungsschulunterricht während des Gottes dienstes nicht; nur weil sich an einigen Orten bereits Einrichtungen eingebürgert hatten, welche ihn dennoch ermöglichten, wollten wir eine Frist zur weiteren Durchführung dieser Einrichtung gewähren. Die kirchliche Behörde kann gar nicht die Hand dazu bieten wollen, den Unterricht am Sonntag zu fördern, sie hat also mit dieser Be⸗ gründung der Ablehnung nur gethan, was sie thun mußte. Wie follen denn die jetzt über ganz Berlin zerstreuten etwa 15 000 Fort⸗ bildungsfschüler in einem einzigen gottesdienstlichen Raum nach dem Vorschlage der Berliner Wg beh. ihre kirchlichen Bedürfnisse befriedigen? Das erscheint doch auch nicht ausführbar. Die Fortbildungs⸗ schule hat sich der uralten kirchlichen Sitte zu fügen, wir müssen das Entgegenkommen von der jüngeren Institution verlangen. Eine Vorlage, welche die Entscheidung hinausschiebt, hat auf unsere Zustimmung nicht zu rechnen.

Abg. Wurm (Soz.): Die Menschen sind nicht der Kirche, sondern die Kirche ist der Menschen wegen da und das Interesse der Schüler geht hier jedem anderen Interesse, auch dem Der Geist⸗ lichkest, voran. Die Verlegung des Unterrichts in die Arbeitszeit der jungen Leute haben wir beantragt, aber die Kommission hat den angenommenen Antrag wieder beseitigt. Wenn jetzt die Ueber⸗ gangszeit verlängert wird, dann wird das Bestreben der Regierungen, vbligatorischen Fortbildungsunterricht in der Woche einzuführen, gelähmt. Daß die Wenn fh , aber so beschaffen sind, daß der Fortbildungsunterricht nothwendig ist, erkennen selbst die amtlichen preußischen Denkschriften an. Man will dem Unternehmerthum nicht zumuthen, den Unterricht auf die Wochentage und in die Arbeits⸗ zeit der Schüler zu legen. Die heutige Aussprache ist von Vortheil; denn der Bundesrath wird fehen, daß seine Vorlage wenig Aussicht hat, und wenn sie bis zum 1. Oktober nicht zu tande kommt, dann tritt das Gesetz ohne weiteres in Kraft und das schadet auch nichts. Die Gutachten von Leitern von Fortbildungsschulen zeigen, daß man überall gut auskommt, wo der Fortbildungsunterricht obli⸗ gakorisch ist. In Mannheim werden die Unternehmer, welche ihre Lehrlinge nicht in den Unterricht schicken, einfach bestraft. Das ist das richtige Verfahren. Namentlich die Innungsmeister wollen ihren Lehrlingen nichts an Unterricht und Bildung zukommen lassen / waz sie nicht selbst ihnen beibringen. Wir verlangen den Unterricht in der Woche bei Tage, nicht Abends oder vielmehr bei Nacht. Aber wenn die Regierung selbst den Rückzug antritt, dann wird auf diesem Gebiet kein Fortschritt gemacht werden. ö

Abg. Möller (nl) weist darauf hin, daß die Nationalliberglen gegen die Bestimmungen, welche jetzt ins Gesetz hineingekommen sind, ursprünglich gestimmt haben, sie haben nur im Interesse des Zu⸗ standekommens des Gesetzes schließlich dem Kompromiß zugestimmt, welches eigentlich ein gewisser Zwangsvergleich war. Gerade die Herren vom Jentrum haben den Vorschlag gemacht, durch Sonder⸗ ottesdienst für die Fortbildungsschüler zu sorgen. In der, Debatte hauptfächlich immer auf Berlin und andere Großstädte ver⸗ wiesen worden. Von viel größerer Bedeutung sei aber diese 7 für die kleinen Ortschaften, wo es an Lehrkräften und Schulräumen in der Woche fehle. Für solche Fälle muß eine Ver⸗ sländigung mit den kirchlichen Behörden herbeigeführt werden; dazu wünschen wir eine Verlängerung der Frist, auch im Interesse der Kirche, mit welcher eine Verständigung in 23 Regierungsbezirken Preußens erzielt worden ist. Hoffen lich wird in der weiteren Frist eine Ver⸗ ständigung auch noch in den anderen Bezirken erzielt.

Abg. Schall (dłons.) bestreitet, daß die evangelische Kirche sich vollftändig ablehnend verhalten hat; die Kirche ist weit ent— gegengekommen, aber die preußische Regierung hat nicht ihrerseits überall den nöthigen Druck auf die städtische Verwaltung 2e. ausgeübt, um die Frage richtig zu regeln. Wenn man ven der anderen Seite gutwillig entgegenkommt, kann bis zum 1. Oktober noch eine Vereinbarung erzielt werden. In der Stadt Berlin würde es kaum möglich fein, für die zahlreichen Schüler der Fortbildungs⸗ schulen einen besonderen Gottesdienst einzuxichten. Uebrigens findet der Zeichenunterricht auch in Berlin vielfach an den Wochentagen Abends statt. . . . ; .

