1894 / 82 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 07 Apr 1894 18:00:01 GMT) scan diff

darauf, ob dem Inhaber der elterlichen Gewalt ein Verschulden zur Last fällt oder nicht, auch dann zuzulassen sei, wenn das Kind fittlich verwahrlost und nach der Persönlichkeit und den Lebensverhältnissen des Inhabers der elterlichen Gewalt die Annahme gerechtfertigt i st, daß die elterliche Erziehungs gewalt zur Besserung des Kindes nicht ausreicht. Die Mehrheit entschied sich für die Annahme des Antrags. Nach dem Entwurf (c 1646 Satz 3) kann unter den im §1546 Satz 1 bestimmten Voraussetzungen, sofern das Interesse des Kindes es erfordert, das Vormund⸗ schaftsgericht dem Inhaber der elterlichen Gewalt außer der Sorge für die erfon des Kindes auch die Vermögens⸗ verwaltung, nicht aber die Nutznießung am Vermögen des Kindes, entziehen. Einem Antrage, zu bestimmen, daß, wenn dem Inhaber der elterlichen Gewalt die Sorge für die Person und das Vermögen des Kindes entzogen sei, er kraft Gesetzes auch die elterliche Nutznießung verliere, wurde keine Folge gegeben. Vielmehr wurde beschlossen, daß dem Inhaber der elterlichen Gewalt in den Fällen des S 1546 auch die Vermögensverwaltung nicht solle . werden können. Durch einen Zusatz zu § 1547 soll jedoch zum Ausdruck gebracht werden, daß die Entziehung der Vermögensverwaltung und der elterlichen Nutznießung zulässig ist, wenn der Inhaber der elterlichen Gewalt das Recht des Kindes auf Gewährung des Unterhalts verletzt und für die Zukunft eine erhebliche Gefährdung dieses Unterhalts zu besorgen ist. Der 5 1546 66 2 bestimmt, daß, wenn die in Satz 1 bezeichneten Voraussetzungen vor⸗ liegen, das Vormundschaftsgericht insbesondere auch die Unterbringung des Kindes in einer geeigneten Familie oder in einer Erziehungs- oder Besserungs⸗ anstalt anordnen kann. Die Vorschrift fand, die Zu⸗ stimmung der Kommission. Zugleich wurde beschlossen, in den Entwurf des Einführungsgesetzes eine Bestimmung aufzu⸗ nehmen, wonach die Vorschriften der Landesgeseßze über die öffentliche Zwangserziehung mit der Ein— schränkung unberührt bleiben, daß die öffentliche Zwangs⸗ erziehung, unbeschadet der Vorschriften des 58 56 des Strafgesetzbuchs, nur in den Fällen des 5§z 1546 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und nur dann zulässig ist, wenn das Vormundschaftsgericht die öffentliche Zwangserziehung des Kindes für erforderlich erklärt hat. Andererseits sollen mit Rücksicht darauf, daß der 5 1546 Satz 1 auf den Fall der sittlichen Verwahrlosung des Kindes ausgedehnt worden ist, die Bestim⸗ mungen des 5 Satz 2, s des Strafgesetzbuchs gestrichen werden. Eine lebhafte Erörterung knüpfte sich weiter an die Frage, ob in den 2 des S 1546 die Entziehung des Rechts der Sorge für die Person des Kindes im Wege der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch Beschluß des Vormundschafts— gerichts oder im Wege des Prozeßverfahrens durch gericht⸗ liches Urtheil erfolgen solle. Die Mehrheit trat dem Standpunkte des Entwurfs bei, der die Frage im ersteren Sinne entscheidet. Abgelehnt wurde auch ein Antrag, zu be— stimmen, daß der Beschluß des Vormundschaftsgerichts im Wege der Klage angefochten werden könne oder daß an Stelle der Beschwerde gegen den Beschluß die Klage bei dem Landgericht zulässig sei. Einvernehmen bestand, daß in dem in Aussicht genommenen Gesetze über das Verfahren in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit das Ver— fahren vor den Vormundschaftsgerichten sowie das Rechts⸗ mittelverfahren mit den erforderlichen Garanten auszustatten sei.

Die Vorschriften der S8 1547 bis 1550, nach welchen unter den dort näher bestimmten Voraussetzungen das Vor⸗ mundschaftsgericht den Inhaber der elterlichen Gewalt in dem Recht der Verwaltung des Kindes ver— mögens beschränken und nöthigenfalls ihm dieses Recht entziehen kann, gelangten mit einigen nicht erheblichen Aenderungen sachlich nach dem Entwurf zur Annahme. Auch die Bestimmungen des 1551 über die Befugniß des Vormundschaftsgerichts, die von ihm getroffenen Anordnungen jederzeit wieder aufzuheben, sowie die Bestimmungen des 8 1552 über die Mitwirkung der Gemeinde-Waisenräthe und die Vorschriften des S 1553 über die Beendigung der elterlichen Vermögensver— waltung durch Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Inhabers der elterlichen Gewalt, wurden nicht beanstandet.

Die Berathung wandte sich sodann den von dem Ruhen und der Beendigung derelterlichen Gewalt handelnden gh 1554 bis 1561 zu. Gegen den sachlichen Inhalt des 5 15654 Abs. J, soweit er die Voraussetzungen bestimmt, unter denen die elterliche Gewalt ruhen soll, erhob sich kein Widerspruch. Dagegen war beantragt, die Vorschrift des S 1554 Abs. 1, daß dem Inhaber der elterlichen Gewalt in den Fällen des Ruhens der elterlichen Gewalt die elterliche Nutznießung verbleiben solle, zu streichen. Die Berathung dieses Antrags wurde bis zur nächsten Sitzung vertagt. Für den Fall, wenn die elterliche Gewalt wegen Minderjährig⸗ keit des Inhabers der elterlichen Gewalt ruht, bestimmt der 1545 Abs. 2, daß der Inhaber der elterlichen Gewalt gleichwohl mit gewissen Beschränkungen das Recht und die Pflicht der Sorge für die Person des Kindes haben soll. Die Be⸗ stimmung wurde, soweit sie die minderjährige Mutter betrifft, gebilligt. Daneben soll aber die den zweiten Satz in § 1555 Abs. J deckende weitere Bestimmung aufgenommen werden, daß, wenn der Inhaber der elterlichen Gewalt in der Ge⸗ schäftsfähigkeit beschränkt ist, ihm neben dem gesetz⸗ lichen Vertreter die Sorge für die Person des Kindes in gleicher Weise zustehen soll wie der Mutter nach S 1506 neben dem Vater.