, schließt die Diskussion. Die Interpellation ist erledigt.

Schluß 5i / Uhr.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

41. Sitzung vom 5. April 1844.

In der ersten Berathung des Nachtrags⸗Etats für 1894355 zur Neuorganisation der Staats-Eisenbahn⸗ behörden (s. d. inhere, in der DonnerstagsNummer d. Bl.) nahm nach dem Abg. Schmieding (nl. das Wort der

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Der dem Landtag der Monarchie vorgelegte Nach⸗ trag zum Staatshaushalts Etat bezweckt, die Staatsregierung in die Lage zu setzen, diejenigen Vorbereitungen für die zum 1. April 186 in Aussicht genommene Nenorganisation der Staats⸗-Eisenbahn⸗ verwaltung rechtzeitig treffen zu können, welche mit Geldausgaben verknüpft sind. In der Denkschrift ist bereits darauf hingewiesen, welcher Art diese Ausgaben sein werden; im wesentlichen sind es

Kosten für die Versetzung von Beamten, für Anmiethung von Ge⸗

schäftsräumen, für Drucklegung von Formularen u. s. w. Meine Herren, es könnte die Frage aufgeworfen werden, ob es

nicht zweckmäßiger gewesen wäre, diese Kosten einfach aus den

Mitteln des Etats 1894195 zu entnehmen, um so mehr als ja auch der Staatsregierung zur Zeit noch nicht möglich ist, die Kosten rechnungsmäßig näher anzugeben. Wenn die Staatsregierung den Weg des Nachtrags⸗Etats eingeschlagen hat, so hat sie außer anderen Gründen dazu auch der Wunsch bewogen, den Landtag der Monarchie frühzeitig von einer so tief in alle staat— lichen und wirthschaftlichen Verhältnisse des Landes einschneidenden Maßregel in Kenntniß zu setzen und ihm die Gründe mitzutheilen, welche die Staatsregierung zu dieser Maßregel veranlassen.

Meine Herren, die Umformung der Staats⸗Eisenbahnverwaltung darf nur unter zwei Voraussetzungen erfolgen: erstens, daß ein Be⸗ dürfniß für diese Veränderung nachgewiesen wird, und zweitens der Nachweis erbracht wird, daß etwas Besseres an die Stelle des Alten gesetzt werden kann. Meine Herren, nach sehr eingehenden, über Jahr und Tag geführten Untersuchungen und Erwägungen ist die Staats« regierung zu der Ueberzeugung gekommen, daß beide Voraussetzungen im vorliegenden Falle zutreffen.

Die gegenwärtige Organisation der Staats-Eisenbahnverwaltung ist eingeführt worden zum 1. April 1880, also zu dem Zeitpunkt, wo die große Aktion der Verstaatlichung der Privateisenbahnen, durch welche mein hochverehrter Herr Amtsvorgänger sich in der politischen und wirth⸗ schaftlichen Geschichte des Landes ein bleibendes Denkmal gesetzt hat, im wesentlichen ihren Abschluß fand. Die Aufgabe, die großen Privat⸗ eisenbahnunternehmungen, von denen jede eine auf historischem Grunde aufgewachsene Welt für sich bildete, mit ihren besonderen Einrichtungen für ihre Beamten, mit ihren besonderen Einrichtungen für Betrieb und Verkehr in einer für das Beste des Landes förderlichen Weise in die Staatsverwaltung überzuführen, war eine so schwere, wie sie wohl selten einer Staatsbehörde gestellt worden ist.

Meine Herren, ich habe selbst bei einer der größten deutschen Privatbahnen, bei einer Bahn, die auf ihre Vergangenheit, auf ihre Unabhängigkeit stolz war, die stolz darauf war, nicht bloß das Interesse ihrer Aktionäre, sondern auch die Interessen des Landes stets im Auge gehabt zu haben, den Uebergang von der Privatbahn zur Staats— bahn mitgemacht. Meine Herren, heute noch wie damals kann ich nur der Bewunderung Ausdruck geben für den großen Organisator, der, unterstützt durch ausgezeichnete Mitarbeiter, den Uebergang der Privatbahn in die Staatsverwaltung so weise und umsichtig vor— bereitet und in die Wege geleitet hat, daß dieser Uebergang in einer Nacht sich vollziehen konnte, ohne daß die gewaltige Maschine auch nur zuckte, ohne daß sie an irgend einem Punkt auch nur eine wahr— nehmbare größere Reibung gezeigt hat. (Bravo!)