Die Vorschrift des S 1555 Abs. 1 Satz l, wonach, solange die elterliche Gewalt des Vaters ruht, der Mutter die Ausübung der elterlichen Gewalt, zu steht, erfuhr keine Anfechtung; vorbehalten blieb jedoch die Entscheidung der Frage, ob in diesen Fällen der Mutter auch die elterliche Nutz⸗ nießung zustehen solle. Von der Regel des § 1555 Abs. 1 macht der Abs. 2 die Ausnahmen, daß, wenn der

Vater wegen Verschwendung entmündigt oder wenn seine Ehe mit der Mutter des Kindes aufgelöst ist, die Mutter nicht die elterliche Gewalt ausüben soll. Einvernehmen bestand, diese Vorschrift auf den Fall auszudehnen, wenn der Vater wegen Trunksucht entmündigt ist. Andererseits wurde beschlossen, der Vorschrift einen Zusatz zu geben, wonach, wenn die Ehe aufgelöst ist, das Vormundschaftsgericht auf Antrag der Mutter zu bestimmen hat, daß sie die elterliche Gewalt auszuüben habe, sofern keine Aussicht auf Beseitigung des Grundes besleht, aus welchem die elterliche Gewalt des Vaters ruht. Ein Antrag, in allen Fällen des

1555 Abs. 2, also auch dann, wenn die Ehe

nicht aufgelöst ist, dem Vormunbschaftsgericht die Be—

der Mutter auf ihren Antrag elterlichen Gewalt zu übertragen, fand nicht die Zustimmung der Mehrheit. Die Entscheidung der Frage, ob, wenn die Ehe wegen Geisteskrankheit des Vaters geschieden ist, der Mutter kraft Gesetzes die Ausühung der elterlichen Gewalt zustehen solle, wurde bis zur nächsten Sitzung vertagt.

fugniß einzuräumen, die Ausübung der

Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Königlich bayerische Ministerial Rath Geiger ist hier angekommen.

Bayern.

Die Kammer der Abgeordneten hat in ihrer gestrigen Sitzung die vor den Osterferien abgebrochene Spezialberathung des Etats des Kultus ⸗Ministeriums wieder aufgenommen.

Sachsen⸗Coburg⸗Gotha.

Zur Feier der Vermählung Ihrer Königlichen Hoheit

der Prinzessin Victoria Melita von Sach sen⸗ Coburg-Gotha mit Seiner Königlichen Hoheit dem Groß herzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein werden der „Cob. Ztg.“ zufolge in Coburg erwartet: Seine Majestät der Kaiser, Ihre Majestät die Königin von Großbritannien und Irland, Ihre Majestät die Kaiserin Friedrich, Seine Königliche Hoheit der Prinz von Wales, Ihre Königlichen Hoheiten der Herzog und die Herzogin don Connaught, Ihre Königlichen Hoheiten der Prinz und die Prinzessin Heinrich von Preußen, Ihre Kaiserlichen Hoheiten der Großfürst, und die Großfürstin Wladimir von Rußland, Ihre Kaiserlichen Hoheiten der Großfürst und die Großfürstin Sergius von Ruß⸗ land, Ihre Großherzogliche Hoheit die Prinzessin Alix von Hessen, Seine Großherzogliche Hoheit der Prinz Heinrich von Hessen, Seine Durchlaucht der Prinz und Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Ferdinand von Sachsen-Coburg, Seine Großherzogliche Hoheit der Prinz Wilhelm von Hessen, Seine Hoheit der Erbprinz und Ihre König— siche Hoheit die Erbprinzessin von Sachsen-Meiningen, Seine Durchlaucht der Prinz und Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Philipp, von Sachsen⸗Coburg, Ihre Durchlauchten der Prinz und die Prinze ssin Aribert von Anhalt, Seine Durchlaucht der Prinz und Ihre Königliche Hoheit die Prin⸗ zessin Heinrich von Battenberg, Seine Durchlaucht der Prinz und Ihre Großherzogliche Hoheit die Prinzessin Ludwig von Battenberg.

Oesterreich⸗ Ungarn.

Der deutsche Botschafter in Wien und die Prinzessin Reuß sind gestern Abend nach Weimar ab— gereist. Zur Verabschiedung hatten sich, wie W. T. B.“ be—⸗ richtet, am Bahnhof das Personal der deutschen Botschaft, der Minister des Auswärtigen Graf Kälnoky, der Reichs⸗ Finanz-Minister Freiherr von Kalla, der Finanz-Minister Pr. von Plener, die Sektions⸗Chefs im Ministerium des Aus— wärtigen Freiherr von Pasetti und Graf Welsersheimb sowie zahlreiche Mitglieder des diplomatischen Korps und der Aristokratie eingefunden. Prinz Reuß wird in der nächsten Woche nach Wien zurückkehren, um während der Anwesenheit Seiner Majestät des Kaisers Wilhelm in Wien zu verbleiben.

Das Abgeordnetenhaus setzte gestern die General— debatte über das Budget fort. Der Abg. Kramarz hob hervor, man könne den Jungczechen ein Kokettieren mit der Arbeiterschaft nicht vorwerfen. Die Jungczechen hätten gegen die „Omladina“ nichts gethan, weil sie in deren Demonstrationen nur den Ausdruck der Erbitterung des böhmischen Volkes er— blickt hätten. Der Abg. Vosina k führte aus, daß die Slovenen sich der Koalition angeschlossen hätten, weil an der Spitze der gegen⸗ wärtigen Regierung ein Mann stehe, der von dem Gefühle der Gerechtigkeit durchdrungen sei. Der Abg. Wachnianin er— klärte namens der Ruthenen, diese seien leicht für die Regie⸗ rung zu gewinnen, wenn die letztere den gerechten Wünschen der Ruthenen Rechnung trage. Der Abg. Schamaneck be— kämpfte die Koalition. Der Abg. Zaleski entgegnete, die Koalition ermögliche die Durchführung großer legislatorischer Arbeiten. Er erklärte ferner, die Polen würden den ruthenischen Patrioten loyal entgegenkommen. Der Abg. Kaizl bemerkte, die böhmische Frage müsse gelöst werden. Die Koalition sei zur Stagnation verurtheilt. Der Abg. Ruß gah dem Schmerz über das Ableben des Abg. Dr. Schmeykal Ausdruck. Er blicke mit Befriedigung auf die bisherigen Leistungen der Koalitionsregierung. Der Redner wies auf die Bedeutung des abzuschließenden Handelsvertrags mit Rußland hin, begrüßte die Erklärung Zaleski's als eine Kräftigung der Koalition und erklärte schließlich unter lebhaftem Beifall, er habe Vertrauen zu der Regierung. Die Debatte wurde sodann auf heute vertagt.

Die Einsegnung der Leiche des Abg. Dr. Schmeykal findet morgen in Prag, die Beisetzung am Nachmittag in Böhmisch-Leipa statt. An der Bahre werden in Prag und Leipa je drei Redner sprechen. Im Laufe des Tages trafen überaus zahlreiche Beileidskundgebungen in Prag ein. Der Finanz⸗Minister Dr. von Plener zeigte seine Theil⸗ nahme am Leichenbegängniß telegraphisch an.

Frankreich.

Eine den Blättern zugegangene Mittheilung der „Agence Havas“ stellt in Abrede, 3. die Diff er enz zwischen Frank— reich und Portugal bereits gänzlich beigelegt sei. Die französische Regierung habe keineswegs die Absicht kundge⸗ geben, ihre rechtlich begründeten Forderungen fallen zu lassen.

Die Einnahmen aus den indirekten Abgaben er— gaben im Monat März 6 900 0900 Fr. mehr als im Budget vorgesehen war. Der Mehrertrag an Zöllen belief sich auf 4500000 Fr.

Der Generalrath des Departements du Nord hat der „Köln. Ztg.“ zufolge einstimmig, die Sozialisten eingeschlossen, folgende Tagesordnung angenommen: „In gerechter Erregung über den neuen Bombenversuch in Paris, drückt der General⸗ rath das Vertrauen aus, daß die Regierung ihre Wachsamkeit und Thatkraft verdoppeln wird, um die anarchistischen Verbrechen zu unterdrücken, die jetzt die Hauptstadt in Schrecken setzen.“

Italien.

Der Bürgermeister von Venedig hat gestern eine Proklamation erlassen, worin er die bevorstehende Ankunft Ihrer Majestäten des Kaisers Wilhelm und des Königs

Humbert bekannt giebt und die Bevölkerung auffordert, dat frohe Ereigniß festlich zu begehen. .

Der König traf gestern Nachmittag in Venedig ein und wurde am Bahnhof von den Spitzen der Behörden empfangen. Die zahlreich anwesende Bevölkerung begrüßte wie „W. T. B. berichtet, den König mit enthusiastischen Kunh= gebungen. Vom Bahnhof begab sich Allerhöchstderselbe mittels einer Gondel, der eine große Anzahl reich geschmückter Barken folgten, nach dem Königlichen Palais, auf dem ganzen Weg von der Bevölkerung lebhaft begrüßt. Später erschien der König auf dem Balkon des Palais, um der Volksmenge, die den Markusplatz füllte, zu danken.

Mit Rücksicht auf die, Mitte des Monats erwartete An— kunft von 15 000 spanischen Pilgern hat der Papst be— schlossen, daß die Seligsprechung Johann Davila Diego's von Cadix in der Peterskirche stattfinden soll, was seit dem Jahre 1870 nicht geschehen ist. In der Peterskirche wird der Papst auch die spanische Pilgerschaft am 18. April feierlich empfangen. . .

Das geheime Konsistorium zur Präkonisierung von Bischöfen und zur Ernennung von Kardinälen wird am 18. Juni stattfinden, das öffentliche Konsistorium und die feierliche Hutaufsetzung am 21. Juni.

Schweiz.

Der Nationalrath hat gestern, wie „W. T. B.“ meldet, das Anarchistengesetz mit einigen unwesentlichen Aenderungen, über die sich der Ständerath noch auszusprechen hat, einstimmig angenommen.

Zehn Mitglieder des Nationalraths haben den Bundes— rath über den Stand des Streitfalls mit Italien, betreffend die Zollzahlung in Metallgeld, interpelliert und Auf— schluß über die Hindernisse verlangt, die der Einsetzung des vertragsgemäß vorgesehenen Schiedsgerichts entgegenstünden.

Montenegro.

Wie „W. T. B.“ aus Cetinje berichtet, ist es gestern an der Grenze abermals zu einem Zusammenstoß zwischen Albanesen und Montenegrinern gekommen, bei dem aber niemand getödtet wurde. Unter den Bewohnern der montenegrinischen Grenze herrscht große Erregung. Nach in Cetinje eingelaufenen Meldungen benähmen sich die türkischen Behörden und Truppen gleichgültig, wodurch die Situation erschwert werde.

Schweden und Norwegen.

Das Storthing hat dem „W. T. B.“ zufolge gestern einstimmig beschlossen, das Grundkapital der Hypothekenbank um eine Million zu erhöhen, sowie eine Staatsanleihe im Be⸗ trage von 19 Millionen aufzunehmen. Die Regierung hatte nur 16 Millionen vorgeschlagen; der Finanz-Minister erklärte sich jedoch mit der Erhöhung einverstanden. Ferner nahm das Storthing die Vorlage wegen Konversion der Staagts-Anleihe vom Jahre 1880 an. Der Gesammtbetrag der neuen Staats⸗Anleihen beläuft sich auf 38 Millionen Kronen. Die Vertreter der der Linken angehörigen Vereine haben die gestern mit— getheilte Resolution des Parteivorstandes, worin die Durchfüh⸗ rung des Storthingbeschlusses, betreffend das Konsulatswesen, sowie ein eigenes norwegisches Ministerium des Aus⸗ wärtigen und das allgemeine Wahlrecht gefordert werden, angenommen.

Afrika.

Wie das ‚„Reuter'sche Bureau“ vernimmt, hätte die britische Regierung zu der vorgeschlagenen Konversion der egyptischen unifizierten Schuld ihre Zustimmung ertheilt.

Parlamentarische Nachrichten.

Der Bericht über die gestrige Sitzung des Reichstags befindet sich in der Ersten, der Schlußbericht über die gestrige Sitzung des Hauses der Abgeordneten in der Zweiten Beilage.