Meine Herren, dieser Erfolg ist erreicht worden nicht nur durch die weise und umsichtige Vorbereitung des großen Aktes, sondern wesentlich auch durch die Pflichttreue, durch den Diensteifer und die Fachkenntnisse derjenigen Beamten, die meinem Herrn Amtsvorgänger zur Seite gestanden, wie derer, die seine Anordnungen ausgeführt haben. Meine Herren, meine Zuversicht, daß es auch mir gelingen wird, das, wenn auch nicht so gewaltige, doch immerhin ebenfalls nicht léscht zu nehmende Werk der Reorganisation der Staats-⸗Eisenbahn⸗ verwaltung zur Zufriedenheit des Landes durchzuführen, beruht im wesentlichen auf demselben Grunde. Ich habe die feste Ueberzeugung, daß alle Beamten der Staats⸗Eisenbahnverwaltung vom Bahn⸗ wärter bis zum Ministerial-Direktor ihrem Chef hierbei ihre Unterstützung nicht versagen werden, daß der Pflicht⸗ eifer, die Umsicht und die Berufstreue, durch welche die Beamten der Staats⸗Eisenbahnverwaltung auch heute sich noch rühmlich auszeichnen, das schwierige Werk wird gelingen lassen.

Meine Herren, unter der bisherigen Organisation sind große Er⸗ folge erzielt worden. Die Staats. Eisenbahnverwaltung hat sich zum Segen des Landes mächtig entfaltet, zugleich aber auch günstige finanzielle Ergebnisse erreicht.

Seit der Einführung der Organisation sind nunmehr vierzehn Jahre ins Land gegangen, und es ist schon aus diesem Grunde meines Erachtens durchaus gerechtfertigt gewesen, sich die Frage vorzulegen, ob die Organisation von 1880 den Verhältnissen in Anforderungen, wie sie seit der Zeit sich entfaltet haben, noch in ausreichender Weise gerecht wird.

Meine Herren, die Organisation von 1880 war, wie gesagt, in erster Linie veranlaßt durch die Verstaatlichungsaktion. Sie wurde in ihrer äußeren und innern Ausgestaltung vielfach durch Rücksichten beeinflußt, welche der Verstaatlichung entsprangen. Die Verstaat⸗— lichung ist längst bis in alle Konsequenzen durchgeführt. Die Ver— schiedenheiten, die damals obwalteten, bestehen heutzutage nicht mehr. Es ist aus diesem Grund also auch nicht mehr erforderlich, die⸗ jenigen Rücksichten auf historische Verhältnisse ferner walten zu lassen, die damals bei der Einführung der Organisation vollanf be— rechtigt waren. Mein Herr Amtsvorgänger hat mit vollem Recht sich die Aufgabe nicht dadurch erschweren wollen, daß er das— jenige, was historisch zusammengehörte, ohne Noth zerriß, daß er Dinge, die nur örtlich zu regeln waren, in die Hände zentraler Be⸗ hörden legte. Er hat infolge dessen die äußere Gestaltung der Ver⸗ waltungsbezirke, der Betriebsämter sowohl wie der Direktionen, thun⸗ lichst an die historischen Verhältnisse angeschlossen. Es war aber auch ferner nach meiner vollen Ueberzeugung die Ueberführung der Privat⸗ bahnen in die Staatsverwaltung nur möglich mittels einer ziemlich weitgehenden Dezentralisation der Verwaltung. Mit der bis dahin in Geltung gewesenen schärfer zentralisierten Verwaltungẽ⸗ organisation hätte sich meines Erachtens das Werk viel schwieriger gestaltet und wäre jedenfalls nicht so rasch und glatt zum Abschluß zu bringen gewesen. Auch nach dieser Richtung hin sind die Ver— hältnisse vollständig verändert. Wie sehr die historischen Verhältnisse bei der Organisation von 1880 mitgewirkt haben, geht am klarsten daraus hervor, daß man Betriebsämter von 170 bis 450 km gebildet hat, Direktionen von 1300 bis 4000 km, und zwar war nicht die Verkehrbedeutung der Kilometer in erster Linie dabei ausschlag⸗ gebend, sondern im wesentlichen, wie gesagt, waren es die historischen Verhältnisse. War es möglich, Betriebsämter von 450, Direktionen von 4000 Km erfolgreich zu verwalten, so sind Bezirke von 200, beziehungsweise 1300 km wirthschaftlich nicht be⸗ rechtigt.

Die Erfahrungen, die wir nun seit der Zeit in den 14 Jahren gemacht haben, haben uns auch den Beweis geliefert, daß in den größeren Verwaltungsbezirken durchaus nicht schlechter verwaltet

wird als in den kleinen. Im Gegentheil, nach meinen Erfahrungen ist in den größeren Betriebsamtsbezirken besser verwaltet worden als in den kleinen, und zwar aus zwei sehr nahe liegenden Gründen: weil die größeren Bezirke mit besseren Kräften besetzt wurden man sagte sich: die kleinen Bezirke haben weniger Arbeit und weniger Bedeutung; sie können also mit geringeren Kräften auskommen und dann aus einem zweiten Grunde, den Sie bei allen Behörden be⸗ stätigt finden werden; es wird da am besten gearbeitet, wo die Ver⸗ hältnisse erfordern, stets mit vollem Dampf zu arbeiten.