Der heutigen 76. Sitzung des Reichstags wohnten der Reichskanzler Graf von Caprivi, der Staatssekretär Dr. Graf von Posadowsky und der Königlich bayerische Gesandte Graf von Lerchenfeld-Köfering bei.

Auf der Tagesordnung steht die zweite Berathung des Entwurfs eines Gesetzes wegen Abänderung des Gesetzes, betreffend die Erhebung von Reichsstempelabgaben. Berathen wird zunächst der neue Stempeltarif, wie er aus den Berathungen der Kommission hervorgegangen ist.

Nummer J des Tarifs betrifft die Höhe der Stempel für Aktien. Für inländische Aktien und Antheilscheine, sowie Interims⸗ scheine und Einzahlungen auf diese Werthpapiere soll der Stempel verdoppelt werden und künftig 1 betragen. Für ausländische Aktien u. s. w, wenn sie im Inlande ausgehändigt, veräußert, verpfändet oder wenn daselbst andere Geschäfte unter Lebenden gemacht oder Zahlungen darauf geleistet werden, soll der Stempel verdreifacht werden und künftig 1 0so betragen. Befreit sind: inländische Aktien u. s. w., sofern sie von Aktiengesellschaften ausgegeben werden, welche nach der Entscheidung des Bundesraths gemeinnützigen Zwecken dienen, den zur Vertheilung gelangenden Rein gewinn satzungsmäßig auf eine höchstens vierprozentige Verzinsung der Kapitalseinlagen beschränken, auch bei Ausloosungen oder für den Fall der Auflösung nicht mehr als den Nennwerth dieser An⸗ theile zusichern und bei der Auflösung den etwaigen Rest des Gesell⸗ schaftsvermögens für gemeinnützige Zwecke bestimmen; die von solchen Aktiengesellschaften beabsichtigien Veranstaltungen müssen für die minderbegüterten Volksklassen bestimmt sein. .

Abg. Gamp (Rp.) giebt als Referent der Kommission eine Uebersicht über die zu dem Entwurf eingelaufenen Petitionen.

(Schluß des Blattes.)

Das Haus der Abgeordneten setzte in seiner heutigen 43. Sitzung, welcher der Finanz-Minister Hr. Miquel und der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen mit Kommissarien beiwohnten, die zweite Berathung des Etats der Staats-Eisenbahnverwaltung ort.

Bei dem Einnahmetitel; Aus dem Personenverkehr 249 000 9009 M, beantragt Abg. Br oe mel (fr. Vgg) die Er⸗ höhung dieser Position um 2 300 900

Abg. Graf zu Lim burg-Stirum (kon): Die wahrhaft staatsmännische Rede des Grafen Kanitz hat verschiedene Beurtheilung gefunden; am olympischsten ist damit Abg. Broemel umgesprungen, welcher einfach erklärte, das reaktionäre Agrarierthum wolle gar keinen Verkehr. Das ist eine der unseren entgegengesetzte Meinung; aber mit den Anschauungen, die Graf Kanitz namens unferer Partei ausspricht, wird Herr Broemel mit feiner Partei zu rechnen haben. Wenn durch das Zusammenströmen großer Menschenmassen in Städten Nachtheile entstẽhen, fo follen die Städte fie tragen und nicht vom Staat Abhilfe

verlangen. Es scheint geradezu, als wenn man den Verkehr nur um seiner

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selbst willen fördern möchte, während der Verkehr doch auch nur

höheren Zwecken dient. Der Minister meinte gestern auch, daß er pom Grafen Kanitz einen Antrag auf Abschaffung der Freizügigkeit trwartet hätte. Bas liegt guf linem anderen Gebiete. Aber. wozu soll die Freizügigkeit durch den billigen Eisenbahnverkehr verschärft werden? Bemerkengwerth ist die Hineinziehung der Kanalfrage. Die Industrie soll dezentralisiert werden, aber sie will die Kosten dafür nicht tragen. Auch bei der Dezentralisation würden die ländlichen Arbeiter in die Industrie gezogen und nachdem je ausgenützt sind, wieder auf das Land abgeschoben werden. Es ist eine große Unverfrorenheit, mit welcher die Industrie verlangt, daß auf Kosten der ländlichen Bevölkerung ihr geholfen werden soll. Unter dem Zeichen det Verkehrs leben wir nicht erst jetzt, sondern schon immer, so lange die Menschheit existiert. Jetzt leben wir eigentlich nicht unter dem Zeichen des Verkehrs, sondern unter dem Zeichen der Verkehrtheit. Redner wendet sich dann gegen den Abg. Pleß, der bereut habe, daß er für die Ver. staatlichung der Eisenbahnen begeistert gewesen. Herr Pleß, fährt er fort, gehört aber erst seit 13835 dem Hause an, wo die Verstaatlichung schon abgeschlossen war; er hat sich an der Sünde also garnicht betheiligt. Herr Broemel will die Eisenbahn⸗ Einnahmen erhöhen, wie das im Reich auch geschehen ist, nur um sich vor sich selbst und vor den Wählern zu entschuldigen dafür, daß man die Steuern nicht bewilligt, die verlangt werden, um die Finanzen des Reichs und der Einzelstaaten aufzubessern. Begründet sind folche Erhöhungen der Einnahmen nicht. Jetzt ist für 1893/94 eine Mehreinnahme von 23 Millionen Mark zu erwarten. Wenn die Einnahme für 189495 um 29 Millionen Mark höher veranschlagt ist, so entspricht das einer vorsichtigen Veranschlagung. Solche Dinge macht man wohl im Reichstag, wo Sie (linksJ die Mehrheit haben, aber nicht hier, wo wir die Dinge ernstlich prüfen. In Bezug auf die Tarifreform nehme ich einen Standpunkt ein, den Herr Broemel als ultrareaktionär bezeichnen wird. Die Regierung muß Mehreinnahmen beschaffen; das kann sie bei den Tarifen, ohne das Haus zu befragen. Die Regierung sollte die Tarife jetzt nicht ermäßigen, sondern alle Begünstigungen und Ermäßigungen aufheben. Das wird einen großen Lärm machen, aber meine Freunde werden den Herrn Minister unterstützen. Graf Kanitz meinte, er habe in ein Wespennest ge⸗ griffen. Ich glaube, die Wespen werden summen, aber nicht stechen, und der Minister würde auch gut thun, wenn er unverzagt seinem Vorgänger nachahmen wollte, der das Wort vom Giftbaum sprach, was ihm sehr übel genommen wurde. .