Meine Herren, die Neuorganisation schaltet aus dem Organismus und das ist die wesentlichste und folgenschwerste Veränderung gegen den bisherigen Zustand eine Instanz aus. Warum das geschieht, hat der Herr Vorredner schon klar und überzeugend dargethan: die Theilung der Verwaltung in drei Instanzen: Ministerium, Direktion und Betriebsamt, macht die Verwaltung schwerfällig und kostspielig. Sie war damals nothwendig um der Verstaatlichung willen; sie ist heute nicht mehr nothwendig und wirkt überwiegend nachtheilig. Es ist ganz unzweifelhaft, daß das Schreibwerk dadurch ganz erheblich vermehrt worden ist; es ist aber auch ebenso unzweifelhaft, daß die Theilung der Gewalt und die Theilung der Verantwortung auf den ganzen Geschäftsgang nachtheilig eingewirkt hat. Gerade ein Betriebs⸗ unternehmen kann eine derartige Theilung der Befugnisse und der Verantwortung am allerwenigsten ertragen. Hier ist die persönliche Verantwortung, die persönliche Initiative durchaus maßgebend für den Erfolg. Aus diesem Grunde glaubt die Staatsregierung eine Vereinfachung der Organisation durchführen zu sollen, und zwar dadurch, daß die Betriebsämter aufgehoben werden. Meine Herren, es konnte auch nicht zweifelhaft sein, welche von den beiden Behörden der ausführenden Verwaltung auf⸗— gehoben werden muß; es konnten nur die Betriebsämter sein. Ihr Bezirk ist zu klein, um eine ersprießliche Verwaltung und namentlich eine ersprießliche Wahrnehmung der Betriebs⸗ und Verkehrsverhält⸗ nisse zu gestatten; die Erfahrungen, die wir mit den Betriebsämtern gemacht haben, bestätigen das. Kein Betriebsamt ist im stande, ohne Korrespondenz mit seinen Nebenbetriebsämtern irgend welche größere Frage des Betriebs und Verkehrs lösen zu können; kein Betriebsamt ist aber auch im stande gewesen, irgend eine größere Sache ohne Hereinziehung der Instanz der Direktion er⸗ ledigen zu können. Umgekehrt waren die Direktionen in der weit überwiegenden Zahl von Fällen darauf angewiesen, zunächst den Bericht des Betriebsamts einzufordern. Dadurch ist sehr viel Zeit und auch sehr viel Geld in Anspruch genommen und die Sache selbst vielfach nicht gefördert worden.

Meine Herren, die Direktion kann natürlicherweise einen großen Theil der lokalen Geschäfte nicht selbst ausführen; sie hat deswegen zur Ausführung gewisser lokaler Funktionen lokale Beamte noth⸗ wendig. Ich stehe mit dem Herrn Vorredner genau auf demselben Standpunkt, daß die lokalen Beamten in Bezug auf die Geschäfte, die man ihnen überträgt, thunlichst selbständig gestellt werden müssen. Und das ist auch in der Organisation vorgesehen. Sie werden klar und deutlich umgrenzte Befugnisse erhalten, innerhalb deren sie die polle Verantwortung tragen, innerhalb deren sie aber auch befugt sind, dasjenige anzuordnen, was sie für gut und richtig halten. Es ist aber natürlich und garnicht zu umgehen, daß trotzdem das Papier in der Eisenbahn-Verwaltung nicht aus der Welt geschafft werden kann; es bleiben immerhin noch eine Reihe von Fragen übrig, die nur zu lösen sind von der Direktion und die von der Direktion nur dann gelöst werden können, wenn der betreffende lokale Beamte darüber gehört worden ist. Die Organisation beabsichtigt, auch in dieser Beziehung eine möglichste Vereinfachung herbeizuführen. Ich werde mir gestatten, auf diesen Punkt noch später zurückzukommen.

Die zweite Vereinfachung, die die Organisation herbeiführen will, ist die, daß die Erledigung der Geschäfte innerhalb der Direktion sich einfacher gestaltet, daß die persönliche Verantwortung der einzelnen Dezernenten und des Präsidenten klar umschrieben wird. Aus diesem Grunde sind die Abtheilungen grundsätzlich in Wegfall gekommen.

Der Herr Vorredner hat nun seine Bedenken darüber ausge— sprochen, daß trotzdem im § 18 die Möglichkeit vorgesehen ist, eine Abtheilung zu errichten. Meine Herren, das ist hauptsächlich aus folgenden Gründen geschehen.

Es wird sich empfehlen, eine Reihe von Geschäften entweder innerhalb gewisser Gruppen der Direktionen oder auch innerhalb des ganzen Staatseisenbahngebiets in die Hand einer Direktion zu legen. Als solche Geschäfte sind zu bezeichnen beispielsweise die Beschaffung der Materialien, die Herstellung von Konstruktionen, die Statistik, vielleicht auch ein Theil der allgemeinen Personalverwaltung. Es kann sein, daß durch diese Zusammenfassung bei der betreffenden Direktion eine solche Geschäftsbelastung eintritt, daß es wünschenswerth ist, die Präsidenten von diesen Geschäften zu Gunsten wichtigerer Aufgaben zu befreien. Insbesondere für diesen Fall ist die Bildung einer be⸗ sonderen Abtheilung vorgesehen. Ich glaube, daß nach dieser Er— klärung auch der Herr Abg. Schmieding seine Bedenken gegen die aus— nahmsweise Bildung einer Abtheilung wohl wird fallen lassen.

Meine Herren, das Gerüst des Schiffs, welches am 1. April 1895 nun vom Stapel gelassen werden soll, ist in der Organisation im einzelnen vollständig ausgebaut; ich verzichte darauf, hier in meinen einleitenden Worten auf die Einzelheiten des Baues zurückzukommen, die Denkschrift giebt hierüber hinreichende Auskunft. Indessen möchte ich doch darauf hinweisen, daß das Schiff seinen Kurs nur richtig finden wird, wenn es von manchem Ballast, der die bisherige Ver—⸗ waltung erschwert hat, befreit wird. (Sehr richtig! links) Dahin gehende Erwägungen und Ermittelungen werden seit Jahr und Tag zwischen dem Herrn Finanz-Minister, der Ober⸗Rechnungskammer und mir gepflogen; die Ergebnisse, welche diese Ermittelungen bisher gehabt haben, sind dank dem Entgegenkommen, welches ich gefunden, sehr erfreulicher Natur für die Staatseisenbahnverwaltung. Ich komme nur einer tief empfundenen Pflicht nach, wenn ich heute hier vor diesem Hause meinen Dank außer dem Herrn Finanz-⸗Minister ins⸗ besondere auch der Königlichen Ober⸗Rechnungskammer ausspreche, welche mit dem lebhaftesten Interesse und Entgegenkommen, mit Rath und That ihre Unterstützung in diesen Fragen mir hat zu theil werden lassen.

Es ist bereits ein großer Theil dieses Ballastes beseitigt; ein anderer Theil ist wenigstens schon aus den Tiefen und Winkeln der Verwaltung herausgeholt, um bei nächster Gelegenheit, beim Stapel⸗ lauf, ins Meer der Vergessenheit geworfen zu werden. (Heiterkeit.) Meine Herren, die Erleichterung, welche die Staatseisenbahn hierdurch erfährt, ist eine sehr beträchtliche: unfere ganze Rechnungsaufstellung,

und Rechnungslegung, die Revision dieser Rechnung, die Kassenführung, Statistik u. s. w. wird wesentlich dadurch erleichtert und vereinfacht. Es ist das ja um so nothwendiger, da im allgemeinen die staatliche Verwaltung in dieser ihrer Eigenschaft unvermeidlich mit größeren formalen Schwierigkeiten zu kämpfen hat als eine Privatbahn. Meine Herren, was dazu die Parlamente beitragen, brauche ich hier nicht näher auszuführen, das wissen die Herren selbst besser als ich. Ich

darf aber die Hoffnung aussprechen, daß Sie in den Bestrebungen, die

mich geleitet haben, die Eisenbahnverwaltungen von manchem un⸗ nöthigen Formalismus und Schreibwerk zu erleichtern, mich unter⸗ stützen werden.

Meine Herren, es ist nicht zu vermeiden, daß die Umformung der Staatseisenbahn⸗Verwaltung nach manchen Seiten hin Interessen verletzt. Es wird zwar dahin gestrebt, die berechtigten Interessen thunlichst zu schonen; aber in allen Fällen ist es nicht möglich, und ich mache mich ja auch darauf gefaßt, daß aus diesem hohen Hause hier derartige verletzte Interessen ihre Vertreter finden werden. Ich möchte nur die Herren bitten, daß Sie für diese Zeit gleich mir sich einen kugelfesten Panzer gegen das Uebermaß persönlicher Wünsche und Beschwerden anschaffen; mir geht das ganz gegen meine Natur, aber nothwendig ist es doch. Nach einer Richtung hin aber können wir den berechtigten Interessen gerecht werden; das ist bezüglich der⸗ jenigen Beamten, welche infolge der Reorganisation nicht mehr Ver⸗ wendung finden. Die Reorganisation hat zum Zweck eine wesentliche Vereinfachung der Verwaltung und hat zur Folge, daß ein sehr erheblicher Theil der Beamten nicht mehr Verwendung findet, weil sie überflüssig werden. Die Zahl derselben richtig zu schätzen, ist mit einigen Schwierigkeiten verbunden; ich glaube aber, eine untere Grenze doch wohl angeben zu können; sie beträgt 1700 Beamte. Wenn Sie bedenken, daß das nur Beamte (hört! hört! links) der allgemeinen Verwaltung sind, so werden Sie die Ueberzeugung gewinnen, daß daraus sich sehr erheb- liche finanzielle Vortheile ergeben. Meine Herren, es wird Ihnen voraussichtlich in den nächsten Tagen schon ein Gesetzentwurf vor⸗ gelegt werden, der die Verhältnisse dieser zur Disposition zu stellenden Beamten regelt, und zwar nach der Auffassung der Staatsregierung mit allem dem Wohlwollen und aller der Rücksicht, die der Staat denjenigen Beamten schuldet, die bisher treu ihre Pflicht gethan und infolge veränderter Verhältnisse, auf die sie keinen Einfluß haben konnten, nicht mehr verwendbar sind.