Abg. von Veltheim (kons.) schließt sich den Ausführungen des Grafen Kanitz an. Die Vororte Berlins würden von Sozial⸗ demokraten, von Arbeitern bevölkert, wodurch den Gemeinden große Lasten für Armenpflege und für die Schule erwüchsen, während allein die Stadt Berlin den Vortheil von diesen Arbeitskräften habe. Des⸗ halb sträube sich die Stadt Berlin auch so sehr gegen die Einge— meindung. Die Verhältnisse würden noch schlimmer werden, wenn die Tarife nach dem Wunsch des Abg. Brömel noch mehr ermäßigt würden.

Finanz⸗Minister Dr. Miquel: Das Finanz⸗Ministerium steht in Bezug auf die Veranschlagung der Einnahmen ähnlich, wie der Landtag. Es hat aber nie gewagt und würde nie wagen, dem Ressort⸗ Minister gegenüber eine Steigerung der Einnahmen, die er nach genauer Prüfung aller Verhältnisse vorgeschlagen hat, zu verlangen. Wir sagen uns in unserer Bescheidenheit, daß wir gar nicht im stande sind, diese Dinge besser zu beurtheilen als der Ressort⸗Minister. Eine solche Veranschlagung entspringt der Erfahrung, ja dem Gefühl, dessen wir uns nicht rühmen können. Der Eisenbahn-Minister hat mitgetheilt, daß die Einnahmen des laufenden Jahres um zwei Millionen hinter dem Etat zurückbleiben; danach würden die Einnahmen im vorliegenden Etat sehr hoch bemessen sein. Deshalb haben wir nicht den geringsten Grund, in dieser Beziehung dem Reichstag irgendwie zu folgen. In jeder aufsteigenden Konjunktur kann man sich wohl in der Höhe der Veranschlagung ohne Gefahr irren. Aber in Zeiten finanzieller Klemme ist die Gefahr größer, denn nichts ist gefähr⸗ licher als in Finanzsachen sich selbst etwas vorzulügen. Ich will nicht sagen, daß im Reichstag die politische Tendenz maßgebend gewesen ist; ich bestreite nur die Möglichkeit, daß die Herren im Reichstag die Kenntniß haben, um die Einnahmen richtiger zu veranschlagen als der Ressort⸗Minister. Ich würde es für bedenklicher halten, wenn die Einnahmen und Ausgaben veranschlagt würden, um bestimmte Zwecke zu erreichen. Ich würde es für unzulänglich halten, wenn die Regierung den Etat so veranschlagte, um einen nicht vor⸗ handenen Fehlbedarf herauszuklügeln. Das würde bedenklich sein für den guten Glauben der Verwaltung und das würde noch in höherem Grade der Fall sein, wenn der Landtag zu dieser Methode kommen sollte. Es ist von der Tarifreform offenbar meist in der Tendenz einer Herabsetzung gesprochen worden. Einer Reform an sich stehen seitenn der Finanzverwaltung keine Bedenken entgegen, aber sie darf die Ueberschüsse nicht vermindern, sie darf das Risiko der schwankenden Eisenbahneinnahmen nicht vermehren. Wenn der Landtag vor die Frage gestellt wird, 25 30 Zuschläge zur Einkommensteuer zu erheben oder die Tarife zu erhöhen zur Ver⸗ mehrung der Einnahmen, ohne dem Publikum große Unzuträglichkeiten zu bereiten, so weiß ich nicht, wofür der Landtag sich entscheiden wird. Jedenfalls wird man sich jetzt hüten müssen, eine Tarifreform durchzuführen, welche die große Gefahr einer Verschlechterung der Finanzen mit sich bringt. Genieren sich denn die Kommunen, aus ihren Betrieben Ueberschüsse zu erzielen, um ihre Steuerlast zu vermindern? Wenn die Stadt Berlin ledig— lich Einnahme und Ausgabe bei ihren Gasanstalten balancieren wollte, so müßte sie ihre Steuern erheblich erhöhen. Es mag falsch sein, die Staatsausgaben aus den Eisenbahnüberschüssen zu decken. Aber das ist einmal geschehen, und vermindern wir die Eisenbahn— Einnahmen, so nl! wir die Ausgaben durch Steuern decken. Wir haben keinen Eisenbahn⸗-Reservefonds, wir haben nicht einmal die Schulden mehr in Wirklichkeit tilgen können. Die Knappheit unseres ganzen Finanzwesens würde selbst dann, wenn die Reichseinnahmen vermehrt würden und das Defizit verschwunden wäre, es nicht gestatten, daß der Staat seine Kulturgufgaben in um— fangreicherer Weise als bisher erfüllt. Tarifermäßigungen können Mehreinnahmen bringen, aber es giebt auch Tarifermäßigungen, welche sich nicht in Mehreinnahmen umsetzen. Der Nationalökonom Rafaelo—⸗ wich hat nachgewiesen an der Hand der Ermäßigungen der fran⸗ zösischen Eisenbahnen, daß die Ausgaben noch viel mehr gestiegen sind, ,. Einnahmen. Ich bitte also um Ablehnung des Antrags

römel.

Abg. Dr. Ham macher (ul.): Wir sind niemals der Meinun gewesen, daß die Eisenbahnen gar keine Ueberschüsse geben sollen; 1 will auch nicht irgend eine Maßregel befürworten, welche die Ueber⸗ schüsse der Eisenbahnen vermindert. Ich übe diese Enthaltsamkeit jedoch nur mit lebhaftem Bedauern. Daß die Tarifermäßigungen aber auch mehr Einnahmen bringen können, ist bekannt. Als die Auf— hebung der Staffeltarife verlangt wurde, war der Finanz— Minister derjenige, welcher dieser Aufhebung von Tarifermäßigungen widersprach, weil dieselben eine Mehreinnahme von fünf. bis sechs Millionen Mark mit sich gebracht hatten. Die Ermäßigung der niedrigen Tarife für Steinkohle ist die reichste Quelle der Eisenbahn⸗ überschüsse. Die preußischen Staatsbahnen liefern im Gegensatz zu Indern Staatsbahnen neben der Verzinsung des Anlagekapitals 2 Go Unternehmergewinn, nicht wegen der sparsamen Verwaltung, sondern weil in Preußen die Steinkohlenproduktion den Eisenbahnen die großen , . von Massengrtikeln zuführt. Auch in Bezug auf en Lokalverkehr hat die Ermäßigung der Tarife eine finanzielle Bedeutung; deshalb können wir der Regierung nicht entgegentreten, wenn sie diesen Verkehr fördert, . auch soziale Gründe sprechen.

ie Verwunderung des Grafen Limburg⸗Stirum über die Anregung der Kanalfrage ist unbegründet. Die Schäden der Großindustrie ängen damit zusammen, daß dieselbe zu sehr auf die Eisen⸗ bahnen angewiefen ist, während in anderen Ländern der Kanalverkehr stärker vertreten ist; Kanäle bieten den Vor—

theil, daß jede Uferstelle einen Bahnhof darstellen kann. Redner wendetsssich schließlich gegen den Antrag Broemel; die Eisen⸗ bahneinnahmen seien sehr vorsichtig veranschlagt. Im Reich lägen die . anders; dort sei eine Erhöhung der Einnahmen zweckmäßig gewesen.

Finanz ⸗Minister Dr. Miquel verwahrt sich dagegen, daß er sich gegen jede Tarifänderung ausgesprochen habe; er habe selbst die Staffeltarife gutgeheißen. Das sei keine allgemeine Tarifermäßigung, sondern es habe sich darum gehandelt, die Tarife entsprechend den sinkenden Selbstkosten für weitere Entfernungen herabzusetzen. Die Staffeltarife hätten für das langgestreckte Preußen, welches im Osten Ueberschuß an landwirthschaftlichen, im Westen an industriellen Produkten habe und des Austausches bedürfe, eine große Bedeutung, man müßte denn im Schutzzollsystem so weit gehen, daß eine Propinz der anderen gegenüber abgeschlossen werde. Man habe auf die Post verwiesen. Bas Postpacket zu 506 g, ohne Rücksicht auf die Entfernung, wäre unmöglich, wenn die Eisenbahnen die Post nicht unentgeltlich fahren müßten; man könne wohl 22 Millionen Ueber- schůsse herauswirthschaften, wenn die preußischen Eisenbahnen allein für 23 Millionen Mark Frachten leisten. Einer richtigen Normierung, auch einer den Verkehr und die Einnahmen vermehrenden Ermäßigung ee reife sich entgegenzusetzen, habe die Finanzverwaltung keinen Anlaß.

Bei Schluß des Blattes spricht der Abg. Broemel (fr. Vg.).

Dem Hause der Abgeordneten ist nachstehender Gesetz⸗ entwurf, betreffend Regelung der Verhältnisse der bei der Umgestaltung der Eisenbahnbehörden nicht zur Ver— wendung gelangenden Beamten, nebst Begründung zu— gegangen:

§ 1. Beamte, welche infolge der am 1. April 1895 eintretenden Umgestaltung der Eisenbahnbehörden nicht weiter verwendet werden,. bleiben bis zu ihrer Dienstunfähigkeit zur Verfügung des Ministers Arbeiten und werden auf einem besonderen Etat geführt.

Sie erhalten bis zu ihrer etwaigen Wiederanstellung vorbehaltlich weitergehender wohlerworbener Rechte, auch im Falle ihrer dem⸗ nächstigen Dienstunfähigkeit während eines Zeitraums von fünf Jahren unverkürzt ihr bisheriges Diensteinkommen und den Wohnungsgeld⸗ zuschuß in dem bisherigen Betrage, nach Ablauf des fünfjährigen Zeitraums dagegen drei Viertel ihres pensionsfähigen Dienst— einkommens.

Das Wittwen, und Waisengeld für die Hinterbliebenen dieser Beamten wird in jedem Fall unter Zugrundelegung einer Pension von drei Vierteln des pensionsfähigen Diensteinkommens gewährt.

Als Verkürzung im Einkommen ist es nicht anzusehen, wenn die Gelegenheit zur Verwaltung von Nebenämtern entzogen wird oder der Bezug der für die Dienstunkosten besonders ausgesetzten Einnahmen mit diesen Unkosten selbst wegfällt. .

An Stelle einer etatsmäßig gewährten freien Dienstwohnung tritt eine Miethfentschädigung nach der Servisklasse des Orts der letzten Anstellung.

§ 2. Die zur Verfügung des Ministers verbleibenden Beamten haben sich nach der Anordnung desselben auch der zeitweiligen Wahr⸗ nehmung solcher Aemter zu unterziehen, welche ihren Fähigkeiten und ihren bisherigen Verhältnissen entsprechen.

Während der Dauer dieser Beschäftigung erhalten sie ihr früheres Diensteinkommen unverkürzt und, sofern die Beschäftigung außerhalb ihres Wohnortes erfolgt, Reisekosten nach den für die im Dienste befindlichen Beamten bestehenden Vorschriften und eine von der Eisen⸗ bahnverwaltung nach dem erforderlichen Mehraufwande festzusetzende Entschädigung.

§ 3. Denjenigen nicht zur Verwendung gelangenden Beamten, welche zu den im § 2 Abs. 2 des Gesetzes vom 27. März 1872 (GesetzSamml. S. 268) bezeichneten Beamten gehören, kann ein Wortegeld bis auf Höhe des gesetzmäßigen Pensionsbetrages gewährt werden.

§ 4. Findet eine Wiederbeschäftigung der Beamten in anderen Zweigen des Staatsdienstes oder bei Reichsbehörden statt, so finden die gesetzlichen Bestimmungen über die Wiederbeschäftigung pensio⸗ nierter Beamten auf die im § 1 Abs. 2 und im S 3 bezeichneten Bezüge Anwendung.

85. Mit der Ausführung dieses Gesetzes werden der Minister der öffentlichen Arbeiten und der Finanz⸗Minister beauftragt.

Entscheidungen des Reichsgerichts.