Meine Herren, ich bitte Sie zum Schluß, ertheilen Sie diesem Nachtrags⸗Etat, dessen Betrag ja an und für sich gering ist, Ihre Zu⸗ stimmung, und bekunden Sie damit, daß Sie dem großen Werke der Reorganisation sympathisch gegenüberstehen. Möge der Erfolg dann diejenigen Erwartungen erfüllen, welche seitens der Staatsregierung wie seitens des Landes an dieselbe geknüpft werden! (Leb— haftes Bravo.)

Abg. Brömel (fr. Vg. ): Mit Recht sprach der Minister seinem Vorgänger die Anerkennung aus, die ihm bei seinem Abgange von allen Seiten gezollt wurde. ÜUm so anerkennenswerther ist die scharfe Kritik, die er an dem bisherigen System in so offener Weise geübt hat. Unter schwierigen wirthschaftlichen Verhältnissen hat der jetzige Minister sein Amt angetreten und uns schon lange Reformen in Kussicht gestellt. Sein zielbewußtes Vorgehen in dieser Frage läßt hoffen, daß er auch auf anderen Gebieten als Reformer auftreten, daß er den Bildungsgang der höheren Eisenbahnbeamten besser ge⸗ stalten und auch eine gründliche Tarifreform durchsetzen wird. An den leitenden Stellen der Betriebs verwaltungen müssen, wie an der Spitze des Ministeriums Personen stehen, die sich ihrer Verantwortlichkeit bewußt sind, die aber auch die nöthige Initiative besitzen. Deshalb war der, vom Abg. Schmieding gebrauchte Ausdruck „Präfektensystem nicht zutreffend. Ein Präfekt handelt nur als Werkjeug, nach Anweisung seiner Vorgesetzten; die Leiter des Eisenbahnwesens sollen aber eine selbständigere Stellung haben. Wenn die Verwaltung einheitlich bleiben soll, wird immer noch genug Schematismus und Schreibwerk übrig bleiben. Auch ich halte die Zahl von 20 Direktionen für zu niedrig. Diese Frage sollte in der Budgetkommission besonders eingehend erwogen werden; ebenso die, ob nichk trotz der Beseitigung der einen Instanz das Schreibwerk zwischen Direktionen und Ministerium noch viel zu groß bleibt. Die Beschaffung von Schienen, Eisenbahnwagen A. kann nur an einer Stelle erfolgen; eine Direktion soll diese Aufgabe übernehmen. In wie weit foll sie aber hierin abhängig sein vom Ministerium? Gerade für eine folche Aufgabe wird aber eine andere, mehr praktische Vorbildung der Beamten nothwendig sein. Daß für die Beamten durch ein besonderes Gesetz gesorgt werden soll, ist erfreulich. JI will die Debatte nicht durch einen Mißton stören, aber ich muß do aussprechen, daß ich auf große Erfolge nicht hoffe; denn eine olche große Verwaltung wird immer an einer bureaukratischen Schwer⸗ fälligkeit leiden.

Abg. Dr. Beumer (al.): Wenn wirklich in, der Kommission, welche die Neuorganisation vorbereitet hat, kein einziger Maschinen⸗ techniker gefessen hat, sondern nur Juristen und Baubeamten, so wäre das derselbe Fehler, den wir immer an der Verwaltung der Eifenbahnen neben vielen anderen getadelt haben. Freilich hat. man der Industrie es stets verübelt, wenn sie einen solchen Tadel aussprach. Jetzk bringt die Begründung der Vorlage ein vollständiges Sünden⸗ bekenntniß, welches der erste Schritt zur , zu sein pflegt; man follte aber gründlich verfahren und mit allen Sünden aufräumen, namentlich auch die Vernachlässigung der Maschinentechniker aufhören laffen. Denn nur Sachverständige können die Betriebskosten ermäßigen und durch bessere Anklagen Ersparnisse herbeiführen. Die Trennung des Lokomotib⸗ und des Zugdienstes soll leider aufrechterhalten werden. Die Reform wird nur Stückwerk bleiben, so lange die Juristen bevorzugt werden. Es sollte freie Bahn eröffnet werden für die Baumeister und die Techniker neben den Juristen.

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Zunächst möchte ich es als einen Irrthum des Herrn Vorredners bezeichnen, wenn er gesagt hat, daß die fremden Bahnen der preußischen Staatseisenbahnverwaltung in allen Dingen voraus sind. Meine Herren, das ist nicht richtig, im Gegentheil was Betrieb und Verkehr betrifft, können wir uns mit jeder anderen Eisen⸗ bahnverwaltung durchaus messen. (Sehr richtig! rechts.) Wenn die Herren außer Landes gehen, kommen sie zunächst mit der Erfahrung heim, daß unsere Verkehrsanstalten den Vergleich mit denen anderer Länder nicht zu scheuen brauchen.

Zweitens ist es ein Irrthum des Herrn Vorredners, wenn er glaubt, daß die Beamten der Maschinenverwaltung bei den Vorschlägen der Neu⸗ organisation nicht gehört worden seien. Das ist in ausreichendem Maße geschehen; sowohl in der Zentralinstanz haben die betreffenden Techniker mitgewirkt, wie bei den Direktionen. Meine Herren, es ist auch durchaus nicht beabsichtigt, den Maschinentechniker in irgend einer Weise zurückzusetzen. Wenn als einen Beweis hierfür der Herr Vor⸗ redner angeführt hat, daß den Bau⸗ und Betriebs⸗Inspektoren ab⸗ weichend von der bisherigen Einrichtung auch die Leitung des Betriebs übertragen worden ist, während die Leitung des Betriebs naturgemäß den Maschinen⸗Inspektoren gebühre, so möchte ich den Herrn Vorredner darauf hinweisen, daß die lokale

Beaufsichtigung des Betriebs die Leitung liegt bei den Direktionen den Bauinspektoren aus dem Grunde übertragen worden ist, weil nach den bisherigen Erfahrungen die Trennung der Beaufsichtigung des lokalen Betriebsdienstes von dem lokalen Unterhaltungsdienst sich als verfehlt gezeigt hat. Der Bauinspektor, der täglich auf dem Bahnhofe und auf der Strecke mit den Unterhaltungsarbeiten zu thun hat, ist auch die geeignete Persönlichkeit, um über den Betriebsdienst der Station in der ihm zugetheilten Strecke die Aufsicht auszuüben. Es kann auch der Bezirk, welcher den Bauinspektoren zugewiesen ist, mit dem der Maschinen⸗Inspektoren nicht identisch sein, weil dem Bauinspektor nur ein solcher Bezirk zugewiesen werden darf, innerhalb dessen er in der Lage ist, jeden Mann und jeden Schienennagel kennen zu lernen. Darin beruht die Sicherheit und auch die ökonsmische Verwaltung des Betriebs- und Unterhaltungs⸗ dienstes. Wollte man aber andererseits dem Maschinen⸗Inspektor nur 100 bis 120 km zutheilen, so würde er in seinen Funktionen geradezu lahmgelegt werden. Ihm müssen unbedingt größere Strecken über⸗ tragen werden, dem Dienst entsprechend, den er beaufsichtigen soll, und darum ist für einen Maschinen⸗Inspektor eine Strecke von 300 bis 400 km vorgesehen.

Bei den Betriebsämtern liegen jetzt die Verhältnisse genau so. Jedem Betriebsamt ist ein Maschinen⸗Inspektor zugetheilt, während den Betriebsämtern in der Regel drei bis vier Bauinspektionen unter⸗ stellt sind. Ebenso verhält es sich mit den Verkehrs⸗Inspektoren. Auch dem Verkehrs⸗Inspektor muß zur erfolgreichen Ausübung seiner Funktionen ein größerer Bezirk zugetheilt werden.

Der Herr Vorredner hat in diese Erörterung auch noch den, glaube ich, hierbei sehr unbetheiligten Assessor hereingezogen, wahr⸗ scheinlich nur, weil es seiner Meinung nach besser aussieht, den Maschinentechniker nicht nur in Konkurrenz gegen den Bautechniker zu bringen; der Assessor kommt in diesem Falle überhaupt nicht in Betracht. Dem Assessor soll weder die Betriebsleitung, noch Bau und Unterhaltung, noch sonst irgend eine technische Funktion übertragen werden. In jeder Direktion wird den Maschinen⸗ technikern die ihnen gebührende Stellung zu theil werden, wie das auch bisher der Fall gewesen ist. Daneben verbleibt selbst⸗ verständlich die wichtige und umfangreiche Werkstättenverwaltung nach wie vor ausschließlich in den Händen der Maschinentechniker.