Anstiftung zu einer Stempelsteuer-Defraudation in Preußen ist nach einem Urtheil des Reichsgerichts, III. Straf— senats, vom 15. Januar 1894 im strafrechtlichen Sinne nicht denk— bar. „Erfordert, wie die Vorinstanz in Uebereinstimmung mit dem Urtheil des Reichsgerichts vom 19. Februar 1884 annimmt, das Ver⸗ gehen der Stempelsteuer⸗Defraudation im Sinne des preußischen gtechte weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit, so bleibt diese rein formelle Haftbarkeit auch auf die im Gesetz selbst ausdrücklich als kontributionspflichtig bezeichneten Personen beschränkt. Anstiftung im Sinne desg § 48 Strafgesetzbuchs ist nur bei vorsätzlichen Delikten denkbar. Zu einem Delikt, welches thatbestandlich das Requisit des Vorsatzes nicht enthält, kann deshalb grundsätzlich nicht angestiftet werden. Ob im konkreten Falle zufällig der Thäter mit Vorsaßß gehandelt hat, muß prinzipiell als gleichgültig gelten.“ (4774s93.)

Ergiebt sich nach Auflösung einer Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht und nach geschehener Bestellung von Ligui— datoren aus der Liquidationsbilanz eine Ueberschuldung, so sind, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, J. Strafsenats, vom 22. Januar 1894, die bisherigen Vorstandsmitglieder der Genossenschaft wegen unterlassener Stellung des Antrags auf Konkurseröffnung nicht strafbar. „Die Staatsanwaltschaft leitet in der Revision jene Ver—⸗ pflichtung des Vorstands aus § 92 des Gesetzes vom 1. Mai 1859, betr. die Erwerbs⸗ und Wirthschaftsgenossenschaften, ab, der dahin lautet:

„Sobald die Zahlungsunfähigkeit der Genossenschaft eintritt, hat der Vorstand die Eröffnung des Konkursverfahrens zu bean—2 tragen; dasselbe gilt, wenn bei oder nach Auflösung der Genossen⸗ schaft aus der Jahresbilanz oder aus einer im Laufe des Jahres aufgestellten Bilanz Ueberschuldung sich ergiebt?.

Danach soll, wie die Revision meint, die Verpflichtung des Vor⸗ standes zur Beantragung des Konkursverfahrens neben der den Ligui⸗ datoren zugefallenen gleichen Verpflichtung bestehen geblieben sein. Dieser Ansicht kann nicht beigetreten werden. ö

Schon der Wortlaut des § 142 Nr. 2 a. a. O, der die Straf⸗ vorschrift enthält, spricht dagegen. Danach werden bestraft:

„2) Die Mitglieder des Vorstands oder die Ligquidatoren, wenn entgegen den Vorschriften in 55 92 111. 134 der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens unterlassen ist?“

Wäre die Ansicht der Revision richtig, so müßte die Bestrafung der Mitglieder des Vorstands und der Liquidatoren vorgesehen sein. Läßt sich hiernach für die Angeklagten als Vorstands« mitglieder eine Pflicht zur Antragstellung auf Eröffnung des Konkurses auf. Grund des Ergebnisses der erst infolge der eingeleiteten Liqui dation von den Liquidatoren gezogenen Bilanz nicht herleiten, so ist die erfolgte Freisprechung im bestehenden Recht begründet, und die Revision mußte verworfen werden. (4166 93.)

Entscheidungen des Ober⸗Verwaltungsgerichts.

Ist ein Gemeindemitglied so niedrig zur Ein kommensteuer veranlagt worden, daß es zur Ausübung des Ge⸗

meinderechts (aktiven und passiven Wahlrechts zur Gemeinde vertretung) nicht mehr berechtigt ist, so muß es, nach einem Urtheil des Ober Verwaltungsgerichts, IJ. Senats, vom 26. September 1895 behufs Erhaltung seines Gemeinderechts diese Veranlagung durch das Rechtsmittel der Berufung binnen einer Ausschlußfrist von vier Wochen anfechten, widrigenfalls nach Ablauf der Frist das Gemeinderecht verloren geht, obgleich noch die Möglichkeit einer Nachbesteuerung auf Grund des 5 80 des Ein⸗ kommensteuergesetzes vorhanden ist. Der Bergmann H. in der Gemeinde St. (Westfalen) wurde im Jahre 1891, für das er noch zu 9 46 Klassensteuer veranlagt war, zum Gemeinde⸗ vertreter gewählt. Für das Steuerjahr 1893,93 wurde er mit einem fingierten Satz von nur 2,40 S6 zur Staats, Einkommensteuer ver⸗ anlagt, und am 23. Juni 1892 faßte die Gemeindevertretung den Beschluß, daß H. nunmehr die Fähigkeit, Gemeindeverordneter zu sein, wegen eines unzureichenden Zensus verloren habe. Auf die gegen diesen Beschluß von H. erhobene Klage erstritt er in der Berufungs⸗ instanz ein obsiegendes Urtheil, welches auf die Revision der beklagten Gemeindevertretung vom Ober⸗Verwaltungsgericht aufgehoben wurde, indem es die, die Klage abweisende Entscheidung des Kreis⸗ ausschusses bestätigte. .. . Es kann“, führt das Ober⸗Verwaltungs⸗ gericht aus, für eine definitive Veranlagung nicht das Erforderniß aufge⸗ stellt werden, daß neben der Möglichkeit einer Anfechtung durch die ordentlichen Rechtsmittel auch noch die weitere Möglichkeit einer Nachbesteuerung im Sinne des 8 80 des Einkommensteuergesetzes vom 24. Juni 1891 bereits ausgeschlossen sei. Vielmehr bleibt, wie auch die Ausführungsanweisung vom 5. August 1891 klar zum Ausdruck bringt, im allgemeinen daran festzuhalten, daß abgesehen von dem Fall der strafbaren Hinterziehung wie für den Steuerpflichtigen, so auch für den Vertreter des Staatsinteresses zur Berichtigung einer ordnungsmäßig erfolgten, aber sachlich unrichtigen Veranlagung die ordentlichen Rechtsmittel, wie sie in 5 40 bis 49 des Gesetzes vom 24. Juni 1891 abgehandelt werden, gegeben sind, und nicht der § 80 a. . D.“ I 1047.)