Es ist dann von verschiedenen Seiten und auch von dem Herrn Vorredner darauf hingewiesen, daß die Organisation nach einer Seite hin einer Ergänzung bedürfe, und zwar bezüglich der Erziehung und Ausbildung der höheren Beamten. Meine Herren, ich habe wieder⸗ holentlich Veranlassung gehabt, namentlich in der Budgetkommission, meine Auffassung in dieser bedeutsamen Frage auszusprechen und dem zuzustimmen, daß eine Aenderung in der Ausbildung unserer höheren Beamten nach der Richtung durchaus nothwendig ist, daß der höhere Beamte in dem eigentlichen Fachdienst eine tiefergehende und längere Ausbildung erhält. Meine Herren, die Entwürfe für diese Reform liegen mir vor. Daß ihnen noch keine weitere Folge gegeben ist, liegt an äußeren Gründen. Zunächst werden Sie mir glauben, daß alle Instanzen der Staats⸗Eisenbahnverwaltung mit den Dingen, die sich nun seit zwei Jahren vorbereitet haben, so be⸗ schäftigt gewesen sind, daß es außerordentlich schwer hält zur Zeit für die abschließenden Vorbereitungen weiterer Reformen die erforderliche Muße zu finden. Der zweite äußerliche Grund liegt darin, daß wir mit der Neuorganisation ja einen großen Ueberfluß und keinen Mangel an Beamten bekommen. Es wird also die Er⸗ gänzung des Bestandes an höheren Beamten sich viel langsamer in der nächsten Zeit vollziehen, als das bisher der Fall gewesen ist. Die Regelung dieser Frage ist daher zur Zeit nicht dringlich.

Der dritte Grund ist der, daß es zweckmäßig erschien, zunächst die Neuorganisation der Verwaltung sich vollziehen zu lassen und sich dann erst zu entscheiden, in welcher Form die Ausbildung der höheren Beamten in Zukunft vor sich gehen soll, welchen Instanzen sie zur Ausbildung zu überweisen sind, und wie die Ausbildung derselben zu ordnen ist. Bisher waren die Betriebsämter diejenigen Instanzen, denen hauptsächlich die Ausbildung der jüngeren Beamten oblag, und zwar der juristischen sowohl wie der technischen. In Zukunft fallen die Betriebsämter weg, und wir werden voraussichtlich ganz neue Formen finden müssen, die eine Reform der Ausbildung in thunlichst zweckmäßiger Weise gewährleisten.

Meine Herren, es wird sich Laufe dieses Jahres Gelegenheit dieser Frage näher zu treten; einstweilen möchte ich aber bitten, den Minister nicht zu drängen. Es ist wirklich zur Zeit nicht dringend, und wir möchten in dieser für unsere Zukunft außerordentlich bedeutungsvollen Frage nichts überstürzen, keine Schritte thun, die wir demnächst vielleicht wieder zurücknehmen müßten.

Der Herr Abg. Dr. Beumer hat ferner darauf hingewiesen, daß in der Kommission die Frage näher erörtert werden möge, wie bei der Neuorganisation das Verhältniß der Zentralinstanz zu dem Direktor geordnet werden solle. Im allgemeinen giebt die Denkschrift auch in dieser Beziehung die gewünschte Auskunft. Der Minister ist bereits jetzt in allen wesentlichen Fragen der Verwaltung General Direktor der Eisenbahnen. Wenn die neue Organisation in Kraft tritt, wird er es noch in höherem Maße sein; es ist das ganz unvermeidlich. Ein so großes Betriebs unternehmen bedarf einer festen zentralen Leitung, wenn es seiner Aufgabe finanziell und wirthschaftlich so gerecht werden soll, wie es vom Lande erwartet wird. Die Zentralinstanz muß in den wichtigeren Fragen die Entscheidung haben. Dafür andere Normen vorzuschreiben, als sie bereits jetzt theils gesetzlich, theils in den vorhandenen Regle⸗ ments vorgeschrieben sind, würde zur Zeit, glaube ich, verfrüht sein; auch in dieser Beziehung sind erst die thatsächlichen Ergebnisse der neuen Organisation abzuwarten.

Abg. Schmitz-⸗Erkelenz (Zentr.) empfiehlt die Ueberweisung der Vorlage an die Budgetkommission und spricht seine Freude aus über die in Ausficht gestellten Ersparnisse, die in Anbetracht der stetigen Steigerung der Steuerlast wohl mitzunehmen seien. Wichtiger aber. fährt Redner fort, ist die Beseitigung der vielfach herrschenden Schwerfälligkeit im Betriebe, die der zu engen Begrenzung der Be— triebsämter nd der zu weiten Begrenzung der Direktionen ent⸗ springt. Die Juristen können als Verwaltungsbeamte nicht entbehrt werden, und wenn auch die Techniker jetzt etwas zurückgesetzt sein mögen, so verlocken die Beispiele des Auslandes, wo die Techniker überwiegen, wo aber trotzdem durch technische Mängel große Un= gfücksfälle vorgekommen sind nicht zu einer Aenderung nach dieser Richtung hin. Besonders bedenklich ist, daß viele Gemeinden ihre Betriebsämter verlieren; es beginnt sich auch schon eine Jagd in

Scene zu setzen, um den Sitz der neuen Direktionen zu er gngen. Hoffentlich entscheidet der Minister nur nach sachlichen Umständen

voraussichtlich bereits im finden., der Lösung auch