Nach 56 3. 1 des Preuß. Einkommensteuerges. vom 24. Juni 1891 ist von der Besteuerung ausgeschlossen das Einkommen aus den in anderen deutschen Bundesstaaten oder in einem deutschen Schutzgebiete belegenen Grundstücken. In Bezug auf diese Bestimmung hat das Sber⸗Verwaltungsgericht, V. Senat, durch Entscheidung vom 16. Oktober 1893 ausgesprochen, daß ebenso wie der Gewinn aus diesen Grundstücken, auch der bei der Bewirth⸗ schaftung derselben eingetretene Verlust (welchem ein Gewinn nicht gegenübersteht) bei der Veranlagung zur preußischen Einkommensteuer außer Betracht bleibt. Ein Steuenrpflichtiger hatte gegen die nach einem Einkommen aus Kapital und Grundbesitz, sowie aus Handel und Gewerbe in Preußen in Höhe von 202 480 S bewirkte Veran⸗ lagung die Absetzung von 22 660 M Betriebsverlust aus der Bewirthschaftung seines in Lothringen belegenen Gutes verlangt.

Dieser Abzug wurde ihm nicht bewilligt, und seine Beschwerde wurde

bom Ober.⸗Verwaltungsgericht verworfen, indem es begründend aus—⸗ führte: „Allerdings ist in S6 des Einkommensteuergesetzes nur von dem Einkommen“ die Rede, und darauf sowie weiter auf den Umstand, daß nach dem folgenden § 7 als Einkommen die „gesammten Jahres- einkünfte' der Steuerpflichtigen aus Kapitalvermögen, Grundvermögen u. s. w. gelten sollen, stützt der Steuerpflichtige vornehmlich seine Ansicht, daß zwar das „Einkommen“ aus den in anderen deutschen Bundesstagten belegenen Grundstücken von der Besteuerung in Preußen ausgeschlossen, nicht aber auch die Abzugsfähigkeit der in solchen Bundesstaaten erlittenen Verluste von dem preußischen Einkommen verneint sei. Diese Ansicht erscheint jedoch nicht zutreffend . . .“ (21 /93.)

Land⸗ und Forstwirthschaft.

Weizenernte in Indien.

Dem von dem „Department of Revenue and Agriculture“ am 9. v. M. veröffentlichten zweiten allgemeinen Bericht über die Aussichten für die diesjährige Weizenernte in Indien entnehmen wir folgende Angaben (vergl. auch ‚R.⸗Anz.' vom 26. Januar d. J.):

Die mit Weizen bestellte Fläche ist in Bombay und Berar ge⸗ ringer, in Bengalen, Hyderabad (Nyzam's Dominions) und dem Punjab größer als im Vorjahr. In den Zentralprovinzen übersteigt sie den Durchschnitt der letzten Jahre.

Der Stand der Saaten ist in Hyderabad im allgemeinen gut, man erwartet einen Ertrag von 35 ½ mehr als im vorigen Jahre. In Bombay sind die Saaten befriedigend bis gut, obwohl etwas Rost aufgetreten ist, und auch in Berar, wo nach Mitte Dezember v. J. Rost und zu große Feuchtigkeit Schaden verursachten, sind die Aus—⸗ sichten im allgemeinen günstig. In den Zentral⸗Provinzen berechtigte der Stand bis zum November zu den besten Hoffnungen, dann aber trat in Folge heftigen Regens Rost auf, welcher besonders in den nördlichen Distrikten großen Schaden angerichtet hat. In Bengalen hatten die September⸗ und Oktoberregen ungünstig gewirkt, . haben sich jetzt die Saaten gebessert, sodaß eine Mittelernte erwarte wird. In den Nordwestprovinzen hat sich in einigen Distrikten Rost gezeigt, sonst ist der Stand der Saaten vorzüglich. Im Punjab sind die Aussichten sehr gut.

Handel und Gewerbe.

Berlin, 6. April. Amtliche Preisfeststellung für Butter, Käse und Schmalz. Butter. (Preise im Berliner Großhandel zum Wochendurchschnitt per komptant.) per 50 kg. Hof⸗ und Genossenschafts⸗ Butter Ia. 105 A, Ia. 100 υαν, La. —— . . do. abfallende 96 S6, Land⸗, Preußische —— M0, Netzbrücher —— S. Pommersche M, Polnische „. . Sennbutter AM, do. Landbutter —, „M01, Schlesische —— 46 Galizische 99, Margarine 36— 68 Käse: Schweizer, Emmenthaler 87 —90 „S6, Bayerischer 60 68 S6, Ost⸗ und Westpreußischer La. 68— 75 A6, do. IIa. 58 - S2 „e, Holländer 83-88 4, Limburger 37 40 6, Quadrat⸗Mager käse La. 2 25 Æ, do. a. 10-13 M Schm alz: Prima Western 17 0½“ Tara 47 „M, reines, in Deutschland raffiniert 483 S, do. Berliner Bratenschmalz 490—– 50 M Fett, in Amerika raffiniert 39 40 MS, do. in Deutschland raffiniert 36 37 M Tendenz: Butter: ruhig. Schmalz: fest.

Verdingungen im Auslande.

Spanien.

16. April, 123 Uhr. Junta administrativa del Arsenal del Ferrol (Spanien): Möbel und Geräthe für 2 Torpedoboote. An⸗ schlagssumme: 12 545,80 Pesetas. Bedingungen zur Einsicht in der Secretaria de la GComandancia general del Arsenal del Ferrol. Kaution, vorläufige: 417 Peseten, definitive: 1262 Peseten. Nähereg in spanischer Sprache beim „Reichs ⸗Anzeiger“.

Verkehrs⸗Anftalten.

St. Petersburg, 6. April. (W. T. B) Wie verschiedene Blätter melden, wurde in der hier stattfindenden Kon ferenz von Vertretern der russischen und ausländischen Eisen⸗ bahnen, die miteinander in direktem Verkehr stehen, prinzipiell dahin erkannt, daß für alle Güter, welche, nicht, ausschließ- lich im Auslande, sondern auch in russischen Häfen und Grenzmarken produziert werden, die Tarife beim Transport aus den Häfen und von der Grenze in das Innere des Reichs den entsprechenden allgemeinen Tarifen für die gleichen binnenrussischen Produkte durchaus gleichgestellt, die Tarife für reine Importgüter, d. h. solche, die in Rußland nicht produziert werden, aber niedriger berechnet werden als die Sätze des allgemeinen russi⸗ schen Tarifs. Andererseits versprachen die Vertreter der ausländischen Bahnen, im direkten Verkehr Ermaͤßigungen für russische Güter ein. zuräumen.